Ja, das gibts natürlich auch. Solch emotionales Weiterdenken kommt sogar recht häufig vor, würde ich sagen. Ich meinte jetzt aber eher so kühle Analysen wie: "Ah, jetzt spielen die Bässe Triolen, damit es noch kräftiger reitet" -- oder: "Jetzt geht sie mit dem Weitwinkel näher ans Gesicht, damit die Nase lustig aufbläht." Also eher produktionstechnische Analysen, die mich aus meiner emotionalen, szenischen Eingebundenheit aufwecken. So ähnlich wie während eines erotischen Vorspiels Matheaufgaben auszurechnen.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 15. Jun 2024, 15:54In dieser Szene sagt sie sinngemäß "Ich kann mich nicht erinnern", mit anderen Worten, sie muss jetzt etwas tun, was in ihrem "Programm" nicht vorgesehen ist, etwas Neues für sie. An dieser Stelle dachte ich sinngemäß so etwas wie: Das ist auch ein wunderbares Plädoyer für die Freiheit des Menschen. Das hat bei mir die emotionalen Momente keineswegs ausgeschaltet, sondern im Gegenteil eher verstärkt.
Das Schöne in der Musik
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"Als ich das zum ersten Mal gehört habe, das weiß ich noch wie heute, da war ich wirklich baff. Da ich leider nicht über die geringste musikalische Bildung verfüge, wusste ich nicht mal, dass es von Bach sein könnte. Ich weiß noch, dass ich zwischendurch immer mal wieder inständig gehofft habe, dass der Moderator am Ende den Titel und Komponisten noch mal verrät (das war noch in der Vorinternet-Zeit), denn es war sicher, dass ich mir am nächsten Tag die CD dazu besorgen würde."
Das ist aus einem Beitrag, den ich früher schon mal gepostet habe, auch hier habe ich den Ausdruck "baff" verwendet. Manchmal sagt man auch, dass so etwas einem den Atem raubt. Mittlerweile finde ich, dass der Ausdruck "faszinierend" dafür einigermaßen angemessen ist.
Das ist ein seeehr guter Punkt; einer, über den ich auch seit einiger Zeit nachdenke, und zwar speziell in der Kategorie Musik. Und da sind wir in diesem Faden ja genau richtig.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 15. Jun 2024, 17:23Aber was, wenn ich nicht 1960, sondern 1860 geboren wäre? Ich will hier nicht auf irgendeine Form von Relativismus hinaus, nichts liegt mir ferner. Was ich sagen möchte, ist, dass so ein "Wohlgefallen" ja nicht aus dem Nichts kommt; ich musste bereits eine gewisse individuelle Sehgeschichte, eine ästhetische Lebensgeschichte hinter mir haben, um für diese Arbeiten "bereit"zu sein.
Es gibt die These, dass Säuglinge und Kleinkinder diejenige Musik zu schätzen lernen, der sie täglich ausgesetzt sind. Das ist meist die Musik, die die Eltern spielen -- persönlich oder oder aus dem Radio etc. Die These ist aber schwer nachweisbar, weil der Musikgeschmack teilweise auch vererbt sein könnte, und der zweite, noch wichtigere Punkt ist: Der Musikgeschmack des Kindes geht oft früh seine eigenen Wege, in Bereiche hinein, die den Eltern weniger oder gar nicht gefällt. Es gibt also eine Evolution. Und da frage ich mich, warum bestimmte Klänge -- wie etwa die einer verzerrten E-Gitarre oder eines Spinetts -- in ganz bestimmten Jahrzehnten populär wurden. Einfacherweise könnte man jetzt vermuten, der motorartige Sound einer verzerrten E-Gitarre wurde deshalb populär, weil sie erfunden wurde in der Zeit, als die Menschen im Maschinenzeitalter lebten. Aber das war doch eine stressige Zeit, in der Fabrik, in all dem Lärm. Umso mehr müssten die Leute doch Flöten bevorzugen und Harfen. Und warum gefällt einem Kleinkind dieser E-Gitarren-Sound auf Anhieb -- spontan -- ohne das vorher schon mal gehört zu haben? Manchem Kleinkind gefällts. Manchem nicht. Unabhängig von der Erziehung.
