Poetische Philosophie

In diesem Forum geht es um alle Formen der Literatur und Poesie
Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Do 7. Sep 2017, 23:49

Friederike hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 18:56
Philosophist hat geschrieben : Bei Heidegger ist es so, dass es die "Sprache des Seins" gibt bzw. "die Sprache spricht" (und nicht der Mensch)...Heidegger kehrt damit also ein gewisses Denkschemata um. Heidegger denkt auch auf seine Weise das "Wesen" der menschlichen Freiheit (im Anschluss an Schelling)..aber ob er das auch auf die Freiheit der Dichtung/des Dichtens bezieht , müsste man entsprechend schauen...Ich würde sagen, es gibt die Freiheit des Denkens bei Heidegger, vielleicht aber auch eine Freiheit der Dichtung/des Dichtens.....es gibt die Freiheit des Handelns und das bedeutet auch, dass man frei dichten kann oder sollte...so würde ich mir einen "Reim" darauf machen. bei Heidegger...wenn das jemand anders sieht und mit meiner Deutung Heideggers nicht einverstanden ist, kann er sich hier gern zu Wort melden...

die Rosen als Dickicht in der Lichtung? Hmmm-... da tue ich mich etwas schwer damit :roll: sicher ist eher, dass sie in der "Lichtung" stehen (ein Wort das Heidegger z.B. auch in Sein und Zeit benutzt, also das Stehen in der Lichtung....)
Verstehe ich Dich richtig, daß Du Dich für eine Interpretation entscheiden würdest, bei der die Rosen "dichten"? Denn ich hatte ja nur noch einmal auf Alethos' Vorschlag anspielen wollen. Am besten würde es mir gefallen, wenn wir die letzten vier Zeilen aufdröseln könnten ohne uns entscheiden zu müssen, ob die Rosen nun "dichten" oder "dicht sind".

Im Unterschied zu Dir habe ich von Heideggers Theorie nur rudimentäre Kenntnsse. Deswegen hatte ich den link hauptsächlich gesetzt, um die Quelle meiner Weisheit anzugeben. Ich hatte so gedacht, daß der Mensch vielleicht das Sein verstehen müßte, weil im Verstehen des Seins das Heil liegt. Und um das Sein zu verstehen, müßte der Mensch hören, was "das Sein spricht". Obwohl von "hören" ist im Gedicht nicht die Rede. Aber vielleicht müßte der Mensch "seyend" im Sein sein -wie die Rosen beispielsweise, die nur sind, ohne zu denken und zu fragen-. Vom Sein selber käme das Heil.
Mühsam nährt sich das Hörnchen. :lol:
Offen gesagt, weiß ich nicht, wie diese Stelle da zu verstehen ist, wovon den "dichtenden" Rosen die Rede ist. Ob Heidegger wirklich gemeint haben könnte, dass Rosen "dichten" (also literarisch Dichten) scheint mir eher fraglich eigentlich zu sein ...denn dichten in diesem Sinne können da eigentlich nur Menschen (wo mir der Hölderlin-Vers einfällt: "dichterisch wohnet der Mensch" (auf dieser Erde)> hier ist ja nicht von Rosen die Rede, die in dem Sinne "dichten" können...aber in welchem Sinn könnte dann das Wort "dichten" hier in Bezug auf die Rosen dann gemeint sein? Welche Semantik hat das Wort bei Heidegger, umfasst es bei ihm? Ob das Wort nur das "literarische Dichten" allein meint, kann ich nicht sagen. Es könnte vielleicht sein, dass das Wort in mehreren Bedeutungen von diesem verwendet wird....Interessant ist , dass Alethos auf den Reim zwischen "Lichtung"/"lichten" und "Dichtung/"dichten" hingewiesen hat... evtl müsste man über diesen Zusammenhang nochmal sprechen (im Sinne von ist das Dichten auch als ein Akt des Lichtens für Heidegger?)

Ich habe in der Zwischenzeit mal nachgeschaut in Lexika zu Heidegger im Hinblick auf das Wort "Dichten" und folgendes bisher gefunden (Grundriss Heidegger, Meiner 2014,: Herausgeber : Helmuth Vetter, S.252):

"Das deutsche Wort <dichten> bringt Heidegger mit griechisch δεικνυμι zusammen: <zeigen, etwas sichtbar, etwas offenbar machen (...) auf dem Wege eines eigenen Weisens>, was griechisch ποιησις und ποειν entspricht. Heidegger übersetzt ποειν nicht mit <machen, verfertigen>, sondern mit <schaffen>, >Hervorbringen in die Offenbarkeit>"

Rosen, die "dichten" müssten in dem Sinne etwas sichtbar/offenbar machen ...wenn man diese Bedeutung von "dichten" dann nimmt....Naja , Gott sei Dank gibt es Lexika...

Und des weiteren, noch das hier aus dem Heidegger -Register (2017 , Klostermann, S.80):

"Viel mehr sagt das Wort: <dichterisch wohnet der Mensch> das Dichten lässt das Wohnen allererst ein Wohnen sein. Dichten ist das eigentliche Wohnenlassen"


"Zwischen beiden , Denken und Dichten, waltet eine verborgene Verwandtschaft, weil beide sich im Dienst der Sprache für die Sprache verwenden und verschwenden"

"Dichten heißt: nach-sagen, nämlich den zugesprochenen Wohlaut des Geistes der Abgeschiedenheit. Dichten ist , bevor es ein Sagen im Sinne des Aussprechens wird, seine längste Zeit erst ein Hören."

