Sprache der Sinne und Sprache des Begriffs

In diesem Forum geht es um alle Formen der Literatur und Poesie
Hermeneuticus
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Mo 14. Aug 2017, 19:11

Nicht zu vergessen: der Rhythmus, der zum Teil die Wortstellung und vielleicht auch die Wortwahl mitbestimmt haben dürfte. Und ein weiterer Punkt ist die Verrätselung, die durch den gedanklichen Sprung zwischen dem ersten und dem zweiten Zeilenpaar stattfindet: Wie kommt der Autor vom nahen, schwer zu fassenden Gott plötzlich auf die Gefahr?




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Jörn Budesheim
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Di 15. Aug 2017, 05:47

Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 09:26
Daraus, dass wir so abstrahieren können, folgt also nicht, dass wir es müssen
Und daraus dass wir können (uns also mit maison und Haus auf dasselbe zu beziehen), folgt dass der Unterschied zwischen Formen und Inhalt besteht. :)




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Jörn Budesheim
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Di 15. Aug 2017, 05:51

Friederike hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 09:12
Ich möchte nur zu meinem besseren Verständnis nachfragen, ob Eure Aussagen in den beiden Zitaten diesselben sind.
Ja, das Gefühl, dass das im Grunde auf dasselbe in anderen Worten hinausläuft, hatte ich auch.




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Jörn Budesheim
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Di 15. Aug 2017, 06:23

Friederike hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 15:00
Austauschbarkeit
Ja, die Zeichen, die wir für Wörter nutzen, sind arbiträr. Sie könnten eben auch ganz andere sein und in der Regel sind sie es oft auch. Und dieser Umstand führt dazu, dass sich Haus auf Laus reimt, während das bei maison nicht der Fall ist :) der semantische Dienstwert kann hier derselbe sein, aber der Materialwert, um den es in Gedichten eben auch gehen kann, ist offensichtlich nicht derselbe. In einer berühmten Formulierung, die ich im Moment leider nicht im Wortlaut finde, heißt es dazu sinngemäß, dass sich in Gedichten oft ein "eigentümliches Verharren zwischen Sinn und Laut" findet.

Das kann, muss aber nicht, oft auch dazu führen, dass uns der Materialwert der Wörter, der uns ansonsten nicht auffällt, weil Wörter in der Regel transparent sind, plötzlich anstarrt oder ähnliches. Vergleichbares kommt in dieser berühmten Formulierung zum Ausdruck: Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück. (Karl Kraus)




Hermeneuticus
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Di 15. Aug 2017, 08:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 15. Aug 2017, 05:47
Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 09:26
Daraus, dass wir so abstrahieren können, folgt also nicht, dass wir es müssen
Und daraus dass wir können (uns also mit maison und Haus auf dasselbe zu beziehen), folgt dass der Unterschied zwischen Formen und Inhalt besteht. :)
Nein, das folgt nicht. Es folgt vielmehr, dass es sich bei dieser Unterscheidung um ein Hilfsmittel der Interpretation handelt, dessen wir uns bedienen können - wenn es uns denn als zweckdienlich erscheint -, aber nicht müssen.




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Jörn Budesheim
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Di 15. Aug 2017, 11:13

Hermeneuticus hat geschrieben :
Di 15. Aug 2017, 08:29
Nein, das folgt nicht. Es folgt vielmehr, dass es sich bei dieser Unterscheidung um ein Hilfsmittel der Interpretation handelt, dessen wir uns bedienen können - wenn es uns denn als zweckdienlich erscheint -, aber nicht müssen.
Hmm, darauf können wir uns nicht einigen. Wenn X ohne Y (und umgekehrt) vorkommen kann, dann müssen wir X und Y als getrennte Entitäten betrachten. Da die Bedeutung "Haus" ohne die Zeichenfolge/Lautfolge "Haus" vorkommen kann und die Lautfolge "Haus" jederzeit was anderes bedeuten kann oder natürlich auch nichts, müssen wird beide zwingend als verschiedene betrachten - da beißt die Maus keinen Faden ab, meine ich.




