Sinne

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Jörn P Budesheim
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Mo 22. Sep 2025, 08:08

Burkart hat geschrieben :
So 21. Sep 2025, 22:29
Jörn P Budesheim hat geschrieben :
So 21. Sep 2025, 17:17
Du könntest das Modell 2, was ich bevorzuge, anhand dessen, was ich weiter oben dargestellt und geschrieben habe, kritisieren und dann kommen wir vielleicht auch weiter.
"Gemäß diesem Modell haben wir direkten Kontakt zu den Tatsachen": Den haben wir nicht, wir können nur über unsere Sinne die Welt interpretieren und versuchen, so gut wie möglich zu verstehen. Wir können unser Tatsachen-Modell durch Schleifen gerne immer weiter verbessern, aber bestenfalls asymptotisch bis zur Tatsache selbst.
Das Argument verstehe ich leider nicht. "Den [direkten Kontakt] haben wir nicht, wir können nur über unsere Sinne die Welt interpretieren und versuchen, so gut wie möglich zu verstehen." Dass wir Sinne haben, bedeutet doch nicht, dass wir keinen direkten Kontakt zur Wirklichkeit haben können. Umgekehrt wird meines Erachtens ein Schuh daraus: Weil wir Sinne haben, können wir einen direkten Kontakt zur Wirklichkeit haben.

"Wir können unser Tatsachen-Modell durch Schleifen gerne immer weiter verbessern, aber bestenfalls asymptotisch bis zur Tatsache selbst."
Erstens: ist das nicht selbstwidersprüchlich? Du beanspruchst hier doch selbst, eine Tatsache erfasst zu haben.
Zweitens: Warum sollten wir keine Tatsachen erkennen können, das gelingt uns doch dauernd - hier zum Beispiel: um den Tisch rechts von mir stehen 6 Stühle.




Burkart
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Mo 22. Sep 2025, 19:13

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Mo 22. Sep 2025, 08:08
Burkart hat geschrieben :
So 21. Sep 2025, 22:29
Jörn P Budesheim hat geschrieben :
So 21. Sep 2025, 17:17
Du könntest das Modell 2, was ich bevorzuge, anhand dessen, was ich weiter oben dargestellt und geschrieben habe, kritisieren und dann kommen wir vielleicht auch weiter.
"Gemäß diesem Modell haben wir direkten Kontakt zu den Tatsachen": Den haben wir nicht, wir können nur über unsere Sinne die Welt interpretieren und versuchen, so gut wie möglich zu verstehen. Wir können unser Tatsachen-Modell durch Schleifen gerne immer weiter verbessern, aber bestenfalls asymptotisch bis zur Tatsache selbst.
Das Argument verstehe ich leider nicht. "Den [direkten Kontakt] haben wir nicht, wir können nur über unsere Sinne die Welt interpretieren und versuchen, so gut wie möglich zu verstehen." Dass wir Sinne haben, bedeutet doch nicht, dass wir keinen direkten Kontakt zur Wirklichkeit haben können. Umgekehrt wird meines Erachtens ein Schuh daraus: Weil wir Sinne haben, können wir einen direkten Kontakt zur Wirklichkeit haben.
Unsere Sinne nehmen nur die Umwelt über Licht, Schallwellen usw wahr; direkten Kontakt haben wir somit bestenfalls zu Licht, Schall usw. Daraus interpretieren wir für uns die Wirklichkeit.
Denk z.B. an eine Fata Morgana, da ist das scheinbare Wasser o.ä. auch nicht die Wirklichkeit.
"Wir können unser Tatsachen-Modell durch Schleifen gerne immer weiter verbessern, aber bestenfalls asymptotisch bis zur Tatsache selbst."
Erstens: ist das nicht selbstwidersprüchlich? Du beanspruchst hier doch selbst, eine Tatsache erfasst zu haben.
Nö. Wir können Tatsachen in der Welt nur versuchen zu erfassen, eben so gut wie möglcih, mehr nicht.
Zweitens: Warum sollten wir keine Tatsachen erkennen können, das gelingt uns doch dauernd - hier zum Beispiel: um den Tisch rechts von mir stehen 6 Stühle.
Ok, bei meinen obigen Tatsachen war ich sicher pingelig, dass man etwas ganz sicher und ganz präzise erfassen kann. Für unser Leben reichen uns natürlich Erkenntnisse, die für uns genau und sicher genug sind, wie z.B. ein erkannter Tisch mit Stühlen. Dann machen wir eher mal einen oft unwichitigen Fehler; vielleicht waren es ja doch sieben Stühle und der Tisch eine geschickte Illusion o.ä.



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Jörn P Budesheim
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Di 23. Sep 2025, 08:13

Burkart hat geschrieben :
Mo 22. Sep 2025, 19:13
direkten Kontakt haben wir somit bestenfalls zu Licht, Schall usw.
Ich vermute, es ist das Wörtchen „direkt“, das zu Missverständnissen führt. Der direkte Realismus leugnet nicht, dass Licht, Schall usw. bei der Wahrnehmung eine Rolle spielen. „Direkt“ meint aber etwas anderes. Es geht um die intentionale Struktur der Wahrnehmung, also die Frage: Was ist ihr Gegenstand? Worauf ist sie gerichtet?

