Friederike hat geschrieben : ↑ Mi 6. Sep 2017, 13:00
Dann nummeriere ich durch ... ist es recht so?
1 Denken ist das Nahe-Wohnen,
2 ist der stille Dank.
3 Denken ist das edle Schonen,
4 ist der kühne Rank.
5 Eines Wegs der dunklen Zeichen,
6 ehren zwischen Nichts und Sein.
7 Denken ist das Nie-Entweichen
8 aus dem Bösen , vor der Pein.
9 Denken ist ohn' greifend Fassen,
10 ist ein Fragen frank.
11 Denken ist Sich-sagen-Lassen,
12 ist der kühle Trank
13 Auf dem Weg, da sanft sich lichten
14 Lichter ohne Zahl,
15 Rosen ohn' Warum, die dichten,
16 grüßend Strom und Tal.
17 Denken bleibt dies Alles-Freyen,
18 weiseloser Ruf,
19 daß, die sterblich, seyend seyen:
20 Heilem der Behuf.
Was Du noch aufgetan hattest @Philosophist, "Behuf" als adverbiale Bestimmung, das finde ich am besten. Am besten deswegen, weil man sich damit umschweifige, verschwurbelte Übersetzungen erspart, wenn man schlicht "zwecks" einsetzt. Ich meine, daß man damit nichts verkehrt machen kann, weil die adverb. Bestimmung bedeutungsoffener ist als inhaltliche Bestimmungen, wenn man "Behuf" im Sinne eines Verbs oder Substantivs versteht.
Ein richtig handfestes Indiz, wie "dichten" wohl gemeint ist, sehe ich nicht. Im Augenblick scheint mir Dein Vorschlag, @Alethos, am plausibelsten. Das Gedicht nimmt eine Beobachterperspektive ein. Der Mensch betrachtet das menschliche Denken. Aus dieser Perspektive entstehen dann das Bild des gelichteten Weges und das Bild von den Rosen. Wenn man die Rosen als dichtende Rosen liest, dann würden die Rosen zum handelnden Subjekt ... forget it. Das kann man noch tausendmal
so und so hin- und herwenden. Es kommt nichts bei rum.
Weil Du genau diesen Punkt auch ansprichst, @Philosophist", nur anders formuliert: "inhaltlich getrennt voneinander betrachten", zitiere ich die Passage nochmal. Übrigens, die Rosen "ohn' Warum", das scheint mir sonnenklar (haha), Rosen stellen keine "Warum"-Fragen. Warum leben wir? Warum existieren wir? Warum sind wir, was und wie wir sind? Und wenn man diesen Unterschied hervorhebt, dann kommt mir doch wieder am plausibelsten vor, das "Dichten" als ein Handeln der Rosen zu lesen.
Hm. "Alles-Freyen" = alles Fragen? (17) Denken bleibt dies alles Fragen weiseloser Ruf, das würde doch eher bedeuten, daß das Denken, das alle diese Fragen hervorbringt, gerade nicht die heilende Funktion übernimmt? Dem Denken entspringen alle Fragen und zugleich geben diese Fragen aber keine Richtung vor, sie weisen keinen Weg, sie sind un-weise, ohne Weisheit. "daß die, die sterblich" (19) = Konditional zu lesen, sodaß die, die sterblich... seyend seyen sagen könnten, oder behauptender Relativsatz? Wer sagt dieses "zwecks Heilem"? Doch das Denken? Oder Denken und Dichten im Verbund? Das Heilsein ist ein bißchen wie aus dem Hut gezaubert? Da ist es auf einmal, der nicht weiselose Ruf des allen Fragens, das dem Denken innewohnt? Oder das dem Denken und Dichten innewohnt?
Philosophist hat geschrieben : Heidegger selbst gilt ja nicht gerade als "humorvoller" Philosoph....ich glaube eher, dass Heidegger das als "ernstes" Gedicht sehen würde
vielleicht ist er hier eher "unfreiwillig komisch"...
Daß wir die Qualität des Gedichtes unterschiedlich bewerten, darüber besteht ja inzwischen Einigkeit zwischen uns. Aus meiner Sicht liegt die Komik genau darin, daß Heidegger der Auffassung sein dürfte (das unterstelle ich ihm fieserweise), er habe tatsächlich ein Gedicht verfaßt - wovon ich aber meine, es sei eher eine Satire auf ein Gedicht. Es sei denn, die Nachlaßverwalter haben dieses Gedicht aus einem Zettelkasten herausgefischt, in dem sich Entwürfe, Notizen etc. befunden haben, die lediglich Vorarbeiten darstellen. Falls dies zuträfe, dann nähme ich natürlich mein harsches Urteil zurück.
