Kann ein Schädel wirklich all das behalten?

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Quk
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Do 15. Aug 2024, 12:27

Guten Morgen, heute wachte ich mit folgendem Gedanken auf.

Angeblich hat ein Mensch schätzungsweise 86 Milliarden Hirnzellen. Nehmen wir einmal an, 50 Milliarden Zellen davon stehen dem Langzeitgedächtnis zur Verfügung. Ich denke nach: Ich erinnere ich mich an unglaublich viele Details aus der Vergangenheit, all die Bilder, Wörter, Texte, Abläufe, Beziehungen, Klänge, Lieder, Gerüche, Aromen, Menüs, Sprachen, Dialekte und so weiter und so fort. Wie kann all diese Information mit nur 50 Milliarden Zellen gespeichert werden? Nehmen wir zum Beispiel Bildinformationen. Ich schätze, ich erinnere mich an mindestens 1 Milliarde Bildfragmente aus meinem Leben. Ich will nicht sagen, Bildpunkte, eher Bildvektoren. Die brauchen nicht so viele Daten wie Einzelpunkte. Also wenn ich Tante Lieses Gesicht von 1974 erinnere; das hatte an einer Stelle diesen kleinen Pickel, diesen speichere ich wahrscheinlich nicht mittels hunderten von Rasterpunkten, sondern eher mit den Daten "Kreisdurchmesser, Farbe, Position". Trotz dieser Datenkompression gibt es in meiner Erinnerung ungeheuerlich viele solcher Bilddetails. Die Datenmasse wird dadurch nicht wesentlich geringer. Oder nehmen wir Menschen, die weniger ein fotografisches Gedächtnis haben, dafür aber dutzende Sprachen beherrschen. All die Wortvielfalt und die grammatischen Variationen müssen doch ins Millionenfache gehen, und dabei wiederum in Buchstaben aufgelöst werden, wodurch abermals tausendfache Faktoren hinzukommen, ganz zu schweigen von vielen verschiedenen Aussprache-Farben und -Melodien. Und dabei sind wir insgesamt immer noch nur bei einem Bruchteil von all dem, was wir erinnern. Wie kann all das mit nur 50 Milliarden Hirnzellen wiedergegeben werden?

Um den Speicherraum zu vergrößern, vermute ich zwei Möglichkeiten:

1. Die Information in einer Zelle ist nicht binär, also nicht "ein/aus", sondern analog, also eine graduelle Intensität, etwa eine graduell-variable elektrische Spannung. Wenn das Hirn seine Informationsaufbereitung nicht allein aus der Zellen-Netzwerk-Konstellation bezieht, sondern auch aus Spannungsvariationen innerhalb jeder Zelle, so könnte dies die Informationsdichte ins Unermessliche vergrößern. Wenn zum Beispiel 100 Spannungsgrößen unterschieden werden können, so würden die 50 Milliarden Informationseinheiten nicht nur verhundertfacht, sondern auch die Spannungsverhältnisse zwischen ihnen würden ausschlaggebend sein und damit unfassbar viele Kombinationen ermöglichen.

Aber ist das wirklich so? Wenn nicht, komme ich zu Punkt 2:

2. Ein großer Teil der Information ist nicht in den schädelinternen Materialien gespeichert, sondern in den Mitteln des Geistes! Diese wurden bisher nicht gemessen, weil immer nur im Schädel gemessen wurde in der Einheit Volt. Im Geist gibt es möglicherweise keine elektrischen Spannungen, sondern etwas anderes. Aber was? Hier spreche ich jetzt nicht vordergründlich von Qualia oder sonstigen Darstellungs-Phänomenen, sondern von Langzeitspeicherung im Hintergrund -- in den Mitteln des Geistes. Das ist natürlich hochspekulativ, aber die Idee finde ich berechtigt angesichts der wenigen Mittel in den körperlichen Materialien.




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Jörn Budesheim
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Do 15. Aug 2024, 16:11

Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, aber meines Wissens nach ist nicht die Anzahl der Neuronen entscheidend, obwohl 86 Milliarden bereits beeindruckend sind. Viel wichtiger ist die Zahl der möglichen Verknüpfungen, und die ist um ein Vielfaches größer, soweit ich mal gehört habe.

Ein anschauliches Beispiel ist vielleicht das Schachspiel: Es gibt nur 32 Figuren auf dem Brett, doch die Zahl der möglichen Partien übersteigt – so habe ich mal gelesen – die Anzahl der Atome im Universum. Auch hier zeigt sich, dass nicht die bloße Zahl der Figuren (in Analogie zu den Neuronen) zählt, sondern die unzähligen Möglichkeiten von Zügen und Partien, die sich aus dem Figurensatz samt der Regeln ergeben.

Wäre nicht die Sprache ein ähnliches Beispiel? Es gibt vielleicht "nur" ein paar hunderttausend Wörter (ich weiß gar nicht wie viele) und eine relativ kleine Anzahl von Regeln, und dennoch kann man damit eine unendlich große Bibliothek füllen.




