Psychologismus?!

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
Hermeneuticus
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Do 30. Nov 2017, 18:54

Herr K. hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 17:37
Betrachten wir mal den Satz vom Widerspruch:

"Der Satz vom Widerspruch besagt, dass zwei einander widersprechende Aussagen nicht zugleich zutreffen können."

Sieht aus wie ein allgemeiner deskriptiver Satz.
Aber das Aussehen ist nicht entscheidend. Die Sätze im Strafgesetzbuch sehen auch aus wie deskriptive Sätze; sie benennen den jeweiligen strafbaren Sachverhalt sowie Art und Maß der Strafe. Trotzdem sind es selbstverständlich Handlungsnormen. Denn strafbare Sachverhalte kommen nur dadurch in die Welt, dass Personen handeln. - Analog kommen Aussagen nur dadurch in die Welt, dass Personen sie aussprechen und mit Wahrheitsanspruch behaupten. Und wenn eine Person zwei einander widersprechende Aussagen als wahr behauptet, hat sie falsch gehandelt.

Man könnte nun so tun, als seien Aussagen vorfindlich wie Kieselsteine oder Kastanien - und damit von den sprechenden/handelnden Personen abstrahieren. Und das tut Frege ja in der Tat. Nur postuliert er zugleich auch eine Art platonischen Ideenhimmel für die Gehalte von Sätzen und für das Wahre. Aber genau das kreidest Du ihm doch an, wenn ich Dich richtig verstanden habe. - Also, wenn wir uns darüber einig sind, dass Aussagen nicht unabhängig von sprachlich handelnden Personen existieren, sollten wir uns eigentlich auch darüber einig sein, dass die Gesetze der Logik keine Sachverhalte im Ideenhimmel beschreiben, sondern an Sprecher adressierte Vorschriften für das richtige, vernünftige sprachliche Handeln sind.

(Du willst hier nicht behaupten, dass Kausalität die Fähigkeiten zur rationalen Einsicht und zur Verantwortung zuverlässig verhindern würde, oder etwa doch?)
Doch, genau das behaupte ich - nämlich im Einklang mit unserer lebensweltlichen Praxis. Denn vor Gericht ist der Nachweis, dass der Beklagte unter dem Einfluss von externen oder internen kausalen Notwendigkeiten stand, gleichbedeutend mit dem Nachweis seiner fehlenden Verantwortungsfähigkeit. Die Tat ist dann nicht dem Beklagten als sein Verschulden anzurechnen, sondern kausal auf gegebene Umstände zurückzuführen, die nicht in seiner Macht standen.
Zuletzt geändert von Hermeneuticus am Do 30. Nov 2017, 19:01, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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Do 30. Nov 2017, 18:56

... an Sprecher adressierte Vorschriften für das richtige, vernünftige sprachliche Handeln sind.
Wer hat diese Vorschriften denn erlassen? Könnten sie etwa andere sein?




Tosa Inu
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Do 30. Nov 2017, 19:05

Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 18:54
Also, wenn wir uns darüber einig sind, dass Aussagen nicht unabhängig von sprachlich handelnden Personen existieren, sollten wir uns eigentlich auch darüber einig sein, dass die Gesetze der Logik keine Sachverhalte im Ideenhimmel beschreiben, sondern an Sprecher adressierte Vorschriften für das richtige, vernünftige sprachliche Handeln sind.
Also jetzt doch nicht mehr allem Reden und Handeln vorgeschaltet?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Hermeneuticus
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@Jörn
Normen müssen nicht ausdrücklich "erlassen" werden, um normativen, präskriptiven Charakter zu haben. Ich verweise auf den Unterschied zwischen impliziten und expliziten Normen. Die Gesetze der (klassischen) "Logik" (als wissenschaftlicher Disziplin) sind explizite Normen; aber als solche wurden sie nicht frei erfunden (wie manche nicht-klassische Logiken), sondern mit ihrer Hilfe wird unsere Praxis des vernünftigen Redens rekonstruiert. Und weil dem so ist, könnten die Gesetze der (klassischen) formalen Logik nur dann andere sein, wenn auch unsere vernünftige Praxis eine andere wäre.