Hier hilft die Unterscheidung zwischen "was" und "wie". Fragen wir: „Was sehe ich?“, so antwortet der direkte Realismus: den Baum selbst – und die Tatsache, dass er schon seine Blätter verliert. Die Frage „Wie sehe ich ihn?“ – über Licht, Augen, Nervenbahnen – ist Sache der Naturwissenschaft. Philosophie und Physik beantworten einfach verschiedene Fragen.

Problematisch ist also die Annahme, „direkt“ hieße „ohne physikalische Ursache-Wirkungsketten“. Gemeint ist stattdessen: Unsere Wahrnehmung richtet sich unmittelbar auf Dinge und Tatsachen in der Welt, nicht auf innere Abbilder oder Repräsentationen – auch wenn diese im Prozess eine Rolle spielen. Der Gegenstand der Wahrnehmung ist also zum Beispiel nicht „Licht, Schall - innere Bilder usw.“, sondern die Dinge selbst, zu deren Wahrnehmung Licht und Schall zwar notwendig, aber nicht hinreichend sind.

John Searle dazu in seiner typisch direkten Art:
John Searle hat geschrieben : … Der größte Irrtum - vermutlich geht er zurück bis zu den alten Griechen - war ein falsches Verständnis von Wahrnehmung, das besagt: »Du kannst die wirkliche Welt nicht sehen.« Du kannst nur sehen, was in deinem eigenen Geist vorgeht, in deinem Sehsinn und den anderen Sinnen. Was dir bewusst ist, sind nur Repräsentationen, wie Kant sie nannte.

Dafür gibt es ein schlechtes Argument: Du glaubst, deine Hand vor deinem Gesicht zu sehen. Aber es könnte auch eine Halluzination sein. Was siehst du in diesem Fall? Irgendwas nimmst du wahr. Es muss deine eigene Wahrnehmung sein. Weil aber das Erleben im Fall einer Halluzination und im Fall einer echten Wahrnehmung gleich sind, müssten beide Fälle gleich sein. Also müsse man dasselbe wahrnehmen.

Alles, was man je sieht, sei die eigene Wahrnehmung. Das ist der größte Fehler der Philosophie in den letzten 400 Jahren, und er hat viele Namen: Descartes, Locke, Berkeley, Hume, Leibniz, Spinoza, Kant, Hegel, Mill. Ein übles Desaster nach dem anderen. Das Ganze beruht auf einem Irrtum, der aus einer Zweideutigkeit im Verständnis von Wahrnehmung herrührt. Wenn ich meine Hand wahrnehme, dann ist die Hand nicht identisch mit meiner Wahrnehmung von ihr. Wenn ich hingegen eine Halluzination von meiner Hand habe, dann ist der Gegenstand meiner Wahrnehmung identisch mit meiner Wahrnehmung dieses Gegenstands. Es ist gerade die Wahrnehmung selbst. Das Versäumnis, diese Zweideutigkeit zu sehen, wiederholt in Hunderten Formen, ist verantwortlich für die moderne Epistemologie.

Jetzt nämlich stellt sich die Frage: Wie kann man etwas über die Welt jenseits unserer Repräsentationen wissen, wenn alles, was man wahrnimmt, die eigenen Repräsentationen sind? Descartes und Locke gaben die Antwort, dass unsere Wahrnehmung ein Bild der äußeren Welt ist. Hume und Berkeley sahen ein, dass das sinnlos ist. Es ergibt keinen Sinn, dass eine Welt aus Bildern der anderen besteht, wenn diese andere unsichtbar ist.

Aber die eigentliche Katastrophe brach mit Kant herein. Er verkündete: Zwar sei alles, was man wahrnehmen kann, die eigenen Repräsentationen. Aber da gebe es eine Welt jenseits davon, die Welt des »Ding an sich«. Nur könne man über die nichts wissen. Dann sah Hegel, dass auch das keinen Sinn ergibt. Lasst uns dieses Ding an sich loswerden! Dann kam der wirklich katastrophale Fehler: zu sagen, dass alles, was es wirklich gibt, unsere subjektive Welt ist. Das ist der Idealismus. Ein kolossales Desaster.” (John Searle)




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Burkart hat geschrieben :
Mo 22. Sep 2025, 19:13
Ok, bei meinen obigen Tatsachen war ich sicher pingelig, dass man etwas ganz sicher und ganz präzise erfassen kann. Für unser Leben reichen uns natürlich Erkenntnisse, die für uns genau und sicher genug sind, wie z.B. ein erkannter Tisch mit Stühlen. Dann machen wir eher mal einen oft unwichitigen Fehler; vielleicht waren es ja doch sieben Stühle und der Tisch eine geschickte Illusion o.ä.
Ich würde sagen, die Erkenntnisse für unser Leben, sind die wichtigsten, die wir haben :-) Wie auch immer: Die gesamte Passage ist für mich undurchsichtig, wofür oder wogegen willst du da argumentieren? Und wie lautet das Argument?




