Psychologismus?!

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Jörn Budesheim
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Fr 1. Dez 2017, 13:56

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 13:36
Herr K. hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 12:39
Damit jemandem Verantwortung für eine bestimmte Situation zugewiesen werden kann, muss mE grob gesagt Folgendes erfüllt sein (das mag sich überlappen): er stand nicht unter allzu großem physischen oder psychischem Zwang, er war fähig zu rationaler Einsicht, er hatte die Situation hinreichend unter Kontrolle.
"Physischer oder psychischer Zwang" und fehlende Kontrolle - das ist nur eine andere Formulierung dessen, was ich als "Kausalität" bezeichnet habe. Die Tat kann nur dann dem Akteur zugeschrieben werden, wenn sie nicht kausal auf gegebene Bedingungen (wie z.B. Drogen, Wirkung der Schwerkraft) zurückzuführen ist.
Kausalität kann man doch sicher auch bei deiner Sichtweise nicht gänzlich "wegstreichen", oder? Als notwendige Bedingung dürfte sie auch bei einer Handlung immer im Spiel sein.




Hermeneuticus
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Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 13:54
Oder soll es heißen, dass eine Handlung eine akausale Tat sein soll?

Über Ersteres bestand ja bereits Einigkeit, aber was würde Letzteres bedeuten?
Die Handlung einer (rationalen) Person lässt sich grundsätzlich nicht in den Kategorien einer kausalen Naturerklärung begreifen. Das ist der Punkt. Zwar lässt sich vielleicht eine Handlung vollständig als eine Verkettung von Ursachen rekonstruieren, aber wo bleibt dann das Subjekt, der persönlich verantwortliche Urheber der Handlung? In einer Kette von Ursachen und Wirkungen lässt sich nirgends so etwas wie ein "Subjekt" oder eine autonome Person lokalisieren; jedes einzelne Glied der Kette ist nur Wirkung von Ursachen und Ursache weiterer Wirkungen. Autonomie und Verantwortung können da gar nicht vorkommen. D.h. es gibt keinen Grund, ein bestimmtes Glied der Ereignisfolge herauszugreifen und als Subjekt zu charakterisieren. - Außerdem sind Handlungen als Züge in einer Verantwortungsgemeinschaft immer auch normativ signifikant. Handlungen haben z.B. Rechtsfolgen. Kausalität - die Verkettung von notwendigen Wirkungen mit Ursachen - ist dagegen grundsätzlich normativ indifferent.

Und in diesem Sinne ist auch unser Zusammenleben organisiert: Was wir unter natürlichem Kausalgeschehen verbuchen, nehmen wir von vornherein von jeder Verantwortung, von Verpflichtung und Berechtigung aus. Mein Standardbeispiel: Fällt ein Hund auf dem Spielplatz ein Kind an und zerfleischt ihm das Gesicht, wird selbstverständlich nicht der Hund verantwortlich gemacht, sondern sein menschlicher Halter. Der Hund kommt gar nicht als handelnde Person oder Rechtssubjekt in Betracht - so wenig wie Lawinen, Tsunamis, Vulkane, Viren und Bakterien.




Hermeneuticus
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 13:56
Kausalität kann man doch sicher auch bei deiner Sichtweise nicht gänzlich "wegstreichen", oder? Als notwendige Bedingung dürfte sie auch bei einer Handlung immer im Spiel sein.
Wie schon in der Antwort an Tosa Inu gesagt: Handlungen - als Züge innerhalb einer Verantwortungsgemeinschaft aus rationalen Personen - fallen in eine andere Kategorie als Kausalgeschehen. Handlungen sind normativ signifikant, sie haben auch eine Bedeutung, einen Zweck usw. Notwendigen Wirkungen von gegebenen Ursachen fehlt das alles.

Nehmen wir, um die grundsätzliche, kategoriale Differenz zu verdeutlichen, etwa einen Zug im Schachspiel: Selbstverständlich lässt sich die Bewegung einer Figur auf dem Feld vollständig als physikalisches Kausalgeschehen beschreiben. Aber was diese Beschreibung nicht erfasst und erfassen kann, ist die Bedeutung dieser Bewegung als Zug im Schachspiel.




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Jörn Budesheim
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Damit ist das Problem, das Herr K benennt, aber nur umschifft, oder? Denn Kausalität ist dabei ja auch im Spiel. Wie verhalten sich die beiden möglichen Beschreibungen, die du selbst nennst, denn zueinander?




Hermeneuticus
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Fr 1. Dez 2017, 14:58

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 14:39
Damit ist das Problem, das Herr K benennt, aber nur umschifft, oder? Denn Kausalität ist dabei ja auch im Spiel. Wie verhalten sich die beiden möglichen Beschreibungen, die du selbst nennst, denn zueinander?
Eben als verschiedene Beschreibungen, die unterschiedlichen Erklärungszwecken dienen und die im Rahmen ihrer jeweiligen Aufgaben und Möglichkeiten auch ganz vernünftig sind. Genau das ist nämlich der Punkt: es ist vernünftig, diese beiden Erklärungstypen auseinander zu halten (und z.B. Vulkanen nicht wegen ihrer ungezügelten Ausbrüche zu zürnen und den Prozess zu machen). Das ist m.E. zuerst einmal festzuhalten: die Rationalität dieser Unterscheidung. Wie sich diese Unterscheidung dann in ein Gesamtbild des Seins einfügen lässt, ist eine andere Frage und erfordert weitläufige Überlegungen. Nur sollte eben eins nicht passieren: dass die vernünftige Unterscheidung dem Willen zur Weltformel geopfert wird.




