Philosophie der Musik

Hier hast du die Möglichkeit, Musik deiner Wahl vorzustellen.
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infinitum
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Di 17. Aug 2021, 19:41

ein Artikel, welcher eine knappen Übersicht über verschiedene Ansätze gibt, wobei mir Husserl, Adorno oder Bloch als sehr spannend ins Auge gestochen sind.

https://www.spektrum.de/lexikon/philoso ... ophie/1373
Der Wortursprung von »Musik« liegt im griech. μoυσικη' (»das den Musen Zugehörige«), womit alles der geistigen Ausbildung Dienende gemeint ist.
In Husserls M. wird die Musik zum Zeitgegenstand, denn die Synthese aus Beständigkeit und Objektivität konstituiert jeden Gegenstand als Zeitgegenstand (Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, 1905). Im 20. Jh. repräsentiert Kunst die Vorform der Philosophie als das Absolute der Anschauung. Die Musik bedarf bei Adorno der Philosophie, um deren »Rätselcharakter« zu entschlüsseln (Philosophie der neuen Musik, 1949); die Philosophie wiederum benötigt die Kunst, um das Unwiederholbare vorzuzeigen. Die Rahmenbedingungen der Musik begreift Adorno als durch Kompositionen geformtes Material, welches von Generationen erprobt und gesellschaftlich objektiviert wurde. Nach Bloch entfaltet das Kunstwerk die im Seienden angelegten Tendenzen zur Befreiung menschlicher Träume und Wünsche. Gleichzeitig distanziert sich die Musik von der Natur und der historischen Wirklichkeit (Das Prinzip Hoffnung, 1954–1959).
Welche Philosophie verbindet ihr mit Musik? Lässt sich eine Philosophie einer bestimmten Musikrichtung jeweils zugrunde legen?



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Jörn Budesheim
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Mi 18. Aug 2021, 09:25

Ich bin, wie ich immer wieder betonen muss, leider ein kompletter musikalischer Laie. Ich höre auch sehr selten Musik. Aber ich hab natürlich dennoch ein paar Erlebnisse mit Musik in den letzten Jahrzehnten gemacht. Ich war ein paar mal in der Oper, da kommen nicht mehr als drei oder vier Besuche zusammen, ebenso selten (vielleicht etwas mehr) war ich in kirchlichen Musikveranstaltungen. Aber ich war vergleichsweise häufig im Tanztheater, bei dem Musik ja fast immer eine große Rolle spielt. Und in diesen verschiedenen Erfahrungen ist Musik für mich zuerst etwas Räumliches. Man könnte fast glauben, sie haben die Kirchen gebaut, damit die Musik klingen kann. Und der Raum, den die Musik aufspannt, ist zugleich der Raum, in dem man selbst ist. Anders als bei einer Skulptur oder Plastik, die vor einem steht, die man "umgeht", ist der Raum der Musik "um" einen, man ist darin. Zudem ist die Hörerfahrung dabei sehr körperlich. Man spürt sie am ganzen Leib, finde ich. Bei Musik hab ich auch seltener den Drang, sie zu deuten, das Erleben genügt mir dabei oftmals. (Aber das kann meiner Ahnungslosigkeit geschuldet sein.)

Auch wenn ich meine Discozeit mitrechne, ist das nicht viel anders :-) Nur dass beim eigenen Tanz der Körper natürlich noch mehr involviert ist.




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infinitum
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So 22. Aug 2021, 10:17

