40 shades of consciousness

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Jörn Budesheim
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Mi 16. Okt 2024, 08:28

Consul hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 00:20
Bewusstsein ist immer das Bewusstsein eines Individuums und niemals eines Kollektivs von Individuen.
Ich behaupte auch nicht, dass das Bewusstsein, das Bewusstsein eines Kollektivs ist oder etwas in der Art. Ich sage stattdessen, dass das Bewusstsein auch viele soziale Dimensionen hat. Wir sind in jeder Faser soziale Wesen, denke ich. Das ist eine der Voraussetzungen unserer Individualität. Und das sollte sich auch in unserem Erleben niederschlagen.
Lisa Feldman Barrett, Siebeneinhalb Lektionen über das Gehirn hat geschrieben : In den 1960er-Jahren untersagte die rumänische Regierung Abtreibungen sowie den Gebrauch der meisten Verhütungsmittel. Der damalige Präsident, Nicolae Ceausescu, wollte die Geburtenrate steigern. Mehr Einwohner sollten mehr wirtschaftliche Macht und folglich auch mehr Macht in der Welt bringen. Das neue Gesetz führte tatsächlich zu einem massiven Anstieg der Geburtenrate, doch es wurden mehr Kinder geboren, als manche Familien ernähren konnten. Die Folge? Hunderttausende Kinder wuchsen in Waisenhäusern auf. Viele dieser Kinder wurden entsetzlich misshandelt. Die sozialen Bedürfnisse speziell jener Kinder, die für unsere Lektion hier am wichtigsten sind, wurden völlig missachtet.

In manchen Waisenhäusern standen die Betten der Kleinen in langen Reihen. Niemand kümmerte sich um die Babys, sie erfuhren keinerlei Ansprache, Krankenschwestern und -pfleger kamen, fütterten sie, wechselten ihre Windeln und legten sie zurück ins Bettchen. Das war’s. Niemand nahm die Kinder in den Arm, spielte oder redete mit ihnen, sang ihnen etwas vor oder bemühte sich, ihre Aufmerksamkeit auf dies oder das zu lenken. Sie wurden anscheinend nicht körperlich misshandelt, nur einfach ignoriert.

Die Konsequenz dieser sozialen Vernachlässigung war, dass die Kinder aus den rumänischen Waisenhäusern durchweg geistig behindert sind. Sie hatten Probleme beim Spracherwerb. Sie konnten sich kaum konzentrieren und wurden von jeder Kleinigkeit abgelenkt, vermutlich weil nie jemand mit ihnen die gelenkte Aufmerksamkeit geübt hatte. Ihr Gehirn entwickelte die Fähigkeit, das Scheinwerferlicht zu fokussieren, erst gar nicht. Sie hatten auch Probleme mit der Selbstkontrolle. Neben den geistigen Einschränkungen und Verhaltensstörungen war ihr Körper verkümmert, vermutlich weil niemand ihr Körperkonto je aufgefüllt hat. Ihr Gehirn lernte also nicht, dieses Budget sinnvoll zu verwalten.

Kleine Gehirne verschalten sich, indem sie auf ihre Umwelt reagieren. Und wenn es in dieser Umwelt an wichtigen Faktoren für eine gesunde Körperbuchführung fehlt, dann werden wichtige
Natürlich hatten diese Kinder, wie auch Wolfskinder ein phänomenales Bewusstsein, keine Frage. Aber solches Bewusstsein ist halt zum Glück nicht die Norm. Mich interessiert, wie unser Bewusstsein normalerweise verfasst ist.

"Normalerweise" - das Wort kannst du unmittelbar, ohne Anstrengung erfassen. Warum? Aufgrund vieler verschiedener sozialer Tatsachen, es gibt Sprache, Schrift, Schulen, die sie lehren etc. Sie haben unser Bewusstsein in eine bestimmte Form gebracht, sodass du jetzt diese Pixel als ein bedeutsames Wort erlebst. Das gehört doch auch zu den phänomenalen Tatsachen. Solche Dinge sollte man nicht unter den Tisch fallen lassen. Wenn wir etwas in der Perspektive der ersten Person erleben, dann sind die anderen immer mit im Spiel, schätze ich. Unsere Subjektivität wird damit nicht infrage gestellt.




Körper
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Mi 16. Okt 2024, 14:42

RoloTomasi hat geschrieben :
Di 15. Okt 2024, 23:00
Würdest Du sagen, dass Du ein Körper bist?
Ja klar, was denn sonst?

Aber damit es nicht untergeht, du solltest auf meinen letzten Beitrag eingehen, denn das Subjekt ist zentral wichtig für tierisch/menschliches Bewusstsein.




Körper
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Mi 16. Okt 2024, 14:47

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Di 15. Okt 2024, 22:36
Man kann den Geist nicht von seinem Körper bzw seiner Verkörperung lösen.
Aus meiner Sicht ist das eine Ausrede, mit der man sich das Scheitern eines Wunsches nicht eingestehen will.
Was ist für dich der Anlass, nicht der Körper (als Subjekt) sein zu wollen?

