Poetische Philosophie

In diesem Forum geht es um alle Formen der Literatur und Poesie
Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Sa 16. Sep 2017, 22:32

Friederike hat geschrieben :
Fr 15. Sep 2017, 10:39
Philosophist hat geschrieben : (Nur soviel, sofern Hannah Arendt vom Dichten und Denken spricht, scheint sie mir da ganz eigentlich Heidegger zu folgen oder?)
Arendt gebraucht den Ausdruck "dichterisches Denken" speziell und nur bezogen auf Benjamin. Ob dies überhaupt ein Begriff ist, mit dem Heidegger generell hantiert hat, das entzieht sich meiner Kenntnis.
Heidegger spricht meines Erachtens des öfteren vom "dichterischen Denken" (auch glaube ich in den Schwarzen Heften ). Ob Arendt diesen Begriff in derselben Bedeutung benutzt , wie Heidegger , weiß ich momentan nicht wirklich. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Arendt diesen Begriff von Heidegger übernommen hat und ihn evtl. etwas (semantisch) modifiziert haben könnte. Ich kann nur mit einiger Sicherheit sagen, dass Heidegger mit diesem Begriff schon generell hantiert hat.



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Sa 16. Sep 2017, 22:47

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 15. Sep 2017, 07:03
Wobei man dann bei Heidegger als Sein-zum-Tode zu sich finden soll, was auch so ein Stück weit von den Bardo-Lehren inspiriert sein könnte, die Heidegger gekannt haben könnte.
Ansonsten gilt die Zuspitzung auf den Tod heute als umstrittener Punkt bei Heidegger, da man eigentlich nichts tatsächlich delegieren kann, egal wie unachtsam man lebt. Aber das hat mit unserem Thema weniger zu tun.
Ob Heidegger von Bardo-Lehren inspiriert gewesen sein könnte , weiß ich nicht. Mir ist nur bekannt, dass in Sein und Zeit , dass Sein zum Tod eine wichtige Rolle insofern bekommt , da alles menschliche Leben ("Dasein" in Heideggers Terminologie) auf den Tod "hinausläuft" und von diesem auch gedacht wird. Es gibt eben ein Denken des Todes bei Heidegger, aber auf diesem Gebiet von Heideggers Denken kenne ich mich eher weniger aus, was sein sog. "Philosophie des Todes" anbetrifft. Mit dem Thema hier hat das auch eher nur am Rande zu tun, sowie ich das einschätze hier.
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 15. Sep 2017, 07:03
Er hat der Sprache und auch dem Dichten ja viel aufgeladen, gerade weil er wohl dachte, dass man mit der Sprache neue Bereiche des Seins erobern kann.
Für Heidegger stand die Sprache im Dienst des Seins, sie ist "Sprache des Seins" , also hin auf das Sein orientiert. Der "späte" Heidegger sagt "die Sprache spricht" (und vielleicht durch die Sprache das Sein eben)...
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 15. Sep 2017, 07:03
Das war keine Kritik an Heidegger, den ich mitunter brillant finde.
Mit der Hybris meinte ich das, was Heidegger kritisiert, nämlich die Idee Descartes' die Welt zu bezweifeln, nur weil man sich als Subjekt in einer von diesem Selbst durchs Denken ersonnenen Subjekt/Objekt-Spaltung erlebt. Also als nur mehr theoretisches Wesen, was meint von Warte der Theorie aus die Existenz Welt im Ganzen bezweifeln zu können. Das Bild, dass man ein theoretischer Beobachter ist, umringt von lauter "Dingen" in der Außenwelt, bei denen man sich nun zu fragen hat, ob sie irgendeinen Bezug zu einem haben.
Dem lässt Heidegger ja schön die Luft raus, auch mit dem Verweis auf das Zeug, die Zeughaftigkeit, sprich: den vortheoretisch immer schon vorhandenen/zuhandenen Bezug zu den Dingen, mit denen man längst umgeht, bevor man irgendwann ihre Existenz bezweifelt. Heidegger hat das in seltener Klarheit erkannt.
Okay, dann ist dieser Punkt nun etwas klarer ;)

Ich muss zugeben, dass ich mich mit Heideggers Kritik an Descartes (soweit ich weiß soll es sich dabei auch um eine Kritik am "Cartesianismus") eher noch wenig beschäftigt habe..nur ist mir bekannt, dass er das übliche, also traditionelle Denken des Subjektes (ausgehend von Descartes?) In Frage gestellt hat und dagegen seinen Begriff des "Daseins" gesetzt hat...

Ich finde es aber interessant wie Heidegger die Beziehung des Menschen zu seiner "Umwelt" in SuZ analysiert und dabei auch auf die "Zuhandenheit" des "Zeugs" zu sprechen kommt 8-) Heidegger hat soviele Themen in seinem Denken, dass diese sich im Grunde nicht einfach abzählen lassen können...die Sprache ist nur eins von Heideggers Themen. Ich denke das mach die Reichhaltigkeit seines Denkens (und Dichtens?) aus....und Heideggers philosophische Themen (wie z.B. das "Denken") tauchen auch in seinen "Gedichten" ja wieder auf.



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Sa 16. Sep 2017, 23:03

Friederike hat geschrieben :
Fr 15. Sep 2017, 12:35
Arendt erwähnt in dem oben zitierten Aufsatz die Elemente des Narrativen und der Metapher im Kontext dessen, was sie "dichterisches Denken" nennt.

Um den Schwenk aufs Eingangsthema wieder zu kriegen, habe ich bei Adorno ein bißchen herumgeblättert (Der Essay + ND) und möchte daraus lediglich eine seiner Denk- bzw. Schreib-Figuren, nämlich die "Konstellation" herausgreifen. "Konstellationen" verweben Begriffe in möglichst dichten und feinen "Texturen". Wie die Begriffe miteinander vernetzt sind, daraus gewinnt ein Text insgesamt, hier hauptsächlich der Essay als Gattungsform eines philosophischen Textes, seine Tragfähigkeit. "Alle seine Begriffe sind so darzustellen, daß sie einander tragen, daß ein jeglicher sich artikuliert je nach den Konfigurationen mit anderen." Allein aus ihren Beziehungen zu anderen Begriffen, aus ihrer jeweiligen Anordnung im Essay, gewinnen die Begriffe ihre Bedeutung. Man müßte hier wohl besser "Worte" sagen, weil A. Definitiorisches ausschließt. Worte sollen also nicht in Definitionen "eingehegt" werden. Sie führen ein Art Eigenleben in ihren jeweiligen Zusammenhängen. Ich meine, daß man Adornos Konstellationstheorie damit in die Nähe zu poetologischen Ansätzen rücken kann, weil Gedichte auch wie "Gewebe" funktionieren, in dem die Wörter sich gegenseitig erhellen. Je nachdem im Rahmen welcher Sätze und welcher anderer Wörter sie stehen, verändern sich auch ihre Bedeutungen. Es ist so, als ob die Wörter, mit denen sie zusammen auftreten, jedes Wort selbst wieder verändert, sodaß Worte nie in -eindeutige- Begriffe überführt und verengt werden.*

