Hermeneuticus hat geschrieben : ↑ Sa 15. Jun 2019, 14:46
...wo genau siehst Du die Unterschiede zu spezifisch menschlichen Absichten und Handlungen?
Da sich niemand überschlägt, darauf zu antworten, will ich es selbst mal versuchen - obwohl ich eigentlich nur Dinge noch verdeutlichen muss, die ich schon angesprochen oder zitiert habe. Zum Aspekt "Verantwortung(sgemeinschaft)" habe ich schon einiges gesagt, zu kurz ist bis jetzt m.E. die spezifische
Rationalität des menschlichen Handelns und Beabsichtigens gekommen. Dazu knüpfe ich noch einmal an die beiden Zitate aus dem Beitrag 31619 an.
Kannetzky spricht da von der "Allgemeinheit und vernünftige(n) Form", den Zwecke haben müssen, um geteilt und nachvollzogen werden zu können. Im gleichen Zusammenhang verweist er auf Kant:
Damit ein Wunsch handlungsbestimmend (d.h. Bestimmungsgrund des Willens) sein kann, muss er unter eine allgemeine Regel gestellt werden (die freilich falsch sein kann). Ich will reich werden. Wer reich werden will, sollte in Lehman Brothers investieren. Also werde ich in Lehman Brothers investieren. Auf diese Weise sind Neigung und Handlungsform miteinander verknüpft. (Vgl. Kant 1785: Abschnitt II zum Begriff der Maxime und zu praktischen Grundsätzen und Regeln, vgl. auch Nagel 1999).
S. 10, Fußnote 24
Wenn man Handeln als Tätigkeit
mit und aus Gründen versteht, dann ist damit genau dieser Punkt gemeint. Gründe sind, formal betrachtet, Prämissen, aus denen etwas Bestimmtes logisch folgt. Reden wir über praktische Gründe, also Gründe zum Handeln, dann muss eine der Prämissen eine allgemeine Regel, eine allgemeine Handlungsanweisung sein. In Kannetzkys Beispiel: "Wer reich werden will, sollte in Lehman Brothers investieren." Diese Regel ist allgemein, weil sie sich an jedermann wendet:
Wer auch immer reich werden will, der sollte... Zwar kann diese Regel falsch sein, aber es geht hier um
die logische Form und damit die allgemeine Nachvollziehbarkeit der praktischen Begründung.
Wer eine Person nach dem Grund fragt, aus dem sie etwas getan hat, der erwartet eine Weil-Antwort, die in dieser Weise nachvollziehbar ist. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, ob der Akteur vorm Handeln eine Überlegung angestellt hat, die so aussieht wie ein Syllogismus:
Ich will reich werden.
Wer reich werden will, sollte X tun.
_____________________
Also sollte ich X tun.
Entscheidend ist, dass der Akteur nicht einfach aus einem bloß subjektiven Antrieb, einem Affekt, einem dumpfen Drang, einer plötzlichen Begierde heraus gehandelt, sondern seine subjektiven Antriebe im Lichte einer allgemeinen, also nicht-subjektiven Regel reflektiert hat - womöglich auch
selbstkritisch reflektiert hat. Genau darin bewährt sich praktische Rationalität. Wer halbwegs rational handelt, der folgt nicht einfach seinen augenblicklichen Neigungen und dumpfen Antrieben, sondern er ist fähig, sich von diesen Antrieben zu distanzieren und sie womöglich im Blick auf soziale Normen zu verneinen, sie nicht handlungsleitend werden zu lassen.
In diesem Punkt sind sich übrigens Kant und Hegel - der sonst an Kants praktischer Philosophie kaum einen guten Faden lässt - einig. Nach Hegel hängen "Geist" und "Hemmung der Begierde" ursprünglich zusammen. Für "Geist" genügt es also nicht, irgendwelche mentalen Vorstellungen, Regungen, Ansichten über die Welt und ihre Bewohner zu haben. "Geist" meint ein gewisses Maß, eine handlungswirksame Form von kritischer und vor allem:
selbstkritischer Rationalität.
Darum sollte man zwischen subjektiven Antrieben, Neigungen, Wünschen, Bestrebungen, Begierden... und Absichten unterscheiden. Absichten sollte man nur kritisch reflektierte, damit halbwegs rationale Neigungen nennen. Das gilt natürlich auch für die Absichten, die wir bei anderen erkennen oder zu erkennen glauben. Zu sehen, dass die Hyäne auch in mein Beutetier beißen will oder dass das andere Kind mein Förmchen haben will, ist dann kein Fall von "Absicht erkennen." Sondern es ist die Erkenntnis einer Neigung, eines Antriebs, einer Begierde o.ä.