Dann gibt es noch den Schneeball-Effekt: Irgendein Idol mag eine bestimmte Kunstrichtung, Sprechweise, Kleidung, Frisur etc. Seine Fans kopieren das, weil sie ihr Idol mögen. Dadurch wird das Idol noch berühmter, und noch mehr Fans kleben sich an den Schneeball. Somit wird er noch größer, noch berühmter ... Die Fans denken gar nicht groß nach über seine Attribute an sich; sie übernehmen die Attribute deshalb, weil sie durch die tägliche Nachahmung zur Gewohnheit werden und im Idol-Kontext zu einer komplexen lebensgefühligen Symbolstruktur werden. Das wird dann maximal groß, dann langweilig, dann bahnt sich ein neuer Schneeball an. -- Aber warum ist zur Zeit X ausgerechnet Stil Y attraktiv und nicht Stil Z? Gewisse Klänge finden immer einige Leute schrecklich. Es scheint so, dass im Jahrzehnt X der Sound Y sehr viele Leute abschreckt, und im Jahrzehnt danach plötzlich weniger. Möglicherweise ist das alles ziemlich zufällig. Beispiel: Die heutige Kleidermode ist sehr lässig, die Musik hingegen sehr steif. Das passt nicht zusammen. Zu Zeiten von Glenn Miller bis Elvis Presley war die Mode sehr steif und die Musik sehr locker und beschwingt. Seltsam ...
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Wobei wir das doch sehr verschieden akzentuieren. Während es bei dir - vereinfacht gesagt - um Fragen der Beeinflussung geht, habe ich versucht, ebenfalls vereinfacht gesagt, über Lern- und Erfahrungsprozesse zu sprechen.
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@ Wolfgang EndemannWolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Do 13. Jun 2024, 23:23@ Timberlake
"muss man in der Musik für einen kreativen und innovative Prozeß tatsächlich handwerklich bewandert sein ?" - nein, natürlich nicht. Aber es erweitert die künstlerischen Möglichkeiten enorm.
Ob die Beatles bessere Musik gemacht hätten, wenn sie Musik nicht nur intuitiv verstanden hätten, wer kann das wissen? Sicher ist, daß explizites Wissen keine Garantie für bessere Musik ist.
Das will ich wohl meinen , daß explizites Wissen keine Garantie für bessere Musik ist. Ließe sich doch von daher ableiten, dass bessere Musik und somit das Produzieren von Top Hits in den Charts erlernbar wäre. Was es gemäß eines Erfahrungswissens ganz sicher nicht ist. Was allerdings an dieser Stelle schon auffällt , das Alter derjenigen, die in diesen Charts führen. Betagte Rentner sucht man dort in der Regel vergeblich. Was um so merkwürdiger ist , wenn man bedenkt , dass eigentlich das Erfahrungswissen in der Musik mit dem Alter steigen sollte .
Bestes Beispiel ., so zumindest meine Meinung, The Rolling Stones ...
Das Schöne bzw. Bessere in ihrer Musik fand ich insbesondere in der Zeit , wo ihr Erfahrungswissen handwerklich noch nicht für jene Qualität taugte , wie man sie für die s.g. Studiomusik voraussetzt. Eigentlich war damit , nach meinem Dafürhalten , mit dem "Studiomusiker" Mick Taylor als Leadgitarrist ( 1969–1974) Schluss.
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@ Jörn Budesheim, @ Quk
Daß "Wohlgefallen" gelernt wird, würde ich allemal unterschreiben, auch wenn es einen angeborenen Faktor gibt. Wir hatten ja drüben über Deutsch und die Schönheit der Blumen diskutiert, es mag sein, daß es solch einen genetisch verankerten Schönheitssinn gibt, das muß man offen lassen, und auch die Frage, ob es sinnvoll ist, beidemal den gleichen Begriff Schönheit zu verwenden. Jedenfalls muß die jeweilige kulturspezifische Musiksprache gelernt werden, der Lernprozeß beginnt schon im embryonalen Zustand. Und es ist die große Frage, ob die Musiksprache universell ist oder nur in kaum übertragbaren Eigensprachen vorliegt.