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Aug 2021, 09:25
Und in diesen verschiedenen Erfahrungen ist Musik für mich zuerst etwas Räumliches. Man könnte fast glauben, sie haben die Kirchen gebaut, damit die Musik klingen kann. Und der Raum, den die Musik aufspannt, ist zugleich der Raum, in dem man selbst ist. Anders als bei einer Skulptur oder Plastik, die vor einem steht, die man "umgeht", ist der Raum der Musik "um" einen, man ist darin. Zudem ist die Hörerfahrung dabei sehr körperlich. Man spürt sie am ganzen Leib, finde ich. Bei Musik hab ich auch seltener den Drang, sie zu deuten, das Erleben genügt mir dabei oftmals. (Aber das kann meiner Ahnungslosigkeit geschuldet sein.)
Das ist ein guter Punkt. :) De Räumlichkeit spielt durchaus eine grosse Rolle beim der Empfindung von Musik. Die Musik wird anders wahrgenommen, als wenn man sie nur über Kopfhörer oder in einem kleinen Raum anhört. Die Räumlichkeit kombiniert sich mit der Musik zum Erlebnis, somit hat die gewählte Räumlichkeit durchaus einen interessanten Aspekt, wenn man sich vorstellt, dass man beispielsweise in einer Kirche eine abweichende oder nicht dazu passender Musik (Rock, Raggae...) abspielt.
Damit könnte man sich vielleicht vorstellen, was Adorno mit seiner Aussage " Denn einzig in den Extremen findet das Wesen dieser Musik sich ausgedrückt" formulieren möchte. Damit bezieht er sich auf die "neue" Musikbwegegung, die sich von ästhetischen oder kulturellen Konventionen ablösen möchte.
Musik ist für mich einerseits eine Form von Entspannung, wenn ich selbst Musik höre oder kombiniere und auch ein Verstehen von Zeitgeist, wenn ich beispielsweise versuche Songtexte oder gewisse Melodieformen zu interpretieren. Musik kann Stimmungen übertragen oder auch zum Nachdenken oder Schreiben anregen oder beim Tanzen genau dies gewollt nicht.
Musik kann daher vielfältige Rollen und Formen annehmen, nicht zu vergessen sind die Gospel-Songs, die den Unterdrückten Kraft schenkten, um sich aus ihrer Lage zu befreien oder dadurch ermöglicht wurde eine gemeinsame verbindende Philosophie zu teilen.



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Jörn Budesheim
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Sa 22. Jun 2024, 18:00

Die Kunst und die Künste, Musikalität, Kunst, Pop: Zur komplizierten Lage der Musik, Christian Grüny hat geschrieben : Ist Musik eine Kunst unter Künsten? – Wenn man ihre Situation mit derjenigen der bildenden Kunst vergleicht, könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Musik eine Sonderrolle spielt, die sie zu einer entweder sehr exponierten oder weitgehend marginalen Existenz verurteilt oder sie ganz aus dem Spiel nimmt. Allein diese Diskrepanz ist bemerkenswert: Ist die Musik die Leitkunst der Gegenwart? [Vgl. Tim Blanning, Der Triumph der Musik. Von Bach bis Bono, München 2010.] Oder hat sie den Anschluss an die künstlerische Gegenwart verloren? [Vgl. etwa Peter Osborne, »The Terminology is in Crisis. Postconceptual Art and New Music«] Oder, nochmal ganz anders, ist sie die exemplarische Verkörperung autonomer ästhetischer Rationalität oder gar höherer Möglichkeiten des Menschseins? [Vgl. Gunnar Hindrichs, Die Autonomie des Klangs. Eine Philosophie der Musik, Berlin 2014] Und: Sprechen wir von der gesamten Bandbreite vom Kinderlied über Volksmusiken und die Popmusik bis zur zeitgenössischen Kunstmusik? Oder unterscheiden wir Kunstmusik von vor- oder außerkünstlerischer Musik? Kann Musik überhaupt primär als Kunst gelten und nicht vielmehr zuallererst als Modus menschlicher Kommunikation und Vergemeinschaftung und steht insofern quer zur gesamten Diskussion?...
Stöbere gerade ein wenig in meiner Bibliothek, um zu sehen was ich zum Thema Musik finden kann und bin dabei auf dieses bemerkenswert Zitat gestoßen: "Kann Musik überhaupt primär als Kunst gelten und nicht vielmehr zuallererst als Modus menschlicher Kommunikation und Vergemeinschaftung..." dass man zwischen Kunstmusik und Musik unterscheidet, der man den Kunststatus abspricht, damit hätte ich nicht gerechnet.

Ich für meinen Teil würde spontan auch ein Kinderlied in die Kategorie Kunst packen.




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Jörn Budesheim
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Sind die Fangesänge beim Fußball Musik? Ja. Aber Kunst? Ja. Oder?




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Machen Affen Musik?




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Jörn Budesheim
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Möglicherweise sind Wale die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten neben uns, die Musik machen.




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Jörn Budesheim
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Der Mensch macht Musik, und sie macht ihn.




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Jörn Budesheim
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Sa 22. Jun 2024, 21:03

Eckart Altenmüller, Vom Neandertal in die Philharmonie, Warum der Mensch ohne Musik nicht leben kann, hat geschrieben : Die bislang ältesten bekannten Musikinstrumente sind in der ausgehenden Altsteinzeit entstanden und wurden von unseren Artgenossen, von Homo sapiens, gebaut. Es handelt sich dabei um Knochenflöten und Flöten aus Elfenbein.
...