Die Philosophie ist für Adorno wesentlich "Darstellung". Und die Darstellung geht über Begriffe, Definitionen und logisch schlüssige Sätze hinaus, d.h. sie wird auch in ihrer poetischen Funktion verwendet, um etwas auszudrücken. Sprache besitzt einen unbegrifflichen Teil, wenn sie 1. beispielsweise mit Rhythmus und Klang arbeitet. Die Philosophie sollte lt. Adorno diesen Teil der Sprache nicht vernachlässigen, weil die Philosophie sich aller Möglichkeiten, die das Medium "Sprache" beinhaltet, bedienen sollte. Zum unbegrifflichen Teil gehört aber auch gerade das 2. vom einem Begriff -im Sinne einer festgezurrten Bedeutung- jeweils ausgeschlossene, was unter Anwendung der konstellativen Schreibmethode ans Licht und das heißt ins Bewußtsein befördert werden kann.**

NS: Noch ein Zitat aus "Der Essay", weil ich meine, Hegels "Spekulativer Satz" habe Pate stehen können: "Er [der Essay] erstellt kein Gerüst und keinen Bau. Als Konfiguration aber kristallisieren sich die Elemente durch ihre Bewegung." Kristallisation durch Bewegung ist in sich widersprüchlich, denn Kristallisationen sind Verfestigungen und somit unbeweglich. Trotzdem denke ich, daß die beiden Begriffe "Kristallisation" und "Bewegung" zentral für das konstellative Verfahren A's sind, weil Konstellationen eben auch für einen Moment Strukturen bilden.

*Adorno, "Der Essay als Form", in: Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften (Bd 2) Frankf./M., 1997, S. 21ff.
**Adorno, "Negative Dialektik", in: Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften (Bd 6) Frankf./M. 19977, S. 27- 29.
Adorno hat meines Wissens nach auch auf seine Weise über "Literatur" und "Dichtung" nachgedacht, allerdings kenne ich bisher nicht wirklich. Er hat ja über Benjamin geschrieben und auch über die moderne Literatur wie Kafka usw. Meines Erachtens hat er sich aber glaube ich nicht wirklich mit Heideggers Denken über "Literatur" /"Dichtung" auseinandergesetzt , evtl. dies sogar mehr oder weniger bewusst ignoriert. Denn das Verhältnis Adornos zu Heidegger war ja recht kritisch (man lese nur den "Jargon der Eigentlichkeit"). Die Frage ist nur ob eben Adorno inhaltlich/sachlich mit seiner Kritik an Heidegger überzeugend ist oder nicht (darüber könnte man einen eigenen Thread aufmachen)..Ob Heidegger Adorno wiederum gelesen oder gekannt hatte ist mir nicht bekannt. Jedenfalls ist mir dazu nichts weiter bekannt. Das heißt nicht, dass Adornos Philosophieren und seine Begrifflichkeit hier gleich "verworfen" werden sollte..Es sind halt nur "unterschiedliche Denkweisen" eben (auch über Literatur). Und ich denke, dass sich auch Adorno mit Gedichten vermutlich gut auskannte , dazu kann ich aber wie gesagt weniger sagen. Das Gedichte wie "Gewebe" funktionieren können , wo die Worte sich gegenseitig erhellen können, finde ich vom Gedanken her recht interessant (also die sog. "Konstellationstheorie"). Soweit ich allerdings weiß, soll Arendt Adorno nicht unbedingt geschätzt haben bzw. diesem gegenüber eher kritisch bis ablehnend eingestellt gewesen sein. Obwohl beide Benjamin kannten.

Das Adorno auch über "Philosophie" nachgedacht bzw. über den Begriff der Philosophie, ist für mich nicht verwunderlich daher. Das Philosophie von "Sprache" abhängt bzw. auf diese angewiesen ist, das sagen ja Heidegger und Adorno je auf ihre Weise. Nur wie die beiden über Sprache nachgedacht haben (bzw. über die Sprache der Philosophie), mag wohl recht unterschiedlich gewesen sein. Aber ich kenne mich da mit Adornos Denken diesbezüglich weniger aus...wäre da aber durchaus ganz offenen Ohres ;)

PS: Beide Philosophen haben sich auch auf unterschiedliche Weise mit Hegel beschäftigt (wäre aber auch ein eigenes Threadthema). Wie man Adornos Beziehung zu Hegel bewerten sollte, ist nicht gerade einfach...



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

So 17. Sep 2017, 09:36

Philosophist hat geschrieben :
Sa 16. Sep 2017, 22:47
Für Heidegger stand die Sprache im Dienst des Seins, sie ist "Sprache des Seins" , also hin auf das Sein orientiert. Der "späte" Heidegger sagt "die Sprache spricht" (und vielleicht durch die Sprache das Sein eben)...
Und man damit den Menschen, der ja von sich meint, auch zu sprechen, zum Erfüllungsgehilfen der Sprache. Eigentlich ist es die Sprache, die agiert, also spricht, der Mensch ist nur Anhängsel, nicht unähnlich Luhmann, der später schreibt, dass die Kommunikation kommuniziert...
Philosophist hat geschrieben :
Sa 16. Sep 2017, 22:47
Ich muss zugeben, dass ich mich mit Heideggers Kritik an Descartes (soweit ich weiß soll es sich dabei auch um eine Kritik am "Cartesianismus") eher noch wenig beschäftigt habe..nur ist mir bekannt, dass er das übliche, also traditionelle Denken des Subjektes (ausgehend von Descartes?) In Frage gestellt hat und dagegen seinen Begriff des "Daseins" gesetzt hat...
... und dann auch explizit, das "alte ontologische Denken" kritisiert, auch hier Heidegger nicht unähnlich.

Ob man es nun beabsichtigt oder nicht, die Kritik, dass dabei das Subjekt langsam zerrinnt, ist nachvollziebhar. Was Heidegger einerseits stört, wie man in der Absage an das "Man" sieht, andererseits liebäugelt er ja mit der Schicksalsgemeinschaft, in der das Subjekt marginal bleibt. Die wohl dunkelste Seite von Heidegger, das sich in den Dienst der Sprache stellen und ihr vielleicht in der Dichtung zu einer höheren Form des Seins zu verhelfen, könnte der lichtere Pol der selben Denkbewegung sein.
Philosophist hat geschrieben :
Sa 16. Sep 2017, 22:47
Ich finde es aber interessant wie Heidegger die Beziehung des Menschen zu seiner "Umwelt" in SuZ analysiert und dabei auch auf die "Zuhandenheit" des "Zeugs" zu sprechen kommt 8-) Heidegger hat soviele Themen in seinem Denken, dass diese sich im Grunde nicht einfach abzählen lassen können...die Sprache ist nur eins von Heideggers Themen. Ich denke das mach die Reichhaltigkeit seines Denkens (und Dichtens?) aus....und Heideggers philosophische Themen (wie z.B. das "Denken") tauchen auch in seinen "Gedichten" ja wieder auf.
Bezeichnenderweise ist SuZ ja ein großes Fragment und ich glaube, dass Heidegger (ohne ihn jetzt wirklich gut zu kennen), viel Fragmentarisches anbietet,, schon weil er selbst so viele dicke lose Enden aufgegriffen und versuchsweise verknüpft hat.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