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Di 23. Sep 2025, 11:17

Burkart hat geschrieben :
Mo 22. Sep 2025, 19:13
"Wir können unser Tatsachen-Modell durch Schleifen gerne immer weiter verbessern, aber bestenfalls asymptotisch bis zur Tatsache selbst."
Erstens: ist das nicht selbstwidersprüchlich? Du beanspruchst hier doch selbst, eine Tatsache erfasst zu haben.
Wieso "Nö"? Du hast an der Stelle einen Wahrheitsanspruch erhoben. Du hast nämlich behauptet: "Wir können unser Tatsachen-Modell durch Schleifen gerne immer weiter verbessern, aber bestenfalls asymptotisch bis zur Tatsache selbst." Und damit beanspruchst du selbst, eine Tatsache erfasst zu haben.




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Di 23. Sep 2025, 11:25

"Die Wahrheit zu kennen, ist nützlich. Hätten wir nicht viele wahre Überzeugungen über die Welt, hätten wir als Spezies niemals überlebt. Unsere Wahrnehmung repräsentiert zwar auch die Welt, zum Beispiel, indem sie uns Licht und Schatten, Hindernisse und Verstecke verlässlich anzeigt. Doch nur unsere Gedanken können wahr oder falsch sein. Sie beziehen sich unabhängig von der unmittelbaren Erfahrung auf die Welt. Das verleiht uns einen ungeheuren Vorteil gegenüber anderen Tieren, die keine Gedanken in einem anspruchsvollen Sinne bilden können: Wir haben Überzeugungen über Nahes und Fernes, Mögliches und Unmögliches, über gestern, heute und morgen, über Mathematik, das Universum mit seinen Elementen und Naturkräften, über unsere Geschichte und über Politik.

Jede Repräsentation ist fehleranfällig, aber das meiste, was wir über die Welt glauben, muss wahr sein, sonst könnten wir uns weder darin orientieren noch uns verständigen. Das hat der amerikanische Philosoph Donald Davidson mit seinem Hintergrund-Argument deutlich gemacht. Als fehlbare Wesen irren wir uns hin und wieder. Jede Einzelne unserer Überzeugungen könnte sogar falsch sein. Daraus folgt aber Davidson zufolge nicht, dass alle zusammen falsch sein können. Um sich zum Beispiel darin zu irren, dass der Gärtner der Mörder ist, müssen wir schon viele wahre Annahmen über Gärtner, Pflanzen, Berufe, Mörder, Straftaten, Leben und Tod getroffen haben. Nur vor dem Hintergrund dieser unzähligen wahren Überzeugungen können sich die einzelnen Irrtümer überhaupt abzeichnen."


(Philipp Hübl)

Ich stimme Hübl zwar hier nicht in allem zu, aber in Bezug auf die Wahrheit sehr wohl: "Hätten wir nicht viele wahre Überzeugungen über die Welt, hätten wir als Spezies niemals überlebt. [...] Das meiste, was wir über die Welt glauben, muss wahr sein, sonst könnten wir uns weder darin orientieren noch uns verständigen."




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Mi 24. Sep 2025, 00:21

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Di 23. Sep 2025, 11:17
Burkart hat geschrieben :
Mo 22. Sep 2025, 19:13
"Wir können unser Tatsachen-Modell durch Schleifen gerne immer weiter verbessern, aber bestenfalls asymptotisch bis zur Tatsache selbst."
Erstens: ist das nicht selbstwidersprüchlich? Du beanspruchst hier doch selbst, eine Tatsache erfasst zu haben.
Wieso "Nö"? Du hast an der Stelle einen Wahrheitsanspruch erhoben. Du hast nämlich behauptet: "Wir können unser Tatsachen-Modell durch Schleifen gerne immer weiter verbessern, aber bestenfalls asymptotisch bis zur Tatsache selbst." Und damit beanspruchst du selbst, eine Tatsache erfasst zu haben.
Es ist aber keine Tatsache auf die Welt, die wir gerade wahrnehmen; darum ging es mir.



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Mi 24. Sep 2025, 01:40

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Di 23. Sep 2025, 08:13
Burkart hat geschrieben :
Mo 22. Sep 2025, 19:13
direkten Kontakt haben wir somit bestenfalls zu Licht, Schall usw.
Ich vermute, es ist das Wörtchen „direkt“, das zu Missverständnissen führt. Der direkte Realismus leugnet nicht, dass Licht, Schall usw. bei der Wahrnehmung eine Rolle spielen. „Direkt“ meint aber etwas anderes. Es geht um die intentionale Struktur der Wahrnehmung, also die Frage: Was ist ihr Gegenstand? Worauf ist sie gerichtet?