Dir ist sicherlich bekannt, dass deine Aussage so oder so ähnlich auch von (populären) Religionen mitgetragen wird bzw. dass sie die "Körperdominanz" zu erklären versuchen, ohne dass sie den Körper das Subjekt sein lassen wollen.

Wieso ist es für dich ein sinnvoller Schritt, eine Aufteilung ("Körper/Geist") zu behaupten, wenn du dich dann vor einer Unerklärbarkeit siehst?

Du springst ja quasi absichtlich in die Problematik hinein, dass der behauptete "Geist" (was immer das sein soll) nicht weiss, wie man den Körper steuert.
Das ist doch ein Boxschlag, der den "Körper/Geist"-Wunsch sofort und endgültig auf die Bretter schickt.
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Di 15. Okt 2024, 22:36
Das ICH bezeichnet die bewußte Einheit von Körper und Geist.
"Das Ich" ist eigentlich nur ein Formulierungs-/Bedeutungsfehler, denn das Wort "Ich" hat einen Gültigkeitsbereich (der Aktive bezieht sich in seiner Handlung auf sich selbst).
Die Selbst-Referenzierung "ich" ist ein Vorgang, der einen festgelegten Ausgangspunkt und ein festgelegtes Ziel hat - das kann man nicht verdrehen, ohne dass es peinlich wird.
Mit "das Ich" wechselt man zu einer Perspektive, die explizit nicht durch "Ich" ausgedrückt wird - das ist ein Konflikt.




Wolfgang Endemann
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Mi 16. Okt 2024, 18:33

Körper hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 14:47

Was ist für dich der Anlass, nicht der Körper (als Subjekt) sein zu wollen?
Nein, ich lehne den Körper in keinster Weise ab. Ein Denken, das sich nicht der körperlichen (und sozialen) Bedingungen des Denkens bewußt ist, ist ein naives, dummes Denken.
Wenn man die kategoriale Andersartigkeit von Denken und unmittelbarem Sein verstanden hat und Materialist ist, ergibt sich zwingend die Frage, wie das möglich ist. Darauf kennen wir noch keine Antwort, ob es eine befriedigende, die Problematik vollkommen auflösende gibt, ist unklar. Wenn man kein Materialist oder Empirist oder Pragmatiker ist, stellt sich die Frage womöglich nicht. Das sind für mich allerdings noch viel weniger konsistent vertretbare Positionen.
Um genauer zu sein: der Geist weiß, wie/wo/inwiefern man den Körper steuern kann, er weiß sogar, wie es evolutiv dazu kommen konnte. Es bleibt nur ein unerklärlicher Rest, wie das funktionieren kann (unterschiedliche Gedanken unterscheiden sich nicht extensional), und vielleicht ist das überhaupt eine unsinnige Frage. Die Frage "warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?", oder "warum gibt es feste Stoffe/Aggregatzustände?", alles unsinnige Fragen, die nach dem Geist könnte eine der ersten, oder eine der zweiten Art von sinnlos sein.

<"Das Ich" ist eigentlich nur ein Formulierungs-/Bedeutungsfehler, denn das Wort "Ich" hat einen Gültigkeitsbereich (der Aktive bezieht sich in seiner Handlung auf sich selbst).> - Nur in Deinem System, alles als konkrete Handlungs- oder Verhaltenstatsache zu sehen. In diesem Konzept gibt es überhaupt keine Möglichkeit, zu (Allgemein-)Begriffen zu kommen, und damit ist das ausgeschlossen, was man allgemein unter Erkenntnis versteht. Dann braucht man auch kein Ich, das Aussagen macht, die Erkenntnis formulieren, also zu einem hohen Grad wahr sind bzw sein können.




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Jörn Budesheim
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Mi 16. Okt 2024, 19:41

RoloTomasi hat geschrieben :
Di 15. Okt 2024, 23:00
Ich bin ein Körper?
Die Frage ging zwar nicht an mich, ich beantworte sie aber dennoch: ich bin kein Körper, ich habe einen. Darauf wurde oben ja schon hingewiesen. Ich bin eine Person.

Der Begriff der Person steht, obwohl er in der deutschen Alltagssprache wenig Verwendung findet, für etwas, das in unserer Lebenswelt allgegenwärtig und von herausragender Bedeutung ist. Menschen, zumindest in einer modernen Gesellschaft, führen ihr Leben im Lichte von mehr oder weniger selbst gewählten Wertvorstellungen und mehr oder weniger expliziten Lebensentwürfen. Wir alle versuchen, unsere Existenz als Menschen in einer sozialen Umwelt als ein individuelles Leben zu gestalten, in dem sich manifestiert, wer wir sind und wer wir sein wollen. Die in unserer Kultur dominante Leitvorstellung besteht darin, das Leben als eigene Biografie zu führen, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln und in diesem Bemühen von anderen Personen als autonome Person respektiert zu werden. (Michael Quante)

Unsere Fähigkeit, unser Leben im Lichte von Vorstellungen zu führen, wer wir sind und wer wir sein wollen, macht uns zu freien, geistigen Lebewesen.