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Quk
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Do 15. Aug 2024, 22:45

Ja, aber Du hast nur ein Schachbrett mit einer Konstellation zu einer Zeit. Du kannst mit dieser winzigen Ausrüstung nicht Milliarden von Schachzügen gleichzeitig speichern. Jede Veränderung löscht die vorige "Erinnerung".




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Jörn Budesheim
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Fr 16. Aug 2024, 06:59

Ich habe eben mal in meiner Bibliothek gesucht. In "Lisa Feldman Barrett, Siebeneinhalb Lektionen über das Gehirn" (2020) wird auch das Stichwort "Erinnerung" behandelt. Das sind zwei oder drei Seiten, ich habe sie mir von Chat GPT zusammen verlassen lassen, ich kann dafür nicht garantieren, aber soweit ich den Text verstanden habe, ist die Zusammenfassung recht ordentlich:
  1. Komplexität und Gehirnmodelle: Der Text stellt zwei hypothetische Gehirne vor, um den Begriff der Komplexität zu veranschaulichen: das "Hackbratenhirn," das zwar viele Neuronen hat, aber nur eine einfache Funktionalität, und das "Taschenmesserhirn," das spezialisierte Funktionen hat, aber weniger flexibel ist als ein echtes menschliches Gehirn.
  2. Hackbratenhirn: Dieses Modell hat 128 Milliarden Neuronen, die alle miteinander verbunden sind, was bedeutet, dass es eine geringere Komplexität besitzt, da alle Neuronen gleichzeitig dasselbe tun und es daher wie ein einziges Element agiert.
  3. Taschenmesserhirn: Dieses Modell hat ebenfalls 128 Milliarden Neuronen, aber sie sind in spezialisierte Bereiche unterteilt, die unterschiedliche Aufgaben erledigen. Es hat eine höhere Komplexität als das Hackbratenhirn, ist jedoch immer noch weniger komplex als das menschliche Gehirn, da die Funktionen starr getrennt sind.
  4. Flexibilität und Komplexität: Die Komplexität des menschlichen Gehirns resultiert aus der Flexibilität, mit der Neuronen unterschiedliche Funktionen erfüllen können. Diese Flexibilität ermöglicht es, viele verschiedene Muster und Zustände zu erzeugen, was das Gehirn leistungsfähiger macht.
  5. Vorteile eines komplexen Gehirns: Ein komplexes Gehirn bietet mehrere Vorteile, darunter ein besseres Erinnerungsvermögen, höhere Kreativität, bessere Anpassungsfähigkeit an veränderte Umweltbedingungen und eine bessere Fähigkeit, Verletzungen zu kompensieren.
  6. Funktion der Erinnerung: Erinnerungen im Gehirn werden nicht wie in einem Computer einfach abgespeichert, sondern bei Bedarf rekonstruiert. Dieser Prozess wird als "Erinnern" bezeichnet, entspricht aber eher einem "Zusammensetzen" von Häppchen elektrochemischer Aktivität, was durch die hohe Komplexität des Gehirns ermöglicht wird.
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  1. Netzwerkstruktur des Gehirns: Das Gehirn ist ein komplexes Netzwerk von 128 Milliarden Neuronen. (siehe oben)
  2. Neuronen als Bausteine des Netzwerks: Jedes Neuron im Gehirn ist wie ein verzweigter Baum aufgebaut, mit Dendriten, die Signale empfangen, und einem Axon, das Signale an andere Neuronen weiterleitet. Die Neuronen kommunizieren ständig miteinander, indem sie elektrische und chemische Signale austauschen.
  3. Kommunikation zwischen Neuronen: Die Kommunikation im Gehirn erfolgt durch das Feuern von Neuronen, bei dem elektrische Signale den Axonstamm hinunterlaufen und chemische Stoffe freigesetzt werden, die von anderen Neuronen aufgenommen werden. Diese fortlaufende Interaktion ermöglicht es dem Gehirn, Informationen zu verarbeiten und den menschlichen Geist zu formen.
Wie erinnern im Gehirn realisiert wird, kann ich mir danach zwar immer noch nicht wirklich gut vorstellen, aber die schiere Zahl der Neuronen allein macht es wohl nicht, sie wird quasi durch ihre Vernetzung immens gesteigert.




Wolfgang Endemann
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Fr 16. Aug 2024, 09:45

@ Quk
Du hast eine gute Frage gestellt.
Jörn bzw Lisa Feldman Barrett bzw Chat GPT hat schon eine passable Antwort darauf gegeben.
Diese Antwort umgeht allerdings den entscheidenden Sachverhalt, der einfach zu beschreiben wie nicht wirklich zu begreifen ist.