Hermeneuticus
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Do 30. Nov 2017, 19:14

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 19:05
Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 18:54
Also, wenn wir uns darüber einig sind, dass Aussagen nicht unabhängig von sprachlich handelnden Personen existieren, sollten wir uns eigentlich auch darüber einig sein, dass die Gesetze der Logik keine Sachverhalte im Ideenhimmel beschreiben, sondern an Sprecher adressierte Vorschriften für das richtige, vernünftige sprachliche Handeln sind.
Also jetzt doch nicht mehr allem Reden und Handeln vorgeschaltet?
Ich weiß nicht, was Du mit "vorgeschaltet" meinst. Wer sollte da welchen Schalter betätigt haben? (Ich sprach von einem methodischen Vorrang der Logik in der (Wissenschaft der) Psychologie.)




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Jörn Budesheim
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Do 30. Nov 2017, 19:54

Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 19:12
@Jörn
Normen müssen nicht ausdrücklich "erlassen" werden, um normativen, präskriptiven Charakter zu haben. Ich verweise auf den Unterschied zwischen impliziten und expliziten Normen. Die Gesetze der (klassischen) "Logik" (als wissenschaftlicher Disziplin) sind explizite Normen; aber als solche wurden sie nicht frei erfunden (wie manche nicht-klassische Logiken), sondern mit ihrer Hilfe wird unsere Praxis des vernünftigen Redens rekonstruiert. Und weil dem so ist, könnten die Gesetze der (klassischen) formalen Logik nur dann andere sein, wenn auch unsere vernünftige Praxis eine andere wäre.
Meine Frage war eine andere: Könnten die Regeln andere sein, so wie "Erlässe" eben kontingent sind und auch anders ausfallen könnten.




Hermeneuticus
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Do 30. Nov 2017, 20:08

Es gibt da keine "Erlässe" derart, dass ein Gesetzgeber oder eine gesetzgebende Versammlung sich Vorschriften ausdächten. Vernunft ist nach einer alten, weit verbreiteten Auffassung das Vermögen, dem wir unsere Selbständigkeit, unsere Autonomie als verantwortlich handelnde Personen verdanken. Sollte es also "Erlässe" der Vernunft geben, dann wären es immer zugleich unsere eigenen. (Ich erinnere an die Bestimmung der Menschenwürde durch Kant: diese Würde bestehe darin, keinem Gesetz unterworfen zu sein als dem, das man zugleich sich selbst gibt.)




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Jörn Budesheim
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Do 30. Nov 2017, 20:15

Mein Punkt ist ein anderer. Sind die Regeln kontingent?




Hermeneuticus
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Do 30. Nov 2017, 20:19

Sie sind so kontingent oder so notwendig wie unsere vernünftige Praxis. Von einem Gottesstandpunkt betrachtet, von wo aus man auch die rationalen Gebräuche aller Aliens im Universum überblicken könnte, wären sie vielleicht kontingent. Aber vom menschlichen Standpunkt betrachtet, sehen sie - einstweilen - alternativlos aus.




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Herr K.
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Do 30. Nov 2017, 20:50

@Hermeneuticus

Wir können uns gerne darauf einigen, dass in gesellschaftlichen Praktiken Logik involviert ist und dass diese normativer Art sind, (mich irritierte wohl das mit der "wissenschaftlichen Logik", die mE primär deskriptiv ist). Deine Ausführungen zur Kausalität und Verantwortungszuweisung halte ich nun für nicht richtig, aber das ist erst mal nebensächlich. Der Punkt, der mich weiterhin interessieren würde, ist, inwiefern Du meinst, Deine Ansicht sei kein Psychologismus - denn für mich sieht das nach Psychologismus (so wie ich Psychologismus verstehe) aus.

Ich vermute nun Folgendes: Du scheinst zu meinen, dass Psychologismus sage, logische Gesetze könnten auf psychologische (und/oder kausale) Gesetze reduziert werden. Falls so: das meint Psychologismus meiner Ansicht nach jedoch nicht, sondern Psychologismus meint mE, dass logische Gesetze psychologischer Art sind. Hinzu kommt, dass meiner Ansicht nach das Verhalten von Menschen (also auch ihre Handlungen) Gegenstand der Psychologie sind - und auch unsere sozialen Praktiken. Daher kann ich nicht so recht einen wesentlichen Unterschied zwischen Deiner Ansicht und einem Psychologismus sehen.




