Poetische Philosophie

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Philosophist
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Do 26. Okt 2017, 05:24

Da hier von Heidegger in diesem Thread die Rede war, sei hier auf einen aktuellen Link verwiesen:

(mit folgender interessanter Überschrift)

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/b ... 55888.html


Dort heißt es u.a. :

"Programmatisch und heftig wird der ansonsten so besonnene Jandl nur ein einziges Mal: als Finlay sich mit dem Gedanken trägt, zwei Gedichte Martin Heideggers abzudrucken. Diese „Selbstbau-Gedichte“ könne er nur als Zeitvertreib eines literarischen Amateurs betrachten, antwortet Jandl, ihre öffentliche Existenz sei durch nichts zu rechtfertigen. Als Finlay sich so rasch nicht überzeugen lassen will, fertigt Jandl eine englische Rohübersetzung der Gedichte an, um ihre „Blödheit“ endgültig unter Beweis zu stellen."

Heidegger also zu recht ein "literarischer Amateur" bzw. "blöder Dichter"? Oder sollte man das nicht zwangsläufig unbedingt so sehen?



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

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Jörn Budesheim
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Ich habe mir erlaubt den Link zu korrigieren, ich hoffe es ist jetzt der richtige.




Tosa Inu
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Beim Dionysischen hat es bei mir klick gemacht, ich weiß nur noch nichts in Worte zu fassen, eine Antwort kommt aber. Das nur, weil schon viel Zeit verstrichen ist.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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Do 26. Okt 2017, 17:05

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 26. Okt 2017, 15:50
Beim Dionysischen hat es bei mir klick gemacht, ich weiß nur noch nichts in Worte zu fassen, eine Antwort kommt aber.

T.I. Bild




Tosa Inu
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Sa 28. Okt 2017, 11:28

Friederike hat geschrieben :
Do 26. Okt 2017, 17:05
Tosa Inu hat geschrieben :
Do 26. Okt 2017, 15:50
Beim Dionysischen hat es bei mir klick gemacht, ich weiß nur noch nichts in Worte zu fassen, eine Antwort kommt aber.

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Schon der leidige Broterwerb.
Und irgendwo soll das Leben ja ein Gesamtkunstwerk sein (bleiben/werden). ;)



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Tosa Inu
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Di 31. Okt 2017, 13:34

