Das chinesische Zimmer

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
Antworten
Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 30. Nov 2018, 10:45

Weil es an anderer Stelle erwähnt wurde nach ich aus diesem Klassiker Mal einen Thread.
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 30. Nov 2018, 09:52
Searles chinesisches Zimmer
John Searle: Geist, Hirn und Wissenschaft 1984, S. 31f hat geschrieben : Stellen Sie sich vor, Sie wären in ein Zimmer einegeperrt, in dem mehrere Körbe mit Chinesischen Symbolen stehen. Und stellen Sie sich vor, daß Sie (wie ich) kein Wort Chinesisch verstehen, daß Ihnen allerdings ein auf Deutsch Regelwerk für die Handhabung dieser chinesischen Symbole gegeben worden wäre. Die Regeln geben rein formal — nur mit Rückgriff auf die Syntax und nicht auf die Semantik der Symbole — an, was mit den Symbolen gemacht werden soll. Eine solche Regel mag lauten: >Nimm ein Kritzel-Kratzei-Zeichen aus Korb und lege es neben ein Schnörkel-Schnarkel-Zeichen aus Korb 2.‹. Nehmen wir nun an, daß irgendwelche anderen chinesischen Symbole in das Zimmer gereicht werden, und daß Ihnen noch zusätzliche Regeln dafür gegeben werden, welche chinesischen Symbole jeweils aus dem Zimmer herauszureichen sind. Die hereingereichten Symbole werden von den Leuten draußen >Fragen< genannt, und die Symbole, die Sie dann aus dem Zimmer herausreichen, >Antworten< — aber dies geschieht ohne Ihr Wissen. Nehmen wir außerdem an, daß die Programme so trefflich und Ihre Ausführung so brav sind, daß Ihre Antworten sich schon bald nicht mehr von denen eines chinesischen Muttersprachlers unterscheiden lassen. [...]

In so einer Lage, wie ich sie gerade be-schrieben habe könnten Sie einfach dadurch, was Sie mit den formalen Symbolen anstellen, kein bißchen Chinesisch lernen. Der Witz der Geschichte ist nun schlicht folgender: weil Sie ein formales Computerprogramm ausführen, verhalten Sie sich aus der Sicht eines Augenstehenden so, als verstünden Sie Chinesisch — und dennoch verstehen Sie nicht ein Wort Chinesisch. Wenn aber die Ausführung eines passenden Computerprogramms in Ihrem Fall ausreicht, um Chinesisch zu verstehen, dann reicht das auch bei keinem arideren digitalen Computer aus.«




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 30. Nov 2018, 11:00



gap: Gesellschaft für analytische Philosophie




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 30. Nov 2018, 12:31

In dem Buch, aus dem das Zitat stammt, erläutert der Herausgeber Georg W. Bertram zwei gängige Einwände.
Georg W. Bertram hat geschrieben : Erstens wird kritisiert, dass das Experiment sich mit einer Position kritisch auseinandersetzt, die gänzlich unplausibel ist. Niemand geht davon aus, dass die Gehalte geistiger Zustände sich einfach dadurch erklären lassen, dass man den Geist als ein computeranaloges System begreift. Auch diejenigen, die die Analogie zwischen Geist und Computer für aufschlussreich halten, sind nicht der Meinung dass man mit dieser Analogie alles über den Geist und über den Gehalt geistiger Zustände gesagt hat. So gesehen arbeitet sich das Gedankenexperiment an einem Strohmann ab. Es klärt nicht viel, dies zu tun.
Georg W. Bertram hat geschrieben : Zweitens — und wichtiger - wird dem Gedankenexperiment vom chinesischen Zimmer entfernen gehalten, dass dieses Experiment nicht das Ergebnis stützt, dass es eigentlich stützen soll. Stellen wir uns vor, dass der Bewohner des chinesischen Zimmers alle Regeln auswendig lernt und dass er irgendwann dieses Zimmer verlässt. Wenn er dann auf Menschen trifft, die Chinesisch sprechen, wird er sich zweifelsohne perfekt mit ihnen unterhalten können. Er kennt ja, so die Annahme, alle Regeln, nach denen man auf chinesische Zeichen mit chinesischen Zeichen reagiert. Würden wir also sagen, dass der Bewohner des chinesischen Zimmers kein Chinesisch versteht? Zeigt das Gedankenexperiment, wenn man es fortspinnt, nicht gerade, dass sprachliche Bedeutung wesentlich durch die Zusammenhänge bestimmt ist, in denen sprachliche Zeichen mit anderen Zeichen stehen, die ihnen z.B. in einem Gespräch vorangehen oder folgen können?