Das ist jedenfalls das jenige, was ich zum Wort "dichten" bei Heidegger in zwei Heidegger-Lexika gefunden. Ich glaube vor allem das erste Zitat kann hier hilfreich sein, wovom dichten als ein offenbar machen die Rede ist...dies quasi als "Quelle meiner Weisheit" :roll:

Ich selbst beschäftige mich schon seit einiger Zeit mit diesem Philosophen, aber mir ist bei diesem noch nicht alles klar...als "Experte" in Sachen würde ich mich daher nur bedingt sehen... :? und seine (philosophische) Lyrik macht mir etwas zu schaffen...wie man hier sehen kann...

Ich bin eher mit den "Grundlinien" von Heideggers Denken /seiner "Seins-Philosophie" vertraut...

Bei Heidegger geht es immer um das Sein. Ich hatte hier mal die Stelle aus dem Gedicht herausgekramt, wo einmal das Wort Seinauftaucht:

"3 Denken ist das edle Schonen,
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen,
6 ehren zwischen Nichts und Sein."

Kann man dies nun so verstehen, dass das (menschliche) Denken zwischen dem Nichts und dem Sein steht? Ich verstehe Heidegger so, dass das Denken immer ein Denken des Seins für ihn ist. Und vielleicht sollte das das Denken als ein "Ruf des Seins" verstanden werden, auf welchen man als Mensch hören sollte und der auch eine entsprechende Heilfunktion hat...nachdem Motto wer über das Sein nachdenkt erfährt eine entsprechende Heilung durch das Sein...das wäre glaube ich eine mögliche Deutung dieser Stelle des Gedichts...Interessanterweise fallen zwar die Stichworte "Denken" und "Dichten" in diesem Gedicht, aber es wird soweit ich sehe nicht unmittelbar ein Zusammenhang zwischen beiden aufgemacht..in dem Zitat aus dem Lexikon zu Heidegger , ist aber davon die Rede, dass es eine verborgene Verwandtschaft zwischen beiden gebe....es ist auf jedenfall der Mensch, der das Sein versucht zu Denken , auf es hören soll und entsprechend dichten kann... die Rosen , welche "dichtet", kann eigentlich nicht denken wie mir scheint....der Mensch der im Sein ist, entspricht dem Sein, indem er es denkt (das Sein als "Sache des Denkens") und auf es "hört"...und Fragen stellt bezüglich des Seins..

Soweit dazu..das wäre jetzt wie gesagt ein Deutungsvorschlag...also welchen Sinn man mit dieser Stelle verbinden könnte....und ja, mühsam ist das schon allemal... :|



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Fr 8. Sep 2017, 10:39

@Philosophist, Deine Recherche zum Wort "dichten" übergehe ich vorerst. Dies nur vorweg, damit Du nicht denkst, ich hielte sie der Beachtung nicht für würdig. Ich möchte nur unbedingt meinen Gedanken loswerden, der mir gestern Abend kurz vor 22 Uhr während des "Heute-Journals" durch den Kopf ging. Wie hatte ich das am Nachmittag nur übersehen können !!!

17 Denken bleibt dies Alles-Freyen,
18 weiseloser Ruf,
19 daß, die sterblich, seyend seyen:
20 Heilem der Behuf.

Friederike hat geschrieben : Ich hatte so gedacht, daß der Mensch vielleicht das Sein verstehen müßte, weil im Verstehen des Seins das Heil liegt. Und um das Sein zu verstehen, müßte der Mensch hören, was "das Sein spricht". Obwohl von "hören" ist im Gedicht nicht die Rede. Aber vielleicht müßte der Mensch "seyend" im Sein sein -wie die Rosen beispielsweise, die nur sind, ohne zu denken und zu fragen-. Vom Sein selber käme das Heil.
Vom Hören ist zwar nicht die Rede, aber vom Ruf. :lol: Mich nur an den Worten entlanghangelnd, also ohne nähere inhaltliche Bestimmung, würde ich die Zeilen jetzt so auslegen. Die Quelle der menschlichen Fragen ist der Ruf des Seins. Das Denken alleine allerdings versteht den Ruf nicht. Damit die Menschen seyend im Sein werden -unterscheidet H. nicht Sein und Seiend?- müssen sie hören, was das Sein spricht bzw. wie oder was das Sein selber ruft. Den Ruf des Seins richtig zu hören, um ihn verstehen zu können, darin liegt die Heilung.




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Fr 8. Sep 2017, 16:08

Ich hätte besser daran gedacht, Deinen Beitrag von gestern Nacht nicht zu übergehen, weil ich jetzt sehe, daß Du ja schon zum Hören und dem Ruf Überlegungen angestellt hattest.
Philosophist hat geschrieben : Ich verstehe Heidegger so, dass das Denken immer ein Denken des Seins für ihn ist. Und vielleicht sollte das das Denken als ein "Ruf des Seins" verstanden werden, auf welchen man als Mensch hören sollte und der auch eine entsprechende Heilfunktion hat ... nachdem Motto wer über das Sein nachdenkt erfährt eine entsprechende Heilung durch das Sein...das wäre glaube ich eine mögliche Deutung dieser Stelle des Gedichts ...Interessanterweise fallen zwar die Stichworte "Denken" und "Dichten" in diesem Gedicht, aber es wird soweit ich sehe nicht unmittelbar ein Zusammenhang zwischen beiden aufgemacht .. in dem Zitat aus dem Lexikon zu Heidegger , ist aber davon die Rede, dass es eine verborgene Verwandtschaft zwischen beiden gebe....es ist auf jedenfall der Mensch, der das Sein versucht zu Denken, auf es hören soll und entsprechend dichten kann... die Rosen , welche "dichtet", kann eigentlich nicht denken wie mir scheint ... der Mensch der im Sein ist, entspricht dem Sein, indem er es denkt (das Sein als "Sache des Denkens") und auf es "hört"... und Fragen stellt bezüglich des Seins..