Philosophist hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 02:45
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 14:32
Vielleicht ist das zu Kalte, Technische, was nan der Rationalität (manchmal fälschlich) unterstellt, ja das Motiv sein Heil noch anderswo zu suchen?
Ja, oft wird Rationalität in der Art kritisch gesehen (also eine kalte , technische Rationalität). Aber wo könnte das Heil außerhalb der Rationalität liegen ? Mir scheint, dass wir Menschen normalerweise nur die Rationalität haben. Anderseits unterscheidet Nietzsche beispielsweise zwischen dem Apollinischen (Rationalität) und dem Dionysischen . Das dionysische Prinzip steht ja für das jenige, was sich der Rationalität unterordnet. Einer der ersten abendländischen Rationalisten so gesehen war ja Sokrates für Nietzsche. Und die Griechen werden von ihm gedeutet anhand dieser beiden genannten Kategorien. Aber das ist wie Ying und Yang. Es darf nicht allein nur eines der beiden Prinzipien existieren. Sondern es müssen beide gleich vorhanden sein. Der Mensch kann also nicht sein Heil im Dionysischen (arationalen) suchen, sondern er muss eben auch rational sein.
Darin sehe ich aber noch keine Unterordnung und im Gegenteil sind all die Versuche, das Menschsein auf Rationalsein zu reduzieren, auf Grund gelaufen (der Homo Oeconomicus ist nur ein Beispiel). Das Dionysische ist nach meinem Verständnis etwas, was entweder seinen Raum im Leben zugesprochen bekommen muss oder ihn sich holt. Dionysos hat ja eine Vielzahl von Eigenschaften unter sich; Rausch, Orgien, Ekstase, Wahnsinn, Wein, Raserei, das Zerstückelungsmotiv, das ja schon besagt, dass die Einheit nur über das "aufsammeln" von Fragmenten erreichbar ist. Interessant am Dionysos, dem in der antiken Tragödie die Bockschöre zugeordnet sind, die quasi die Handlung referieren, ist, dass das rationale Element, die Wahrheit hier sehr wohl bekannt, aber von untergeordnetem Interesse ist.
Philosophist hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 02:45
Andererseits darf er wiederum nicht das dionysische Prinzip aus seinem Leben verbannen. Die Kunst führt ja in Nietzsches Augen das dionysische Prinzip vor (den "Schaffensrausch" und all das was man mit dem Dionysischen verbindet). Ich verstehe das also, das beide Prinzipien (Rational und Nicht-Rational) im Einklang beim Menschen sein sollen. Aber wie gesagt das Heil des Menschen kann dann nicht einfach im Dionysischen bestehen (was ja den Gegensatz dann zur kalten Rationalität/Vernünftigkeit darstellt). Das Dionysische wird dann mit der Musik und der Poesie glaube ich auch verbunden (und auch Sokrates treibt Musik). Jedenfalls verstehe ich so vom Prinzip her Nietzsches Ästhetik in diesem Punkt. Auch der (philosophische) Dichter verfährt beim Schaffen seiner Dichtung dionysisch , wenn man das mit Nietzsche betrachtet. Man könnte Nietzsches Dichtung "Also sprach Zarathustra" als Ausdruck eines dionysischen Geistes ansehen (und jeder der diesen Text gelesen hat, weiß wie wuchtig dieser Text insgesamt ist und sagen wir mal, wie wenig rational er ist).. Nietzsche war kurz gesagt. kein Freund der kalten Rationalität , die er dem Sokrates unterstellt im Grunde. Ich hoffe dieser kleine Nietzsche-Exkurs ist in diesem Zusammenhang erlaubt. Meines Erachtens passt er hier relativ gut zum Thema.
Ich denke es gibt Ebenen der Rationalität. Den Dionysos zu leben, heißt sich einen Raum zu schaffen, in dem er von der Leine darf. Ihn rational zu zähmen ist vermutlich etwas was nicht geht. Ihn zu unterdrücken führt m.E. dazu, dass er sich über Umwege und Inderektes dennoch sein Recht holt.

Pointiert: Wer (privat oder als Kultur) immer vernünftger wird, kommt dem Wahnsinn immer näher.
Philosophist hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 02:45
Ich glaube eher, das dies dem kulturellen Klischee der Weiblichkeit/über das weibliche Denken mehr entspricht , das ist jedenfalls mein Eindruck. Der Aspekt der Sorge bei Heidegger hat nichts mit "weiblicher Sorge" gemein, wenn ich mich richtig erinnere. Beim "erdverbundenen " Stil , hatte ich auch nicht so den Eindruck. Kannst du vielleicht etwas näher erläutern , was du mit diesem Stil genau meinst?
Ich meine einfach die Tatsache des vortheoretischen immer schon in Welt eingebunden seins. Dass wir dann irgendwann zu einem theoretischen Ich erwachen, dass die Existenz von Welt infrage stellt, ist ja etwas, was Heidegger wohl eher erheitert hat (falls er Humor hatte).



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Di 31. Okt 2017, 16:13

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 26. Okt 2017, 15:50
Beim Dionysischen hat es bei mir klick gemacht, ich weiß nur noch nichts in Worte zu fassen, eine Antwort kommt aber. Das nur, weil schon viel Zeit verstrichen ist.
Okay verstehe 8-)

Dazu ein Zitat von Wittgenstein (für diesen Kontext durchaus passend):

"Der Gruß der Philosophen untereinander sollte sein: Laß dir Zeit" (gilt auch für alle Philosophie-Interessierten ; und gilt natürlich auch für den Verfassen von Beiträgen hier ^^ )

Es sollte allerdings auch wiederum nicht all zuviel Zeit sein (für eine sinnvolle Diskussion) ;)



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Di 31. Okt 2017, 16:18

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 28. Okt 2017, 11:28
Friederike hat geschrieben :
Do 26. Okt 2017, 17:05
Tosa Inu hat geschrieben :
Do 26. Okt 2017, 15:50
Beim Dionysischen hat es bei mir klick gemacht, ich weiß nur noch nichts in Worte zu fassen, eine Antwort kommt aber.

