40 shades of consciousness

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
Körper
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Do 17. Okt 2024, 18:50

@RoloTomasi:
Hat der Mensch ein Nervensystem?
Falls "ja", wozu ist es da?




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Thomas
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@Körper: Du willst lieber nicht zu Consul These Stellung beziehen, OK, dann ist das eben so.

Deine letzte Frage gebe ich gleich mal an Dich zurück: Hat der Mensch Bewusstsein? Ich denke, die Frage passt ganz gut, weil wir ja hier im Thread über Bewusstsein sind.

Ich hatte ja übrigens schon mal angeregt, dass Du selbst einen Thread über den Aufbau und die Funktion des Nervensystems aufmachst. Das wäre doch total sinnvoll, wenn Dir das Thema so sehr am Herzen liegt.




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Consul
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Do 17. Okt 2024, 23:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 07:56
Consul hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 02:10
Beide Arten von Wahrnehmung—die äußere und die innere—finden freilich gleichermaßen im Innenraum des Körpers/Gehirns statt.
Consul hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 01:59
Wenn ich eine Türe sehe, dann sehe ich keine geistige "Türidee", die die Türe repräsentiert, sondern die Türe selbst.
Wie passt das zusammen? Wenn du die Türe selbst siehst, wie soll dann die Wahrnehmung im Innenraum des Körpers/Gehirns stattfinden? Denn wenn es die Türe selbst ist, die du wahrnimmst, dann müsste sie doch von der Wahrnehmung "umfasst" sein, oder?
Der gesehene äußere Gegenstand wird vom Sehen aufgefasst oder erfasst, indem er dem Seher erscheint—und zwar durch die innere Gesichtserscheinung oder den inneren Gesichtseindruck, die/den der Seher davon hat. Dabei fungiert der sensationale Inhalt des Sehens (d.i. eine bestimmte Farbflächenempfindung) als perzeptiv transparentes phänomenales Medium, durch das der gesehene äußere Gegenstand perzeptiv präsentiert wird. (Im Fall einer visuellen Halluzination handelt es sich bloß um den täuschenden Anschein einer Gegenstandspräsentation.)
Die visuelle Gegenstandserscheinung oder -gegenwärtigung findet in meinem Gehirn statt, aber der visuell erscheinende oder gegenwärtigte Gegenstand bleibt währenddessen außerhalb meines Gehirns (es sei denn, ich sehe mein eigenes Gehirn).



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Consul
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Do 17. Okt 2024, 23:49

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 08:28
Consul hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 00:20
Bewusstsein ist immer das Bewusstsein eines Individuums und niemals eines Kollektivs von Individuen.
Ich behaupte auch nicht, dass das Bewusstsein, das Bewusstsein eines Kollektivs ist oder etwas in der Art. Ich sage stattdessen, dass das Bewusstsein auch viele soziale Dimensionen hat. Wir sind in jeder Faser soziale Wesen, denke ich. Das ist eine der Voraussetzungen unserer Individualität. Und das sollte sich auch in unserem Erleben niederschlagen.
"Das Selbstbewußtsein ist…ein zwar beschränkter, aber doch echter Innenaspekt. Und es ist keineswegs bloß ein Innenaspekt des seelischen Lebens—gerade als ein solcher wäre er besonders beschränkt, weil ihm die Ichtiefe ebenso verborgen bleibt wie die Tiefe der äußeren Welt—, es ist vielmehr in weit höherem Grade unmittelbare Selbstgegebenheit der mannigfachen Beziehungen, in denen das Ich zur Außenwelt steht. Diese Beziehungen aber bestehen im Erleben und Erfahren, im Hoffen und Fürchten, Lieben und Hassen, Sehnen und Streben, Wollen und Handeln, kurz in der ganzen Reihe der transzendenten Akte. Das Zurechtfinden in der Umwelt, das Erfassen und die Bewältigung lebensaktueller Situationen, Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit, sowie die an ihr hängenden sittlichen Wertmomente sind Gegenstand der inneren Selbstgegebenheit.

Das ist merkwürdig genug, denn auf diese Weise umfaßt die Selbstgegebenheit zugleich einen beträchtlichen Ausschnitt der Außenwelt, in die hinein das menschlich-personale Innere sich in diesen seinen Akten äußert. Das Selbstbewußtsein des Menschen hängt also unlöslich an seinem Bewußtsein des ihm Äußeren; denn eben in den aufgezählten und allen ihnen verwandten Akten ist das Bewußtsein in erster Linie auf den Gegenstand (die Situation, die fremde Person u.s.w.) gerichtet, und das Wissen um den Akt—und also auch das um das eigene Selbst—ist sekundär. Das Selbstbewußtsein des menschlich Inneren ist also nicht ganz so unmittelbar, wie es zunächst zu sein scheint; es hängt bereits am Bewußtsein des Äußeren."

(Hartmann, Nicolai. Der Aufbau der realen Welt: Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre. Berlin: De Gruyter, 1940. S. 348)
Dennoch:
"[J]eder Mensch hat sein seelisch Inneres für sich, das niemals in fremdes Seelenleben übergeht; alle Verbundenheit muß den Umweg über die „Äußerung" des Inneren gehen. Es kann keiner dem anderen sein Fühlen vermitteln, wenn der es nicht von sich aus nachfühlen kann; es kann auch niemand einen Gedanken mitteilen, wenn der Andere ihn nicht selbsttätig im eigenen Denken zu vollziehen weiß. Wir sagen dann: der Andere „versteht nicht". Das Verstehen eben ist der selbsttätige Vollzug."

(Hartmann, Nicolai. Der Aufbau der realen Welt: Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre. Berlin: De Gruyter, 1940. S. 349)
Allerdings:
"Nicht von gleicher Geschlossenheit ist das menschliche Innere, wenn man es als das der geistig aktiven, sittlichen und rechtlichen Person versteht. Die Personsphäre ist nicht das seelische Leben allein, sie erstreckt sich als Aktions- und Interessensphäre in die Außenwelt hinein und überschneidet sich dort mit fremden Personsphären. Durch diese Überschneidung ist sie zugleich Element der Gemeinschaft, deren Innenkräfte hier eine ihrer Wurzeln haben."

"Dieses Innere transzendiert sich selbst in seinen Akten, es geht durch sie in den Lebenszusammenhang der Personen ein und lebt sich in ihm aus. Es ist in sein eigenes Äußeres hinein verstrickt, es setzt sich in seinen „Äußerungen" in die Welt hinein fort. Und dadurch gibt es einem Ausschnitt dieser Welt den personalen Charakter, den wir im Leben als die Welt des Menschen kennen."

(Hartmann, Nicolai. Der Aufbau der realen Welt: Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre. Berlin: De Gruyter, 1940. S. 349+350)



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Fr 18. Okt 2024, 00:58

RoloTomasi hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 13:14
@Consul: Ich sehe auch die Schwierigkeit, auf die Jörn im Post oben hinweist.