Nehmen wir das Schachspiel. Es gibt maximal 32 Figuren, und es gibt 64 Felder. Manche Figuren können nicht auf allen Feldern stehen, für die Bauern sind die erreichbaren Felder sogar sehr eingeschränkt. Und dann reduziert das Spiel die Figurenzahl, die auf dem aktuellen Feld nach einem bestimmten Verlauf stehen. Dennoch übersteigt " die Zahl der möglichen Partien ... die Anzahl der Atome im Universum." Es ist also leicht, sich vorzustellen, daß wir praktisch unendlich viel vorstellen können, wenn jede Konstellation von Figuren eine Erfahrung darstellt. Stellen wir uns das Gehirn, was natürlich falsch, hier nur ein Gedankenexperiment ist, als einen Computer vor, so besitzt es einen Arbeitsspeicher, mit dem es Denkoperationen vornimmt, und eine Gedächtnisfestplatte, ersterer reduziert dann, allerdings nicht gravierend, die Leistung letzterer. Dennoch, so gesehen wäre die Fähigkeit unseres Gedächtnisses durchaus vorstellbar, zumal Jörn ja noch die Leistungssteigerung durch systemtheoretische Organisation (durch die Funktionsweise eines Systems von autonomen Subsystemen) erwähnt hat. Tatsächlich ist an dieser Vorstellung richtig, daß das Denken sich ja in den Erregungsmustern des EEG nachweisen läßt.

Der grundsätzliche Fehler in dieser Sicht auf die Kognition liegt jedoch in der 1:1-Abbildung von Erfahrungen im Gedächtnis als einem Festplattenspeicher. Hier schleicht sich das positivistisch-extensionale Verständnis eines physikalistischen Reduktionismus ein. Das erlaubt zwar auch eine Leistungssteigerung durch informationstheoretische Komprimierung, die ist aber verglichen mit der Erfassung von integrierter Komplexität, die die begriffliche Repräsentation der Welt leistet, vernachlässigbar. Der Grund der unglaublichen Leistungsfähigkeit der menschlichen Kognition ist die Sinngebung, Intensionalisierung in der Selbstorganisation der kognitiven Repräsentation der Welt. Mit Begriffen ersetzen wir die flache extensionale Welt durch eine zweidimensionale, die zweite Dimension ist die strukturelle Tiefe.




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Jörn Budesheim
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Fr 16. Aug 2024, 11:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 16. Aug 2024, 06:59
"Lisa Feldman Barrett, Siebeneinhalb Lektionen über das Gehirn", zusammengefasst von Chat GPT: Erinnerungen im Gehirn werden nicht wie in einem Computer einfach abgespeichert, sondern bei Bedarf rekonstruiert.
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 16. Aug 2024, 09:45
Der grundsätzliche Fehler in dieser Sicht auf die Kognition liegt jedoch in der 1:1-Abbildung von Erfahrungen im Gedächtnis als einem Festplattenspeicher.




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Jörn Budesheim
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Fr 16. Aug 2024, 11:36

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 16. Aug 2024, 09:45
@ Quk
Du hast eine gute Frage gestellt.
Jörn bzw Lisa Feldman Barrett bzw Chat GPT hat schon eine passable Antwort darauf gegeben.
Diese Antwort umgeht allerdings den entscheidenden Sachverhalt, der einfach zu beschreiben wie nicht wirklich zu begreifen ist.

Nehmen wir das Schachspiel. Es gibt maximal 32 Figuren, und es gibt 64 Felder. Manche Figuren können nicht auf allen Feldern stehen, für die Bauern sind die erreichbaren Felder sogar sehr eingeschränkt. Und dann reduziert das Spiel die Figurenzahl, die auf dem aktuellen Feld nach einem bestimmten Verlauf stehen. Dennoch übersteigt " die Zahl der möglichen Partien ... die Anzahl der Atome im Universum." Es ist also leicht, sich vorzustellen, daß wir praktisch unendlich viel vorstellen können, wenn jede Konstellation von Figuren eine Erfahrung darstellt. Stellen wir uns das Gehirn, was natürlich falsch, hier nur ein Gedankenexperiment ist, als einen Computer vor, so besitzt es einen Arbeitsspeicher, mit dem es Denkoperationen vornimmt, und eine Gedächtnisfestplatte, ersterer reduziert dann, allerdings nicht gravierend, die Leistung letzterer. Dennoch, so gesehen wäre die Fähigkeit unseres Gedächtnisses durchaus vorstellbar, zumal Jörn ja noch die Leistungssteigerung durch systemtheoretische Organisation (durch die Funktionsweise eines Systems von autonomen Subsystemen) erwähnt hat. Tatsächlich ist an dieser Vorstellung richtig, daß das Denken sich ja in den Erregungsmustern des EEG nachweisen läßt.

Der grundsätzliche Fehler in dieser Sicht auf die Kognition liegt jedoch in der 1:1-Abbildung von Erfahrungen im Gedächtnis als einem Festplattenspeicher. Hier schleicht sich das positivistisch-extensionale Verständnis eines physikalistischen Reduktionismus ein. Das erlaubt zwar auch eine Leistungssteigerung durch informationstheoretische Komprimierung, die ist aber verglichen mit der Erfassung von integrierter Komplexität, die die begriffliche Repräsentation der Welt leistet, vernachläsStruktur. er Grund der unglaublichen Leistungsfähigkeit der menschlichen Kognition ist die Sinngebung, Intensionalisierung in der Selbstorganisation der kognitiven Repräsentation der Welt. Mit Begriffen ersetzen wir die flache extensionale Welt durch eine zweidimensionale, die zweite Dimension ist die strukturelle Tiefe.
Ich bin auch der Ansicht, dass das Erinnern nicht so funktioniert wie ein Computer, der Daten auf der Festplatte speichert. Stattdessen versuchen wir, zu verstehen, was passiert ist, und erinnern uns an Szenen, Geschichten, Ereignisse und Ähnliches. An dieser Stelle könnte man vielleicht den Begriff von Quk "Geist" ins Spiel bringen.