Hier hilft die Unterscheidung zwischen "was" und "wie". Fragen wir: „Was sehe ich?“, so antwortet der direkte Realismus: den Baum selbst – und die Tatsache, dass er schon seine Blätter verliert. Die Frage „Wie sehe ich ihn?“ – über Licht, Augen, Nervenbahnen – ist Sache der Naturwissenschaft. Philosophie und Physik beantworten einfach verschiedene Fragen.

Problematisch ist also die Annahme, „direkt“ hieße „ohne physikalische Ursache-Wirkungsketten“. Gemeint ist stattdessen: Unsere Wahrnehmung richtet sich unmittelbar auf Dinge und Tatsachen in der Welt, nicht auf innere Abbilder oder Repräsentationen – auch wenn diese im Prozess eine Rolle spielen. Der Gegenstand der Wahrnehmung ist also zum Beispiel nicht „Licht, Schall - innere Bilder usw.“, sondern die Dinge selbst, zu deren Wahrnehmung Licht und Schall zwar notwendig, aber nicht hinreichend sind.
Richtig, "intentional direkt" bedeutet nicht "kausal direkt".
"Aus der Tatsache, dass ich eine kausale Erklärung dafür geben kann, wie es dazu kommt, dass ich die reale Welt sehe, folgt nicht, dass ich die reale Welt nicht sehe." [Google Translate]

(Searle, John R. Mind, Language and Society: Philosophy in the Real World. New York: Basic Books, 1999. p. 28)

"Die von mir dargelegte Auffassung von Wahrnehmung, dass wir Objekte und Sachverhalte direkt wahrnehmen, wird oft als „direkter Realismus“ und manchmal als „naiver Realismus“ bezeichnet. Sie wird „Realismus“ genannt, weil sie besagt, dass wir perzeptuellen Zugang zur realen Welt haben, und „direkt“, weil sie besagt, dass wir nicht zuerst etwas anderes wahrnehmen müssen, wodurch wir die reale Welt wahrnehmen." [Google Translate]

(Searle, John R. Seeing Things As They Are: A Theory of Perception. New York: Oxford University Press, 2015. p. 15)

"Wenn ich sage, dass der objektive Sachverhalt direkt wahrgenommen wird, meine ich, dass Sie nicht zuerst etwas anderes wahrnehmen müssen, wodurch oder mittels dessen er wahrgenommen wird. Ihre Erfahrung ist, um es noch einmal zu wiederholen, nicht dasselbe, wie wenn Sie etwas im Fernsehen oder in einem Spiegel sehen." [Google Translate]

(Searle, John R. Seeing Things As They Are: A Theory of Perception. New York: Oxford University Press, 2015. p. 17)
Dass wir nicht nur Objekte, sondern auch Sachverhalte oder Tatsachen direkt sehen, bezweifle ich allerdings – es sei denn, man geht von Russells Tatsachenbegriff aus, dem nach auch ein Ding wie die Sonne eine Tatsache ist.
"Alles, was es in der Welt gibt, nenne ich eine ‚Tatsache‘ [‚fact‘]. Die Sonne ist eine Tatsache; Caesars Überquerung des Rubikon war eine Tatsache; wenn ich Zahnschmerzen habe, sind meine Zahnschmerzen eine Tatsache." [Google Translate]

(Russell, Bertrand. Human Knowledge: Its Scope and Limits. 1948. Reprint, Abingdon: Routledge, 2009. p. 130)



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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Mi 24. Sep 2025, 02:00

Consul hat geschrieben :
Mi 24. Sep 2025, 01:40
Dass wir nicht nur Objekte, sondern auch Sachverhalte oder Tatsachen direkt sehen, bezweifle ich allerdings – es sei denn, man geht von Russells Tatsachenbegriff aus, dem nach auch ein Ding wie die Sonne eine Tatsache ist.
"Alles, was es in der Welt gibt, nenne ich eine ‚Tatsache‘ [‚fact‘]. Die Sonne ist eine Tatsache; Caesars Überquerung des Rubikon war eine Tatsache; wenn ich Zahnschmerzen habe, sind meine Zahnschmerzen eine Tatsache." [Google Translate]

(Russell, Bertrand. Human Knowledge: Its Scope and Limits. 1948. Reprint, Abingdon: Routledge, 2009. p. 130)
Adolf Reinach (1883–1917), einer der Pioniere der Sachverhaltsontologie, unterscheidet zwischen Sachverhalten, die erkannt, aber nicht gesehen werden (wie dass die Rose rot ist), und "Tatbeständen", die gesehen werden (wie die rote Rose). Die gesehene rote Rose als "Tatbestand" ist ein Ding und kein Sachverhalt. Entsprechend ist auch die Sonne als "Tatsache" in Russells Sinn ein Ding und kein Sachverhalt.
"Positiver und negativer Sachverhalt sind einander durchaus koordiniert. Existiert irgendwo eine rote Rose, dann sind mit der Existenz dieses Dinges beliebig viele – positive und negative – Sachverhalte gegeben. Die rote Rose existiert, die Rose ist rot, das Rot inhäriert der Rose; die Rose ist nicht weiß, nicht gelb usw. Die rote Rose, dieser dingliche Einheitskomplex ist der allen diesen Sachverhalten zugrunde liegende Tatbestand. Bei ihm reden wir von Existenz, bei den auf ihm basierten Sachverhalten besser von Bestand. Es ist zu beachten, daß im Begriffe des Sachverhaltes sein Bestand keineswegs als wesentliches Moment eingeschlossen liegt. Genau so wie wir die (realen oder ideellen) Gegenstände von ihrer (realen oder ideellen) Existenz trennen und ohne weiteres anerkennen, daß gewisse Gegenstände, wie goldene Berge oder runde Vierecke nicht existieren, oder sogar überhaupt nicht existieren können, so trennen wir auch die Sachverhalte, von ihrem Bestand, und reden von Sachverhalten, wie dem golden-sein von Bergen oder dem rund-sein von Vierecken, die nicht bestehen oder nicht bestehen können."