Du hattest ja weiter vorher geschrieben: "Die Türe ist "da draußen" ("transzendent"), auch wenn ihre sinnliche Erscheinung in mir (in Gestalt bestimmter Farbflächeneindrücke) "hier drinnen" ("immanent") ist." Da stellt sich mir die Frage: Wieso brauchst Du, wenn Du doch die Tür siehst, irgendwelche Eindrücke oder Sinnesdaten als Vermittler? Diese Sinnesdaten sind ja nicht selbst etwas bewusst Wahrgenommenes, denn Du siehst ja die Tür selbst, nicht ihre Erscheinungen (oder Repräsentanten) in dir. Man braucht das Konzept der Eindrücke oder Sinnesdaten im Grunde nur dann, wenn man die Tür, die ja nach deinen Worten 'draußen' ist, irgendwie ins Innere des Körpers/Gehirns hineinziehen will - die Tür selbst kommt als physisches Ding dummerweise nicht in den Körper rein, wohl aber - wie Du sagst - ihre "Erscheinung" in Gestalt bestimmter Eindrücke. Die Frage ist aber, warum du neben der Tür 'draußen' überhaupt noch irgendwelche inneren Objekte (Sinneseindrücke) als Vermittler hinzusetzt - warum du also neben der gesehenen Tür 'draußen' noch Eindrücke als deren Erscheinung 'drinnen' annimmst. Du könnest doch auch einfach sagen: Was erscheint, ist die Tür. (Das ist ja auch der schlichte phänomenologische Tatbestand, wenn jemand eine Tür sieht.)

Ich will damit sagen: Von Sinnesdaten (Farbflächeneindrücken...) kann in der Wahrnehmung gar nicht die Rede sein; sie gehören, was auch immer sie sein sollen, jedenfalls gar nicht zum bewusst Wahrgenommenen. Sinnesdaten werden aus meiner Sicht zum Wahrnehmungsgeschehen bloß hinzugedacht, um ein bestimmtes theoretisches Modell des Bewusstseins aufrechterhalten zu können: Sie sind eigens zu diesem Zweck erdachte, theoretische Entitäten, die verständlich machen sollen, wie die äußere körperliche Dingwelt mit der inneren Körperwelt zusammenhängen soll. Man braucht Sinneseindrücke nur, wenn man sich fragt: Wie kommt die Welt da draußen in den Körper/das Gehirn da drinnen. (Ich selbst würde gerade sagen: gar nicht!) Aber das Bewusstsein ist doch nicht wie ein Computer, der von außen Daten erhält und diese dann im Innern zu irgendetwas Gegenständlichem verarbeitet. In der Wahrnehmung ist die Tür das dem Bewusstsein Gegebene; sie wahrzunehmen heißt nicht, Tür-Daten aufzunehmen und sie zum Tür-Gegenstand zu verarbeiten. Das wäre ja auch merkwürdig, denn die Tür ist ja schon - in deinen Worten 'außen' - da! Nichts an einer wahrgenommenen Tür legt im Geringsten die Vermutung nahe, dass sie sich irgendeinem Prozess der Datenaufnahme und -verarbeitung verdankt.
Die Sinnesdatentheorie der Wahrnehmung betrachtet Sinnesdaten als mentale Objekte im engen ontologischen Sinn des Wortes—als dingliche Eigenschaftsträger, die selbst keine Eigenschaften von etwas anderem sind. In diesem Sinn sind Sinnesdaten spezielle Objekte, die Träger von Sinnesqualitäten (phänomenalen Qualitäten) sind.
"[S]ense-data are not identical with sense-qualities but are the things which possess or seem to possess sense-qualities."
———
"Sinnesdaten sind nicht identisch mit Sinnesqualitäten, sondern sind diejenigen Dinge, die Sinnesqualitäten besitzen oder zu besitzen scheinen." [meine Übers.]

(Wisdom, John. Problems of Mind and Matter. Cambridge: Cambridge University Press, 1934. p. 142)
Ich teile diese Betrachtungsweise nicht; denn für mich sind als Erscheinungen fungierende Sinnesdaten als Sinneseindrücke (Impressionen) oder Sinnesempfindungen (Sensationen) keine mentalen Objekte, sondern mentale Affektionen oder Passionen von Subjekten.
("Passion" als "Erleidung" im alten Sinn des Wortes, als Gegenteil von "Aktion"—"Leiden" vs. "Tun"—, und ohne die heute vorherrschende Bedeutung "unangenehme, schmerzhafte, qualvolle Erfahrung". In jenem alten Sinn wird auch Freude "erlitten".)

Sinneseindrücke oder -empfindnisse bilden den Inhalt bewusster Sinneswahrnehmung, die allein dadurch bewusst stattfindet, dass sie einen solchen subjektiv erfahrenen Inhalt hat, der als phänomenales Medium der Sinneswahrnehmung fungiert, und ohne den Subjekten gar nichts sinnlich erscheint. Ebendies macht den Unterschied zwischen bewusster und unbewusster Wahrnehmung!

Als Erscheinungen von etwas Äußerem fungierende innere Eindrücke oder Empfindungen werden von ihren Subjekten erfahren/"erlitten" (und auch irgendwie innerlich wahrgenommen); aber sie selbst erscheinen nicht, weil sie als Erscheinungen nicht das Erscheinende sind, sondern das Erscheinen des Erscheinenden. Das Erscheinen erscheint selbst nicht, weil es dasjenige ist, wodurch etwas anderes erscheint.

"Was erscheint, ist die Tür." – Ja, aber ohne das subjektive Erfahren einer Türerscheinung (in Gestalt eines bestimmten Farbflächeneindruckes) erscheint keine Türe! Ich sehe die Türe, indem ich einen bestimmten Gesichtseindruck erlebe oder habe, mittels dessen mir die Türe visuell erscheint.
"Ich mache mit einem Begleiter einen Spaziergang. Ich sehe eine grüne Wiese; ich habe dabei den Gesichtseindruck des Grünen. Ich habe ihn, aber ich sehe ihn nicht."

(Frege, Gottlob. "Der Gedanke: Eine Logische Untersuchung." Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus I (1918/1919): 58-77. Nachdruck in Gottlob Frege: Logische Untersuchungen, hsrg. v. Günther Patzig, 30-53. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1966. S. 40)
"Die Äquivokation, welche es gestattet, als Erscheinung nicht nur das Erlebnis, in dem das Erscheinen des Objektes besteht (z. B. das konkrete Wahrnehmungserlebnis, in dem uns das Objekt vermeintlich selbst gegenwärtig ist), sondern auch das erscheinende Objekt zu bezeichnen, kann nicht scharf genug betont werden. Der Trug dieser Äquivokation verschwindet sofort, sowie man sich phänomenologische Rechenschaft darüber gibt, was denn vom erscheinenden Objekt im Erlebnis der Erscheinung reell vorfindlich sei. Die Dingerscheinung (das Erlebnis) ist nicht das erscheinende Ding (das uns vermeintlich 'Gegenüberstehende'); in dem Bewußtseinszusammenhang erleben wir die Erscheinungen, als in der phänomenalen Welt seiend erscheinen uns die Dinge. Die Erscheinungen selbst erscheinen nicht, sie werden erlebt."