Körper
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Mi 16. Okt 2024, 21:59

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 18:33
Wenn man die kategoriale Andersartigkeit von Denken und unmittelbarem Sein verstanden hat
Naja, dann hast du ja schonmal nirgendwo "den Denker" verstanden, sondern möchtest nur das Denken zum Ausrufen einer Kategorie verwenden.

Wie hast du abgeklärt, ob da überhaupt eine Kategorie ist?
Gar nicht?
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 18:33
Um genauer zu sein: der Geist weiß, wie/wo/inwiefern man den Körper steuern kann
Nein, du musst nur den Arm seitlich heben und mit dem Finger einen horizontalen Kreis nachfahren. Die Ansteuerung der Muskelstränge zur flüssigen Bewältigung dieser Bewegung benötigt eine sensationell gute Abstimmung der Nervenimpulse und du kennst keinen einzigen davon.
Du kannst keinen dieser Impulse auch nur feststellen.
Dass du etwas bist, das den Körper steuert, darf man als enormes Gerücht einstufen.
Der Einzige, der nichts von den Impulsen wissen muss, ist der Körper - egal was du stattdessen sein möchtest, du benötigst dann eine Übersetzung in nervöse Impulse, und zwar nicht an den "Motoneuronen", also nicht am Übergang zur Muskulatur, sondern "keine Ahnung wo im Nervensystem der Einfluss stattfinden soll".
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 18:33
Dann braucht man auch kein Ich, das Aussagen macht
Du bist jetzt sehr weit über jegliches Ziel hinausgeschossen.
Es ging nur um die Formulierung "das Ich", also die Objektivisierung der "Referenzierung des Handelnden auf sich selbst".
Das Wort "ich" darf schlicht nicht als "das Ich" verwendet werden.




Wolfgang Endemann
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Mi 16. Okt 2024, 23:52

"Gar nicht?"
Wie gesagt: in Deinem Verständnis gar nicht.

"Dass du etwas bist, das den Körper steuert, darf man als enormes Gerücht einstufen."
Wenn Du damit sagen willst, daß die bewußte Steuerung des Körpers nur einen sehr geringen Anteil gegenüber der Selbststeuerung ausmacht, hast Du recht, da habe ich allerdings auch nichts gegenteiliges behauptet. Und die bewußte Steuerung läuft wie die Steuerung einer hochkomplizierten Maschine durch einen technischen Laien - er kann sie steuern, ohne von den Mechanismen die leiseste Ahnung zu haben. Übrigens hat der Körper selbst keine Ahnung, wie seine Selbststeuerung funktioniert, es ist eine ohne Einsicht evolutiv ausgebildete Funktion. Das nur zur irrigen Meinung, daß der Körper denken kann, er ist eine biofunktional selbstorganisierte "Maschine", daher reden wir nicht mehr von Maschine, sondern von einem, zurückhaltend formuliert, "Quasisubjekt", einem Subjekt an-sich, insofern es seinen Grund in sich hat. Hat dieses Subjekt Bewußtsein, Selbstbewußtsein, kann es sich auch selbst steuern, wird zum Subjekt an-und-für-sich; das ist der Grund, warum in der Natur Bewußtsein entstand, ohne die Fähigkeit der Selbststeuerung wäre Bewußtsein dysfunktional und daher niemals evolutiv entstanden. Aber warum erzähle ich Dir das? Das ist aus Deiner Warte Unsinn, da werde ich Dich nicht umstimmen können.
"Das Wort "ich" darf schlicht nicht als "das Ich" verwendet werden"
Hier wäre interessant zu wissen, ob Jörn Dir da zu folgen vermag. Er beschwert sich ja über einen übertriebenen Psychologismus, wo ich oft zustimmen kann, aber daß er die psychologische Ichinstanz kategorisch ablehnt, wage ich zu bezweifeln. Ich verwende hier eine soziologische Ichinstanz, die noch weniger Angriffsfläche für Kritik bietet, aber ich verstehe, daß für Dich auch für "das Ich" kein Platz ist.




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Consul
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Do 17. Okt 2024, 01:59

RoloTomasi hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 10:04
2. "Wenn ich mir einer Türe perzeptiv bewusst bin, d.h. sie wahrnehme, dann ist die Türe als Wahrnehmungsgegenstand "da draußen" (außerhalb meines Gehirns/Körpers) nicht Teil meines Wahrnehmungsinhaltes "hier drinnen" (innerhalb meines Gehirns/Körpers). Die Türe ist "da draußen" ("transzendent"), auch wenn ihre sinnliche Erscheinung in mir (in Gestalt bestimmter Farbflächeneindrücke) "hier drinnen" ("immanent") ist."

Das ist auch eine sehr klare Darstellung Deiner Position. Die Repräsentationstheorie des Bewusstseins hat ja eine lange Tradition, man findet sie schon bei John Locke, aber selbst noch in der älteren Phänomenologie bei Husserl (den Du ja auch schon mal zitiert hast).
Meine Wahrnehmungstheorie ist eher eine Präsentationstheorie als eine Repräsentationstheorie: Die Gegenstände der Sinneswahrnehmung werden dem Subjekt durch deren jeweilige Inhalte (Sinneseindrücke, Sinneserscheinungen) präsentiert. Wenn ich eine Türe sehe, dann sehe ich keine geistige "Türidee", die die Türe repräsentiert, sondern die Türe selbst.



