40 shades of consciousness

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Consul
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Do 10. Okt 2024, 04:24

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 6. Okt 2024, 10:02
Nur weil wir Korrelationen zwischen Gehirnaktivität und bewussten Erfahrungen feststellen können, folgt daraus nicht, dass beide identisch sind. Es gibt alternative Erklärungen.
Ja, aber die Frage ist, welche davon im Lichte unseres wissenschaftlichen Weltwissens die beste ist.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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Consul
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Do 10. Okt 2024, 05:35

RoloTomasi hat geschrieben :
Di 8. Okt 2024, 12:15
Ich glaube dass das Modell der Intentionalität, dass in der Analytischen Philosophie des Geistes und in der älteren Phänomenologie zentral ist, an einem eher künstlichen Fall ausgedacht worden ist: Nämlich am Fall des Auftauchens eines isolierten bzw. gut abgegrenzten Wahrnehmungsgegenstandes im zentralen Gesichtsfeld. ‚Ich sehe vor mir eine Tasse‘ wäre ein Beispiel. Das Sehen wäre der intentionale Akt, die Tasse das intentionale Objekt.

Dieses Modell hat aber äußerst enge Grenzen für die Beschreibung des Bewusstseinslebens. Schon Gerüche z.B. nicht so nicht gegeben wie sichtbare Einzelobjekte – sie sind flüchtig und kaum klar zu greifen. Sie haben sie gewisse Unbestimmheit und liefern, anders als z.B. Tassen, keine ‚Dinge‘ oder ‚Dingeigenschaften‘ im Sinne strikter intentionaler Objektivität. (Und auch ‚Relationen‘ kann man bei Gerüchen kaum feststellen.)
Ähnliche Problem treten bei Gefühlen auf: Man kann sie, anders als abgegrenzte sichtbare Objekte (Tassen, Tische) z.B. nicht zählen, sie sind nicht ohne Weiteres einzeln. Und was nicht einzeln auftaucht, ist auch kaum so recht relationierbar, weil es eben keine eindeutigen Relata gibt. ‚Wie viele‘ Gefühle erlebe ich gerade, und welches dieser (dann ja wohl einzeln gedachten) Gefühle ‚wiegt am Stärksten‘? (Oder, mal aus Spaß: Wenn man in einem Laden 'Freude über das Wetter' oder 'Angst vor der Schlange' kaufen könnte - welches Gefühl wäre dann wohl teurer, welches preiswerter?)

Gefühle haben keine klare Intentionalstruktur. Man kann z.B., wenn man wütend ist, nicht sagen, dass man Wut wahrnimmt, so wie man eine Tasse wahrnimmt – zur Wut gehört ja gerade das Verschwinden einer Beziehung zu sich selbst sowie zu klar umrissenen Objekten.
* Die Gegenstände der Introspektion als innerer Wahrnehmung von Bewusstseinsinhalten (Empfindungen, Gefühlen, Stimmungen, Gedanken oder Vorstellungen) sind, wie gesagt, keine dinglichen oder körperlichen Gegenstände (Objekte) im engen ontologischen Sinn; denn "Gegenstand" ist in "ein Gegenstand von etwas sein" ein funktionaler Begriff, der nichts über die kategoriale Zugehörigkeit des als Gegenstand von etwas Fungierenden beinhaltet.
Somit können auch Gemütsbewegungen, seelische Erfahrungen oder Erlebnisse, innere Affektionen oder Passionen zu Gegenständen des Wahrnehmens, Denkens, Vorstellens oder Sprechens werden. Denn im allgemeinsten Gebrauch ist "die ausdehnung des begriffes [gegenstand]…, seinem philosophischen ursprunge entsprechend, ohne schranken; das gröszte wie das kleinste, das höchste wie das niedrigste kann uns gegenstand werden." (Grimmsches Wörterbuch)

* Gewiss, im Bewusstseinsfeld sieht es nicht so aus wie in einem aufgeräumten Küchenschrank, worin alle Sachen klar und deutlich sichtbar und zählbar sind.

* Dem Wort "Introspektion" liegt etymologisch das lateinische Verb "specere" zugrunde, das "sehen" bedeutet; aber die Introspektion als seelische "Innenschau" ist natürlich kein Sehen im wörtlichen Sinn wie bei der äußeren visuellen Wahrnehmung. Wörtlich genommen, ist mein subjektives Gemütsleben unsichtbar, was aber nicht bedeutet, dass es unwahrnehmbar ist.

* Ich behaupte übrigens, dass es überhaupt kein phänomenales Bewusstsein ohne introspektives Bewusstsein (Gewahrsein) des phänomenalen Bewusstseins gibt. Das heißt, die innere Wahrnehmung subjektiver Erfahrungen ist eine notwendige Bedingung ihres Seins.
Ich kann keinen wirklichen Unterschied zwischen einer gänzlich unwahrgenommenen, unbeachteten, unbemerkten Erfahrung und einer Nichterfahrung erkennen.
Hier sind wir bei der unter Philosophen und Psychologen heiß umstrittenen Frage, ob sozusagen "das Licht im Kühlschrank noch an ist, wenn keiner nachsieht".
Ich glaube nicht! Das "Nachsehen" als innere Wahrnehmung muss allerdings keine konzentrierte absichtliche Beobachtungstätigkeit sein; doch ein bestimmtes Mindestmaß an innerer Aufmerksamkeit ist für das subjektiven Erleben erforderlich. Was ich überhaupt nicht innerlich bemerke oder beachte, das erlebe ich subjektiv überhaupt nicht.
"Introspection can be something we deliberately do; it can be an act of ours: turning our gaze into our breasts as Hume puts it. It is then like, say, looking deliberately around a room. But deliberately introspecting is rather a sophisticated thing to do. We may contrast it with mere introspective awareness, where we simply become aware of some current mental content, in the same sort of way that, in vision, we become aware that something or other is before us. Introspective awareness can be of a very 'reflex' sort. The introspecting mechanism, whatever it is, does no more than keep a watching brief on our own current mental contents, but without making much of a deal about it."
———
"Introspektion kann etwas sein, das wir absichtlich tun; sie kann ein Akt von uns sein: unseren Blick in unsere Brust richten, wie Hume es ausdrückt. Es ist dann so, als ob wir uns bewusst in einem Raum umsehen. Aber die absichtlich-willentliche Introspektion ist eine ziemlich anspruchsvolle Sache. Wir können sie dem bloßen introspektiven Gewahrsein gegenüberstellen, bei dem wir uns einfach eines aktuellen geistigen Inhalts bewusst werden, so wie wir uns beim Sehen bewusst werden, dass etwas vor uns ist. Introspektives Gewahrsein kann sehr "reflexartig" sein. Der introspektive Mechanismus, was auch immer er ist, tut nicht mehr, als unsere eigenen gegenwärtigen mentalen Inhalte im Auge zu behalten, aber ohne viel Aufhebens davon zu machen." [Übersetzt von DeepL, mit einigen Änderungen meinerseits]

