Was heißt das?Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Di 14. Mai 2024, 10:55... alle sorgfältig komponierte Musik [will/sollte] integral gehört werden ...
Das Schöne in der Musik
- Jörn Budesheim
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Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Di 14. Mai 2024, 13:31Ich weiß nicht, wie man einen Text nach Veröffentlichung noch verändern kann. Natürlich kann ich mich selbst, Veränderungen einfügend, kommentieren. Wenn Du eine bessere Methode hast: ich bin dankbar für jede Verbesserung meines Textes, sollte ich das anders sehen, kann ich ja widersprechen. Also bitte keine Scheu zu redigieren.
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Ich meine hiermit zwei Hauptaspekte, der erste ist die Stimmigkeit des Kunstwerks. Ästhetische Sachverhalte sind weder objektiv notwendig (das Wahre) noch primär nützlich (das Gute), sie müssen sich aus sich selbst heraus begründen, das Schöne wirkt durch die Suggestivität der Selbstbegründung. Es gibt kein unbezweifelbares richtig oder falsch, aber ein gut oder weniger gut Begründetes. Das gilt zwar auch für das "Gute", aber das läßt sich wenigstens durch seine Biofunktionalität semiobjektiv begründen. Das Schöne existiert nur um seiner selbst willen. Rein willkürliches ist nicht schön. Es muß als notwendig erscheinen. Die Teile, Konstituentien müssen sich zusammenfügen. Das Kunstwerk ist wie ein Axiomensystem, freilich mit einem weniger strengen Konsistenzbegriff. Es gibt zwar das Divertimento, es gibt die Lust der Dekonstruktion, aber das setzt doch Ordnung voraus. Ein berühmter Komponist, ich kann mich nicht mehr erinnern, aber ich glaube, es war Busoni, sagte zutreffend, wenn auch überspitzt, ein jedes Kunstwerk habe sein eigenes Bildungsgesetz. In diesem Sinn muß ich das Wesen des Kunstwerks, seine vollständige Gestalt, das Ganze, es als Ganzes erfassen.
Der zweite Aspekt findet nicht die Zustimmung aller Kunstliebhaber, ich denke jedoch, daß auch er kaum zu leugnen ist. Für mich ist jede Kunst eine Sprache mit Syntax und Semantik, kein bloßes Spiel. Freilich sind die Künste keine Universalsprachen, aber in manchem auch der natürlichen oder einer wissenschaftlichen Fachsprache überlegen. Musik ist die genaueste Sprache des Überkomplexen, was sich nur sehr reduziert in der natürlichen Universalsprache ausdrücken läßt. Musik ist vorrangig die Sprache des Gefühls. Wenn wir uns eines Gefühls sicher sind, dh es intuitiv verstanden haben, bleibt es immer noch weitgehend unverbalisierbar. Diese Komplexitätshürde für analytische Sprachen, und die natürliche Sprache ist überwiegend eine analytische Sprache, gibt es für die Musik nicht. Das heißt aber, diese semantische Komplexität muß verstanden werden.
Ich hege ja seit langem die starke Annahme, dass die meisten visuellen Mimiken und die meisten akustischen Qualitäten und Melodiephrasen interkulturell von den meisten Menschen verstanden werden; sie betreffen freilich nur Gefühle und Empfindungen, nicht so etwas technisches wie "hinterm Felsen liegen drei Äpfel" oder so. Aber alles andere, was empathisches Potenzial hat. Und meine Annahme geht weiter: Ich vermute, dass die meisten heute bekannten Phrasen schon bei den Urmenschen vorkamen. Und dann gehe ich noch weiter zurück: Ich nehme an, dass Singvögel bestimmte Melodiephrasen ähnlich empfinden wie Menschen. Also wenn wir eine gewisse Vogelmelodie als fröhlich empfinden, empfindet der Vogel das auch so. In dieser Angelegenheit glaube ich nicht, dass es sich um eine vermenschlichte Interpretation handelt, also nicht wie etwa die Interpretation der Mundwinkelform eines Delfins als lächelnder Mundwinkel.