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Jörn Budesheim
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Do 17. Okt 2024, 07:56

Consul hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 02:10
Beide Arten von Wahrnehmung—die äußere und die innere—finden freilich gleichermaßen im Innenraum des Körpers/Gehirns statt.
Consul hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 01:59
Wenn ich eine Türe sehe, dann sehe ich keine geistige "Türidee", die die Türe repräsentiert, sondern die Türe selbst.
Wie passt das zusammen? Wenn du die Türe selbst siehst, wie soll dann die Wahrnehmung im Innenraum des Körpers/Gehirns stattfinden? Denn wenn es die Türe selbst ist, die du wahrnimmst, dann müsste sie doch von der Wahrnehmung "umfasst" sein, oder?




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Do 17. Okt 2024, 11:50

Die Diskussion um die Frage "Was ist eine Person" hab ich hierher verschoben > https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... hp?p=84463




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Jörn Budesheim
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Do 17. Okt 2024, 14:00

Jedenfalls sollte man Wahrnehmung nicht so beschreiben, als wären wir alle „depersonalisiert“ (oder wie auch immer man es nennen möchte). Ich schaue nach rechts und sehe einen Tisch. Die Wahrnehmung handelt zwar nicht von mir, sondern vom Tisch, gleichzeitig „weiß“ ich jedoch in jedem Moment, dass es sich um meine eigene Wahrnehmung handelt. Bei Wahrnehmungstheorien, die das Wahrnehmen so behandeln, als wären wir eine Camera Obscura auf zwei Beinen, kommt dieser äußerst erstaunliche Aspekt in der Regel zu kurz. Es gibt vielleicht Krankheiten, bei denen Menschen die Dinge teilnahmslos wahrnehmen, als liefe ein Film ohne Zuschauer, der nichts bedeutet.




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Do 17. Okt 2024, 17:38

RoloTomasi hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 13:14
Sinnesdaten werden aus meiner Sicht zum Wahrnehmungsgeschehen bloß hinzugedacht, um ein bestimmtes theoretisches Modell des Bewusstseins aufrechterhalten zu können: Sie sind eigens zu diesem Zweck erdachte, theoretische Entitäten, die verständlich machen sollen, wie die äußere körperliche Dingwelt mit der inneren Körperwelt zusammenhängen soll. Man braucht Sinneseindrücke nur, wenn man sich fragt: Wie kommt die Welt da draußen in den Körper/das Gehirn da drinnen. (Ich selbst würde gerade sagen: gar nicht!)
???
Das hört sich so an, als würdest du weder das Nervensystem noch den Körper sonderlich benötigen.

Hol mich mal ab, um was geht es hier?
RoloTomasi hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 13:14
In der Wahrnehmung ist die Tür das dem Bewusstsein Gegebene
Von wem/was "gegeben" und woher stammt dabei "die Tür"?

Wenn man vom Sehen einer Tür überzeugt ist, dann steht der Körper vor einer Tür und nimmt eine Perspektive darauf ein.
Nirgendwo kommt dabei das Verständnis "dem Bewusstsein ist eine Tür gegeben" vor.




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Do 17. Okt 2024, 18:07

RoloTomasi hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 13:14
Sinnesdaten werden aus meiner Sicht zum Wahrnehmungsgeschehen bloß hinzugedacht, um ein bestimmtes theoretisches Modell des Bewusstseins aufrechterhalten zu können: Sie sind eigens zu diesem Zweck erdachte, theoretische Entitäten, die verständlich machen sollen, wie die äußere körperliche Dingwelt mit der inneren Körperwelt zusammenhängen soll. Man braucht Sinneseindrücke nur, wenn man sich fragt: Wie kommt die Welt da draußen in den Körper/das Gehirn da drinnen. (Ich selbst würde gerade sagen: gar nicht!)
Ja, das ist ein guter Punkt. Das wäre dann auch etwas, was die phänomenologische Methode motivieren könnte, bevor man die Phänomene beiseite schiebt und durch theoretische Entitäten ersetzt: lass uns mal schauen, was das Schauen eigentlich ist.




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Do 17. Okt 2024, 18:50

@RoloTomasi:
Hat der Mensch ein Nervensystem?
Falls "ja", wozu ist es da?




