Psychologismus?!

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Jörn Budesheim
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Di 3. Okt 2017, 08:29

Gelegentlich taucht in diesem und in anderen Foren der Begriff "Psychologismus" auf. Nach meinem Gefühl ist er immer wieder (auch in anderen Zusammenhängen) Anlass für Missverständnisse. Zum Beispiel wird er gelegentlich so verstanden, als wäre damit eine negative Haltung gegenüber der Psychologie gemeint. Deswegen hab ich hier einen Thread eröffnet, der die verschiedenen Facetten des Begriffs erläutern soll und natürlich auch der Frage nachgehen kann, inwiefern psychologistische Ansätze zu Recht oder Unrecht bestehen, bzw. was man von ihnen erwarten kann und was nicht. Zunächst mal einige Fundstellen aus diesem Forum - ein Klick auf den kleinen Pfeil oben rechts neben dem Namen führt zur Quelle, damit man das Zitat im Zusammenhang lesen kann. Dann folgt ein Lexikoneintrag, der den Begriff knapp erläutert und drei verschiedene Verwendungsweisen unterscheidet.
Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2017, 10:16
Mein Psychologismus oder Psychismus meint, dass wir immer und primär Psyche sind und auch nie die Perspektive einer Psyche verlassen können. Damit stehe ich dem Konstruktivismus nahe, mit dem Unterschied, dass ich nicht glaube, dass es a) keine Realität gibt (was aber auch nicht alle Konstruktivisten, nicht mal alle radikalen Konstruktivisten denken) oder b) wir zu dieser keinen Zugang hätten.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 01:08
Hat Frege etwa Hegel studiert? Man möchte es fast glauben, denn sein hier vorgetragenes Argument gegen den logischen Psychologismus scheint unmittelbar anzuknüpfen an Hegels Ausführungen über Vorstellungen und Gedanken, über das Meinen und das Allgemeine.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 10:55
Psychologismus ist nicht Anti Psychologie oder etwas in der Art. Ein Beispiel für Psychologismus, der eine Spielart des Naturalismus ist, ist meines Erachtens der Versuch, Logik auf psychische Kategorien und Vorgänge zurückzuführen.
Philosophie Lexikon, rororo hat geschrieben : Psychologismus (von griechisch psyche, Bewusstsein, Seele, und Logos, Lehre).
  1. Eine Form des Naturalismus, welche die Psychologie zur Grundlage aller Philosophie, erhebt. Erkenntnis - vor allem Logik - wird auf psychische Vorgänge reduziert, die Erkenntnistheorie damit auf einen Spezialfall der Psychologie. Besonders verbreitet war dieser Psychologismus gegen Ende des 19. Jh., z. B. bei Sigwardt, Wundt, T. Lipps und zum Teil bei Dilthey. Abgelehnt wurde er u. a. von Frege, Natorp und Husserl.
  2. Eine radikalere Form des Psychologismus findet sich im englischen Empirismus (Hume und J. S. Mill) und im Empiriokritizismus (R. Avenarius und E. Mach). Hier wird neben der Erkenntnis auch das erkannte Objekt auf ein Bündel von Sinneswahrnehmungen (sensations, Empfindungen) oder Wahrnehmungsmöglichkeiten zurückgeführt (vgl. Phänomenalismus).
  3. Bei Popper heißt eine Theorie Psychologismus , wenn für sie die Gesellschaft nicht allein ein Produkt der Individuen ist, sondern auch eine Widerspiegelung ihrer psychischen Eigenschaften.
"Philosophie ist, so sagt Hegel, der Versuch, das Denken aus sich selbst zu begreifen." (James Conant, Andrea Kern in "Analytischer Deutscher Idealismus") Ich verstehe unter Psychologismus das Gegenteil davon, nämlich den Versuch, das Denken von der Seite her zu erklären, statt es aus der Perspektive des Denkens selbst zu erfassen. Statt zu akzeptieren, dass das Denken (im weiten Sinne) ein Bereich eigenen Rechts darstellt, wird versucht, es auf psychische (und damit individuelle Vorgänge?) zurückzuführen.