Ja , die Nummerierung ist mir ganz recht und bringt eben etwas bessere Orientierung hier hinein. Ist eine gute Sache auf jeden Fall und es sei dir dafür auch gedankt hier
Ich würde "Behuf" nun einfach mit "
Zweck" (Bedürfnis) übersetzen und ich glaube , dass dies das Verständnis der Zeilen 19-20 schon erleichtert...und dann würde aus Zeile 20 "Heilem der Zweck" oder so ähnlich....ich tendiere "Behuf" eher als Nomen/Substantiv zu verstehen und dies dann eben mit "Zweck" zu übersetzen (auch ein Nomen/Substantiv).
So etwas wie ein
"lyrisches Ich" (welches spricht) gibt es hier nicht meines Erachtens in Heideggers Gedicht. Mir ist noch nicht ganz klar , was du hier unter "
Beobachterperspektive" genau verstehst... mir scheint eher, dass das Gedicht
in der 3. Person verfasst ist (es> das Denken) und
nicht in der 1.Person, daher auch kein lyrisches Ich (was man vielleicht mit Goethes Gedichten usw. verbindet meist). Es sind immer Aussagen , die über das Denken selbst gemacht werden.
Rein grammatisch betrachtet würde ich aber schon sagen, dass in Zeile 15 bis 16, die Rosen schon das
grammatische Subjekt sind, welche tätig sind (und das scheint mir schon sinnvoll zu sein): es sind die Rosen die dichten und diejenigen welche "grüßen" ...sie sind mehr oder weniger das
"handelnde" Subjekt hier (mit Prädikat usw.). Wie "dichten" genau zu verstehen ist, bleibt hier auch offen wie ich finde und ich sehe auch kein "handfestes Indiz" wie es genau zu verstehen sein soll.. Das Denken auf den Menschen bezogen wird (die menschliche Existenz) ist mir klar, aber ich bin nicht ganz sicher, ob der Mensch hier im Gedicht Heideggers das Denken "betrachtet"....eher scheint mir wie gesagt, dass
"allgemein" Aussagen über das Denken gemacht werden...
Das Rosen
keine Warum-Fragen stellen , scheint mir ebenfalls klar und man kann das ganze natürlich vor dem Hintergrund sehen, was in Zeile 10 des Gedichtes über das Fragen und Denken gesagt wird...also das Denken, welches sich Fragen aussetzt und die Rosen welche ohne Fragen beantworten zu müssen, einfach nur "dichten" eben
...das Handeln des Denkens ist also das "Fragen" für Heidegger, während das Handeln der Rosen eben das "Dichten" ist...so würde ich es jedenfalls verstehen ....
Die Stelle in Zeile 17 , wo von "Alles-Freyen"die Rede ist, verstehe ich so, dass Heidegger hier von den "
freien" Menschen spricht, die eben zugleich auch sterblich sind...die
Denkenden sind die freien Menschen, welche die
Freiheit zum Fragen haben...es gibt so gesehen eine
Freiheit des Fragens...und das Denken stellt sich diesen Fragen bzw. bringt diese auch hervor, selbst wenn diese die eigene Existenz betreffen (und vielleicht sogar "i
n Frage stellen"?). Wenn es eine Freiheit des Fragens gibt , kann man natürlich auch "alles fragen". Das Denken, was eben auch als eine Art "Ruf" fungieren kann, kann deshalb vielleicht auch eine Art
Heilfunktions ausüben ...also die Frage , welche dazu führen, über die
eigene Existenz "nach-zu-denken" (was vielleicht auch als ein "
Sich-Selbst-in -Frage- Stellen" gesehen werden könnte...und dann hätte es auch
einen positiven /heilenden "Zweck" usw... Das wäre eine Vorschlag zur Deutung dieser nicht einfachen Stelle, die zugegebener Weise nach wie vor "tricky ist
", kurz die letzten vier Zeilen sind schon eine gewisse Herausforderung hinsichtlich des Verständnisses... ob ich jetzt den richtigen "Sinn" dieser Stelle getroffen habe, weiß ich jetzt natürlich nicht... es ist eben nur ein Interpretationsversuch (zu später Stunde, man verzeih es mir...)