So 17. Sep 2017, 13:47

Philosophist hat geschrieben : Meines Erachtens hat er [Adorno] sich aber glaube ich nicht wirklich mit Heideggers Denken über "Literatur" /"Dichtung" auseinandergesetzt , evtl. dies sogar mehr oder weniger bewusst ignoriert. Denn das Verhältnis Adornos zu Heidegger war ja recht kritisch (man lese nur den "Jargon der Eigentlichkeit"). Das Adorno auch über "Philosophie" nachgedacht bzw. über den Begriff der Philosophie, ist für mich nicht verwunderlich daher. Das Philosophie von "Sprache" abhängt bzw. auf diese angewiesen ist, das sagen ja Heidegger und Adorno je auf ihre Weise. Nur wie die beiden über Sprache nachgedacht haben (bzw. über die Sprache der Philosophie), mag wohl recht unterschiedlich gewesen sein.
Den "Jargon der Eigentlichkeit" habe ich mir vohin vorgenommen auf Dein Anraten hin, denn bisher habe ich nur die kritische Auseinandersetzung Adornos mit Heidegger in der ND gelesen. Weil mich die Polemik im "Jargon" sofort in ihren Bann gezogen hat, schweife ich einmal kurz vom Thema ab, d.h. der Frage nach der dichterischen philosophischen Sprache. Die Kritik Adornos an Heidegger zielt ja tatsächlich mehr in die Richtung, wie eine vorgeblich neutrale Ontologie für "gesellschaftliche", "ideologische" Zwecke - zwei der von A. in diesem Kontext gebrauchten Wörter- instrumentalisiert wird. "Instrumentalisierung" ist eine starke Wertung Adornos, der ich mich anschließe. Ich bin erst bis S. 34 gekommen und habe dort eben ein so erhellendes sprachbeobachtendes Konzentrat gefunden, das ich gerne zitieren möchte [Unterstreichung von mir]:
A. hat geschrieben : Querverbindungen bestehen zwischen dem Jargon der Eigentlichkeit und alten schulischen Phrasen wie der einmal von Tucholsky beobachteten „So wird das hier gemacht“ oder dem militärischen Kommandotrick, einen Imperativ in einen Aussagesatz zu kleiden, um dem Gewollten durch Tilgung der sprachlichen Spur des Willens der Vorgesetzten den Nachdruck zu verleihen, es müsse gehorcht werden, weil das Verlangte faktisch bereits geschehe: „Die Teilnehmer der Heldengedenkfahrt versammeln sich in Lüneburg.“ So knallt auch Heidegger mit der Peitsche, wenn er in dem Satz „Der Tod ist“ das Verbum sperren läßt [65]. Die grammatische Übersetzung des Imperativs in die Prädikation macht ihn kategorisch; er duldet keine Weigerung, weil er schon gar nicht mehr, wie einst der Kantische, nötigt, sondern den Gehorsam als vollzogene Tatsache beschreibt, möglichen Widerstand noch der bloßen logischen Form nach ausmerzt. Der Einspruch der Vernunft wird aus dem Umkreis des gesellschaftlich überhaupt Denkbaren verbannt.
Zwar geht es hier auch um eine Kritik der Sprache, allerdings um eine Sprachkritik, die die Möglichkeit der Vernebelungs- oder Täuschungsabsicht ins Visier nimmt und aufzeigt. Das Moralische, im Falle Heideggers würde ich sagen, das Unmoralische wird ontologisiert. Dies nur als kleiner Exkurs.




Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

So 17. Sep 2017, 21:34

Tosa Inu hat geschrieben :
So 17. Sep 2017, 09:36
Und man damit den Menschen, der ja von sich meint, auch zu sprechen, zum Erfüllungsgehilfen der Sprache. Eigentlich ist es die Sprache, die agiert, also spricht, der Mensch ist nur Anhängsel, nicht unähnlich Luhmann, der später schreibt, dass die Kommunikation kommuniziert...
Genau so ist es. Das ganze kann man natürlich auch kritisch sehen , wenn Heidegger zum "Erfüllungsgehilfen der Sprache " (bzw. des Seins macht).

Ob Luhmann das vielleicht von Heidegger übernommen hat?
Tosa Inu hat geschrieben :
So 17. Sep 2017, 09:36
... und dann auch explizit, das "alte ontologische Denken" kritisiert, auch hier Heidegger nicht unähnlich.
Ja das ist in der Tat ihm durchaus auch nicht unähnlich. So geht er im Grunde auch mit anderen philosophischen Vorgängern um, um sein Denken davon abzuheben bzw. abzugrenzen.
Tosa Inu hat geschrieben :
So 17. Sep 2017, 09:36
Ob man es nun beabsichtigt oder nicht, die Kritik, dass dabei das Subjekt langsam zerrinnt, ist nachvollziebhar. Was Heidegger einerseits stört, wie man in der Absage an das "Man" sieht, andererseits liebäugelt er ja mit der Schicksalsgemeinschaft, in der das Subjekt marginal bleibt. Die wohl dunkelste Seite von Heidegger, das sich in den Dienst der Sprache stellen und ihr vielleicht in der Dichtung zu einer höheren Form des Seins zu verhelfen, könnte der lichtere Pol der selben Denkbewegung sein.
Das Subjekt ist ja selbst schon bei Nietzsche meines Wissens nach in Frage gestellt worden und geht dann über zu Heidegger .. Das Verwirrende bei Heidegger kann sein, dass er einerseits sich am "Man" reibt, andererseits, wie du schon erwähntest, auch mit einer "Schicksalgemeinschaft" liebäugelt (es gibt dazu einen entsprechenden Paragrafen ganz am Ende von Sein und Zeit.

Sein Denken über Dichtung kann man natürlich als der "lichtere Pol" seiner Denkbewegung sehen.. und seine Gedanken über das "dichterische Denken" können ja in der Tat auch faszinierend wirken... also sein Bezug zur DIchtung/Literatur ist einer der interessantesten Seiten seines Werkes und nicht unbedingt ideologisch problematisch wie mir scheint (der politische Teil seines Werkes ist dagegen schon viel problematischer).
Tosa Inu hat geschrieben :
So 17. Sep 2017, 09:36
Bezeichnenderweise ist SuZ ja ein großes Fragment und ich glaube, dass Heidegger (ohne ihn jetzt wirklich gut zu kennen), viel Fragmentarisches anbietet,, schon weil er selbst so viele dicke lose Enden aufgegriffen und versuchsweise verknüpft hat.

SuZ ist tatsächlich ein Fragment geblieben, was Heidegger auch selber zugegeben hat. Es gibt durchaus auch "Fragmentarisches" in seinem Werk.



