Sprache der Sinne und Sprache des Begriffs

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Jörn Budesheim
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So 15. Apr 2018, 17:38

Friederike hat geschrieben :
So 15. Apr 2018, 14:04
Bedeutungsüberschuß des Denkens über die Sprache (Blumenberg)
Der Idee, die Sprache sei für unser Denken im Grunde zu grob, stehe ich fast feindlich gegenüber. Der Gedanke ist mir total unsympathisch und ich hoffe innigstlich dass er falsch ist :)

Müsste beim Lesen nicht immer ein ganz schales Gefühl bleiben, dass die Sprache wieder mal gegenüber dem Denken versagt hat? Ist die Erfahrung bei guten Gedichten und guten Texten nicht genau umgekehrt? Können nicht interessante Wörter, Begriffe, Formulierungen unserem Denken ganz neue Nuancen der Welt eröffnen?

Also ich wage es: ich wette gegen Blumenberg. Wer hält dagegen?




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Friederike
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So 15. Apr 2018, 18:40

Da ich mich, wie ich finde, bisher recht bedeckt gehalten habe, darf ich mir noch überlegen, ob ich an der Wette teilnehme bzw. welche Position ich einnehme. 8-) Aber @'Alethos' ist nun eigentlich dran. :P




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Alethos
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So 15. Apr 2018, 18:48

Ich halte dagegen und gehe die Wette ein. Mein Einsatz ist aber gering: Ich setze meine Vermutung :)



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Jörn Budesheim
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So 15. Apr 2018, 18:53

:-)




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Alethos
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So 15. Apr 2018, 19:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 15. Apr 2018, 17:38
Der Idee, die Sprache sei für unser Denken im Grunde zu grob, stehe ich fast feindlich gegenüber. Der Gedanke ist mir total unsympathisch und ich hoffe innigstlich dass er falsch ist :)

Müsste beim Lesen nicht immer ein ganz schales Gefühl bleiben, dass die Sprache wieder mal gegenüber dem Denken versagt hat? Ist die Erfahrung bei guten Gedichten und guten Texten nicht genau umgekehrt? Können nicht interessante Wörter, Begriffe, Formulierungen unserem Denken ganz neue Nuancen der Welt eröffnen?
Ja, das können sie wohl. Aber es bleibt immer eine Lücke, die sich mit noch so vielen schönen oder passenden Wörtern einfach nicht schliessen lässt.

Der Überschuss von Gefühlen in Sprache ist zugleich Ausdruck eines Mangels an fehlendem Vokabular, die feinen Nuancen im Denken zu Papier zu bringen. Der Weg des Gedankens über den Arm und die Bleistiftspitze hinaus in die Welt ist ein sich verengender, verjüngender, so dass es vorkommen kann, dass sich die Gedanken und Gefühle an der Spitze stauen. Sie wollen hinaus (du wirst dieses Konzept nicht mögen, weil du das Innen-Aussen-Schema für überholt hältst), aber sie kommen manchmal nicht raus. Und dann versucht man, den Text neu zu formulieren, zu überarbeiten, damit diesen Gedanken ein guter Ausgang gegeben sei in diese krude Welt :)

Ich bin, ich gebe es zu, in dieser Hinsicht voller Hoffnung, dass Kommunikation gelingt, aber nur zum Preis eines Verzichts, eines Verzichts auf die Vorstellung, dass das, was man sagen will, vollständig begreiflich zu machen ist. Und so ist auch das Zuhören oft ein Versuch, das Gesagte zu ergänzen, indem man es einfügt in das Ungesagte. Nicht, weil es der andere zu sagen nicht vermöchte, sondern weil es keine Satzform gibt für das, was man fühlt.