Und was machen dann die Neurologen, wenn sie die Erinnerung erforschen? Meines Erachtens untersuchen sie, wie diese Dinge realisiert werden, aber nicht ihre intentionale Struktur.

(Die Hirnforschung lehrt uns selbst, dass diese Dinge auch anders realisiert werden können, wenn z.B Regionen "beschädigt" werden, dann "springen andere dafür ein".)




Wolfgang Endemann
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Fr 16. Aug 2024, 12:24

Das verschiebt das Problem nur.

Auf den Computer bezogen: Es ist von sehr vielen Aspekten abhängig, wo die geeignete Aufteilung von Arbeitsspeicher und Festspeicher der Maschine liegt. Eine Verlagerung hat Vor- und Nachteile. Ich sagte ja, es ist ein problematischer Vergleich, wenn man Kognition und maschinelles Operieren parallelisiert, aber als Gedankenexperiment kann man das tun. In der Menschenwelt gibt es auch die zwei gegensätzlichen Typen, diejenigen, die durch enorme Wissensbestände glänzen können, und diejenigen, die sich nur wenig merken können, das aber kompensieren, sogar überkompensieren können durch kognitive Rekonstruktion. Ich selbst gehöre zur zweiten Gruppe, ich kann mir nur schlecht Dinge merken, ich bin auf Rekonstruktion angewiesen, das ist manchmal ein Nachteil, kann aber auch im Gegenteil zu einem tieferen Verständnis und besserer Argumentation verhelfen.

Mit dieser Vorbemerkung: Es gibt eine gewisse Vergleichbarkeit von Denken und Wissen mit algorithmischem Prozessieren und jederzeit auf gespeicherte Maschinenresultate und vorprogrammierte Vorgaben zugreifbaren Beständen. Aber der fundamentale Unterschied ist, daß sich das operative Denken des Menschen nicht auf die Anwendung von Mathematik und Logik beschränkt, sondern vor allem auch Begriffsbildung beinhaltet und das Wissen wesentlich mehr als 'Faktenwissen ist: Bedeutungswissen (Bedeutungen verstehen).




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Jörn Budesheim
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Fr 16. Aug 2024, 12:31

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 16. Aug 2024, 12:24
Das verschiebt das Problem nur.
Was verschiebt das Problem?

Ich sehe auch nicht, dass der Unterschied zwischen der Position, die du selbst beschrieben hast, und der, die ich in meinem Beitrag eingenommen habe, sehr groß ist. Der Unterschied besteht eigentlich nur darin, dass ich versucht habe, mich verständlich auszudrücken und auf bestimmte metaphysische Voraussetzungen zu verzichten.




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Quk
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Fr 16. Aug 2024, 13:20

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 16. Aug 2024, 06:59
Ich habe eben mal in meiner Bibliothek gesucht. In "Lisa Feldman Barrett, Siebeneinhalb Lektionen über das Gehirn" (2020) wird auch das Stichwort "Erinnerung" behandelt. Das sind zwei oder drei Seiten, ich habe sie mir von Chat GPT zusammen verlassen lassen, ich kann dafür nicht garantieren, aber soweit ich den Text verstanden habe, ist die Zusammenfassung recht ordentlich:

[...]

Funktion der Erinnerung: Erinnerungen im Gehirn werden nicht wie in einem Computer einfach abgespeichert, sondern bei Bedarf rekonstruiert. Dieser Prozess wird als "Erinnern" bezeichnet, entspricht aber eher einem "Zusammensetzen" von Häppchen elektrochemischer Aktivität, was durch die hohe Komplexität des Gehirns ermöglicht wird.

[...]

Wie erinnern im Gehirn realisiert wird, kann ich mir danach zwar immer noch nicht wirklich gut vorstellen, aber die schiere Zahl der Neuronen allein macht es wohl nicht, sie wird quasi durch ihre Vernetzung immens gesteigert.
"Häppchen", aus denen Erinnerungen rekonstruiert werden. Um diese Häppchen geht es mir in diesem Faden, um ihre Kodierfähigkeit und ihre Anzahl. Sie müssen vorhanden sein und es müssen viele sein. Extrem viele. Denn aus drei Häppchen allein kann ich nicht all meine Lebenserfahrungen rekonstruieren. Da sie zur Rekonstruktion von Erinnerungen verwendet werden, muss jedes Häppchen für sich bereits ein Minimum an Information enthalten und hierfür bereits sehr viele Zellen beanspruchen.

Dass nicht nur die Anzahl eine Rolle spielt, sondern auch ihre Vernetzung, ist mir klar und ich rechne das mit ein in meinem Staunen darüber, dass das Material im Schädel all meine Erinnerungs-Häppchen speichern können soll.