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

So 17. Sep 2017, 21:58

Friederike hat geschrieben :
So 17. Sep 2017, 13:47

Den "Jargon der Eigentlichkeit" habe ich mir vohin vorgenommen auf Dein Anraten hin, denn bisher habe ich nur die kritische Auseinandersetzung Adornos mit Heidegger in der ND gelesen. Weil mich die Polemik im "Jargon" sofort in ihren Bann gezogen hat, schweife ich einmal kurz vom Thema ab, d.h. der Frage nach der dichterischen philosophischen Sprache. Die Kritik Adornos an Heidegger zielt ja tatsächlich mehr in die Richtung, wie eine vorgeblich neutrale Ontologie für "gesellschaftliche", "ideologische" Zwecke - zwei der von A. in diesem Kontext gebrauchten Wörter- instrumentalisiert wird. "Instrumentalisierung" ist eine starke Wertung Adornos, der ich mich anschließe. Ich bin erst bis S. 34 gekommen und habe dort eben ein so erhellendes sprachbeobachtendes Konzentrat gefunden, das ich gerne zitieren möchte [Unterstreichung von mir]:
A. hat geschrieben : Querverbindungen bestehen zwischen dem Jargon der Eigentlichkeit und alten schulischen Phrasen wie der einmal von Tucholsky beobachteten „So wird das hier gemacht“ oder dem militärischen Kommandotrick, einen Imperativ in einen Aussagesatz zu kleiden, um dem Gewollten durch Tilgung der sprachlichen Spur des Willens der Vorgesetzten den Nachdruck zu verleihen, es müsse gehorcht werden, weil das Verlangte faktisch bereits geschehe: „Die Teilnehmer der Heldengedenkfahrt versammeln sich in Lüneburg.“ So knallt auch Heidegger mit der Peitsche, wenn er in dem Satz „Der Tod ist“ das Verbum sperren läßt [65]. Die grammatische Übersetzung des Imperativs in die Prädikation macht ihn kategorisch; er duldet keine Weigerung, weil er schon gar nicht mehr, wie einst der Kantische, nötigt, sondern den Gehorsam als vollzogene Tatsache beschreibt, möglichen Widerstand noch der bloßen logischen Form nach ausmerzt. Der Einspruch der Vernunft wird aus dem Umkreis des gesellschaftlich überhaupt Denkbaren verbannt.
Zwar geht es hier auch um eine Kritik der Sprache, allerdings um eine Sprachkritik, die die Möglichkeit der Vernebelungs- oder Täuschungsabsicht ins Visier nimmt und aufzeigt. Das Moralische, im Falle Heideggers würde ich sagen, das Unmoralische wird ontologisiert. Dies nur als kleiner Exkurs.
Adornos kritische bis polemische Auseinandersetzung mit Heidegger findet man in den beiden von dir genannten Schriften. Ob man den "Jargon der Eigentlichkeit" oder die ND inhaltlich überzeugend findet, bleibt dann eben die Frage. Ich halte polemische Auseinandersetzungen oft für problematisch, da diese in der Regel wenig sachlich sind.

Was glaube ich Adorno an Heidegger nicht beachtet ist, dass Heidegger den Begriff der "Ontologie" nach SuZ im Grunde fallen lässt, es gibt dazu eine entsprechende Anmerkung in seiner Schrift "Einführung in die Metaphysik". Heidegger spricht nur in SuZ von "Fundamentalontologie". Später ist dieser Begriff nicht mehr wirklich gebräuchlich. Und er spricht dann lieber vom Denken des Seins bzw. vom "seinsgeschichtlichen" Denken. Das ist dann der sog. "späte" Heidegger. Und soweit verstehe ich Heidegger jedenfalls, das er später dann auf den Begriff der Ontologie verzichtet. Ob Adorno dies beachtet hat, da habe ich nicht so den Eindruck. Es war und ist ja auch immer recht modern , wenn man dann von "Ontologie" spricht...

Eigentlich könnte man da auch gleich einen eigenen Thread generell zu Heidegger/Adorno aufmachen und kontrovers diskutieren..ich glaube man kann Adornos Kritik an Heidegger durchaus auch selbst wiederum kritisch sehen...bzw. Punkte derselben bemängeln.

Die Frage ist auch, ob man diese Schrift gänzlich kritisch betrachten sollte oder nur bestimmte Passagen desselben, die eventuell nicht den Leser überzeugen (weil zu viel Polemik ....).

Die Sprachkritik Adornos an Heidegger habe ich bemerkt an der zitierten Passage. Man kann natürlich Heideggers Sprache aufgrund eines gewissen "diktatorischen" Untertons kritisieren.

Ich gebe dazu ein Beispiel aus den Schwarzen Heften, also einer Passage, die man in der Hinsicht zum Vergleich auch kritisch betrachten kann (HGA Band 97, S.86, 2015):

"Denken? Das Diktat des Seyns in die Sprache einschreiben. Doch das fügsame Hinhören genügt nicht, weil der Denkende zugleich und eigentlich das Eigene der Sprache dem Diktat bereiten und entgegenbringen muß. Das bereite und vor-bereitete Sich-sagen-lassen verlangt die höchste Kühnheit."

Man könnte Heidegger hier glatt für einen "diktatorischen" Denker sprechen, wenn er so vom "Diktat des Seins" spricht.

Interessant ist allerdings auch dies zum Thema Gedicht bei ihm (auf derselben Seite)

"Der Mensch ist das angefangene Gedicht des Vorblicks in das Gewesene der Wahrheit des Seyns" (ebd.)

Hier wird ja der Mensch als "Gedicht" angesehen (und dies in Bezug zum Sein gebracht)...vielleicht sollte man dies als eine Art poetologische Reflexion Heideggers betrachten.... :roll:



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Mo 18. Sep 2017, 10:39

Da scheinen wir in weiten Teilen ähnlicher Meinung zu sein, weshalb ich es bei dieser Feststellung belasse.

Aber dazu noch:
Philosophist hat geschrieben :
So 17. Sep 2017, 21:34
Genau so ist es. Das ganze kann man natürlich auch kritisch sehen , wenn Heidegger zum "Erfüllungsgehilfen der Sprache " (bzw. des Seins macht).

Ob Luhmann das vielleicht von Heidegger übernommen hat?
Das weiß ich nicht, aber wenig bekannnt ist, dass derjenige der diesen Gedanken - dass es eine Instanz geben könnte, die das Ich gleichermaßen von außen beeinflusst, obwohl sie uns doch irgendwie auch innerlich zu diensten ist - erstmalig dezidiert von Freud (1915) über die Sexualität geäuert wurde.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Mo 18. Sep 2017, 11:07

Philosophist hat geschrieben : Adornos kritische bis polemische Auseinandersetzung mit Heidegger findet man in den beiden von dir genannten Schriften. Ob man den "Jargon der Eigentlichkeit" oder die ND inhaltlich überzeugend findet, bleibt dann eben die Frage. Ich halte polemische Auseinandersetzungen oft für problematisch, da diese in der Regel wenig sachlich sind. Eigentlich könnte man da auch gleich einen eigenen Thread generell zu Heidegger/Adorno aufmachen und kontrovers diskutieren..ich glaube man kann Adornos Kritik an Heidegger durchaus auch selbst wiederum kritisch sehen ... bzw. Punkte derselben bemängeln.
Adornos Rezeption von Philosophen-Kollegen ist zweifellos recht eigenwillig. Das ist mir von seiner Hegel-Interpretation her nicht ganz unvertraut. Aber gut, wie Du schon sagst, das wäre ein Thema für sich.
Philosophist hat geschrieben : Interessant ist allerdings auch dies zum Thema Gedicht bei ihm (auf derselben Seite) "Der Mensch ist das angefangene Gedicht des Vorblicks in das Gewesene der Wahrheit des Seyns" (ebd.)
Hier wird ja der Mensch als "Gedicht" angesehen (und dies in Bezug zum Sein gebracht)...vielleicht sollte man dies als eine Art poetologische Reflexion Heideggers betrachten .... :roll:
O, das ist ja eine interessante Metapher, mit der Heidegger "Sein"/Mensch und poetische Sprache verknüpft! Weil meine Kenntnisse von H. so mickrig sind, kommt mir der Satz allerdings reichlich kryptisch vor. Ich verstehe kein Wort ... obwohl ich jedes einzelne Wort natürlich kenne. :lol: Besonders die zeitliche Dimension vom "Vorblick ins Gewesene". @Philosophist, wenn Du zu dem Satz ein bißchen erhellend Erläuterndes sagen könntest?




Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Di 19. Sep 2017, 03:48

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 18. Sep 2017, 10:39
Da scheinen wir in weiten Teilen ähnlicher Meinung zu sein, weshalb ich es bei dieser Feststellung belasse.

Aber dazu noch:
Philosophist hat geschrieben :
So 17. Sep 2017, 21:34
Genau so ist es. Das ganze kann man natürlich auch kritisch sehen , wenn Heidegger zum "Erfüllungsgehilfen der Sprache " (bzw. des Seins macht).

Ob Luhmann das vielleicht von Heidegger übernommen hat?
Das weiß ich nicht, aber wenig bekannnt ist, dass derjenige der diesen Gedanken - dass es eine Instanz geben könnte, die das Ich gleichermaßen von außen beeinflusst, obwohl sie uns doch irgendwie auch innerlich zu diensten ist - erstmalig dezidiert von Freud (1915) über die Sexualität geäuert wurde.
Du meinst vermutlich die theoretische Auffassung Freuds, dass es eine Art "Über-Ich" gibt. Ich muss zugeben, dass ich auf dem Gebiet der Psychoanalyse und speziell der Theorie Freuds nur Laie bin. Ich weiß auch nicht, ob Freud seine theoretischen Überlegungen auch auf die Analyse von Gedichten übertragen hat.. (er kannte sich aber dennoch mit Literatur schon ein wenig aus..)..Freud und Heidegger zusammenzubringen ist aufgrund der theoretischen Differenzen sicherlich nicht einfach, aber vielleicht nicht ganz uninteressant vom Gedanken her.

Was Luhmann anbetrifft, müsste man natürlich schauen in seinen Schriften ob ggf. der Name Heidegger dort irgendwo fällt...

Heidegger selbst hat natürlich von Freud gehört (wie weit er ihn gelesen hat oder nicht, kann ich sagen...)



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Di 19. Sep 2017, 04:07

Friederike hat geschrieben :
Mo 18. Sep 2017, 11:07

Adornos Rezeption von Philosophen-Kollegen ist zweifellos recht eigenwillig. Das ist mir von seiner Hegel-Interpretation her nicht ganz unvertraut. Aber gut, wie Du schon sagst, das wäre ein Thema für sich.
Nicht nur Adornos Rezeption von Philosophen- Kollegen ist eigenwillig, sondern auch Heideggers Rezeption von Philosophen(kollegen) mag recht eigenwillig anmuten. Nicht alles was Heidegger beispielsweise über Nietzsche oder über Hegel oder Wittgenstein sagt, ist unhinterfragt hingenommen worden bzw. blieb ohne Widerspruch. Auch seine "Erläuterungen zu Hölderlins-Dichtungen" , kurz seine Hölderlin-Interpretation ist kritisiert worden.

Friederike hat geschrieben :
Mo 18. Sep 2017, 11:07
O, das ist ja eine interessante Metapher, mit der Heidegger "Sein"/Mensch und poetische Sprache verknüpft! Weil meine Kenntnisse von H. so mickrig sind, kommt mir der Satz allerdings reichlich kryptisch vor. Ich verstehe kein Wort ... obwohl ich jedes einzelne Wort natürlich kenne. :lol: Besonders die zeitliche Dimension vom "Vorblick ins Gewesene". @Philosophist, wenn Du zu dem Satz ein bißchen erhellend Erläuterndes sagen könntest?

"Der Mensch ist das angefangene Gedicht des Vorblicks in das Gewesene der Wahrheit des Seyns" (ebd.)

Der Satz kann einem in der Tat recht kryptisch/dunkel vorkommen, gerade für diejenigen die mit Heideggers Philosophieren eher weniger vertraut sin (also mit seiner philosophischen Theorie). Das gleiche könnte man mit einem Satz Hegels aus der Phänomenologie machen...jemand der mit diesem Philosophieren nicht vertraut wird damit nicht viel anfangen können ..da er es nicht versteht inhaltlich, obwohl er Deutsch kann/versteht...

Diesen Satz zu erläutern ist daher schon selbst für diejenigen die mit Heidegger etwas mehr vertraut sind eine interpretatorische Herausforderung.

Der Mensch als "angefangenes" Gedicht..Was könnte Heidegger damit gemeint haben?, wenn er vom Menschen als Gedicht spricht?

Und was ist der "Vorblick" in das "Gewesene der Wahrheit des Seyns"? Heideggers Begrifflichkeit ist in der Tat nicht einfach zu verstehen hier...

was könnte ein "Vorblick" sein? Man könnte hier an Heidegger den Phänomenologen denken...der auch das Sehen in seinem philosophischen Werk thematisiert. Aber meint Vorblick eine zeitliche Dimension? Im Sinne von "vor" oder "nach"?

Zumindest scheint hier eine gedankliche Trias nahelegend zu sein und die ist: Mensch-Gedicht- und die Wahrheit des Seysn

was die "Wahrheit des Seyns" genau sein soll, wäre auch nochmal eine nicht unerhebliche Frage...

Dieser Satz ist echt knifflig :|

Eventuell können aber auch andere diesen Satz hier erläutern , da sie ihn vielleicht noch besser verstehen als ich...

Wer diesen Satzs Heideggers ohne größere inhaltliche Schwierigkeiten erläutern kann, hat dafür meinen Respekt (für die entsprechende geistige Leistung). 8-)


Zumindest wird hier ja der Mensch in seiner poetischen Dimension irgendwie gedacht...Aber was heißt es , wenn der Mensch als " angefangenes Gedicht " charakterisiert wird? Ist er dann ein dichtender Mensch, der in Bezug zur "Wahrheit des Seyns" steht? Denkt Heidegger hier in poetisch/poetologischer Weise über den Menschen nach?

Man sieht wieder nur eines: Fragen über Fragen :?: :?: Und selbst für diejenigen, die sich mit Heidegger etwas befasst haben, nicht ganz einfach zu verstehen bzw. zu erklären... denn Heideggers Begrifflichkeit kann einem manchmal recht unklar vorkommen.. Und auf das entsprechende Lexikon zu Heidegger, wo alle seine Begriffe in allgemein verständlicher Weise erklärt werden, darauf warte ich noch...



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Di 19. Sep 2017, 06:16

Ich habe mich nach einiger Zeit der Überlegung dazu entschlossen , noch ein weiteres "Gedicht" Heideggers hier zu "posten", da dieses ich inhaltlich doch recht bemerkenswert fand. Und dieses enthält auch wieder einige seiner philosophische Stichwörter. Hier ist es also (das "Gedicht" selbst hat den Titel> " Der Ring des Seyns") : :


"Wer ist der Gott aus seiner Gottheit Nacht?
Und wer sind wir? Auf einen Steg gebracht.
wo jeglich Wort das Sagen übernennt
und doch kein Name je erkennt,
was längst im Wort der Worte brennt:
daß Seyn sich einst verfügt das Sein,
da <Sein> schon ist.
Nach einem Spruch aus früher Frist:
<Ist nämlich Sein>.
Wie fügt sich <Ist> und >Sein> in Eins?
Wer schmiedete den Ring des Seyns,
der ringend erst sein Eigenes er-ringt
und doch zumal des Ringes sich entringt?

