Situationismus vs. Existenzialismus

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Timberlake
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Fr 6. Okt 2023, 22:37

Quk hat geschrieben :
Do 5. Okt 2023, 20:28
Stefanie hat geschrieben :
Do 5. Okt 2023, 20:13
Ich meine damit nicht solche Situationen, wie zu einem Treffen zu dem man nicht will ...
Wir meinten solche Situationen :-)

....
Wo wir schon mal bei <Situationen> sind ...
Paul Stephan hat geschrieben : "Die Bezeichnung <Situationismus> kann als Abgrenzung vom <Extenzialismus> verstanden werden . Sartre hatte den Begriff « Situation » von Hegel übernommen . Er bezeichnet bei ihm die objektive Lage , in die jede Handlung notwendigerweise verstrickt ist. Die Faktizität der Situation geht bei Sartre zwar dem subjektiven Willen des Handelnden voraus – doch Bedeutung erhält sie erst durch dessen freie Entscheidung. Sartre bringt das auf die bewusst paradoxe Formel :

«[E]s gibt Freiheit nur in Situationen, und es gibt Situationen nur durch Freiheit »

Wenn ich etwa einen Kuchen backen will, wird das Mehlregal im Supermarkt für mich zu einer signifikanten Größe – mein Nachbar, der es nicht benötigt , geht achtlos daran vorbei . Die faktische Vorhandenheit des Regals bleibt davon unberührt. Letztendlich wird bei Sartre die Situation also von der Freiheit , d.i.die Existenz determiniert."

Paul Stephan Links-Nietzscheanismus, Band 2 , S.391 ,392
... das die Situation Letztendlich von der Freiheit determiniert wird , lässt sich übrigens auch an Hand eines solchen Treffens beschreiben. Nur das in diesem Fall nicht das Mehlregal im Supermarkt sondern das Treffen zu einer "signifikanten Größe " wird . Einer faktisch vorhandene Situation , die als solches .. an sich .. von der Entscheidung unberührt bleibt. Erst durch die "Existenz " einer freien Entscheidung darüber , ob man dort hin will , erhält das Treffen und damit dessen "Situation" .. für sich .. seine Bedeutung.




Timberlake
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Di 10. Okt 2023, 15:49

Quk hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2023, 20:39
In einer "Planet Wissen"-Sendung hörte ich mal den Psychiater Christian Peter Dogs sagen, dass es nicht gut sei, wenn Psychotherapeuten Verdrängtes wieder hervorholen. Übles zu verdrängen sei eine wichtige Funktion unserer Psyche. Übles verdrängen zu können sei ein Zeichen einer gesunden Psyche.

Mir leuchtet das ein. Das körperliche Immunsystem verdrängt ja auch. Warum sollte man verdrängte Bakterien und Viren wieder aufleben lassen, wenn sie aktuell nicht angreifen?

Wenn sie angreifen werden, mag es gut sein, im Voraus durch Impfung mit einer geringen Menge des Übels das Immunsystenm zu stärken.
Ebenso mag es sinnvoll sein, das geistige Üble maßvoll wieder hervorzuholen zur Abhärtung im Voraus, wenn man weiß, dass zukünftig wieder äußerst Übles geschehen wird.
Aber wenn das zukünftig nicht zu befürchten ist, warum sollte man so etwas machen? Warum nicht den gesunden Zustand mit der Verdrängung so belassen?
Um dazu auf dieses Thema zurück zu kommen . Sicherlich , wenn zukünftig bestimmte Situationen nicht zu befürchten sind, wie beispielsweise die Pocken, die seit 1980 ausgerottet gelten, warum sollte man dann im Voraus, durch eine Impfung mit einer geringen Menge des Übels, das Immunsystenm zu stärken . Nur gilt das auch für das Gedächtnis, an bestimmte Situationen ...
.. "üble" Situationen , bei denen der Stolz unerbittlich bleibt.




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Quk
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Di 10. Okt 2023, 16:04

Das wäre ein Beispiel, in welchem der Patient selbst übles getan hat. In solch einem Fall wäre es vielleicht fragenswert, ob eine aktive Wiedergutmachung möglich ist. Wenn dies möglich ist, könnte man erwägen, das Verdrängte wieder hervorzuholen und dann statt es erneut zu verdrängen, es durch aktive Wiedergutmachung annähernd oder vollständig zu neutralisieren.