Da Du, im Unterschied zu mir, immer wieder dahin tendierst, das Denken als das menschliche Organon auszulegen, dem die Heilfunktion zukommt, während ich dahin tendiere, das Denken in dieser Hinsicht für defizitär zu halten, versuche ich jetzt einmal, die ersten zwei Zeilen in Deinem Deutungssinn zu lesen:

17 Denken bleibt dies Alles-Freyen,
18 weiseloser Ruf,
19 daß, die sterblich, seyend seyen:
20 Heilem der Behuf.


Die Menschen, als diejenigen, die zur Freiheit geboren sind -anders als die Rosen-, sind somit auch zum Denken begabt. Danach müßte man in Gedanken einen Punkt setzen. "Weiseloser Ruf" ist ein neuer Hauptsatz. Eine Aussage oder sowas wie ein Ausruf, der für sich alleine steht. Abgesehen davon, daß H. keinen Punkt, sondern ein Komma gesetzt hat, wie verstehst Du denn "weiselos"? Ich lege es ja immer so aus, daß der Ruf keine Richtung anzeigt, kein Ziel vorgibt, also keine Weisung erfolgt. Hm, wenn ich versuche aus Deiner Perspektive zu sehen, dann könnte "weiselos" positiv gemeint sein. Es wäre gerade andersherum. Der Ruf des Seins gibt nichts vor .... ha, jetzt habe ich endlich begriffen, warum man dem Denken auch heilende Funktion zuweisen könnte. Und Deine Lesart geht natürlich auch dann, wenn man die Interpunktion so beibehält wie von H. vorgenommen. Du meine Güte, es kommt mir gerade vor wie bei einem Kipp-Bild. Ich habe die Ente einfach nicht anders denn als Ente sehen können. Ich erinnere nicht, was man bei Wittgenstein sieht, wenn man die Ente kippt.




Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Fr 8. Sep 2017, 19:44

Friederike hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 10:39
@Philosophist, Deine Recherche zum Wort "dichten" übergehe ich vorerst. Dies nur vorweg, damit Du nicht denkst, ich hielte sie der Beachtung nicht für würdig. Ich möchte nur unbedingt meinen Gedanken loswerden, der mir gestern Abend kurz vor 22 Uhr während des "Heute-Journals" durch den Kopf ging. Wie hatte ich das am Nachmittag nur übersehen können !!!

17 Denken bleibt dies Alles-Freyen,
18 weiseloser Ruf,
19 daß, die sterblich, seyend seyen:
20 Heilem der Behuf.

Friederike hat geschrieben : Ich hatte so gedacht, daß der Mensch vielleicht das Sein verstehen müßte, weil im Verstehen des Seins das Heil liegt. Und um das Sein zu verstehen, müßte der Mensch hören, was "das Sein spricht". Obwohl von "hören" ist im Gedicht nicht die Rede. Aber vielleicht müßte der Mensch "seyend" im Sein sein -wie die Rosen beispielsweise, die nur sind, ohne zu denken und zu fragen-. Vom Sein selber käme das Heil.
Vom Hören ist zwar nicht die Rede, aber vom Ruf. :lol: Mich nur an den Worten entlanghangelnd, also ohne nähere inhaltliche Bestimmung, würde ich die Zeilen jetzt so auslegen. Die Quelle der menschlichen Fragen ist der Ruf des Seins. Das Denken alleine allerdings versteht den Ruf nicht. Damit die Menschen seyend im Sein werden -unterscheidet H. nicht Sein und Seiend?- müssen sie hören, was das Sein spricht bzw. wie oder was das Sein selber ruft. Den Ruf des Seins richtig zu hören, um ihn verstehen zu können, darin liegt die Heilung.

@Friederike:

Naja , ich hatte mich einfach mal schlau machen wollen, was bei Heidegger unter dem Wort "dichten" ist alles zu verstehen ist...und dazu habe ich mal einen Blick in entsprechende Lexika geworden und eben meine Weisheit hier präsentiert ;-)

Deine Gedanken kannst du natürlich gern hier "loswerden" :)

Was deine Anmerkungen zum "Ruf" anbetrifft: ich verstehe Heidegger bisher so, dass der Mensch derjenige ist, der auf das Sein "hören" soll...und der "Ruf" kann eigentlich nur der "Ruf des Seins" sein...so wäre mir das eigentlich naheliegend bei Heidegger..denn das Hören wird bei ihm immer auf das Sein letztlich bezogen...es ist zwar nicht vom "hören" die Rede im Gedicht..aber ein Ruf kann entsprechend nur "gehört" werden (oder auch nicht)...und auf das Sein zu hören (bzw. den Ruf des Seins wahrzunehmen) bedeutet letztlich das "Heil" des Seins quasi mehr oder weniger zu "empfangen"...also das Sein übt heilende Funktion aus, wenn man auf es "hört" (und dessen Ruf) > und das Denken wird ja in Zeile 17 bis 18 mit dem Ruf gleichgesetzt ...also Denken des Seins heißt auf den Ruf des Seins zu hören ,, es entsprechend anzugehen, um es mal so zu sagen...es geht eben dabei darum dass die Menschen dabei seyend im Sein werden....Heidegger unterscheidet in der Tat zwischen dem Sein und dem Seienden und nennt das die ontisch-ontologische Differenz (siehe Sein und Zeit). Ich denke auch, dass Heidegger sagen würde , dass durch den Ruf das Sein dann zum Menschen "spricht" und er auf dieses Sprechen des Seins hören und dieses auch verstehen sollte...und darin würde ich auch Heilung sehen...in diesem Sinne würde ich die Stelle bzw. auch den "Gesamtsinn" des Gedichtes deuten....

Allerdings lässt sich diese Deutung vermutlich auch kritisieren...bzw. ist sie vielleicht auch angreifbar (wegen einem möglichen Falschverstehen bestimmter Stellen des Gedichts...)



