Was ist ein Gedanke?

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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METASUBJEKT
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Di 21. Mär 2023, 21:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Mär 2023, 18:55
Mein Gehirn, dein Gehirn, jedes Gehirn wurde und wird von Gedanken geformt, die lange vor unserer Geburt gedacht wurden.
Das verstehe ich dann so, dass es Dir um die Tradierung von
Kultur geht. Die sich in der Entwicklung des Denkens niederschlägt.
Das schon In Sprache verfasste Wissen, gibt den nachfolgenden
Generationen Denkmuster und einen Rahmen mit.


Ausserdem treibst Du das Prinzip weiter in die Vergangenheit,
im Zusammenhang mit der Evolution des Menschen.
Das führt dann aber auf eine vorsprachliche Zeit.
Da wird es schwer eine andere Einflußquelle zu finden, die Sprache ersetzen kann.

Diese könnte dann nur noch biologisch sein, und die zu tradierenden
Informationen könnten nur noch von der DNA weiter gegeben werden.

Der Ansatz wäre dann, dass die Lebensbedingungen einen Einfluß auf
die DNA haben, die wiederum auch den Aufbau des Gehirns mitbestimmt.
Anpassungsleistungen, wie neue oder modifizierte Instinkte würden
so an die Nachkommen weiter gegeben.

Das wäre nicht abwegig, ich erinnere mich dunkel an Studien,
nach denen die Auswirkungen von langfristigen Kriegen und Katastrophen
Einfluß auf die DNA haben können und dann, was auch immer, an die
folgende Generation weitergeben.

Du würdest dann wie Epigenetiker argumentieren

Deren Theorie könnte man weiterspinnen.
Und Annehmen daß die Lebensbedingungen
eines Lebewesens schon immer Einfluß auf die DNA gehabt haben könnten,
seit es Organismen mit DNA gibt.

Damit liessen sich auch die Anpassungsleistungen durch fortwährende
Mutationen während der Evolution erklären. Das würde widerum bedeuten dass
Anpassungsleistungen deshalb nicht bloß auf Zufällen beruhen.
Sondern tradierte Anpassungen, mit denen zukünftige Nachkommen
auf veränderte Lebensbedingungen eingestellt wurden.
Und deshalb überlebt haben.

Wenn ich Dich damit also damit richtig verstanden habe, hast Du ein Prinzip der Evolution in nur 19 Wörtern formuliert:

"Mein Gehirn, dein Gehirn, jedes Gehirn wurde und wird von Gedanken geformt, die lange vor unserer Geburt gedacht wurden".

Gute Leistung ;-)




Timberlake
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Mi 22. Mär 2023, 02:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Mär 2023, 18:55
Mein Gehirn, dein Gehirn, jedes Gehirn wurde und wird von Gedanken geformt, die lange vor unserer Geburt gedacht wurden.
  • Autopoiesis ...Luhmannsche Systemtheorie
    Eine weitere wesentliche Voraussetzung für das Vorhandensein eines Systems ist die Fähigkeit, sich selbst (wieder-)herzustellen, also die Autopoiesis. Der Merksatz im Luhmannschen Sinne lautet: Wenn es sich nicht selbst macht, ist es kein System. Dabei bezog sich Luhmann auf das Konzept der chilenischen Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela. Diese wendeten das Konzept der Autopoiesis auf organische Prozesse an und meinten damit, dass Systeme sich mit Hilfe ihrer eigenen Elemente selbst herstellen. Lebewesen sind die ursprünglichen Beispiele für autopoietische Systeme. Für den Beobachter ereignet sich Leben von selbst, ohne dass ein äußerer herstellender Prozess eingreift. Luhmann überträgt dieses Konzept nicht nur auf biologische Systeme, sondern auch auf psychische Systeme und insbesondere soziale Systeme. Auch diese reproduzieren sich selbst mit Hilfe ihrer systemeigenen Operationen . ....
    Geschlossenheit der Operationen
    Ein System entsteht und erhält sich dadurch, dass Operationen aneinander anschließen. ... Wenn Gedanken als Operationen aneinander anschließen, entsteht ein psychisches System (auch: „Bewusstseinssystem“).
    Ein System besteht so lange, wie Operationen jeweils nächste gleichartige Operation ermöglichen. Operationen müssen anschlussfähig sein. Wie eine Operation abläuft, hängt von der jeweils vorangegangenen Operation ab. Deshalb werden diese Systeme als operational geschlossen aufgefasst. So schließt z. B. im psychischen System stets Bewusstsein an Bewusstsein an: Bewusstsein ist der Operationsmodus psychischer Systeme.
.. ich ergänze .. mein Gehirn, dein Gehirn, jedes Gehirn und in Folge dessen Gedanken sind lt. Luhmann Systeme , die sich mit Hilfe ihrer eigenen Elemente selbst herstellen und "aneinander anschließen" ..
Nauplios hat geschrieben :
Sa 11. Mär 2023, 00:22
Stimmt. - "Hohe Luft", ich erinnere mich.