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Jörn Budesheim
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Mo 16. Apr 2018, 08:09

Alethos hat geschrieben :
So 15. Apr 2018, 19:00
Der Überschuss von Gefühlen in Sprache ist zugleich Ausdruck eines Mangels an fehlendem Vokabular, die feinen Nuancen im Denken zu Papier zu bringen.
Nehmen wir eine Analogie. Wir stellen uns fünf Personen vor, die alle eine individuelle Sprache sprechen. Jede dieser Sprachen sei gleich komplex und leistungsstark. Zugleich nehmen wir an, dass alle diese Sprachen hochgradig spezialisiert sind. Also: Manches was, in der einen Sprache leicht von der Zunge geht, ist in der anderen nur mit Mühe oder gar überhaupt nicht auszudrücken. Jede dieser Sprachen kann in ihrem Bereich ausdrücken, die die anderen Sprachen nur bedingt nachvollziehen kann. Das würde bedeuten, dass das, was beim Übersetzen wie ein Bedeutungsüberschuss der einen Sprache gegenüber der anderen Sprache aussehen mag, auf nichts anderem beruht als dem Umstand, dass diese Sprachen eben verschieden und verschieden spezialisiert sind.




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Alethos
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Mo 16. Apr 2018, 13:18

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 16. Apr 2018, 08:09
Wir stellen uns fünf Personen vor, die alle eine individuelle Sprache sprechen. Jede dieser Sprachen sei gleich komplex und leistungsstark. Zugleich nehmen wir an, dass alle diese Sprachen hochgradig spezialisiert sind. Also: Manches was, in der einen Sprache leicht von der Zunge geht, ist in der anderen nur mit Mühe oder gar überhaupt nicht auszudrücken.
Ich sehe schon, die Wette gilt. :)

Deine Analogie verstehe ich so, dass ein Überschuss zwischen den Sprachen programmiert ist, der sich aus dem Umstand der Sprachverschiedenheit gibt. Weil Sprache A eine andere ist als Sprache B, komme es zu einem Überschuss, der aber ein Überschuss der fehlenden Korrespondenz einer Sprache mit der anderen ist.

Was an dieser Analogie auffält, ist die 'petitio-principii-eske' Anordnung der Sprachen als vorweg diskongruente. Es ist doch dabei nicht gesagt, dass diese Sprachen sich nicht perfekt übersetzen liessen, schliesslich handelt es sich ja um hochgradig spezialisierte Sprachsysteme. Es ist denkbar, dass die Bedeutungsinhalte einwandfrei (wenn auch nicht je sprachintern vollumfänglich) in diesen Sprachen abgebildet werden können und dass es eine perfekte Übersetzung für die jeweiligen Begriffe gibt. Sprachen A und B wären lediglich dem fregeschen Sinn nach andere, aber inhaltlich wären sie deckungsgleich.

Was ich meine ist aber nicht eine solche übersetzungsbedingte Deffizienz, falls es sie denn zum Zweck des anschaulichen Beispiels geben soll, zwischen einer Sprache und der anderen, sondern zwischen einer Sprachlosigkeit und einer Sprache.

Dass wir Wörter kreieren, dass wir neue Begriffe entstehen lassen, um diesen Nuancen Ausdruck zu verleihen, dass zeigt doch, dass da vorher etwas sein muss, das noch nicht adäquat ausgedrückt werden konnte, welches dann anstiess, dass es in Sprache sich verwirkliche, um ausprechbsr zu sein.

Das würde aber heissen, dass nicht der Begriff die Bedeutung gibt, wenn er sie auch intensional in sich trägt, sondern es würde heissen, dass die Bedeutung den Begriff ausformt. Es gibt doch auch nicht hier einen Morgen- und da einen Abendstern, sondern es gibt die (fregesche) Bedeutung, nämlich das zu Bezeichnende, also das Objekt am Himmel, das dem Begriff seinen Sinn gibt.
Und dieses Vorgelagertsein von Bedeutung vor Sinn ist doch ein starkes Indiz für die Annahme, dass es auch bei Gefühlen und Vorstellungen so ist, dass zunächst sie in unaussprechlicher Form vorhanden sind und erst danach ausformuliert werden?