Im Sommer 2008 gelang in einer Höhle mit dem Namen Hohle Fels der sensationelle Fund einer sehr gut erhaltenen Flöte aus einem Geierknochen. Die Flöte wurde aus dem Flügelknochen – genauer der Speiche – geschnitzt und besitzt fünf Grifflöcher. Ihr Alter wird auf 40 000 bis 45 000 Jahre geschätzt...
Bereits in den frühen 1990er‐Jahren war wenige Kilometer entfernt eine ähnliche Flöte gefunden worden. [...] Die Geißenklösterle‐Flöte ist ca. 42 500 Jahre alt und wurde aus dem Flügelknochen eines Schwans gefertigt. Der Klang der auf Millimeter präzise rekonstruierten Flöte ist betörend klar und nur im obersten Register etwas schrill.

Besonders frappierend ist jedoch, dass die Grifflöcher eine Tonskala vorgeben, die wie bei unseren modernen Flöten Halb‑ und Ganztonabstände enthält. Daher kann Bernadette Käfer das berühmte Thema aus der Kunst der Fuge von Johann Sebastian Bach auf diesem mehrere zehntausend Jahre alten Instrument spielen.
Was sagt dieser Fund über die Ontologie der Musik? Ich finde das elektrisierend!




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Jörn Budesheim
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So 23. Jun 2024, 06:51

https://e.video-cdn.net/video?video-id= ... _9EZPfA-1d

Flötenmusik, gespielt von Bernadette Käfer auf einem (rekonstruierten) Instrument, das ca. 40.000 Jahre alt ist!




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Jörn Budesheim
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Zusammenfassung des Verlags des Buches, aus dem ich die letzten zwei drei Beiträge zitiert habe hat geschrieben : Was ist Musik, woher kommt Musik und warum haben die Menschen Musik? Musik sind bewusst gestaltete, in der Zeit gegliederte und nichtsprachliche akustische Ereignisse in sozialen Zusammenhängen.

Wir wissen nicht, wann die menschliche Musik entstand. Die ältesten Musikinstrumente sind Knochenflöten aus dem Schwabenland und sind etwa 43 000 Jahre alt.

Musik kann das Sozialleben beeinflussen. Wiegenlieder dienen dem Wohlbefinden von Eltern und Kind, erhöhen die Abwehrkräfte des Babys und fördern den Spracherwerb. Darwin nahm an, dass Singen und Musizieren eine Männerdomäne sei, die der Partnerwerbung diene. Andere Theorien betonen die Eigenschaft der Musik, Identität und Zusammenhalt einer Gruppe zu fördern. Außerdem lassen sich motorische Aktionen mit Musik synchronisieren.

Was also ist der Ursprung der Musik? Vermutlich ist Musik vor der Sprache entstanden und geht auf die emotionale Kommunikation früher Hominiden zurück, die im Sozialverband ihre Artgenossen durch einfache melodische Laute auf reiche Fanggründe oder lauernde Gefahren aufmerksam machten. Für die Urmenschen wie für uns heute war Musik wichtig, um das Lebensgefühl zu verbessern, den Eltern-Kind-Kontakt zu vertiefen und die Gruppe zu organisieren und zu stärken.
Anmerkung: dass ich das hier poste, heißt nicht, dass ich alles, was da steht, einfach kaufe, insbesondere den letzten Absatz finde ich nicht überzeugend, aber egal, spannend ist es allemal.




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Jörn Budesheim
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So 23. Jun 2024, 07:18

Das Leben [damaligen Menschen] war hart. Die Familien hatten zwar eine ausreichende Nahrungsgrundlage, aber die Jagd war risikoreich, das Herstellen der Waffen mühsam und das Leben ständig von Krankheiten bedroht. Der Alltag [...] bestand im Schnitzen der Speer- und Pfeilspitzen aus Elfenbein und Horn, im Jagen und Transportieren der erjagten Beute zurück in die Höhle, in der Herstellung von Kleidung aus Fellen und Leder und vermutlich im Bau von Vogelfallen und Fischreusen. Die Nahrung wurde an den Feuerstellen erhitzt. Bedroht waren die Menschen nicht nur durch Jagdunfälle, Raubtiere oder durch eine anhaltend ungünstige Witterung, sondern vor allem durch Krankheiten. Parasiten, Zahnschmerzen, Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten sowie chronische Beschwerden nach schlecht verheilten Knochenbrüchen dürften das kurze Leben schwer erträglich gemacht haben.