T.I. Bild
Schon der leidige Broterwerb.
Und irgendwo soll das Leben ja ein Gesamtkunstwerk sein (bleiben/werden). ;)

Bezüglichlich des Lebens als "Gesamtkunstwerk" kann ich nur sagen: das sehe ich im Grunde auch so! :)



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Di 31. Okt 2017, 16:41

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 31. Okt 2017, 13:34

Darin sehe ich aber noch keine Unterordnung und im Gegenteil sind all die Versuche, das Menschsein auf Rationalsein zu reduzieren, auf Grund gelaufen (der Homo Oeconomicus ist nur ein Beispiel). Das Dionysische ist nach meinem Verständnis etwas, was entweder seinen Raum im Leben zugesprochen bekommen muss oder ihn sich holt. Dionysos hat ja eine Vielzahl von Eigenschaften unter sich; Rausch, Orgien, Ekstase, Wahnsinn, Wein, Raserei, das Zerstückelungsmotiv, das ja schon besagt, dass die Einheit nur über das "aufsammeln" von Fragmenten erreichbar ist. Interessant am Dionysos, dem in der antiken Tragödie die Bockschöre zugeordnet sind, die quasi die Handlung referieren, ist, dass das rationale Element, die Wahrheit hier sehr wohl bekannt, aber von untergeordnetem Interesse ist.
Nun der Mensch ist anscheinend nicht nur ein rationales Lebewesen, sondern muss vermutlich auch von der Dichotomie (dionysisch/apollinisch) verstanden hinsichtlich seines "Wesens" (man könnte den Homo Oeconomicus eben eher als negatives Beispiel für zu kalte Rationalität sehen). Ich glaube letztlich auch, dass Dionysische seinen Raum im Leben zugesprochen bekommen muss oder es ihn selbst sich dann holt, also eine Unterdrückung des dionysischen Elementes wäre nicht unbedingt sinnvoll (im Leben). Der antike Gott Dionysos steht in der Tat für Rausch, Ektase , Wahnsinn , Wein usw, also eben das , was nicht unbedingt als "vernünftig" gilt. Das "Zerstückelungsmotiv " ist ja aus der Tragödie bekannt, wo der Gott selbst zerrissen wird (siehe die "Bakchen" von Euripides). Mir scheint auch , dass das rationale Element eher weniger hierbei im Vordergrund steht.

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 31. Okt 2017, 13:34
Ich denke es gibt Ebenen der Rationalität. Den Dionysos zu leben, heißt sich einen Raum zu schaffen, in dem er von der Leine darf. Ihn rational zu zähmen ist vermutlich etwas was nicht geht. Ihn zu unterdrücken führt m.E. dazu, dass er sich über Umwege und Inderektes dennoch sein Recht holt.

Pointiert: Wer (privat oder als Kultur) immer vernünftger wird, kommt dem Wahnsinn immer näher.
Die Frage wäre wie weit man zwischen verschiedenen Ebenen der Rationalität unterscheiden sollte. Zum Leben gehört das dionysische Element wie mir scheint, es zu unterdrücken , führt nur dazu, dass es sich dann auf anderem Weg sein Recht holt. Die letzt genannte These würde ich prinzipiell zustimmen.

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 31. Okt 2017, 13:34
Ich meine einfach die Tatsache des vortheoretischen immer schon in Welt eingebunden seins. Dass wir dann irgendwann zu einem theoretischen Ich erwachen, dass die Existenz von Welt infrage stellt, ist ja etwas, was Heidegger wohl eher erheitert hat (falls er Humor hatte).
Ob Heidegger wirklich Humor hatte oder nicht, müsste man schauen. Vielleicht hatte er auch Humor im Leben, aber wenn man rein von seinen philosophischen Schriften ausgeht, kriegt man glaube ich nicht unbedingt diesen Eindruck. Während wenn man Nietzsche und seine Schriften liest, man durchaus Nietzsches "philosophischen Humor" mitbekommt, der sich dort auch ausdrückt. Um bei Heidegger zu bleiben: mir scheint folgende beide Zitate hier lesenswert zu sein, zum Thema "Ich":

"Das Ich -sagen meint das Seiende, das je ich bin als: "Ich-bin-in -einer -Welt". (HGA Band 2, S.425)

und : "Nun wird aber seit Descartes, dem Leibniz und mit ihm das gesamte neuzeitliche Denken folgen, der Mensch als das Ich erfahren, das sich so auf die Welt bezieht, daß es diese in richtige Vorstellungsverknüpfungen , d.h. urteilen sich zu-stellt und so als Gegenstand sich entgegenstellt."