Tosa Inu
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Mi 4. Okt 2017, 10:31

Die Frage der Logik ist in dem Zusammenhang tatsächlich interesssant, aber wie diese zur Psyche passt oder der Psyche entsprungen sein soll ist gar nicht so viel gravierender, wie die noch immer ungeklärte Frage, wie und warum die Logik und Mathematik zur Natur und ihren Phänomenen passen.

Ob der Psychologismus wirklich eine Form des Naturalismus ist und ob - und vor allem in welcher Weise - daraus folgt, dass Philosophie nun ein Teilgebiet der Psychologie sein soll, entspricht zumindest nicht dem, was ich darunter verstehe, bzw. das müsste noch präzisiert werden. Manche, wie etwa Quine, sind ja tatsächlich der Auffassung, dass man die Erkenntnistheorie schließen und komplett der Kognitionspsychologie überlassen könne, aber die Psychologie gibt es ohnehin so wenig, wie die Philosophie.

Ich kennne diverse oft sehr angestrengte und oft irgendwe auch erregte Versuche, die Psychologie von der Philosophie abzugrenzen, habe das aber nie so ganz verstanden. Obwohl ich die beiden Extrempostionen dazu gelesen habe, ist mir nie klar geworden, welche nun, warum, die treffendere ist. Ich sehe natürlich Unterschiede und Überschneidungen, die es aber in der Psychologie, zwischen den dortigen Disziplinen und analog in der Philosophie ebenso gibt.

Dass der Psychologismus das Denken "von der Seite" zu erfassen versucht, ist eine Metapher, die ich so nicht ganz verstehe und von der ich glaube, dass es schwer wird, sie prosaisch darzustellen. Hier klärt die Metapher wenig, hier verdeckt sie eher.

Der Psychologismus meint in meiner Version, dass wir als Psyche, als Subjekt oder Ich die Welt betrachten und uns erklären und diese Perspektive auch nicht ändern können. Wir wissen nicht, wie es ist eine Fledermaus zu sein oder ein Gott, ein Schachcomputer oder ein Grashalm. Unsere Leistungen der Erkenntnis und der Empathie sind mitunter beachtlich, so beachtlich, dass ich die allgegenwärtigen Solipsismusneigungen, die uns glauben machen wollen, dass wir den anderen doch nie erreichen - sondern ihn nur durch uns wahrnehmen - zwar verstehe, aber zurückweisen würde. Der Psychologismus meint ja auch, wie wir unser Dasein erleben und da gibt es zwar die Empfindung von anderen wie durch eine unsichtbare Glaswand getrennt zu sein, das ist dann in der Tat eher ein psychisches Problem, aber ansonsten ist die Welt und sind die anderen ja echt und lebensnah und die psychische Ambivalenz zwischen gewünschten Autonomie- und eher unerwünschten Getrenntheitsgefühlen, so wie den diversen beglückenden und mitunter skurrilen Erfahrungen von Einheit von Verschmelzung gehören zu dem was wir alle erleben.

In der Psyche läuft halt alles zusammen. Logik und Wahn, Regressives und Transzendetes, Welterleben und inneres Erlebene, Denken und Fühlen, Konsistenz und Brüche, Erkennntnis und ihre Verweigerung sind für sie keine Widersprüche und ich denke, das kennen wir alle.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Fr 6. Okt 2017, 18:57

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 4. Okt 2017, 10:31
Dass der Psychologismus das Denken "von der Seite" zu erfassen versucht, ist eine Metapher, die ich so nicht ganz verstehe und von der ich glaube, dass es schwer wird, sie prosaisch darzustellen. Hier klärt die Metapher wenig, hier verdeckt sie eher.
Hier kann ich ansetzen, denn ich finde die Metapher verdeckt nicht, sie ist nach meiner Ansicht eröffnend und erhellend. Ich versuche im Folgenden die Metapher so zu erläutern, wie ich sie verstehe. Nicht mehr. Warum der Psychologismus nach Ansicht von etlichen Philosophen (und meiner Wenigkeit) falsch ist, was gegen ihn spricht, muss man an anderer Stelle vertieft erörtern, das deute ich hier nur an. Vielleicht mit Bezug auf die einschlägigen Quellen: Husserl und Frege später mehr. Mein Hauptpunkt ist den Begriff zu erläutern, damit die vielen Missverständnisse beseitigt werden. Zum Beispiel die Idee, dass jemand, der sich gegen Psychologismus wendet, gegen Psychologie als ganze wendet.