Ist es unter solchen Umständen nicht gut vorstellbar, dass die Gruppe nach einem anstrengenden Tag um das Feuer am Eingang der Höhle sitzt und den Klängen der Flöte lauscht? Zögernd stimmen zuerst wenige, dann immer mehr Stimmen mit Gesang ein, die Menschen klatschen im Takt. Vom schneller werdenden Rhythmus angesteckt, erheben sich einzelne Tänzer und beginnen in immer wilderen Wirbeln um das Feuer zu tanzen. Vielleicht singen sie in Trance Beschwörungsformeln, um die Götter zu besänftigen und die verstorbenen Ahnen günstig zu stimmen. Eine kurze Stunde des Vergessens, ohne Schmerzen, ohne Hunger, ohne Kälte - ist dies nicht ein magischer Moment?
Die Rekonstruktion ist klar und verständlich, sie gefällt mir. Dennoch habe ich kleine Einwände. 

Der Text trennt nicht deutlich genug zwischen "funktionalen" und "inhaltlichen" Zusammenhängen der frühen Musik. (Das ist keine stehende Begrifflichkeit, ich nutze sie nur ad hoc für diesen Text.)

"Funktional" gesehen bot Musik Ablenkung und Entspannung vom harten Alltag, hat die Gruppe integriert und hat damit zur Fitness beigetragen. Aber war die Funktion wirklich der Grund, warum die Menschen Musik machten? Diese Funktion, die ihnen vielleicht gar nicht bewusst war, machte das Musizieren zu einem evolutionären Vorteil. Das mag eine der Ursachen dafür sein, warum es sich durchsetzen konnte.

"Inhaltlich" geht es dagegen um die Gründe aus der Sicht dieser Menschen selbst: Diese bleiben uns sicher teilweise verborgen und man kann nur darüber spekulieren. Aber vergessen wir nicht: Es waren Menschen wie wir! Sie waren sicher genauso fasziniert von den Klängen, die sie hörten, wie wir es heute oft sind, wenn wir Musik hören. Es würde mich wundern, wenn sich das grundlegend geändert hätte. Und ich vermute, dass diese Faszination einer der Gründe war, warum sie es taten. 

(Was ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen kann, ist, dass es schon damals Menschen gab, die glaubten, diese Faszination und Schönheit sei rein subjektiv. Das ist eine sehr junge Vorstellung, die es erst seit ein paar hundert Jahren gibt. Das heißt, diese Menschen haben das ziemlich sicher nicht so gesehen.)

Insofern hat der Text recht, wenn er sagt, das sind magische Momente. Ich glaube, für diese Menschen hat sich eine neue ontologische Dimension aufgetan, ein Bereich eigener Ordnung, nämlich der Bereich der Musik. Wie sie sich das erklärt haben, werden wir vielleicht nie erfahren. Ich könnte mir vorstellen, dass hier einer der Ursprünge der Religion liegt. Ich kann mir nämlich nur schwer vorstellen, dass sie ihre faszinierenden musikalischen Entdeckungen einfach als eine Form der Zerstreuung betrachtet haben.

(In dieser Spekulation wird die übliche Erklärungs-Reihenfolge natürlich umgedreht, gemäß der die Kunst aus der Religion entstanden ist; das kann ich natürlich nicht mit irgendwelchen archäologischen Funden begründen oder ähnlichem, das ist halt eine Spekulation, die sich aus meiner Anthropologie ergibt nach der überall da, wo es Menschen gibt, auch Kunst gibt. Das ist für mich kein empirischer, sondern ein begrifflicher Befund.)




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Jörn Budesheim
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C.A.G.E. - Center for Archaeological and Geological Exploration hat geschrieben : Neue Studie enthüllt: Urzeitliche Riten dauerten genau 4:33 Minuten

Pressemeldung

Frankfurt am Main, 23. Juni 2024 – Die archäologische Forschungsgruppe C.A.G.E. (Center for Archaeological and Geological Exploration) hat nach ausführlichen Analyse-Arbeiten eine bemerkenswerte Entdeckung bekannt gegeben: Die meisten Riten der Urmenschen, die von Musik begleitet wurden, dauerten genau vier Minuten und 33 Sekunden. Diese neue Erkenntnis bietet faszinierende Einblicke in die kulturellen Praktiken unserer Vorfahren und unterstreicht die präzise Struktur ihrer rituellen Handlungen, sowie die universelle Dimension der Zeitspanne von 4:33.

Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte:

C.A.G.E. - Center for Archaeological and Geological Exploration
Presseabteilung
Email: presse[@]cage-exploration.org
Telefon: +49 69 123456789




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Jörn Budesheim
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Quk
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So 23. Jun 2024, 22:50

Mündliche Sprache und mündliche Musik haben sehr viele Gemeinsamkeiten. Auch da würde ich keine harte Grenze reinsetzen wollen. Vermutlich sind sie gleichzeitig entstanden, und sicherlich gab es sie schon vor den Urmenschen.




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Jörn Budesheim
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Mo 24. Jun 2024, 08:09

Quk hat geschrieben :
So 23. Jun 2024, 22:50
Mündliche Sprache und mündliche Musik haben sehr viele Gemeinsamkeiten. Auch da würde ich keine harte Grenze reinsetzen wollen. Vermutlich sind sie gleichzeitig entstanden, und sicherlich gab es sie schon vor den Urmenschen.
Worauf in diesem Faden bezieht sich das?

Wie auch immer: mündliche Sprache und mündliche Musik, Sprache und Musik generell haben viele Gemeinsamkeiten, daran kann man nur schwer zweifeln. Man spricht zum Beispiel von einer Sprachmelodie, die meines Erachtens nicht nur Beiwerk ist, sondern auch Bedeutungsträger. Beide, Sprache und Musik, können Gefühle ausdrücken, Freude oder Trauer und vieles mehr, deshalb können beide der Kommunikation dienen. Beide leben in ihrer "Aufführung". Beide existieren nicht ohne Kreativität. Beide können auf die menschliche Stimme setzen, manche Instrumente klingen beinahe so. Beide sind "sozial", es gibt sie da, wo es in irgendeiner Weise ein "Wir" gibt. Beide können bei Riten und Zeremonien eine große Rolle spielen. Beide brauchen in irgendeiner Form Strukturen und Ordnung. Beide können für Gruppen Identität stiften. ... Das ist sicher nur eine kleine Auswahl der Gemeinsamkeiten.

Wer jetzt auf ein "Aber" wartet, wird nicht enttäuscht. Hier ist es: Der Vortrag des Kunstphilosophen Julian Dodd, den Consul gepostet hat, war in dieser Hinsicht interessant. Wie ist Dodd vorgegangen? Er hat nicht definiert, was Musik ist, sondern er hat nur eine einzige, nach seiner Einschätzung, notwendige Eigenschaft von Musik herausgepickt und festgestellt, dass sie 4'33 fehlt. Das fand ich sehr erhellend!

Warum funktioniert diese Methode? Wenn man das Wesen von X definieren will, dann gibt man verschiedene Eigenschaften an, von denen jede einzelne notwendig ist, die aber nur zusammen hinreichend sind. Alle diese Eigenschaften müssen vorhanden sein, damit man von X sprechen kann. Mit anderen Worten, die Möglichkeit, dass es zwischen X und U Gemeinsamkeiten, Übergänge, weiche Grenzen gibt, ist hier keineswegs geleugnet, sondern in der Regel vorausgesetzt. X und U können sehr viele Gemeinsamkeiten, Übergänge, etc. haben, aber dennoch verschieden sein.

Das heißt, wer X definiert, indem Sinne, dass er nach seinem Wesen fragt, sagt damit keineswegs zugleich, dass X mit U und mit vielen anderen Dingen keine Gemeinsamkeiten hat, er sagt nur, dass sich X und U in mindestens einer Hinsicht unterscheiden, während sie in vielen anderen Hinsichten gleich sein können. Deswegen funktioniert die Methode von Julian Dodd.

Begriffe können scharfe Grenzen ziehen, müssen es aber nicht. Begriffe können weit und eng sein. Es gehört nicht zum Wesen von Begriffen, scharfe Grenzen zu ziehen. Es gehört auch nicht zum Wesen von Begriffen, Gemeinsamkeiten von begrifflich verschiedenen Dingen zu leugnen. Zwischen Dingen, die unter verschiedene Begriffe fallen, kann es weiche Übergänge geben, ohne dass diese Dinge damit aufhören, unter verschiedene Begriffe zu fallen.