Und ich erinnere mich auch daran: es gab einmal eine Zeit, da standen hier Namen und Philosophien auf der Agenda wie Hannah Arendt, Jacques Derrida, Heidegger, Kant, Blumenberg, Gabriel, Luhmann, Hogrebe, Barthes, Benjamin, Warburg, Nietzsche ... Phänomenologie, Hermeneutik, Ideengeschichte, Ästhetik, Theorie der Moderne ...
.. und so wäre ich einmal gespannt , in wiefern ich mit diesen Gedanken bzw. mit dieser Agenda hier "anschlußfähig" bin ;)




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Jörn Budesheim
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METASUBJEKT hat geschrieben :
Di 21. Mär 2023, 21:08
Evolution
Was du schreibst, hat sicher seine Berechtigung. Aber ich denke weniger an die Evolution als an unsere Geistesgeschichte, wie tief sie auch immer sein mag. Man kann sie sich auch im Zusammenhang mit der Evolution vorstellen. Wir alle stehen in dieser Geschichte und sie prägt uns auf vielfältige Weise.

Ein kurzes Googeln ergibt hingegen: Aus Sicht der Neurowissenschaftler entstehen Gedanken aus messbaren Hirnprozessen, die wiederum aus Verschaltungen und Signalwegen von Nervenzellen resultieren. Der Text, aus dem ich das entnommen habe, ist natürlich komplexer als dieses Zitat. Aber es ist ein Gedanke, den viele plausibel finden: Das Denken kommt aus dem Gehirn.

Aber wie kommt es da hinein? Das Gehirn ist ja nicht vom Himmel gefallen. Natürlich ist es sinnvoll, hier nach evolutionären Prozessen zu fragen. Das will ich gar nicht bestreiten. Aber das kann nicht alles sein. Und das ist auch längst erkannt und anerkannt. Wichtig ist zum Beispiel der sogenannte Wagenhebereffekt: Der Wagenhebereffekt bezeichnet in der soziokulturellen Evolution den Prozess der kumulativen, generationenübergreifenden Verbesserung menschlicher Errungenschaften. Wir sprechen hier also von (sozio-)kultureller Evolution.

Ich bevorzuge den Begriff Geistesgeschichte (im weiteren Sinne), weil er biologistische Konnotationen vermeidet. Das Schreiben von Büchern, das Musizieren, das Malen von Bildern usw. usw. sind keine rein biologischen Prozesse, auch wenn es sie ohne biologische Grundlagen natürlich nicht gäbe. Diese Dinge formen uns, wenn wir Glück haben und in einer guten Tradition stehen, sie sind "Anleitungen" zur Freiheit. Wichtig ist mir die sogenannte Top-down-Kausalität. Unser Gehirn ist nicht nur ein biologisches Phänomen, das es zweifellos ist, sondern es ist auch geistesgeschichtlich geformt: Mein Gehirn, dein Gehirn, jedes Gehirn wurde und wird von Gedanken geformt, die lange vor unserer Geburt gedacht wurden.




Timberlake
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Fr 24. Mär 2023, 03:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 22. Mär 2023, 09:08


Ich bevorzuge den Begriff Geistesgeschichte (im weiteren Sinne), weil er biologistische Konnotationen vermeidet. Das Schreiben von Büchern, das Musizieren, das Malen von Bildern usw. usw. sind keine rein biologischen Prozesse, auch wenn es sie ohne biologische Grundlagen natürlich nicht gäbe. Diese Dinge formen uns, wenn wir Glück haben und in einer guten Tradition stehen, sie sind "Anleitungen" zur Freiheit.
Vorausgesetzt natürlich .. so Kant .., dass die Freiheit , seine Gedanken öffentlich mitzuteilen, den Menschen nicht durch eine äußere Gewalt wie , wann und wo auch immer entrissen wird ..
  • Der Freiheit zu denken ist erstlich der bürgerliche Zwang entgegengesetzt. Zwar sagt man: die Freiheit zu sprechen, oder zu schreiben, könne uns zwar durch obere Gewalt, aber die Freiheit zu denken durch sie gar nicht genommen werden. Allein, wie viel und mit welcher Richtigkeit würden wir wohl denken, wenn wir nicht gleichsam in Gemeinschaft mit andern, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken mitteilen, dächten! Also kann man wohl sagen, daß diejenige äußere Gewalt, welche die Freiheit, seine Gedanken öffentlich mitzuteilen, den Menschen entreißt, ihnen auch die Freiheit zu denken nehme.
    Kant .. Was heißt: sich im Denken orientieren?

.. wie , wann und wo wollte man wohl auch in Richtigkeit denken , wenn man in einer Gemeinschaft mit anderen daran gehindert würde , seine Gedanken mit zu teilen. Also kann man wohl sagen, dass mit der Einschränkung der Redefreiheit , zugleich die Freiheit zum "richtigen" Denken und damit zu "richtigen" Gedanken eingeschränkt wird. ....
METASUBJEKT hat geschrieben :
Di 21. Mär 2023, 21:08
Evolution
.. und damit die Freiheit zur Evolution. Wenngleich die Freiheit zu denken erstlich nicht der bürgerliche sondern viemehr der menschliche Zwang entgegengesetzt ist , zumindest nach meinem bzw. Nietzsches Dafürhalten.
  • Wenn man heilige Aufgaben hat, zum Beispiel die Menschen zu bessern, zu retten, zu erlösen – ... , so steht man mit einer solchen Mission bereits außerhalb aller bloß verstandesmäßigen Wertungen –
    Nietzsche ... Der Antichrist




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