(Armstrong, D. M. The Mind-Body Problem: An Opinionated Introduction. Boulder, CO: Westview, 1999. pp. 114-5)



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Jörn Budesheim
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Do 10. Okt 2024, 09:36

RoloTomasi hat geschrieben :
Mi 9. Okt 2024, 11:03
Meine Frau ist nicht, neben vielem anderen auch, das 'Objekt' 'von' (bzw. meiner) Liebe.
Wir verwenden die Begriffe "Objekt" oder "Gegenstand" in diesem Faden vermutlich uneinheitlich. In der Philosophie sind es nach meinem Verständnis technische Begriffe, die sich für unsere "Alltagsohren" manchmal seltsam anhören. Für mich ist alles (!) "Gegenstand" (Objekt kann man ähnlich verwenden) im philosophischen Sinn, in dem ich den Ausdruck benutze: Atmosphären, Billardkugeln, Zahlen, der Leib, Quarks, Energie, Gedichte, Gefühle, Stimmungen ... "Gegenstand" ist das, worüber etwas wahr sein kann. "Gegenstand" ist auch das, was Inhalt des Bewusstseins sein kann. "Gegenstand" ist außerdem das, was Emotionen im Visier haben. Das entspricht auch dem Alltagsverständnis, finde ich. Wenn ich jemandem sage, dass ich liebe, wird vermutlich die Frage kommen: "Wen (oder was) denn?" Technisch gesehen ist das die Frage nach dem Gegenstand bzw. Objekt der Liebe. Wenn ich sage, ich habe Angst, wird man fragen: "Wovor?" "Ich sehe" legt die Frage "Was?" nahe – also die Frage nach dem Gegenstand.

Mit anderen Worten: Meine Frau ist in diesem Sinne "Gegenstand" meiner Liebe. Wie gesagt, das klingt für "Alltagsohren" seltsam, ist aber in dem technischen Sinn, wie ich ihn verwende, ganz unverfänglich.
RoloTomasi hat geschrieben :
Mi 9. Okt 2024, 11:03
Bei Wut, Liebe und Frische bin ich affektiv und leiblich betroffen: Eine Richtung von 'Ich auf Etwas' gibt es hier gar nicht. Wut, Frische und Liebe überfallen mich, sie suchen mich heim und infizieren mich; der Bewusstseinszustand ist längst da und hat mich erfüllt, bevor ich es überhaupt bemerke. Es ist ja nicht so, dass da zunächst irgendwelche (deutlichen oder vagen) Objekte sind, die 'ich' dann 'wahrnehme', 'registriere' oder 'beurteile', so dass dann effektiv Wut, Liebe oder Frische resultieren. Da sind gar keine 'Objekte' im technischen Sinne: Meine Frau ist nicht, neben vielem anderen auch, das 'Objekt' 'von' (bzw. meiner) Liebe.
"Bei Wut, Liebe und Frische bin ich affektiv und leiblich betroffen." Ja! Aber von etwas! Es muss ja etwas geben, was dich betrifft, oder? "Wut, Frische und Liebe überfallen mich, sie suchen mich heim und infizieren mich; der Bewusstseinszustand ist längst da und hat mich erfüllt, bevor ich es überhaupt bemerke." Das mag in vielen oder auch den meisten Fällen zwar so sein, aber ich kann nicht verstehen, warum das dagegen spricht, dass Wut und Liebe einen Gegenstand haben. Frische ist hingegen selbst der Gegenstand.




Körper
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Do 10. Okt 2024, 09:51

Consul hat geschrieben :
Do 10. Okt 2024, 04:24
Ja, aber die Frage ist, welche davon im Lichte unseres wissenschaftlichen Weltwissens die beste ist.
Für eine Definition des Bewusstseins muss die Aktivität des Nervensystems im Mittelpunkt stehen - hierzu gibt es keine Alternative.

Der Grund ist einfach:
aus der Anästhesie (also dem "Abschalten von Bewusstsein") heraus liegt die Tatsache vor, dass lediglich die Art der Reaktion im Nervensystem verändert werden muss (das ist insbesondere kein Anhalten der nervösen Reaktion!), damit die "Erste-Person-Perspektive für den Akteur" nicht mehr stattfindet und somit der Akteur kein "wahrnehmender Akteur" mehr ist.
Der Akteur findet auch für sich selbst in dieser Zeit nicht statt. In der Regel setzt der Akteur nach dem Abklingen der Anästhesie seine Wahrnehmung fort, ohne dass er weiss, dass Zeit vergangen ist.

Jeglicher Definitionsversuch, bei dem es nicht zentral um nervöse Reaktion geht, ist Stümperei und stellt lediglich eine unsinnige Ignoranz gegenüber der Wirklichkeit dar.
Es ist leicht ersichtlich, dass die Beiträge dieses Threads (nicht meine!) in dieser Richtung unterwegs sind.
Hier werden lediglich Glaubenssprünge präsentiert, mehr nicht. Mit Wissenschaft hat das nichts zu tun.




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Jörn Budesheim
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Do 10. Okt 2024, 10:15

Körper hat geschrieben :
Do 10. Okt 2024, 09:51
Für eine Definition des Bewusstseins muss die Aktivität des Nervensystems im Mittelpunkt stehen - hierzu gibt es keine Alternative
Das ist ein ziemlich klares Fehlargument und keineswegs wissenschaftlich.

Daraus, dass das zentrale Nervensystem (ZNS) für unser Bewusstsein möglicherweise notwendig ist, folgt weder, dass das ZNS für Bewusstsein schlechthin notwendig ist, noch, dass das ZNS für Bewusstsein zentral ist. Außerdem folgt daraus natürlich auch nicht, dass das Vorhandensein eines ZNS bereits hinreichend für Bewusstsein ist. Unklar bleibt auch, in welcher Hinsicht das ZNS für Bewusstsein womöglich notwendig ist. Ist das ZNS der Empfänger von Bewusstsein? "Produziert" es Bewusstsein? Oder ist es mit Bewusstsein identisch, was auch immer das heißen könnte?