Oh Rätselring! Bist du Vermächtnis,
das einst <Sein> verwunden in die Wahrnis?
Wo wohnt solcher Huld Gedächtnis,
Widerstille ihr, die hütende Ersparnis?
Wie hat, was das Sein ver-ringt,
selbst dem Ring sich anbefohlen?
Hier muß, was verborgen winkt,
sein Eigenes ins Eigene wieder holen,
dennoch Abschied von sich selber bleiben,
ring den Rätselring umschreiben,
der nur ringt
durch ein Erfangen,
das , stets lassend, sich verschwingt
in das Erlangen
jenes Freyen einer Stille,
deren Bergen heiternd hegt
daß nirgend doch ein Hag sich regt.

Was ringt den Rätselring,
der einmal Ding?
Nenn's das Er-eignis.
Es vereignet sein Vermächtnis,
sich enteignend reinem Schied,
in das unerfahrliche Gedächtnis."

Heidegger Gesamtausgabe Band 81, S. 68 , Frankfurt am Main , 2007.

Das Bild des Ringes hier ist durchaus bemerkenswert und darüber ließe sich natürlich mehr oder weniger kontrovers dann diskutieren...aber ich muss zugeben, die Reime haben es hier schon wieder in sich. 8-) Ob man vielleicht doch auch vom "Dichter" Heidegger bzw. vom "Dichterphilosophen" Heidegger sprechen muss? So wie ja Nietzsche bekanntlich einer gewesen ist... :roll:

PS: Das "posten" eines weiteren "Gedichts" von Heidegger muss /soll aber nicht heißen, dass man das zuerst hier zitierte von ihm nicht weiter diskutieren müsste/sollte usw....bzw. sollte es jetzt deshalb nicht völlig gleich aus dem Blick kommen...vielleicht kann man ja beide "Gedichte" Heideggers parallel diskutieren bzw. miteinander vergleichen.

..



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Di 19. Sep 2017, 08:50

Freunds Über-Ich meinte ich nicht, sondern er schrieb über die Sexualität:

"Die Sexualität (ist) nicht gleichzustellen den anderen Funktionen des Individuums, da ihre Tendenzen über das Individuum hinausgehen und die Produktion neuer Individuen, also die Erhaltung der Art zum Inhalt haben. Sie zeigt uns ferner, dass zwei Auffassungen des Verhältnisses zwischen Ich und Sexualität wie gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die eine, nach welcher das Individuum die Hauptsache ist, das die Sexualität als eine seiner Bestätigungen, die Sexualbefreidigung als eines seiner Bedürfnisse wertet, und eine andere, derzufolge das Individuum ein zeitweiliger und verlängerter Anhang an das quasi unsterbliche Keimplasma ist, welches ihm von der Generation anvertraut wurde"
(Sigmund Freud, Triebe und Triebschicksale, G.W. Bd 10, S. 217f)

Das erinnert in bemerkenswerter Weise an das was Heidegger und Luhmann später über die Sprache/Kommunikation (und Dawkins noch viel später über die egoistischen Gene) formulieren.

Und klar, psychoanalytische Literaturkritik ist ein fester Bestandteil in der Art Texte zu bearbeiten.
---
Die auffallende Erwähnung des RIngs im neuen Gedicht erinnerte mich an zwei weitere Gedichte.
Zunächst Goethe:



Gränzen der Menschheit.

Wenn der uralte
Heilige Vater
Mit gelassener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze

Ueber die Erde sä’t,
Küss’ ich den letzten
Saum seines Kleides,
Kindliche Schauer
Treu in der Brust.

Denn mit Göttern
Soll sich nicht messen
Irgend ein Mensch.
Hebt er sich aufwärts,
Und berührt

Mit dem Scheitel die Sterne,
Nirgends haften dann
Die unsichern Sohlen,
Und mit ihm spielen
Wolken und Winde.

Steht er mit festen
Markigen Knochen
Auf der wohlgegründeten
Dauernden Erde;
Reicht er nicht auf,

Nur mit der Eiche
Oder der Rebe
Sich zu vergleichen.

Was unterscheidet
Götter von Menschen?

Daß viele Wellen
Vor jenen wandeln,
Ein ewiger Strom:
Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle,

Und wir versinken.

Ein kleiner Ring
Begränzt unser Leben,
Und viele Geschlechter
Reihen sich dauernd

An ihres Daseyns
Unendliche Kette.
(https://de.wikisource.org/wiki/Gr%C3%A4 ... eit_(1827))
---
Dann Gustav Meyrink in dem Roman Der Engel vom westlichen Fenster, Grethlein & Co., Leipzig 1927

Die wir vor alten
Zeiten uns trafen,
Dunkle Gewalten
Nicht zu verschlafen,
Rettende Tat –

Die wir geschmiedet,
Bruder, die Lanze,
Dass dir umfriedet
Von ihrem Glanze
In unsern Räumen
Reife die Saat –

Wir, die Verketteten,
Grüßen erneut
Dich, den Geretteten,
Sieger von heut!

Der sich Bezwingende
Löst sich vom Ding.
Der nicht mehr Ringende
Werde zum Ring!
---
Das Motiv des Rings, aber auch des Ringenden (um Erkenntnis, um Selbsterkenntnis, um Selbstüberwindung) ist in jener Zeit nicht selten. Bei Goethe und Meyrink geht es um den Ring, der sich eine Kette einfügt, bei Heidegger ist es ein Ring, der sich schließt, der Sein und Ist verbindet. Aber beides, zum Ring werden und zum Glied in der Kette, schließt sich ja nicht aus.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Sa 23. Sep 2017, 23:05

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 19. Sep 2017, 08:50
Freunds Über-Ich meinte ich nicht, sondern er schrieb über die Sexualität:

"Die Sexualität (ist) nicht gleichzustellen den anderen Funktionen des Individuums, da ihre Tendenzen über das Individuum hinausgehen und die Produktion neuer Individuen, also die Erhaltung der Art zum Inhalt haben. Sie zeigt uns ferner, dass zwei Auffassungen des Verhältnisses zwischen Ich und Sexualität wie gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die eine, nach welcher das Individuum die Hauptsache ist, das die Sexualität als eine seiner Bestätigungen, die Sexualbefreidigung als eines seiner Bedürfnisse wertet, und eine andere, derzufolge das Individuum ein zeitweiliger und verlängerter Anhang an das quasi unsterbliche Keimplasma ist, welches ihm von der Generation anvertraut wurde"
(Sigmund Freud, Triebe und Triebschicksale, G.W. Bd 10, S. 217f)

Das erinnert in bemerkenswerter Weise an das was Heidegger und Luhmann später über die Sprache/Kommunikation (und Dawkins noch viel später über die egoistischen Gene) formulieren.

Und klar, psychoanalytische Literaturkritik ist ein fester Bestandteil in der Art Texte zu bearbeiten.
---
Die auffallende Erwähnung des RIngs im neuen Gedicht erinnerte mich an zwei weitere Gedichte.
Zunächst Goethe:



Gränzen der Menschheit.

Wenn der uralte
Heilige Vater
Mit gelassener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze

Ueber die Erde sä’t,
Küss’ ich den letzten
Saum seines Kleides,
Kindliche Schauer
Treu in der Brust.