(Husserl, Edmund. Logische Untersuchungen. Zweiter Teil: Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis. Halle: Niemeyer, 1901. S. 328)
"Das Erscheinende nämlich ist nicht die Erscheinung – die Gleichsetzung dieser beiden ist ein proton pseudos – sondern gerade das Reale, das da erscheint. Die Erscheinung ihrerseits erscheint nicht, sondern ist die Erscheinungsweise eines realen Erscheinenden. Das letztere gehört dem Objekt an, während Erscheinung das Erkenntnisgebilde im Subjekt ist. Das Erscheinen ist Objektion. So wenig nun ein Objekt in seiner Objektion an ein Subjekt aufgeht, so wenig geht das Erscheinende in seinem Erscheinen auf. Es ist vielmehr selbst das Ansichseiende, sofern es objiziert ist. Es ist das Seiende, das zum Phänomen (d.h. eben zum Erscheinden, nicht zur Erscheinung) wird."

(Hartmann, Nicolai. Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis. 4. Aufl. Berlin: De Gruyter, 1949. S. 234)



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Jörn Budesheim
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Fr 18. Okt 2024, 08:09

Consul hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 23:49
(Hartmann, Nicolai. Der Aufbau der realen Welt: Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre. Berlin: De Gruyter, 1940. S. 349+350)
Ich hab nicht das Gefühl, dass Hartmann auf meine Beiträge geantwortet hat.




Körper
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Fr 18. Okt 2024, 09:50

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 16. Okt 2024, 23:52
Und die bewußte Steuerung läuft wie die Steuerung einer hochkomplizierten Maschine durch einen technischen Laien - er kann sie steuern, ohne von den Mechanismen die leiseste Ahnung zu haben.
Du darfst dir für deine Situation ausmalen, was du möchtest, aber für mich passt das nicht.

Auch ein Laie hätte ein Verständnis vom "Kontakt zur Maschine". Ein Laie wüsste, wie er die Maschine beeinflusst, also was seine Handlung in Bezug auf eine Maschine ist (sagen wir "das Drücken einer Taste").
Nichts davon kommt rund um "Bewusstsein" vor - gar nichts. Die Idee einer Körper-Maschine ist nichts wert.

Man hat mal ein Experiment mit einem "Gehirn-Patienten" durchgeführt, der grundsätzlich zum Experiment einwilligte, aber nicht wusste, wie das Experiment aussehen würde.
Die Forscher/Mediziner haben sein Bewegungszentrum (direkt) stimuliert und der Patient hob daraufhin einen Arm. Anschliessend wurde er gefragt, warum er das gerade gemacht hat.
Seine Antwort war "ich wollte es so".
Soweit die Fakten.

Man könnte nun interpretieren, dass der Patient sein "Wollen" komplett erfunden hat, ohne dass er das bewusst durchschauen kann (vielleicht sogar mit einem "Erleben des Wollens" - Motto: "total freier Wille"), oder man könnte sich ausmalen, dass die Forscher neben der Muskelansteuerung für ein biochemisches Ungleichgewicht gesorgt haben, das der Patient "ganz normal" als "sein Wollen" verwaltet (sozusagen ein "NCC" - "Neural Correlate of Consciousness").

Wie auch immer man es interpretiert, Tatsache bleibt, dass es rund um das Bewusstsein des Patienten nicht zu einer hohen Realitäts-Präzision gekommen ist, sondern nur zu einer "gut harmonischen Plausibilität" ("gut" im Sinne von "funktioniert für den Patienten").

Das Interessante an diesem Experiment ist, dass sich eine Möglichkeit zur Definition von Bewusstsein ergibt:
"Bewusstsein ist ein fortgesetzt plausibler Selbst-Erklärungsversuch (eine Reaktion)"

Das würde sehr gut mit der Anästhesie harmonieren, denn bezogen auf die Definition stoppt man hier die Fortsetzung - es kommt zu einem letzten Schritt, von dem aus es bis zum Abklingen der Betäubung nichts Neues dazukommt (das würde auch erklären, weshalb manche "aufwachenden Narkotisierte" kein Verständnis haben, dass überhaupt Zeit vergangen ist und für sie ein Realitätssprung vorliegt - das Aufwachen wird vermutlich ein Wiederanlaufen der kontinuierlichen Fortsetzung darstellen und somit in Teilen wieder "bewusst erlebt" also "Mit-Erzählt/-Erklärt") .

In dieser Definition ist auch klar enthalten, dass man es nicht mit einem präzisen Werkzeug zum Feststellen von Weltanteilen zu tun hat.
Das "phänomenal Bewusstsein" ergibt sich in Bezug auf diese Definition dadurch, dass die Überzeugung von Qualitativ-Phänomenen die nächst-plausible Selbst-Erklärung darstellt, mehr nicht.
Die Phänomene müssen nirgendwo vorliegen, sondern es muss nur zur "Erklärungs-Geschichte" kommen (und dies entsprechend der Definition auch nicht als "Phänomenal-Geschichte", sondern als Reaktion, deren Umstände mehr oder weniger in die Fortsetzung eingehen).

Ich sehe jedenfalls keine Chance, diesen Umständen mit Ontologie gerecht zu werden.
Mich wundert es nicht, dass Philosophen nicht weiterkommen und letztlich eher nur Hindernisse und Denkfallen beitragen.




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Jörn Budesheim
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Fr 18. Okt 2024, 10:28

Folgende Zutaten sind notwendig für Rührkuchen: Mehl, Butter oder Margarine, (Zucker), Eier, Backpulver oder Natron, Milch oder Wasser. Lässt man die Eier weg, wird es kein Rührkuchen. Daraus folgt aber nicht, dass die Zutat "Ei" hinreichend für Rührkuchen ist. Es zeigt nur, dass sie für Rührkuchen notwendig ist. So verhält es sich auch mit dem Gehirn: Es ist (in welcher Hinsicht auch immer) eine notwendige Bedingung für unser Bewusstsein, aber keine hinreichende. Das Beispiel mit der Anästhesie zeigt zwar, dass das man Bewusstsein auf irgendeine Weise „ausschalten“ kann, sagt aber nichts darüber aus, ob das Gehirn allein hinreichend für das Vorliegen Bewusstsein ist.

Ein weiteres Beispiel: Zwar sind für einen Rührkuchen Eier notwendig, aber es gibt auch Kuchen ohne Eier: Mehl, Zucker, Pflanzenöl oder Margarine, Backpulver oder Natron, pflanzliche Milch, Apfelmus oder Banane, Vanilleextrakt. Zwar ist für unser Bewusstsein ein Gehirn notwendig, wenn auch nicht hinreichend, aber es kann auch Wesen ohne Gehirn geben, die bewusst sind, so wie es Kuchen ohne Eier gibt, obwohl sie für Rührkuchen notwendig sind.