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Friederike
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Di 15. Aug 2017, 13:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 15. Aug 2017, 11:13
Hermeneuticus hat geschrieben :
Di 15. Aug 2017, 08:29
Nein, das folgt nicht. Es folgt vielmehr, dass es sich bei dieser Unterscheidung um ein Hilfsmittel der Interpretation handelt, dessen wir uns bedienen können - wenn es uns denn als zweckdienlich erscheint -, aber nicht müssen.
Hmm, darauf können wir uns nicht einigen. Wenn X ohne Y (und umgekehrt) vorkommen kann, dann müssen wir X und Y als getrennte Entitäten betrachten. Da die Bedeutung "Haus" ohne die Zeichenfolge/Lautfolge "Haus" vorkommen kann und die Lautfolge "Haus" jederzeit was anderes bedeuten kann oder natürlich auch nichts, müssen wird beide zwingend als verschiedene betrachten - da beißt die Maus keinen Faden ab, meine ich.
Ich bin total gespannt, Hermeneuticus, was Du antworten wirst, weil ich mich Jörn vorerst anschließe, und aber vermute, daß Dein Punkt "irgendwie" (tja, weniger schwammig geht es nicht) ein anderer ist. Daß Du, wie soll ich sagen, in einem ganz anderen Muster denkst. Ich füge noch ein Zitat aus einem Deiner gestrigen Beiträge hinzu, weil mir im obigen Zitat nicht klar ist, was Du mit "Interpretation" meinst, und ob ich Dir näher auf der Spur bin, wenn ich anstelle von Interpretation "Abstraktion" einsetze. Verfahre ich so, dann scheint es mir allerdings noch seltsamer, wie man meinen kann, des Hilfsmittels der Unterscheidung könne man sich zwar bedienen, müsse es aber nicht. Wie sollte das denn gehen, ohne daß wir jeder Art von gemeinsamer Bezugnahme auf irgendein "X" als "X" verlustig gingen? Kurz noch zur Vergewisserung. Wir sind uns einig, daß wir bei diesem Punkt jetzt nicht mehr speziell über die Poesie sprechen, sondern allgemein über die Sprache?
Hermeneuticus hat geschrieben : Um mit zwei verschiedenen Ausdrücken "dasselbe" sagen zu können, müssen wir eine Abstraktion vornehmen. Wir müssen also zunächst einmal entscheiden, was wir als das Gleichbleibende, Äquivalente betrachten wollen, von dem ausgehend wir die faktisch verschiedenen Ausdrücke als austauschbar betrachten dürfen. "Dasselbe" sagen wir mit "Haus" und "maison" also nur als Resultat einer Reflexion und Abstraktion. Und die könnten wir auch bleiben lassen. Oder einer der Sprecher könnte sich weigern, der vorgeschlagenen Abstraktion zu folgen - vielleicht, weil er feine Bedeutungsunterschiede zwischen "Haus" und "maison" sieht, auf die er nicht verzichten möchte.




Hermeneuticus
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Di 15. Aug 2017, 21:37

Friederike hat geschrieben :
Di 15. Aug 2017, 13:00
Ich bin total gespannt, Hermeneuticus, was Du antworten wirst, weil ich mich Jörn vorerst anschließe, und aber vermute, daß Dein Punkt "irgendwie" (tja, weniger schwammig geht es nicht) ein anderer ist.
Ach, ich will Euch nicht daran hindern, die Sprache in die beiden Entitäten "Form" und "Inhalt" aufzuteilen, die unabhängig voneinander existieren... ;)




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Jörn Budesheim
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Mi 16. Aug 2017, 06:44

Das ist allerdings keine richtige Wiedergabe dessen, was ich gesagt habe :) am ehesten liest sich dieser Punkt wohl klären, wenn du auf das Argument einfach eingehst. Deswegen sind wir schließlich hier, um die Stimmen der Vernunft zu hören und darüber zu diskutieren :-)