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.. macht der goldene Schnitt nicht genau das , Schönheit objektivierbar? Irgendwann habe ich einmal im Fernsehen dazu eine Sendung gesehen , dass es dazu eine vergleichbare Tonfolge gibt. Eine Tonfolge , die uns eine Musik "völlig objektivierbar" schön erscheinen lässt.Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Fr 3. Mai 2024, 10:50Schönheit ist ganz sicher nicht völlig objektivierbar.
Dazu nur mal zur Info ..
ronaldkah.de hat geschrieben :
Goldener Schnitt in der Musik – einfach erklärt
Was ist der Goldene Schritt in der Musik? Viele kennen ihn aus der Mode, aus dem Film oder aus dem Bereich der Fotografie.
Definition
In der Musiktheorie wird von einem Goldenen Schnitt gesprochen, wenn zwei Töne im Verhältnis des Goldenen Schnitts stehen. Außerdem kann von einem Goldenen Schnitt gesprochen werden, wenn sich Teile einer Musikkomposition im Goldenen Schnitt verhalten.
Johann Sebastian Bach war einer der bekanntesten deutschen Komponisten und prägte mit seinen Musikwerken die Musikgeschichte weit über seine Zeit des Barock hinaus. In seinem größten Werk “Kunst der Fuge” nutze er als Mittel den “Goldenen Schnitt”, indem der kürzere Teil sich zum längeren ersten genauso verhält wie der erste zum ganzen Stück.
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Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Di 14. Mai 2024, 10:55... alle sorgfältig komponierte Musik [will/sollte] integral gehört werden ...
Kunst hat aus deiner Sicht zwei Hauptaspekte, sie ist erstens in sich begründet und stimmig und zweitens eine Sprache. Ob ich dem zustimme, lasse ich zunächst offen. Ich habe gefragt, warum jede sorgfältig komponierte Musik integral gehört werden will/sollte. Ich verstehe es immer noch nicht. Genauer gesagt: Ich verstehe nicht, was es heißt, dass sie integral gehört werden will/soll, es geht mir nicht um die Rechtfertigung dieser Formulierung, sondern um ihre Bedeutung.
Nachtrag: "In diesem Sinn muß ich das Wesen des Kunstwerks, seine vollständige Gestalt, das Ganze, es als Ganzes erfassen." Ich vermute, das ist die gewünschte Antwort. Richtig?
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Hier stimme ich zu: "Jedes Kunstwerk hat sein eigenes Bildungsgesetz." Das würde ich seine Autonomie nennen; jedes Kunstwerk gibt sich selbst die Regel.
Vielleicht muss man zwischen einer definitorischen und einer normativen Sichtweise unterscheiden? Wann ist Kunst und wann ist ein Kunstwerk gut, das sind zwei verschiedene Fragen! Auf die erste Frage gibt es eine allgemeine Antwort, auf die zweite notwendigerweise nicht. Ich würde dir dennoch im Großen und Ganzen zustimmen, wenn du sagst, dass bei einem guten Kunstwerk die Teile zusammenstimmen und das selbst gesetzte Gesetz als notwendig erscheint. Zumindest ist das oft der Fall. Das Gefühl, dass das Kunstwerk in sich notwendig ist, ist oft das, was gute Kunst ausmacht. Und bei schlechter Kunst hat man oft das Gefühl, dass alles irgendwie zufällig ist, ohne Pointe.
Vielleicht muss man zwischen einer definitorischen und einer normativen Sichtweise unterscheiden? Wann ist Kunst und wann ist ein Kunstwerk gut, das sind zwei verschiedene Fragen! Auf die erste Frage gibt es eine allgemeine Antwort, auf die zweite notwendigerweise nicht. Ich würde dir dennoch im Großen und Ganzen zustimmen, wenn du sagst, dass bei einem guten Kunstwerk die Teile zusammenstimmen und das selbst gesetzte Gesetz als notwendig erscheint. Zumindest ist das oft der Fall. Das Gefühl, dass das Kunstwerk in sich notwendig ist, ist oft das, was gute Kunst ausmacht. Und bei schlechter Kunst hat man oft das Gefühl, dass alles irgendwie zufällig ist, ohne Pointe.