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Fr 8. Sep 2017, 20:02

Friederike hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 16:08
Ich hätte besser daran gedacht, Deinen Beitrag von gestern Nacht nicht zu übergehen, weil ich jetzt sehe, daß Du ja schon zum Hören und dem Ruf Überlegungen angestellt hattest.


17 Denken bleibt dies Alles-Freyen,
18 weiseloser Ruf,
19 daß, die sterblich, seyend seyen:
20 Heilem der Behuf.[/size]

Die Menschen, als diejenigen, die zur Freiheit geboren sind -anders als die Rosen-, sind somit auch zum Denken begabt. Danach müßte man in Gedanken einen Punkt setzen. "Weiseloser Ruf" ist ein neuer Hauptsatz. Eine Aussage oder sowas wie ein Ausruf, der für sich alleine steht. Abgesehen davon, daß H. keinen Punkt, sondern ein Komma gesetzt hat, wie verstehst Du denn "weiselos"? Ich lege es ja immer so aus, daß der Ruf keine Richtung anzeigt, kein Ziel vorgibt, also keine Weisung erfolgt. Hm, wenn ich versuche aus Deiner Perspektive zu sehen, dann könnte "weiselos" positiv gemeint sein. Es wäre gerade andersherum. Der Ruf des Seins gibt nichts vor .... ha, jetzt habe ich endlich begriffen, warum man dem Denken auch heilende Funktion zuweisen könnte. Und Deine Lesart geht natürlich auch dann, wenn man die Interpunktion so beibehält wie von H. vorgenommen. Du meine Güte, es kommt mir gerade vor wie bei einem Kipp-Bild. Ich habe die Ente einfach nicht anders denn als Ente sehen können. Ich erinnere nicht, was man bei Wittgenstein sieht, wenn man die Ente kippt.



Mir scheint halt naheliegend das Denken als menschliches Organon zu begreifen , dem entsprechende Heilfunktion zukommt. Es würde jedenfalls einen "Gesamtsinn" des Gedichtes auch ergeben...kurz: die Lesart , welche ich hier vorschlage, finde ich nicht ganz unplausibel....und scheint mir dem Heideggerschen Sinn vermutlich nahezukommen...Ich habe nicht den Eindruck, dass Heidegger hier als etwas defizitäres begreift...

Im Übrigen das Wittgenstein-Bild gefällt mir und ist mir auch bekannt. Je nach dem wie man das Bild wendet...kann er so oder so erscheinen...hierauf übertragen: kann der "Sinn" des Gedichts so oder so gesehen werden

Ich verstehe Heidegger so, dass es ihm auch um die Freiheit des Menschen geht , welche auch eine Freiheit des Denkens ist ..also frei genug um auf den Ruf des Seins zu hören und es zu denken...das ist dann die Begabung zum Denken beim Menschen...was man von den Rosen nicht unbedingt sagen kann...

Das Heidegger hier Komma setzt ist ja deutlich zu sehen und sollte man (also die Interpunktion) natürlich auch dann beachten bei der Interpretation (also was die Frage von Hauptsatz/Relativsatz usw. anbetrifft)...Das Wort "weiselos" verstehe ich in diesem Zusammehang so, dass 1. Denken ein weiseloser Ruf für die freien Menschen ist und diese ihn vernehmen können und dann 2. dass dieser Ruf vermutlich ohne "Weisheit " ist oder eben keine "Weise"/Weisung" vorgibt, aber zugegebener Weise dieses "weiselos" ist auch nicht ganz ohne :?

Positiv wäre es dann zu sehen, wenn man es eben so versteht, dass der Ruf des Seins letztlich keine Richtung vorgibt...aber auf eine endgültige Deutung habe ich mich jetzt nicht festgelegt und schwanke eben noch in Hinblick auf die Deutung der Stelle... :roll:

Nur eins scheint mir eigentlich sicher, dass das Denken mit der "Heilung" in Verbindung gebracht werden sollte...

Eventuell muss man halt mehrere Sichtweisen/Lesarten des Gedichtes zulassen....und es gibt vielleicht nicht nur die "eine Deutung".
Zuletzt geändert von Philosophist am Fr 8. Sep 2017, 20:10, insgesamt 1-mal geändert.



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Fr 8. Sep 2017, 20:04

@Friederike:

3 Denken ist das edle Schonen,
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen,
6 ehren zwischen Nichts und Sein."


Was verstehst du denn eigentlich unter dem "kühnen Rank"?

Bzw. wie versteht du die Zeilen 3 bis 4?

Und noch etwas, was bisher nicht beachtet wurde und dazu nochmal ein Textzitat:

3 Denken ist das edle Schonen,
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen,
6 ehren zwischen Nichts und Sein.
7 Denken ist das Nie-Entweichen
8 aus dem
Bösen , vor der Pein.


In den Zeilen 5 bis 8 (nach der Rank-Stelle) wird ja das (menschliche) Denken mit dem "Bösen" auch von Heidegger in Verbindung gebracht..

und da der Mensch frei ist, gibt es auch die Freiheit des Menschen böses zu tun...nur welche Rolle spielt dabei das Denken? Kann man sagen, dass das Denken auch als etwas Böses von Heidegger begriffen wird? (er spricht ja hier von den "dunklen Zeichen")

Die Stelle ist mir übrigens erst jetzt bewusst geworden und das ist ein Aspekt , der glaube ich noch zu kurz gekommen ist....


Das Heidegger ja mit der "dunklen Seite" (Star Wars) mehr oder weniger "paktierte" ("Nationalsozialismus") ist ja weitgehend bekannt...