Tosa Inu
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Do 30. Nov 2017, 21:59

Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 19:14
Tosa Inu hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 19:05
Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 18:54
Also, wenn wir uns darüber einig sind, dass Aussagen nicht unabhängig von sprachlich handelnden Personen existieren, sollten wir uns eigentlich auch darüber einig sein, dass die Gesetze der Logik keine Sachverhalte im Ideenhimmel beschreiben, sondern an Sprecher adressierte Vorschriften für das richtige, vernünftige sprachliche Handeln sind.
Also jetzt doch nicht mehr allem Reden und Handeln vorgeschaltet?
Ich weiß nicht, was Du mit "vorgeschaltet" meinst. Wer sollte da welchen Schalter betätigt haben? (Ich sprach von einem methodischen Vorrang der Logik in der (Wissenschaft der) Psychologie.)
Ich hab das schon verstanden, aber es ist auch nach meinem Empfinden in dem Fall genau der Psychologismus, den Du eigentlich kritisieren wolltest.
Beim Psychologismus einigen sich Menschen auf bestimmte logische Regeln, beim Platonismus haben sich die Menschen an logischen Regeln zu orientieren, die ohne sie bereits irgendwo und irgendwie existieren. Du willst nun den Psychologismus kritisieren, müsstest aber allmählich merken, dass das die Position ist, die Du selbst vertrittst.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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novon
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Do 30. Nov 2017, 23:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 06:20
novon hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 22:05
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 08:14


Das Ziel des Beitrags von mir, den du kritisierst, war zu zeigen, dass es nicht nur Tatsachen gibt, die aus Dingen und deren Beziehungen bestehen. Du wendest dagegen ein, man solle differenzierter ans Werk gehen und zwischen reinen und mittelbaren Tatsachen unterscheiden. Allerdings ist mir nicht klar, inwiefern dass den Punkt, um den es mir ging, in Frage stellt.
Worum es dir geht, weiß ich nicht. Mir fiel lediglich auf, dass du offenbar den Terminus 'Tatsache' undifferenziert zu gebrauchen gedenkst, worin ich dir widersprechen würde. Tatsachen bedürfen keiner Begründung. Wäre ein Begründung von Nöten, spräche man nicht von Tatsachen in dem Sinne, sondern von Schlüssen. Und sollten diese als notwendig gelten, könnten man vielleicht von Urteilstatsachen (oder so) sprechen. Man wäre da angelangt, wo Kant sein Apriori einführt. "Kinder soll man nicht schlagen" stellt keine Tatsache dar, sondern eine Konklusion, die sich allerdings sehr gut begründen lässt. Zwei Paar Schuhe.
Du schlägst vor, zwischen verschiedenen Tatsachen-Typen zu unterscheiden: Urteilstatsachen, mittelbare Tatsachen, reine Tatsachen. Du unterscheidest sie, aber immerhin fallen alle unter den Oberbegriff Tatsache - auch nach deiner Ansicht.
Es mag vielleicht den Eindruck erweckt haben, dies allerdings lediglich im Sinne eines Entgegenkommens gegenüber deiner Argumentationsfiguren. Ich schlage vor, das Tatsachen als Tatsachen gehandelt werden, Schlüsse als Schlüsse und Spekulationen als Spekulationen, etc. "Entgegenkommen" bezeichnet hier ein gewisses Wohlwollen zu kommunizieren.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 06:20
Ich hatte gegenüber Althos geltend gemacht, dass er eine einzige Konstellation zum Paradigma für Tatsachen erklärt und dabei viele andere Konstellation unter den Tisch fallen lässt. Auch ich habe eine weitere Differenzierung angemahnt und dafür einige Beispiele aufgeführt, die unter den Oberbegriff Tatsache fallen.
Schiene mir zunächst von Nöten Tatsache als solches definitiv zu fassen... Etwaiges Ausbrechen aus dieser Fassung ließe sich dann recht einfach dingfest machen und aussortieren. "Tatsache" ist imo ganz sehr bestimmt. Sonne und sonne gibt's da nicht. (Apriori stellt ja z. B. keine Tatsache dar, sondern eine (Schluss)Notwendigkeit.)