Kurz gesagt: Der Fokus auf das Gehirn ist in mehreren Hinsichten logisch verfehlt. Daraus, dass das Gehirn für uns notwendig ist, folgt nicht, dass es generell notwendig ist. Und daraus, dass es für uns notwendig ist, folgt auch nicht, dass es für uns eine hinreichende Bedingung darstellt.

Weiterhin folgt nicht, dass zu einer Beschreibung des Bewusstseins eine Beschreibung oder auch nur Erwähnung des ZNS gehört. So wie zur Beschreibung einer Spritztour auch nicht die Beschreibung der Tankfüllung gehört.

Das sind alles von vorne bis hinten klare Fehlargumente, wie man leicht zeigen kann.




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Jörn Budesheim
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Fr 18. Okt 2024, 10:29

Körper hat geschrieben :
Fr 18. Okt 2024, 09:50
Mich wundert es nicht, dass Philosophen nicht weiterkommen und letztlich eher nur Hindernisse und Denkfallen beitragen.
Warum engagierst du dich dann nicht in einem ZNS-Forum?




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Thomas
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Fr 18. Okt 2024, 12:27

Es scheint mir, dass die Debatte allmählich recht kompliziert wird. Ich versuche daher noch mal für mich etwas Orientierung in die Diskussion zu bringen (aber natürlich ohne damit irgendetwas bestimmen zu wollen!). - Ich stelle mal die Frage: Was diskutieren wir hier eigentlich? Geht es darum, ob es überhaupt Bewusstsein gibt? Das glaube ich eher nicht, denn das steht ja eigentlich nicht ernsthaft in Frage. Dass das Sehen einer Tür ein Beispiel für Bewusstsein ist, das ist doch wohl unsere gemeinsam geteilte Auffassung, oder?!

Meiner Ansicht nach streiten wir, von diesem vortheoretischen Ausgangspunkt ausgehend darüber, wie man Bewusstsein - oder konkret: Wie man die Wahrnehmung eines Gegenstandes (Tür) als einfachem Fall von Bewusstsein - von theoretischer Warte aus rekonstruieren kann. Und hierbei, also bei der Rekonstruktion, gehen die Auffassungen auseinander. Ich würde sagen, dass dieses Auseinandergehen solange kein Problem ist, wie in der jeweiligen Rekonstruktion der Ausgangspunkt ('Ich sehe eine Tür') nicht aus den Augen verloren wird. Und der Ausgangspunkt ist eben der, dass das Sehen einer Tür ein Fall von Bewusstsein ist. Oder einfacher: Jemand nimmt eine Tür wahr - das ist (ein Fall von) Bewusstsein.

Wenn nun z.B. Consul bei seiner theoretischen Rekonstruktion der Wahrnehmung (ich verkürze) Sinneseindrücke als vermittelnde Affektionen annimmt, ist das aus meiner Sicht kein Problem, sofern diese und weitere Annahmen nicht vom schlichten Sachverhalt (Ich sehe eine Tür) wegführen. Ebenso kann man auch das Nervensystem bei der Rekonstruktion von Bewusstsein ins Spiel bringen, solange dies am Ende nicht dazu führt, dass der einfache Tatbestand (Ich sehe eine Tür) dabei verschwindet oder zu einem bloßen Schein erklärt wird. Und selbst wenn hier jemand auftauchen und behaupten würde, dass Gott höchstpersönlich für meine Wahrnehmung der Tür verantwortlich ist, dann wäre auch das aus meiner Sicht kein Problem, solange nicht behauptet wird, dass 'Ich sehe eine Tür' kein Fall von Bewusstsein ist - oder dass 'Ich sehe eine Tür' letztlich gar nicht stattfindet.

Das heißt für mich, dass wir - trotzdem wir uns in der theoretischen Rekonstruktion von Bewusstsein (mehr oder weniger) unterscheiden - eigentlich nur zwei gemeinsame ‚Gegner‘ haben: Erstens diejenigen, die sagen, dass Wahrnehmung (Ich sehe eine Tür) gar kein Fall von Bewusstsein ist. Zweitens diejenigen, die behaupten, dass es die Erfahrung 'Ich sehe eine Tür' gar nicht gibt, etwa weil es gar keinen gibt, der die Tür wahrnimmt, oder weil es gar keine Tür gibt. Ich sehe aber keinen unter uns, der das behauptet. Solange wir also gemeinsam sagen, dass 'Ich sehe eine Tür' ein Ausdruck ist, der Bewusstsein beschreibt, sind aus meiner Sicht die Unterschiede in unseren Rekonstruktionen kein Problem. Denn die diversen Rekonstruktionen sind dann ja am Ende immer Rekonstruktionen einer schlichten vortheoretischen Erfahrung. Und diese Erfahrung ist: Ich sehe eine Tür. Problematisch wird es für mich immer nur dann, wenn man am Ende die Erfahrung, welche die jeweilige Theorie doch zu erklären versucht, unter dem Theoretischen ganz unkenntlich wird oder verschwindet.




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Thomas
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Fr 18. Okt 2024, 12:53

Noch eine Ergänzung:

Das Nervensystem verhält sich aus meiner Sicht zum Bewusstsein wie der Zimmermann zur Tür. Ohne Zimmermann gibt es keine Tür, die ich wahrnehmen kann, und ohne Nervensystem gibt es kein Bewusstsein, mit dem ich (z.B. eine Tür) sehen kann.

Aber beim Sehen der Tür – also bei einer bewussten Erfahrung – kommen weder der Zimmermann noch das Nervensystem vor. Ich kann natürlich bei der Tür und beim Bewusstsein auf deren reale Voraussetzungen (Zimmermann samt Materialien, Nervensystem) zu sprechen kommen: Etwa indem ich frage, worauf Türen oder das Bewusstsein von Türen beruhen müssen, damit es sie gibt. Aber wenn ich Bewusstsein, also z.B. die Erfahrung des Sehen einer Tür beschreiben möchte, dann ist mein Thema nicht die Voraussetzungen oder Bedingungen dieser Erfahrung, sondern die Erfahrung selbst. Zimmermann und Nervensystem gehören unzweifelhaft zu den Bedingungen der Wahrnehmung von Türen – aber die Untersuchung der Bedingungen einer Sache und die Untersuchung der Sache selbst kann man klar voneinander trennen. Bewusstseinstheorie ist nicht Physiologie oder Zimmermannskunde. Bewusstsein ist ein Gegenstand sui generis, auch wenn kein Mensch leugnet, dass das Bewusstsein (von Türen) auch handfeste Voraussetzungen hat (Nervensysteme und Zimmerleute).




Wolfgang Endemann
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Fr 18. Okt 2024, 18:18

Körper hat geschrieben :
Fr 18. Okt 2024, 09:50

Ich sehe jedenfalls keine Chance, diesen Umständen mit Ontologie gerecht zu werden.
Ich sehe gute Chancen, diesen Umständen mit Logik gerecht zu werden.