Ein weiterer offensichtlicher Fehler besteht darin, dass ich, um das Erleben zu beschreiben und seine Bedeutung für uns zu erfassen, nicht zwangsläufig über das sprechen muss, was es möglicherweise bei uns realisiert ist. Denn das schließt, ohne es zu begründen, aus, dass es nicht auch ganz anders realisiert werden könnte.

Ist ein ZNS notwendig für Bewusstsein? Die Frage nach Bewusstsein bei Lebewesen ohne Zentrales Nervensystem ist weitgehend offen. Es gibt keine Beweise für die Notwendigkeit des ZNS, auch wenn die meisten Bewusstseinsforscher davon ausgehen, dass für die Entstehung von Bewusstsein ein hochgradig vernetztes Nervensystem erforderlich ist. Die Integrierte Informationstheorie (IIT) postuliert hingegen, dass Bewusstsein eine fundamentale Eigenschaft von Systemen ist, die Informationen integrieren. Sie definiert Bewusstsein nicht anhand spezifischer Strukturen wie Neuronen, sondern durch die Art und Weise, wie Informationen in einem System verarbeitet und integriert werden, Selbstwirksamkeit ist dabei ein wichtiges Stichwort.
Körper hat geschrieben :
Do 10. Okt 2024, 09:51
Der Grund ist einfach:
aus der Anästhesie (also dem "Abschalten von Bewusstsein") heraus liegt die Tatsache vor, dass lediglich die Art der Reaktion im Nervensystem verändert werden muss (das ist insbesondere kein Anhalten der nervösen Reaktion!), damit die "Erste-Person-Perspektive für den Akteur" nicht mehr stattfindet und somit der Akteur kein "wahrnehmender Akteur" mehr ist.
Noch einmal zur Erläuterung, warum der Grund nicht einfach ist, sondern auf einem Fehlargument basiert: Dass bei der Anästhesie das Bewusstsein abgeschaltet wird, zeigt nicht, dass das ZNS zentral ist, sondern lediglich, dass das ZNS bei Wesen wie uns vermutlich notwendig ist. Es zeigt aber weder, dass es zentral ist, noch, dass es hinreichend ist. Es zeigt auch nicht, dass Bewusstsein schlechthin (also nicht nur unser Bewusstsein) von einem ZNS abhängt.

Offensichtlich falsch ist auch die Gesamtaussage: „Für eine Definition des Bewusstseins muss die Aktivität des Nervensystems im Mittelpunkt stehen – hierzu gibt es keine Alternative.“ Denn selbst wenn das ZNS notwendig und hinreichend für das Vorhandensein von Bewusstsein wäre, kann (und muss) man das Bewusstsein ohne Hinweis auf das ZNS definieren. Die definitorische Unabhängigkeit ergibt sich daraus, dass es beim Bewusstsein (ggf. u.a.) um unser Erleben geht, und die Art und Weise, wie dieses realisiert ist, nicht Teil des Erlebens ist. Wir erleben ja gerade nicht das ZNS, sondern den Schrecken, wenn wir stürzen.




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RoloTomasi
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Do 10. Okt 2024, 12:00

@Jörn: "Wir verwenden die Begriffe "Objekt" oder "Gegenstand" in diesem Faden vermutlich uneinheitlich. In der Philosophie sind es nach meinem Verständnis technische Begriffe, die sich für unsere "Alltagsohren" manchmal seltsam anhören. Für mich ist alles (!) "Gegenstand" (Objekt kann man ähnlich verwenden) im philosophischen Sinn, in dem ich den Ausdruck benutze: Atmosphären, Billardkugeln, Zahlen, der Leib, Quarks, Energie, Gedichte, Gefühle, Stimmungen".

Ich weiß schon, dass es philosophische Richtungen gibt, in denen der Begriff des Gegenstandes diese Weite hat. Dagegen spricht meines Erachtens auch gar nichts. Ich meine nur, dass die phänomenologische Bewusstseinstheorie - und nur diese Perspektive bringe ich hier ja ein - dieses Verständnis von Gegenstand nicht hat. Die phänomenologische Betrachtung, die ich eingebracht habe, sieht in der Subjektivität das zentrale Merkmal von Bewusstsein - alles Objektive ist für Phänomenologen subjektrelativ: Es ist, was es ist, indem es einem Bewusstsein so oder so erscheint. Klar hat das Bewusstsein auch Bezugspunkte. Aber diese sind aus phänomenologischer Perspektive keine Objekte in dem Sinne, dass sie auch ohne die Subjektivität, welcher sie erscheinen, etwas objektiv Bestimmtes wären. Das Bewusstsein kommt aus phänomenologischer Sicht nicht zu an sich existierenden Objekten irgendwie hinzu, sondern die Objekte sind, was sie sind, nur in Bezogenheit auf Subjektives. Objekte sind aus dieser Sicht eben Phänomene: Sie liegen nicht in der Welt irgendwie rum und werden dann bei Gelegenheit auch noch von einem (selbst wieder objektiv existierenden) Bewusstsein subjektiv erlebt, erkannt, behandelt usw. Sondern das Bewusstsein ist aus phänomenologischer Sicht der Begriff dafür, dass Objektives seine Objektivität nur für eine erlebende, erkennende, handelnde Subjektivität hat.

Aber es gibt natürlich auch andere Sichtweisen auf das Thema 'Bewusstsein', also nicht-phänomenologische, die mit dem Begriff der Objektivität z.B. in dem von Dir gefassten Sinne arbeiten. Ganz wichtig und richtig ist Dein Ausdruck (s.o.) "nach meinem Verständnis": Es gibt tatsächlich ganz unterschiedliche Verständnisse von Bewusstsein - und gerade deswegen ist es ja so wichtig, dass man (vor allen Fragen nach Wahrheit) überhaupt erst mal füreinander, und d.h. vor allem für den Unterschied im Zugang zu Objektivität, Bewusstsein usw., ein Verständnis gewinnt. Im Grunde ist das unterschiedliche Verstehen von Objektivität (sowie von Bewusstsein generell) selbst wieder ein phänomenologischer Tatbestand: Denn es verweist letztlich auf das unterschiedliche subjektive Erscheinen von Denkgegenständen wie ‚Objektivität‘ oder ‚Bewusstsein‘ in unterschiedlichen Theorien oder Theorietraditionen.