Timberlake
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Di 10. Okt 2023, 16:23

Quk hat geschrieben :
Di 10. Okt 2023, 16:04
Das wäre ein Beispiel, in welchem der Patient selbst übles getan hat. In solch einem Fall wäre es vielleicht fragenswert, ob eine aktive Wiedergutmachung möglich ist. Wenn dies möglich ist, könnte man erwägen, das Verdrängte wieder hervorzuholen und dann statt es erneut zu verdrängen, es durch aktive Wiedergutmachung annähernd oder vollständig zu neutralisieren.
Im Sinne von Sartres Existenzialismus geht es nicht um eine aktive Wiedergutmachung. Das , was an üblen Situationen geschehen ist, ist geschehen. Es geht vielmehr darum, wenn man mit einer üblen Situationen konfrontiert ist , gleichsam einem Immunsystem , dass Gedächtnis , an ähnlichen , wenn nicht gar identischen üblen Situationen zu aktivieren. So das man in Folge dessen in die Lage versetzt wird , sie durch entsprechende .. NOTWENDIGE! .. Verhaltensweisen, Haltungen, Gedanken ... ab zu wenden . ..
www.deutschlandfunk.de hat geschrieben :
Was also bleibt von Sartres Philosophie? Für Contat bewahrt sie vor allem ihren druckvollen Appellcharakter.
  • „Die Philosophie Sartres ist eine Philosophie der Notwendigkeit. Es gibt Dinge, die man ändern muss; es gilt Dinge, Verhaltensweisen, Haltungen, Gedanken zu erfinden, um mit einer Zivilisation zurechtzukommen, in der sämtliche Gefahren sich ungleich härter stellen als man es sich vorstellt. Man wirft Sartre oft seine Blindheit in den 30er Jahren gegenüber Hitler und dem beginnenden Naziregime vor. Mindestens ebenso schädlich ist aber unsere Blindheit gegenüber den Gefahren, die etwa der Menschheit und dem Planeten drohen.“
Sartre, das ist Wort gewordene Unruhe, der Stachel im Fleisch, um es mit dem Titel eines seiner Werke zu sagen. Nur, dass wir längst zur Pinzette gegriffen haben
.. eine Pinzette reicht da nicht. Insbesondere, in der Situation .. "unserer Blindheit, gegenüber den Gefahren, die etwa der Menschheit und dem Planeten drohen."




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Quk
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Di 10. Okt 2023, 16:45

Timberlake hat geschrieben :
Di 10. Okt 2023, 16:23
Im Sinne von Sartres Existenzialismus geht es nicht um eine aktive Wiedergutmachung.
Meinst Du das als Überleitung zu einem anderen Thema, oder als Einwand gegen meinen Kommentar?

Mein Kommentar bezog sich auf den Bruder von Therese Elisabeth Alexandra Nietzsche, nicht auf den Lebensgefährten von Simone de Beauvoir.




Timberlake
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Di 10. Okt 2023, 21:34

Als Freund von selbigen , meinte ich das nicht als Überleitung , sondern als eine Schnittmenge.

Sehe ich doch , wenn dieser Bruder von Therese Elisabeth Alexandra Nietzsche sagt ..
  • »Das habe ich getan«, sagt mein Gedächtnis. »Das kann ich nicht getan haben« – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach"
.. da eine Menge der Gruppe A , die zu gleich zu der Menge B , des Lebensgefährten von Simone de Beauvoir gehört und natürlich als solches , also als Schnittmenge , auch umgekehrt.
lehrerfortbildung-bw.de hat geschrieben : Existentialismus
Der zentrale Gedanke ist der, dass der Mensch ein Wesen ist, „bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht“ (S.120). Er ist zunächst nichts, sondern er wird zu dem, zu dem er sich selbst schafft, oder wie Sartre sagt „Er wird erst dann, und er wird so sein, wie er sich geschaffen haben wird.“ (S.120)
Wenn der Mensch zu dem wird , zu dem er sich selbst schafft , dann doch wohl auch durch sein Gedächtnis. Um so fataler , wenn der Stolz unerbittlich bleibt. Geht doch mit dem Nachgeben des Gedächtnis das verloren, wozu sich der Mensch selbst geschafft hat. Er wird dadurch quasi wieder zu einem Nichts .. zumindest diesbezüglich..




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Quk
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Di 10. Okt 2023, 21:54

Ja, das Gedächtnis ist wahrlich die Identität eines Menschen. Die erinnerbare Geschichte ist überhaupt die Identität von jedem Etwas, würde ich sagen.

Ich kann mich noch bruchstückhaft an meine Geburt erinnern. Mein erster erinnerbare Moment, noch im Mutterleib kurz vor der Entbindung, war ein Gefühl des Aufwachens nach einem endlosen Schlaf. Einen Moment später fühlte ich um mir herum Hektik und Lärm. Da bestand meine Identität schon aus einigen Sekunden Geschichte. Ich war irgendwo eingepfercht und musste irgendwo hin. Danach habe ich eine Erinnerungslücke. Weiter gehts dann unmittelbar nach der Nabelschnurtrennung. Ich fühlte mich unwohl und habe geschrien. Ich erinnere mich natürlich nicht an Worte, sondern an Bilder und Lautstärkeverhältnisse. Die Bilder haben eine sehr dicke, schwarze Vignette. Was für eine winzige Identität, in diesen frühen Minuten auf der Welt.