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Jörn Budesheim
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Mo 16. Apr 2018, 13:51

Das ist eigentlich keine petitio, sondern eine Versuchsanordnung, die zeigen soll, dass das "Übersetzungsproblem" auch bei "ebenbürtigen" Systemen denkbar ist. Ziel ist für bekannte Phänomene eine andere (nichtromantische) Lösung anzubieten.

Wenn ich nämlich das Gefühl habe, ich kann etwas nicht ausdrücken, weil es dafür nicht die richtige Worte gibt, dann muss das nicht von einem Bedeutungsüberschuß des Denkens über die Sprache herrühren, sondern lässt sich auch ohne Überschuss (egal auf welcher Seite) erklären, sondern einfach dadurch, dass beide Bereiche ggf. einfach verschieden, jedoch gleich "leistungsstark" sind.




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Friederike
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Mo 16. Apr 2018, 15:18

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 16. Apr 2018, 13:51
Wenn ich nämlich das Gefühl habe, ich kann etwas nicht ausdrücken, weil es dafür nicht die richtige Worte gibt, dann muss das nicht von einem Bedeutungsüberschuß des Denkens über die Sprache herrühren, sondern lässt sich auch ohne Überschuss (egal auf welcher Seite) erklären, sondern einfach dadurch, dass beide Bereiche ggf. einfach verschieden, jedoch gleich "leistungsstark" sind.
Mangels Zeit werfe ich die "Feinkörnigkeit des Begrifflichen" erläuterungslos in den Raum. Eigentlich geht es dabei um den Streit, ob die Wahrnehmung durch das begriffliche Denken einzuholen sei und D. Lauer vertritt in diesem Aufsatz die These, daß phänomenale Begriffe dies theoretisch leisten.




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Jörn Budesheim
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Mo 16. Apr 2018, 15:19

Bezieht sich eigentlich nicht auf den vorherigen Post von Friederike, sondern ist nahezu zeitgleich geschrieben, passt aber irgendwie: Jeder kennt doch den Spruch: "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte", weniger bekannt, aber ebenso schön ist die Antwort: "Sag das mal mit einem Bild!"




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Jörn Budesheim
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Mo 16. Apr 2018, 20:30

Aspekte der Malerei

und jeden Tag der Blumenstrauß
im Milchglasfenster vis-à-vis
ich ahne Tulpenrot in altem Blechgeschirr,
und weißen Phlox, und Doldengelb sehr murmelnd.
("Es auseinanderblutet wie der heilige Geist ...")




...................................................

Ich wollte noch was nachtragen, habs aber beinahe vergessen: Es war ein gewisser Battista Alberti, der in einem Text über die Malerei bereits 1435 die Metapher vom Bild als einem offenen Fenster zur Welt wirkmächtig in der Welt setzte. Für uns als das "Haustier" schlechthin (um einen Ausdruck von Peter Sloterdijk zu verwenden) ist das Fenster beinahe eine anthropologische Konstante :-) und dürfte Künstler aller Arten seit jeher fasziniert haben.



Bild

Vilhelm Hammershoi



Bild

Pierre Bonnard




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Alethos
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Mo 16. Apr 2018, 23:40

Friederike hat geschrieben :
Mo 16. Apr 2018, 15:18
Mangels Zeit
Vielen Dank, Friederike.

Mangels Zeit werfe ich vorerst nur ein, dass ich diesen Text sehr gerne lesen werde, weil er verspricht, uns in unserer Diskussion weiterzubringen. Nach diesem Text hätte Jörn die Wette wenigstens theoretisch gewonnen :)



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Friederike
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Di 17. Apr 2018, 17:49

Mangels Zeit sage ich nur Danke für Bilder, Worte, Sätze, Eure Antworten, das Wettangebot, das mir besonders gut gefallen hat. Und ich habe nach wie vor keine Meinung, besser wohl keine Überzeugung, was nun richtig ist. Aber das stört hier ja zum Glück nicht.