Denn mit Göttern
Soll sich nicht messen
Irgend ein Mensch.
Hebt er sich aufwärts,
Und berührt

Mit dem Scheitel die Sterne,
Nirgends haften dann
Die unsichern Sohlen,
Und mit ihm spielen
Wolken und Winde.

Steht er mit festen
Markigen Knochen
Auf der wohlgegründeten
Dauernden Erde;
Reicht er nicht auf,

Nur mit der Eiche
Oder der Rebe
Sich zu vergleichen.

Was unterscheidet
Götter von Menschen?

Daß viele Wellen
Vor jenen wandeln,
Ein ewiger Strom:
Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle,

Und wir versinken.

Ein kleiner Ring
Begränzt unser Leben,
Und viele Geschlechter
Reihen sich dauernd

An ihres Daseyns
Unendliche Kette.
(https://de.wikisource.org/wiki/Gr%C3%A4 ... eit_(1827))
---
Dann Gustav Meyrink in dem Roman Der Engel vom westlichen Fenster, Grethlein & Co., Leipzig 1927

Die wir vor alten
Zeiten uns trafen,
Dunkle Gewalten
Nicht zu verschlafen,
Rettende Tat –

Die wir geschmiedet,
Bruder, die Lanze,
Dass dir umfriedet
Von ihrem Glanze
In unsern Räumen
Reife die Saat –

Wir, die Verketteten,
Grüßen erneut
Dich, den Geretteten,
Sieger von heut!

Der sich Bezwingende
Löst sich vom Ding.
Der nicht mehr Ringende
Werde zum Ring!
---
Das Motiv des Rings, aber auch des Ringenden (um Erkenntnis, um Selbsterkenntnis, um Selbstüberwindung) ist in jener Zeit nicht selten. Bei Goethe und Meyrink geht es um den Ring, der sich eine Kette einfügt, bei Heidegger ist es ein Ring, der sich schließt, der Sein und Ist verbindet. Aber beides, zum Ring werden und zum Glied in der Kette, schließt sich ja nicht aus.
Ich danke erstmal an der Stelle für das Freud-Zitat . Du meinst also, dass man hier die Sprache mit der Sexualität hier vergleichen kann, in dem Sinne nämlich dass beide über das Individuum/den einzelnen Menschen jeweils hinausgehen? Denn mir scheint ja, dass nur auf diese Weise der Vergleich sinnvoll zwischen Heidegger (Luhmann) und Freud ist. Falls ich aber den Sinn des Vergleich nicht richtig erfasse, bitte ich nochmal um entsprechende Erläuterung. Was Heidegger über Freuds theoretischen Ansichten gedacht haben mag, weiß ich natürlich nicht bzw. wie er zu diesem stand und ob ihm dieser Vergleich gefallen hätte oder nicht.

Das Motiv des Ringes (und des Ringens) scheint mir bei Heidegger und Goethe und Meyrink (den ich nicht weiter kenne) in sehr unterschiedlicher Weise ausgeprägt zu sein.

Ich habe gerade auch bei Nietzsche nochmal folgendes aus seinem Zarathustra gefunden:

" (...) Wie lieblich ist alles Reden und alle Lüge der Töne! Mit Tönen tanzt unsre Liebe auf bunten Regenbögen. –
– »O Zarathustra«, sagten darauf die Tiere, »solchen, die denken wie wir, tanzen alle Dinge selber: das kommt und reicht sich die Hand und lacht und flieht – und kommt zurück.
Alles geht, alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins.
Alles bricht, alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins. Alles scheidet, alles grüßt sich wieder; ewig bleibt sich treu der Ring des Seins.
In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit.« –
– O ihr Schalks-Narren und Drehorgeln! antwortete Zarathustra und lächelte wieder, wie gut wißt ihr, was sich in sieben Tagen erfüllen mußte: –"


Quelle: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Nietz ... +Genesende

Wir finden also auch bei Nietzsches das Motiv des Ringes und ich glaube, dass er derjenige vor Heidegger ist, der zuerst vom "Ring des Seins" spricht. Aber dieser "Ring des Seins" ist denke ich mal ein anderer , als der von dem Heidegger spricht. Oder wie siehst du/wie sieht ihr das?

Vielleicht hat auch Heidegger das Ring Motiv von Nietzsche gekannt und dann aber seine eigene Version daraus gemacht. Es ist aber interessant zu sehen wie dieses Ring Motiv bei so unterschiedlichen Dichter und Denkern auftaucht. Vom "Ringenden" spricht Nietzsche glaube ich aber nicht so sehr...

Und es stellt sich die Frage: Wollte Heidegger vielleicht auch der "bessere" Dichter als Nietzsche sein? Er hat ihn vielleicht ja nicht nur philosophisch "überbieten" wollen...



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Di 26. Sep 2017, 11:49

Philosophist hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 23:05
Ich danke erstmal an der Stelle für das Freud-Zitat . Du meinst also, dass man hier die Sprache mit der Sexualität hier vergleichen kann, in dem Sinne nämlich dass beide über das Individuum/den einzelnen Menschen jeweils hinausgehen?
Ja bis jein. Hinausgehen einerseits, aber dabei gleichzeitig so eine Art Zug oder Sog entwickeln oder eine Form vorgeben. Es ist bei all diesen Komponenten nicht ganz klar, ob sie nun unnser Spiel- oder Werkzeug sind oder wie ihres und das ist glaube ich das neue an der Entdeckung.
Philosophist hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 23:05
Wir finden also auch bei Nietzsches das Motiv des Ringes und ich glaube, dass er derjenige vor Heidegger ist, der zuerst vom "Ring des Seins" spricht. Aber dieser "Ring des Seins" ist denke ich mal ein anderer , als der von dem Heidegger spricht. Oder wie siehst du/wie sieht ihr das?

Vielleicht hat auch Heidegger das Ring Motiv von Nietzsche gekannt und dann aber seine eigene Version daraus gemacht. Es ist aber interessant zu sehen wie dieses Ring Motiv bei so unterschiedlichen Dichter und Denkern auftaucht. Vom "Ringenden" spricht Nietzsche glaube ich aber nicht so sehr...
Nietzsches Ring des Seins ist vermeutlich eine Anspielung auf ein zyklisches Modell von Zeit, nach dem Leben wesentlich aus kleineren und größeren Kreisläufen besteht (Ein-/Austamen, Tag/Nacht, Jahreszeiten ...), im Gegensatz zu einem linearen Zeitmodell, mit dem wir heute arbeiten.
Heideggers Ring meint jenen omninösen Ring, der Ist und Sein zum Seyn vereint, wobei er davon ausgeht, dass dies getan werden müsse, woraus sie sich Frage ergibt, wo er, Heidegger, den Unterschied zwischen Ist und Sein sieht. Ist er der zwischen Sein und Seiendem?

Allerdings muss man den Ring auch erringen, nach Heidegger, weiter unten aber sagt er, dass dieses Erfangen und Erlangen aber ein Lassen ist oder dadurch zustande kommt. Das ist wiederum ein mystisches Motiv, was man bei Meister Eckhart ständig findet (vom dem sich Heidegger hat inspirieren lassen) oder eben auch wieder im Zen oder umfassender, im Buddhismus.

Uns ist ja bis heute nicht klar, ob das gelungene Leben nun ein Erreichen von selbst gesteckten Zielen ist, oder das Ausfüüllen einer Form, die "stets lassend, sich verschwingt in das Erlangen".