Gleiche und ähnliche Bilder, wie das von dir oben monierte, finden sich an ganz verschiedenen Stellen. Von Hegel bis Nagel. Hier ein paar unterschiedliche Beispiele: Nach McDowell gibt es zum Beispiel keine Möglichkeit, die ethische Wirklichkeit - wer er sich ausdrückt - von der Seitenlinie her zu erklären. Hegel nennt die "Grundhaltung naturwissenschaftlicher Weltdeutung" in der Phänomenologie "beobachtende Vernunft" (nach Quante). Qualia erfährt man aus der "Ich-Perspektive", der Perspektive der ersten Person singular. Manche Dinge versteht man nur aus der Teilnehmer-Perspektive heraus. Die Bilder gleichen sich. Der Grundgedanke dabei ist, dass man manches nur aus dem Phänomen und zwar als darin Beteiligter, als darin Verwickelter oder aus dem Zentrum des Phänomens heraus verstehen kann. Das worum es da jeweils geht - so unterschiedlich es jeweils sein mag - entgeht dem Blick von Nirgendwo (das berühmte Bild von Nagel gehört meines Erachtens auch in diese Reihe).

Warum ist das so? Weil der Versuch, die fragliche Phänomene nach dem Muster zu begreifen, mit dem die Naturwissenschaften die Welt der Materie und der Energie etc. erklären, gerade das weglässt, was für diese unterschiedlichen Beispiele selbst bestimmend ist: Ihre normativen Strukturen, ihre "Subjketivität", ihre inneren Ordnungen, Ihre Gerichtetheit, ihre Perspektivität, die nicht durch Naturgesetzliches ersetzbar sind, ohne das Phänomen zu verlieren. Nach meiner Einschätzung kann man die Vernunft nur aus der Vernunft heraus verstehen, Ethik nur aus der Praxis, das berühmte "wie es sich anfühlt" nur aus der Perspektive der ersten Person etc. p.p. Keins von dieser Phänomene wird dadurch auch nur einen Deut unwirklicher.

Für empirische Methoden nach Art der Naturwissenschaften ist all das nicht zu erkennen, es verfehlt diese Wirklichkeiten ihrem Wesen nach. Ich finde, das drücken diese Metaphern ganz hervorragend aus.

Noch mal: Damit ist nicht gesagt, dass die Psychologie eine verfehlte Wissenschaft ist. Gesagt ist nur, dass beispielsweise der Versuch, die Gesetze der Logik mit psychologischen Methoden zu erforschen, ein Versuch am falschen Objekt ist.

Die Psychologie kann selbstverständlich eine wertvolle Wissenschaft sein. Zum Beispiel für unsere Freiheit. Wenn sie einen vernünftigen Freiheitsbegriff voraussetzt (!), dann kann sie mit empirischen Methoden erforschen, wann wir selbst unsere Möglichkeiten unterbieten, welche Situationen dazu führen, dass wir uns selbst belügen etc. p.p.