Hier wiederholst Du die längst aufgegebene ursprüngliche Hypothese der Hirnphysiologen um Singer und Roth, freilich paßt die wunderbar zu Deiner Auffassung. Diese Gruppe von Physiologen hatte die Idee und den Versuch unternommen, die Autonomie des Denkens als Selbstbetrug, das Denken als Epihänomen auf materialistische Kausalität zurückzuführen, hat an einfachen Beispielen (vergleichbar Deinem Tischdurchgehen-Beispiel) nachzuweisen versucht, daß wir nicht Subjekt des Denkens sind, sondern unser Bewußtsein nur materielle Vorgänge spiegelt, beantwortet.

Dabei haben sie einen ausgesprochen wichtigen Erkenntnisschritt getan, nur ihre Verallgemeinerung war falsch. Denn tatsächlich ist die Kognition ja das Organ der menschlichen Sinnproduktion. Verstehen bedeutet Denken in Übereinstimmung mit Sachverhalten zu bringen, die Denkordnungen spiegeln immer mehr oder weniger die Ordnung des Seins. Da wird leicht vergessen, daß wir auch Produzenten des Seins sind, was aber ein kurioser Fehler ist, denn wäre es nur eine Wiederspiegelung (ich verwende hier bewußt nicht das Wort Widerspiegelung), hätte Bewußtsein überhaupt keine Funktion, wäre völlig überflüssig. Wenn das Bewußtsein keine Handlungsmöglichkeiten kreieren würde, sondern nur nacherzählen würde, was ist, käme man ohne Bewußtsein genauso weit mit wesentlich geringerem Aufwand. Bewußtsein hätte sich nie evolutiv entwickelt. Vereinfacht gesagt: Tiere sind ziemlich perfekt angepaßte Inputverarbeitungsmechanismen, ab einer gewissen Komplexitätsstufe von Organismus und lebensrelevanter Umwelt reicht das aber nicht aus, es muß ein autonomes Bewußtsein entwickelt werden. An dieser Stelle emergiert in der Evolution Bewußtsein, in vollem Umfang erst beim Menschen.

Bewußtsein ist jedoch nur ein zusätzliches Steuerungselement. Unser biologisches Erbe besteht sehr viel mehr aus angeborenen Selbststeuerungsmechanismen. Der größte Teil der Kognition läuft unbewußt ab. Allerdings wächst mit dem Selbstbewußtsein und der darin realisierten Autonomieerfahrung die Notwendigkeit, alle bewußten Wahrnehmungen in das bewußte Denken zu integrieren, in dessen Sinnzusammenhang einzubauen, also ihnen einen passenden Sinn zu verpassen. Und so führt die Selbstwahrnehmung unbewußter kognitiver Prozesse zur Notwendigkeit, sie als Gemachte, nicht als Gegebene zu interpretieren, das ist in einem bestimmten Sinn natürlich falsch, wir haben sie nicht bewußt, sondern "Es", der unbewußte Mechanismus, wie oben beschrieben, hat sie gemacht. Allerdings verstehen wir uns als eine physio-psychische Einheit, so rechnen wir uns als Subjekten auch die automatische Verdauung und Atmung zu, manche Menschen wissen kaum, daß man bewußt atmen kann, sehen unseren Körper nicht als Fremdes, Fremdkörper. Hinzu kommt, daß wir tatsächlich Subjekt der Einordnung in unser persönliches bewußtes Universum sind. Folgerichtig hat die empirische Untersuchung der Hirnströme gezeigt, daß die Einordnung einfacher, leicht zu detektierender Ketten von Wahrnehmungsreizen bis zur Repräsentationsebene, bisin in das individuelle Denkuniversum unbewußt erfolgt, bevor es bewußt wird. Daraus wurde der voreilige Schluß gezogen, daß alles Denken eine bloße Sinnillusion ist.

Ich vertrete hier einen nichteliminativen Materialismus (wie er von Donald Davidson begründet und teilweise von Hilary Putnam vertreten und inzwischen auch in neue Zusammenhänge gestellt wurde), und den ich gerne als transzendierenden Materialismus bezeichne. Ich erwähne das, weil ich gegen Deinen Epiphänomenalismus gravierende Einwände habe. Letzteres ist nicht vereinbar mit einer (idealistisch-)realistischen Position, bei der der Gegensatz von Physis und Geist dialektisch aufgelöst ist, mit einem genetischen Primat des Materiellen.




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RoloTomasi hat geschrieben :
Fr 18. Okt 2024, 12:27
…Das heißt für mich, dass wir - trotzdem wir uns in der theoretischen Rekonstruktion von Bewusstsein (mehr oder weniger) unterscheiden - eigentlich nur zwei gemeinsame ‚Gegner‘ haben: Erstens diejenigen, die sagen, dass Wahrnehmung (Ich sehe eine Tür) gar kein Fall von Bewusstsein ist.
Unbewusste Wahrnehmungen kommen vor, aber bewusstes Wahrnehmen = wahrnehmendes Bewusstsein.
RoloTomasi hat geschrieben :
Fr 18. Okt 2024, 12:27
Zweitens diejenigen, die behaupten, dass es die Erfahrung 'Ich sehe eine Tür' gar nicht gibt, etwa weil es gar keinen gibt, der die Tür wahrnimmt, oder weil es gar keine Tür gibt. Ich sehe aber keinen unter uns, der das behauptet. Solange wir also gemeinsam sagen, dass 'Ich sehe eine Tür' ein Ausdruck ist, der Bewusstsein beschreibt, sind aus meiner Sicht die Unterschiede in unseren Rekonstruktionen kein Problem. Denn die diversen Rekonstruktionen sind dann ja am Ende immer Rekonstruktionen einer schlichten vortheoretischen Erfahrung. Und diese Erfahrung ist: Ich sehe eine Tür. Problematisch wird es für mich immer nur dann, wenn man am Ende die Erfahrung, welche die jeweilige Theorie doch zu erklären versucht, unter dem Theoretischen ganz unkenntlich wird oder verschwindet.
Mit der sprachlichen Beschreibung der vortheoretischen, "reinen/rohen" Erfahrung sind wir bereits im Theoretischen. Das gilt insbesondere für die Phänomenologie.
Ob diese visuelle Erfahrung zutreffend als Sehen einer Türe beschrieben ist, kann infrage gestellt werden; denn sie ist womöglich eine visuelle Halluzination, die kein Sehen einer Türe ist, da es in einem solchen Fall keine gesehene Türe gibt, sondern nur den täuschenden Anschein des Sehens einer Türe.



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Sa 19. Okt 2024, 09:08

Selbst diese Frage, ob es sich dabei um das Sehen einer Tür handelt, kann man in der Phänomenologie ja einklammern, denn der Gegenstand der Beschreibung soll ja die Erfahrung sein, so zumindestens verstehe ich es.




