Was ist Geist?

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Jörn Budesheim
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Mi 10. Nov 2021, 06:34

Ich kann recht sicher im ein- bis zwei-stelligen Zahlen-Bereich addieren und multiplizieren. Was bedeutet es jedoch, wenn man nach dem Ort einer solchen Fähigkeit fragt? Warum nicht gleich nach dem Gewicht des Rechnens fragen? Das läuft meines Erachtens einfach auf einen Kategorienfehler hinaus. Rechnenkönnen ist kein drei- oder vierdimensionales Ding. Genauso ist es mit dem Geist - wenn man nach dem Ort des Geistes fragt oder sagt, er sei ein lokales Phänomen, dann begeht man eigentlich ein ziemlich krassen Kategorienfehler.

Rechnenkönnen ist natürlich nicht voraussetzungslos zu haben. Eine der Bedingungen ist, einen Körper zu haben. Der Körper hat tatsächlich eine Ausdehnung, daraus folgt jedoch nicht, dass man sinnvollerweise nach der Ausdehnung des Rechnenkönnens fragen kann. Es ist auch sinnlos mit der Lupe oder irgendwelchen High-End Scannern nach dieser Fähigkeit zu suchen. Man würde dabei vermutlich Gehirnareale finden, ohne die wir über diese Fähigkeit nicht verfügen können. Aber es hilft nichts. Denn Rechnen hat einen normativen Aspekt, man kann richtig und falsch rechnen. Und das auf einen Ort zu beziehen oder nach dem Gewicht des richtigen Rechnens zu fragen, läuft auf den nämlichen Kategorienfehler hinaus.

Der Physiker David Deutsch spricht von der Realität der Abstraktionen. Darauf verstehen wir uns und ohne diese Fähigkeit könnten wir nicht mal Naturwissenschaft betreiben. Diese Realität hat aber keinen Ort und sie ist auch nicht ephemer. Man kann sie auch nicht mit dem Teilchenbeschleuniger erforschen, das ist ein Bereich der unter anderem von den Mathematikern untersucht wird.




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Jörn Budesheim
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Wenn man entsprechend gesinnt ist, passiert es einem leicht, dass man die Eigenschaften der token mit den Eigenschaften der types verwechselt.




Groot
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Mi 10. Nov 2021, 15:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 10. Nov 2021, 06:34
Ich kann recht sicher im ein- bis zwei-stelligen Zahlen-Bereich addieren und multiplizieren. Was bedeutet es jedoch, wenn man nach dem Ort einer solchen Fähigkeit fragt? Warum nicht gleich nach dem Gewicht des Rechnens fragen? Das läuft meines Erachtens einfach auf einen Kategorienfehler hinaus. Rechnenkönnen ist kein drei- oder vierdimensionales Ding. Genauso ist es mit dem Geist - wenn man nach dem Ort des Geistes fragt oder sagt, er sei ein lokales Phänomen, dann begeht man eigentlich ein ziemlich krassen Kategorienfehler.
Ich würde eben nicht Geist, sondern meine Kognition, die Kreativität und solcherlei, verantwortlich machen fürs Denken. Geist denkt nur, wenn wir Idealisten sind. Ansonsten ist Geist ein begrenztes Phänomen, insbesondere in der Moderne, in der Geist ja durch allerhand wissenschaftlich klingende Worte abgelöst wurde. Wenn man einen ubiquitären Geist oder gar einen ontologischen Geist haben möchte, dann frage ich mich, was an den Orten des Universums so geistig sei, an denen bspw. nicht mal Planeten sind? Oder wie kann Geist in pflanzlichen Organismen sein?
Rechnenkönnen ist natürlich nicht voraussetzungslos zu haben. Eine der Bedingungen ist, einen Körper zu haben. Der Körper hat tatsächlich eine Ausdehnung, daraus folgt jedoch nicht, dass man sinnvollerweise nach der Ausdehnung des Rechnenkönnens fragen kann. Es ist auch sinnlos mit der Lupe oder irgendwelchen High-End Scannern nach dieser Fähigkeit zu suchen. Man würde dabei vermutlich Gehirnareale finden, ohne die wir über diese Fähigkeit nicht verfügen können. Aber es hilft nichts. Denn Rechnen hat einen normativen Aspekt, man kann richtig und falsch rechnen. Und das auf einen Ort zu beziehen oder nach dem Gewicht des richtigen Rechnens zu fragen, läuft auf den nämlichen Kategorienfehler hinaus.
Du sagst mit deinen Ausführungen implizit, dass es sowas wie eine res cogitans geben müsse. Aber weshalb? Ich für meinen Teil bedarf dieser virtuellen Welt nicht bzw. benenne ich sie, als das, was sie ist, eben virtuell. Ist nicht genau dieses Gehirn dann das, was u.a. ein sehr gutes Substitut für Teilgebiete des Geistbegriffes ist? Denn dieses befindet sich, anders als die res cogitans, in der Raumzeit; ist also nicht den physikalischen Gesetzen enthoben und einer eigenen Gesetzlichkeit unterworfen, sondern als solches lokal und eingeschränkt auf die Regionen besagter Raumzeit, die wir auch tatsächlich erfassen können.