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Alethos
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Di 17. Apr 2018, 21:45

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 16. Apr 2018, 15:19
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte
Nur kurz, weil ich schon wieder auf dem Weg ins Ausland bin.

Was heisst die obige Wendung eigentlich?

Wenn Sprache ein Zusammenwirken von Begriffen in Texten ist, das Bedeutung vollständig wiederzugeben vermöchte, ja, deren Zusammenwirken das Ganze dieser Bedeutung darstellte, was ich bezweifle, dann gibt es einen schier unendlichen Bedarf an Begriffen und begrifflichen Konnexen, um alles zu bedeuten, was es zu bedeuten gibt. Denn wenn ein Bild mehr als tausend Worte sagt, aber nie alles ausdrücken kann, was es auszudrücken gibt, wie sehr müssen denn Worte versagen beim Versuch der vollständigen Wiedergabe von Bedeutung, da sie mehr als tausend Mal weniger sagen als ein Bild?

Ein Bild, das hat ja nie eine Rückseite. Eine ganze Hälfte, mindestens, bleibt doch im ewigen Schatten der nie gezeichneten Ansicht?



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Friederike
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Do 19. Apr 2018, 08:37

"Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte" interpretiere ich so, daß ein Bild mit einem Schlag ... nein, auf einen Blick ist besser, auf einen Blick Aussagen, Informationen, Botschaften erkennen läßt, die zu vermitteln es mindestens 1001 Worte braucht. Man kann die Wortzeichen nur nacheinander lesen, was Zeit in Anspruch nimmt. Das Bild hingegen ermöglicht die Erfassung von einer oder mehreren Bedeutungen in einem Moment.

Wenn man vor allem an (Total-)Eindrücke, Gefühle, Stimmungen und weniger an Aussagen denkt, dann ist das Bild wohl wirkmächtiger als 1000 Worte ... als 1000 Worte ganz gewiß, aber 3 Worte leisten unter Umständen dasselbe wie ein Bild.




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Friederike
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Do 19. Apr 2018, 08:47

Alethos hat geschrieben :
Di 17. Apr 2018, 21:45
Ein Bild, das hat ja nie eine Rückseite. Eine ganze Hälfte, mindestens, bleibt doch im ewigen Schatten der nie gezeichneten Ansicht?
Ich weiß zwar nicht genau, was Du meinst @Alethos, aber ich verstehe Deine Äußerung so, daß ein Bild keine Negation enthält bzw. keine Negation sein kann. Wittgenstein zumindest war dieser Auffassung. Wie soll man malen oder zeichnen, daß zwei Menschen sich nicht küssen? Ich habe das schon einmal geschrieben, und ich erinnere mich, daß Du @Jörn damals "irgendetwas" dagegen eingewendet hattest. Das Argument erinnere ich allerdings nicht mehr. Und da ich es nicht erinnere, schließe ich, daß es mich wohl nicht überzeugt hatte.




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Alethos
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Do 19. Apr 2018, 22:44

Friederike hat geschrieben :
Do 19. Apr 2018, 08:47
ich verstehe Deine Äußerung so, daß ein Bild keine Negation enthält bzw. keine Negation sein kann.
Ich vermute, ich habe ein ähnliches Verständnis wie du betreffend die Interpretation der Wendung 'Ein Bild sagt mehr als tausend Worte'. Ich denke aber, dass ein Bild eine Negation sein kann und tatsächlich immer ist.

Ein Bild beinhaltet Informationen, eine nicht durch Sprachregeln konstituierte Bedeutung. Sie geht aus der Anordnung aller in ihm enthaltenen Tatsachen hervor. Im Bild beinhaltet sich die Realität seiner Bedeutung in diesen Gegenständen und es gibt keine Regel, nach denen verfahren werden müsste, damit diese Bedeutung vorkomme. Es wird im Bild auf einen Blick das Ganze der Bedeutung sichtbar, wenn auch mehrere und viele, manchmal sogar nicht abschliessend viele Blicke nötig sind, um sie zu erfassen. Die Bedeutung ist aber gegeben durch das Ganze des Bildes.