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Sa 7. Okt 2017, 09:08

Da kommen wir sogar zusammen.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 6. Okt 2017, 18:57
Gleiche und ähnliche Bilder, wie das von dir oben monierte, finden sich an ganz verschiedenen Stellen. Von Hegel bis Nagel. Hier ein paar unterschiedliche Beispiele: Nach McDowell gibt es zum Beispiel keine Möglichkeit, die ethische Wirklichkeit - wer er sich ausdrückt - von der Seitenlinie her zu erklären. Hegel nennt die "Grundhaltung naturwissenschaftlicher Weltdeutung" in der Phänomenologie "beobachtende Vernunft" (nach Quante). Qualia erfährt man aus der "Ich-Perspektive", der Perspektive der ersten Person singular. Manche Dinge versteht man nur aus der Teilnehmer-Perspektive heraus. Die Bilder gleichen sich. Der Grundgedanke dabei ist, dass man manches nur aus dem Phänomen und zwar als darin Beteiligter, als darin Verwickelter oder aus dem Zentrum des Phänomens heraus verstehen kann. Das worum es da jeweils geht - so unterschiedlich es jeweils sein mag - entgeht dem Blick von Nirgendwo (das berühmte Bild von Nagel gehört meines Erachtens auch in diese Reihe).

Ich habe erst nicht begriffen, dass das wohl eine Auflistung von Argumenten gegen den Psychologismus sein soll? Und ich dachte beim Lesen, wann schreibt er denn, was er eigentlich dagegen hat. Alles was da steht, teile ich, aber genau das meine ich ja, wenn ich vom Psychologismus (ich finde fast Psychismus passender) rede.

Wenn ich sage, dass wir die Psyche nicht verlassen können, dann meine ich genau das, dass wir immer eine fundamentale Ich-Perspektive an Bord haben oder anders formuliert, die Welt immer als Psyche (oder Ich oder Subjekt) erleben. Die Psychologie untersucht ja in breiten Teilen genau das, nämlich, wie jemand etwas erlebt, in der Regel, seine Beziehungen zur Welt. Wie erlebt ich Welt, die anderen? Das sind die ganzen hermeneutischen oder tiefenpsychologischen Ansätze.
Die Psychologie untersucht auch, wie diese Eindrücke zu haben ermöglicht wird, z.B. in der Wahrnehmungs- oder Kogntionspsychologie, das ist ein anderer Ansatz innerhalb der gleichen Disziplin und hier wird versucht Erleben bspw. statistisch zu systematisieren. Aber die andere Sicht, aus der Ich-Perspektive ist definitiv auch drin und beide Komponenten wachsen zusammen, indem man z.B. sagt, dass, wer diese und jene Erfahrungen in der Kindheit machte, seine Frau, seinen Chef und "Welt" insgesamt z.B. als warmen und freundlichen oder im anderen Fall, aggressiv-bedrohlichen Ort erleben wird.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 6. Okt 2017, 18:57
Warum ist das so? Weil der Versuch, die fragliche Phänomene nach dem Muster zu begreifen, mit dem die Naturwissenschaften die Welt der Materie und der Energie etc. erklären, gerade das weglässt, was für diese unterschiedlichen Beispiele selbst bestimmend ist: Ihre normativen Strukturen, ihre "Subjketivität", ihre inneren Ordnungen, Ihre Gerichtetheit, ihre Perspektivität, die nicht durch Naturgesetzliches ersetzbar sind, ohne das Phänomen zu verlieren.
Exakt. Das macht die Psychologie aber auch gerade nicht. Denn sie ist ja keine Naturwissenschaft.
So heißt es bei Wiki:
Die Psychologie ist eine erfahrungsbasierte Wissenschaft. Sie beschreibt und erklärt menschliches Erleben und Verhalten, deren Entwicklung im Laufe des Lebens sowie alle dafür maßgeblichen inneren und äußeren Ursachen oder Bedingungen. Da mittels Empirie jedoch nicht alle psychologischen Phänomene erfasst werden können, ist auch auf die Bedeutung der geisteswissenschaftlichen Psychologie zu verweisen.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 6. Okt 2017, 18:57
Noch mal: Damit ist nicht gesagt, dass die Psychologie eine verfehlte Wissenschaft ist. Gesagt ist nur, dass beispielsweise der Versuch, die Gesetze der Logik mit psychologischen Methoden zu erforschen, ein Versuch am falschen Objekt ist.
Ja, das ist das Standard Gegenargument. In dem Stanford Artikel dazu heißt es (hier auf Husserl basierend) bspw.:
Erste Konsequenz: Wenn logische Regeln auf psychologischen Gesetzen basieren würden, müssten alle logischen Regeln so vage sein wie die zugrunde liegenden psychologischen Gesetze.