Auch hier wiederholt sich die Frage: wird Musik erfunden oder gefunden. Meine Antwort dürfte bekannt sein: wie alles Geistige, wie Mathematik und Philosophie und die Lebenskunst wird Musik, das Schöne in ihr, ge- und erfunden, ist eine Selbstorganisation, ein Ordnung schaffen, und eine Selbstbewertung. Man lernt Musik und man lernt, sie zu beurteilen, emotional und rational. Wie groß dabei die Rolle von Universalstrukturen ist, wissen wir wie gesagt noch nicht gut genug, aber sicher gibt es universelles, und ganz sicher auch inkompatibles. Und wie im rationalen Denken nicht die Emotionen unterschätzt werden sollten, so auch nicht die Ratio in der Sprache des Gefühls.
Daß "Wohlgefallen" gelernt wird, würde ich allemal unterschreiben, auch wenn es einen angeborenen Faktor gibt. Wir hatten ja drüben über Deutsch und die Schönheit der Blumen diskutiert, es mag sein, daß es solch einen genetisch verankerten Schönheitssinn gibt, das muß man offen lassen, und auch die Frage, ob es sinnvoll ist, beidemal den gleichen Begriff Schönheit zu verwenden. Jedenfalls muß die jeweilige kulturspezifische Musiksprache gelernt werden, der Lernprozeß beginnt schon im embryonalen Zustand. Und es ist die große Frage, ob die Musiksprache universell ist oder nur in kaum übertragbaren Eigensprachen vorliegt.
Auch hier wiederholt sich die Frage: wird Musik erfunden oder gefunden. Meine Antwort dürfte bekannt sein: wie alles Geistige, wie Mathematik und Philosophie und die Lebenskunst wird Musik, das Schöne in ihr, ge- und erfunden, ist eine Selbstorganisation, ein Ordnung schaffen, und eine Selbstbewertung. Man lernt Musik und man lernt, sie zu beurteilen, emotional und rational. Wie groß dabei die Rolle von Universalstrukturen ist, wissen wir wie gesagt noch nicht gut genug, aber sicher gibt es universelles, und ganz sicher auch inkompatibles. Und wie im rationalen Denken nicht die Emotionen unterschätzt werden sollten, so auch nicht die Ratio in der Sprache des Gefühls.
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Ich komme auf das Video über den perfekten Song zurück. Wir hatten schon festgestellt, daß es die Verstehfreude gibt, die im Falle eines Liedaufbaus aus zB vier geordnet abgespielten Akkorden zu einer ungeheuren Beliebtheit führt, im Video wurde das mit Beispielen belegt.
Nun will ich nicht verschweigen, daß für mich ein großer Teil dieser Beispiele keine gute Musik ist. Das Schema einer bekannten einfachen Harmoniefolge anzuwenden führt zwar zur Erkennbarkeit, aber sie allein ist zu dürftig, jedenfalls für geübte Hörer. Für Kinder gibt es die noch reduzierteren Kinderlieder, und selbstverständlich lernt das Kind daran. Aber wenn man zu sehr auf solchen einfachen Formeln rumreitet, verlieren sie bei vielen Menschen ihren Reiz, und das sollten sie auch, denn der menschliche Geist sollte nicht beim einmal Erkannten stehenbleiben, sondern sich weiterentwickeln, das Verstehen erweitern. Das muß nicht bedeuten, daß das, was schön durch Verstehen ist, seine Schönheit verlieren muß. Aber Vieles wirkt mit der Zeit trivial, also ohne Verständnisgewinn, weil selbstverständlich, und banal, ohne sich durch etwas Ungewöhnliches vom Alltäglichen abzuheben. Es ist große Kunst, die richtige Linie zu finden zu dem suggestiv Einfachen, das Einfache, das so schwer zu machen ist, und nicht im trivial Einfachen, dem Kitsch zu landen. So gibt es ein Einfaches, das so ideal ist, daß es Anschlußmöglichkeiten enthält, die immer noch entdeckt werden können, auch wenn man es schon lange kennt. Das macht dieses Einfache so suggestiv. ZB das erste Präludium aus dem Wohltemperierten Klavier.