Ich wiederhole: Bestehende Erinnerungshäppchen müssen ihre eigene kleine Netzkonstellation im Gesamtnetz behalten, andernfalls würde die Erinnerung gelöscht werden. Bevor sie gelöscht werden, können sie natürlich zu anderen Schädelorten kopiert werden, wobei dann aber die Gesamt-Kapazität nicht vergrößert wird, sondern nur umstrukturiert wird. Das Hirn strukturiert sich ständig um. Es löscht unwichtiges nach und nach und lernt ständig dazu, was auch wieder Speicherkapazität in Anspruch nimmt. Es bleiben immer enorm viele Erinnerungen bestehen. Über ihre hohe Anzahl staune ich, und ich finde es nicht abwegig zu zweifeln darüber, dass all diese Bestands-Information -- also der Bestand, nicht das lösch- oder wandelbare -- ausschließlich körperlich gespeichert wird.

Wenn nach einem Schlaganfall ein spezieller Hirnbereich beschädigt wird, können beispielsweise große Teile alter Spracherinnerungen für immer ausgelöscht werden. In dem betroffenen Bereich sind nicht 86 Milliarden Zellen, sondern ein Bruchteil davon. Allein in diesem Bruchteil und seinen konstanten Unternetzen alle unveränderlich erinnerbaren Sprach-Häppchen speichern zu können, macht mich nachdenklich. Ich denke nach über weitere Speichermöglichkeiten, die wir vielleicht noch nicht entdeckt haben und die vielleicht nicht materieller Art sind.




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Quk
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Fr 16. Aug 2024, 13:53

Wolfgang, mir ist klar, dass wir keine Festplatte im Schädel haben. Aber Information ist Information. Um diese zu enkodieren und dekodieren gibt es unendlich viele fleischliche, hölzerne, metallene Möglichkeiten. Welche auch immer angewendet wird, die zu erhaltenden Information darf nicht verlorengehen. Wenn sie weg ist, ist sie für immer verloren. Ein Bestand ist also notwendig. Egal wie. Das zu bestehende darf nicht verändert werden, sonst ist es kein Bestand mehr. Die schiere Menge an Bestand erstaunt mich, trotz aller Kompression mittels Kombination.

Ich weiß ... Nehmen wir zum Beispiel ein Zahlenschloss mit fünf Ringen mit jeweils 10 Ziffern darauf. Mit jedem einzelnen Ring kann ich eine von zehn Ziffern speichern. Bei fünf Ringen sind das 5 Ziffern gleichzeitig, und bei jeweils zehn Ziffern sind das insgesamt 50 Ziffern am Zahlenschloss. Das ist nicht viel. Aber wenn ich die fünf Ringe kombiniere und mittels Ziffernkonstellation arbeite, dann kann ich damit nicht nur 50, sondern 100,000 verschiedene Informationen speichern.

Aber: Das geht bloß zu einer Zeit. Wenn ich die Ringe verstelle, um eine neue Information zu speichern, ist die alte verloren. Für den Bestand brauche ich also viele Zahlenschlösser, sprich Zellen. Selbst wenn ich mittels Kombination enkodiere und dekodiere, brauche ich sehr, sehr viele Zellen gleichzeitig.




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Jörn Budesheim
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Fr 16. Aug 2024, 14:26

Quk hat geschrieben :
Fr 16. Aug 2024, 13:20
Dass nicht nur die Anzahl eine Rolle spielt, sondern auch ihre Vernetzung, ist mir klar und ich rechne das mit ein in meinem Staunen darüber, dass das Material im Schädel all meine Erinnerungs-Häppchen speichern können soll.
Aus dem Netz zusammengefischt: Das menschliche Gehirn enthält etwa 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die jedoch nur einen Teil der Komplexität des Gehirns ausmachen. Wichtiger noch ist die Vernetzung dieser Neuronen: Es gibt schätzungsweise 100 Billionen Synapsen, die die Verbindungen zwischen den Nervenzellen darstellen. Diese Synapsen ermöglichen die Kommunikation zwischen den Neuronen und sind entscheidend für die Leistungsfähigkeit des Gehirns.

Das scheint mir recht viel zu sein :) ich habe keine Vorstellung was 100 Billionen bedeutet, ebenso wenig wie ich eine Vorstellung davon habe was 100 Milliarden bedeutet :)

Ich habe mal eine Suchmaschine gefragt, wie viele Erinnerungen ein 60-jähriger Mensch wohl hat: "Es gibt keine genaue Zahl darüber, wie viele Erinnerungen ein 60-jähriger Mensch hat, da Erinnerungen individuell unterschiedlich sind und stark von persönlichen Erfahrungen, Gedächtnisfähigkeiten und der Art der Erlebnisse abhängen. Erinnerungen sind keine festen Einheiten, die gezählt werden können, sondern dynamische und oft rekonstruktive Prozesse, die sich über die Zeit verändern können."

Chat GPT hat auf die gleiche Frage so geantwortet:

Langlebige Erinnerungen: Im Laufe des Lebens können Menschen Millionen von Erinnerungen ansammeln, wobei nicht alle gleich stark oder zugänglich sind. Viele Erinnerungen verblassen oder werden durch neue Informationen verändert.

Kapazität des Gedächtnisses: Theoretisch könnte das menschliche Gehirn in Bezug auf die Menge an Informationen, die es speichern kann, eine enorme Anzahl von Erinnerungen speichern, die in die Billionen geht, da jede Erinnerung aus einer Kombination von neuronalen Netzwerken und Synapsen besteht.