Timberlake, das ist interessant, den Goldenen Schnitt nicht nur in den Raum zu setzen, sondern auch in die Zeit. Bezüglich der räumlichen Sache mit dem 5/8-Verhältnis bei den schwarzen und weißen Tasten frage ich mich aber, wieviel in dieser Sache musikalisches Design ist und wieviel ergonomisches Design, denn bei anderen Instrumenten gibt es nur eine Reihe von Löchern oder Bünden, und darauf kann man ebenso alle 12 Töne spielen.
In diesem Zusammenhang mit Halbtonschritten und mathematischer Schönheitstheorie finde ich auch mikrotonale Instrumente interessant, die weitere Zwischentöne anbieten. Beispiel:
In diesem Zusammenhang mit Halbtonschritten und mathematischer Schönheitstheorie finde ich auch mikrotonale Instrumente interessant, die weitere Zwischentöne anbieten. Beispiel:
Zuletzt geändert von Quk am Mi 15. Mai 2024, 08:03, insgesamt 1-mal geändert.
- Jörn Budesheim
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Ich könnte mich mit der Idee anfreunden ... aber Wetten würde ich keine darauf eingehen. Spannend wäre, ob es dazu Untersuchungen gibt (und geben kann).
Es gibt Indizien, die eine gewisse Logik in sich haben: Bei Paarungs-Ritualen, zum Beispiel, kann man logischerweise annehmen, dass es eher um etwas freudiges geht als um etwas schmerzliches, andernfalls würde kaum eine Lebensform sich mit dem Fortpflanzungsakt beschäftigen. Hingegen bei Gefahr, beispielsweise, geht es eher um etwas unfreudiges. Wenn man in solchen beispielhaften Situationen die jeweilig einhergehenden visuellen Körpersprachen und die tonalen Melodien untersucht, die nur in bestimmten Situationen vorkommen, dann denke ich, kann man durchaus -- vorläufige -- Schlüsse ziehen, die über reine Hypothesen hinausgehen ...
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Eine sehr starke Hypothese, die mir gefällt, die ich gleichwohl bezweifle. Man sollte sie wissenschaftstheoretisch operationalisieren, sie erweitert die Frage, wie universell Sprachen sind, ob es eine Universalgrammatik gibt, usw.
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Ja. Nur dem "völlig objektivierbar" würde ich widersprechen, denn es gibt keine absolute musikalische Wahrheit, oder Schönheit. Philosophisch gesehen gibt es keine Dualität schön-häßlich oder gut-schlecht in der Kunst. Aber es gibt ein begründbares "schöner" bzw "besser". Im Transfiniten gilt nicht mehr vollständig a˅¬a. Dur kann so schön sein wie Moll, obwohl es das Gegenteil ist.Timberlake hat geschrieben : ↑Mi 15. Mai 2024, 00:26
.... macht der goldene Schnitt nicht genau das , Schönheit objektivierbar?
Und dann zum goldenen Schnitt. Er ist die Grundlage aller tonaler Musik, schon die Griechen haben die wichtigste Teilung des oktavischen Tonraums in Quint und Quarte verstanden, auf dem Quintenzirkel baut sich unsere Musiksprache auf.
Ich bringe mal ein Beispiel, in Moll, weil ich einen klassischen Hinweis geben will. Man stelle sich die Aufgabe, eine Tonleiter nach unten zu singen, so, daß es schön klingt. Nehmen wir der Einfachheit halber die a-Moll Tonleiter, dann spielen wir auf dem Klavier nur weiße Tasten. Falls wir dieser Tonfolge irgend eine Struktur geben, werden wir sie rhythmisch gliedern in:
a-(Pause)-g-f-e-d-c-H-A, wobei wir das e etwas betonen werden, wie den Anfangs- und Endpunkt. Die Schönheit der Phrase liegt in ihrer Kadenzwirkung. Die einfachste Kadenz (nach unten) ist der große Sekundschritt nach unten auf die Tonika, den tonalen Bezugspunkt. Das kann variiert werden, eine zweischrittige Kadenz ist etwa Quinte→Quarte→Grundton (das ist Dominante→Subdominante = Quinte nach unten→Grundton) oder Quinte→Sekunde = Quinte auf Quinte→Grundton. Wenn wir jetzt die siebentönige Tonleiter als Kadenz fassen, kommen wir zu unserem Beispiel, mit dem durch Betonung ausgezeichneten Mittelton e. In mathematischen Worten: in a-e-A sind die Abstände der Folgetöne logarithmisch gleich, so wie alle Oktaven den gleichen logarithmischen Abstand besitzen.