Ob der "weiselose Ruf" im Sinne von Weisheit oder Un-Weisheit verstanden werden soll, da bin ich auch zugegebenerweise etwas unschlüssig... man könnte das natürlich so sehen ...dann wäre
Denken allerdings ohne Weisheit, was vielleicht "bedauerlich" wäre... (denn die Denkenden, meist die Philosophen, gelten ja meist als "weise".....(aber es klingt schon nachvollziehbar, wenn du sagt, dass die Fragen hier eben keine Richtung vorgeben für die eigene Existenz und insofern vielleicht als un-weise gesehen werden sollten....zur Unterscheidung Relativsatz/Konditionalsatz kann ich jetzt erstmal hier nicht viel weiter sagen....ich würde den Ruf auf das Denken erstmal nur beziehen wollen...und ja natürlich kommt die Stelle mit dem "Heilem" in Zeile 20 einem plötzlich wie aus dem Hut gezaubert vor...ich würde sagen, dass "Heilem der Behuf" bzw. "
Heilem der Zweck" in Bezug zum Denken gebracht werden. also der "Zweck"/Behuf des Denkens, was eben auch zur Heilung führen soll (eben eine
heilende Funktion für die menschliche Existenz, die das
Denken hat> so würde mir die Stelle als sinnvoll erscheinen, was meinst du? Jedenfalls könnte ich mir gut vorstellen, dass dies vermutlich in Heideggers Sinne wäre...
Das wir das Gedicht in seiner Qualität teils unterschiedlich bewerten , das ist nun klar mittlerweile. Ich denke schon, dass Heidegger hier den Anspruch erhebt ein (ernstzunehmendes) Gedicht verfasst zu haben, was in der Qualität sich durchaus zum Beispiel mit
Nietzsches (philosophischen)
Gedichten messen kann (und bei Nietzsche würde man ja nicht unbedingt sagen, dass es bei seinen Gedichten sich um eine Satire auf Gedichte handelt oder?) > Heideggers Gedichte können natürlich unfreiwillig komisch wirken , sie sind aber glaube ich doch auch eben ernsthaft verfasst (sowie Nietzsches Gedichte eben...> ein
besserer Philosophen -Vergleich im Hinblick auf das Verfassen von Gedichten fällt mir da nicht ein; kurz: weitere Philosophen, die Gedichte verfasst haben, sind mir erstmal nicht bekannt)...Ich glaube ihm würde nicht gefallen, wenn man hier von "Satire" sprechen würde....aber man muss natürlich nicht Heideggers Meinung sein...Ob das Gedicht aus einem "Zettelkasten" stammt oder nicht bzw. aus welchem Kontext genau (ob nun
Nachlass-Gedicht oder nicht) , weiß ich es jetzt nicht natürlich und müsste man ggf. nachschauen> in welchem Band der Heidegger Gesamtausgabe das Gedicht zu finden ist, hatte ich ja anfangs angegeben ..man müsste vielleicht nochmal schauen, ob das Gedicht selbst schon eben zum Nachlass gehört oder zu Lebzeiten eben veröffentlicht worden in seinen Schriften...Auch zu diesem Punkt kann ich erstmal nicht mehr sagen (zum Kontext des Gedichtes)...
Soweit aber erstmal (und das reicht auch für die späte Stunde)..Ich bin der Meinung , dass die bisherige "Gedichtanalyse"/Diskussion des Gedichtes schon etwas an Erkenntnissen gebracht hat und ich auch recht spannend/interessant finde (wobei noch nicht soviel gesagt worden ist , über die "
Reime", die Heidegger hier verwendet> wirken die gelungen oder eher "billig" ?(also "dichten"/"lichten", "Ruf"/"Behuf", "Dank" /"Rank", "Sein"/"Pein" usw.).. aber das Ganze ist schon mal nicht schlecht , was bisher analysiert hier worden ist (wie sowas wohl im Deutsch-Unterricht /Schul-Unterricht besprochen werden würde?
oder unter Gedichts- "Experten" ?....Aber es wird jetzt doch recht spät...soweit an Gedanken , Assoziationen zu diesem Thema und das hier als etwas "verspäteter" Beitrag (im wahrsten Sinne des Wortes)...