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Consul hat geschrieben :
Sa 19. Okt 2024, 06:16
Unbewusste Wahrnehmungen kommen vor....
Dem stimme ich voll zu. Ich würde sogar sagen, dass das Unbewusste (jetzt aber natürlich nicht im engeren Sinne der Psychoanalyse) der Normalfall alltäglicher Erfahrung ist. Im Alltag macht z.B. man Türen auf: Das ist ein praktischer Umgang mit Türen, in denen diese gar nicht im vollen Sinne des Wortes gesehen werden, also Objekte des Bewusstseins sind. Man kann aber sagen, dass gerade in solchen Routinetätigkeiten vieles unbewusst wahrgenommen wird.
Consul: "Ob diese visuelle Erfahrung zutreffend als Sehen einer Türe beschrieben ist, kann infrage gestellt werden; denn sie ist womöglich eine visuelle Halluzination, die kein Sehen einer Türe ist, da es in einem solchen Fall keine gesehene Türe gibt, sondern nur den täuschenden Anschein des Sehens einer Türe".
Das ist ganz richtig: Es gibt ein Wahrnehmungen und Halluzinationen. Mein Argument ist hier einfach nur, dass Halluzinationen ebenso wie Wahrnehmungen Fälle von Bewusstsein sind. Dass ich mich täuschen kann, also eine halluzinierte Tür für eine wahrgenommene halten kann, ist ja seit Descartes' Traumargument bekannt - Zweifel, Täuschung und Fraglichkeit ist immer möglich und definiert in gewisser Weise sogar das Bewusstsein. Aber es ist auch klar, dass die Möglichkeit der Täuschung nicht dagegen spricht, dass Halluzinationen und Wahrnehmungen Formen von Bewusstsein sind. Ob es sich bei der Wahrnehmung der Tür tatsächlich um eine Wahrnehmung (oder bloß um eine Halluzination) handelt, ist dann (wie alles) eine Sache der weiteren Erfahrung, die das Bewusstsein mit der Tür macht bzw. machen kann. (Erfahrungsgemäß haben z.B. halluzinierte Phänomene eine andere Phänomenologie als wahrgenommene: Sie sind unbeständiger, haben eine fast verschwindende 'Materialität' - man kann durch eine halluzinierte Tür einfach mit der Hand hindurchgreifen usw. Solche Erfahrungsweisen dann differenziert zu beschreiben, ist Aufgabe der phänomenologischen Bewusstseinstheorie. Dabei braucht die Theorie aber auf nichts weiter zurückgreifen als auf das, was sich in der Erfahrung zeigt. Auch die halluzinierte Tür zeigt dem Bewusstsein z.B. eine Tür und keine Sinnesdaten.

Aber es ist klar, dass man - wie ich immer wieder betont habe - nicht auf die Phänomenologie als Methode der Bewusstseinsforschung festgelegt ist. Man kann Bewusstsein, mit den Worten Daniel C. Dennetts, auch "heterophänomenologisch" beschreiben, also ohne Bezug auf die subjektive Perspektive dessen, der die jeweiligen Erfahrungen macht. Das ist am Ende fast eine Geschmacksfrage. Solange es nicht zu einer Kolonialisierung der Phänomenologie durch die "Heterophänomenologie" (Dennett) kommt, können die beiden Forschungswege einfach nebeneinander herlaufen, sozusagen in friedlicher Koexistenz.




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So 20. Okt 2024, 02:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 19. Okt 2024, 09:08
Selbst diese Frage, ob es sich dabei um das Sehen einer Tür handelt, kann man in der Phänomenologie ja einklammern, denn der Gegenstand der Beschreibung soll ja die Erfahrung sein, so zumindestens verstehe ich es.
Wörtlich übersetzt ist Phänomenologie Erscheinungslehre.
Was ist eine Erscheinung, ein Phänomen? Dieses Wort ist doppeldeutig, worauf Husserl ausdrücklich hinweist:
"Die Äquivokation, welche es gestattet, als Erscheinung nicht nur das Erlebnis, in dem das Erscheinen des Objektes besteht (z. B. das konkrete Wahrnehmungserlebnis, in dem uns das Objekt vermeintlich selbst gegenwärtig ist), sondern auch das erscheinende Objekt zu bezeichnen, kann nicht scharf genug betont werden. Der Trug dieser Äquivokation verschwindet sofort, sowie man sich phänomenologische Rechenschaft darüber gibt, was denn vom erscheinenden Objekt im Erlebnis der Erscheinung reell vorfindlich sei. Die Dingerscheinung (das Erlebnis) ist nicht das erscheinende Ding (das uns vermeintlich 'Gegenüberstehende'); in dem Bewußtseinszusammenhang erleben wir die Erscheinungen, als in der phänomenalen Welt seiend erscheinen uns die Dinge. Die Erscheinungen selbst erscheinen nicht, sie werden erlebt."

(Husserl, Edmund. Logische Untersuchungen. Zweiter Teil: Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis. Halle: Niemeyer, 1901. S. 328)
Diese Doppeldeutigkeit von "Erscheinung"/"Phänomen" findet sich auch im folgenden Zitat:
"The discipline of phenomenology may be defined initially as the study of structures of experience, or consciousness. Literally, phenomenology is the study of “phenomena”: appearances of things, or things as they appear in our experience, or the ways we experience things, thus the meanings things have in our experience. Phenomenology studies conscious experience as experienced from the subjective or first person point of view."
——————
"Die Disziplin der Phänomenologie kann zunächst als das Studium von Erfahrungsstrukturen oder Bewusstsein definiert werden. Wörtlich ist die Phänomenologie das Studium von „Phänomenen“: Erscheinungen von Dingen oder Dinge, wie sie in unserer Erfahrung erscheinen, oder die Art und Weise, wie wir Dinge erleben, also die Bedeutungen, die Dinge in unserer Erfahrung haben. Die Phänomenologie untersucht bewusste Erfahrungen, wie sie aus der subjektiven oder Ich-Perspektive erlebt werden." [Übersetzt von Google Translate]

Phenomenology: https://plato.stanford.edu/entries/phenomenology/
Es gibt folglich zwei unterschiedliche Untersuchungsgebiete der Phänomenologie und damit zwei Arten von Phänomenologie—eine "Immanenzphänomenologie" und eine "Transzendenzphänomenologie":

1. Aus immanenzphänomenologischer Sicht sind Erscheinungen subjektive Erfahrungen (Empfindungen/Eindrücke), durch die Dinge bewusst wahrgenommen werden (oder nicht, wie bei Halluzinationen, die bloß Scheinwahrnehmungen sind). Hier bilden ausschließlich bewusstseinsimmanente Vorkommnisse die phänomenale Sphäre, welche somit in nichts weiter als der Gesamtheit der subjektiven Bewusstseinsinhalte besteht.

2. Aus transzendenzphänomenologischer Sicht sind Erscheinungen durch subjektive Erfahrungen (Empfindungen, Eindrücke) erscheinende und damit bewusst wahrgenommene Dinge. Hier bilden subjektiv erscheinende bewusstseinstranszendente Dinge oder Ereignisse die phänomenale Sphäre, welche somit in der Gesamtheit der erscheinenden, bewusst wahrgenommenen Vorkommnisse in der Außenwelt besteht.