Hier möchte ich auf das ganz frühe Meisterwerk von Gustav Mahler verweisen, das klagende Lied. Die fallende Tonleiter ist eines der, vielleicht das tragendste Motiv dieser riesigen sinfonischen Kantate. Es beginnt mit der Kadenz der Halbtonleiter, und nach vielen Andeutungen erklingt die Ganztonleiterkadenz erstmalig in 7:51, und wird das Werk bis zum Ende leitmotivisch durchziehen, genau in der von mir beschriebenen rhythmischen Ordnung.
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Grammatik ist schon wieder zuviel. Das wäre dann wieder eine Komplexität wie in meinem Beispielsatz "Hinterm Felsen sind drei Äpfel". Nein, so meinte ich das nicht. Ich meine nur das Verständnis für einzelne Gefühle und Empfindungen an sich im Jetzt.Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Mi 15. Mai 2024, 11:05Eine sehr starke Hypothese, die mir gefällt, die ich gleichwohl bezweifle. Man sollte sie wissenschaftstheoretisch operationalisieren, sie erweitert die Frage, wie universell Sprachen sind, ob es eine Universalgrammatik gibt, usw.
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Gilt nicht auch für die Musik der sog. hermeneutische Zirkel? Dass man also das Ganze nur im Hinblick auf die Teile und die Teile nud im Hinblick auf das Ganze verstehen kann?!Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Di 14. Mai 2024, 18:28In diesem Sinn muß ich das Wesen des Kunstwerks, seine vollständige Gestalt, das Ganze, es als Ganzes erfassen.
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Selbstverständlich. Das ist der Unterschied von einer formalen und einer substantiellen Ganzheit, oder von kompliziert und komplex. Das Verhältnis von Teilen und Ganzem ist im ersten Fall additiv-subtraktiv, im zweiten integrativ-irreduzibel, dh im ersten Fall: das Ganze ist die Summe seiner Teile, und das Ganze kann in seine Einzelteile zerlegt werden. Im zweiten Fall ist das Ganze mehr als seine Teile, hat Eigenschaften, die nicht in den Teilen vorliegen, aber auch weniger, denn die Teile haben auch ihre ursprünglichen Eigenschaften verloren, als Teile des integrierten Ganzen sind sie etwas anderes. Das ist der Unterschied von einfach-unmittelbar und reflexiv-komplex.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Fr 17. Mai 2024, 19:08
Gilt nicht auch für die Musik der sog. hermeneutische Zirkel?
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Ich möchte mein Thema mit ein paar Bemerkungen über ein wunderschönes Liedchen fortsetzen, das ich in dem parallelen Thread über Musik schon vorgestellt habe, aber, wie es da Brauch, ohne Analyse, nur die Musik für sich selbst sprechen lassend. Hier wird sich niemand daran stören, wenn einmal genauer hingehört und Rechenschaft abgelegt wird, was wir warum schön finden bzw schön finden sollten. Ich verlinke nochmals, damit man nicht zwischen den Threads hin- und herschalten muß.
Das Stück ist in mehrerer Hinsicht minimalistisch, es kommt mit ein paar kurzen Motiven aus, und die Begleitung des Gesangs ist ebenfalls spartanisch, erinnert an die Geschichte vom Soldaten, und doch ist die Musik völlig anders, es wird nicht aus der Perspektive des Soldaten, sondern des Mädchens erzählt, daher ist der Ton bei aller harmonischen Reibung leicht und zart. Dabei schwankt sie zwischen dem krassen Gegensatz von den Gefühlen des Madchens und der martialischen Realität des Soldaten. Letztere wird vom primitiv-monotonen Marschrhythmus der kleinen Trommel unerbittlich immer wieder eingestreut und behält am Ende die Oberhand, hier hinterläßt der Soldat, wenn er abzieht, wenigstens nur ein gebrochenes Herz.
