Panpsychismus

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Quk
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So 30. Jun 2024, 14:17

Als Einleitung: https://youtu.be/B7KaNnFij2Q (nur als Link; absichtlich nicht eingebettet)

Vorweg: Gibt es Protobewusstsein? Ich vermute, Bewusstsein ist durchaus eine skalierbare Größe, ähnlich wie die Schwangerschaft. Man sagt zwar nie, man sei ein "bisschen" schwanger, sondern man ist es, ja oder nein. Andererseits gibt es doch ein skalierbares Schwangerschafts-Ausmaß von der Befruchtung bis zum neunten Monat oder darüber hinaus. Also alles, was über den Null-Wert hinausgeht, bezeichne ich enstprechend als "schwanger", beziehungsweise als "bewusst". Die Vorsilbe "Proto" ist somit nur ein Synonym für "knapp über null". Die Verschmelzung zweier Zellen stellt zwar noch keinen Fötus dar, aber man könnte diese Nullüberschreitung zumindest "Protoschwangerschaft" nennen, und ein Bewusstsein größer null kann man ein Protobewusstsein heißen. So komme ich wieder auf die Anfangsfrage zurück bezüglich des Zwecks oder der Zwecklosigkeit des Bewusstseins, egal wie groß dies sein möge -- ob proto oder ultra:

Also, hat das Bewusstsein überhaupt einen Zweck, oder ist es ein zweckfreies Nebenprodukt?

Folgende Beobachtung aus der Hirnforschung ist bekannt: Neuronen fällen eine Entscheidung, und 7 Sekunden später kommen zwei bemerkenswerte Gefühle auf: Das Gefühl, das Ich sei am Entscheiden, und das Gefühl, das Entscheiden geschehe jetzt (obwohl es vor 7 Sekunden geschah).

Wozu dieses Bewusstsein und dessen Verzögerung gut sein sollen, dazu gibt es sicherlich viele Thesen. Mir ist auch gerade eine durch den Kopf gegangen; bestimmt ist auch die nicht neu. Folgendes:

Bewusste Qualitäten wie rot, süß, traurig, froh etc. sind Vereinfachungen von sehr komplexen Daten. Beispielsweise besteht der Sachverhalt "Hitze" aus vielerlei Parametern wie Anzahl der beweglichen Teilchen im Raum, deren Geschwindigkeit, Elastizität etc. Das alles zusammen ergibt eine ungeheure Komplexität, und diese lässt außerdem Zeit verstreichen, weil allein schon der Parameter Geschwindigkeit nur während des Zeitvergehens messbar ist (Weg pro Zeit). Es finden also stetig außerbewusste Prozesse statt, im Nanosekundenbereich, und jene 7 Sekunden sind nur eine weitere angehängte Verzögerung; eine von vielen.

Und jetzt zum eigentlichen Punkt: Ich vermute, dass jenes verzögerte Bewusstwerden dem Zweck dient, das Resultat der vor 7 Sekunden getätigten Entscheidung zu bewerten. Es geht darum, zu bewerten, wie gut oder gar lebenswichtig das Resultat der Entscheidung ist. Was besonders gut tut, muss im Gedächtnis gespeichert werden ebenso wie jenes, was besonders weh tut. Das Bewerten muss zügig geschehen; das Hirn kann nicht jedes Detail der Komplexität einer heißen Herdplatte auswerten und dann auch noch alles speichern. Stattdessen liefert das Bewusstsein eine kompakte Qualität, die keinen weiteren Begriff braucht außer ihre Qualität per se, wie etwa dasjenige, was ich mit dem Wort "heiß" symbolisiere. Ich habe gelernt, dass man diejenigen Sachen am besten lernt, die mit starken Gefühlen oder Emotionen einhergehen, und dass dieser Effekt mit beobachtbaren Hirnaktivitäten korreliert in jenem Bereich des menschlichen Hirns, das vom Aufbau her Millionen Jahre alt und das auch Reptilien besitzen. Am Anfang war das Gefühl und die Emotion, dann baute sich der Intellekt darum herum, und das Bewusstsein wurde noch größer. Vielleicht. Jedenfalls könnte das Bewusstsein dazu dienen, Resultate von Entscheidungen zu bewerten hinsichtlich ihrer Wichtigkeit, um so den Speicherplatz zu optimieren. Es gibt ja bekanntlich auch spezielle, speichernützliche Filter-Effekte, die bei Versagen den Speicher überlasten und zu Autismus führen.




Timberlake
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So 30. Jun 2024, 16:42

Quk hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 14:17
Als Einleitung: https://youtu.be/B7KaNnFij2Q (nur als Link; absichtlich nicht eingebettet)

Vorweg: Gibt es Protobewusstsein? Ich vermute, Bewusstsein ist durchaus eine skalierbare Größe, ähnlich wie die Schwangerschaft. Man sagt zwar nie, man sei ein "bisschen" schwanger, sondern man ist es, ja oder nein.
Als ich das las musste ich so an Leibnitz denken , Der hat zur Schwangerschaft folgendes festgestellt ...


"Die Gegenwart geht mit der Zukunft schwanger: man könnte das Kommende im Vergangenen lesen, und das Entfernte ist im Nahen abgespiegelt."
Gottfried Leibniz - Die Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade

Quk hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 14:17

Folgende Beobachtung aus der Hirnforschung ist bekannt: Neuronen fällen eine Entscheidung, und 7 Sekunden später kommen zwei bemerkenswerte Gefühle auf: Das Gefühl, das Ich sei am Entscheiden, und das Gefühl, das Entscheiden geschehe jetzt (obwohl es vor 7 Sekunden geschah).