In einem kleinen Buch von Hermann Schmitz heißt es: „Die Neue Phänomenologie verzichtet auf den Anspruch, etwas mit apodiktischer Gewissheit für immer und alle festzustellen“ (Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie, Freiburg 2009, 12). Dem schließe ich mich seit einiger Zeit an; denn ich habe erkannt, dass das für mich - wohlgemerkt: für mich (!) – stimmig ist. Ich betone das 'für mich' deshalb, weil ich nicht von irgendjemandem verlange, es auch so zu sehen. Ich kann und will auch gar nicht dafür sorgen, dass ab jetzt alle (z.B. über das Bewusstsein) phänomenologisch denken. Der Witz ist der, dass gerade die Phänomenologie diesen Anspruch nicht erheben kann, da sie ja eben die unhintergehbare Subjektivität aller menschlichen Weltbezüge stark macht.



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Consul
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Do 10. Okt 2024, 17:23

Körper hat geschrieben :
Do 10. Okt 2024, 09:51
Consul hat geschrieben :
Do 10. Okt 2024, 04:24
Ja, aber die Frage ist, welche davon im Lichte unseres wissenschaftlichen Weltwissens die beste ist.
Für eine Definition des Bewusstseins muss die Aktivität des Nervensystems im Mittelpunkt stehen - hierzu gibt es keine Alternative.
Eine allgemeine Definition von "Bewusstsein" soll keine Theorie des Bewusstseins sein, und deshalb auch keine (monistische oder dualistische, materialistische oder antimaterialistische, reduktionistische oder antireduktionistische) Antwort auf die Frage nach der Geist-Gehirn-Beziehung beinhalten.



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Jörn Budesheim
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Do 10. Okt 2024, 18:06

Es wäre mal spannend zu erörtern, ob eine Definition von Bewusstsein, sofern sie sich auf das ZNS bezieht, notwendig falsch sein muss.




Körper
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Do 10. Okt 2024, 19:03

Consul hat geschrieben :
Do 10. Okt 2024, 17:23
Eine allgemeine Definition von "Bewusstsein" soll keine Theorie des Bewusstseins sein, und deshalb auch keine (monistische oder dualistische, materialistische oder antimaterialistische, reduktionistische oder antireduktionistische) Antwort auf die Frage nach der Geist-Gehirn-Beziehung beinhalten.
Und um welche Theorie geht es, wenn man in der Definition für "das Rätselhafte" berücksichtigt, dass es durch die Veränderung der nervösen Reaktion nicht stattfindet?
Eine Theorie wäre "Weltbild", aber bei den Anästhesie-Umständen geht es um Tatsachen. Das ist ein ganz anderes Kaliber.
Eine Tatsache ist sozusagen das Beste, das man in einer Definition verwenden kann.

Auf Basis des jetzigen Umfanges von Tatsachen kann "Bewusstsein" als eine "bei einer bestimmten Art von nervöser Reaktion stattfindende Wahrnehmungsfähigkeit" bezeichnet werden.
Das ist sicherlich keine umfassend tolle Definition aber es ist erst einmal kein Fehler enthalten.
D.h. man macht keinen Fehler in Bezug auf das, was vor sich geht - man verwendet ja nur Tatsachen.

Eine Definition darf keinerlei Behauptungen enthalten (keine Glaubenssprünge).
"Bewusstsein ist Erleben" ist bereits problematisch, weil es eine Festlegung auf etwas ist, das vor sich gehen soll. Das ist dann eine Festlegung auf das, was man suchen soll. Es ist eine finale Bewertung von "etwas", das aber letztlich ein Rätsel darstellt.
Man verwendet etwas als Tatsache, das eigentlich nur eine Behauptung ist.
Ist diese Bewertung/Behauptung aber falsch, dann ist die Definition vollkommener Blödsinn.
Eine Definition darf kein Risiko auf Sinnhaftigkeit enthalten.

Die allseits bekannte Phrase "Bewusstsein existiert" ist (wie schon einmal angesprochen) gerade im englisch sprachigen Raum das Einfallstor zu all den Ontologieversuchen.
Die Rechtfertigung, die sich derartige Ontologie-Anhänger zur Behauptung "Bewusstsein existiert" geben, kommt nicht von einer Existenz, nicht von einer vorliegenden Situation, sondern allein von dem Status „Rätsel“.
Bei der Betäubungsphase in der Anästhesie entfällt aber selbst diese waghalsige Rechtfertigung, was kaum einem dieser Leute klar sein dürfte.
D.h. all die ontologischen Erklärungsversuche müssen berücksichtigen, dass sie für die Betäubungsphase, also für eine bestimmte Veränderung in der Art nervöser Reaktion, keine Rechtfertigung für ihre Existenz-Behauptung haben.
Bei ontologischen Erklärungsversuchen soll mit "Existenz" eine Eigenständigkeit behauptet werden, aber genau diese kann auf Basis der Anästhesie-Umstände (Tatsachen) nicht behauptet werden.
Eine Definition von „Bewusstsein“ darf auf keinen Fall dieses Treiben unterstützen.




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Fr 11. Okt 2024, 07:47

Die Diskussion zum Thema "Gegenstand" hab ich "ausgelagert", weil ich sie für sich spannend finde. Dazu hab ich einige Beiträge verschoben und andere dupliziert, ich hoffe, das passt so für Euch.

Sie befindet sich hier: https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... =35&t=1597




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Fr 11. Okt 2024, 20:32

Körper hat geschrieben :
Do 10. Okt 2024, 19:03
Eine Definition darf keinerlei Behauptungen enthalten (keine Glaubenssprünge).
"Bewusstsein ist Erleben" ist bereits problematisch, weil es eine Festlegung auf etwas ist, das vor sich gehen soll. Das ist dann eine Festlegung auf das, was man suchen soll. Es ist eine finale Bewertung von "etwas", das aber letztlich ein Rätsel darstellt.
Man verwendet etwas als Tatsache, das eigentlich nur eine Behauptung ist.
Ist diese Bewertung/Behauptung aber falsch, dann ist die Definition vollkommener Blödsinn.
Eine Definition darf kein Risiko auf Sinnhaftigkeit enthalten.

Die allseits bekannte Phrase "Bewusstsein existiert" ist (wie schon einmal angesprochen) gerade im englisch sprachigen Raum das Einfallstor zu all den Ontologieversuchen.
Wenn ein Begriff definiert wird, dann sollte die Frage, ob der Begriffsumfang die leere Menge ist oder nicht, nicht per definitionem beantwortet werden. Deshalb gefällt mir die folgende DUDEN-Definition von "Einhorn" nicht, die genau dies tut, indem Einhörner darin als Fabeltiere und damit als nichtexistente Tiere bezeichnet werden. Dass die Menge der Einhörner die leere Menge ist, ist also Teil der Definition von "Einhorn":

"Einhorn = pferde- oder ziegenähnliches Fabeltier mit einem langen geraden Horn in der Mitte der Stirn" – DUDEN

Wir wissen zwar, dass es keine Einhörner gibt, aber dieses Wissen kann nicht a priori aus einer Definition von "Einhorn" gewonnen werden. Die Definition sollte also wie folgt lauten: "Einhorn = pferde- oder ziegenähnliches Tier mit einem langen geraden Horn in der Mitte der Stirn"

Wir wissen auch, dass es bewusste Lebewesen gibt (zu denen wir Menschen gehören); aber auch dieses Wissen kann nicht a priori aus einer Definition von "bewusstes Lebewesen" gewonnen werden. Die Quelle unseres Wissens, dass (phänomenales) Bewusstsein existiert, ist die Introspektion, welche eine empirische (aposteriorische) Erkenntnisquelle ist.