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7168
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Mo 3. Dez 2018, 20:04

Nach dem ich noch andere Darstellungen zu dem Experiment gelesen habe, muss ich zugeben, so ganz habe ich es nicht verstanden.
Das liegt auch an dem zweiten Einwand von dem zitierten Bertram.
Der Mensch in dem Zimmer lernt doch die Sprache, auch bei der Methode.
Dadurch bekomme ich die Kurve zum Computer nicht.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Sa 21. Sep 2019, 19:22

Angenommen, A bedeute etwas und B, C, D auch. Jemandem ist diese Bedeutung bekannt, mir nicht. Ferner heisse die Sprache, in der A, B, C, D etwas bedeuten, und genau das bedeuten, was sie bedeuten: Abezedarisch.

Ich weiss nun also nicht, was A meint oder B, aber nehmen wir an, ich wüsste dank eines Regelbuchs, dass auf die Zeichenfolge AB mit der Zeichenfolge AD zu antworten sei. Alles andere ergebe keinen Sinn. Aus AB ergibt nur AD als Antwort Sinn. Ich habe also Sinn gestiftet, weil ich die einzig sinnvolle Antwort gegeben habe. Der Sinn meiner Antwort ergibt sich aus der reinen Form durch die Verknüpfung von AB mit AD.

Würde Abezedarisch zu sprechen bedeuten, sinnvoll auf AB einzugehen, so würde ich Abezedarisch gesprochen haben allein die Form einhaltend durch Anwendung der Verknüpfungsregel.

Wenn aber Sprache nur eine der Form nach, d.h. syntaktisch konstituierte Verständigungsleistung wäre, dann würde ein jedes, was eine Regel richtig anwendet, auch ohne Bewusstsein dieser Regel, Sprache haben. Es würde alles ein Sprecher sein, das in der Art dich gebärdet, als ob es spreche.

Aber etwas, das spricht, hat in der Regel ein Bewusstsein seiner selbst als Sprechender. Das, was er sagt, sagt er nicht allein der Form nach so, sondern weil er einen Gedanken hat, eine Meinung, die er in Sprache verfassen kann. Obwohl nun also diese Meinung selbst als Gedanke in Sprache verfasst sein mag, so muss er doch wissen können, was es bedeutet, was er in dieser Sprache denkt, noch bevor er es Laut oder Schrift werden lassen kann. Anders gesagt: Ich muss wissen, was A und B bedeutet, wenn ich als Sprecher derjenige bin, der einen Gedanken ausdrücken will. Aber so muss ich auch wissen, was sie bedeuten, wenn ich es als Hörer oder Leser verstehen können will.

Eine Sprache sprechen kann deshalb nur der, der sowohl die Form der Sprache durch Verknüpfung der Elemente zu einem Sinnganzen zusammenfügen kann, als auch der (welcher derselbe sein muss), der weiss, wovon er redet, indem er die Bedeutung der Elemente erfasst. Denn sie sind Elemente seines Gedankens, und wüsste er nicht, was die Teile seines Gedankens bedeuten, so hätte er überhaupt gar keinen Gedanken. Zum Denken (als einer Form des leisen Sprechens) kommt also hinzu das Subjekt, das sich seiner als Dieses Denkenden bewusst ist. Er muss Bedeutungsträger sein, also Fixpunkt des semantischen Gehaltes der Worte selbst, durch die er seinen Gedanken denkt. Erst Form und Gehalt, also Verknüpfung und Bedeutung des Verknüpften ergeben Sprache als den Akt eines Sprechenden.

Ich kann also unmöglich je Abezedarisch sprechen, wenn ich bloss richtig antworten kann, ohne zu wissen, warum. Die Form allein begründet kein Warum der Sprache, sie ist nur das Wie der Sprache. Aber so zu tönen wie ein Sprecher macht mich nicht allein zu einem, ich muss ein solcher Sprecher sein, mithin Gedanken haben und ein Selbst, das in vielfältige Weise in das eingewoben ist, woraus er Sprache zieht.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 21. Sep 2019, 19:41

Genau, der Regel (blind) zu folgen genügt nicht, man muss auch wissen, was ihr Witz ist.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 21. Sep 2019, 19:44

Ich frage mich gerade, ob dieses Gedankenexperiment uns irgendetwas wichtiges zur Metapher sagt?