Wenn denn die Gegenwart mit der Zukunft schwanger geht und die Neuronen eine Entscheidung fällen welche bei uns erst 7 Sekunden später zu Bewusstsein kommt . dann kommt man wohl nicht umhin , dass die Gegenwart der Neuronen mit der Zukunft dessen schwanger geht , was von uns daraufhin entschieden wird. Schließlich konnte man das, zu uns als Gefühl Kommende , im Vergangenen der Neuronen lesen. Wenn nun das Entfernte im Nahen abgespiegelt ist , so kommt man wohl auch tatsächlich nicht umhin, dass das Gefühl , das ich entscheide , lediglich eine Abspiegelung ist .
Zuletzt geändert von Timberlake am So 30. Jun 2024, 17:08, insgesamt 4-mal geändert.




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Quk
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So 30. Jun 2024, 16:53

Hm, das ist aber ein anderer Dampfer. Ich hoffe, Du beginnst jetzt keine Reise ins Off-Topic :-)




Timberlake
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So 30. Jun 2024, 17:06

Dann wärst du allerdings auch Gast auf diesem Dampfer . Schließlich habe ich dich zu diesem Thema in wortwörtlicher Rede zitiert.

Dazu nur mal zur Info ...
welt.de hat geschrieben : Unsere Galaxie handelt eventuell bewusst
Denn Panpsychisten, wie es unter anderem die Buddhisten sind, schreiben allen Dingen, sogar Atomen und Kleinstlebewesen, ein Bewusstsein zu, weil sie keine scharfe Grenzen zwischen uns und dem Rest der Natur sehen. Sie denken nicht holzschnittartig, von wegen „Bakterien und Ratten haben gar kein Bewusstsein, Hunde und Menschen schon“
Wenn nun Panpsychisten sogar Atomen ein Bewustsein zu schreiben, was wäre da nicht naheliegender , dass .. wie von mir hier , auf meinen Dampfer beschrieben .. bewusste Neuronen mit dem Schwanger gehen , was wir 7 sekunden später fühlen bzw. denken.
Quk hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 14:17

Und jetzt zum eigentlichen Punkt: Ich vermute, dass jenes verzögerte Bewusstwerden dem Zweck dient, das Resultat der vor 7 Sekunden getätigten Entscheidung zu bewerten. Es geht darum, zu bewerten, wie gut oder gar lebenswichtig das Resultat der Entscheidung ist.
In sofern du bei diesem eigentlichen Punkt irrst. Das Resultat der vor 7 Sekunden getätigten Entscheidung wurde bereits von den Neuronen bewertet. Die entscheiden , was gut oder gar lebenswichtig ist.
Zuletzt geändert von Timberlake am So 30. Jun 2024, 17:29, insgesamt 2-mal geändert.




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Quk
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So 30. Jun 2024, 17:28

Timberlake, hat das Bewusstsein überhaupt einen Zweck, oder ist es ein zweckfreies Nebenprodukt?

Möchtest Du diese Frage überspringen? -- Ich habe oben eine These vorgestellt, die dem Bewusstsein einen Zweck zuschreibt, nämlich den der möglichst schnellen Bewertung eines Entscheidungs-Resultats, um wichtige Erlebnisse von unwichtigen zu unterscheiden und den Gedächtnisspeicher optimal und schnell nutzen zu können.

Hat der Dampfer ein Gedächtnis? Beziehungsweise, ist meine These falsch und Bewusstseine benötigen überhaupt keine Gedächtnisse?

Timberlake hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 17:06
Das Resultat der vor 7 Sekunden getätigten Entscheidung wurde bereits von den Neuronen bewertet. Die entscheiden , was gut oder gar lebenswichtig ist.
Die muskulöse Ausführung der 7 Sekunden alten Entscheidung bewirkt etwas, das vor 7 Sekunden noch nicht bewirkt war; also damals vor 7 Sekunden gab es noch nichts zu bewerten. Ja, die Neuronen mögen entscheiden, was gut oder gar lebenswichtig ist. Aber ob ihr Plan aufgeht, wissen sie erst in 7 Sekunden.
Zuletzt geändert von Quk am So 30. Jun 2024, 17:38, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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So 30. Jun 2024, 17:37

Und warum hast du den Faden Panpsychismus genannt?




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Quk
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So 30. Jun 2024, 17:41

Weil ich diese Einleitung benötige, um auf den Panpsychismus eingehen zu können.

Fragen mit Erläuterungen einzuleiten scheint in letzter Zeit nicht so Dein Ding zu sein?




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Jörn Budesheim
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So 30. Jun 2024, 18:04

Dann frage ich anders: ist das Thema des Fadens Panpsychismus oder nicht?




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Quk
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So 30. Jun 2024, 18:04

Weisste was? Lösch den Faden.




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Consul
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So 30. Jun 2024, 19:01

Quk hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 14:17
Vorweg: Gibt es Protobewusstsein? Ich vermute, Bewusstsein ist durchaus eine skalierbare Größe, ähnlich wie die Schwangerschaft. Man sagt zwar nie, man sei ein "bisschen" schwanger, sondern man ist es, ja oder nein. Andererseits gibt es doch ein skalierbares Schwangerschafts-Ausmaß von der Befruchtung bis zum neunten Monat oder darüber hinaus. Also alles, was über den Null-Wert hinausgeht, bezeichne ich enstprechend als "schwanger", beziehungsweise als "bewusst". Die Vorsilbe "Proto" ist somit nur ein Synonym für "knapp über null". Die Verschmelzung zweier Zellen stellt zwar noch keinen Fötus dar, aber man könnte diese Nullüberschreitung zumindest "Protoschwangerschaft" nennen, und ein Bewusstsein größer null kann man ein Protobewusstsein heißen.
"Protobewusstsein" ist entweder Vorbewusstsein als (Noch-)Nichtbewusstsein oder Urbewusstsein als älteste/früheste Art von Bewusstsein.