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Philosophist
Beiträge: 136
Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Sa 30. Sep 2017, 06:47

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 26. Sep 2017, 11:49

Ja bis jein. Hinausgehen einerseits, aber dabei gleichzeitig so eine Art Zug oder Sog entwickeln oder eine Form vorgeben. Es ist bei all diesen Komponenten nicht ganz klar, ob sie nun unnser Spiel- oder Werkzeug sind oder wie ihres und das ist glaube ich das neue an der Entdeckung.
Ok ich glaube dich da zu verstehen....
Tosa Inu hat geschrieben :
Di 26. Sep 2017, 11:49
Nietzsches Ring des Seins ist vermeutlich eine Anspielung auf ein zyklisches Modell von Zeit, nach dem Leben wesentlich aus kleineren und größeren Kreisläufen besteht (Ein-/Austamen, Tag/Nacht, Jahreszeiten ...), im Gegensatz zu einem linearen Zeitmodell, mit dem wir heute arbeiten.
Heideggers Ring meint jenen omninösen Ring, der Ist und Sein zum Seyn vereint, wobei er davon ausgeht, dass dies getan werden müsse, woraus sie sich Frage ergibt, wo er, Heidegger, den Unterschied zwischen Ist und Sein sieht. Ist er der zwischen Sein und Seiendem?

Allerdings muss man den Ring auch erringen, nach Heidegger, weiter unten aber sagt er, dass dieses Erfangen und Erlangen aber ein Lassen ist oder dadurch zustande kommt. Das ist wiederum ein mystisches Motiv, was man bei Meister Eckhart ständig findet (vom dem sich Heidegger hat inspirieren lassen) oder eben auch wieder im Zen oder umfassender, im Buddhismus.

Uns ist ja bis heute nicht klar, ob das gelungene Leben nun ein Erreichen von selbst gesteckten Zielen ist, oder das Ausfüüllen einer Form, die "stets lassend, sich verschwingt in das Erlangen".
Ich verstehe das auch so bei Nietzsches "Ring", dass es sich hier eher um ein Kreis Modell handelt, während Heidegger darunter glaube ich etwas ganz anderes eher versteht (und vermutlich so wie du das ausgeführt hat)

Heidegger spricht von der ontisch-ontologischem Differenz zwischen dem Sein und dem Seienden. Ob das derselbe Unterschied ist, wie der zwischen ist und sein, kann ich nicht sagen.


Heidegger selbst hat sich meines Wissens auch von Meister Eckhart inspirieren lassen, aber ob das auch für das Ring Motiv gilt, weiß ich nicht..

Zum Buddhismus/Zen in diesem Zusammenhang kann ich weniger sagen.

Ich denke man muss dieses "Gedicht" Heideggers immer mehrmals lesen..um es inhaltlich ganz verstehen zu können und das Motiv des Ringes richtig zu erfassen.



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Mi 4. Okt 2017, 23:05

Philosophist hat geschrieben :
Sa 30. Sep 2017, 06:47
Ok ich glaube dich da zu verstehen....
Ja, wir sind hier ziemlich einer Meinung.
Was aber immer blöd ist, für den Fortgang der Diskussion.
Wo machen wir weiter?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Do 5. Okt 2017, 12:03

Tosa Inu hat geschrieben : Ja, wir sind hier ziemlich einer Meinung. Was aber immer blöd ist, für den Fortgang der Diskussion.
Wo machen wir weiter?
Hmja, hier beispielsweise? Und vielleicht sogar kontrovers? Und noch besser, falls Euch der Textauszug nicht bekannt ist, dann ratets bzw. tüftelt herum, bevor Ihr die Quelle anseht.
Anonymus hat geschrieben : Zuletzt die Idee, die alle vereinigt, die Idee der Schönheit, das Wort in höherem platonischen Sinne genommen. Ich bin nun überzeugt, daß der höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfaßt, ein ästhetischer Akt ist und daß Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert sind. Der Philosoph muß ebensoviel ästhetische Kraft besitzen als der Dichter. Die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsere Buchstabenphilosophen. Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie. Man kann in nichts geistreich sein, selbst über Geschichte kann man nicht geistreich raisonnieren – ohne ästhetischen Sinn. Hier soll offenbar werden, woran es eigentlich den Menschen fehlt, die keine Ideen verstehen – und treuherzig genug gestehen, daß ihnen alles dunkel ist, sobald es über Tabellen und Register hinausgeht.

Die Poesie bekommt dadurch eine höhere Würde, sie wird am Ende wieder, was sie am Anfang war – Lehrerin der Menschheit; denn es gibt keine Philosophie, keine Geschichte mehr, die Dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben.
Am dunkelsten ist mir die Prophezeiung am Schluß. Bezieht sich der Text auf eine konkrete historische Situation? Oder ist es eine fiktive bzw. systematische Heilsgeschichte der Poesie? Versteht Ihr es auch so, daß der höchste Vernunftakt, der ein ästhetischer ist, am Ende (welchem Ende auch immer) die Vernunft auflöst, sodaß an die Stelle der Vernunft die reine Ästhetik bzw. die Poesie tritt?




Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Do 5. Okt 2017, 13:29

Friederike hat geschrieben :
Do 5. Okt 2017, 12:03
Am dunkelsten ist mir die Prophezeiung am Schluß. Bezieht sich der Text auf eine konkrete historische Situation? Oder ist es eine fiktive bzw. systematische Heilsgeschichte der Poesie? Versteht Ihr es auch so, daß der höchste Vernunftakt, der ein ästhetischer ist, am Ende (welchem Ende auch immer) die Vernunft auflöst, sodaß an die Stelle der Vernunft die reine Ästhetik bzw. die Poesie tritt?
Da wird der Kunst viel aufgebürdet, aber die Idee, dass das reine Verstehen irgendwie zu blutarm ist, ist offenbar weit verbreitet.
Die Idee, dass das oberste Prinzip aller Evolution gar nicht der Nutzen sein muss, sondern die Schönheit oder anderes sein könnte, habe ich auch schon gehabt.

Hat man sich einmal an diese Nutzensicht gewöhnt, findet man natürlich überall Passendes, aber das ist kein Wunder. Man ging davon aus, das spielende Katzen durch das Spiel ihren Körper und ihre Geschicklichkeit trainieren, um später z.B. bessere Jäger zu werden. Nur fand man heraus, dass Katzen, die man künstlich am Spielen hinderte genaus erfolgreiche Jäger werden. Vielleicht macht es ihnen einfach nur Spaß?

Auch dass das Schöne im Dienst des Nützlichen stehen soll, ist für mich kein Selbstläufer.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Do 5. Okt 2017, 16:27

Tosa Inu hat geschrieben : Die Idee, dass das oberste Prinzip aller Evolution gar nicht der Nutzen sein muss, sondern die Schönheit oder anderes sein könnte, habe ich auch schon gehabt.
Du meinst also, im Text würde auf Anfang und Ende der Menschheitsgeschichte Bezug genommen. Verstehe ich das richtig? Es käme mir allerdings seltsam vor, wenn das Prinzip der Evolution, die doch per definitionem zweckgerichtet ist, oder nicht?, nun gerade darin bestünde, vom Nichtzweckhaften bzw. Nichtnützlichen (Poesie) über das Nutzhafte wieder zum Nichtzweckhaften zurückzukehren.




Antworten