Das Klavier (auch die spärlichen geblasenen Töne) repräsentieren das Mädchen (oder stehen ihm wenigstens zur Seite), mit schaukelnden Bewegungen und sprunghaften Einwürfen, die erratische Akzentuierung schwacher Taktteile wäre geradezu wehrzersetzend, wenn sie Macht besäße. Der Tonumfang des Gesangs ist eine Oktave, von A bis b, das Stück in d-Moll, und kurz wechselt es in c-Moll, wodurch wegen der melodischen Parallele auch der Umfang G-es in Anspruch genommen wird. Zart (Mädchenperspektive) wird das Marschieren vertont bei 0:46 bis 1:02 (G-c-es-d-G-c-es-d und dann erst richtig, so, als müsse man erst in Tritt kommen: A-d-g-e-A-d-g-e), und dann verwandelt sich das Marschieren in das Fraternisieren (A-d-e-g-f-e-c-d). Das wiederholt sich Strophe für Strophe, wobei dieser Schlußteil beim expliziten Erwähnen der Liebesmacht in Melismen eines jubilierenden Tirilierens übergeht.
Kann man schöner "make love, not war" vertonen?
Das Stück ist in mehrerer Hinsicht minimalistisch, es kommt mit ein paar kurzen Motiven aus, und die Begleitung des Gesangs ist ebenfalls spartanisch, erinnert an die Geschichte vom Soldaten, und doch ist die Musik völlig anders, es wird nicht aus der Perspektive des Soldaten, sondern des Mädchens erzählt, daher ist der Ton bei aller harmonischen Reibung leicht und zart. Dabei schwankt sie zwischen dem krassen Gegensatz von den Gefühlen des Madchens und der martialischen Realität des Soldaten. Letztere wird vom primitiv-monotonen Marschrhythmus der kleinen Trommel unerbittlich immer wieder eingestreut und behält am Ende die Oberhand, hier hinterläßt der Soldat, wenn er abzieht, wenigstens nur ein gebrochenes Herz.
Das Klavier (auch die spärlichen geblasenen Töne) repräsentieren das Mädchen (oder stehen ihm wenigstens zur Seite), mit schaukelnden Bewegungen und sprunghaften Einwürfen, die erratische Akzentuierung schwacher Taktteile wäre geradezu wehrzersetzend, wenn sie Macht besäße. Der Tonumfang des Gesangs ist eine Oktave, von A bis b, das Stück in d-Moll, und kurz wechselt es in c-Moll, wodurch wegen der melodischen Parallele auch der Umfang G-es in Anspruch genommen wird. Zart (Mädchenperspektive) wird das Marschieren vertont bei 0:46 bis 1:02 (G-c-es-d-G-c-es-d und dann erst richtig, so, als müsse man erst in Tritt kommen: A-d-g-e-A-d-g-e), und dann verwandelt sich das Marschieren in das Fraternisieren (A-d-e-g-f-e-c-d). Das wiederholt sich Strophe für Strophe, wobei dieser Schlußteil beim expliziten Erwähnen der Liebesmacht in Melismen eines jubilierenden Tirilierens übergeht.
Kann man schöner "make love, not war" vertonen?
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Ich sähe es gerne, wenn in diesem Strang auch ohne die Vorlage konkreter Musikbeispiele das Sprechen über "Unaussprechliches", das ich ja lieber und mE richtiger als "kaum/schwer Aussprechliches, nicht vollständig Explizierbares" bezeichnen würde, möglich wäre.
Eine naheliegende Frage ist bspw die (wenn man das von den meisten Experten wohl geteilte Verständnis der Musik als einer spezialisierten Sprache des Gefühls voraussetzt), worin der Unterschied liegt, wenn ein schwieriger, dunkler Charakter wie Richard III. oder Macbeth und Lady Macbeth, äußerst interessant ist die Entwicklung dieses Stoffkomplexes von Shakespeare bis zu Schostakowitsch, in der Umgangssprache, in der literarischen oder in der musikalischen Sprache, eventuell auch in der der bildenden Kunst beschrieben wird.
Der Künstler kann und will es nicht mit den eindeutigen wie abstrakten, insofern leeren, simplifizierenden Worten "böse, heimtückisch, verzweifelt, dem Irrsinn verfallen", usw benennen, sondern in seiner Komplexität zeigen, suggestiv machen. Man kann zwar auch verbal der verfälschenden Eindeutigkeit von Benennungen, eindeutigen Beschreibungen entgegenarbeiten, es bleibt jedoch eine der Wahrheit nicht gerecht werdende diskursive Nüchternheit, ein zu kurz geratenes Verstandesbild. Das kann die Kunst besser.