Wenn unter Bewusstsein phänomenales Bewusstsein (phenomenal consciousness) verstanden wird, d.i. das Vorhandensein irgendeiner Art/irgendwelcher Arten subjektiven Erlebens, dann kann es kein "Halbbewusstsein" zwischen Nichtbewusstsein und Bewusstsein geben, und somit auch keine Grade des Bewusstseins (außer 0 und 1). Denn eine subjektive Erfahrung (Empfindung) ist entweder da oder nicht, man hat sie entweder oder man hat sie nicht—eine dritte Möglichkeit gibt es nicht!

Was es allerdings gibt, sind unterschiedliche Grade oder Ebenen des kognitiven Bewusstseins in Gestalt unterschiedlicher Ebenen geistiger Wachheit oder Wachsamkeit. Im Zustand der Schläfrigkeit oder Benommenheit nimmt man seine Umwelt und sich selbst viel weniger aufmerksam, viel ungenauer, unklarer und undeutlicher wahr als im hellwachen Zustand höchster Aufmerksamkeit und Konzentration.

Das phänomenale Bewusstsein ist jedoch auch bei einem sehr niedrigen Grad an kognitiver oder reflektiver Bewusstseinshelligkeit immer noch vorhanden. Eine demente Person ist immer noch ein Subjekt von Erlebnissen (Empfindungen, Gefühlen) und kein phänomenaler "Zombie", wenngleich sie darüber infolge ihrer geistigen Bewusstseinstrübung nicht mehr nachdenkt.



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So 30. Jun 2024, 20:05

"Panpsychism, taken literally, is the doctrine that everything has a mind. In practice, people who call themselves panpsychists are not committed to as strong a doctrine. They are not committed to the thesis that the number two has a mind, or that the Eiffel tower has a mind, or that the city of Canberra has a mind, even if they believe in the existence of numbers, towers, and cities.
Instead, we can understand panpsychism as the thesis that some fundamental physical entities have mental states. For example, if quarks or photons have mental states, that suffices for panpsychism to be true, even if rocks and cities do not have mental states. Perhaps it would not suffice for just one photon to have mental states. The line here is blurry, but we can read the definition as requiring that all members of some fundamental physical types (all photons, for example) have mental states."

(Chalmers, David J. "Panpsychism and Panprotopsychism." In Panpsychism: Contemporary Perspectives, edited by Godehard Brüntrup and Ludwig Jaskolla, 19-47. New York: Oxford University Press, 2017. p. 19)
Die meisten zeitgenössischen Panpsychisten nehmen die Vorsilbe "pan-" also nicht wörtlich. Den Panpsychismus definieren sie entsprechend nicht als die absolute Lehre, dass alle physischen Dinge (egal welcher Art) psychische Eigenschaften besitzen, sondern als die relative Lehre, dass "bestimmte fundamentale physische Entitäten mentale Zustände haben." (Chalmers)
Es würde somit für die Wahrheit des so definierten Panpsychismus genügen, dass einige Arten von Elementarteilchen psychologische Subjekte sind (und z.B. Steine nicht). Diese Sichtweise—dass psychische Eigenschaften zu den fundamentalen, nichtemergenten natürlichen Eigenschaften zählen—sollte man aber besser nicht "Panpsychismus" nennen, sondern z.B. "Archäopsychismus" (Galen Strawson verwendet "archepsychism").
"archaeo- = before vowels archae-, word-forming element in scientific compounds meaning "ancient, olden, primitive, primeval, from the beginning," from Latinized form of Greek arkhaios "ancient, primeval," from arkhē "beginning," verbal noun of arkhein "to be the first," hence "to begin"."

Quelle: https://www.etymonline.com/word/archaeo-
Die Panpsychisten haben allerdings auch als Archäopsychisten ein großes Problem: Denn in der kraftstofflichen "Ursuppe" unmittelbar nach dem Urknall existierten noch keine stabilen Elementarteilchen als angebliche Geistes-/Bewusstseinsträger. Ich hoffe, dass sie nicht aberwitzigerweise behaupten werden, dass bereits in jener "Ursuppe" trägerlose (subjektlose) Empfindungen oder Gefühle "herumschwammen", die erst später von Elementarteilchen "eingefangen" und "verinnerlicht" wurden. (Die Behauptung, Elementarteilchen seien psychologische Subjekte, ist allerdings kaum weniger absurd.)

Um das Emergenzproblem zu vermeiden, kommen Archäopsychisten andererseits nicht umhin zu behaupten, dass psychische Qualitäten seit dem Urknall Teil des Universums sind.



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Consul
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So 30. Jun 2024, 20:40

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 18:28
Wenn "funktionale Konnektivität" aus nicht-bewussten Elementen Bewusstsein schaffen kann, warum soll das Gleiche bei bewussten Elementen nicht möglich sein?
Wie könnten getrennte Bewusstseine miteinander verschmelzen und ein einheitliches Bewusstsein bilden?

"The inspiration for the [combination] problem is the following passage from James:…"

https://plato.stanford.edu/entries/panp ... /#CombProb
"Verschiedene Geisteszustände können nicht "verschmelzen".

Aber der Gedanke, daß unsere Vorstellungen Kombinationen kleinerer Vorstellungen seien, ist nicht nur unwahrscheinlich, er ist logisch unmöglich; denn er läßt die wichtigsten Tatsachen aller "Kombinationen", die wir wirklich kennen, außer acht.