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Herr K.
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Fr 1. Dez 2017, 15:25

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 13:28
Herr K. hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 12:21
Psychologische Gesetze wären damnach solche, die aus dem Denken, den Handlungen und den sozialen Praktiken der Menschen ableitbar sind.
Was heißt "ableitbar"? Was ist die Grundlage der Ableitung? 1. Sind diese Gesetze Generalisierungen von statistischen, empirischen Beobachtungen und (introspektiven) Selbstbeobachtungen? 2. Aber wie ginge das mit der strengen Allgemeinheit logischer Regeln zusammen (die Du doch vermutlich als psychologische Gesetze verstehst)? 3. Und wie bekommen deskriptiv festgestellte psychische Regelmäßigkeiten eine normative Geltung? Durch willkürliche Beschlüsse?
1. ja
2. kommt darauf an, was Du unter "strenger Allgemeinheit" verstehst
3. Zweckrationalität, hypothetischer Imperativ

Danke übrigens für für Deine Links ("Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie", hg. v. J. Mittelstraß, Bd.3). Daraus ein Zitat:
Den Widerspruch zwischen der Auffassung der Logik als empirischer und normativer Wissenschaft löst Wundt [Anmerkung Herr K.: ein Vertreter des Psychologismus] so auf, dass >normativ< als zweckrational im folgenden Sinne aufgefasst wird: Wer gewissermaßen geistig überleben will, wird nach allem, was man aus Erfahrung weiß, diesen Gesetzen folgen müssen. Hieraus wird klar, dass sich eine Kritik am Psychologismus letztlich nicht damit begnügen kann, den normativen Charakter logischer Gesetze gegen den empirischen Charakter psychologischer Gesetze auszuspielen. Die Kritik hat vielmehr so anzusetzen, dass sie denjenigen Gebilden, denen Geltung zukommt (oder nicht zukommt), z.B. Sätzen, Gedanken und Propositionen, von vornherein einen psychischen Status bestreitet (ohne deshalb unbedingt eine platonistische Hypostasierung dieser Gebilde vorzunehmen, wie dies häufig alternativ der Fall ist.)
Das ist nun genau der Punkt, der mich an dieser Diskussion besonders interessiert, nämlich wie man Logik und/oder Sätze, Gedanken, Propositionen so konzipieren kann, dass sie weder einen psychischen Status haben, noch dass sie platonistisch hypostasiert werden. Ich sehe da nämlich zurzeit noch nichts Drittes. Frege und Husserl zumindest nehmen mE solche Hypostasierungen vor.
Zuletzt geändert von Herr K. am Fr 1. Dez 2017, 15:34, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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Allerdings "hypostasiert" sie niemand platonisch, das ist nur die Projektion deines Existenzbegriffs auf andere Bereiche.




Hermeneuticus
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Herr K. hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 15:25
Das ist nun genau der Punkt, der mich an dieser Diskussion besonders interessiert, nämlich wie man Logik und/oder Sätze, Gedanken, Propositionen so konzipieren kann, dass sie weder einen psychischen Status haben, noch dass sie platonistisch hypostasiert werden. Ich sehe da nämlich zurzeit noch nichts Drittes. Frege und Husserl zumindest nehmen mE solche Hypostasierungen vor.
Zunächst einmal wäre genauer zu klären, was denn eigentlich als das Psychische (Seelische) verstanden werden soll. Was gehört dazu, was nicht? Wenn man schlicht alle menschlichen Lebensformen darunter subsumiert, wird der Begriff so diffus, dass man genau so gut auf ihn verzichten kann.
Zu klären wäre dabei auch, wie sich eigentlich die begriffliche Unterscheidung zwischen Psychischem und Nicht-Psychischem begründen lässt. Welche Umstände und Phänomene sind es, die es sinnvoll oder sogar erforderlich machen, von einem "Seelenleben" zu sprechen und es von anderem, von "Unbeseeltem" abzugrenzen? Dabei sollten bekannte und scheinbar selbstverständliche Vormeinungen möglichst eingeklammert werden - z.B. eine Abgrenzung entlang der Unterschiede "materiell-immateriell" oder "innen-außen" oder ein unkritischer Substantialismus, der als real nur gelten lässt, was irgendwie als "Substanz", als Ding mit Eigenschaften konzipiert werden kann.

Solange jeder die Brille seiner festen metaphysischen Vormeinungen auf behält, ist es auch nicht überraschend, dass er nur genau das "sehen" kann, was in sein Schema passt.