Es soll ja gerade darum gehen, diese komplexen Fähigkeiten, die wir Menschen erlangt haben, auch aus einem Prozess der Entstehung und Emergenz zu erklären; ihn also auf evolutionäre Prozesse zu reduzieren, statt Geist apriori zu setzen und dann jedweder Entwicklungsgeschichte entweder im Mythos gründen zu lassen oder - dann mit großer Lücke - von den psychichen Phänomenen des Einzelnen unmittelbar in anthropologische Regionen der Gattung zu springen.

Auch der normative Aspekt fällt m.e. nicht einfach vom Himmel. Auch die Normativität braucht eine örtliche Fundierung, um nicht einfach nur eine von Gott gebrachte Sittlichkeit, in der Handlung Schuldigkeit provoziert, zur Ursache einer solchen Normativität machen zu können. Auch hier ist es m.e. so, dass der Geist und dessen Sittlichkeit sicherlich dazu beigetragen hat, dass eine normative Ebene entstehen konnte; eine solche in modernen Zeiten aber auf Geist zu gründen, trifft m.e. nicht die Sache. Denn normative Strukturen leiten sich aus der praktischen Handlungsebene ab, nicht aus einer gottgegebenen Moral und deren Bedingungen von Sittlichkeit.

Ich nenne einfach meine Denkarbeit nicht geistig. Sie geschieht kognitiv und ist eine Mixtur aus Gehirnprozessen und Erfahrungswissen, sowie Erinnerungen und dadurch natürlich als Charakter meiner Person. Ich sehe hier keine Notwendigkeit für den Geistbegriff, aber ich setze auch Sein > Bewusstsein, statt Sein < Bewusstsein.
Der Physiker David Deutsch spricht von der Realität der Abstraktionen. Darauf verstehen wir uns und ohne diese Fähigkeit könnten wir nicht mal Naturwissenschaft betreiben. Diese Realität hat aber keinen Ort und sie ist auch nicht ephemer. Man kann sie auch nicht mit dem Teilchenbeschleuniger erforschen, das ist ein Bereich der unter anderem von den Mathematikern untersucht wird.
Ja, hier gibt es sicher eine kleine Grauzone. Ich würde diese Realität der Abstraktion ontologisch aber so verorten, dass wir dort in formale, also technische Ebenen switchen, wenn wir abstrahieren. Wir erkennen dort dann die technische Dimension und deren materielle Ausprägung, wie ihre theoretischen Potentiale.
Ich würde den Ort der Matematik im Kopf verorten. Aber sicher kann man hier auch platonisch argumentieren.

Die Realität der Abstraktion ist das Virtuelle. Die Einsicht in die Wirkung der Technik auf den Menschen und dessen Verhalten und Denken...auf der anderen Seite gibt es hier sicher die Mathematik in ihrer platonischen und formalistischen Ausprägung. Aber ich würde hier die Mathematik so sehen wollen, dass sie eine bestimmte Epistéme produziert, statt ihre ontologischen Aspekte ins Zentrum zu rücken.




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Jörn Budesheim
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Mi 10. Nov 2021, 15:55

Groot hat geschrieben :
Mi 10. Nov 2021, 15:10
Du sagst mit deinen Ausführungen implizit, dass es sowas wie eine res cogitans geben müsse.
Das tue ich nicht, das ist bloß deine Projektion, weil du vielleicht glaubst, man müsse "Dualist" oder etwas in der Art sein, wenn man von Geist spricht. Aber das ist dein Problem und nicht meins.