Beim Kräfteparallelogramm vereinigen nicht die "Kräfte" sich selbst zu der resultierenden Diagonale; es bedarf eines Körpers, auf den sie einwirken und an denen der Gesamteffekt zur Darstellung gelangt. Ebensowenig kombinieren sich musikalische Töne selbst zu Harmonien oder Dissonanzen. Harmonie und Dissonanz sind Namen für ihre kombinierten Wirkungen auf ein ihnen gegenüberstehendes Ding, das Ohr.

Wo als die elementaren Einheiten Bewußtseinsinhalte zu gelten haben, liegen die Dinge kein bißchen anders. Man nehme ein Hundert derselben, schüttle sie durcheinander und dränge sie so dicht zusammen wie man kann (was man darunter auch verstehen mag); jede Einheit wird doch nach wie vor die gleiche sein, in ihrer eigenen Haut stecken, keine Fenster haben und nichts von dem wissen, was die andern Bewußtseinsinhalte sind und bedeuten. Es müßte ein hundertunderster Bewußtseinsinhalt auftreten, wenn beim Vorhandensein einer solchen Gruppe oder Reihe von Bewußtseinsinhalten ein auf die Gruppe als solche bezügliches Bewußtsein sich einstellen sollte, und dieser hundertunderste Bewußtseinsinhalt wäre eine ganz neue Tatsache. Die hundert zunächst vorhandenen Bewußtseinsinhalte könnten auf
Grund eines merkwürdigen physikalischen Gesetzes dadurch, daß sie zusammenkommen, eine Veranlassung sein für die Schöpfung des neu hinzukommenden – wir müssen ja oft Dinge einzeln lernen, bevor wir sie als Gesamtheit erfassen – aber sie würden mit dem letzteren keine substantiale Identität besitzen, ebensowenig wie er mit ihnen, und man könnte nicht den einen aus den vielen ableiten oder (in irgendwie sinnvoller Weise) sagen, daß sie ihn aus sich hervorgebracht haben.

Man nehme einen Satz von zwölf Wörtern sowie zwölf Menschen und sage jedem von ihnen ein Wort. Dann stelle man die Menschen in einer Reihe auf oder dränge sie auf einen Haufen zusammen und lasse jeden an sein Wort denken so kräftig als er will: nirgends wird dann das Bewußtsein des ganzen Satzes vorhanden sein. Wir sprechen allerdings vom "Zeitgeist" und vom Volksempfinden und hypostasieren in verschiedenster Weise die "öffentliche Meinung". Aber wir wissen, daß dies eine symbolische Ausdrucksweise ist und lassen uns niemals einfallen, daß der Zeitgeist, die öffentliche Meinung oder das Volksempfinden etwas anderes bedeuten als das Bewußtsein der einzelnen Individuen, die eine Zeit, ein Volk oder die Öffentlichkeit ausmachen. Die Privatgeister vereinigen sich nicht zu einem höheren komplexen Geist."

(James, William. Psychologie. Übers. v. Marie Dürr. Leipzig: Quelle & Meyer, 1909. S. 197-9)



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Jörn Budesheim
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So 30. Jun 2024, 21:10

Consul hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 20:40
Wie könnten getrennte Bewusstseine miteinander verschmelzen und ein einheitliches Bewusstsein bilden?
Wie können Unbewusstheiten zu einem einzigen Bewusstsein "verschmelzen"?

Im ersten Interview des Videos (Einführungsbeitrag) sagt der Interviewte sinngemäß, dass der Panpsychismus sicher noch Probleme hat, aber der Materialismus eben hoffnungslos ist.

Das Hauptargument gegen den Panpsychismus, sagt er weiter, ist gleichzeitig das schwächste Argument, nämlich dass die Idee weird ist. Ich finde die Idee, dass alles irgendwie psychisch ist, auch ziemlich weird, aber er hat Recht, dass es in der physikalischen Realität viele Dinge gibt, die weird sind. Ich glaube, der Panpsychismus ist/war mir suspekt, weil er lange Zeit einfach als esoterisch angesehen wurde. Gegenüber dem Materialismus hat er den Vorteil, dass er nicht fast mit Sicherheit falsch ist. Deswegen bin ich gegenüber dem Panpsychismus mittlerweile etwas offener.