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Consul
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Mo 24. Jun 2024, 08:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 22. Jun 2024, 18:00
Stöbere gerade ein wenig in meiner Bibliothek, um zu sehen was ich zum Thema Musik finden kann und bin dabei auf dieses bemerkenswert Zitat gestoßen: "Kann Musik überhaupt primär als Kunst gelten und nicht vielmehr zuallererst als Modus menschlicher Kommunikation und Vergemeinschaftung..." dass man zwischen Kunstmusik und Musik unterscheidet, der man den Kunststatus abspricht, damit hätte ich nicht gerechnet.

Ich für meinen Teil würde spontan auch ein Kinderlied in die Kategorie Kunst packen.
Ja, natürlich. Kunst ist Kunst—egal ob sie gut oder schlecht, schwierig oder einfach, anspruchsvoll oder anspruchslos, anstrengend oder unterhaltend ist. Ein Lied von Roy Black ist genauso ein Kunstwerk wie ein Lied von Franz Schubert. Musik ist per se Kunst, aber nicht jedes Tonstück ist Teil der "Hochkultur".



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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Jörn Budesheim
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Mo 24. Jun 2024, 08:33

Ja, der Begriff Kunst enthält keine Wertung hinsichtlich der Qualität.




Wolfgang Endemann
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Di 25. Jun 2024, 15:08

Musik ist ein nicht einheitlich verbindlich definierter, aber weitgehend verständlich kommunizierbarer Sachverhalt. Man macht Musik, kommuniziert mit und über Musik, setzt sie in verschiedenen Zusammenhängen ein. Irgendwann beginnt man, Musik aus funktionellen Zusammenhängen herauszulösen und als solche, als Musik zu bewerten. Wir betrachten dann Musik unter dem Kriterium der Ästhetik, wir bewerten sie als schön oder unschön. Die Kunstform Musik entsteht, wenn wir Musik unter diesem Kriterium der Bewertung produzieren und rezipieren.
Insofern würde ich widersprechen. Von Kunst kann nur die Rede sein, wenn wir etwas unter ästhetischen Gesichtspunkten tun oder wahrnehmen. Ich weiß, das kollidiert mit dem ursprünglichen philosophischen Begriff des Ästhetischen. Aber das tolle Erlebnis des Gegenwinds bei sehr schneller Bewegung ist eine sehr sinnliche Erfahrung, jedoch keine künstlerische.




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Quk
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Di 25. Jun 2024, 15:49

Musik ist für mich dann gut, wenn sie Metaphern, beziehungsweise Analogien enthält und wenn diese bei den Hörenden Emotionen auslösen.

Beispiele für ganz einfache Metaphern, beziehungsweise Analogien:

Der hellheiße Klang stark geblasener Trompeten als Sinngleiche für hellgelbe Sonnenstrahlen.
Mit hohem Tempo gespielte geradzahlige Sechzentel als Sinngleiche für einen rennenden Menschen.
Selbige Sechzentel hart staccato gespielt als Sinngleiche für ein Maschinengewehr.
Eine Reihe von 4-Sechzentel-Paketen, in denen jeweils das zweite von vieren eine Pause ist, als Sinngleiche für ein galoppierendes Pferd.
Eine absteigende Tonreihe, deren letzter Schritt ein Halbtonintervall ist, als Sinngleiche für Resignation und andere Melancholien.
Eine pentatonische Phrase, die weder Dur noch Moll ist, als Sinngleiche für die Standhaftigkeit gegen durigen Fröhlichkeitskitsch und molligen Jammer.
Ein Dreier-Akkord erweitert um einige zusätzliche Töne (4te, 6te, 9te etc.) als Sinngleiche für Mehrdeutigkeit und Geheimnisvolles.
Und so weiter. Das waren jetzt ganz, ganz simple Beispiele.

Damit ist es aber noch nicht getan. Ähnlich wie in optischen oder schriftstellerischen Künsten müssen die Sinngleichen auch Emotionen auslösen. Wenn dies nicht geschieht, ist das Werk nur analytisch, aber eben nicht ... nun ja ... nicht berührend. Mir ist das dann langweilig. Wenn es nur um analytische Verstehfreude geht, funktioniert die Freude nur bei der ersten Lernerfahrung, -- danach ist der Kittel geflickt, der Fisch geputzt. Was man gelernt hat, muss man ja nicht nochmal lernen. Emotionen aber sind wiederholbar. Deswegen ist die Wiederholbarkeit von Emotionen wichtig. Das wird nicht langweilig.




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