Groot
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Mi 10. Nov 2021, 16:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 10. Nov 2021, 15:55
Groot hat geschrieben :
Mi 10. Nov 2021, 15:10
Du sagst mit deinen Ausführungen implizit, dass es sowas wie eine res cogitans geben müsse.
Das tue ich nicht, das ist bloß deine Projektion, weil du vielleicht glaubst, man müsse "Dualist" oder etwas in der Art sein, wenn man von Geist spricht. Aber das ist dein Problem und nicht meins.
Naja, aber dann ist Geist ja ephemer oder lokal ;)




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Jörn Budesheim
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Mi 10. Nov 2021, 16:58

Du scheinst zu glauben, man müsse sich bei der Frage entscheiden zwischen Monismus und Dualismus. Aber das ist eine überholte Vorstellung, meine ich und hat eigentlich auch nicht sehr viel mit dem Thema zu tun.




Groot
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Mi 10. Nov 2021, 18:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 10. Nov 2021, 16:58
Du scheinst zu glauben, man müsse sich bei der Frage entscheiden zwischen Monismus und Dualismus. Aber das ist eine überholte Vorstellung, meine ich und hat eigentlich auch nicht sehr viel mit dem Thema zu tun.
nein, keinesfalls. Ich denke einfach nur, dass der Begriff "Geist" mehr verstellt, als dass er erhellt.




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Do 11. Nov 2021, 00:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Nov 2021, 20:16
1+1=3 hat geschrieben :
Di 9. Nov 2021, 19:30
Was ist subjektiver Geist, was objektiver? Was absoluter? Was ist Zeitgeist, Weltgeist, der "Geist einer Sache" oder so usw.?
Wie beantwortest du diese Fragen selbst?
Das hatte Groot ja schon im Einzelnen abgehandelt. Wobei ich der Weltgeist-Definition nicht so ohne Weiteres folgen kann. Geist allgemein gehört für mich letztlich dem Formprinzip an - das auch eine dynamisches, "prozessuales" (etwa: "in der Zeit") sein kann. Als solche etwas Sekundäres (was keine Wertung im Sinne von etwas "Minderwertigem" sein soll!), von der "Materie" (was immer das sein soll oder eben jeweils ist...) abgeleitet, oder wenigstens von dieser "existenziell" abhängig (aber nicht "bestimmt"...!). Vielleicht so etwas wie eine Art "selbstbestimmte Aktualisierung u./o. (Selbst-)Verwirklichung" auf der Grundlage der ("historisch" jeweiligen) "materiellen (Möglichkeits-)Bedingungen u./o. Optionen". (An Aristoteles' "Akt und Potenz"-Lehre angelehnt.)




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Do 11. Nov 2021, 09:03

1+1=3 hat geschrieben :
Do 11. Nov 2021, 00:25
etwas Sekundäres
In welcher Hinsicht? Logisch, raumzeitlich oder ..?




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Fr 12. Nov 2021, 00:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 11. Nov 2021, 09:03
1+1=3 hat geschrieben :
Do 11. Nov 2021, 00:25
etwas Sekundäres
In welcher Hinsicht? Logisch, raumzeitlich oder ..?
"Onto-logisch", "raumzeitlich kategorial" etc. - so wie sich eben Form zu Materie verhält: letztere ist das Primäre, erstere das Sekundäre, auf letztere "existenziell" (hier: eben "materiell"!) Angewiesene usf. - denn ("materiell") WAS erst [sic!] sollte ("sekundär"!) in welcher "Form" (eben ggf.) gegeben sein?!

([1.] "Materie" [2.] in gewissen "[z.B. Erscheinungs-]Formen" - auch im Sinne von Konstellationen/[An-] Ordnungen/"Organisierungen" usw. von "Materie"...)

"Form" aber nicht als bloßes "Epiphänomen" "abhaken", denn sie kann sehr wohl "eigenständig" "Einfluss nehmen/ausüben"... - so wird ja überhaupt erst ein Einwirken von "Geist" auf "Materie" möglich!