Ich möchte hier ein Beispiel aus der Rockmusik bzw dem Blues vorstellen. Der Blues ist ja auch so eine geregelte 3- oder 4-Harmonienfolge, wie die im Video gezeigten Folgen aus dem Quintenzirkel. Letzterer ordnet weitgehend die europäische Musik, es gibt bei uns kaum Musik, die sich dieser Ordnung entzieht, sie wird von klein auf gelernt und führt zu einer Vertrautheit, die es anderen musikalischen Strukturen schwer macht, Anerkennung zu finden, weil sie im Sinne der Quintenzirkelharmonik falsch sind. Der Blues ist eine besonders suggestive Form der harmonischen Entwicklung. Also sowohl mit großem ästhetischen Potential wie in großer Gefahr, Kitsch zu werden. Viele Musiker verstecken die klare Bluesstruktur, wahrscheinlich, weil sie erkennbar eigenständig sein oder die Trivialität vermeiden wollen. Mein Beispiel zelebriert den Blues in Reinform, J. J. Cale mit Unemployment.
Auch wenn das Beispiel für sich selbst spricht, ein paar Hinweise von mir, was man in dieser Einfachheit entdecken und genießen sollte. Der Blues betont besonders stark die Tonika, den Grundton. Er begnügt sich, nach einer Alteration zur Subdominante in der Regel schon innerhalb von 12 Takten mit einer Kadenz auf den Grundton zurückzukehren. Cale spiegelt nun diese Kadenz schon in der Tonikaphase. Das Stück in E-Dur projiziert die verkürzte Bluesformel auf den satten E-Dur-Akkord, der wird nämlich unter Beibehaltung des Grundtons im Bass (und der Quinte) zwar mehrfach gespielt, aber auch exakt parallelverschoben: d-e-a-h-g-a-d-e-d-e-d-e-a-h-g-a-d-e. Damit verstärkt er ein Ausdrucksmittel des Blues, das für die starke emotionale Wirkung dieses Musiktyps (mit-/haupt-)verantwortlich ist, das Changieren zwischen Dur und Moll, etwa in den blue notes. Die Dur-Tonleiter geht ja e-fis-gis-a-h-cis'-dis'. Dagegen wird das g statt dem gis und das d statt dem dis gespielt, oder eben die Molltonleiter e-fis-g-a-h-c'-d'. Mit der Durtonleiter wird die Molltonleiter intoniert. Darüberhinaus wird ab 1:34 die Mollterz in die Durakkorde hineingehämmert, später eine schaukelnde Mollterz (zB Quint-kleine Septime).
Wenn sich im Blues der Komplex von hartem Schicksal und Überlebenswille musikalisch niedergeschlagen hat, und Arbeitslosigkeit ist dafür paradigmatisch, dann haben wir hier die perfekte musikalische Umsetzung, Lebensbewältigung durch Transzendierung in Schönheit.
Nun will ich nicht verschweigen, daß für mich ein großer Teil dieser Beispiele keine gute Musik ist. Das Schema einer bekannten einfachen Harmoniefolge anzuwenden führt zwar zur Erkennbarkeit, aber sie allein ist zu dürftig, jedenfalls für geübte Hörer. Für Kinder gibt es die noch reduzierteren Kinderlieder, und selbstverständlich lernt das Kind daran. Aber wenn man zu sehr auf solchen einfachen Formeln rumreitet, verlieren sie bei vielen Menschen ihren Reiz, und das sollten sie auch, denn der menschliche Geist sollte nicht beim einmal Erkannten stehenbleiben, sondern sich weiterentwickeln, das Verstehen erweitern. Das muß nicht bedeuten, daß das, was schön durch Verstehen ist, seine Schönheit verlieren muß. Aber Vieles wirkt mit der Zeit trivial, also ohne Verständnisgewinn, weil selbstverständlich, und banal, ohne sich durch etwas Ungewöhnliches vom Alltäglichen abzuheben. Es ist große Kunst, die richtige Linie zu finden zu dem suggestiv Einfachen, das Einfache, das so schwer zu machen ist, und nicht im trivial Einfachen, dem Kitsch zu landen. So gibt es ein Einfaches, das so ideal ist, daß es Anschlußmöglichkeiten enthält, die immer noch entdeckt werden können, auch wenn man es schon lange kennt. Das macht dieses Einfache so suggestiv. ZB das erste Präludium aus dem Wohltemperierten Klavier.