(HGA Band 10, S.174)

Es ist also bei Heidegger die Rede von einem Ich, dass sich immer schon auf die Welt bezieht. Dies kann meines Erachtens durchaus (auch) ein "theoretisches Ich" sein. Aber auch der Dichter ist ja ein "Ich" und vermutlich kann dann vom Dichter als einem "dichterisch Ich " sprechen, welches sich auf seine Weise auf die Welt bezieht (dies vielleicht mehr "dichterisch" als "theoretisch").



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Friederike
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Mi 1. Nov 2017, 15:20

Tosa Inu hat geschrieben : Pointiert: Wer (privat oder als Kultur) immer vernünftiger wird, kommt dem Wahnsinn immer näher.
Das ist ein spannender Gedanke. Abgesehen von der logischen Figur wäre eine -theoretisch- denkbare Konsequenz in Bezug auf die menschliche Existenz, daß ihr alles gleichermaßen bedeutungs-los würde. In Hinsicht auf den tatsächlichen Vollzug des menschlichen Lebens ist die Überlegung, es könne ein reines, d.h. ausschließlich rationales menschliches Wesen geben, völlig ausgeschlossen, denn damit überhaupt ein "Etwas" in das Feld unserer Wahrnehmung gerät, muß dieses "Etwas" uns etwas bedeuten. Be-deuten kann aber nur das nicht ausschließlich Rationale: werten, fühlen, spüren.




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Mi 1. Nov 2017, 20:51

Philosophist hat geschrieben :
Di 31. Okt 2017, 16:41
Ich glaube letztlich auch, dass Dionysische seinen Raum im Leben zugesprochen bekommen muss oder es ihn selbst sich dann holt, also eine Unterdrückung des dionysischen Elementes wäre nicht unbedingt sinnvoll (im Leben).
Bei Freud wäre das wohl eine Neurose.
Philosophist hat geschrieben :
Di 31. Okt 2017, 16:41
Tosa Inu hat geschrieben : ↑
Di 31. Okt 2017, 14:34
Ich denke es gibt Ebenen der Rationalität. Den Dionysos zu leben, heißt sich einen Raum zu schaffen, in dem er von der Leine darf. Ihn rational zu zähmen ist vermutlich etwas was nicht geht. Ihn zu unterdrücken führt m.E. dazu, dass er sich über Umwege und Inderektes dennoch sein Recht holt.

Pointiert: Wer (privat oder als Kultur) immer vernünftger wird, kommt dem Wahnsinn immer näher.

Die Frage wäre wie weit man zwischen verschiedenen Ebenen der Rationalität unterscheiden sollte. Zum Leben gehört das dionysische Element wie mir scheint, es zu unterdrücken , führt nur dazu, dass es sich dann auf anderem Weg sein Recht holt. Die letzt genannte These würde ich prinzipiell zustimmen.
Ebenen der Rationalität sollte man unterscheiden.
Nur, was macht die Ebenen aus? Ebenfalls nach Freud, dass sie mehr vom "Verrückten" integrieren. "Wo Es war, soll Ich werden" ist so zu verstehen, dass das Ich sich Terrain im Es erobert, seine Triebhaftigkeit also zu tolerieren lernt.
Friederike hat geschrieben :
Mi 1. Nov 2017, 15:20
Tosa Inu hat geschrieben :
Pointiert: Wer (privat oder als Kultur) immer vernünftiger wird, kommt dem Wahnsinn immer näher.

Das ist ein spannender Gedanke. Abgesehen von der logischen Figur wäre eine -theoretisch- denkbare Konsequenz in Bezug auf die menschliche Existenz, daß ihr alles gleichermaßen bedeutungs-los würde. In Hinsicht auf den tatsächlichen Vollzug des menschlichen Lebens ist die Überlegung, es könne ein reines, d.h. ausschließlich rationales menschliches Wesen geben, völlig ausgeschlossen, denn damit überhaupt ein "Etwas" in das Feld unserer Wahrnehmung gerät, muß dieses "Etwas" uns etwas bedeuten. Be-deuten kann aber nur das nicht ausschließlich Rationale: werten, fühlen, spüren.
Mich hat beeindruckt, dass Kant, der von den drei Begründungen der Moral (Gott, Natur, Vernunft) noch die philosophisch beste vorgelegt hat, irgendwo in der Kritik der praktischen Vernunft konstatierte, dass man das Gute schon wollen muss. Dann erst geht das vernünftige Spiel auf.