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Mo 1. Jul 2024, 00:40

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 21:10
Consul hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 20:40
Wie könnten getrennte Bewusstseine miteinander verschmelzen und ein einheitliches Bewusstsein bilden?
Wie können Unbewusstheiten zu einem einzigen Bewusstsein "verschmelzen"?
Indem sich bewusstseinslose Nervenzellen (temporär) zu speziellen Netzwerken zusammenschließen, deren dynamische elektrochemische Mechanismen sich subjektiv in einem einheitlichen Bewusstseinszustand manifestieren. Ich weiß, dass dies bloß eine höchst allgemeine und oberflächliche Antwort ist. Wie das en detail abläuft, kann ich dir nicht erklären. Dafür sind die Neurowissenschaftler zuständig, zu denen ich nicht gehöre.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 21:10
Im ersten Interview des Videos (Einführungsbeitrag) sagt der Interviewte sinngemäß, dass der Panpsychismus sicher noch Probleme hat, aber der Materialismus eben hoffnungslos ist.
Ich sehe es genau umgekehrt.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 21:10
Das Hauptargument gegen den Panpsychismus, sagt er weiter, ist gleichzeitig das schwächste Argument, nämlich dass die Idee weird ist. Ich finde die Idee, dass alles irgendwie psychisch ist, auch ziemlich weird, aber er hat Recht, dass es in der physikalischen Realität viele Dinge gibt, die weird sind. Ich glaube, der Panpsychismus ist/war mir suspekt, weil er lange Zeit einfach als esoterisch angesehen wurde. Gegenüber dem Materialismus hat er den Vorteil, dass er nicht fast mit Sicherheit falsch ist. Deswegen bin ich gegenüber dem Panpsychismus mittlerweile etwas offener.
Der Panpsychismus (oder "Archäopsychismus") ist nicht nur kontraintuitiv (wie das physikalische Phänomen der Quantenverschränkung), sondern glattweg absurd. Dieser Vorwurf lässt sich nicht einfach vom Tisch wischen!
Es gibt auch keinerlei wissenschaftliche Beweise für seine Wahrheit (im Gegensatz zur Theorie der Quantenverschränkung); und ich wüsste auch nicht, wie es jemals welche geben könnte.
Was sollen einzelne Elementarteilchen ohne irgendwelche Sinnesorgane denn überhaupt empfinden oder fühlen können? Nach dem Wie und Wozu will ich erst gar nicht fragen, denn eine panpsychistische Wissenschaft des Bewusstseins wird es (im Gegensatz zu einer physikalistischen Bewusstseinswissenschaft) niemals geben. In den höchst komplexen Gehirnen von Tieren kann man dem Bewusstsein wissenschaftlich auf den Grund gehen, aber nicht in einzelnen strukturlosen Elementarteilchen—insbesondere nicht in solchen außerhalb von Gehirnen. Der Panpsychismus ist für Naturwissenschaftler somit nutzlos.



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Consul
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Mo 1. Jul 2024, 02:44

Überdies halte ich die Entkopplung von Erleben (Bewusstsein) und Leben für einen Grundfehler des Panpsychismus, dem zufolge eine "Erlebewesen" kein Lebewesen sein muss. Das Dasein und die Entstehung des Bewusstseins ergeben Sinn innerhalb des Zusammenhangs und Ablaufs der biologischen Evolution von (tierischen) Organismen, aber nicht außerhalb und unabhängig davon.

Der Panbiopsychismus—als die Lehre, dass alle Lebewesen phänomenales Bewusstsein besitzen, phänomenologische Subjekte sind—ist weniger aberwitzig als der Panpsychismus, aber ebenfalls falsch; denn das phänomenale Bewusstsein oder subjektive Erleben ist wohl erst auf einer vierten Stufe der biologischen Evolution in Erscheinung getreten:

Stufe 1: das prä-neurobiologische Sein (Lebewesen ohne Nervenzellen)
Stufe 2: das neurobiologische Sein (Lebewesen mit Nervenzellen/Nervensystemen)
Stufe 3: das "noobiologische" Sein (Lebewesen mit zentralem Nervensystem und kognitiven Fähigkeiten)
Stufe 4: das "phänobiologische" Sein (Lebewesen mit zentralem Nervensystem und phänomenalem Bewusstsein)

[Das Präfix "noo-" ist vom griechischen Hauptwort "nous" = "Geist", "Verstand" abgeleitet.]

Aus naturwissenschaftlicher Sicht gibt es keinen überzeugenden Grund nicht anzunehmen, dass phänomenales Bewusstsein ausschließlich bei Tieren mit einem Gehirn vorkommt. Und selbst bei dieser Klasse von Organismen ist es fraglich, ob alle von ihnen Bewusstseinssubjekte sind; denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass dafür ein bestimmter Grad von Gehirnkomplexität erforderlich ist, der nicht bei allen Arten von Hirntieren gegeben ist.



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Mo 1. Jul 2024, 02:55

Consul hat geschrieben :
Mo 1. Jul 2024, 00:40


Der Panpsychismus (oder "Archäopsychismus") ist nicht nur kontraintuitiv (wie das physikalische Phänomen der Quantenverschränkung), sondern glattweg absurd. Dieser Vorwurf lässt sich nicht einfach vom Tisch wischen!
Es gibt auch keinerlei wissenschaftliche Beweise für seine Wahrheit (im Gegensatz zur Theorie der Quantenverschränkung); und ich wüsste auch nicht, wie es jemals welche geben könnte.
Was sollen einzelne Elementarteilchen ohne irgendwelche Sinnesorgane denn überhaupt empfinden oder fühlen können? Nach dem Wie und Wozu will ich erst gar nicht fragen, denn eine panpsychistische Wissenschaft des Bewusstseins wird es (im Gegensatz zu einer physikalistischen Bewusstseinswissenschaft) niemals geben. In den höchst komplexen Gehirnen von Tieren kann man dem Bewusstsein wissenschaftlich auf den Grund gehen, aber nicht in einzelnen strukturlosen Elementarteilchen—insbesondere nicht in solchen außerhalb von Gehirnen. Der Panpsychismus ist für Naturwissenschaftler somit nutzlos.
Einen wissenschaftliche Beweis für den Panpsychismus gibt es sicherlich nicht. Nur was haben denn die Naturwissenschaftler bezüglich dessen vorzuweisen , was der Panpsychismus von Hause aus anbietet und zwar einen Lösungsvorschlag für das das sogenannte „Leib-Seele-Problem“.

Wenn gemäß Ockhams Rasiermesser von mehreren möglichen hinreichenden Erklärungen, für ein und denselben Sachverhalt , die einfachste Theorie, allen anderen vorzuziehen ist, kommt man an den Panpsychismus möglicherweise nicht vorbei. Zumal die Naturwissenschaftler für das „Leib-Seele-Problem“ noch nicht einmal eine Erklärung anbieten. Dieser Vorwurf lässt sich übrigens auch nicht einfach vom Tisch wischen!
Consul hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 20:40


(James, William. Psychologie. Übers. v. Marie Dürr. Leipzig: Quelle & Meyer, 1909. S. 197-9)

"Verschiedene Geisteszustände können nicht "verschmelzen".