Hermeneuticus
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Herr K. hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 20:50
Ich vermute nun Folgendes: Du scheinst zu meinen, dass Psychologismus sage, logische Gesetze könnten auf psychologische (und/oder kausale) Gesetze reduziert werden. Falls so: das meint Psychologismus meiner Ansicht nach jedoch nicht, sondern Psychologismus meint mE, dass logische Gesetze psychologischer Art sind.
Und was zeichnet Deiner Ansicht nach psychologische Gesetze als solche aus? Wodurch unterscheiden sie sich z.B. von physikalischen Gesetzen?
Hinzu kommt, dass meiner Ansicht nach das Verhalten von Menschen (also auch ihre Handlungen) Gegenstand der Psychologie sind - und auch unsere sozialen Praktiken. Daher kann ich nicht so recht einen wesentlichen Unterschied zwischen Deiner Ansicht und einem Psychologismus sehen.
Dann wären also Handlungstheorie, Ethik, Recht und Politik als Zweige der Psychologie aufzufassen?




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Herr K. hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 20:50
Deine Ausführungen zur Kausalität und Verantwortungszuweisung halte ich nun für nicht richtig...
Dann hältst Du also unsere lebensweltliche Unterscheidung zwischen Handlungen und kausalen Geschehnissen, wie sie z.B. in der Rechtsprechung praktiziert wird, für falsch? Sollte z.B. das Verhalten eines Schlafwandlers oder eines Menschen unter Drogeneinfluss als zurechenbares Handeln begriffen werden? Wenn nein: warum nicht? Ist es eine schuldhafte Handlung, wenn ich im vollbesetzten Bus jemanden anremple, weil der Fahrer plötzlich scharf bremst und ich das Gleichgewicht verliere? Wenn nein: warum nicht?




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Jörn Budesheim
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novon hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 23:31
Schiene mir zunächst von Nöten Tatsache als solches definitiv zu fassen
Wir diskutieren wir gerade an anderer Stelle ohnehin darüber, was unter einer Tatsache zu verstehen ist. Daher habe ich mir erlaubt, diese Sequenz, die dazu ja sehr gut passt dorthin zu "duplizieren" > https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... 8765#p8765




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Herr K.
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Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 03:24
Und was zeichnet Deiner Ansicht nach psychologische Gesetze als solche aus? Wodurch unterscheiden sie sich z.B. von physikalischen Gesetzen?
Psychologische Gesetze wären damnach solche, die aus dem Denken, den Handlungen und den sozialen Praktiken der Menschen ableitbar sind.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 03:24
Dann wären also Handlungstheorie, Ethik, Recht und Politik als Zweige der Psychologie aufzufassen?
Ja, das folgt wohl.




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Herr K.
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Fr 1. Dez 2017, 12:39

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 05:01
Herr K. hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 20:50
Deine Ausführungen zur Kausalität und Verantwortungszuweisung halte ich nun für nicht richtig...
Dann hältst Du also unsere lebensweltliche Unterscheidung zwischen Handlungen und kausalen Geschehnissen, wie sie z.B. in der Rechtsprechung praktiziert wird, für falsch? Sollte z.B. das Verhalten eines Schlafwandlers oder eines Menschen unter Drogeneinfluss als zurechenbares Handeln begriffen werden? Wenn nein: warum nicht? Ist es eine schuldhafte Handlung, wenn ich im vollbesetzten Bus jemanden anremple, weil der Fahrer plötzlich scharf bremst und ich das Gleichgewicht verliere? Wenn nein: warum nicht?
Für nicht richtig halte ich Deine Gegenüberstellung von Handlungen und kausalem Geschehen, da das impliziert, hier bestünde ein Gegensatz. Jedoch meine ich, dass Handlungen und kausales Geschehen (zumindest ziemlich) orthogonal zueinander stehen oder auch so gesagt: meiner Ansicht nach ist es keine notwendige Bedingung dafür, dass etwas eine Handlung ist, dass es irgendwie akausal abliefe. (Zu dem "zumindest ziemlich": ein völlig akausales Geschehen kann mE hingegen keine Handlung sein.)