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Fr 8. Sep 2017, 20:22

Ein "Spass" am Rande (oder doch vielleicht auch ernst gemeint):

Vielleicht sollte man Heidegger und seine Gedichte posthum nachträglich für den Literatur-Nobelpreis vorschlagen (nämlich für den Dichter und Denker des Seins . ^^ )


Das hätte auf jedenfall etwas ;) (warum denke ich hierbei an (Heidegger) Satire? :) )


Und es werden ja auch (philosophische) Lyriker mit diesem Preis ausgezeichnet....^^

Ein mehr oder weniger bekannter Philosoph, der diesen verliehen bekommen hat, war ja Albert Camus (der aber eigentlich mehr als Literat/Schriftsteller gilt ....)> Sartre hat den Preis ja abgelehnt damals...

Oder man könnte ja Nietzsche auch nachträglich für den Literaturnobelpreis vorschlagen :)

Seine Gedichte und der Zarathustra sind das schon entsprechende philosophisch-literarische Leistungen...und hätte es eigentlich verdient oder?

Darüber könnte man glatt eine Umfrage machen hier ;)



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Sa 9. Sep 2017, 12:53

Philosophist hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 20:04

3 Denken ist das edle Schonen,
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen,
6 ehren zwischen Nichts und Sein."

Was verstehst du denn eigentlich unter dem "kühnen Rank"?
Bzw. wie versteht du die Zeilen 3 bis 4?
Ist es nicht H., der die Redewendung "Topologie des Seins" benutzt? Jedenfalls fällt mir dieser Topos auf einmal ein, und nun sehe ich das Gedicht als "Landschafts"-Malerei: Schonungen, Wege, Lichtungen, Flüsse, Täler, Rosen-Ranken und andere Rankpflanzen. Das Denken ist also wie eine Ranke, die von der Erde bis in den Himmel hineinragt. Naja, zumindest vollzieht das Denken eine Aufwärtsbewegung.




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Sa 9. Sep 2017, 18:43

Philosophist hat geschrieben :
3 Denken ist das edle Schonen,
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen,
6 kehren zwischen Nichts und Sein.
7 Denken ist das Nie-Entweichen
8 aus dem
Bösen , vor der Pein.

In den Zeilen 5 bis 8 (nach der Rank-Stelle) wird ja das (menschliche) Denken mit dem "Bösen" auch von Heidegger in Verbindung gebracht. und da der Mensch frei ist, gibt es auch die Freiheit des Menschen böses zu tun...nur welche Rolle spielt dabei das Denken? Kann man sagen, dass das Denken auch als etwas Böses von Heidegger begriffen wird? (er spricht ja hier von den "dunklen Zeichen") Die Stelle ist mir übrigens erst jetzt bewusst geworden und das ist ein Aspekt, der glaube ich noch zu kurz gekommen ist ....
Hm, ich kann es nicht begründen, aber ich glaube nicht, daß H. in dem Gedicht das Denken selbst als Böses auffaßt. Das Denken ist dies und das, es irrt vielleicht auch ein bißchen orientierungslos umher - wie Du sagst, es ist vollkommen frei. Insofern wird es auch das Böse nicht los, ein Denken des Bösen gehört zum Menschen dazu.




Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Sa 9. Sep 2017, 20:58

Friederike hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 12:53
Philosophist hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 20:04

3 Denken ist das edle Schonen,
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen,
6 ehren zwischen Nichts und Sein."

Was verstehst du denn eigentlich unter dem "kühnen Rank"?
Bzw. wie versteht du die Zeilen 3 bis 4?
Ist es nicht H., der die Redewendung "Topologie des Seins" benutzt? Jedenfalls fällt mir dieser Topos auf einmal ein, und nun sehe ich das Gedicht als "Landschafts"-Malerei: Schonungen, Wege, Lichtungen, Flüsse, Täler, Rosen-Ranken und andere Rankpflanzen. Das Denken ist also wie eine Ranke, die von der Erde bis in den Himmel hineinragt. Naja, zumindest vollzieht das Denken eine Aufwärtsbewegung.

Ja, Heidegger spricht in der Tat meines Wissens auch von der "Ortschaft des Seins"... man kann daher auch von Topologie durchaus sprechen hier...

Man kann hier gewiss von "Landschaftsmalerei" sprechen, wenn man an die "dichtenden" Rosen denkt, also die Bilder hier denkt.

Das Denken als "Aufwärtsbewegung" ? Das finde ich eine interessante Sichtweise .. :roll:


und hatte nicht daran gedacht das Denken mit einer "Rankepflanze" zu vergleichen...



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Sa 9. Sep 2017, 21:04

Friederike hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 18:43


3 Denken ist das edle Schonen,
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen,
6 kehren zwischen Nichts und Sein.
7 Denken ist das Nie-Entweichen
8 aus dem
Bösen , vor der Pein.


Hm, ich kann es nicht begründen, aber ich glaube nicht, daß H. in dem Gedicht das Denken selbst als Böses auffaßt. Das Denken ist dies und das, es irrt vielleicht auch ein bißchen orientierungslos umher - wie Du sagst, es ist vollkommen frei. Insofern wird es auch das Böse nicht los, ein Denken des Bösen gehört zum Menschen dazu.

7 Denken ist das Nie-Entweichen
8 aus dem
Bösen , vor der Pein.

Wie kann man aber diesen Zeilen dann verstehen, wenn das Denken "das Nie-Entweichen aus dem Bösen" ist, d.h. nichts anderes als das es aus dem Bösen irgendwie kommt oder? Wie kann man den Zusammenhang zwischen dem Denken und dem Bösen dann aber bei Heidegger verstehen? Die Freiheit ermöglicht dem Menschen ja auch Böses zu tun oder vielleicht sogar "Böses zu denken"... Was meinst du? Bzw. muss sich das Denken dem Bösen auf seine Art stellen?