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Do 17. Okt 2024, 23:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 07:56
Consul hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 02:10
Beide Arten von Wahrnehmung—die äußere und die innere—finden freilich gleichermaßen im Innenraum des Körpers/Gehirns statt.
Consul hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 01:59
Wenn ich eine Türe sehe, dann sehe ich keine geistige "Türidee", die die Türe repräsentiert, sondern die Türe selbst.
Wie passt das zusammen? Wenn du die Türe selbst siehst, wie soll dann die Wahrnehmung im Innenraum des Körpers/Gehirns stattfinden? Denn wenn es die Türe selbst ist, die du wahrnimmst, dann müsste sie doch von der Wahrnehmung "umfasst" sein, oder?
Der gesehene äußere Gegenstand wird vom Sehen aufgefasst oder erfasst, indem er dem Seher erscheint—und zwar durch die innere Gesichtserscheinung oder den inneren Gesichtseindruck, die/den der Seher davon hat. Dabei fungiert der sensationale Inhalt des Sehens (d.i. eine bestimmte Farbflächenempfindung) als perzeptiv transparentes phänomenales Medium, durch das der gesehene äußere Gegenstand perzeptiv präsentiert wird. (Im Fall einer visuellen Halluzination handelt es sich bloß um den täuschenden Anschein einer Gegenstandspräsentation.)
Die visuelle Gegenstandserscheinung oder -gegenwärtigung findet in meinem Gehirn statt, aber der visuell erscheinende oder gegenwärtigte Gegenstand bleibt währenddessen außerhalb meines Gehirns (es sei denn, ich sehe mein eigenes Gehirn).



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Do 17. Okt 2024, 23:49

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 08:28
Consul hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 00:20
Bewusstsein ist immer das Bewusstsein eines Individuums und niemals eines Kollektivs von Individuen.
Ich behaupte auch nicht, dass das Bewusstsein, das Bewusstsein eines Kollektivs ist oder etwas in der Art. Ich sage stattdessen, dass das Bewusstsein auch viele soziale Dimensionen hat. Wir sind in jeder Faser soziale Wesen, denke ich. Das ist eine der Voraussetzungen unserer Individualität. Und das sollte sich auch in unserem Erleben niederschlagen.
"Das Selbstbewußtsein ist…ein zwar beschränkter, aber doch echter Innenaspekt. Und es ist keineswegs bloß ein Innenaspekt des seelischen Lebens—gerade als ein solcher wäre er besonders beschränkt, weil ihm die Ichtiefe ebenso verborgen bleibt wie die Tiefe der äußeren Welt—, es ist vielmehr in weit höherem Grade unmittelbare Selbstgegebenheit der mannigfachen Beziehungen, in denen das Ich zur Außenwelt steht. Diese Beziehungen aber bestehen im Erleben und Erfahren, im Hoffen und Fürchten, Lieben und Hassen, Sehnen und Streben, Wollen und Handeln, kurz in der ganzen Reihe der transzendenten Akte. Das Zurechtfinden in der Umwelt, das Erfassen und die Bewältigung lebensaktueller Situationen, Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit, sowie die an ihr hängenden sittlichen Wertmomente sind Gegenstand der inneren Selbstgegebenheit.

Das ist merkwürdig genug, denn auf diese Weise umfaßt die Selbstgegebenheit zugleich einen beträchtlichen Ausschnitt der Außenwelt, in die hinein das menschlich-personale Innere sich in diesen seinen Akten äußert. Das Selbstbewußtsein des Menschen hängt also unlöslich an seinem Bewußtsein des ihm Äußeren; denn eben in den aufgezählten und allen ihnen verwandten Akten ist das Bewußtsein in erster Linie auf den Gegenstand (die Situation, die fremde Person u.s.w.) gerichtet, und das Wissen um den Akt—und also auch das um das eigene Selbst—ist sekundär. Das Selbstbewußtsein des menschlich Inneren ist also nicht ganz so unmittelbar, wie es zunächst zu sein scheint; es hängt bereits am Bewußtsein des Äußeren."

(Hartmann, Nicolai. Der Aufbau der realen Welt: Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre. Berlin: De Gruyter, 1940. S. 348)
Dennoch:
"[J]eder Mensch hat sein seelisch Inneres für sich, das niemals in fremdes Seelenleben übergeht; alle Verbundenheit muß den Umweg über die „Äußerung" des Inneren gehen. Es kann keiner dem anderen sein Fühlen vermitteln, wenn der es nicht von sich aus nachfühlen kann; es kann auch niemand einen Gedanken mitteilen, wenn der Andere ihn nicht selbsttätig im eigenen Denken zu vollziehen weiß. Wir sagen dann: der Andere „versteht nicht". Das Verstehen eben ist der selbsttätige Vollzug."

(Hartmann, Nicolai. Der Aufbau der realen Welt: Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre. Berlin: De Gruyter, 1940. S. 349)
Allerdings:
"Nicht von gleicher Geschlossenheit ist das menschliche Innere, wenn man es als das der geistig aktiven, sittlichen und rechtlichen Person versteht. Die Personsphäre ist nicht das seelische Leben allein, sie erstreckt sich als Aktions- und Interessensphäre in die Außenwelt hinein und überschneidet sich dort mit fremden Personsphären. Durch diese Überschneidung ist sie zugleich Element der Gemeinschaft, deren Innenkräfte hier eine ihrer Wurzeln haben."

"Dieses Innere transzendiert sich selbst in seinen Akten, es geht durch sie in den Lebenszusammenhang der Personen ein und lebt sich in ihm aus. Es ist in sein eigenes Äußeres hinein verstrickt, es setzt sich in seinen „Äußerungen" in die Welt hinein fort. Und dadurch gibt es einem Ausschnitt dieser Welt den personalen Charakter, den wir im Leben als die Welt des Menschen kennen."