Widerlegung: Nicht alle logischen Regeln sind vage. Und deshalb basieren nicht alle logischen Regeln auf psychologischen Gesetzen. (§21).

Zweite Konsequenz: Wenn Logikgesetze psychologische Gesetze wären, dann könnten sie a priori nicht bekannt sein. Sie wären eher mehr oder weniger wahrscheinlich als gültig und nur durch Erfahrungswerte gerechtfertigt.

Widerlegung: Logikgesetze sind a priori, sie werden durch apodiktische Selbstevidenz gerechtfertigt und gelten statt wahrscheinlich. Und deshalb sind die Gesetze der Logik nicht psychologisch (§21).

Dritte Konsequenz: Wenn logische Gesetze psychologische Gesetze wären, würden sie sich auf psychologische Gebilde beziehen.

Widerlegung: Logische Gesetze beziehen sich nicht auf psychologische Entitäten. Und folglich sind logische Gesetze keine psychologischen Gesetze (§23).
Ich finde aber 1. nicht, dass psychologische Gesetze vage sind. Man würde ja keine psychologischen Systematiken erstellen können, wenn sie es wären. 2., glaube ich auch nicht, dass logische Gesetze a priori sind. Ich denke, sie sind im Laufe der Zeit aus der Sprache extrahiert worden und mussten auch erst an Erfahrungen gelernt werden. Ihr grundlegender Status (der ja, ganz nebenbei in der Philosophie, nicht zuletzt und auch nicht nur von Gabriel, bezweifelt wird) ist ja erst nachträglich gefunden worden. 3. glaube ich, dass sich die Gesetze der Logik ja durchaus auf "psychologische Gebilde" beziehen, was immer das genau heißen soll. Ist der Mensch ein psychologisches Gebilde, oder eine Neurose, oder die durchschnittliche Offenheit in der Gesellschaft?
Ansonsten ist die Logik ja etwas, was aus der Psyche stammt, sie stellt ja eine abstrakte, formale Bündelung wahrer Aussagen da, wenn wir jetzt von reinen formalen Logiken absehen, deren Gesetze mit unserer Welt nichts mehr zu tun haben, ähnliches gilt für die Sprache und ihre Experimentierformen.

Meine eigene Kritik an meinem Psychismus ist die Frage, was überhaupt mit der Feststellung, dass wir Welt als Psyche erleben und die niemals (bewusst) verlassen können (schwieirig wird das bei luziden Träumen und einigen Mediations- oder Einheits- oder Gipfelerfahrungen) überhaupt gewonnen ist.
Ich glaube allerdings, dass das bei Fragen, wie der, warum die Mathematik zu empirischen Phänomenen passt, bei Fragen nach der Wahrheit und ihrer Möglichkeit und auch gesellschaftlichen Fragen durchaus von Bedeutung ist. Auch sehe ich nicht, dass die Psyche von der Logik irgendwie abgekoppelt ist, was die meisten Leute aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen schlicht nicht verstehen, ist, dass die Psyche beides ist und in unterschiedlichen Anteilen von beidem motiviert oder "gesteuert" wird, ein logischer Apparat und ein emotionales Ding (evtl. noch etwas Spirituelles) und innerhalb dieser Emotionalität ein polares, d.h. konstituiert aus einem Organismus mit einer prinzipiellen Antwortmöglichkeit/Reakitonsdispositionen, die die Welt in gut und böse/spalten.
Warum noch heute in aller Hartnäckigkeit behauptet wird, man könne und müsse die Psyche allein auf Emotionen oder Rationalität reduzieren, ist einigermaßen unverständlich.