(Reinach, Adolf. "Zur Theorie des negativen Urteils." [1911.] Nachdruck in Gesammelte Schriften, hrsg. v. seinen Schülern, 56-120. Halle: Niemeyer, 1921. S. 85)

"…Das führt uns auf die Frage, wie eigentlich Sachverhalte uns zur Gegebenheit. kommen. Zunächst ergeben sich hier ja offenbar eigentümliche Schwierigkeiten. Nehmen wir unser Beispiel von dem Rotsein der Rose. Ich sage doch und jedermann sagt es ebenso, daß ich das Rotsein der Rose „sehe“, und ich meine damit – nicht etwa, daß ich die Rose oder das Rot sehe, sondern ich meine das von der roten Rose evident Verschiedene, welches wir als den Sachverhalt bezeichnen. Aber hier stellen sich uns Bedenken entgegen, sobald wir versuchen, uns von der Berechtigung dieser Redeweise zu überzeugen. Ich sehe vor mir die Rose, ich sehe auch das Rotmoment, welches an ihr sich befindet. Aber damit scheint doch.erschöpft zu sein, was ich sehe. Ich mag meine Augen noch so scharf anstrengen, ein Rotsein der Rose kann ich auf diese Weise nicht entdecken. Und noch weniger kann ich negative Sachverhalte sehen, das nicht-weiß-sein der Rose oder dgl. Und doch meine ich etwas ganz Bestimmtes, wenn ich sage, „ich sehe, daß die Rose rot ist“ oder „ich sehe, daß sie nicht weiß ist“. Das ist ja keine leere Redensart, sondern stützt sich auf Erlebnisse, in denen uns solche Sachverhalte wirklich gegeben sind. Allerdings müssen sie in anderer Weise gegeben sein als die Rose und ihr Rot. So ist es in der Tat. Indem ich die rote Rose sehe, „erschaue“ ich ihr Rotsein, wird es von mir „erkannt“. Gegenstände werden gesehen oder geschaut, Sachverhalte dagegen werden erschaut oder erkannt. Man darf sich nicht beirren lassen durch die Redeweise, welche auch Gegenstände erkannt sein läßt, etwa „als“ Menschen oder Tiere. Hier liegt eine leicht zu durchschauende Äquivokation zugrunde. Dieses Erkennen im Sinne der begrifflichen Fassung ist etwas ganz anderes, als das Erkennen im Sinne des Sachverhalts-Erschauens. Auch in den angeführten Fällen werden keineswegs die Gegenstände in unserem Sinne erkannt, sondern allenfalls das Menschsein oder Tiersein dieser Gegenstände.
Diese Erwägungen gestatten ohne weiteres eine Verallgemeinerung auf alle Urteile, die auf Grund sinnlicher Wahrnehmung gefällt werden. Ob hier von Sichtbarem, Hörbarem oder Riechbarem die Rede ist, die entsprechenden Sachverhalte werden nicht gesehen oder gehört oder gerochen, sondern sie werden erkannt."

(Reinach, Adolf. "Zur Theorie des negativen Urteils." [1911.] Nachdr. in Gesammelte Schriften, hrsg. v. seinen Schülern, 56-120. Halle: Niemeyer, 1921. S. 86-7)



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Mi 24. Sep 2025, 02:42

Consul hat geschrieben :
Mi 24. Sep 2025, 02:00
Adolf Reinach (1883–1917), einer der Pioniere der Sachverhaltsontologie, unterscheidet zwischen Sachverhalten, die erkannt, aber nicht gesehen werden (wie dass die Rose rot ist), und "Tatbeständen", die gesehen werden (wie die rote Rose). Die gesehene rote Rose als "Tatbestand" ist ein Ding und kein Sachverhalt. Entsprechend ist auch die Sonne als "Tatsache" in Russells Sinn ein Ding und kein Sachverhalt.
Wir bräuchten jetzt einen neuen Thread zur Ontologie der Sachverhalte und Tatsachen, aber ich muss hier noch eines dazu anmerken:
Reinachsche Sachverhalte sind abstrakte "propositional states of affairs" (Arianna Betti), die man allein aufgrund ihrer Abstraktheit nicht sinnlich wahrnehmen kann – im Gegensatz zu armstrongschen Sachverhalten, die konkrete "compositional states of affairs" (A. Betti) sind, welche aus konkreten Dingen und Eigenschaften/Beziehungen bestehen (zusammengesetzt sind) und (angeblich) sinnlich wahrnehmbar sind.