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Sa 12. Okt 2024, 08:04

Nur nebenbei, ich will diese ältere Diskussion nicht aufwärmen: dass Fabeltiere nicht existieren, ist nur deine Interpretation. Gemäß meiner Interpretation existieren sie, allein schon deshalb, weil alles existiert. Meines Erachtens gehört es zum "Wesen" von Einhörnern, dass sie zwar in Fabeln vorkommen, aber nicht auf freier Wildbahn oder im Zoo. Allerdings kann man darüber streiten, ob Einhörner nur in Fabeln vorkommen, z.B weiß ich ziemlich sicher, dass sie auch in Filmen vorkommen, nämlich z.B in Blade Runner (vermutlich) als Inhalt eines Traums.




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Sa 12. Okt 2024, 10:07

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Okt 2024, 08:04
allein schon deshalb, weil alles existiert.
Interessant, auch das Nicht-Existente, z.B. das durch Widersprüchlichkeit Ausgeschlossene?
Zuletzt geändert von Burkart am Sa 12. Okt 2024, 10:10, insgesamt 1-mal geändert.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
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Sa 12. Okt 2024, 10:08

Consul hat geschrieben :
Fr 11. Okt 2024, 20:32
Wenn ein Begriff definiert wird, dann sollte die Frage, ob der Begriffsumfang die leere Menge ist oder nicht, nicht per definitionem beantwortet werden. Deshalb gefällt mir die folgende DUDEN-Definition von "Einhorn" nicht, die genau dies tut, indem Einhörner darin als Fabeltiere und damit als nichtexistente Tiere bezeichnet werden. Dass die Menge der Einhörner die leere Menge ist, ist also Teil der Definition von "Einhorn":

"Einhorn = pferde- oder ziegenähnliches Fabeltier mit einem langen geraden Horn in der Mitte der Stirn" - DUDEN

Wir wissen zwar, dass es keine Einhörner gibt, aber dieses Wissen kann nicht a priori aus einer Definition von "Einhorn" gewonnen werden.
Ist hier "Fabeltier" eine Existenzaussage?

Mir ist das Thema "Einhorn" über einen Zeichentrickfilm bekannt geworden.
D.h. ich gehe davon aus, dass "Fabeltier" hier eher eine Quellenangabe, als eine Existenzaussage ist.

Würde man für mich formulieren...
"Einhorn = pferde- oder ziegenähnliches Zeichentrickfilmtier mit einem langen geraden Horn in der Mitte der Stirn"
...dann würde diese Definition rein aus Tatsachen bestehen und ich könnte mich somit nicht beschweren.

Bei einem vorliegenden Einhorn-Lebewesen würden wir uns alle freuen und das Verändern der Definition wäre kein Problem, denn dann ist die Quellenabgabe keine wichtige Information mehr oder ändert sich auf den Ort der Begegnung bzw. den Lebensraum des Tieres.
Consul hat geschrieben :
Fr 11. Okt 2024, 20:32
Die Quelle unseres Wissens, dass (phänomenales) Bewusstsein existiert, ist die Introspektion, welche eine empirische (aposteriorische) Erkenntnisquelle ist.
Man kann eine festgelegte Reaktion nicht als "Wissen" und/oder als "Quelle" einstufen, denn du kannst ja gar nicht anders reagieren.
Die "schrägen Linien" stellen kein Wissen dar, sondern eine festgelegte Reaktion.

Hier kommt unmittelbar die Frage nach dem Wahrnehmungswerkzeug auf.
Eine festgelegte Reaktion ist kein Werkzeug, um etwas "beweistechnisch" festzustellen.

Zu deinem Anspruch bei "Introspektion" müsstest du genau abklären, mit "welchem Wahrnehmungswerkzeug" an "welche Umstände" herangekommen wird und "wie" dies zu einer Folgereaktion führt.
Dein Gegenspieler bei einem derartigen Vorhaben ist die Tatsache, dass der Mensch zu all dem "Phänomen-Verständnis" das er hat, zwar nicht sagen kann, was es ist, aber nie einen Fehler macht und es nie bewusst lernen muss.
Woher weisst du, dass du "siehst", wenn du "Farbe" vor dir hast?
Woher weisst du, dass "Farbe" letztlich eine gesehene Oberfläche ist?
Keine Frage, es funktioniert - alles einwandfrei an dieser Stelle - aber was sind die genauen Umstände von alldem?

Der einzig vorliegende Startpunkt, das einzige vorliegende Werkzeug, ist das Nervensystem und die dortigen Reaktionen.
Sämtliche ontologischen Erklärungsversuche springen ins Nebulöse und kommen (aktuell) nirgendwo an.

Eine Definition von "Bewusstsein" darf kein Wissen suggerieren, das gar nicht vorliegt.
Mit "Bewusstsein existiert" lauf die dort aktiven Piraten exakt in einen derartigen Suggestionshafen ein und sie bringen ihre jeweils eigene Enterhaken-Motivation mit.




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RoloTomasi
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Burkart hat geschrieben :
Sa 12. Okt 2024, 10:07
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Okt 2024, 08:04
allein schon deshalb, weil alles existiert.
Interessant, auch das Nicht-Existente, z.B. das durch Widersprüchlichkeit Ausgeschlossene?
Widersprüchliches gibt es natürlich zuhauf: widerstreitende oder ambivalente Gefühle oder z.B. all das, wo es eine eindeutige Ja-oder-Nein-Stellungnahme nicht gibt (wie etwa bei Interpretationen von literarischen Texten oder von Bedeutungen generell). In den meisten Situationen des Lebens herrscht ja gar keine durchgängige Bestimmtheit darüber, was womit identisch und was wovon verschieden ist. So z.B. bei der Dämmerung, wo man nicht sagen kann, ob sie (schon) zum Morgen oder (noch) zur Nacht gehört. Oder bei Konflikten oder Kriegen, wo sich ein Widerspruch zum handfesten Widerstreit auswächst: Man kann ja nicht sagen kann, dass es eine der Streitparteien nicht gibt; Konflikt oder Krieg sind Beispiele für die antagonistische Koexistenz von Widerstreitendem. - Das Konzept der Widerspruchsfreiheit greift nur in reinen Disziplinen wie z.B. der formalen Logik, wo das Sein des einen das Nichtsein des anderen logisch impliziert - bekannt etwa beim Satz des ausgeschlossenen Dritten ('entweder A oder Nicht-A'). Empirisch sind dagegen Widerspruch, Widerstreit, Konflikt, Gegensätzlichkeit, Differenz, Unentschiedenheit und Ergebnisoffenheit geradezu der Normalfall.