(Hartmann, Nicolai. Der Aufbau der realen Welt: Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre. Berlin: De Gruyter, 1940. S. 349+350)



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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Fr 18. Okt 2024, 00:58

RoloTomasi hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 13:14
@Consul: Ich sehe auch die Schwierigkeit, auf die Jörn im Post oben hinweist.

Du hattest ja weiter vorher geschrieben: "Die Türe ist "da draußen" ("transzendent"), auch wenn ihre sinnliche Erscheinung in mir (in Gestalt bestimmter Farbflächeneindrücke) "hier drinnen" ("immanent") ist." Da stellt sich mir die Frage: Wieso brauchst Du, wenn Du doch die Tür siehst, irgendwelche Eindrücke oder Sinnesdaten als Vermittler? Diese Sinnesdaten sind ja nicht selbst etwas bewusst Wahrgenommenes, denn Du siehst ja die Tür selbst, nicht ihre Erscheinungen (oder Repräsentanten) in dir. Man braucht das Konzept der Eindrücke oder Sinnesdaten im Grunde nur dann, wenn man die Tür, die ja nach deinen Worten 'draußen' ist, irgendwie ins Innere des Körpers/Gehirns hineinziehen will - die Tür selbst kommt als physisches Ding dummerweise nicht in den Körper rein, wohl aber - wie Du sagst - ihre "Erscheinung" in Gestalt bestimmter Eindrücke. Die Frage ist aber, warum du neben der Tür 'draußen' überhaupt noch irgendwelche inneren Objekte (Sinneseindrücke) als Vermittler hinzusetzt - warum du also neben der gesehenen Tür 'draußen' noch Eindrücke als deren Erscheinung 'drinnen' annimmst. Du könnest doch auch einfach sagen: Was erscheint, ist die Tür. (Das ist ja auch der schlichte phänomenologische Tatbestand, wenn jemand eine Tür sieht.)

Ich will damit sagen: Von Sinnesdaten (Farbflächeneindrücken...) kann in der Wahrnehmung gar nicht die Rede sein; sie gehören, was auch immer sie sein sollen, jedenfalls gar nicht zum bewusst Wahrgenommenen. Sinnesdaten werden aus meiner Sicht zum Wahrnehmungsgeschehen bloß hinzugedacht, um ein bestimmtes theoretisches Modell des Bewusstseins aufrechterhalten zu können: Sie sind eigens zu diesem Zweck erdachte, theoretische Entitäten, die verständlich machen sollen, wie die äußere körperliche Dingwelt mit der inneren Körperwelt zusammenhängen soll. Man braucht Sinneseindrücke nur, wenn man sich fragt: Wie kommt die Welt da draußen in den Körper/das Gehirn da drinnen. (Ich selbst würde gerade sagen: gar nicht!) Aber das Bewusstsein ist doch nicht wie ein Computer, der von außen Daten erhält und diese dann im Innern zu irgendetwas Gegenständlichem verarbeitet. In der Wahrnehmung ist die Tür das dem Bewusstsein Gegebene; sie wahrzunehmen heißt nicht, Tür-Daten aufzunehmen und sie zum Tür-Gegenstand zu verarbeiten. Das wäre ja auch merkwürdig, denn die Tür ist ja schon - in deinen Worten 'außen' - da! Nichts an einer wahrgenommenen Tür legt im Geringsten die Vermutung nahe, dass sie sich irgendeinem Prozess der Datenaufnahme und -verarbeitung verdankt.
Die Sinnesdatentheorie der Wahrnehmung betrachtet Sinnesdaten als mentale Objekte im engen ontologischen Sinn des Wortes—als dingliche Eigenschaftsträger, die selbst keine Eigenschaften von etwas anderem sind. In diesem Sinn sind Sinnesdaten spezielle Objekte, die Träger von Sinnesqualitäten (phänomenalen Qualitäten) sind.
"[S]ense-data are not identical with sense-qualities but are the things which possess or seem to possess sense-qualities."
———
"Sinnesdaten sind nicht identisch mit Sinnesqualitäten, sondern sind diejenigen Dinge, die Sinnesqualitäten besitzen oder zu besitzen scheinen." [meine Übers.]

(Wisdom, John. Problems of Mind and Matter. Cambridge: Cambridge University Press, 1934. p. 142)
Ich teile diese Betrachtungsweise nicht; denn für mich sind als Erscheinungen fungierende Sinnesdaten als Sinneseindrücke (Impressionen) oder Sinnesempfindungen (Sensationen) keine mentalen Objekte, sondern mentale Affektionen oder Passionen von Subjekten.
("Passion" als "Erleidung" im alten Sinn des Wortes, als Gegenteil von "Aktion"—"Leiden" vs. "Tun"—, und ohne die heute vorherrschende Bedeutung "unangenehme, schmerzhafte, qualvolle Erfahrung". In jenem alten Sinn wird auch Freude "erlitten".)