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Mi 16. Aug 2017, 11:14

Ich war gestern zu müde, um mich mit der Behauptung auseinanderzusetzen, Inhalt und Form seinen als zwei "Entitäten" x und y zu betrachten, da sie unabhängig voneinander "vorkommen" können. Mir widerstrebt es auch jetzt noch, dagegen zu argumentieren. Stattdessen empfehle ich folgendes Experiment: Nehmt Euch ein beliebiges Gedicht und listet dann in zwei Spalten die Entitäten (samt ihren Eigenschaften) auf, die eindeutig "Form" und eindeutig "Inhalt" sind. Viel Spaß dabei! :D




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Mi 16. Aug 2017, 11:33

Oder betrachtet ein Glas, das halb mit Wein gefüllt ist:

Welche Entität ist die Form, welche Entität ist der Inhalt?

Nachdem Ihr den Wein ausgetrunken habt, betrachtet Ihr das leee Glas und sagt mir:

Ist das nun eine reine, inhaltslose Form? Oder hat auch das leere Glas etwas an sich, das nicht Form ist? Und ist dieses Etwas eine eigene "Entität", die unabhängig von der Form existiert?




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Jörn Budesheim
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Mi 16. Aug 2017, 12:19

Friederike hat geschrieben :
Di 15. Aug 2017, 13:00
Wir sind uns einig, daß wir bei diesem Punkt jetzt nicht mehr speziell über die Poesie sprechen, sondern allgemein über die Sprache?
Anscheinend nicht :-)




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Friederike
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Mi 16. Aug 2017, 14:17

Ich habe die von Dir vorgeschlagene Bildbetrachtung vorgenommen, Hermeneuticus. Zwar komme ich mir vor wie ein schwankendes Blatt im Winde, aber was mir jetzt einleuchtet, das ist Deine Aussage, man könne Inhalt und Form trennen, müsse es aber nicht. Es sei eine Frage der Interpretation. Zurück zum Gedicht: Man kann den Text auf Metaphern, auf Reime, auf Wortstellungen, auf verwendete Laute (Vokale, Konsonanten) hin untersuchen, und davon getrennt kann man dann wie Humboldt einzelne Aussagen rausklamüsern: Kann man tun, muß man aber nicht. Genauso ist es eine Entscheidung, ob man mit Wörtern wie "Haus" + "maison" auf diese auseinanderdividierende Weise verfährt oder nicht.




Hermeneuticus
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Mi 16. Aug 2017, 14:25

Da poetische Sprache ein spezifischer Fall von Sprache ist, und da es genau darum geht, das Spezifische der poetischen Sprache zu bestimmen, lässt sich wohl über das Eine nicht sinnvoll sprechen, ohne das Andere mit im Blick zu behalten. Wir sind also mitten im Thema.




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Jörn Budesheim
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Mi 16. Aug 2017, 14:30

Kein sprachlicher Inhalt kann ohne Form überhaupt daher kommen. In dieser Hinsicht kann man Inhalt und Form natürlich nicht trennen. Inhalt kommt immer in Form von Form daher. Anderes ist aber auch nicht behauptet worden. Wir können jedoch alle Inhalte in verschiedene Formen packen und zu [Haus] maison, kuća oder house sagen. Insofern lässt sich der Inhalt zweifellos von der Form unterscheiden, weil gar nicht in Zweifel gezogen werden kann, dass der gleiche Inhalt in verschiedenen Formen auftauchen kann. Ich denke, dass Hermeneuticus, diese beiden Aspekte vielleicht etwas vermischt hat :-)

Falls wir zu dem Punkt kommen, wo wir uns darauf einigen, dass [Haus] maison, kuća oder house heißen kann, aber immer "irgendwie" heißen muss, dann können wir vielleicht zu dem Punkten kommen, die die poetische Sprache von der Alltagssprache unterscheidet (wobei es sicher Abstufungen gibt). :-)