Ich will damit aber nicht wie Jörn sagen, dass "alles existiert". Ich will nur sagen, dass es - jenseits von 'Alles oder Nichts' oder 'Sein oder Nichtsein' - Widersprüchliches gibt. Die Opposition Alles/Nichts oder Existenz/Nichtexistenz halte ich für rationalistisch: Ein reiner Geist kann mit ihnen arbeiten und an ihrem Leitfaden seine 'Objekte' oder 'Entitäten' einteilen bzw. sie ins Sein ein- oder vom Sein ausschließen. (Hegel hat das in seiner 'Logik' ja so durchgeführt, und damit den objektiven Idealismus von Platon dialektisch widerbelebt.) Aber in Bezug auf Erfahrungen, wie sie sich im Rahmen bewussten menschlichen Lebens abspielen, haben diese Begriffe eigentlich keinen Sinn.



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Burkart
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Sa 12. Okt 2024, 11:25

RoloTomasi hat geschrieben :
Sa 12. Okt 2024, 11:15
Burkart hat geschrieben :
Sa 12. Okt 2024, 10:07
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Okt 2024, 08:04
allein schon deshalb, weil alles existiert.
Interessant, auch das Nicht-Existente, z.B. das durch Widersprüchlichkeit Ausgeschlossene?
Widersprüchliches gibt es natürlich zuhauf...
Ok, dann gerne "durch Naturgesetze (o.ä.) Ausgeschlossenes" wie z.B. das Herrschen von hoher Gravitation und keiner Gravitation am selben Ort zur selben Zeit u.ä.
...um nicht auf formale Logik zurückzugreifen, die aber auch schon passen würde.



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Jörn Budesheim
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Sa 12. Okt 2024, 12:39

Was würde, ja könnte denn nicht existieren? Nichts. Was, umgekehrt, existiert überhaupt? Alles. (Andreas Luckner und Sebastian Ostritsch, Existenz, Grundthemen Philosophie, de Gruyter)

Hier gibt es den entsprechenden Faden zum Thema Existenz und der Frage, was alles existiert.




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RoloTomasi
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Sa 12. Okt 2024, 17:45

Interessant zum Thema 'Bewusstsein' finde ich noch folgenden Aspekt:

Man meint ja oft, dass für bewusste Erfahrungen Sinnesorgane nötig sind: Augen zum Sehen, Ohren zum Hören usw. Das ist ja auch erst mal OK soweit, denn viele Erfahrungen sind ja tatsächlich sinnlich. Ich sehe z.B. ohne Augen nicht die Torte auf dem Tisch, und als Tauber höre ich den Knall nicht usw.

Aber es gibt daneben auch Erfahrungen, bei denen ich ohne Sinnesorgane erlebe: Beispiele wären Hunger, Frische, Behaglichkeit, Mattigkeit u.v.m. Hunger oder Mattigkeit kann ich nicht sehen, hören, tasten, riechen oder schmecken - und doch erlebe ich sie unmittelbar leiblich. Ich will damit sagen, dass es bewusste Erfahrungen gibt, die keine im klassischen Wortsinn 'sinnlichen' oder 'durch Sinne vermittelten' Erfahrungen sind. Dazu gehören übrigens auch so Sachen wie die Wahrnehmung von Gefahr oder überhaupt die Wahrnehmung von Situationen und Atmosphären.



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Jörn Budesheim
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Sa 12. Okt 2024, 20:29

Unsere Sinne sind uns das Nächste – könnte man meinen. Doch bei der Frage, wie viele Sinne wir haben, scheiden sich bereits die Geister. Manche Physiker zählen nur bis 3: chemische, mechanische und Licht-Reize. Aristoteles zählt bis 5: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen. Manche Neurowissenschaftler zählen bis 6: Sehen, Hören, Gleichgewicht, Fühlen, Schmecken und Riechen. Vertraut man Google, findet man in der Regel 10 Sinne. Andere Quellen sprechen sogar von 30 Sinnen!

Hier eine Liste, die ich vor sehr vielen Jahren mal so ähnlich für einen Vortrag recherchiert hatte, ohne Garantie auf wissenschaftliche oder philosophische Vollständigkeit und letztgültige Korrektheit:
  1. Sehen
  2. Hören
  3. Riechen
  4. Schmecken
  5. Fühlen (Tastsinn)
  6. Gleichgewichtssinn – Wahrnehmung von Schwerkraft und Bewegung durch das Vestibularsystem im Innenohr.
  7. Temperatursinn (Thermozeption) – Wahrnehmung von Wärme und Kälte, oft durch die Haut.
  8. Schmerzsinn (Nozizeption) – Wahrnehmung von Schmerz, sei es durch Verletzungen, Hitze oder Druck.
  9. Körpersinn (Propriozeption) – Wahrnehmung der Lage und Bewegung des Körpers im Raum, vermittelt durch Rezeptoren in Muskeln und Gelenken.
  10. Viszeraler Sinn – Die Wahrnehmung unserer inneren Organe - die uns wohl auch Empfindungen wie Hunger, Durst, Frische oder Mattigkeit spüren lässt.
  11. Sexualsinn – gemäß dem Philosophen Reinhard Brandt.
  12. Immunsystem – Einige Wissenschaftler argumentieren, dass auch unser Immunsystem als eine Art 'Sinn' betrachtet werden kann.
  13. ...
Manche Quellen sprechen von einem Gefahrensinn – Eine Art intuitives Empfinden von Gefahr, das aus verschiedenen Sinneswahrnehmungen und Erfahrungswerten entstehen kann. Es ist schwer zu sagen, ob dies als eigenständiger Sinn gelten kann, aber das Gefühl der Bedrohung ist etwas, das wir bewusst erleben.