Einen leisen Verweis wollte ich auch auf unsere Zeit richten. Überschlagen sich nicht gerade in den letzten Jahren die Meldungen, die uns vorrechnen, wie gut es uns geht ... und inmitten des Guten werden die Leute auf einmal bekloppt.
Ein Sprung zurück zur Tragödie: Ödipus wird am Ende von einer seiner Töchter gemahnt (oder war es doch Polyneikes?), dies und das sei das Beste für ihn und er antwortet, dieses Beste sei ihm schon lange genug unerträglich. (Jedenfalls wird Ödipus als er dann endlich mal weise wird, keinesfalls milde und überzieht - dann tatsächlich Polyneikes, der mit ihm handeln will - mit einem entsetzlichen und vernichtenden Fluch. Unmittelbar danach wird Ödipus erlöst und vom Gott persönlich gerufen. Man könnte das auch als Absage an die Zweckrationalität lesen.)
Philosophist hat geschrieben :
Di 31. Okt 2017, 16:41
Um bei Heidegger zu bleiben: mir scheint folgende beide Zitate hier lesenswert zu sein, zum Thema "Ich":

"Das Ich -sagen meint das Seiende, das je ich bin als: "Ich-bin-in -einer -Welt". (HGA Band 2, S.425)

und : "Nun wird aber seit Descartes, dem Leibniz und mit ihm das gesamte neuzeitliche Denken folgen, der Mensch als das Ich erfahren, das sich so auf die Welt bezieht, daß es diese in richtige Vorstellungsverknüpfungen , d.h. urteilen sich zu-stellt und so als Gegenstand sich entgegenstellt."
Ja.
Was als theoretischer Akt nicht falsch und wohl auch unvermeidlich ist, nur ist der Mensch eben immer auch (und vermutlich vor aller Theorie, zumindest aber mit ihr) ein praktisches Wesen.
Philosophist hat geschrieben :
Di 31. Okt 2017, 16:41
Es ist also bei Heidegger die Rede von einem Ich, dass sich immer schon auf die Welt bezieht. Dies kann meines Erachtens durchaus (auch) ein "theoretisches Ich" sein. Aber auch der Dichter ist ja ein "Ich" und vermutlich kann dann vom Dichter als einem "dichterisch Ich " sprechen, welches sich auf seine Weise auf die Welt bezieht (dies vielleicht mehr "dichterisch" als "theoretisch").
Für Heidegger scheint das ein Ausweg zu sein, für Freud eher etwas weniger.
Wobei Heidegger in der Kunst auch eher den Weg zum Höheren sieht, er vermäht das Gewöhnliche.
Aber ich vermute, dass Freud den Ausweg eher in der Vernunft sah, als Heidegger, der doch eher Vernunftskeptiker war.

Wie würden die Ebenen der Rationalität denn aussehen?



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Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 1. Nov 2017, 20:51

Bei Freud wäre das wohl eine Neurose.
Mit Freud kenne ich mich eher weniger aus und seiner Begrifflichkeit. Ich weiß auch nicht, ob er Nietzsches Auffassung vom Dionysischen gekannt hatte bzw. ob er diese Auffassung geteilt hätte oder nicht.
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 1. Nov 2017, 20:51
Ebenen der Rationalität sollte man unterscheiden.
Nur, was macht die Ebenen aus? Ebenfalls nach Freud, dass sie mehr vom "Verrückten" integrieren. "Wo Es war, soll Ich werden" ist so zu verstehen, dass das Ich sich Terrain im Es erobert, seine Triebhaftigkeit also zu tolerieren lernt.
Das ist eine gute Frage und eine Antwort habe ich dazu nicht sofort parat. Es ist aber interessant das Phänomen des Dionysischen aus freudscher /psychoanalytischer Perspektive zu sehen. Nietzsche selbst, der von sich als Psychologen spricht, kannte jedenfalls noch nicht die freudsche Terminologie (also die Rede vom Ich oder Es), hat aber auf ähnliches hingezielt nur mit seiner Begrifflichkeit eben . Also wenn er vom Unbewussten und vom Trieb spricht. Freuds Konzept des Verrückten kenne ich nicht, aber wenn du möchtest, kannst du gern ein paar Worte darüber verlieren.