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 9. Sep 2017, 22:25

Philosophist hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 21:04

7 Denken ist das Nie-Entweichen
8 aus dem
Bösen , vor der Pein.

Wie kann man aber diesen Zeilen dann verstehen, wenn das Denken "das Nie-Entweichen aus dem Bösen" ist, d.h. nichts anderes als das es aus dem Bösen irgendwie kommt oder? Wie kann man den Zusammenhang zwischen dem Denken und dem Bösen dann aber bei Heidegger verstehen?
Man könnte das so verstehen, dass man dem Bösen mithilfe des Denkens nicht entkommt.
'Drüben' ist ja schon mal Heideggers Näge zum Zen angesprochen worden, da ist das ein zentrales Motiv, dass man mit dem Denken den Ausweg aus dem Bösen, der Zweiheit, nicht findet, da Denken immer trennen, unterscheiden ist.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Sa 9. Sep 2017, 22:38

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 22:25
Philosophist hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 21:04

7 Denken ist das Nie-Entweichen
8 aus dem
Bösen , vor der Pein.

Wie kann man aber diesen Zeilen dann verstehen, wenn das Denken "das Nie-Entweichen aus dem Bösen" ist, d.h. nichts anderes als das es aus dem Bösen irgendwie kommt oder? Wie kann man den Zusammenhang zwischen dem Denken und dem Bösen dann aber bei Heidegger verstehen?
Man könnte das so verstehen, dass man dem Bösen mithilfe des Denkens nicht entkommt.
'Drüben' ist ja schon mal Heideggers Näge zum Zen angesprochen worden, da ist das ein zentrales Motiv, dass man mit dem Denken den Ausweg aus dem Bösen, der Zweiheit, nicht findet, da Denken immer trennen, unterscheiden ist.
Ja, das sehe ich auch so. Heißt also: das Denken nicht hilft das Böse zu beseitigen, sondern immer in einem gewissen Verhältnis zu diesem steht ...was man auch als Abhängigkeitsverhältnis (vom Bösen) verstehen kann.

Ich kenne mich mit dem Zen nicht aus...aber mir ist bekannt , dass Heidegger sich auch mit dem ostasiatischen Denkern/Philosophien beschäftigt hat.

Ist der/das Zen so zu verstehen, dass es sich gegen das Böse wendet oder diesem helfen soll? Ich weiß es natürlich nicht, daher meine Frage.



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 9. Sep 2017, 23:38

Philosophist hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 22:38
Ja, das sehe ich auch so. Heißt also: das Denken nicht hilft das Böse zu beseitigen, sondern immer in einem gewissen Verhältnis zu diesem steht ...was man auch als Abhängigkeitsverhältnis (vom Bösen) verstehen kann.
Oder Schlimmeres, es könnte der Erzeuger des Bösen sein. Nach Kant ist Denken immer ein Urteilen und schafft damit eine Dualität: dies und das. Das könnte man als das Wesen des Denkens beschreiben.

Allerdings glaube ich nicht, dass Heidegger es gar so finster meint, kommt das Denken bei ihm insgesamt doch gut weg. Er wirft der Wissenschaft vor nicht zu denken, der Philosophie jedoch unterstellt er (m.E. affirmativ) es zu tun.
Philosophist hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 22:38
Ich kenne mich mit dem Zen nicht aus...aber mir ist bekannt , dass Heidegger sich auch mit dem ostasiatischen Denkern/Philosophien beschäftigt hat.

Ist der/das Zen so zu verstehen, dass es sich gegen das Böse wendet oder diesem helfen soll? Ich weiß es natürlich nicht, daher meine Frage.
Zen versteht sich als eine Praxis, die nicht leicht in Worte zu fassen ist (manche sagen gar nicht, andere sagen ironisch, dass D.T. Suzuki - der Zen-Meister, über den Heidegger mal sagte, wenn er (H.) ihn (Suzuki) richtig verstanden hätte, drücke dieser genau das aus, was er (H.) meine - über das was man nicht sagen kann 40 Bücher geschrieben hätte). Zen hat die direkte Erfahrung zum Inhalt und jedes Konzept (nicht zwingend jedes Denken) verfehlt Zen.

Einen Gut-/Böse-Dualismus in unserem Sinne gibt es im Zen nicht, da wird sogar vieles was wir kennen auf den Kopf gestellt (ohne ein reiner Negativismus zu sein), wirkt wirr, soll jedoch aus Denkschablonen befreien. Bekannt sind die Koans, 'Denksportaufgaben' die nicht zu lösen sind. Ansonsten ist Zen formal streng, versucht aber über diese erdenden Strenge in die absolute Freiheit und Spontaneität zu gelangen.

Dass man durch intensives Nachdenken zur Befreiung gelangen könnte, würde im Zen als absurd angesehen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

So 10. Sep 2017, 10:58

Tosa Inu hat geschrieben : Man könnte das so verstehen, dass man dem Bösen mithilfe des Denkens nicht entkommt.
'Drüben' ist ja schon mal Heideggers Nähe zum Zen angesprochen worden, da ist das ein zentrales Motiv, dass man mit dem Denken den Ausweg aus dem Bösen, der Zweiheit, nicht findet, da Denken immer trennen, unterscheiden ist.
Tosa Inu hat geschrieben : Oder Schlimmeres, es könnte der Erzeuger des Bösen sein. Nach Kant ist Denken immer ein Urteilen und schafft damit eine Dualität: dies und das. Das könnte man als das Wesen des Denkens beschreiben.
Das ist auch meine Überlegung gewesen. Was mich allerdings irritiert hat bzw. was mir dann fehlt, das ist der Verweis auf die andere Seite der Zweiheit. Aus diesem Grunde bin ich mir nicht sicher, ob dieser Gedanke im Hintergrund der Gedichtzeile steht. Natürlich muß das Gute nicht eigens aufgeführt werden, es handelt sich ja nicht um eine argumentativen Text, sondern um ein Gedicht. Ein Gedicht lebt von dem, was es nicht sagt. Trotzdem :lol: - beim Suchen nach dem Gegenpart könnte man den "kühnen Rank" heranziehen, worauf anschließend die Wende zum Bösen hin erfolgt.