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Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 14:23
Die Handlung einer (rationalen) Person lässt sich grundsätzlich nicht in den Kategorien einer kausalen Naturerklärung begreifen. Das ist der Punkt. Zwar lässt sich vielleicht eine Handlung vollständig als eine Verkettung von Ursachen rekonstruieren, aber wo bleibt dann das Subjekt, der persönlich verantwortliche Urheber der Handlung?
Es bliebe eingewoben in diese Ketten.
Wäre es anders stünde das Subjekt außerhalb der Kausalität, was immer schwer zu erklären ist.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 14:23
In einer Kette von Ursachen und Wirkungen lässt sich nirgends so etwas wie ein "Subjekt" oder eine autonome Person lokalisieren;
Doch sicher. Da wo sich qua seiner Entscheidung etwas ändert. Da hat seine Ursachen, Gründe und Folgen.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 14:23
jedes einzelne Glied der Kette ist nur Wirkung von Ursachen und Ursache weiterer Wirkungen. Autonomie und Verantwortung können da gar nicht vorkommen.
Doch, der Kompatibilimus ist die Position, die das erklärt.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 14:23
D.h. es gibt keinen Grund, ein bestimmtes Glied der Ereignisfolge herauszugreifen und als Subjekt zu charakterisieren. - Außerdem sind Handlungen als Züge in einer Verantwortungsgemeinschaft immer auch normativ signifikant. Handlungen haben z.B. Rechtsfolgen. Kausalität - die Verkettung von notwendigen Wirkungen mit Ursachen - ist dagegen grundsätzlich normativ indifferent.
Dass es eine Asymmetrie zwischen toten, intentionalen und diskursiven Wesen gibt, ist richtig, daraus folgt aber nicht, dass Letztere akausal agierten.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 14:23
Und in diesem Sinne ist auch unser Zusammenleben organisiert: Was wir unter natürlichem Kausalgeschehen verbuchen, nehmen wir von vornherein von jeder Verantwortung, von Verpflichtung und Berechtigung aus. Mein Standardbeispiel: Fällt ein Hund auf dem Spielplatz ein Kind an und zerfleischt ihm das Gesicht, wird selbstverständlich nicht der Hund verantwortlich gemacht, sondern sein menschlicher Halter. Der Hund kommt gar nicht als handelnde Person oder Rechtssubjekt in Betracht - so wenig wie Lawinen, Tsunamis, Vulkane, Viren und Bakterien.
Thema Brandom, Making it Explicit, der erklärt hier die Zusammenhänge sehr gut:
„Der explanatorische Rahmen, in dem der Begriff des praktischen Begründens arbeiten soll, ist der Kantische, wonach einen Akt als eine Handlung zu behandeln heißt, ihn als etwas zu behandeln, für das es grundsätzlich angemessen ist, nach einem Grund zu fragen. Nicht alles, was jemand tut, ist eine Handlung. Wenn ich am Rand einer Klippe spazierengehe, stolpere und herunterfalle, dann ist das Stolpern wie auch das Fallen mit einer Beschleunigung von 9,8 m/s² etwas, was ich tue (in dem Sinne, dass es zu meinem Verhalten gehört), aber es sind keine Handlungen; das Gehen und das Greifen nach einem Busch, wenn ich über den Rand falle, schon. Handlungen sind Dinge, die intentional getan werden, oder in der hier eingesetzten Begrifflichkeit: Intentional zu handeln heißt, einen Akt nichtinferentiell hervorzubringen, der entweder die Anerkennung einer praktischen Festlegung darstellt (im Fall der Handlungsabsichten) oder einer verlässlichen unterscheidenden Reaktionsdisposition auf eine solche Anerkennung (bei vorgängigen Absichten) entspringt. Unter der Anerkennung der praktischen Festlegung kann man sich die Absicht vorstellen, mit der der Akt hervorgebracht wird.
Man kann mit einem Grund, aber ohne Absicht handeln (etwa wenn einem die Festlegungen nicht gegenwärtig sind, die in den Augen der Zuweisenden einen Grund liefern könnten). Doch aus einem Grund kann man nur intentional handeln – während man intentional, aber ohne einen Grund handeln kann. Nur rationale Wesen können Handelnde sein, aber es gibt so etwas wie irrationale Handlungen, etwa wenn jemand intentional, aber impulsiv und nicht entlang dessen, wofür man einen Grund hat, handelt. Aus deontischer Sicht sind solche irrationalen Handlungen insofern intentional, als sie Anerkennungen praktischer Festlegungen sind (oder aus der Ausübung verlässlicher nichtinferentieller Dispositionen, unterscheidend zu reagieren, hervorgehen), und irrational sind sie insofern, als die praktische Festlegung keine ist, zu der der Handelnde berechtigt ist durch eine ordnungemäße praktische Inferenz durch Prämissen, auf die er festgelegt und zu denen er berechtigt ist – sei es, weil er keinen Grund hat, etwas zu tun, was mit dem, was er tatsächlich tut, inkompatibel ist. Da diese Berechtigung einen Grund für den Vollzug einer Handlung voraussetzt, werden praktischen Festlegungen und somit Handlungen (intentionale Akte) nur denjenigen zuerkennt, die sich im Raum des Gebens und Verlangens von Gründen bewegen – das sind diejenigen, die rational sind (oder als solche behandelt werden).“
(Robert Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. Suhrkamp 2000, S. 358 f)
Und nichts von all dem ist akausal.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Herr K.
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Fr 1. Dez 2017, 16:47

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 14:23
Und in diesem Sinne ist auch unser Zusammenleben organisiert: Was wir unter natürlichem Kausalgeschehen verbuchen, nehmen wir von vornherein von jeder Verantwortung, von Verpflichtung und Berechtigung aus. [...]
Nicht wenn man Menschen und ihr Verhalten und ihre Handlungen und ihre Normen als Teil des natürlichen Kausalgeschehens ansieht.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 14:33
Nehmen wir, um die grundsätzliche, kategoriale Differenz zu verdeutlichen, etwa einen Zug im Schachspiel: Selbstverständlich lässt sich die Bewegung einer Figur auf dem Feld vollständig als physikalisches Kausalgeschehen beschreiben. Aber was diese Beschreibung nicht erfasst und erfassen kann, ist die Bedeutung dieser Bewegung als Zug im Schachspiel.
Ebensowenig wie man das Paarungsverhalten von Wölfen an einem einzelnen Wolf erforschen kann. Was mir reichlich trivial erscheint, daher sehe ich Deinen Punkt hier nicht. Und auch nicht, was das mit Psychologismus zu tun hat, denn ein Psychologist wird sicher nicht behaupten wollen, dass die Bedeutung eines Schachzuges in der Schachfigur und deren Bewegung liegen würde.




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Fr 1. Dez 2017, 16:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 15:29
Allerdings "hypostasiert" sie niemand platonisch, das ist nur die Projektion deines Existenzbegriffs auf andere Bereiche.
War doch nur aus dem Zitat aufgegriffen.

Die Intuition würde ich allerdings auch teilen, dass Sprache, Moral, Mathematik ... sich entlang von Regeln konstituieren, die schon mehr oder minder fertig geschrieben erscheinen, selbst wenn die Ausdrucksform gerade erst etsteht. Wer kennt sich aus mit Chomsky (und seiner Tiefengrammatik)?