Eine naheliegende Frage ist bspw die (wenn man das von den meisten Experten wohl geteilte Verständnis der Musik als einer spezialisierten Sprache des Gefühls voraussetzt), worin der Unterschied liegt, wenn ein schwieriger, dunkler Charakter wie Richard III. oder Macbeth und Lady Macbeth, äußerst interessant ist die Entwicklung dieses Stoffkomplexes von Shakespeare bis zu Schostakowitsch, in der Umgangssprache, in der literarischen oder in der musikalischen Sprache, eventuell auch in der der bildenden Kunst beschrieben wird.
Der Künstler kann und will es nicht mit den eindeutigen wie abstrakten, insofern leeren, simplifizierenden Worten "böse, heimtückisch, verzweifelt, dem Irrsinn verfallen", usw benennen, sondern in seiner Komplexität zeigen, suggestiv machen. Man kann zwar auch verbal der verfälschenden Eindeutigkeit von Benennungen, eindeutigen Beschreibungen entgegenarbeiten, es bleibt jedoch eine der Wahrheit nicht gerecht werdende diskursive Nüchternheit, ein zu kurz geratenes Verstandesbild. Das kann die Kunst besser.
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Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Mi 15. Mai 2024, 11:27Ja. Nur dem "völlig objektivierbar" würde ich widersprechen, denn es gibt keine absolute musikalische Wahrheit, oder Schönheit.Timberlake hat geschrieben : ↑Mi 15. Mai 2024, 00:26
.... macht der goldene Schnitt nicht genau das , Schönheit objektivierbar?
Wenn es darum geht , einen "perfekten Song" zu produzieren , so gibt es da anscheinend schon einige absolute musikalische Wahrheiten , die man zumindest in Betracht ziehen sollte ..
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Nein, keine absoluten Wahrheiten, denn absolute Wahrheiten sind zeit- und kontextinvariant, aber wie im ersten Video beschrieben, gilt das nicht für die subjektive Wahrnehmung und Bewertung. Richtig aber ist, es gibt relative, bedingte Wahrheiten. Es gibt, wie auch im Video demonstriert wird, einen geistigen Aspekt an der subjektiven Bewertung von Musik, von persönlichem Geschmack, das ist der Erkenntnisgewinn beim Musikhören, das Wiedererkennen und das Verstehen, das im Zurückführen der Musik auf einfachere Strukturen, also einer Komplexitätsreduktion besteht; dieser Erkenntnisgewinn löst eine Selbstbelohnung aus, man fühlt sich gut. Das Glück, die Dinge in eine Ordnung zu bringen. Sperrt sich für einen Musikhörer die Musik gegen ein komplexitätsreduzierendes Verständnis, wird sie (in dieser Hinsicht) nicht als schön befunden. So kommt es neben den unterschiedlichen Assoziationen zu der Musik auch kognitiv zu unterschiedlichen Bewertungen, positiven oder negativen Gefühlen.Timberlake hat geschrieben : ↑Di 11. Jun 2024, 22:22
Wenn es darum geht , einen "perfekten Song" zu produzieren , so gibt es da anscheinend schon einige absolute musikalische Wahrheiten , die man zumindest in Betracht ziehen sollte ..
Das zweite Video erläutert, welche Rhythmen wir in der Musik erkennen können, was in dieser Dimension der Musik in der vorher beschriebenen Weise zu einem sich selbst belohnenden Glücksgefühl führt, besonders, wenn wir diese Struktur in Bewegung wiederspiegeln können (tanzen). So wurde der einfache Dreiertakt, der Walzer beliebt. Heute sind die Ansprüche etwas höher, da ist die Wirkung eines erkannten 5/4- Taktes größer. Leichter läßt er sich erkennen, wenn er als konstanter Wechsel der 3/4+2/4- Struktur erscheint, wie in dem berühmten Take 5. Die klassische Musik ist da etwas raffinierter, sie verzichtet eher auf solche Hilfsstrukturen, als sehr schönes Beispiel möge die Fuge in g aus dem ludus tonalis von Paul Hindemith dienen, ein echtes 5/4.