Timberlake
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Fr 20. Okt 2023, 15:21

Quk hat geschrieben :
Di 10. Okt 2023, 21:54
Ich kann mich noch bruchstückhaft an meine Geburt erinnern. Mein erster erinnerbare Moment, noch im Mutterleib ....
Mit dem , woran du dich noch bruchstückhaft erinnerst , wärst du allerdings die absolute Ausnahme . Wie dem auch sei ...

lehrerfortbildung-bw.de hat geschrieben :
Existentialismus
Sartre schrieb den Aufsatz „Ist der Existentialismus ein Humanismus“ 1946. .....Dieser knappe Text, später unter dem Titel „Der Existentialismus ist ein Humanismus“ veröffentlicht, ist einer der Basistexte des Existentialismus.

  • Alle Verantwortlichen kennen diese Angst. Das hindert sie nicht zu handeln, im Gegenteil, es ist die Bedingung ihres Handelns; denn es setzt voraus, daß sie eine Vielzahl von Möglichkeiten ins Auge fassen, und wenn sie eine wählen, wird ihnen bewußt, daß diese ihren Wert nur dadurch erhält, daß sie gewählt wurde. (S.123f.)
Diese Verantwortung führt nicht nur zu Angst, sondern auch dazu, dass der Mensch allein ist. Sartre formuliert an dieser Stelle den Satz, der quasi als Kernsatz des Existentialismus zitiert wird „der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, und dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für all das verantwortlich ist, was er tut.“ (S. 125)
.. einmal als solches in die Welt geworfen , ist man für all das verantwortlich , was man tut. Wie geht man nun mit dieser "Situation" um ...
Stefanie hat geschrieben :
Di 17. Okt 2023, 22:49
Mir erzählen immer mehr Leute, dass sie weder Nachrichten im Fernsehen sehen noch Nachrichten in der Zeitung bzw. Online lesen.
Ist doch auch keine Lösung, oder?

.. oder um konkret zu werden. Wie gehen diese Leute mit dieser Verantwortung um?

.
Zuletzt geändert von Timberlake am Fr 20. Okt 2023, 15:49, insgesamt 1-mal geändert.




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Quk
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Fr 20. Okt 2023, 15:47

Ich bin nicht die einzige Person, die sich bruchstückhaft bildlich (Helligkeiten) und akustisch an die eigene Geburt erinnert. (Mir ist es ohnehin egal, ob einige Hirnforschende das für möglich halten oder nicht. Wenn sie ihre wissenschaftliche Methode ernstnehmen, sollten sie ihre empirische Arbeit fortsetzen und nicht auf ihrer letzten These sitzenbleiben.)




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Fr 20. Okt 2023, 16:09

Quk hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2023, 15:47
Timberlake hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2023, 15:21
Quk hat geschrieben :
Di 10. Okt 2023, 21:54
Ich kann mich noch bruchstückhaft an meine Geburt erinnern. Mein erster erinnerbare Moment, noch im Mutterleib ....
Mit dem , woran du dich noch bruchstückhaft erinnerst , wärst du allerdings die absolute Ausnahme
Ich bin nicht die einzige Person, die sich bruchstückhaft bildlich (Helligkeiten) und akustisch an die eigene Geburt erinnert. (Mir ist es ohnehin egal, ob einige Hirnforschende das für möglich halten oder nicht. Wenn sie ihre wissenschaftliche Methode ernstnehmen, sollten sie ihre empirische Arbeit fortsetzen und nicht auf ihrer letzten These sitzenbleiben.)
.... dann ist dergleichen meinetwegen eben keine "absolute Ausnahme". Vor dem Hintergrund des Thema dieses Threads, als da wäre Situationismus vs. Existenzialismus, würde ich eine Diskussion darüber, ob und inwiefern man sich an seine Geburt erinnert eh für wenig hilfreich halten.
Stefanie hat geschrieben :
Di 17. Okt 2023, 22:49
Mir erzählen immer mehr Leute, dass sie weder Nachrichten im Fernsehen sehen noch Nachrichten in der Zeitung bzw. Online lesen.
Ist doch auch keine Lösung, oder?

Dann doch schon eher eine Diskussion darüber , ob und inwiefern man sich an Nachrichten im Fernsehen, in der Zeitung bzw. Online erinnert.




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