Dass diese in einer eigenen Welt existieren kriegt man aber weder ohne weiteres formuliert, noch kann man die Dualismusprobleme einfach ignorieren.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Fr 1. Dez 2017, 17:15




„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Hermeneuticus
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Fr 1. Dez 2017, 18:45

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 16:43
Es bliebe eingewoben in diese Ketten.
Wäre es anders stünde das Subjekt außerhalb der Kausalität, was immer schwer zu erklären ist.
Nur, wenn man Kausalität für ein universell zutreffendes Erklärungsmuster hält oder von einer "kausalen Geschlossenheit" des Universums ausgeht. Eine solche metaphysische Hypothese ist aber nicht zwingend. Ich verstehe Kausalität zunächst einmal als ein menschliches Erklärungsmodell mit Vorzügen und Schwächen und vor allem: begrenzter Anwendbarkeit. Ich sehe keinen guten Grund, den transitorischen Erkenntnisstand der menschlichen Naturwissenschaften metaphysisch zu hypostasieren.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 14:23
In einer Kette von Ursachen und Wirkungen lässt sich nirgends so etwas wie ein "Subjekt" oder eine autonome Person lokalisieren;
Doch sicher. Da wo sich qua seiner Entscheidung etwas ändert. Da hat seine Ursachen, Gründe und Folgen.[/quote ]
Wenn aber die Entscheidung selbst nur eine Wirkung von gegebenen Ursachen ist, ist es sinnlos, von einer Entscheidung des Subjekts zu sprechen.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 14:23
jedes einzelne Glied der Kette ist nur Wirkung von Ursachen und Ursache weiterer Wirkungen. Autonomie und Verantwortung können da gar nicht vorkommen.
Doch, der Kompatibilimus ist die Position, die das erklärt.
Aha. Wie denn? - Er müsste vor allem erklären können, wie ein Geschehen, das grundsätzlich normativ indifferent ist, plötzlich normative Qualitäten annehmen kann; oder umgekehrt, wie es möglich sein soll, normative Gehalte auf kausales Geschehen zu reduzieren.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 14:23
D.h. es gibt keinen Grund, ein bestimmtes Glied der Ereignisfolge herauszugreifen und als Subjekt zu charakterisieren. - Außerdem sind Handlungen als Züge in einer Verantwortungsgemeinschaft immer auch normativ signifikant. Handlungen haben z.B. Rechtsfolgen. Kausalität - die Verkettung von notwendigen Wirkungen mit Ursachen - ist dagegen grundsätzlich normativ indifferent.
Dass es eine Asymmetrie zwischen toten, intentionalen und diskursiven Wesen gibt, ist richtig, daraus folgt aber nicht, dass Letztere akausal agierten.
Ich behaupte ja auch gar nicht, dass diskursive Wesen "akausal" agieren - in dem Sinne, dass die Kausalität vor ihnen halt machte. Sondern ich behaupte, dass die Diskursivität der diskursiven Wesen nicht mit dem kausalen Modell der Naturwissenschaften zu erklären ist. Wie ja übrigens diese Wissenschaften selbst - als diskursive menschliche Praxen - auch nicht.


Thema Brandom, Making it Explicit, der erklärt hier die Zusammenhänge sehr gut:
„Der explanatorische Rahmen, in dem der Begriff des praktischen Begründens arbeiten soll, ist der Kantische, wonach einen Akt als eine Handlung zu behandeln heißt, ihn als etwas zu behandeln, für das es grundsätzlich angemessen ist, nach einem Grund zu fragen. Nicht alles, was jemand tut, ist eine Handlung. Wenn ich am Rand einer Klippe spazierengehe, stolpere und herunterfalle, dann ist das Stolpern wie auch das Fallen mit einer Beschleunigung von 9,8 m/s² etwas, was ich tue (in dem Sinne, dass es zu meinem Verhalten gehört), aber es sind keine Handlungen; das Gehen und das Greifen nach einem Busch, wenn ich über den Rand falle, schon. Handlungen sind Dinge, die intentional getan werden, oder in der hier eingesetzten Begrifflichkeit: Intentional zu handeln heißt, einen Akt nichtinferentiell hervorzubringen, der entweder die Anerkennung einer praktischen Festlegung darstellt (im Fall der Handlungsabsichten) oder einer verlässlichen unterscheidenden Reaktionsdisposition auf eine solche Anerkennung (bei vorgängigen Absichten) entspringt. Unter der Anerkennung der praktischen Festlegung kann man sich die Absicht vorstellen, mit der der Akt hervorgebracht wird.
Man kann mit einem Grund, aber ohne Absicht handeln (etwa wenn einem die Festlegungen nicht gegenwärtig sind, die in den Augen der Zuweisenden einen Grund liefern könnten). Doch aus einem Grund kann man nur intentional handeln – während man intentional, aber ohne einen Grund handeln kann. Nur rationale Wesen können Handelnde sein, aber es gibt so etwas wie irrationale Handlungen, etwa wenn jemand intentional, aber impulsiv und nicht entlang dessen, wofür man einen Grund hat, handelt. Aus deontischer Sicht sind solche irrationalen Handlungen insofern intentional, als sie Anerkennungen praktischer Festlegungen sind (oder aus der Ausübung verlässlicher nichtinferentieller Dispositionen, unterscheidend zu reagieren, hervorgehen), und irrational sind sie insofern, als die praktische Festlegung keine ist, zu der der Handelnde berechtigt ist durch eine ordnungemäße praktische Inferenz durch Prämissen, auf die er festgelegt und zu denen er berechtigt ist – sei es, weil er keinen Grund hat, etwas zu tun, was mit dem, was er tatsächlich tut, inkompatibel ist. Da diese Berechtigung einen Grund für den Vollzug einer Handlung voraussetzt, werden praktischen Festlegungen und somit Handlungen (intentionale Akte) nur denjenigen zuerkennt, die sich im Raum des Gebens und Verlangens von Gründen bewegen – das sind diejenigen, die rational sind (oder als solche behandelt werden).“
(Robert Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. Suhrkamp 2000, S. 358 f)
Und nichts von all dem ist akausal.
Ach ja? Brandom spricht dort die ganze Zeit von GRÜNDEN. Meint er damit etwa dasselbe wie Ursachen? Ist die notwendige Folge eines Satzes aus Prämissen von derselben Art wie die notwendige Wirkung einer gegebenen Ursache? Oder besteht da ein Unterschied? Welcher?
Zuletzt geändert von Hermeneuticus am Fr 1. Dez 2017, 18:53, insgesamt 3-mal geändert.