Im Sinne von 1 ist "Ich habe/erlebe einen weiß-rechteckigen Farbflächeneindruck" eine immanenzphänomenologische Beschreibung, wohingegen "Ich sehe eine Türe" oder "Eine Türe erscheint mir visuell" eine transzendenzphänomenologische Beschreibung im Sinne von 2 ist.



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So 20. Okt 2024, 02:49

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 18. Okt 2024, 10:28
Folgende Zutaten sind notwendig für Rührkuchen: Mehl, Butter oder Margarine, (Zucker), Eier, Backpulver oder Natron, Milch oder Wasser. Lässt man die Eier weg, wird es kein Rührkuchen. Daraus folgt aber nicht, dass die Zutat "Ei" hinreichend für Rührkuchen ist. Es zeigt nur, dass sie für Rührkuchen notwendig ist. So verhält es sich auch mit dem Gehirn: Es ist (in welcher Hinsicht auch immer) eine notwendige Bedingung für unser Bewusstsein, aber keine hinreichende. Das Beispiel mit der Anästhesie zeigt zwar, dass das man Bewusstsein auf irgendeine Weise „ausschalten“ kann, sagt aber nichts darüber aus, ob das Gehirn allein hinreichend für das Vorliegen Bewusstsein ist.
Für das anästhesiologische Aus- und Einschalten des Bewusstseinszustandes genügt nachweislich eine bestimmte chemische Manipulation von Nervenvorgängen im Gehirn, sodass mit Recht angenommen werden darf, dass die direkten kausalen oder konstitutiven Mechanismen des Bewusstseins nichts weiter als ZNS-Mechanismen sind.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 18. Okt 2024, 10:28
Ein weiteres Beispiel: Zwar sind für einen Rührkuchen Eier notwendig, aber es gibt auch Kuchen ohne Eier: Mehl, Zucker, Pflanzenöl oder Margarine, Backpulver oder Natron, pflanzliche Milch, Apfelmus oder Banane, Vanilleextrakt. Zwar ist für unser Bewusstsein ein Gehirn notwendig, wenn auch nicht hinreichend, aber es kann auch Wesen ohne Gehirn geben, die bewusst sind, so wie es Kuchen ohne Eier gibt, obwohl sie für Rührkuchen notwendig sind.
Ja, "es kann" im Sinn von "es ist logisch möglich"; aber es gibt nicht den geringsten Beweis dafür, dass es für gehirnlose Lebewesen oder gar Nichtlebewesen auch physiologisch/physikalisch möglich ist, den Zustand des Bewusstseins zu erlangen. Im Gegenteil, unser wissenschaftliches Wissen über den Geist-Gehirn-Zusammenhang und die einseitige Geist-Gehirn-Abhängigkeit spricht deutlich gegen diese Art von Möglichkeit.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 18. Okt 2024, 10:28
Kurz gesagt: Der Fokus auf das Gehirn ist in mehreren Hinsichten logisch verfehlt. Daraus, dass das Gehirn für uns notwendig ist, folgt nicht, dass es generell notwendig ist. Und daraus, dass es für uns notwendig ist, folgt auch nicht, dass es für uns eine hinreichende Bedingung darstellt.
Gehirne sind keine selbstständigen Organismen, sondern abhängige Organe in und von Organismen. Ein ZNS allein genügt natürlich nicht, denn es funktioniert nur als Teil eines größeren Körpersystems. Aber was (welche "Zutat") wird denn noch fürs Bewusstsein benötigt außer einem lebenden, funktionstüchtigen Gehirn in einem lebenden, funktionstüchtigen Organismus?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 18. Okt 2024, 10:28
Weiterhin folgt nicht, dass zu einer Beschreibung des Bewusstseins eine Beschreibung oder auch nur Erwähnung des ZNS gehört. So wie zur Beschreibung einer Spritztour auch nicht die Beschreibung der Tankfüllung gehört.
Unser "volkspsychologisches" Vokabular hat sich unabhängig vom neurophysiologischen Vokabular und von neurophysiologischem Wissen über den Geist-Gehirn-Zusammenhang entwickelt. Na und?! Dieser terminologische Dualismus impliziert keinen ontologischen Dualismus.
"Psychologisch, d.h. für mich als Vorstellenden, Denkenden ist an und für sich das Vorstellen, das Denken kein Hirnakt; ich kann denken, ohne nur zu wissen, dass ich ein Hirn habe; in der Psychologie fliegen uns die Tauben gebraten ins Maul; in unser Bewusstsein und Gefühl fallen nur die Schlusssätze, aber nicht die Prämissen, nur die Resultate, aber nicht die Prozesse des Organismus; es ist daher ganz natürlich, dass ich das Denken vom Hirnakt unterscheide und für sich selbst denke. Aber daraus, dass das Denken für mich kein Hirnakt, sondern ein vom Hirn unterschiedener und unabhängiger Akt ist, folgt nicht, dass es an sich auch kein Hirnakt ist. Nein! Im Gegenteil: was für mich oder subjektiv ein rein geistiger, immaterieller, unsinnlicher Akt, ist an sich oder objektiv ein materieller, sinnlicher. Die Identität von Subjekt und Objekt, die wir so eben als das Wesen der Psychologie bezeichneten, gilt insbesondere von dem Hirn- und Denkakt. Der Hirnakt ist der höchste, der unser Selbst begründende und bedingende Akt—ein Akt, der daher nicht mehr als ein von uns unterschiedener wahrgenommen werden kann.

Im Hirnakte als dem höchsten Akt, sind die willkürliche, subjektive, geistige und die unwillkürliche, objektive, materielle Tätigkeit identisch, ununterscheidbar."

(Feuerbach, Ludwig. "Wider den Dualismus von Leib und Seele, Fleisch und Geist." In Sämmtliche Werke, Zweiter Band, 347-379. Leipzig: O. Wigand, 1846. S. 350)
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 18. Okt 2024, 10:28
Das sind alles von vorne bis hinten klare Fehlargumente, wie man leicht zeigen kann.
Das Einzige, das du zeigen kannst, ist, dass gehirnunabhängiges Bewusstsein logisch möglich ist. Ein stichhaltiges, empirisch bekräftigtes Argument für dessen physiologische/physikalische Möglichkeit oder gar Wahrscheinlichkeit sehe ich nirgendwo!
(Nein, die Berichte über "Nahtoderfahrungen" liefern keinen wissenschaftlich überzeugenden Beweis.)