Fußnote:
Ich bin mit Bettis Unterscheidung nicht wirklich zufrieden, weil sie suggeriert, dass propositionale Sachverhalte oder Propositionen keine verschiedenen Bestandteile und damit keine innere Komposition oder Struktur haben. Manche Philosophen sind dieser Meinung, andere hingegen nicht. Wenn abstrakte Propositionen "Begriffverhalte" (Karl Chr. Krause) sind, dann sind sie aus Einzelbegriffen (Individualbegriffen) und Allgemeinbegriffen als abstrakten Entitäten zusammengesetzt.



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Burkart hat geschrieben :
Mi 24. Sep 2025, 00:21
Es ist aber keine Tatsache auf die Welt, die wir gerade wahrnehmen; darum ging es mir.
Burkart hat geschrieben :
Mo 22. Sep 2025, 19:13
Wir können Tatsachen in der Welt nur versuchen zu erfassen, eben so gut wie möglcih, mehr nicht.
Das hörte sich für mich eher so an, als wolltest du sagen, dass wir Tatsachen generell nicht wirklich erfassen können.
Burkart hat geschrieben :
Mo 22. Sep 2025, 19:13
Ok, bei meinen obigen Tatsachen war ich sicher pingelig, dass man etwas ganz sicher und ganz präzise erfassen kann. Für unser Leben reichen uns natürlich Erkenntnisse, die für uns genau und sicher genug sind, wie z.B. ein erkannter Tisch mit Stühlen. Dann machen wir eher mal einen oft unwichitigen Fehler; vielleicht waren es ja doch sieben Stühle und der Tisch eine geschickte Illusion o.ä.
Diesen Punkt verstehe ich nach wie vor nicht.




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Consul hat geschrieben :
Mi 24. Sep 2025, 01:40
Dass wir nicht nur Objekte, sondern auch Sachverhalte oder Tatsachen direkt sehen, bezweifle ich allerdings
Wenn wir die Rose sehen, sehen wir ineins die Tatsache, dass sie rot ist.




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Adolf Reinach, sinngemäß hat geschrieben :
  1. Gegenstände werden gesehen oder geschaut
  2. Sachverhalte werden erschaut oder erkannt
Das erscheint mir ziemlich gekünstelt. Insbesondere kommt Punkt 1 ja nie vor, da wir (im Erfolgsfall) immer nur Tatsachen sehen. Ich denke, man muss dabei stets im Auge behalten, dass wir einen strukturierten, zugleich aber auch synthetisierten ganzheitlichen Wahrnehmungsraum erleben. Selbst wenn wir uns auf die Rose oder ihre Farbe konzentrieren, befindet sie sich immer in einem Kontext, der mit im Spiel ist.

P.S. Tononi und Koch nennen fünf grundlegende Eigenschaften des Bewusstseins: Existenz, Komposition, Information, Integration und Exklusion. Besonders Komposition und Integration stützen meine Argumentation zum sowohl strukturierten als auch synthetisierten Wahrnehmungsraum, schätze ich.




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Mi 24. Sep 2025, 21:46

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Mi 24. Sep 2025, 07:31
Burkart hat geschrieben :
Mi 24. Sep 2025, 00:21
Es ist aber keine Tatsache auf die Welt, die wir gerade wahrnehmen; darum ging es mir.
Burkart hat geschrieben :
Mo 22. Sep 2025, 19:13
Wir können Tatsachen in der Welt nur versuchen zu erfassen, eben so gut wie möglcih, mehr nicht.
Das hörte sich für mich eher so an, als wolltest du sagen, dass wir Tatsachen generell nicht wirklich erfassen können.
Was immer wir als Tatsachen genau ansehen und was "wirklich erfassen" genau heißen mag... wie war das: Alles ist relativ ;)
Burkart hat geschrieben :
Mo 22. Sep 2025, 19:13
Ok, bei meinen obigen Tatsachen war ich sicher pingelig, dass man etwas ganz sicher und ganz präzise erfassen kann. Für unser Leben reichen uns natürlich Erkenntnisse, die für uns genau und sicher genug sind, wie z.B. ein erkannter Tisch mit Stühlen. Dann machen wir eher mal einen oft unwichitigen Fehler; vielleicht waren es ja doch sieben Stühle und der Tisch eine geschickte Illusion o.ä.
Diesen Punkt verstehe ich nach wie vor nicht.
Wie gesagt, was ist für uns genau eine Tatsache (neben den rein logischen, mathematischen...). Jedes Naturgesetz wird als solche angesehen, kann sich aber irgendwann als falsch, u.a. weil zu ungenau erweisen. Ein Tisch ist für uns solange eine Tatsache, bis wir nicht irgendetwas andes in ihm sehen (müssen), z.B. weil er doch nur eine Illusion ist. Aber solange ist er eben für uns eine Tatsache, letztlich ein etwas zwiespältiger Begriff.