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Herr K.
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Fr 1. Dez 2017, 18:50

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 16:35
Solange jeder die Brille seiner festen metaphysischen Vormeinungen auf behält, ist es auch nicht überraschend, dass er nur genau das "sehen" kann, was in sein Schema passt.
So ist es und außerdem ist es so, dass ich hier einen eventuellen blinden Fleck bei mir beseitigen möchte (oder auch mehrere).

Dazu würde ich gerne dieses Zitat besprechen, was ich oben schon brachte (aus Deinem Link: "Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie", hg. v. J. Mittelstraß, Bd.3):
Den Widerspruch zwischen der Auffassung der Logik als empirischer und normativer Wissenschaft löst Wundt [Anmerkung Herr K.: ein Vertreter des Psychologismus] so auf, dass >normativ< als zweckrational im folgenden Sinne aufgefasst wird: Wer gewissermaßen geistig überleben will, wird nach allem, was man aus Erfahrung weiß, diesen Gesetzen folgen müssen. Hieraus wird klar, dass sich eine Kritik am Psychologismus letztlich nicht damit begnügen kann, den normativen Charakter logischer Gesetze gegen den empirischen Charakter psychologischer Gesetze auszuspielen. Die Kritik hat vielmehr so anzusetzen, dass sie denjenigen Gebilden, denen Geltung zukommt (oder nicht zukommt), z.B. Sätzen, Gedanken und Propositionen, von vornherein einen psychischen Status bestreitet (ohne deshalb unbedingt eine platonistische Hypostasierung dieser Gebilde vorzunehmen, wie dies häufig alternativ der Fall ist.)
Wenn ich Dich nun recht verstanden habe, möchtest Du in Deiner Kritik des Psychologismus den im Zitat erwähnten "normativen Charakter logischer Gesetze gegen den empirischen Charakter psychologischer Gesetze" ausspielen. Worauf aber - wie auch im Zitat ersichtlich - mit Zweckrationalität (oder: hypothetischen Imperativen) seitens des Psychologisten geantwortet werden kann.

Der Autor des Zitates scheint das nun zu akzeptieren, Du aber anscheinend nicht, richtig?




Hermeneuticus
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Fr 1. Dez 2017, 19:05

Herr K. hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 18:50
Wenn ich Dich nun recht verstanden habe, möchtest Du in Deiner Kritik des Psychologismus den im Zitat erwähnten "normativen Charakter logischer Gesetze gegen den empirischen Charakter psychologischer Gesetze" ausspielen. Worauf aber - wie auch im Zitat ersichtlich - mit Zweckrationalität (oder: hypothetischen Imperativen) seitens des Psychologisten geantwortet werden kann.

Der Autor des Zitates scheint das nun zu akzeptieren, Du aber anscheinend nicht, richtig?
Nach meinem Verständnis sind Imperative - ob nun hypothetisch oder kategorisch - grundsätzlich nicht aus empirischen Regelmäßigkeiten herzuleiten. Logische Notwendigkeit - und die ist auch in solchen rationalen Überlegungen im Spiel, die Konsequenzen aus hypothetischen Prämissen ziehen -, ist einfach nicht dasselbe wie kausale Notwendigkeit.

Aber Du bist dem Hauptpunkt meines Beitrags weiträumig ausgewichen, nämlich der Forderung, erst einmal das Explanandum "Psyche" zu bestimmen. Mir scheint nämlich, wir reden da über verschiedene Gegenstände. Und wenn das geklärt ist, lässt sich dann auch entscheiden, ob diskursive Praxen etwas Psychisches sind oder nicht.




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Jörn Budesheim
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Sa 2. Dez 2017, 05:37

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 14:58
Nur sollte eben eins nicht passieren: dass die vernünftige Unterscheidung dem Willen zur Weltformel geopfert wird
So ist es.