Ich möchte hier ein Beispiel aus der Rockmusik bzw dem Blues vorstellen. Der Blues ist ja auch so eine geregelte 3- oder 4-Harmonienfolge, wie die im Video gezeigten Folgen aus dem Quintenzirkel. Letzterer ordnet weitgehend die europäische Musik, es gibt bei uns kaum Musik, die sich dieser Ordnung entzieht, sie wird von klein auf gelernt und führt zu einer Vertrautheit, die es anderen musikalischen Strukturen schwer macht, Anerkennung zu finden, weil sie im Sinne der Quintenzirkelharmonik falsch sind. Der Blues ist eine besonders suggestive Form der harmonischen Entwicklung. Also sowohl mit großem ästhetischen Potential wie in großer Gefahr, Kitsch zu werden. Viele Musiker verstecken die klare Bluesstruktur, wahrscheinlich, weil sie erkennbar eigenständig sein oder die Trivialität vermeiden wollen. Mein Beispiel zelebriert den Blues in Reinform, J. J. Cale mit Unemployment.
Auch wenn das Beispiel für sich selbst spricht, ein paar Hinweise von mir, was man in dieser Einfachheit entdecken und genießen sollte. Der Blues betont besonders stark die Tonika, den Grundton. Er begnügt sich, nach einer Alteration zur Subdominante in der Regel schon innerhalb von 12 Takten mit einer Kadenz auf den Grundton zurückzukehren. Cale spiegelt nun diese Kadenz schon in der Tonikaphase. Das Stück in E-Dur projiziert die verkürzte Bluesformel auf den satten E-Dur-Akkord, der wird nämlich unter Beibehaltung des Grundtons im Bass (und der Quinte) zwar mehrfach gespielt, aber auch exakt parallelverschoben: d-e-a-h-g-a-d-e-d-e-d-e-a-h-g-a-d-e. Damit verstärkt er ein Ausdrucksmittel des Blues, das für die starke emotionale Wirkung dieses Musiktyps (mit-/haupt-)verantwortlich ist, das Changieren zwischen Dur und Moll, etwa in den blue notes. Die Dur-Tonleiter geht ja e-fis-gis-a-h-cis'-dis'. Dagegen wird das g statt dem gis und das d statt dem dis gespielt, oder eben die Molltonleiter e-fis-g-a-h-c'-d'. Mit der Durtonleiter wird die Molltonleiter intoniert. Darüberhinaus wird ab 1:34 die Mollterz in die Durakkorde hineingehämmert, später eine schaukelnde Mollterz (zB Quint-kleine Septime).
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Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑So 16. Jun 2024, 16:43Der Blues betont besonders stark die Tonika, den Grundton. Er begnügt sich, nach einer Alteration zur Subdominante in der Regel schon innerhalb von 12 Takten mit einer Kadenz auf den Grundton zurückzukehren. Cale spiegelt nun diese Kadenz schon in der Tonikaphase. Das Stück in E-Dur projiziert die verkürzte Bluesformel auf den satten E-Dur-Akkord, der wird nämlich unter Beibehaltung des Grundtons im Bass (und der Quinte) zwar mehrfach gespielt, aber auch exakt parallelverschoben: d-e-a-h-g-a-d-e-d-e-d-e-a-h-g-a-d-e. Damit verstärkt er ein Ausdrucksmittel des Blues, das für die starke emotionale Wirkung dieses Musiktyps (mit-/haupt-)verantwortlich ist, das Changieren zwischen Dur und Moll, etwa in den blue notes. Die Dur-Tonleiter geht ja e-fis-gis-a-h-cis'-dis'. Dagegen wird das g statt dem gis und das d statt dem dis gespielt, oder eben die Molltonleiter e-fis-g-a-h-c'-d'. Mit der Durtonleiter wird die Molltonleiter intoniert. Darüberhinaus wird ab 1:34 die Mollterz in die Durakkorde hineingehämmert, später eine schaukelnde Mollterz (zB Quint-kleine Septime).