Aber der Gedanke, daß unsere Vorstellungen Kombinationen kleinerer Vorstellungen seien, ist nicht nur unwahrscheinlich, er ist logisch unmöglich; denn er läßt die wichtigsten Tatsachen aller "Kombinationen", die wir wirklich kennen, außer acht.
weil hier gerade von Vorstellungen die Rede ist , dazu und zum Thema Panpsychismus passend ein Zitat aus Schopenhauers "Die Welt als Wille und Vorstellung " ...
  • "Nicht allein in denjenigen Erscheinungen, welche seiner eigenen ganz ähnlich sind, in Menschen und Thieren, wird er als ihr Innerstes Wesen jenen nämlichen Willen anerkennen; sondern die fortgesetzte Reflexion wird ihn dahin leiten, auch die Kraft, welche in der Pflanze treibt und vegetirt, ja, die Kraft, durch welche der Krystall anschießt, die, welche den Magnet zum Nordpol wendet, die, deren Schlag ihm aus der Berührung heterogener Metalle entgegenfährt, die, welche in den Wahlverwandtschaften der Stoffe als Fliehn und Suchen, Trennen und Vereinen erscheint, ja, zuletzt sogar die Schwere, welche in aller Materie so gewaltig strebt, den Stein zur Erde und die Erde zur Sonne zieht, – diese Alle nur in der Erscheinung für verschieden, ihrem Innern Wesen nach aber als das Selbe zu erkennen, als jenes ihm unmittelbar so intim und besser als alles Andere Bekannte, was da, wo es am deutlichsten hervortritt, Wille heißt."
    Schopenhauer ..Die Welt als Wille und Vorstellung
Wenn denn gemäß dem Panpsychismus geistige Phänomene beispielsweise bereits in den anorganischen Neuronen des Gehirns als mentale Vorstufen implementiert sind, warum dann nicht auch als Wille. Das die Neuronen wärend dessen , gleichsam dem Streben des Steins zur Erde, von einer Kraft angetrieben werden, sollte doch wohl außer Frage stehen.




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Mo 1. Jul 2024, 08:11

Quk hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 14:17
Vorweg: Gibt es Protobewusstsein? Ich vermute, Bewusstsein ist durchaus eine skalierbare Größe, ähnlich wie die Schwangerschaft. Man sagt zwar nie, man sei ein "bisschen" schwanger, sondern man ist es, ja oder nein. Andererseits gibt es doch ein skalierbares Schwangerschafts-Ausmaß von der Befruchtung bis zum neunten Monat oder darüber hinaus. Also alles, was über den Null-Wert hinausgeht, bezeichne ich enstprechend als "schwanger", beziehungsweise als "bewusst". Die Vorsilbe "Proto" ist somit nur ein Synonym für "knapp über null". Die Verschmelzung zweier Zellen stellt zwar noch keinen Fötus dar, aber man könnte diese Nullüberschreitung zumindest "Protoschwangerschaft" nennen, und ein Bewusstsein größer null kann man ein Protobewusstsein heißen.
Ich will noch einmal auf den Startbeitrag eingehen. Er gibt mir nach wie vor Rätsel auf.

Was genau bedeutet Protobewusstsein? Ich habe keine Literatur dazu, aber ich stelle mir darunter eine sehr einfache, grundlegende Vor- oder Ur-Form von Bewusstsein vor. Bzw.: wirklich vorstellen kann ich es mir vielleicht gar nicht, weil unsere eigene Form von Bewusstsein dafür zu komplex ist, vermutlich.

Diese Proto-Form des Bewusstseins ist sicher nicht vergleichbar mit dem komplexen, reflektierten Bewusstsein von Menschen, sondern soll eine elementare Basis sein, aus der sich komplexere/vielfältigere Formen von Bewusstsein, zum Beispiel so wie wir es erleben, entwickelt und verzweigt haben. Die Idee der Skalierbarkeit finde ich daher fragwürdig, weil es meines Erachtens die Vielfalt des Bewusstseins nicht berücksichtigt. Wir kennen Bewusstsein schließlich in sehr unterschiedlichen Formen und Ausprägungen z. B. als sogenanntes Zugriffsbewusstsein, als Ich-Bewusstsein, als phänomenales Bewusstsein, soziales Bewusstsein, Metabewusstsein,... das ist meines Erachtens mit dem Gedanken der Skalierbarkeit nicht gut vereinbar. 
Quk hat geschrieben :
So 30. Jun 2024, 14:17
Also, hat das Bewusstsein überhaupt einen Zweck, oder ist es ein zweckfreies Nebenprodukt?
Nach meinem bisherigen rudimentären Verständnis des Panpsychismus ist diese Frage eigentlich nicht mit dem Grundgedanken des Panpsychismus zu vereinbaren, denn gemäß dem Panpsychismus ist Bewusstsein nichts, was ein Produkt bzw. Nebenprodukt sein kann, sondern eine grundlegende Eigenschaft der Materie selbst, so wie Ladung, Spin, Masse oder andere physikalische Eigenschaften. (Proto-)Bewusstsein ist nicht evolutionär entstanden und hat keinen evolutionären Zweck. Oder was genau soll mit Zweck gemeint sein?

(Auch daraus resultiert auch meine Verwirrung/Frage, was eigentlich das Thema des Fadens sein soll. Panpsychismus, Zweck oder Nebenprodukt... das kriege ich irgendwie nicht zusammen.)