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 1. Nov 2017, 20:51
Ja.
Was als theoretischer Akt nicht falsch und wohl auch unvermeidlich ist, nur ist der Mensch eben immer auch (und vermutlich vor aller Theorie, zumindest aber mit ihr) ein praktisches Wesen.
Das sehe ich auch so. Der Mensch ist ein Wesen, dass versucht Theorie und Praxis in verschiedenen Bereich (der Kultur) unter einem Hut zu bringen. Wobei es auch Menschen gibt, die mehr oder weniger nur Theoretiker sind oder sein wollen....
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 1. Nov 2017, 20:51
Für Heidegger scheint das ein Ausweg zu sein, für Freud eher etwas weniger.
Wobei Heidegger in der Kunst auch eher den Weg zum Höheren sieht, er vermäht das Gewöhnliche.
Aber ich vermute, dass Freud den Ausweg eher in der Vernunft sah, als Heidegger, der doch eher Vernunftskeptiker war.

Wie würden die Ebenen der Rationalität denn aussehen?
Heidegger scheint mir jedenfalls der Dichtung und der (bildenden) Kunst gut zugetan. Denn er hat sich ja auch mit der Interpretation von Kunswerken beschäftigt, ob dieses nun literarische Kunstwerke waren (z.B. Sophokles, König Ödipus oder Antigone) oder auch Kunstwerke im Bereich der bildenden Kunst. Auch Freud hat sich mit Kunst beschäftigt und auch mit Dichtung. Allerdings glaube ich dass Freud und Heidegger da aufgrund ihres unterschiedlichen theoretischen Ansatzes da doch zu unterschiedlichen Kunst-Interpretationen gekommen sind.

Ich habe den Eindruck, dass Heidegger eher ein Skeptiker im Bereich der Vernunft war, wie das bei Freud war, dazu kann ich weniger sagen (da ich mich mehr mit ersterem etwas mehr auskenne als mit letzterem). Für Heidegger drückt sich in der Kunst der vielleicht höchste Bezug zum Sein aus.

Wie die Ebenen der Rationalität aussehen (können) vermag ich erstmal nicht zu sagen, insofern kann ich momentan keine zufriedenstellende Antwort auf deine Frage geben.



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Mo 6. Nov 2017, 18:27

Philosophist hat geschrieben : Es ist aber interessant das Phänomen des Dionysischen aus freudscher /psychoanalytischer Perspektive zu sehen. Nietzsche selbst, der von sich als Psychologen spricht, kannte jedenfalls noch nicht die freudsche Terminologie (also die Rede vom Ich oder Es), hat aber auf ähnliches hingezielt nur mit seiner Begrifflichkeit eben . Also wenn er vom Unbewussten und vom Trieb spricht. Freuds Konzept des Verrückten kenne ich nicht, aber wenn du möchtest, kannst du gern ein paar Worte darüber verlieren.
Ich möchte nur zu bedenken geben, daß Nietzsche mit der Psychoanalytikerin L. Andreas-Salomé befreundet war, die ihrerseits mit Freud bekannt war (übrigens gab es meines Wissens Ende des 19. Jahrhunderts sowieso nur die Psychoanalyse in der Freud'schen Konzeption). Damit will ich nicht sagen, daß sich Nietzsche der Freud'schen Terminologie bedient hat oder sie sich zu eigen gemacht hätte. Nur, aus biographischen Gründen halte ich es für hoch wahrscheinlich, daß sie ihm geläufig war.