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Fr 12. Nov 2021, 06:09

1+1=3 hat geschrieben :
Fr 12. Nov 2021, 00:25

"Onto-logisch", "raumzeitlich kategorial" etc. - so wie sich eben Form zu Materie verhält: letztere ist das Primäre, erstere das Sekundäre, auf letztere "existenziell" (hier: eben "materiell"!) Angewiesene usf. - denn ("materiell") WAS erst [sic!] sollte ("sekundär"!) in welcher "Form" (eben ggf.) gegeben sein?!
Ich behaupte dann einfach mal das Gegenteil: Materie (= Raumzeitliches) ist immer so und so, sie ist immer irgendwie, also in einer bestimmten Form. Abstrakte Entitäten hingegen, z.b. Formeln und Gleichungen, sind nicht an Materie gebunden.




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Fr 12. Nov 2021, 06:58

"Abstrakte Entitäten" im Nirgendwo? Ich meine, ein (defgem. "materielles") "Irgendwo" müsste für diese schon vorausgesetzt werden. Zumindest "Bewusstseine". (Als eine Art "sekundär-materielle" - siehe oben - Ebene. ;))

Ich bin kein "Platoniker"...




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Fr 12. Nov 2021, 07:09

Ich bin auch kein Platoniker, abstrakte Entitäten brauchen kein irgendwo, auch keinen Himmel. Das Problem in dieser Sicht ist, dass stets versucht wird, die abstrakten Entitäten in der gleichen Weise begrifflich zu formen wie die raum-zeitlichen Entitäten. So dass man auf die Idee kommt, man müsse nach einem Ort oder einer Substanz suchen.




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Fr 12. Nov 2021, 07:11

Eben gerade nicht. Denn wären es eigenständige Substanzen, wäre man damit im Dualismus gelandet. Ich jedenfalls gehe von Gegenteil aus.




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Jörn Budesheim
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Fr 12. Nov 2021, 07:26

Ich gehe auch davon aus, dass der Dualismus falsch ist.

Noch ein Nachtrag: den Geist rechne ich jedoch nicht so ohne weiteres zu den abstrakten Entitäten. Der Geist kann diese erfassen, aber er ist sie nicht. Geist ist in irgendeiner Form stets verkörperter Geist. Geist ist immer ein lebendiger Geist. Ohne Biologie, ohne Leben und Tod kein Geist. Eine der Bedingungen für Geist ist, dass es für uns stets um etwas geht. Das ist einer der Gründe, warum Computer, so wie wir sie kennen, keinen Geist haben können. Ein Forscher, leider habe ich den Namen vergessen, hat das mal sehr schön zusammengefasst: solange die Maschinen keinen Sex haben können, können sie auch keinen Geist haben.




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Fr 12. Nov 2021, 07:35

Abstrakte Entitäten wären für mich lediglich eine eben Abstraktionsstufe weiter als Geist. Eine (weitere) Form der Form, wenn man so will.

Besagten Satz meine ich auch schon einmal gelesen zu haben, aber so ganz verstehe ich ihn nicht.




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infinitum
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So 21. Nov 2021, 17:24

ich habe zwar (endlich :oops: ) jede Form des ontologischen Dualismus hinter mir gelassen. Aber trotzdem tun sich mir immer mehr Fragen auf, um so mehr ich zum Thema Geist / Bewusstsein und dessen Funktionsweise lese. Meine Verwirrungsrate steigt sekündlich ins Unermessliche.
Ich werfe einmal zwei Positionen (beide Quellen: natürlich Wikipedia) rein, die ich in diesem Zusammenhang als gute Überlegung ansehe, aber noch nicht so richtig kombinieren kann.
Gregory Bateson kommt in seiner „Ökologie des Geistes“ zu dem Ergebnis, dass das Geistige nicht die Eigenschaft eines Organs – etwa des Gehirns – oder eines Individuums – z. B. des Menschen – ist, sondern die Eigenschaft eines Systems, das Informationen transportieren kann. So gelangt Information von den äußeren Objekten in Form elektromagnetischer Wellen über das Sinnesorgan Auge über das Nervensystem ins Gehirn und geht von dort mittels effektorischer Nerven über die Sprachmotorik und das Transportmedium Luft in sprachlicher Form über das Sinnesorgan Ohr zum Mitmenschen, wird kommuniziert. Geist ist also diesem interagierenden System von Menschen, einer Gesellschaft bzw. einer Sprachgemeinschaft, immanent. Bateson: „In keinem System, das geistige Charakteristika aufweist, kann also irgendein Teil einseitige Kontrolle über das Ganze haben. Mit anderen Worten, die geistigen Charakteristika des Systems sind nicht einem Teil immanent, sondern dem System als ganzem.“ (Bateson 1985, S. 409).
Bateson sieht das System und den kybernetischen Aspekt und Geist als immanenter Aspekt in Form von Informationsweitergabe vorhanden. Hier ist kein Substanz- oder Eigenschaftsdualismus vorhanden. Ob Qualia hier in diesem Ansatz vorkommen, kann ich nicht sagen. Ich vermute nein.
Eine reine Selbstorganisation ohne zentrale Instanz ist m.E. aber schwer umzusetzen. Chaotische Zustände oder Entartungen können nicht reguliert werden. Eine Idee wäre, dass der zugrundeliegende einprogrammierte Code diese Steuerungsfunktion übernimmt.