Noch ein paar weitere Worte zum Zweck: Die (tatsächliche oder angebliche) 7-Sekunden-Verzögerung und die Bewertung von Entscheidungen betreffen nach meinem Verständnis erst das kognitive/phänomenale/etc. Bewusstsein höherer Lebensformen, das gemäß vieler Theorien aus komplexen Gehirnprozessen resultiert und nicht Bewusstsein schlechthin im Sinne des Panpsychismus. Diese komplexen Prozesse sind evolutionär entstanden und würden (wenn das, was im Startbeitrag vermutet wird, richtig ist) dem Überleben und der Entscheidungsfindung dienen. Der Panpsychismus bezieht sich jedoch auch auf ein grundlegendes Bewusstsein, das auch unabhängig von solchen Prozessen existiert.

Mit anderen Worten: Wenn Bewusstsein den Zweck hätte, Entscheidungen zu bewerten, dann wäre es bis zum Entstehen komplexer Lebensformen für etwa 10 Milliarden Jahre oder mehr "zwecklos" gewesen. Das passt nicht wirklich zur panpsychistischen Sichtweise, die Bewusstsein als grundlegende Eigenschaft der Materie betrachtet, unabhängig von evolutionären Entwicklungen.




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Jörn Budesheim
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Mo 1. Jul 2024, 08:53

https://www.faz.net/aktuell/wissen/geis ... 97757.html

Ich finde diesen Artikel sehr interessant. Er beschreibt in einfachen Worten, warum das harte Problem des Bewusstseins und das harte Problem der Materie vielleicht zusammenhängen. Der Panpsychismus wäre demnach das Forschungsprogramm, dass womöglich beide harte Probleme in den Griff bekommen kann.




Körper
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Mo 1. Jul 2024, 15:03

Consul hat geschrieben :
Mo 1. Jul 2024, 00:40
Der Panpsychismus (oder "Archäopsychismus") ist nicht nur kontraintuitiv (wie das physikalische Phänomen der Quantenverschränkung), sondern glattweg absurd.
Ja, "Panpsychismus" ist eine Bankroterklärung - das Schwenken der weissen Flagge - die pure Hilflosigkeit.
Consul hat geschrieben :
Mo 1. Jul 2024, 00:40
Indem sich bewusstseinslose Nervenzellen (temporär) zu speziellen Netzwerken zusammenschließen, deren dynamische elektrochemische Mechanismen sich subjektiv in einem einheitlichen Bewusstseinszustand manifestieren.
Ich formuliere das mal zur Frage um:
"Wie können bewusstseinslose Nervenzellen durch (temporäre) Netzwerkzusammenschlüsse dynamisch elektrochemische Vorgänge durchführen, die sich subjektiv in einem einheitlichen Bewusstseinszustand manifestieren?"

Wenn du mit "manifestieren" auf ein Vorhandensein in der Welt abzielst, dann stellst du schlicht die falsche Frage.
Ich sehe da keine Lösungsmöglichkeit - ist aber auch nicht meine Aufgabe.

Du bist ja immerhin schon soweit, dass du beim Nervensystem von einer individuell dynamischen Ausprägung der biochemischen Veränderungen ausgehst.
D.h. die individuellen biochemischen Veränderungen liegen tatsächlich in der Welt vor ("sie sind manifestiert").
Das ist etwas, das man dem Nervensystem ohne Probleme unterstellen darf: "es produziert biochemische Veränderungen".
Durch die bildgebenden Verfahren ist das sozusagen tausendfach bewiesen.

Hier mal ein einfacher Gedankengang, samt Fragestellung:
  • Der Körper besitzt (in seinem Nervensystem) die Fähigkeit seine "Situation in einer Umgebung" in individuelle biochemische Veränderungen aufzubereiten
  • Angenommen der Körper kommt an gewisse Details dieser individuellen biochemischen Veränderungen heran und versucht auf "seine Fähigkeit bzw. seinen Vorgang zum Aufstellen dieser Veränderungen" plausibel zu reagieren.
  • Wäre es dann falsch, wenn der Körper mit der Überzeugung einer "durch ihn beobachteten inneren Handlung" reagieren würde?
  • Anders formuliert: ist die Überzeugung "bewusst zu sein" eine angemessene Reaktion auf die Tatsache, dass individuelle biochemische Veränderungen aufgebaut werden?
Das Interessante an diesem Gedankengang ist, dass "Bewusstsein" nicht mehr als rätselhafter Weltanteil angesehen wird (Tschüss "Panpsychismus" und sonstige ontologische Erfassungsversuche), sondern es liegt eine Notwendigkeit vor, dass ein Jemand aus seiner Perspektive heraus, zu seinen Vorgängen eine Überzeugung durchläuft.
Hier ist also Perspektive (Subjektivität) und Beobachten (Verstehen der Vorgänge - Bewusstsein) enthalten.

Mehr noch, durch das Herankommen an wenige Details, aber nicht an das ganze Bild, unterliegt das "Durchlaufen der Überzeugung" einem Phänomencharakter.
D.h. die Überzeugung muss plausibel zu den Details sein, kann aber nicht das ganze Bild abdecken - "es müssen Lücken geschlossen werden" bzw. die Überzeugungen können sich nur innerhalb der Zusammenhänge bewegen, die zur Verfügung stehen.
Die Problematik "Phänomen" verlagert sich damit auf die Problematik eines "reduzierten Umfanges" und der Auflage "etwas daraus zu machen".