Wahrnehmung von Atmosphären und Situationen – Hier spielen vermutlich mehrere Sinne zusammen, vielleicht auch subtile kognitive Prozesse. Man könnte es als eine Fähigkeit bezeichnen, die Dynamik einer Situation oder die Stimmung in einem Raum zu erfassen. Auch das geht über die fünf klassischen Sinneswahrnehmungen hinaus.

Bestimmt finden sich irgendwo im Internet ausführlichere und besser dokumentierte Listen.

Nicht eigens thematisieren, aber immerhin erwähnen möchte ich an dieser Stelle, dass der deutsche Philosoph Markus Gabriel auch das Denken zu den Sinnen rechnet. Gemäß seiner Definition ist ein Sinn / eine Sinnesmodalität "eine fehleranfällige Kontaktaufnahme mit Gegenständen, die diese über Bewusstseinslücken hinweg wiedererkennen kann." (Markus Gabriel)




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Consul
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Sa 12. Okt 2024, 20:58

RoloTomasi hat geschrieben :
Sa 12. Okt 2024, 17:45
…Aber es gibt daneben auch Erfahrungen, bei denen ich ohne Sinnesorgane erlebe: Beispiele wären Hunger, Frische, Behaglichkeit, Mattigkeit u.v.m. Hunger oder Mattigkeit kann ich nicht sehen, hören, tasten, riechen oder schmecken - und doch erlebe ich sie unmittelbar leiblich. Ich will damit sagen, dass es bewusste Erfahrungen gibt, die keine im klassischen Wortsinn 'sinnlichen' oder 'durch Sinne vermittelten' Erfahrungen sind. Dazu gehören übrigens auch so Sachen wie die Wahrnehmung von Gefahr oder überhaupt die Wahrnehmung von Situationen und Atmosphären.
Du sprichst hier von Körperempfindungen oder Körpergefühlen, an deren Zustandekommen besondere Sinnesrezeptoren (Interozeptoren) innerhalb des Körpers beteiligt sind. Die Interozeption ist sinnliche innere Selbstwahrnehmung.
"Interorezeptoren [von latein. interus = der innere], Interozeptoren, Rezeptoren zur Wahrnehmung des gesamten inneren Zustands des Organismus. Dazu gehören die Propriorezeptoren (Bewegungs-, Stellungs- [Gelenkrezeptoren, Haltungssinne] und Kraftsinn; Tiefen-Sensibilität [Kinästhesie], Propriozeption) sowie die Rezeptoren zur Wahrnehmung der inneren Organe, die ihre Meldungen über die visceralen Nerven an das Zentralnervensystem weiterleiten. Gegensatz: Exterorezeptoren."

Quelle: https://www.spektrum.de/lexikon/biologi ... oren/34327
"Interozeption, umfaßt die Aufnahme innerer, von Organen bzw. Organfunktionen ausgehender Reize, die u.a. von Mechano- und Druckrezeptoren, Thermorezeptoren, Chemorezeptoren, Schmerzrezeptoren (d.h. Enterorezeptoren innerer Organe und Propriorezeptoren der Lage- und Bewegungs-Kontrollsysteme) ausgehen (Sinne) und über die faserreichen Afferenzen des vegetativen und des motorischen Systems an das Gehirn vermittelt werden. Erst durch diese Afferenzen sind Homöostaseregulationen, Haltung, Bewegung und Funktionsanpassungen des Organismus möglich. Nur ein kleiner Ausschnitt dieser Afferenzen ist unter normalen Bedingungen als Interozeption körperlicher Veränderungen ("Wahrnehmung" von Körperprozessen) bewußtseinsfähig, doch beeinflußt die Interozeption wahrscheinlich das Befinden, die Stimmung und globale Gefühle körperlicher Spannung bzw. Entspannung, Frische bzw. Müdigkeit usw.…"

Quelle: https://www.spektrum.de/lexikon/psychol ... ption/7372
"Interoception is the body-to-brain axis of signals originating from the internal body and visceral organs (such as gastrointestinal, respiratory, hormonal, and circulatory systems). It plays a unique role in ensuring homeostasis. Interoception therefore refers to the sensing of the state of the inner body and its homeostatic needs, to the ever- fluctuating state of the body beneath its sensory (exteroceptive) and musculoskeletal sheath."
————————————
"Interozeption ist die Achse von Körper und Gehirn für Signale, die aus dem Körperinneren und den viszeralen Organen (wie dem Magen-Darm-Trakt, den Atemwegen, dem Hormonsystem und dem Kreislaufsystem) stammen. Sie spielt eine einzigartige Rolle bei der Sicherstellung der Homöostase. Interozeption bezieht sich daher auf die Wahrnehmung des Zustands des Körperinneren und seiner homöostatischen Bedürfnisse, auf den ständig schwankenden Zustand des Körpers unterhalb seiner sensorischen (exterozeptiven) und muskuloskelettalen Hülle." [Übersetzt von Google Translate]

(Manos Tsakiris, & Helena De Preester, eds. The Interoceptive Mind: From Homeostasis to Awareness. Oxford: Oxford University Press, 2019. p. v)
"Interoception is a multidimensional construct, broadly encompassing the processing of afferent (sensory) information arising from internal organs, tissues, and cells of the body. This afference contributes to the regulation of homeostatic reflexes, and…more broadly to the generation and regulation of cognitive and emotional behaviors.

Interoception can be encompassed by the broader construct of bodily afference. The latter includes both visceral afference and somatic afference. We use the term visceral afference to refer to the processing of internal sensory information derived from interoceptors that are located in the organs and tissues of the main cavities of the body (i.e. the viscera), as well as from olfactory and gustatory receptors, all being generally associated with the limbic system and the autonomic nervous system. We use the term somatic afference to refer to the processing of sensory information (e.g. proprioceptive input and tactile sensitivity) derived from components of the somatic system (e.g. muscles, joints, skin). This distinction between somatic and visceral afference does not imply a complete independence. Indeed, in many cases, there is an integration of multiple modes of bodily or somatosensory information derived, for example, from metabolic changes in active muscle tissue. Hence, the term somatovisceral afference is more appropriately applied to integrated, multimodal, or otherwise nonspecific internal sensory input from within the body. In these regards, the construct of interoception itself is more specifically aligned with that of visceral afference, referring to the processing of sensory information from interoceptors that are located within the visceral organs and from interoceptors located elsewhere in the body that provide for local energy needs. Thus, in contrast to exteroceptors, interoceptors are tuned to sense internal events.