Wenn sich im Blues der Komplex von hartem Schicksal und Überlebenswille musikalisch niedergeschlagen hat, und Arbeitslosigkeit ist dafür paradigmatisch, dann haben wir hier die perfekte musikalische Umsetzung, Lebensbewältigung durch Transzendierung in Schönheit.
um dazu auf die The Rolling Stones zurück zu kommen, die bekanntermaßen von dem Blues beinflusst wurden , so frage ich mich schon, ob sie sich beim komponieren ihrer Songs an dem orientiert haben , was beispieisweise der Blues besonders betont . ..
. oder anders gefragt. Ob dergleichen beispielweise das Resultat eines eher profanen Herumprobierens oder des Wälzens von Fachliteratur zu dieser Musikform ist. In dem ich einmal davon ausgehe , dass Brian Jones als Leadgitarrist hier den Ton angibt , so hat er dergleichen möglicherweise seiner Zeit auch bei den anderen , weit bekannteren Titeln getan.
Das könnte ich mir übrigens auch als den eigentlichen Grund dafür vorstellen , warum nach meiner Meinung , durch dessen Austausch mit dem "Studiomusiker" Mick Taylor , Schluss mit der "schönen bzw. besseren Musik" bei den Rolling Stones war.
An dieser Stelle sei mal, im Vergleich zu dem obigen Video, auf die Kleidung und dem Hintergrund in diesem Video aufmerksam gemacht ..
Gut möglich , dass diese Musik , in dem video zuvor , nach der "offiziellen" Veranstaltung , eben so , wie hier beschrieben , entstanden ist . In eben diesem Augenblick , des bloßem Herumprobierens. Im Hintergrund , ist übrigens die Stimme Mick Jagger zu hören. Offenbar mit der Absicht spontan seinen "Senf" hinzu zu geben.
..
Zuletzt geändert von Timberlake am So 16. Jun 2024, 18:00, insgesamt 13-mal geändert.
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Ich würde vielleicht zustimmen und sagen, dass Musik auch etwas Geistiges ist. Aber ich weiß, dass du den Geist irgendwie im Körper lokalisierst, und das ist kein guter "Ort" für Musik. Ich erinnere mich, dass ich einmal Mozarts Requiem in einer Kirche gehört habe - es ist schon ziemlich seltsam zu sagen, dass das "in" mir war.Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑So 16. Jun 2024, 16:35... alles Geistige, wie Mathematik und Philosophie und die Lebenskunst wird Musik, das Schöne...
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.. wenn ich nach einer schönen Musik tanz , ist dann nicht die Musik "in" mir ?
Zuletzt geändert von Timberlake am So 16. Jun 2024, 18:24, insgesamt 1-mal geändert.
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Ja, okay. Aber wenn man in einem Konzert ist, dann ist die Musik doch quasi raumgreifend und man selbst ist mittendrin, oder?
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Und vor allem ist man nicht allein damit, man ist mit vielen anderen zusammen.
Ich war mal Besucher in einem Konzert. In einem Hotelsaal, irgendwo in den USA. Ich hielt mich dort mehrere Stunden auf. Anwesend waren: Ein singender Gitarrist, und fünf Meter davor: ich. -- Alle anderen waren draußen an der Bar. -- Mir wurde nicht langweilig, habe auch immer applaudiert. Aber am Ende war ich betrunken.
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@ Jörn Budesheim, @ Quk
"Aber ich weiß, dass du den Geist irgendwie im Körper lokalisierst, und das ist kein guter "Ort" für Musik."