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Mi 16. Aug 2017, 16:30

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 16. Aug 2017, 14:30
Kein sprachlicher Inhalt kann ohne Form überhaupt daher kommen. In dieser Hinsicht kann man Inhalt und Form natürlich nicht trennen. Inhalt kommt immer in Form von Form daher. Anderes ist aber auch nicht behauptet worden.
Das hier behauptet das Gegenteil:
Jörn hat geschrieben : Wenn X ohne Y (und umgekehrt) vorkommen kann, dann müssen wir X und Y als getrennte Entitäten betrachten. Da die Bedeutung "Haus" ohne die Zeichenfolge/Lautfolge "Haus" vorkommen kann und die Lautfolge "Haus" jederzeit was anderes bedeuten kann oder natürlich auch nichts, müssen wird beide zwingend als verschiedene betrachten...
Wir MÜSSEN Lautfolge (Form) und Bedeutung (Inhalt) als "getrennte Entitäten" - also als zwei verschiedene Dinge, Substanzen - betrachten, weil das eine ohne das andere vorkommen kann.

Und dagegen richtet sich meine Kritik. Das halte ich für eine falsche Verdinglichung von bloß analytischen Aspekten, die wir - vermittels Abstraktion - an Gegenständen unterscheiden können, wenn es uns zweckmäßig scheint.

Dies darf man eigentlich seit Aristoteles als geklärt voraussetzen, der bereits gezeigt hat, dass die Unterscheidung von Form und Materie bloß eine begriffliche und somit relative ist. Denn es gibt kein Form-Ding, das ohne Materie wäre, und kein Materie-Ding ohne Form. (Beispiel: Die Steine, aus denen ein Haus besteht, sind, relativ zum Haus, dessen Materie. Aber wenn diese Steine noch unverbaut auf der Baustelle liegen, sind an ihnen wiederum Form und Materie zu unterscheiden; d.h. die Steine - die Materie des Hauses - haben ihrerseits eine Form.)




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Jörn Budesheim
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Mi 16. Aug 2017, 16:41

Entität ist alles, wozu man "etwas" sagen kann. Das müssen keineswegs Dinge oder Substanzen sein. Der obige Beweis ist bisher auch nicht wiederlegt und ich bin bereit ihn gegen deine Einwände zu verteidigen. Ich bin darauf gespannt :-)

Du müsstest also zeigen, dass die Prämisse: man kann den Begriff [Haus] maison, kuća oder house in vielen verschiedenen Weisen ausdrücken falsch ist. Oder du müsstest zeigen, dass daraus nicht folgt, dass man Form und Inhalt in der Weise, wie es hier im Thread de facto geschehen ist (und nicht etwa in einer anderen Art und Weise) unterscheiden kann und muss. Das bist du bisher schuldig geblieben.




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Mi 16. Aug 2017, 16:47

Also gibt es doch ein abgetrenntes Etwas (ousia, substantia, Ding) namens Form und ein abgetrenntes Etwas namens Inhalt? Oder gibt es das eine immer nur in Verbindung mit dem anderen? Was genau behauptest Du?




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Jörn Budesheim
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Mi 16. Aug 2017, 16:56

Wenn X ohne Y (und umgekehrt) vorkommen kann, dann müssen wir X und Y als getrennte Entitäten betrachten. Da die Bedeutung "Haus" ohne die Zeichenfolge/Lautfolge "Haus" vorkommen kann und die Lautfolge "Haus" jederzeit was anderes bedeuten kann oder natürlich auch nichts, müssen wird beide zwingend als verschiedene betrachten...

Da man - wie jeder weiß - die selbe Bedeutung in verschiedenen Formen ausdrücken kann, sind Bedeutung und Form verschieden.

Was ist dein Argument dagegen?




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Mi 16. Aug 2017, 17:04

Ich steige aus. Das wird hier zu vernünftig für mich...
:mrgreen:




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