The so-called general visceral afferents (GVAs) that relay internal sensory information from interoceptors are carried by several cranial nerves, the most notable being the vagus nerve. These afferents carry information (e.g. pressor receptor activity from blood vessels) originating from the gut and the viscera more generally (i.e. organs and tissues located in the thoracic, abdominal, and pelvic cavities, as well as blood vessels and muscles). By comparison, special visceral afferents (SVAs) convey gustatory senses (i.e. taste) and olfaction (i.e. smell and pheromonal senses). Although the SVAs detect environmental stimuli, they do so by virtue of those stimuli impinging on the internal bodily environment. Hence, they differ from exteroceptors; for example, conveying information related to touch or audition. Furthermore, the visceral senses have common central projections to cell groups in the brainstem, including the nucleus tractus solitarius (NTS), midbrain, and thalamus, that are distinct from those of somatic exteroceptors, and they link anatomically and functionally with a distinct set of central neural systems and processes. Moreover, they share biochemical markers in common with GVAs and with autonomic neurons. There are other classes of sensory systems, such as proprioceptors, that sense joint position, and vestibuloceptors, that sense body orientation in gravitational space. These might be considered interoceptors as they are internal to the body. Yet, they are closely linked with somatic motor systems anatomically and functionally, and they have biochemical markers more in concert with somatic motor systems. Hence, they are sometimes considered within the unique class of proprioceptors, or otherwise just included within the general class of exteroceptors.

What is important to consider is that both exteroceptive and interoceptive information can powerfully influence cognitive and emotional processes, and, importantly, vice versa."
————————————
"Interozeption ist ein mehrdimensionales Konstrukt, das im Großen und Ganzen die Verarbeitung afferenter (sensorischer) Informationen umfasst, die aus inneren Organen, Geweben und Zellen des Körpers stammen. Diese Afferenz trägt zur Regulierung homöostatischer Reflexe bei und…allgemeiner zur Erzeugung und Regulierung kognitiver und emotionaler Verhaltensweisen.

Interozeption kann durch das breitere Konstrukt der körperlichen Afferenz erfasst werden. Letztere umfasst sowohl viszerale als auch somatische Afferenz. Wir verwenden den Begriff viszerale Afferenz, um uns auf die Verarbeitung innerer sensorischer Informationen zu beziehen, die von Interozeptoren stammen, die sich in den Organen und Geweben der Haupthöhlen des Körpers (d. h. den Eingeweiden) befinden, sowie von olfaktorischen und gustatorischen Rezeptoren, die alle im Allgemeinen mit dem limbischen System und dem autonomen Nervensystem in Verbindung stehen. Wir verwenden den Begriff somatische Afferenz, um uns auf die Verarbeitung sensorischer Informationen (z. B. propriozeptive Eingabe und taktile Sensibilität) zu beziehen, die aus von Komponenten des somatischen Systems (z. B. Muskeln, Gelenke, Haut). Diese Unterscheidung zwischen somatischer und viszeraler Afferenz bedeutet keine vollständige Unabhängigkeit. Tatsächlich gibt es in vielen Fällen eine Integration mehrerer Arten körperlicher oder somatosensorischer Informationen, die beispielsweise aus Stoffwechselveränderungen im aktiven Muskelgewebe stammen. Daher wird der Begriff somatoviszerale Afferenz eher auf integrierte, multimodale oder anderweitig unspezifische interne sensorische Eingaben aus dem Körper angewendet. In dieser Hinsicht ist das Konstrukt der Interozeption selbst spezifischer auf das der viszeralen Afferenz ausgerichtet und bezieht sich auf die Verarbeitung sensorischer Informationen von Interozeptoren, die sich in den viszeralen Organen befinden, und von Interozeptoren, die sich an anderen Stellen im Körper befinden und für den lokalen Energiebedarf sorgen. Im Gegensatz zu Exterozeptoren sind Interozeptoren daher darauf eingestellt, interne Ereignisse wahrzunehmen.

Die sogenannten allgemeinen viszeralen Afferenzen (GVAs), die interne sensorische Informationen von Interozeptoren weiterleiten, werden von mehreren Hirnnerven übertragen, von denen der Vagusnerv der bekannteste ist. Diese Afferenzen übertragen Informationen (z. B. Pressorrezeptoraktivität von Blutgefäßen), die aus dem Darm und den Eingeweiden im Allgemeinen stammen (d. h. Organe und Gewebe in den Brust-, Bauch- und Beckenhöhlen sowie Blutgefäße und Muskeln). Im Vergleich dazu übertragen spezielle viszerale Afferenzen (SVAs) Geschmackssinne (d. h. Geschmack) und Geruchssinn (d. h. Geruchs- und Pheromonsinne). Obwohl die SVAs Umweltreize erkennen, tun sie dies aufgrund der Wirkung dieser Reize auf die innere Körperumgebung. Daher unterscheiden sie sich von Exterozeptoren; sie übertragen beispielsweise Informationen im Zusammenhang mit Berührung oder Hören. Darüber hinaus haben die viszeralen Sinne gemeinsame zentrale Projektionen zu Zellgruppen im Hirnstamm, einschließlich des Nucleus tractus solitarius (NTS), des Mittelhirns und des Thalamus, die sich von denen der somatischen Exterozeptoren unterscheiden, und sie sind anatomisch und funktionell mit einer bestimmten Reihe zentraler neuronaler Systeme und Prozesse verbunden. Darüber hinaus haben sie gemeinsame biochemische Marker mit GVAs und mit autonomen Neuronen. Es gibt andere Klassen sensorischer Systeme, wie Propriozeptoren, die die Gelenkposition erfassen, und Vestibulozeptoren, die die Körperausrichtung im Gravitationsraum erfassen. Diese könnten als Interozeptoren betrachtet werden, da sie sich im Körperinneren befinden. Dennoch sind sie anatomisch und funktionell eng mit somatischen motorischen Systemen verbunden, und sie haben biochemische Marker, die stärker mit somatischen motorischen Systemen übereinstimmen. Daher werden sie manchmal der einzigartigen Klasse der Propriozeptoren zugeordnet oder andernfalls einfach der allgemeinen Klasse der Exterozeptoren zugerechnet.

Wichtig ist, dass sowohl exterozeptive als auch interozeptive Informationen kognitive und emotionale Prozesse stark beeinflussen können und, was wichtig ist, umgekehrt." [Übersetzt von Google Translate]

(Berntson, Gary G., Peter J. Gianoros, & Manos Tsakiris. "Interoception and the Autonomic Nervous System: Bottom-up meets Top-down." In The Interoceptive Mind: From Homeostasis to Awareness, edited by Manos Tsakiris & Helena De Preester, 3-23. Oxford: Oxford University Press, 2019. pp. 3-4)



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