Da ich heute nicht im Büro bin, kann ich nicht mit einer Quelle dienen, da Chat GPT auf meinem Tablet seine Quelle nicht "preisgibt" - am PC ist das viel besser. Ich würde mich nicht wundern, wenn man irgendwo einigermaßen plausible Schätzungen finden würde.




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Quk
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Fr 16. Aug 2024, 16:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 16. Aug 2024, 14:26
Wichtiger noch ist die Vernetzung dieser Neuronen: Es gibt schätzungsweise 100 Billionen Synapsen, die die Verbindungen zwischen den Nervenzellen darstellen.
Das ist mir klar, wie gesagt.

In meinem Beispiel mit dem 5-stelligen Zahlenschloss habe ich angedeutet, wie mittels 50 Zellen dank Netzkombination dann 100,000 verschiedene Informationen gespeichert werden können statt nur 50. Wenn ich 1 Milliarde mit 100,000 multipliziere, ergeben das 100 Billionen. Ich verstehe also die riesige Vervielfachung durchaus :-)

Trotzdem ...

Wieviele Zellen und Synapsen muss das elektrochemische Gedächtnis reservieren für die Information, dass es den Buchstaben "a" gibt?
Dann die gleiche Frage in Bezug auf den Klang des Lautes "a".
Und in Bezug auf das Schriftsymbol "a".
Etc. pp.

Und: Die jeweilige Bedeutung jeder einzelnen Frage muss ja auch als Information gespeichert werden. Ergibt das nicht eine ungeheuerliche Informationsdichte allein für den Buchstaben "a"?

Ja, die Synapsen vervielfältigen die Speicherkapazität um das 2000-fache. Wenn aber ein Buchstabe allein bereits -- möglicherweise -- 2000 Synapsen braucht, ist der Eindruck der 2000-fachen Speichervergrößerung wieder dahin ...




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Stefanie
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Fr 16. Aug 2024, 23:34

Bei den Größenordnungen fehlt mir die Vorstellungskraft.
Vielleicht ordnet das Gehirn diese ganzen Synapsen immer wieder neu, so dass wieder Platz geschaffen wird. Zum einem werden manche Informationen irgendwann gelöscht, aber auch die Bestandsinformationen werden neu sortiert, so dass Platz für neue Informationen geschaffen wird. Es gibt nur eine bestimmtes Platzangebot, und das muss effizient genutzt werden. Man bekommt mehr Shirts in einen Kleiderschrank, wenn diese ordentlich dort liegen, als alle durcheinander.

Mich verwundert es immer wieder, dass viele meine Erinnerungen sehr präsent immer wieder abrufbar sind, aber manche Ereignisse überhaupt nicht und selbst wenn man es mir erzählt, es nicht bei mir klickt macht. Das ist schon manchmal verrückt. Es muss also etwas geben, dass das steuert, was nicht im biochemischen Bereich eines Gehirns liegt. Oder?



Der, die, das.
Wer, wie, was?
Wieso, weshalb, warum?
Wer nicht fragt bleibt dumm!
(Sesamstraße)

Körper
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Sa 17. Aug 2024, 03:32

Quk hat geschrieben :
Fr 16. Aug 2024, 16:05
Wieviele Zellen und Synapsen muss das elektrochemische Gedächtnis reservieren für die Information, dass es den Buchstaben "a" gibt?
Dann die gleiche Frage in Bezug auf den Klang des Lautes "a".
Und in Bezug auf das Schriftsymbol "a".
Etc. pp.
Geh in zwei Punkten anders an die Sache heran:

1.
Das Nervensystem speichert keine objektiven Daten ("Informationen" schon gleich gar nicht), sondern es ermöglicht differenzierte Reaktion im Sinne des Lebewesens.
Es geht also nirgendwo um "Buchstabe 'a'", sondern um die Reaktion rund um "Buchstabe 'a'".
Diese Unterscheidung scheint im ersten Moment unbedeutend zu sein (denn die Details sind ja immer noch zu erfassen), tatsächlich vereinheitlicht sich dadurch aber der gesamte Wertebereich, denn es geht einheitlich um ein Reaktionspotential.

2.
Es ist zu einfach gedacht, dass einzelne Zellen die Gesamtreaktion zu einem Sachverhalt festlegen würden.
Du schränkst damit das Reaktionspotential auf die Anzahl der Zellen ein.
Geh lieber davon aus, dass das Nervensystem eine Aufteilung in Reaktionsanteile für das Lebewesen findet, so dass sich in der "Kombination von Anteilen" die eigentliche Funktion verbirgt.
Auch von diesem Punkt aus darf man nicht zu schnell sein und einfach nur die "stark aktiven Zellen" herausfiltern und die "nicht so stark aktiven Zellen" vernachlässigen, denn exakt diese Verteilung könnte die eigentliche Kombination darstellen.