Nun, vergleichen wir es mit der Bedeutung, die wir in Sprache kodieren können, und wir stellen fest, dass in diesen semantischen Schemata und den noch so ausgeklügelten Begriffen von alledem, was im Bild in einem Augenblick offenbar werden könnte, nicht dargestellt werden kann in dieser Unmittelbarkeit. Es wird nur vermittelt werden können durch den Begriff. Wenn es aber Unmittelbarkeit zum Bild gibt und Vermittelbarkeit über den Begriff, so kann es nicht sein, dass alles immer ein Landen in Sprache ist, wie es Wittgenstein suggeriert, weil es sich zeigt, dass das Unmittelbare auch unvermittelt bleiben kann.

Selbst ein Bild ist ja nur eine Perspektive, ein Abbild des ganzen Bilds. Das ist, was ich sagen wollte. Ein Blick aus dem Fenster ist immer zugleich die Negation des Sichtbaren, indem alles andere nicht sichtbar wird, weil es diese Perspektive nicht liefeet. Bilder und Worte sind, wenn auch Affirmationen einer Realität, zugleich auch Ausblendungen dessen, was sie bedeutet.

Und ich denke, wir können Gefühle dahingehend beschreiben, dass sie eine solche 'ganze Realität' sind, die, wenn sie uns auch verborgen oder teilverborgen bleibt, das Unmittelbarste sind, was wir haben. Sie auszudrücken in Bilder und Worten, bedeutet immer ein Ausblenden dessen, was sie auch noch bedeuten.

Sowenig der Begriff 'Ich' mich beinhalten kann als das Wesen, das über sich selbst sagen kann: Ich!, sowenig kann ein Begriff überhaupt stellvertrend sein für die konkrete Wesentlichkeit, die etwas ist, weil es dieses etwas ist.



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Friederike
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Fr 20. Apr 2018, 11:50

Alethos hat geschrieben :
Do 19. Apr 2018, 22:44
Ich denke aber, dass ein Bild eine Negation sein kann und tatsächlich immer ist.
Ahja, in dem Sinne, daß ein Bild nie das ist, wovon es ein Bild ist ("dies ist keine Pfeife"), so? Und da ich es vorhin überlesen hatte, füge ich es später, jetzt hinzu:
Alethos hat geschrieben : Selbst ein Bild ist ja nur eine Perspektive, ein Abbild des ganzen Bilds. Das ist, was ich sagen wollte. Ein Blick aus dem Fenster ist immer zugleich die Negation des Sichtbaren, indem alles andere nicht sichtbar wird, weil es diese Perspektive nicht liefert. Bilder und Worte sind, wenn auch Affirmationen einer Realität, zugleich auch Ausblendungen dessen, was sie bedeutet.
Ja.




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Jörn Budesheim
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Sa 21. Apr 2018, 06:41

Alethos hat geschrieben :
Di 17. Apr 2018, 21:45
Ein Bild, das hat ja nie eine Rückseite. Eine ganze Hälfte, mindestens, bleibt doch im ewigen Schatten der nie gezeichneten Ansicht?
Jetzt bin ich noch mal zu diesem Zitat zurück gekehrt ... und Stelle fest, das "nie" hab ich beim ersten Lesen überlesen. Was ist gemeint? Mein erstes Gefühl: ein Schreibfehler! Oder doch nicht? Versuchen wir eine "Dekonstruktion" :-)

Ich kenne ähnliche Metaphern. Zum Beispiel die "Rückseite des Spiegels". Hier lese ich Spiegel als "Erkenntnis der Welt" und die "Rückseite" lese ich (je nach Kontext) als die natürlichen Voraussetzungen dieser Erkenntnis bzw. als das, was wir beim Erkennen nicht sehen, nämlich das Erkennen selbst, ggf. auch die un- oder unterbewussten Aspekte. So gesehen hat jedes Bild auch eine Rückseite, weil Bilder auch materielle Bedingungen haben. (Ggf. auch ein Verdrängten oder etwas Ausgeblendet werden ... man denke an die Szene, so Derrida über die "Unnatürlichkeit" der gefilmten Interviewsituation spricht, falls jemand schon in den Film reingeschaut hat > https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... f=63&t=391)