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Do 25. Sep 2025, 09:10

Zur Erinnerung:
Burkart hat geschrieben :
Sa 20. Sep 2025, 15:38
Was heißt schon "Wirklichkeit erfassen"... Natürlich können wir es nie perfekt, dazu ist z.B. die Welt viel zu komplex. Aber wir bemühen uns so gut wie möglich, die bzw. unsere Wirklichkeit möglichst gut zu verstehen.
Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Mo 22. Sep 2025, 08:08
Warum sollten wir keine Tatsachen erkennen können, das gelingt uns doch dauernd - hier zum Beispiel: um den Tisch rechts von mir stehen 6 Stühle.
Wir können, meines Erachtens - anders als du es in deiner ersten Behauptung nahelegst - vieles perfekt erfassen, zum Beispiel, dass um den Tisch rechts von mir (immer noch) 6 Stühle stehen. Ich verstehe noch wie vor nicht, was dein Argument dagegen ist. Dass wir uns irren können, zeigt ja keineswegs, dass wir nicht auch richtig liegen können. Warum also können wir deiner Ansicht nach nicht perfekt erfassen, dass dort 6 Stühle stehen? Das ist für mich ein Rätsel.




Burkart
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Sa 27. Sep 2025, 12:53

Wenn wir uns irren können wie auch richtig liegen können, zeigt das, dass es keine 100%igen Tatsachen gibt, was aber nicht schlimm ist. Tatsachen mögen für uns zu 99% richtig und somit hinreichend sein.

Wir können nichts perfekt sicher erfassen, z.B. weil es ein Trugbild sein kann.



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So 28. Sep 2025, 06:46

Burkart hat geschrieben :
Sa 27. Sep 2025, 12:53
Wenn wir uns irren können wie auch richtig liegen können, zeigt das, dass es keine 100%igen Tatsachen gibt
Tatsachen sind immer 100%ig.




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Mo 29. Sep 2025, 16:06

Bild

Im Grunde sind die Bilder "falsch" beschriftet. Feld A und B mögen auf dem Pic zwar denselben Grauwert haben, aber A ist eben ein dunkles und B ein helles Feld, was im Schatten liegt, also korrigieren wir automatisch den Input und machen, was Sinnvolles daraus. Da sieht man mal, wie genial unsere Sinne ist!




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Mi 8. Okt 2025, 23:19

"Gebrauchsweisen des Wortes "Sinn" – Die Sinn-Begriffe

Nach den Vorbemerkungen zum Sprachgebrauch wird klar sein, dass die Frage "Was ist der Sinn" nur bedingt zulässig ist. Sie ist unzulässig, wenn sie die Aufweisung eines Gegenstandes "Sinn" verlangt. Aber sie ist berechtigt, wenn sie eine Festlegung des beabsichtigten Gebrauchs des Wortes "Sinn" verlangt. Eine solche wird zweckmäßig von dem Gebrauch ausgehen, der sprachüblich ist, und wird klarstellen müssen, worin sie ihm folgt, worin sie etwa von ihm abweicht. Das Grimmsche Wörterbuch führt eine große Menge von Verwendungsweisen des Wortes an. Ein Versuch, sie in einen durchgehenden klaren Zusammenhang zu bringen, führt zur folgenden

Übersicht der Hauptbedeutungen

1. Eine ältere Bedeutung, fast schon veraltet, in der das Wort Sinn für Subjekt von Sinnakten steht; man könnte sagen Sinn, der sinnt. "Des Menschen Sinn"; ein fester, beständiger, ein wankelmutiger Sinn; hierher gehört, in engerer Bedeutung, etwas im Sinne haben.

2. Verwandt mit 1, aber nicht veraltet: Sinn als Fähigkeit des Empfindens, Wahrnehmens, Auffassens oder Würdigens. Die fünf Sinne; Spürsinn; Sinn für etwas haben.

3. Sinn von geistigen Akten, Sinn-Akten, nämlich a) Sinn eines Denkaktes, b) eines Forderns, einer Forderung, c) eines Wertens, einer Wertung, auch Inhalt, Sinngehalt eines solchen Aktes genannt.