3 Denken ist das edle Schonen,
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen,
6 kehren zwischen Nichts und Sein.
7 Denken ist das Nie-Entweichen
8 aus dem Bösen , vor der Pein.


Wenn man das "edle Schonen" näher unter die Lupe nimmt, dann kann eigentlich nur gemeint sein, das der Mensch sich mit dem Denken vor irgendetwas bewahrt, sich schont, eine Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen und zwar aus edlen Gründen. Das paßt doch nicht zusammen! Selbst wenn man für "Wohnen" ein Reimwort benötigt ... es muß doch mit Sinn und Verstand ausgesucht werden. Wenn ich also unterstelle, es sei mit Sinn und Verstand gewählt, dann würde ich das Schonen allerdings eher im Kontext des nachfolgenden Bösen lesen. Sich mit dem Denken davor bewahren, das Böse in Augenschein zu nehmen. Tja, und das ist edel? :?

Ich glaube, ich verliere langsam die Geduld mit diesem Gedicht.




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

So 10. Sep 2017, 11:21

Ich kriege Zeilen 5 und 6 wegen der Kasus nicht zusammen, eher dann 4 und 5, obwohl die Interpunktion stört und irritiert.

Das
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen
Hört sich für mich so plausibler an:

Das Denken ist der kühne Rank eines Wegs der dunklen Zeichen.

Kriege überhaupt nichts auf die Reihe bei diesen letzten Abschnitten. :roll:

Das 'edle Schonen' könnte auch als Bewahren, als Behüten verstanden werden. Das Denken schont seine Erkenntnisse vor dem zeitlichen Verfall, es schützt sich auch vor dem Unwissen? Das Böse kann dann beides bedeuten: Destruktion und Verfall durch zersetzenden Zweifel oder auch Unwissen, Unkenntnis. Ein nicht Entrinnen können vor dem Unwissen. Ein Schmerz, etwas nicht zu wissen. Eine Sehnsucht nach Wissen im Sinne eines Fernwehs?



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

So 10. Sep 2017, 11:28

Friederike hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 10:58

Ich glaube, ich verliere langsam die Geduld mit diesem Gedicht.
Geht mir auch so. Empfinde es immer weniger als Gedicht und mehr als ein lyrisches Kondesat heideggerischer Philosophie. Es wirkt auf mich mehr wie eine Spielerei auf einem Notizblock, so als wollte der Philosoph für den nächsten Vortrag ein paar Stichworte aufschreiben, dies aber dank zufällig vorhandener Muße in Reimform verpackt hat.

Es gibt doch Gedichte, die schenken Leichtigkeit auch in ihrer totalen Schwere und Traurigkeit. Sie treffen genau einen Punkt. Dieses Gedicht verwirrt sich immer mehr, je mehr man sich seiner nähert. Frustrierend.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

So 10. Sep 2017, 13:11

Alethos hat geschrieben : Ich kriege Zeilen 5 und 6 wegen der Kasus nicht zusammen, eher dann 4 und 5, obwohl die Interpunktion stört und irritiert.
Das
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen
Hört sich für mich so plausibler an:

Das Denken ist der kühne Rank eines Wegs der dunklen Zeichen.
Kriege überhaupt nichts auf die Reihe bei diesen letzten Abschnitten. :roll:

Das 'edle Schonen' könnte auch als Bewahren, als Behüten verstanden werden. Das Denken schont seine Erkenntnisse vor dem zeitlichen Verfall, es schützt sich auch vor dem Unwissen? Das Böse kann dann beides bedeuten: Destruktion und Verfall durch zersetzenden Zweifel oder auch Unwissen, Unkenntnis. Ein nicht Entrinnen können vor dem Unwissen. Ein Schmerz, etwas nicht zu wissen. Eine Sehnsucht nach Wissen im Sinne eines Fernwehs?
Oja, schön. Das Böse in Gestalt der Nicht-Wissens (Kehre zwischen Nichts und Sein, der Raum dazwischen, in dem das Denken herumgeistert) und in Gestalt des Bewahrens des Wissens, das ist eine Erklärung, bei der sich "Schonen" und "edel" zumindest nicht mehr in die Quere kommen -und die ich aus diesem Grunde plausibel finde. Wenn man von den Kasus und der Interpunktion absieht.
Alethos hat geschrieben : Empfinde es immer weniger als Gedicht und mehr als ein lyrisches Kondensat heideggerischer Philosophie. Es wirkt auf mich mehr wie eine Spielerei auf einem Notizblock, so als wollte der Philosoph für den nächsten Vortrag ein paar Stichworte aufschreiben, dies aber dank zufällig vorhandener Muße in Reimform verpackt hat.
Ja!




Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

So 10. Sep 2017, 23:31

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 23:38
Oder Schlimmeres, es könnte der Erzeuger des Bösen sein. Nach Kant ist Denken immer ein Urteilen und schafft damit eine Dualität: dies und das. Das könnte man als das Wesen des Denkens beschreiben.

Allerdings glaube ich nicht, dass Heidegger es gar so finster meint, kommt das Denken bei ihm insgesamt doch gut weg. Er wirft der Wissenschaft vor nicht zu denken, der Philosophie jedoch unterstellt er (m.E. affirmativ) es zu tun.