Damit jemandem Verantwortung für eine bestimmte Situation zugewiesen werden kann, muss mE grob gesagt Folgendes erfüllt sein (das mag sich überlappen): er stand nicht unter allzu großem physischen oder psychischem Zwang, er war fähig zu rationaler Einsicht, er hatte die Situation hinreichend unter Kontrolle.

Meiner Ansicht nach wird in der Rechtsprechung dieses (oder ähnlich, da aus dem Stegreif formuliert) geprüft.




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Herr K. hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 12:21
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 03:24
Und was zeichnet Deiner Ansicht nach psychologische Gesetze als solche aus? Wodurch unterscheiden sie sich z.B. von physikalischen Gesetzen?
Psychologische Gesetze wären damnach solche, die aus dem Denken, den Handlungen und den sozialen Praktiken der Menschen ableitbar sind.
Was heißt "ableitbar"? Was ist die Grundlage der Ableitung? Sind diese Gesetze Generalisierungen von statistischen, empirischen Beobachtungen und (introspektiven) Selbstbeobachtungen? Aber wie ginge das mit der strengen Allgemeinheit logischer Regeln zusammen (die Du doch vermutlich als psychologische Gesetze verstehst)? Und wie bekommen deskriptiv festgestellte psychische Regelmäßigkeiten eine normative Geltung? Durch willkürliche Beschlüsse?
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 03:24
Dann wären also Handlungstheorie, Ethik, Recht und Politik als Zweige der Psychologie aufzufassen?
Ja, das folgt wohl.
Das ist allerdings eine gewöhnungsbedürftige Auffassung von "Psychologie". Zumal die wissenschaftliche Psychologie eigentlich nicht als normative Disziplin bekannt ist.


Zum Begriff des Psychologismus sei noch ein Lexikon-Artikel beigesteuert (aus der "Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie", hg. v. J. Mittelstraß, Bd.3). Er bringt die erkenntnistheoretische Bedeutung und Problematik des Psychologismus (der eigentlich ein Empirismus ist) gut auf den Punkt.

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Herr K. hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 12:39
Damit jemandem Verantwortung für eine bestimmte Situation zugewiesen werden kann, muss mE grob gesagt Folgendes erfüllt sein (das mag sich überlappen): er stand nicht unter allzu großem physischen oder psychischem Zwang, er war fähig zu rationaler Einsicht, er hatte die Situation hinreichend unter Kontrolle.
"Physischer oder psychischer Zwang" und fehlende Kontrolle - das ist nur eine andere Formulierung dessen, was ich als "Kausalität" bezeichnet habe. Die Tat kann nur dann dem Akteur zugeschrieben werden, wenn sie nicht kausal auf gegebene Bedingungen (wie z.B. Drogen, Wirkung der Schwerkraft) zurückzuführen ist.




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Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 13:36
Herr K. hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 12:39
Damit jemandem Verantwortung für eine bestimmte Situation zugewiesen werden kann, muss mE grob gesagt Folgendes erfüllt sein (das mag sich überlappen): er stand nicht unter allzu großem physischen oder psychischem Zwang, er war fähig zu rationaler Einsicht, er hatte die Situation hinreichend unter Kontrolle.
"Physischer oder psychischer Zwang" und fehlende Kontrolle - das ist nur eine andere Formulierung dessen, was ich als "Kausalität" bezeichnet habe. Die Tat kann nur dann dem Akteur zugeschrieben werden, wenn sie nicht kausal auf gegebene Bedingungen (wie z.B. Drogen, Wirkung der Schwerkraft) zurückzuführen ist.
Das ist missverständlich.
Soll es heißen, dass kein Zwang vorliegen darf, wenn wir von einer (freien) Handlung sprechen?
Oder soll es heißen, dass eine Handlung eine akausale Tat sein soll?

Über Ersteres bestand ja bereits Einigkeit, aber was würde Letzteres bedeuten?



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