4. Sinn des Ausdruckes eines geistigen Aktes, also Ausdrucks-Sinn, und zwar besonders Sinn von Sätzen: a) des Aussagesatzes, kurz der Aussage, b) des Forderungssatzes, c) des Wertungssatzes. Im Zusammenhang des Satzes haben Teile, Wörter und Wortfügungen, die keine Satze sind, ihren Sinn, d.h. sie bedeuten etwas, haben Bedeutung.
Sinn als Bedeutung haben auch Zeichen, die nicht einer Wortsprache angehören, sofern sie als Ausdruck eines Sinngehalts auftreten; sie werden in Wortsprache übersetzbar sein, aber vielleicht nicht vollständig, so die hinweisende Gebärde. Hier ist von dem ausgedrückten Sinngehalt zu scheiden der Sinn des Ausdrückens, des Setzens von Ausdruck. So besonders Sinn des Redens vom Sinn der Rede (welchen Sinn hat es, dass du das jetzt und hier aussprichst? – Dabei kann der Sinn der Rede außer Frage stehen). Der Fall gehört zur nächsten Bedeutung:

5. Sinn einer Handlung, eines Tuns, allgemeiner: eines Verhaltens. Zunächst menschlichem, dann tierischem und am Ende auch pflanzlichem Verhalten zugeschrieben; verwandt mit Zweckhaftigkeit, gemäß der "Zielstrebigkeit des Lebens", wohl vom Verhaltens-, insbesonders Handlungssinn abgeleitet.

6. Sinn einer Einrichtung, die Verhaltungsweisen und gewöhnlich auch dazugehörige Gegenstände umfasst; z.B. Sinn staatlicher Einrichtungen; von Organen, Organisationen. Hierher gehört auch der Sinn eines Werkes, als des Ergebnisses einer Handlung, einer Tat.

7. In weitester Bedeutung spricht man vom Sinn (irgend) eines Geschehens, eines Vorganges und, im Zusammenhang damit, einer "Einrichtung" dinglicher Wirklichkeit – wobei, sofern man nicht an Handlungen eines Schöpfers denkt, die "übertragene" Anwendung des Ausdrucks gespürt wird.

In den Anwendungen 3 bis 7 steht Sinn meist in der auszeichnenden (prägnanten) Bedeutung guter Sinn. Es ist wichtig, zu bemerken, dass es eine nicht auszeichnende Bedeutung des Wortes gibt:

8. Sinn als Art und Weise, Bestimmtheit, besonders "innere" Bestimmtheit. Sinn einer Bewegung ist zunächst ihre Richtung ("im Sinne des Pfeiles"), bei Drehungen der Drehungssinn; der Umlaufsinn (diese Anwendungen fehlen bei Grimm). Man spricht vom allgemeinen Verlaufssinn eines Vorganges. Das ist nun Sinn eines Geschehens überhaupt, wertfrei und nicht gebunden an Zweckbestimmtheit oder "Zielstrebigkeit".
Man findet sich hingewiesen auf die Bedeutung, die das Wörterbuch als älteste erkennbare angibt und mit Reise, Weg in Verbindung bringt. Hier gibt's Richtungsbestimmtheit auch abgesehen von der Absicht.
Bestimmtheit, aber im eigentlichsten Sinn als "innere", als Selbstbestimmtheit, verstanden, ist der Sinn des Menschen, seine Sinnesart (Bedeutung) als ein geistig sittliches "Wesen". Wie der allgemeine und gesamte Verlaufssinn eines Geschehens Richtungsänderungen, Phasenwechsel und das Umschlagen eines Teilsinns in den entgegengesetzten zulassen und umfassen kann, so "des Menschen Sinn", "Sinnesänderungen"; darin zeigt sich nur, dass das Wort Sinn, im wertfreien wie im werthaften Gebrauch, umfassendere, mehr ganzhafte, zugleich "tiefere" oder mehr teilhafte, zugleich minder tiefgreifende Bedeutung haben kann."

(Mally, Ernst. Großes Logik-Fragment. 1941–44. In Logische Schriften, hrsg. v. Karl Wolf & Paul Weingartner, 30-188. Dordrecht: Reidel, 1971. S. 37-9)



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Jörn P Budesheim
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Do 9. Okt 2025, 08:02

Danke für die Aufzählung; es würde mich nicht wundern, wenn man sie noch ergänzen könnte - mir kommt dabei Luhmann in den Sinn - aber das müsste ich nachschlagen. Und der Sinn, in dem Gabriel "Sinn" in Sinnfelder verwendet, fehlt (logischerweise) natürlich in der Aufzählung auch, da der Text lange zuvor entstanden ist.

Worum es in diesem Faden geht, hab ich meines Erachtens durchaus skizziert, nämlich so:
  • Unsere Sinne sind uns das nächste - könnte man meinen. Doch bei der Frage, wie viele Sinne wir haben, scheiden sich bereits die Geister: Manche Physiker zählen nur bis 3: chemische, mechanische und Licht-Reize. Aristoteles zählt bis 5: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen. Manche Neurowissenschaftler zählen bis 6: Sehen, Hören, Gleichgewicht, Fühlen, Schmecken und Riechen. Vertraut man Google findet man in der Regel 10 Sinne. Andere Quellen sprechen von 30 Sinnen!
Und so:
  • Ein Sinn / eine Sinnesmodalität wie etwa Sehen, Hören oder Denken ist "eine fehleranfällige Kontaktaufnahme mit Gegenständen, die diese über Bewusstseinslücken hinweg wiedererkennen kann." (Markus Gabriel)




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