Tosa Inu
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Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 18:45
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 16:43
Es bliebe eingewoben in diese Ketten.
Wäre es anders stünde das Subjekt außerhalb der Kausalität, was immer schwer zu erklären ist.
Nur, wenn man Kausalität für ein universell zutreffendes Erklärungsmuster hält oder von einer "kausalen Geschlossenheit" des Universums ausgeht. Eine solche metaphysische Hypothese ist aber nicht zwingend. Ich verstehe Kausalität zunächst einmal als ein menschliches Erklärungsmodell mit Vorzügen und Schwächen und vor allem: begrenzter Anwendbarkeit.
Ein Argument, was man spielend auch auf den Logizismus beziehen könnte.
Damit weitest Du Deinen eigenen Psychologismus im Grunde nur aus und erklärst metaphysische Setzungen und die Mittel ihrer Bearbeitung zu einem Instrument der Brauchbarkeit.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 18:45
Wenn aber die Entscheidung selbst nur eine Wirkung von gegebenen Ursachen ist, ist es sinnlos, von einer Entscheidung des Subjekts zu sprechen.
Nur, wenn man es außerhalb der Kausalität ansiedelt. Das ist eine libertäre Position, die ich, falls Du sie einnehmen willst, gerne erklärt hätte.
Die Entscheidung im Urlaub nach Rom zu fahren ist abhängig davon, dass es Rom gibt + allerlei anderer realer Zutaten. Packt man dann seine Koffer und fährt hin, ist das auch nicht außerhalb kausaler Bezüge.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 18:45
Doch, der Kompatibilimus ist die Position, die das erklärt.
Aha. Wie denn? - Er müsste vor allem erklären können, wie ein Geschehen, das grundsätzlich normativ indifferent ist, plötzlich normative Qualitäten annehmen kann; oder umgekehrt, wie es möglich sein soll, normative Gehalte auf kausales Geschehen zu reduzieren.
Er müsste nur erklären, dass zwischen einer kausal geschlossenen Welt (als hypothetischem Konstrukt) und der Freiheit der Willensentscheidungen kein Widerspruch besteht.
Genau das tut der Kompatiblismus, in einschlägigen Threads 'drüben' kannst Du jede Menge Argumente und Diskussionen dazu finden.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 18:45
Ich behaupte ja auch gar nicht, dass diskursive Wesen "akausal" agieren - in dem Sinne, dass die Kausalität vor ihnen halt machte.
Es hört sich aber mehrfach so an, als ob Du mit dem Gedanken spielst, auch wieder in dieser Antwort.
Wenn das nun als ausgeschlossen im Bezug auf Deine Haltung gelten darf, nehme ich das so zur Kenntniss.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 18:45
Sondern ich behaupte, dass die Diskursivität der diskursiven Wesen nicht mit dem kausalen Modell der Naturwissenschaften zu erklären ist. Wie ja übrigens diese Wissenschaften selbst - als diskursive menschliche Praxen - auch nicht.
Das ist ja wieder eine ganz andere Behautung, die weder ich aufstelle, noch der Psychologismus.
Was dem Psychologismus vorgehalten wird ist ja, dass er behauptet, die Logik entspringe der menschliche Alltagspraxis in Wort und Tat.
Die historischen antipsychologistischen Einwände sind m.E. nicht sehr stark und gelten wohl auch als abgefrühstückt, aber davon ab ist es keinesfalls dumm und fruchtlos das Thema noch ein paar mal zu wenden.

Denn, auch wenn es anders scheint oder überlagert ist, Du, Herr K. und ich teilen durchaus die Intuition, dass es doch merkwürdig ist und den Anschein hat, dass schon die einfachsten Formen der Sprache eine gewisse logische Struktur nahezu voraussetzen, was der Position des logischen Platonismus entspräche. Nur handelt man sich eben eigene Probleme ein, wenn eine andere, eigene Welt der Logik formuliert, nicht zuletzt das des Dualismus.

Formuliert man zurückhaltender, dass diese Struktur unserer Wahrnehmung vorgeschaltet ist, da könnte man an Kants Kategorien denken, muss man jedoch auch ihre Herkunft erklären, was Chomsky mit seiner Universalgrammatik versuchte und was aktuell wohl eher zurückgewiesen wird, wobei ich da von Philosophen durchaus auch andere Stimmen gehört habe.

Das Problem findet man immer wieder und es betrifft z.B. den holisitischen Charakter der Sprache selbst, den Quine (später etwas abgeschwächt) und Wittgenstein betonen. Kurz gesagt, müsste man eigentlich mehr können, als man kann, wenn man Sprache lernt. Bei Kindern ist das kein Problem, die werden einfach in eine sprachliche Welt hineingeboren und ggf. korrigiert, bei der Neogenese der Sprache ist aber niemand da der korrigiert, geduldig erklärt und sagt, was gemeint ist, einfach weil der sprachliche Apparat noch gar nicht existiert und dennoch drängt sich auch hier wieder der Eindruck auf, dass man sprachlich mehr wissen müsste, als man wissen kann. Nun, wir sprechen, es muss geklappt haben.

Analoges gilt für die Logik. Zu erwarten ist m.E., dass bereits das vorsprachliche Leben (das mithilfe erster Laute, Mimik und Gestik - auch so ein Thema für sich, die Frage der Reihenfolge deiktischer und anaphorischer Praktiken) so komplex war, dass sich eine mehr oder weniger am Nutzen ausgerichtete Praxis, die die Tiere, die sie anwendenten gar nicht verstehen mussten, vererbte. Gewöhnlich gilt das den Biologisten als prima Erklärung, philosophisch gesehen ist das Problem aber damit nur verlagert. Das Problem bleibt, wie durchaus rationale Strukturen in eine als eindeutig prärational angenommene Zeit kommen.


Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 18:45
Thema Brandom, Making it Explicit, der erklärt hier die Zusammenhänge sehr gut:


Und nichts von all dem ist akausal.
Ach ja? Brandom spricht dort die ganze Zeit von GRÜNDEN. Meint er damit etwa dasselbe wie Ursachen? Ist die notwendige Folge eines Satzes aus Prämissen von derselben Art wie die notwendige Wirkung einer gegebenen Ursache? Oder besteht da ein Unterschied? Welcher?
Schade, dass Du es jetzt nur unter diesem Aspekt gelsen hast, ich hatte Dir die Bemerkungen noch mal in Gedächtnis rufen wollen, weil Brandom da sehr viel, sehr dicht erklärt.
Aber auch er ist ganz explizit der Meinung, dass das normatve Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen kausal bedingt ist:
„Die Wörter bilden ein eigenes und weitgehend unabhängiges Reich innerhalb der Welt – nicht nur in dem Sinne, dass die nichtsprachlichen Tatsachen im wesentlichen dieselben sein könnten, auch wenn die spezifisch sprachlichen Tatsachen (als eine Klasse der Tatsachen über die Welt) ganz anders wären, sondern auch in dem Sinne, dass die Wörter (Geräusche, Zeichen usw.) im wesentlichen so sein könnten, wie sie sind, auch wenn die nichtsprachlichen Tatsachen ganz anders sind. Aber unsere diskursiven Praktiken, wie sie hier aufgefasst werden, sind von der übrigen Welt nicht in dieser Weise isoliert. Die nichtsprachlichen Tatsachen könnten im wesentlichen so sein, wie sie sind, auch wenn unsere diskursiven Praktiken ganz andere wären (oder es keine gäbe), denn welche Behauptungen wahr sind, hängt nicht davon ab, ob sie jemand aufstellt. Doch unsere sprachlichen Praktiken könnten nicht so sein, wie sie sind, wenn die nichtsprachlichen Tatsachen anders wären.
Denn diese Praktiken sind keine Dinge, wie Wörter als Geräusche oder Zeichen, die unabhängig von ihren Gegenständen und den von ihnen ausgedrückten Tatsachen spezifizierbar wären. Zu den diskursiven Praktiken gehört wesentlich ein Austausch mit den Gegenständen der Welt beim Wahrnehmen und Handeln. Zu den in diesen Praktiken implizit enthaltenen begrifflichen Richtigkeiten gehören empirische und praktische Dimensionen. Alle unsere Begriffe sind das, was sie sind, zum Teil wegen ihrer inferentiellen Verknüpfungen mit solchen, die nichtinferentielle Umstände und Folgen der Verwendung haben – also, mit Begriffen, deren richtiger Gebrauch nicht unabhängig von der Berücksichtigung der Tatsachen und Gegenstände spezifizierbar ist, von denen sie responsiv hervorgebracht werden oder die sie durch ihre Anwendung hervorbringen. Die normative Struktur der Autorität und Verantwortung, die Beurteilungen und Zuweisungen der Verlässlichkeit beim Wahrnehmen und Handeln aufweisen, ist kausal bedingt.“
(Robert Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. Suhrkamp 2000, S.474)
Zuletzt geändert von Tosa Inu am Sa 2. Dez 2017, 08:57, insgesamt 1-mal geändert.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Du schriebst an Herr K:
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2017, 19:05
Aber Du bist dem Hauptpunkt meines Beitrags weiträumig ausgewichen, nämlich der Forderung, erst einmal das Explanandum "Psyche" zu bestimmen. Mir scheint nämlich, wir reden da über verschiedene Gegenstände. Und wenn das geklärt ist, lässt sich dann auch entscheiden, ob diskursive Praxen etwas Psychisches sind oder nicht.
Das hättest Du schon vor knapp einem Monat haben können, in meiner ersten Entgegnung zu Husserl stand:
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2017, 09:08
Ich finde aber 1. nicht, dass psychologische Gesetze vage sind. Man würde ja keine psychologischen Systematiken erstellen können, wenn sie es wären. 2., glaube ich auch nicht, dass logische Gesetze a priori sind. Ich denke, sie sind im Laufe der Zeit aus der Sprache extrahiert worden und mussten auch erst an Erfahrungen gelernt werden. Ihr grundlegender Status (der ja, ganz nebenbei in der Philosophie, nicht zuletzt und auch nicht nur von Gabriel, bezweifelt wird) ist ja erst nachträglich gefunden worden. 3. glaube ich, dass sich die Gesetze der Logik ja durchaus auf "psychologische Gebilde" beziehen, was immer das genau heißen soll. Ist der Mensch ein psychologisches Gebilde, oder eine Neurose, oder die durchschnittliche Offenheit in der Gesellschaft?
Ansonsten ist die Logik ja etwas, was aus der Psyche stammt, sie stellt ja eine abstrakte, formale Bündelung wahrer Aussagen da, wenn wir jetzt von reinen formalen Logiken absehen, deren Gesetze mit unserer Welt nichts mehr zu tun haben, ähnliches gilt für die Sprache und ihre Experimentierformen.
Was also die psychologischen Gesetze, Gebilde und Entitäten sind, die Du, als Du Dir die Kritik geborgt hast noch stillschweigend voraussetztest, möchte Du jetzt also auch wissen. Spät ist ja nicht falsch, aber warum sollen andere Dir jetzt erklären, was Du implizit vertreten hast und warum hast Du es gleich wieder so unangenehm als Vorwurf verpackt?

Bei wiki heißt es:
Die Psychologie ist eine erfahrungsbasierte Wissenschaft. Sie beschreibt und erklärt menschliches Erleben und Verhalten, deren Entwicklung im Laufe des Lebens sowie alle dafür maßgeblichen inneren und äußeren Ursachen oder Bedingungen. Da mittels Empirie jedoch nicht alle psychologischen Phänomene erfasst werden können, ist auch auf die Bedeutung der geisteswissenschaftlichen Psychologie zu verweisen.
Das ist doch brauchbar. Wenn sich die Psychologie der Psyche widmet, ist das was erlebt und sich verhält und sich entwickelt wohl die Psyche. Wir brauchen Empirie und Geisteswissenschaften um sie adäquat zu beschreiben, womit der antipsychologistische Vorwurf gemäß dem Selbstverständnis moderner Psychologie ein weiteres Mal ins Leere läuft.

Dennoch ist der andere Strang der Diskussion interessant, nämlich zu klären, wie denn überhaupt etwas wie Logik in unsere Welt kommen kann.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Alethos
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Sa 2. Dez 2017, 10:54

Dass das Denken ins Leben kam, kann man kaum der Psychologie als Leistung zuschreiben. Dass mit dem Denken die Logik zum Sein kann, aber genauso wenig.

Denn alle Natur ist notwendige Bedingung sine qua non menschlichen Lebens und des Lebens überhaupt. Sie war also da, bevor es Leben gab. In ihr sind Kräfte wirksam, die sogenannten Naturgesetze. Das, was wir als Gesetzlichkeit feststellen, setzt eine abstrahierende Leistung voraus, denn wir schliessen vom einzelnen empirischen Datum auf das allgemeine Datum der Gesetzlichkeit, unter die die einzelnen empirischen Daten fallen. Diese abstrahierende Leistung ist aber nicht die conditio sine que non von Natur,. Dass wir also von Gesetzen sprechen hat mit Denken zu tun, aber nicht als konstituitiven Vorgang, sondern als begrifflich-empirische Leistung unseres Erkenntnisvermögens. Die Natur gibt die Phänomene vor, die wir als Gesetze festschreiben, nicht aber festlegen oder verfassen.