Da Bilder aber auch Bürgerrecht in verschiedenen Bildräumen genießen, kann man mit dem gleichen Recht sagen, sie hätten keine Rückseite :-) weil in diesen Räumen die materielle Bedingtheit der Bilder nie thematisch werden kann, da man diese Räume verlässt, wenn die Rückseite in den Blick kommt.

Wenn ich Recht sehe, willst du in eine andere (andere, aber vergleichbare) Richtung: Wann immer ich überhaupt etwas sehe, sehe ich immer nur eine Abschattung der Gegenstände, wiewohl sie mir dennoch nicht als unvollständig erscheinen. Ich sehe nur diese Seite des Steines, meine aber den ganzen Stein zu sehen, obwohl ich die Rückseite nicht vor mir habe. Und das ist bei Bildern, insofern sie etwas "darstellen" - sagen wir einen Blumenstrauß - in einer gewissen Hinsicht ähnlich. Wobei hier das Wort Rückseite plötzlich "seltsam" vielseitig wirkt ... die Rückseite des Bildes, sind seine materiellen Bedingungen, vielleicht auch sein "Nichtgeszeigtes" (das Verdrängte), die Rückseite des Blumenstrauß' ist der Blumenstrauß :-)




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Alethos
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Sa 21. Apr 2018, 11:43

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 21. Apr 2018, 06:41
Da Bilder aber auch Bürgerrecht in verschiedenen Bildräumen genießen, kann man mit dem gleichen Recht sagen, sie hätten keine Rückseite ... in diesen Räumen die materielle Bedingtheit der Bilder nie thematisch werden kann, da man diese Räume verlässt, wenn die Rückseite in den Blick kommt.
Wenn wir es mit dem ontologischen Pluralismus ernst meinen, dann dürfen wir doch mit gutem Grund annehmen, dass die jeweiligen Draufsichten ontologisches Unrecht schaffen :) Insofern gefällt mir deine Vorstellung eines "Bürgerrechts" der Dinge sehr gut.

Aber Sprache bewegt sich nicht einfach an einer Grenze zu den Gegenständen, das möchte ich nicht behauptet haben und müsste hier vielleicht korrigierend vorgreifen auf dieses Missverständnis, falls ich es evoziert hätte. Ich denke nicht, dass Begriffe einfach über die Dinge gelegt werden oder an diese geheftet werden, so dass sie abfallen können wie Post-its, ohne dass das Wesen der Dinge dadurch berührt würde. Im Gegenteil, ich denke, dass auch Begriffe eine ganz ontologische Verwurzelung haben im Wesen eines Dings.

Aber ich denke, dass Perspektiven, Bilder, Begriffe tatsächlich jeweils nur eine Konnotation des Seins der Dinge darstellen. Sie sind Ausformungen der Dinge, sie gehören materialiter und formaliter zu den Dingen. Aber so, wie das Pronomen 'Ich' niemals die Fülle des Seins jenes Wesens erfassen kann, das über sich selbst in der 1. Person sprechen kann, so kann der Begriff oder das Bild nicht für sich in Anspruch nehmen, das volle Wesen des Dings zu umfassen.
Ich denke, wir tun dem ontologisch pluralen Status der Dinge Unrecht, wenn wir sie auf jene für die Vernunft produktiven, epistemischen Aspekte reduzieren.

Und darum glaube ich auch nicht, dass ein Satz einfach so für die volle Realität dessen genommen werden kann, die er zu bedeuten hat, sondern dass er immer zurückbleibt hinter der Würde des ganzen Umfangs der Wirklichkeit dieser Bedeutung.



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