"Wenn wir poetisch reden, metaphorisch, bin ich bereit, das Geistige durchaus auch mal "im Körper" zu verorten"
So habe ich das nicht gemeint. Musik ist in Raum und Zeit. Und wird vom (Resonanz-)Raum geformt. Und wird gelegentlich als Bewegung im Raum produziert. Wobei man unterscheiden kann: Musik als Überlagerung von einer begrenzten Zahl von wechselnden, aber in größeren Zeitintervallen konstanten periodischen Schwingungen, im Unterschied zu geräuschhaften aperiodischen Schwingungen, die man manchmal, wenn kunstvoll organisiert, auch unter den Begriff Musik faßt, Geräuschkunst. Die Singvögel erzeugen Musik. Materialien erzeugen periodische Schwingungen, also Musik. Und Musik entsteht, wenn Menschen allein oder zusammen singen.
Das wäre ein objektiver Begriff, zu dem auch die Musikwahrnehmung gehört, die im individuellen Körper stattfindet. Ich höre Musik als eine Folge von Tonhöhen und Tondauern. Aber in diesem Blog ist Musik als künstlerische Sprache gemeint. Da ist Musik kein rein physikalisches Geschehen, sondern es ist eine geistige Kommunikation. Diese Musik wird nicht einfach nur gehört, sondern verstanden oder mißverstanden. Und das vor allem intuitiv, erst sekundär rational.
"Aber ich weiß, dass du den Geist irgendwie im Körper lokalisierst, und das ist kein guter "Ort" für Musik."
"Wenn wir poetisch reden, metaphorisch, bin ich bereit, das Geistige durchaus auch mal "im Körper" zu verorten"
So habe ich das nicht gemeint. Musik ist in Raum und Zeit. Und wird vom (Resonanz-)Raum geformt. Und wird gelegentlich als Bewegung im Raum produziert. Wobei man unterscheiden kann: Musik als Überlagerung von einer begrenzten Zahl von wechselnden, aber in größeren Zeitintervallen konstanten periodischen Schwingungen, im Unterschied zu geräuschhaften aperiodischen Schwingungen, die man manchmal, wenn kunstvoll organisiert, auch unter den Begriff Musik faßt, Geräuschkunst. Die Singvögel erzeugen Musik. Materialien erzeugen periodische Schwingungen, also Musik. Und Musik entsteht, wenn Menschen allein oder zusammen singen.
Das wäre ein objektiver Begriff, zu dem auch die Musikwahrnehmung gehört, die im individuellen Körper stattfindet. Ich höre Musik als eine Folge von Tonhöhen und Tondauern. Aber in diesem Blog ist Musik als künstlerische Sprache gemeint. Da ist Musik kein rein physikalisches Geschehen, sondern es ist eine geistige Kommunikation. Diese Musik wird nicht einfach nur gehört, sondern verstanden oder mißverstanden. Und das vor allem intuitiv, erst sekundär rational.
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Schön gesagt. Aber das Geistige ist immer inkorporiert. Gedanken verschiedener Menschen können jedoch weitgehend übereinstimmen, daher kann man sie identifizieren. Es ist sogar so, daß wir in einem Kulturkreis fast identisch denken, da könnte man sagen, die Sprache denkt. Dieses Überindividuelle ist darin begründet, daß Denken immer ein Kommunikationsprozeß ist, in dem ich das Denken meiner Zeit und meines Kulturkreises realisiere und reflektiere.
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@ Timberlake
Die Erinnerung an die große Zeit der Rolling Stones bringt mich auf einen weiteren zentralen Aspekt. Es wurde in dem Video über den perfekten Song eine Rezeptions-/Reaktionsweise angesprochen, die Quk "Verstehfreude" genannt hat. Ich habe schon darauf verwiesen, daß das ein Prozeß des Erkennens und gleichzeitig einer des Trivialisierens ist, also eine positive, aber auch eine problematische Seite hat. Die Überlegungen über den perfekten Song führten zu der Konsequenz, daß die unmittelbar stärkste Wirkung von der komprimiertesten Form des musikalischen Gedankens ausgeht und daher auf eine systematische Verkürzung der Songs hinausläuft, mit der Prognose, daß bald die Songs durch die Bank nur noch zwei Minuten lang sind.