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Consul
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Mo 1. Jul 2024, 19:30

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 1. Jul 2024, 08:11
Was genau bedeutet Protobewusstsein?
"[P]anprotopsychism: roughly, the view that fundamental entities are proto-conscious, that is, that they have certain special properties that are precursors to consciousness and that can collectively constitute consciousness in larger systems." (p. 20)
———
"Panprotopsychismus: grob gesagt, die Ansicht, dass fundamentale Entitäten protobewusst sind; das heißt, dass sie bestimmte spezielle Eigenschaften haben, die Vorläufer des Bewusstseins sind, und die in größeren Systemen kollektiv Bewusstsein bilden können." (p. 20)
[© meine Übers.]

"[P]anprotopsychism is the view that fundamental physical entities are protoconscious. In more detail, let us say that protophenomenal properties are special properties that are not phenomenal (there is nothing it is like to have a single protophenomenal property), but that can collectively constitute phenomenal properties, perhaps when arranged in the right structure. Panprotopsychism is then the view that some fundamental physical entities have protophenomenal properties.

One might worry that any non-panpsychist materialism will be a form of panprotopsychism. After all, non-panpsychist materialism entails that microphysical properties are not phenomenal properties and that they collectively constitute phenomenal properties. This is an undesirable result. The thought behind panprotopsychism is that protophenomenal properties are special properties with an especially close connection to phenomenal properties. To handle this, one can unpack the appeal to specialness in the definition by requiring that (i) protophenomenal properties are distinct from structural properties and (ii) that there is an a priori entailment from protophenomenal properties to the phenomenal properties that they constitute. This excludes ordinary type-A materialism (which grounds phenomenal properties in structural properties) and type-B materialism (which invokes an a posteriori necessary connection). From now on I will understand protophenomenal properties this way, and will understand panprotopsychism accordingly." (p. 31)
———
"Der Panprotopsychismus ist die Ansicht, dass fundamentale physische Entitäten protobewusst sind. Genauer gesagt, protophänomenale Eigenschaften sind spezielle Eigenschaften, die nicht phänomenal sind (das Haben einer einzelnen protophänomenalen Eigenschaft hat nichts Subjektives and sich), aber die kollektiv phänomenale Eigenschaften bilden können, vielleicht wenn sie in der richtigen Struktur angeordnet sind. Der Panprotopsychismus ist dann die Ansicht, dass einige fundamentale physische Entitäten protophänomenale Eigenschaften haben.

Man könnte die Sorge haben, dass jeder nichtpanpsychistische Materialismus eine Form von Panprotopsychismus sein wird. Schließlich impliziert der nichtpanpsychistische Materialismus, dass mikrophysikalische Eigenschaften keine phänomenalen Eigenschaften sind, und dass sie kollektiv phänomenale Eigenschaften bilden. Dies ist keine wünschenswerte Folge. Der Gedanke hinter dem Panprotopsychismus ist, dass protophänomenale Eigenschaften besondere Eigenschaften mit einer besonders engen Verbindung zu phänomenalen Eigenschaften sind. Um dies in den Griff zu bekommen, kann man die Berufung auf Besonderheit in der Definition durch die Bedingungen erläutern, dass (i) protophänomenale Eigenschaften von strukturellen Eigenschaften verschieden sind, und (ii) dass es eine apriorisch notwendige Folgebeziehung zwischen protophänomenalen Eigenschaften und den von ihnen gebildeten phänomenalen Eigenschaften gibt. Dies schließt den gewöhnlichen Typ-A-Materialismus aus (dem nach phänomenale Eigenschaften in strukturellen Eigenschaften gründen) sowie den Typ-B-Materialismus (der eine aposteriorisch notwendige Folgebeziehung ins Feld führt). Fortan werde ich protophänomenale Eigenschaften in dieser Weise auffassen und den Panprotopsychismus entsprechenderweise." (p. 31)
[© meine Übers.]

"It is true that we do not have much idea of what protophenomenal properties are like. For now they are characterized schematically, in terms of their relation to phenomenal properties. A fuller account will have to wait for a full panprotopsychist theory, though I will speculate about one sort of protophenomenal property toward the end of this chapter. But our ignorance about protophenomenal properties should not be mistaken for an objection to the truth of panprotopsychism." (pp. 31-2)
———
"Es ist wahr, dass wir kaum Ahnung davon haben, wie protophänomenale Eigenschaften geartet sind. Bisher sind sie schematisch charakterisiert, im Hinblick auf ihre Beziehung zu phänomenalen Eigenschaften. Eine gehaltvollere Darstellung wird auf eine vollwertige panprotopsychistische Theorie warten müssen…. Aber unsere Unwissenheit über protophänomenale Eigenschaften sollte nicht als Einwand gegen die Wahrheit des Panprotopsychismus missverstanden werden." (pp. 31-2)
[© meine Übers.]

(Chalmers, David J. "Panpsychism and Panprotopsychism." In Panpsychism: Contemporary Perspectives, edited by Godehard Brüntrup and Ludwig Jaskolla, 19-47. New York: Oxford University Press, 2017.)
Hier widerspreche ich Chalmers: Dass jene spekulativ postulierten "protophänomenalen" Eigenschaften völlig mysteriöse Eigenschaften sind, von der die Naturwissenschaft nichts weiß, ist ein berechtigter Einwand gegen den Panprotopsychismus. Handelt es sich um okkulte fundamentale physikalische Eigenschaften, die den Physikern bisher zufälligerweise entgangen sind, oder um okkulte fundamentale nichtphysikalische Eigenschaften, die sich der physikalischen Forschung grundsätzlich entziehen? In beiden Fällen handelt es sich bei protophänomenalen Qualitäten um okkulte natürliche Qualitäten, deren Postulierung dem Panprotopsychismus (als angeblich bessere Alternative zum reinen Physikalismus) nicht die geringste Glaubwürdigkeit verleiht.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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