Zen versteht sich als eine Praxis, die nicht leicht in Worte zu fassen ist (manche sagen gar nicht, andere sagen ironisch, dass D.T. Suzuki - der Zen-Meister, über den Heidegger mal sagte, wenn er (H.) ihn (Suzuki) richtig verstanden hätte, drücke dieser genau das aus, was er (H.) meine - über das was man nicht sagen kann 40 Bücher geschrieben hätte). Zen hat die direkte Erfahrung zum Inhalt und jedes Konzept (nicht zwingend jedes Denken) verfehlt Zen.

Einen Gut-/Böse-Dualismus in unserem Sinne gibt es im Zen nicht, da wird sogar vieles was wir kennen auf den Kopf gestellt (ohne ein reiner Negativismus zu sein), wirkt wirr, soll jedoch aus Denkschablonen befreien. Bekannt sind die Koans, 'Denksportaufgaben' die nicht zu lösen sind. Ansonsten ist Zen formal streng, versucht aber über diese erdenden Strenge in die absolute Freiheit und Spontaneität zu gelangen.

Dass man durch intensives Nachdenken zur Befreiung gelangen könnte, würde im Zen als absurd angesehen.
Zur Erinnerung, noch mal die die Zeilen , die hier wichtig sind (für die Deutung der Stelle)

3 Denken ist das edle Schonen,
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen,
6 kehren zwischen Nichts und Sein.
7 Denken ist das Nie-Entweichen
8 aus dem Bösen , vor der Pein.

Ob das Denken als "Erzeuger des Bösen" gilt, scheint mir die Stelle eigentlich nicht unbedingt zu sagen..eher verstehe ich so, dass das Denken sich nie vom Bösen trennen kann (daher "Nie-Entweichen")... es kann nicht so einfach "aus dem Bösen" heraus...der von erwähnte Kant hat auch über das Böse nachgedacht im Kontext seines Nachdenkens über Religion und dem Menschen...aber das "Wesen des Denkens" hat Kant meines Erachtens nicht mit dem Bösen in Verbindung gebracht, das scheint eher etwas Heidegger spezifisches zu sein und Heidegger selbst hat sich auch mit Bösen beschäftigt , nämlich im Kontext seiner Beschäftigung mit Schelling wie ich nochmal nachgesehen habe.. was die Wissenschaft anbetrifft: es in der Tat so, dass diese für ihn nicht "denkt", sondern dies nur die Philosophie macht im Grunde..; kurz es stellt sich die Frage wie Heidegger zum Bösen steht...und anscheinend hat er nicht wenig darüber nachgedacht...

Über Zen vermag ich nichts zu sagen und ich kenne mich auch nicht weiter aus mit Heideggers Beziehung zum ostasiatischen Denken...

Naja ich verstehe es halt so, dass bei Heidegger dem Denken diese Funktion (der Befreiung und des Heilens zugesprochen wird), Es kann natürlich sein, dass es beim Zen nicht so ist.



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

So 10. Sep 2017, 23:46

Friederike hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 10:58

Das ist auch meine Überlegung gewesen. Was mich allerdings irritiert hat bzw. was mir dann fehlt, das ist der Verweis auf die andere Seite der Zweiheit. Aus diesem Grunde bin ich mir nicht sicher, ob dieser Gedanke im Hintergrund der Gedichtzeile steht. Natürlich muß das Gute nicht eigens aufgeführt werden, es handelt sich ja nicht um eine argumentativen Text, sondern um ein Gedicht. Ein Gedicht lebt von dem, was es nicht sagt. Trotzdem :lol: - beim Suchen nach dem Gegenpart könnte man den "kühnen Rank" heranziehen, worauf anschließend die Wende zum Bösen hin erfolgt.

3 Denken ist das edle Schonen,
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen,
6 kehren zwischen Nichts und Sein.
7 Denken ist das Nie-Entweichen
8 aus dem Bösen , vor der Pein.


Wenn man das "edle Schonen" näher unter die Lupe nimmt, dann kann eigentlich nur gemeint sein, das der Mensch sich mit dem Denken vor irgendetwas bewahrt, sich schont, eine Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen und zwar aus edlen Gründen. Das paßt doch nicht zusammen! Selbst wenn man für "Wohnen" ein Reimwort benötigt ... es muß doch mit Sinn und Verstand ausgesucht werden. Wenn ich also unterstelle, es sei mit Sinn und Verstand gewählt, dann würde ich das Schonen allerdings eher im Kontext des nachfolgenden Bösen lesen. Sich mit dem Denken davor bewahren, das Böse in Augenschein zu nehmen. Tja, und das ist edel? :?

Ich glaube, ich verliere langsam die Geduld mit diesem Gedicht.

Nun , das stimmt. Heidegger spricht hier nicht explizit vom Guten, sondern nur vom Bösen und das es in Beziehung zum Denken steht. Ein Gut/Böse Dualismus kann ich hier jetzt auch nicht finden....natürlich ist das hier kein argumentativer Text und man müsste da vielleicht auch versuchen zwischen den Zeilen zu lesen...und darauf achten, was es "eben nicht sagt". Für den Interpreten keine einfache Aufgabe, gewiss.

Auf jedenfall sehe ich es auch, dass das Denken auch ein "Schonen" ist (aber wovor?)...mir ist nicht ganz verständlich, was damit gemeint ist, wenn Denken als der "kühne Rank" gilt...ist das im Sinne von kühner List zu verstehen?

Für mich interresant, ist die Rede vom "Weg der dunklen Zeichen"...wie kann man diese "dunkle Zeichen" auffassen und wie stehen diese im Bezug Bösen? Denn ich glaube, dass da ein Zusammenhang von Heidegger gemeint ist...warum erinnert mich das irgendwie an die "dunkle Seite der Macht" (Star Wars)?

Immernoch Fragen über Fragen

aber hier braucht man schon bei der Deutung "Geduld"..., auch wenn das vermutlich nicht ganz so einfach ist :roll:



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Antworten