Stell dir also mal vor, der Mensch hat 80-100 Milliarden Neuronen (ich lasse jetzt mal die 80-100 Milliarden Astrozyten weg, was ich vermutlich gar nicht machen darf, aber egal) und es geht sozusagen in jedem Moment, um das Entwickeln einer Verteilung innerhalb der Gesamtaktivität.
Jeder kleine Aktivitätsunterschied (sozusagen "Rhythmusunterschied") kann dazu beitragen, innerhalb des Reaktionspotentials zu einer differenzierten Reaktionsausprägung zu führen.

Geh also weg von der Vorstellung "die einzelne Zelle ist es" hin zu "die einzelne Zelle trägt bei".

Der Möglichkeitsraum ist damit nicht auf die Anzahl der Zellen beschränkt, sondern durch die Kombinationsmöglichkeiten.
Rein rechnerisch wird dieser Möglichkeitsraum vermutlich alle Atome des Universums übersteigen, würde man alle Möglichkeiten gleichzeitig ausprägen wollen.
Geht es um "Rhythmusunterschiede", dann geht es schnell um einen analogen Möglichkeitsraum, also sprich es geht dann in die Richtung von unendlich vielen Möglichkeiten.

Eine viel grössere Einschränkung des Möglichkeitsraumes stellt eher der Vorgang der Reaktionsdifferenzierung dar, d.h. das Erschliessen von neuem Reaktionspotential (wir nennen dies vor allem "Lernen").
Durch den Vorgang ist das Reaktionspotential nicht "breit aufgestellt", sondern eher "gerichtet".
Der Aufbau des Reaktionspotentials durchläuft Weichenstellungen, so dass anschliessende Änderungen eher nur Verfeinerungen darstellen.

Des Weiteren wird nicht jeder Weltunterschied (dauerhaft) aufgesaugt, sondern es gibt Schwellen, wie sehr sich eine Situation in Anpassungen auswirkt.
Menschen zeigen hier deutliche Unterschiede ("Lernstimmung", "Interesse"), vor allem innerhalb ihrer "Ausrichtung".

Ein gutes Beispiel dafür sind die "Savants", also Menschen, die eine phantastische Begabung haben.
Hier kann es durchaus zu einem enormen Aufsaugen von Details kommen, allerdings nur in wenigen Bereichen und andere Reaktionsbereiche sind dann eher nicht sonderlich ausdifferenziert.




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Sa 17. Aug 2024, 06:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 15. Aug 2024, 16:11
Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, aber meines Wissens nach ist nicht die Anzahl der Neuronen entscheidend, obwohl 86 Milliarden bereits beeindruckend sind. Viel wichtiger ist die Zahl der möglichen Verknüpfungen, und die ist um ein Vielfaches größer, soweit ich mal gehört habe.
"Many of us have seen microscopic images of neurons in the brain — each neuron appearing as a glowing cell in a vast sea of blackness. This image is misleading: Neurons don’t exist in isolation. In the human brain, some 86 billion neurons form 100 trillion connections to each other — numbers that, ironically, are far too large for the human brain to fathom."

Quelle: A New Field of Neuroscience Aims to Map Connections in the Brain
100 Billionen Nervenverbindungen im menschlichen Gehirn = 100 x 10^12 = 10^14 = 100.000.000.000.000
("trillion" in Englisch = "Billion" in Deutsch)



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Wolfgang Endemann
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Sa 17. Aug 2024, 12:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 16. Aug 2024, 12:31

Was verschiebt das Problem?

Ich sehe auch nicht, dass der Unterschied zwischen der Position, die du selbst beschrieben hast, und der, die ich in meinem Beitrag eingenommen habe, sehr groß ist.
Das ist richtig. Wenn ich sagte "es verschiebt das Problem nur", wollte ich darauf hinweisen, daß wir nicht etwas anderes, also sagen wir: ein physiologisches Substitut für die Festplatte, haben, sondern das Problem woanders liegt. Ich wiederhole mich hier ständig, finde das aber unvermeidlich, weil es nicht genug Berücksichtigung findet. Der Computer ist ein extensionaler Gegenstand, der extensionale Eingaben aufnimmt, extensional bearbeitet und im extensionalen Speicher ablegt oder ausgibt. Der Mensch, man kann fragen, wie weit auch das Tier, nimmt extensionale Eingaben, Sinneseindrücke, das kann auch ein gelesenes Buch sein, auf und interpretiert sie, sie werden instantan Bedeutungen, also intensionale Objekte, werden als solche verarbeitet, und führen zu einer kommunizierbaren oder kommunizierenden intensionalen (und dann auch intentionalen) Reaktion oder einem gespeicherten intensionalen Wissensbestand. Wenn man auf solchen intensionalen Bestand zugreift, kann er kognitiv weiterverarbeitet werden oder eben nach Bedarf kommuniziert werden.
Als Materialist gehe ich davon aus, daß es für diesen menschlichen Vorgang eine materielle Spur gibt, die man selbstverständlich extensional detektieren kann. Wenn ich einen bestimmten Gedanken denke, zeigt mir das Meßgerät (EEG) einen bestimmten neuronalen Erregungszustand. Umgekehrt, zeigt mir das EEG diesen Erregungszustand, kann ich feststellen, daß ich diesen Gedanken habe.
Also: der Unterschied von Mensch und Computer liegt nicht bzw nicht nur in der unterschiedlichen Speicherung des Gleichen, sondern vor allem darin, daß die Maschine ausschließlich im Extensionalen operiert, unser Denken weitgehend im Intensionalen. Das, was Mensch und Computer tun, ist kategorial verschieden. Was nicht bedeutet, daß man nicht die Maschine beim menschlichen Denken nutzen kann, nur ist die Nutzungsmöglichkeit beschränkt auf die extensionale Ebene, also alles, was mechanisch bewegt werden kann, bürokratisches Denken.