Sinneseindrücke oder -empfindnisse bilden den Inhalt bewusster Sinneswahrnehmung, die allein dadurch bewusst stattfindet, dass sie einen solchen subjektiv erfahrenen Inhalt hat, der als phänomenales Medium der Sinneswahrnehmung fungiert, und ohne den Subjekten gar nichts sinnlich erscheint. Ebendies macht den Unterschied zwischen bewusster und unbewusster Wahrnehmung!

Als Erscheinungen von etwas Äußerem fungierende innere Eindrücke oder Empfindungen werden von ihren Subjekten erfahren/"erlitten" (und auch irgendwie innerlich wahrgenommen); aber sie selbst erscheinen nicht, weil sie als Erscheinungen nicht das Erscheinende sind, sondern das Erscheinen des Erscheinenden. Das Erscheinen erscheint selbst nicht, weil es dasjenige ist, wodurch etwas anderes erscheint.

"Was erscheint, ist die Tür." – Ja, aber ohne das subjektive Erfahren einer Türerscheinung (in Gestalt eines bestimmten Farbflächeneindruckes) erscheint keine Türe! Ich sehe die Türe, indem ich einen bestimmten Gesichtseindruck erlebe oder habe, mittels dessen mir die Türe visuell erscheint.
"Ich mache mit einem Begleiter einen Spaziergang. Ich sehe eine grüne Wiese; ich habe dabei den Gesichtseindruck des Grünen. Ich habe ihn, aber ich sehe ihn nicht."

(Frege, Gottlob. "Der Gedanke: Eine Logische Untersuchung." Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus I (1918/1919): 58-77. Nachdruck in Gottlob Frege: Logische Untersuchungen, hsrg. v. Günther Patzig, 30-53. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1966. S. 40)
"Die Äquivokation, welche es gestattet, als Erscheinung nicht nur das Erlebnis, in dem das Erscheinen des Objektes besteht (z. B. das konkrete Wahrnehmungserlebnis, in dem uns das Objekt vermeintlich selbst gegenwärtig ist), sondern auch das erscheinende Objekt zu bezeichnen, kann nicht scharf genug betont werden. Der Trug dieser Äquivokation verschwindet sofort, sowie man sich phänomenologische Rechenschaft darüber gibt, was denn vom erscheinenden Objekt im Erlebnis der Erscheinung reell vorfindlich sei. Die Dingerscheinung (das Erlebnis) ist nicht das erscheinende Ding (das uns vermeintlich 'Gegenüberstehende'); in dem Bewußtseinszusammenhang erleben wir die Erscheinungen, als in der phänomenalen Welt seiend erscheinen uns die Dinge. Die Erscheinungen selbst erscheinen nicht, sie werden erlebt."

(Husserl, Edmund. Logische Untersuchungen. Zweiter Teil: Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis. Halle: Niemeyer, 1901. S. 328)
"Das Erscheinende nämlich ist nicht die Erscheinung – die Gleichsetzung dieser beiden ist ein proton pseudos – sondern gerade das Reale, das da erscheint. Die Erscheinung ihrerseits erscheint nicht, sondern ist die Erscheinungsweise eines realen Erscheinenden. Das letztere gehört dem Objekt an, während Erscheinung das Erkenntnisgebilde im Subjekt ist. Das Erscheinen ist Objektion. So wenig nun ein Objekt in seiner Objektion an ein Subjekt aufgeht, so wenig geht das Erscheinende in seinem Erscheinen auf. Es ist vielmehr selbst das Ansichseiende, sofern es objiziert ist. Es ist das Seiende, das zum Phänomen (d.h. eben zum Erscheinden, nicht zur Erscheinung) wird."

(Hartmann, Nicolai. Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis. 4. Aufl. Berlin: De Gruyter, 1949. S. 234)



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Jörn Budesheim
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Consul hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 23:49
(Hartmann, Nicolai. Der Aufbau der realen Welt: Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre. Berlin: De Gruyter, 1940. S. 349+350)
Ich hab nicht das Gefühl, dass Hartmann auf meine Beiträge geantwortet hat.




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Fr 18. Okt 2024, 09:50

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 23:52
Und die bewußte Steuerung läuft wie die Steuerung einer hochkomplizierten Maschine durch einen technischen Laien - er kann sie steuern, ohne von den Mechanismen die leiseste Ahnung zu haben.
Du darfst dir für deine Situation ausmalen, was du möchtest, aber für mich passt das nicht.

Auch ein Laie hätte ein Verständnis vom "Kontakt zur Maschine". Ein Laie wüsste, wie er die Maschine beeinflusst, also was seine Handlung in Bezug auf eine Maschine ist (sagen wir "das Drücken einer Taste").
Nichts davon kommt rund um "Bewusstsein" vor - gar nichts. Die Idee einer Körper-Maschine ist nichts wert.

Man hat mal ein Experiment mit einem "Gehirn-Patienten" durchgeführt, der grundsätzlich zum Experiment einwilligte, aber nicht wusste, wie das Experiment aussehen würde.
Die Forscher/Mediziner haben sein Bewegungszentrum (direkt) stimuliert und der Patient hob daraufhin einen Arm. Anschliessend wurde er gefragt, warum er das gerade gemacht hat.
Seine Antwort war "ich wollte es so".
Soweit die Fakten.