Aber wie wird dezentral die Informationsspeicherung, -weitergabe und verteilung geregelt, warum gibt es Knoten, an denen die Informationsdichte höher als an anderen ist? (Ich denke an informatische Modellen von Netzwerk-Algorithmen, aber ich weiß nicht, ob dies in diesem Kontext sinnvoll ist, da es in Bezug auf Bewusstsein zu sehr in AI geht). :?:

Penrose-Hameroff-Theorie
Roger Penrose vertritt die Hypothese, dass das Gehirn Funktionen durchführt, die kein finiter Algorithmus durchführen kann und dass manche Denkprozesse fundamental nicht-algorithmisch sind. Das bedeutet, dass solche Funktionen nicht auf einer Turingmaschine modelliert werden können. Die fehlende Zutat um diese nicht-algorithmischen Rechnungen physikalisch zu realisieren sei im Wesentlichen ein derzeit im Einzelnen noch unbekannter quantenmechanischer Effekt, insbesondere eine Form des deterministischen Kollaps der Wellenfunktion, die er Objective Reduction (OR) nennt, und die auf der von ihm entwickelten Interpretation der Quantengravitation beruht.
die Hypothese wurde von Penrose zwar für das subjektive Bewusstsein (interaktionistischer Dualismus) formuliert, aber es macht m.E. durchaus Sinn, wenn man die Idee des rein "algorithmischen" Funktionieren des Systems mit diesen quantenmechanischen "Aussetzern" kombiniert.

Beide Positionen führen mich auch zur Frage, die oben schon angesprochen wurde: Kann man überhaupt Bewusstsein ohne Qualia modellieren?



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Jörn Budesheim
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So 21. Nov 2021, 18:02

Eine kurze Bemerkung: in dem Buch von John Searle "die Wiederentdeckung des Geistes" geht es, zumindest soweit ich mich entsinne, in keiner Zeile um den Geist. Das gesamte Buch dreht sich um das Bewusstsein. Ich denke, hier liegt ein Übersetzungsproblem vor. Die "philosophy of mind" ist oftmals einfach eine Philosophie des Bewusstseins. Mit anderen Worten: wenn Bücher aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt werden, und im Titel das Wort Geist vorkommt, dann muss nicht drin sein, was drauf steht :)

Der Begriff Geist hingegen hat für mich viele verschiedene Facetten, die auch von Kontext zu Kontext unterschiedlich in den Blick geraten, aber er ist für mich keineswegs einfach bloß synonym mit dem Begriff "Bewusstsein".




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So 21. Nov 2021, 23:03

Qualia ist doch nur nur die Innenansicht des Bewusstseins. Geist ist die Beziehung zwischen den "Akteuren". Information existiert nur, wenn sie auch als solche verstanden wird. Ansonsten ist es nur just another Hintergrundrauschen.




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Mo 22. Nov 2021, 05:58

1+1=3 hat geschrieben :
So 21. Nov 2021, 23:03
Geist ist die Beziehung zwischen den "Akteuren".
Nehmen wir ein Beispiel: Kunst. Kunst gehört zur Welt des Geistes, ist aber nicht bloß eine Beziehung zwischen den Akteuren, meine ich.




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