Daran ist ein fataler gesellschaftlicher Regressionsprozeß ablesbar. Während in der 68er-Aufbruchszeit sich die Songdauern immer weiter ausdehnten, ich erinnere an die faszinierenden zehnminütigen Stücke von Morrison (The End), Dylan (It's Alright, Ma) oder eben "Sympathy for the Devil", das von Godard sogar zu einem Film verarbeitet wurde, ganz zu schweigen von den zwanzigminütigen Stücken von can, die Improvisationen von John Coltrane wurden auch immer länger, es gibt eine einstündige Version von "My favorite things", ein Entwicklungsprozeß übrigens, den die klassische Musik vorgemacht hat, die Symphonien und Opern wurden auch immer ausgedehnter, bis ein Umschlag passierte, indem jedoch nicht nur die Musik sich extrem verkürzte, sondern auch verdichtete, also alles andere als trivialisierte, während in dieser Epoche der gesellschaftliche wie musikalische Fortschritt herrschte, kam es danach zur Restauration und Regression, zur Verzwergung der Musik, zu den kurzatmigen Belanglosigkeiten der heutigen Wegwerfkultur.
Die Erinnerung an die große Zeit der Rolling Stones bringt mich auf einen weiteren zentralen Aspekt. Es wurde in dem Video über den perfekten Song eine Rezeptions-/Reaktionsweise angesprochen, die Quk "Verstehfreude" genannt hat. Ich habe schon darauf verwiesen, daß das ein Prozeß des Erkennens und gleichzeitig einer des Trivialisierens ist, also eine positive, aber auch eine problematische Seite hat. Die Überlegungen über den perfekten Song führten zu der Konsequenz, daß die unmittelbar stärkste Wirkung von der komprimiertesten Form des musikalischen Gedankens ausgeht und daher auf eine systematische Verkürzung der Songs hinausläuft, mit der Prognose, daß bald die Songs durch die Bank nur noch zwei Minuten lang sind.
Daran ist ein fataler gesellschaftlicher Regressionsprozeß ablesbar. Während in der 68er-Aufbruchszeit sich die Songdauern immer weiter ausdehnten, ich erinnere an die faszinierenden zehnminütigen Stücke von Morrison (The End), Dylan (It's Alright, Ma) oder eben "Sympathy for the Devil", das von Godard sogar zu einem Film verarbeitet wurde, ganz zu schweigen von den zwanzigminütigen Stücken von can, die Improvisationen von John Coltrane wurden auch immer länger, es gibt eine einstündige Version von "My favorite things", ein Entwicklungsprozeß übrigens, den die klassische Musik vorgemacht hat, die Symphonien und Opern wurden auch immer ausgedehnter, bis ein Umschlag passierte, indem jedoch nicht nur die Musik sich extrem verkürzte, sondern auch verdichtete, also alles andere als trivialisierte, während in dieser Epoche der gesellschaftliche wie musikalische Fortschritt herrschte, kam es danach zur Restauration und Regression, zur Verzwergung der Musik, zu den kurzatmigen Belanglosigkeiten der heutigen Wegwerfkultur.
Da kommen mir Erinnerungen hoch :-) Wir hatten um 1990 herum mal eine polnische Punkband im Studio für die Produktion eines Albums. Die Jungs hatten einen Rekord erreicht. Den Rekord des kürzesten Songs. Nicht nur einer; alle Songs auf dem Album waren ultrakurz. Der längste war knapp über 10 Sekunden lang, der kürzeste unter 3 Sekunden. Ich denke, sie hatten die Trivialisierung der Punk-Form, den Anti-Komplexitäts-Protest, auf die Spitze getrieben, um in dieser Sackgasse quasi selbst-persiflierend einen Schlussstrich zu ziehen. Die Texte hatte ich allerdings nicht verstanden, weil ich kein Polnisch kann. Aber die Musik war ausdrücklich genug :-)Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Mo 17. Jun 2024, 12:32... von der komprimiertesten Form des musikalischen Gedankens ausgeht und daher auf eine systematische Verkürzung der Songs hinausläuft, mit der Prognose, daß bald die Songs durch die Bank nur noch zwei Minuten lang sind.