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Do 9. Nov 2017, 03:17

Friederike hat geschrieben :
Mo 6. Nov 2017, 18:27

Ich möchte nur zu bedenken geben, daß Nietzsche mit der Psychoanalytikerin L. Andreas-Salomé befreundet war, die ihrerseits mit Freud bekannt war (übrigens gab es meines Wissens Ende des 19. Jahrhunderts sowieso nur die Psychoanalyse in der Freud'schen Konzeption). Damit will ich nicht sagen, daß sich Nietzsche der Freud'schen Terminologie bedient hat oder sie sich zu eigen gemacht hätte. Nur, aus biographischen Gründen halte ich es für hoch wahrscheinlich, daß sie ihm geläufig war.
Ja , das stimmt. Frau Salome hat sogar ein Buch über Nietzsche geschrieben, welches heißt : "Nietzsche in seinen Werken". Und dort geht sie eben auf Nietzsches Eigenart und Philosophie ein. Ob Freud dieses Buch von Lou Salome kannte oder nicht, ist mir nicht bekannt. Ich vermute eigentlich, dass Nietzsche Freuds Schriften nicht gekannt haben konnte, denn diese kamen ja wirklich erst Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem Buchmarkt und Nietzsche ist 1889 geistig zusammengebrochen , wie es heißt. Er konnte also Freuds Schriften nicht mehr rezipieren, so mein Eindruck. Wohl aber konnte Freud Nietzsches lesen , denn nach 1900 wurde Nietzsches Philosophie mehr und mehr bekannt. Aber soweit ich weiß soll Freuds Nietzsches Schriften eher gemieden haben aus bestimmten Gründen. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass er und Lou von Salome auch über Nietzsche gesprochen haben. Ich bin eher dafür , dass Nietzsche die Freudsche Terminologie nicht gekannt haben konnte. Wohl aber hat er sich Gedanken über das Unbewusste ausgehend von Schopenhauer gemacht, den Freud wiederum gekannt haben soll.Ich bin eher der Auffassung, dass aus biographischen Gründen Nietzsche Freuds Terminologie nicht (wirklich) kennen konnte.



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Philosophist hat geschrieben :
Sa 4. Nov 2017, 07:52
Ich habe den Eindruck, dass Heidegger eher ein Skeptiker im Bereich der Vernunft war, wie das bei Freud war, dazu kann ich weniger sagen (da ich mich mehr mit ersterem etwas mehr auskenne als mit letzterem). Für Heidegger drückt sich in der Kunst der vielleicht höchste Bezug zum Sein aus.
Freud setzt voll auf die Karte der Vernunft, mitunter wider eigene Erkenntnisse. Ich denke auch, dass Heidegger da wesentlich skeptischer ist.
Er suchte in der Kunst (vor allem der sprachlichen) wohl das, was Nietzsche anfangs in der Musik suchte und dann verachtete und was die Zen-Leute in der Meditation suchten. Aber Meditation war scheinbar Heideggers Sache nicht.



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So 19. Nov 2017, 01:43

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 18. Nov 2017, 08:44
Freud setzt voll auf die Karte der Vernunft, mitunter wider eigene Erkenntnisse. Ich denke auch, dass Heidegger da wesentlich skeptischer ist.
Er suchte in der Kunst (vor allem der sprachlichen) wohl das, was Nietzsche anfangs in der Musik suchte und dann verachtete und was die Zen-Leute in der Meditation suchten. Aber Meditation war scheinbar Heideggers Sache nicht.
Das kann ich mir gut vorstellen bezüglich Heidegger. Interessanterweise wird allmählich bekannt nun , dass es eine Rezeption Heideggers bezüglich Freud gegeben hat. Man kann es in dem nun vor kurzem veröffentlichten Band der Gesamtausgabe finden (den sog. "Zollikoner Seminaren"). Wie weit Heidegger Freud gelesen/rezipiert hat, dann man dort anhand einiger Textstellen/Notizen dann sehen.

Heidegger war sowohl der bildenden Kunst anscheinend zu getan (in seinem Aufsatz über das Kunstwerk> Van Goghs Schuhe) , als auch der Sprach-Kunst, hier der Dichtung/Poesie. Das kann man natürlich vergleichen mit dem was Nietzsche in der Musik gesucht hat (in gewisser Hinsicht). Beide haben auf Ihre Art und Weise sich auf die Griechen "rückgewendet" (aber mit unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf die je eigene "Philosophie").

Was das Themation Meditation anbetrifft, habe ich auch nicht den unbedingt den Eindruck, dass dies Heideggers Sache war.



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