Die Psychologie ist also eine empirische Wissenschaft unter anderen und neben anderen, und eine relativ unpräzise im Vergleich. Als empirische Wissenschaft hat sie denn auch keinen metaphysisch privilegierteren Platz am Anfang allen Seins und am Anfang allen Denkens. Sie ist also keine an allen Anfängen stehende Wissenschaft der Wissenschaften und des Seins überhaupt.

Wenn man aber Psychologie als Wissenschaft der Seele begreifen will (was du vielleicht willst?) und man Seele als arche, als Seinsgrund von allem , annimmt, dann ja, dann kann man nachvollziehen, dass alles Seele sei. Jedes Phänomen kommt dann in seinem Beseeltsein vor. Es gibt dann sozusagen eine Holistik des beseelten Seins, dann befinden wir uns aber eher im Bereich des Glaubens und nicht so sehr im Bereich der Empirie, denn man kann nicht in der ψυχή einen Seinsgrund für alles setzen, wenn er nirgends evident wird, ohne zugleich zu erklären, warum dieser Seinsgrund nicht das Wasser oder das Feuer sein soll. Man sollte auf der Suche nach dem Grund für alles nicht die Dignität alles anderen opfern, auch nicht die Würde des vernünftigen Arguments.



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Alethos hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2017, 10:54
Denn alle Natur ist notwendige Bedingung sine qua non menschlichen Lebens und des Lebens überhaupt. Sie war also da, bevor es Leben gab. In ihr sind Kräfte wirksam, die sogenannten Naturgesetze.
Der Naturbegriff ist so unbestimmt, dass man ihn im Grunde nicht benutzen kann, über die Reihenfolge kann man durchaus streiten, je nachdem, ob man einen top down oder bottom up Ansatz vertritt und ob es Naturgesetze tatsächlich gibt, ist ebenfalls umstritten. ;)
Alethos hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2017, 10:54
Das, was wir als Gesetzlichkeit feststellen, setzt eine abstrahierende Leistung voraus, denn wir schliessen vom einzelnen empirischen Datum auf das allgemeine Datum der Gesetzlichkeit, unter die die einzelnen empirischen Daten fallen.
Richtig, weshalb der reine Empirismus tot ist, Sellars hielt die Grabrede.
Alethos hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2017, 10:54
Diese abstrahierende Leistung ist aber nicht die conditio sine que non von Natur,. Dass wir also von Gesetzen sprechen hat mit Denken zu tun, aber nicht als konstituitiven Vorgang, sondern als begrifflich-empirische Leistung unseres Erkenntnisvermögens. Die Natur gibt die Phänomene vor, die wir als Gesetze festschreiben, nicht aber festlegen oder verfassen.
So werden es die meisten sehen, man frisst sich wie der Wurm im Apfel von Innen nach Außen.
Um Regularitäten zu entdecken braucht es kognitive Fähigkeiten, diese Regularitäten müssen aber andererseits auch vorfindbar sein, was wiederum den spekulativen Rückgriff auf ein Regelwerk von Schöpfer/Natur erlaubt. Also eine Anpassungsleistung? Das wäre die Position des Psychologismus.
Alethos hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2017, 10:54
Die Psychologie ist also eine empirische Wissenschaft unter anderen und neben anderen, und eine relativ unpräzise im Vergleich. Als empirische Wissenschaft hat sie denn auch keinen metaphysisch privilegierteren Platz am Anfang allen Seins und am Anfang allen Denkens. Sie ist also keine an allen Anfängen stehende Wissenschaft der Wissenschaften und des Seins überhaupt.
Darum geht es nicht.
Alethos hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2017, 10:54
Wenn man aber Psychologie als Wissenschaft der Seele begreifen will (was du vielleicht willst?) und man Seele als arche, als Seinsgrund von allem , annimmt, dann ja, dann kann man nachvollziehen, dass alles Seele sei.
Ich weiß selbst nicht, was ich da meine, schließe es aber als Möglichkeit nicht kategorisch aus.

Ich würde den Platonismus nur eher wie Platon verstehen und der ist kein Dualist gewesen, sondern ein Vertreter Monismus von oben (vermutlich) der von verschiedenen Graden der Annäherung an ein Urbild oder die reine Idee redet.
Alethos hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2017, 10:54
Jedes Phänomen kommt dann in seinem Beseeltsein vor.
Ja, aber in unterschiedlichen Graden.
Wobei eine nicht unwichtige Frage m.E. die ist, ob die Erkenntnisse Platons und seiner Nachfolger primär Denkeistungen sind, oder Erfahrungen der Kontemplation.
Alethos hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2017, 10:54
Es gibt dann sozusagen eine Holistik des beseelten Seins, dann befinden wir uns aber eher im Bereich des Glaubens und nicht so sehr im Bereich der Empirie, denn man kann nicht in der ψυχή einen Seinsgrund für alles setzen, wenn er nirgends evident wird, ohne zugleich zu erklären, warum dieser Seinsgrund nicht das Wasser oder das Feuer sein soll.
Wie wir oben feststellten befinden wir uns mit dem Empirismus im Bereich des bereits widerlegten Glaubens und beim Naturalismus im Bereich des Glaubens, was übrigens für alle Weltbilder gilt. Sie sind alle Metaphysik, bauen alle auf spekulativen Voraussetzungen auf, der Rest ist einer Frage ihrer erklärenden Kraft.
Alethos hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2017, 10:54
Man sollte auf der Suche nach dem Grund für alles nicht die Dignität alles anderen opfern, auch nicht die Würde des vernünftigen Arguments.
Das ist da der Grund, warum überhaupt etwas wie der Naturalismus, der sehr lange ein Selbstläufer war, in die Kritik geraten konnte. Der Zauber seiner allerklärenden Kraft schwindet.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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