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Sa 21. Sep 2019, 19:49

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 21. Sep 2019, 19:44
Ich frage mich gerade, ob dieses Gedankenexperiment uns irgendetwas wichtiges zur Metapher sagt?
Ja, das habe ich mich auch gefragt.
Es muss etwas mit substanziellem Urteilen zu tun haben.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Mo 23. Sep 2019, 14:47

Alethos hat geschrieben :
Sa 21. Sep 2019, 19:49
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 21. Sep 2019, 19:44
Ich frage mich gerade, ob dieses Gedankenexperiment uns irgendetwas wichtiges zur Metapher sagt?
Ja, das habe ich mich auch gefragt.
Es muss etwas mit substanziellem Urteilen zu tun haben.
Ist das substanzielle Urteilen scherzhaft gemeint? Oder wie??? Mir kommt es vor, als läge nichts ferner zum Verstehen von Metaphern als Urteile.




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Mo 23. Sep 2019, 19:08

Friederike hat geschrieben :
Mo 23. Sep 2019, 14:47
Alethos hat geschrieben :
Sa 21. Sep 2019, 19:49
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 21. Sep 2019, 19:44
Ich frage mich gerade, ob dieses Gedankenexperiment uns irgendetwas wichtiges zur Metapher sagt?
Ja, das habe ich mich auch gefragt.
Es muss etwas mit substanziellem Urteilen zu tun haben.
Ist das substanzielle Urteilen scherzhaft gemeint? Oder wie??? Mir kommt es vor, als läge nichts ferner zum Verstehen von Metaphern als Urteile.
Ist nicht scherzhaft gemeint. In der hier abgeleiteten Bedeutung von substanziellen Urteilen (so wie ich es zumindest verstehe), geht es darum, hinter das Faktische des Syllogismus zu schauen und das eigentlich Gemeinte zu erfassen. In diesem Sinne eines nicht wortwörtlichen Verstehens hat es wenigstens eine Ähnlichkeit mit Metaphern?



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 24. Sep 2019, 05:46

Nein, ich meine es auch nicht scherzhaft, genauso wie Alethos.

Die Person im chinesischen Zimmer ist ja von der (mit dem Sprecher) gemeinsamen Außenwelt abgeschnitten. Das heißt, das Experiment ist so aufgebaut, dass eine Triangulation zwischen Sender und Empfänger ausgeschlossen ist. Sie könnte sich niemals auf die gemeinsame Umgebung und Wirklichkeit beziehen, da sind die Mauern des Zimmers dazwischen. Denn im Prinzip haben wir es ja auch hier mit einer radikalen Interpretation zu tun. aber im Unterschied zur radikalen Interpretation bei Quine und Davidson ist hier der Bezug zur gemeinsamen Welt systematisch abgeschnitten. Das einzige, was sie haben ist Syntax. Aber Semantik ist so nicht möglich, zumindest nach Searle.

Dementsprechend würde ich, vielleicht etwas kryptisch, sagen: Metaphern sind semantisch und nicht syntaktisch ;) neue, das heißt gerade geschöpfe Metaphern verstoßen gegen die Üblichkeiten - wir können sie aber dennoch in vielen Fällen verstehen. Und das geht nur, weil sie substanziell sind.

Nehmen wir an, Adam sei die erste Person, die von irgendjemand anderem sagen würde, er oder sie sei ein Fuchs. Wörtlich genommen ist das ja einfach falsch und Unsinn. Aber als Metapher oder als Vergleich funktioniert es dennoch. Denn wir können erkennen, dass die Person, die so abgesprochen wurde, mit dem Fuchs das Merkmal der Schläue gemeinsam hat. Das ist so ungefähr das, was mit substanziell gemeint ist, denke ich.




Timelaios
Beiträge: 35
Registriert: Sa 26. Sep 2020, 22:59

Di 6. Okt 2020, 10:47

Ich denke dabei an eine star trek-Folge zur Teamkommunikation, -/fähigkeit. (?)




Antworten