Man könnte nun interpretieren, dass der Patient sein "Wollen" komplett erfunden hat, ohne dass er das bewusst durchschauen kann (vielleicht sogar mit einem "Erleben des Wollens" - Motto: "total freier Wille"), oder man könnte sich ausmalen, dass die Forscher neben der Muskelansteuerung für ein biochemisches Ungleichgewicht gesorgt haben, das der Patient "ganz normal" als "sein Wollen" verwaltet (sozusagen ein "NCC" - "Neural Correlate of Consciousness").

Wie auch immer man es interpretiert, Tatsache bleibt, dass es rund um das Bewusstsein des Patienten nicht zu einer hohen Realitäts-Präzision gekommen ist, sondern nur zu einer "gut harmonischen Plausibilität" ("gut" im Sinne von "funktioniert für den Patienten").

Das Interessante an diesem Experiment ist, dass sich eine Möglichkeit zur Definition von Bewusstsein ergibt:
"Bewusstsein ist ein fortgesetzt plausibler Selbst-Erklärungsversuch (eine Reaktion)"

Das würde sehr gut mit der Anästhesie harmonieren, denn bezogen auf die Definition stoppt man hier die Fortsetzung - es kommt zu einem letzten Schritt, von dem aus es bis zum Abklingen der Betäubung nichts Neues dazukommt (das würde auch erklären, weshalb manche "aufwachenden Narkotisierte" kein Verständnis haben, dass überhaupt Zeit vergangen ist und für sie ein Realitätssprung vorliegt - das Aufwachen wird vermutlich ein Wiederanlaufen der kontinuierlichen Fortsetzung darstellen und somit in Teilen wieder "bewusst erlebt" also "Mit-Erzählt/-Erklärt") .

In dieser Definition ist auch klar enthalten, dass man es nicht mit einem präzisen Werkzeug zum Feststellen von Weltanteilen zu tun hat.
Das "phänomenal Bewusstsein" ergibt sich in Bezug auf diese Definition dadurch, dass die Überzeugung von Qualitativ-Phänomenen die nächst-plausible Selbst-Erklärung darstellt, mehr nicht.
Die Phänomene müssen nirgendwo vorliegen, sondern es muss nur zur "Erklärungs-Geschichte" kommen (und dies entsprechend der Definition auch nicht als "Phänomenal-Geschichte", sondern als Reaktion, deren Umstände mehr oder weniger in die Fortsetzung eingehen).

Ich sehe jedenfalls keine Chance, diesen Umständen mit Ontologie gerecht zu werden.
Mich wundert es nicht, dass Philosophen nicht weiterkommen und letztlich eher nur Hindernisse und Denkfallen beitragen.




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Jörn Budesheim
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Folgende Zutaten sind notwendig für Rührkuchen: Mehl, Butter oder Margarine, (Zucker), Eier, Backpulver oder Natron, Milch oder Wasser. Lässt man die Eier weg, wird es kein Rührkuchen. Daraus folgt aber nicht, dass die Zutat "Ei" hinreichend für Rührkuchen ist. Es zeigt nur, dass sie für Rührkuchen notwendig ist. So verhält es sich auch mit dem Gehirn: Es ist (in welcher Hinsicht auch immer) eine notwendige Bedingung für unser Bewusstsein, aber keine hinreichende. Das Beispiel mit der Anästhesie zeigt zwar, dass das man Bewusstsein auf irgendeine Weise „ausschalten“ kann, sagt aber nichts darüber aus, ob das Gehirn allein hinreichend für das Vorliegen Bewusstsein ist.

Ein weiteres Beispiel: Zwar sind für einen Rührkuchen Eier notwendig, aber es gibt auch Kuchen ohne Eier: Mehl, Zucker, Pflanzenöl oder Margarine, Backpulver oder Natron, pflanzliche Milch, Apfelmus oder Banane, Vanilleextrakt. Zwar ist für unser Bewusstsein ein Gehirn notwendig, wenn auch nicht hinreichend, aber es kann auch Wesen ohne Gehirn geben, die bewusst sind, so wie es Kuchen ohne Eier gibt, obwohl sie für Rührkuchen notwendig sind.

Kurz gesagt: Der Fokus auf das Gehirn ist in mehreren Hinsichten logisch verfehlt. Daraus, dass das Gehirn für uns notwendig ist, folgt nicht, dass es generell notwendig ist. Und daraus, dass es für uns notwendig ist, folgt auch nicht, dass es für uns eine hinreichende Bedingung darstellt.

Weiterhin folgt nicht, dass zu einer Beschreibung des Bewusstseins eine Beschreibung oder auch nur Erwähnung des ZNS gehört. So wie zur Beschreibung einer Spritztour auch nicht die Beschreibung der Tankfüllung gehört.

Das sind alles von vorne bis hinten klare Fehlargumente, wie man leicht zeigen kann.




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