Wolfgang Endemann
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Sa 17. Aug 2024, 13:14

Quk hat geschrieben :
Fr 16. Aug 2024, 13:53
Wolfgang, mir ist klar, dass wir keine Festplatte im Schädel haben. Aber Information ist Information. Um diese zu enkodieren und dekodieren gibt es unendlich viele fleischliche, hölzerne, metallene Möglichkeiten. Welche auch immer angewendet wird, die zu erhaltenden Information darf nicht verlorengehen. Wenn sie weg ist, ist sie für immer verloren. Ein Bestand ist also notwendig. Egal wie. Das zu bestehende darf nicht verändert werden, sonst ist es kein Bestand mehr. Die schiere Menge an Bestand erstaunt mich, trotz aller Kompression mittels Kombination.
Du hast in dieser Problematik die entscheidende Frage gestellt, danke. Daran müssen wir uns abarbeiten. Allerdings, und da kann ich Körper weitgehend folgen, muß man die Lösung woanders suchen. Die Hirnphysiologie gibt schon deutliche Hinweise. Es gibt keine Erinnerung in Form von Aktivierung eines im stromsparenden Ruhemudus sich befindlichen Speicherplatzes. Bräuchten wir solch ein Gedächtnis, wären wir heillos überfordert. In unserem Kopf befinden sich keine Zahlenschlösser. Die Situation ähnelt mehr der unseres Sprachvermögens. Wir haben die Bedeutungsebene mit unzähligen realisierten und noch viel mehr realisierbaren Bedeutungen, und wir haben die syntaktische Ebene der Sprache, die im Prinzip unendlich viele Worte bilden und sogar auf prädikatenlogische Weise Vielheiten und Komplexe sagen läßt, und dann müssen die Worte und Verknüpfungen semantisch gefüllt werden. Wenn wir denken und sprechen, müssen wir nicht die Worte oder Bedeutungen aus einem Speicher holen. Sprache lernen heißt, daß man, wenn man ein Wort, eine Bedeutung gelernt hat, dazu reicht der einmalige/erstmalige Gebrauch idR nicht aus, jederzeit auf das Wort/die Bedeutung zugreifen kann, der Gedanke wird in den Nervenzellen gebahnt, es entstehen mit den Wiederholungen Pfade, irgendwann sogar Schnellstraßen, die man kaum noch verlassen kann. Der Kognitionsapparat wird geprägt, aber es ist eine Selbstprägung, Selbstorganisation.

Übrigens. Der Informationsbegriff will Inhalt formal vergleichbar, damit quantifizierbar machen. Das ist im Falle extensionaler Sachverhalte unproblematisch, funktioniert gut, ist aber im Intensionalen undurchführbar. Die grundsätzliche Quantifizierbarkeit von Qualität ist wie die Quadratur des Kreises ein aussichtsloses Unterfangen.




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Quk
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Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Sa 17. Aug 2024, 13:48

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2024, 13:14
Wenn wir denken und sprechen, müssen wir nicht die Worte oder Bedeutungen aus einem Speicher holen.
Überhaupt nicht? Warum haben Demenz- oder Schlaganfall-Patienten keine Erinnerung? Warum gibt es überhaupt das Wort "Gedächtnis" oder "Vergessen", wenn es keinerlei Speicher geben soll?

Mir ist klar, dass vieles auf Verknüpfung basiert. Verknüpfen kann man aber nur Sachen, die es gibt. Was es nicht gibt, kann man nicht verknüpfen. Mein Punkt ist, dass es ungeheurlich viele solcher informativen Sachen gibt.




Wolfgang Endemann
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Registriert: Di 23. Apr 2024, 14:30

Sa 17. Aug 2024, 17:15

Quk hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2024, 13:48
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2024, 13:14
Wenn wir denken und sprechen, müssen wir nicht die Worte oder Bedeutungen aus einem Speicher holen.
Überhaupt nicht? Warum haben Demenz- oder Schlaganfall-Patienten keine Erinnerung? Warum gibt es überhaupt das Wort "Gedächtnis" oder "Vergessen", wenn es keinerlei Speicher geben soll?
Bei Demenz- oder Schlaganfall-Patienten ist der kognitive Ort eines Gedankenfeldes mindestens temporär, oft irreversibel zerstört. Es können aber uU neue Repräsentationsorte gebildet werden. Es gibt auch, sogar sehr oft, eine Störung im Sprachzentrum, sie bedeuten den größten Verlust des Sprachvermögens, denn alles, was gesprochen werden kann, ragt ins Sprachzentrum, wird dieser Teil gekappt, fehlen die Worte, der Patient hat den Eindruck, etwas wichtiges zu denken, aber es kann nicht mehr formuliert werden.




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