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So 20. Okt 2024, 02:57

Körper hat geschrieben :
Do 17. Okt 2024, 18:50
Hat der Mensch ein Nervensystem? Falls "ja", wozu ist es da?
"Alle Neuronen eines Körpers bilden gemeinsam das Nervensystem des Organismus. Ganz grundsätzlich gesagt ist ein Nervensystem eine Vorrichtung zur Integration von Sensorik und Motorik. Es ermöglicht einem Organismus im Zusammenspiel mit seiner Umwelt auf das Ziel hinzuarbeiten, zu überleben, zu gedeihen und sich fortzupflanzen, indem es die Substanzen identifiziert, die das Überleben sichern oder gefährden, und die passenden Reaktionen darauf organisiert. Die Inputs treten in Form von Botschaften auf, die sensorische Rezeptoren für verschiedene Kategorien von Reizen wahrnehmen (Licht, Schall, Berührung, Geruch, Geschmack), und die Outputs in Form von motorischen Effektoren (Muskeln).

Die Grundaufgabe eines Nervensystems besteht also darin, sensorische Rezeptoren mit motorischen Effektoren zu verbinden. In der einfachsten Anordnung sind dazu Rezeptoren und Detektoren direkt miteinander verbunden; wie wir bald sehen werden, ist das bei den einfachen und diffusen Nervennetzen der Nesseltiere der Fall. Bei komplexen Tieren dagegen besteht das Nervensystem aus Milliarden Neuronen mit Billionen Verbindungen. Doch selbst hier ist der Hauptzweck des Nervensystems, seinem Besitzer beim Überleben und Gedeihen zu helfen, indem es sensorische Informationen aufnimmt und entsprechende Reaktionen generiert (oder manchmal auch unterdrückt)."

(LeDoux, Joseph. Bewusstsein: Die ersten vier Milliarden Jahre. Übers. v. Elsbeth Ranke & Sabine Reinhardus. Stuttgart: Klett-Cotta, 2021. S. 146)



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So 20. Okt 2024, 04:07

RoloTomasi hat geschrieben :
Fr 18. Okt 2024, 12:53
Noch eine Ergänzung:
Das Nervensystem verhält sich aus meiner Sicht zum Bewusstsein wie der Zimmermann zur Tür. Ohne Zimmermann gibt es keine Tür, die ich wahrnehmen kann, und ohne Nervensystem gibt es kein Bewusstsein, mit dem ich (z.B. eine Tür) sehen kann.
Der Grund: Der Bewusstseinszustand ist ein ZNS-Zustand—auch wenn sich das bewusste Subjekt dessen subjektiv nicht bewusst ist; denn "mentale Ereignisse enthalten keine Informationen über neurale Verkörperungen" ("mental events contain no information about neural embodiments"). [Gordon G. Globus]
Eine introspektive Neurologie kann deshalb grundsätzlich keinen Erfolg haben, weil die reale neurale Essenz (Struktur, Konstitution) des Bewusstseins gegenüber der introspektiven Perspektive und der phänomenologischen Analyse verborgen bleibt.
RoloTomasi hat geschrieben :
Fr 18. Okt 2024, 12:53
Aber beim Sehen der Tür – also bei einer bewussten Erfahrung – kommen weder der Zimmermann noch das Nervensystem vor. Ich kann natürlich bei der Tür und beim Bewusstsein auf deren reale Voraussetzungen (Zimmermann samt Materialien, Nervensystem) zu sprechen kommen: Etwa indem ich frage, worauf Türen oder das Bewusstsein von Türen beruhen müssen, damit es sie gibt. Aber wenn ich Bewusstsein, also z.B. die Erfahrung des Sehen einer Tür beschreiben möchte, dann ist mein Thema nicht die Voraussetzungen oder Bedingungen dieser Erfahrung, sondern die Erfahrung selbst. Zimmermann und Nervensystem gehören unzweifelhaft zu den Bedingungen der Wahrnehmung von Türen – aber die Untersuchung der Bedingungen einer Sache und die Untersuchung der Sache selbst kann man klar voneinander trennen. Bewusstseinstheorie ist nicht Physiologie oder Zimmermannskunde. Bewusstsein ist ein Gegenstand sui generis, auch wenn kein Mensch leugnet, dass das Bewusstsein (von Türen) auch handfeste Voraussetzungen hat (Nervensysteme und Zimmerleute).
Es herrscht ein Begriffs- und Wissenschaftsdualismus zwischen Psychologie/Phänomenologie und Physiologie/Neurologie, der nur schwer zu überbrücken ist.
Eine rein beschreibende Psychologie oder Phänomenologie mag so tun, als hätte sie es mit freischwebenden, gehirnlosen Geisten zu tun; aber sobald Psychologen oder Phänomenologen psychische Phänomene wahrhaft erklären und in ihrem realen Wesen verstehen wollen, müssen sie deren neurophysiologische Mechanismen in Betracht ziehen. Damit ist insbesondere auch die zeitgenössische kognitive Psychologie konfrontiert, die nicht umhinkommen wird, sich immer weiter zu einer kognitiven Neurowissenschaft zu entwickeln; denn die Psychologen werden Folgendes einsehen müssen:
"Die Psychologie muß physiologisch sein, in dem Sinne, daß die psychischen Zusammenhänge letzten Endes nur aus den physiologischen Gehirn- und Nervenprozessen zu erklären sind; eine reine Psychologie, eine Erklärung psychischer Vorgänge und Gebilde aus anderen oder aus allgemeinen psychischen Gesetzen und Wirksamkeiten ist unzulässig und undurchführbar. Einen lückenlosen Zusammenhang bieten nur die physiologischen Prozesse dar, sie allein können den Schlüssel zur Erklärung des Seelenlebens, innerhalb der Psychologie wenigstens, geben. Diese Form des Materialismus wird (von Wundt u.a.) als "psychophysischer Materialismus" bezeichnet, weil er das Psychische vom Physischen unterscheidet und zugleich einseitig von diesem abhängig macht."

(Eisler, Rudolf. Leib und Seele: Darstellung und Kritik der neueren Theorien des Verhältnisses zwischen physischem und psychischem Dasein. Leipzig: Barth, 1906. S. 34)



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So 20. Okt 2024, 07:50

Consul hat geschrieben :
So 20. Okt 2024, 02:49
Das Einzige, das du zeigen kannst, ist, dass gehirnunabhängiges Bewusstsein logisch möglich ist.
Und da ich die logische Form der Argumente kritisiere, ist das auch genau das, was ich zeigen muss. Aus dem Anästhesiebeispiel folgt logisch schlicht nicht, was "Körper" behauptet. Es folgt weder, dass das Vorliegen eines Gehirns hinreichend für das Vorliegen von Bewusstsein ist, noch, dass das Gehirn notwendig dafür ist.

Das ist so, als würde man glauben, das Radio produziere das Radioprogramm – und diesen Irrtum "beweist", indem man den Stecker zieht.

Das Beispiel lässt sich noch weiterspinnen: Wer so denkt, könnte auch glauben, man könne den Inhalt der Radiosendung analysieren, indem man die Bausteine des Radios betrachtet. Offensichtlich ein absurder Fehlschluss. Diese Person wäre im Übrigen wahrscheinlich ziemlich erstaunt, wenn sie feststellen würde, dass dieselbe Radiosendung auch auf einem völlig anderen Gerät – zum Beispiel auf meinem Tablet – zu hören ist.




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