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Jörn Budesheim
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Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2017, 09:08
Da kommen wir sogar zusammen.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 6. Okt 2017, 18:57
Gleiche und ähnliche Bilder, wie das von dir oben monierte, finden sich an ganz verschiedenen Stellen. Von Hegel bis Nagel. Hier ein paar unterschiedliche Beispiele: Nach McDowell gibt es zum Beispiel keine Möglichkeit, die ethische Wirklichkeit - wer er sich ausdrückt - von der Seitenlinie her zu erklären. Hegel nennt die "Grundhaltung naturwissenschaftlicher Weltdeutung" in der Phänomenologie "beobachtende Vernunft" (nach Quante). Qualia erfährt man aus der "Ich-Perspektive", der Perspektive der ersten Person singular. Manche Dinge versteht man nur aus der Teilnehmer-Perspektive heraus. Die Bilder gleichen sich. Der Grundgedanke dabei ist, dass man manches nur aus dem Phänomen und zwar als darin Beteiligter, als darin Verwickelter oder aus dem Zentrum des Phänomens heraus verstehen kann. Das worum es da jeweils geht - so unterschiedlich es jeweils sein mag - entgeht dem Blick von Nirgendwo (das berühmte Bild von Nagel gehört meines Erachtens auch in diese Reihe).


Wenn ich sage, dass wir die Psyche nicht verlassen können, dann meine ich genau das, dass wir immer eine fundamentale Ich-Perspektive an Bord haben oder anders formuliert, die Welt immer als Psyche (oder Ich oder Subjekt) erleben. Die Psychologie untersucht ja in breiten Teilen genau das, nämlich, wie jemand etwas erlebt, in der Regel, seine Beziehungen zur Welt. Wie erlebt ich Welt, die anderen? Das sind die ganzen hermeneutischen oder tiefenpsychologischen Ansätze.
Jain :-) Nach McDowell gibt es zum Beispiel keine Möglichkeit, die ethische Wirklichkeit - wer er sich ausdrückt - von der Seitenlinie her zu erklären. Und diese Wirklichkeit ist ja gerade keine, bei der die Psyche oder Ich oder Subjekt nicht verlassen werden, sondern hier geht es um so etwas wie die "Teilnehmerperspektive", eine Wirklichkeit, die die anderen Mitspieler umfasst, der ist und Tatsachen eigener Art geht.

Außerdem glaube ich nicht, dass die Psyche per se etwas ist, was wir erst verlassen müssen, um zur Welt und den anderen zu kommen. Ich dachte in dem Innen/Außenthread hätten wir das gemeinsam so gesehen. Irre ich?




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Sa 11. Nov 2017, 11:37

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 14:58
Jain :-) Nach McDowell gibt es zum Beispiel keine Möglichkeit, die ethische Wirklichkeit - wer er sich ausdrückt - von der Seitenlinie her zu erklären. Und diese Wirklichkeit ist ja gerade keine, bei der die Psyche oder Ich oder Subjekt nicht verlassen werden, sondern hier geht es um so etwas wie die "Teilnehmerperspektive", eine Wirklichkeit, die die anderen Mitspieler umfasst, der ist und Tatsachen eigener Art geht.

Außerdem glaube ich nicht, dass die Psyche per se etwas ist, was wir erst verlassen müssen, um zur Welt und den anderen zu kommen. Ich dachte in dem Innen/Außenthread hätten wir das gemeinsam so gesehen. Irre ich?
Das sehe ich so, wie Du.
Wir können die Psyche nicht verlassen, müssen es aber auch nicht.
Der ethische Appell richtet sich ja immer an uns, als Einzelperson. Z.B. sich fair und gerecht gegenüber jenem, anderen zu verhalten.
Das kann man aber nur im Kontext seiner Psyche tun, ich kann nicht anders empfinden, als ist es tue. Natürlich gibt es da Gehhilfen, wie die, man solle sich doch mal in die Lage des anderen versetzen, sich vorstellen, man selbst wäre das. Was, wenn das jemand nicht kann oder will? Ein simples "Ich bin aber nicht der" ist natürlich immer richtig, schwierig werden dann die daraus gezogenen Schlüsse.
Man kann bei der Psyche die zur Empathie nicht fähig ist von einer pathologischen sprechen, aber es bleibt die simple Tatsache, dass diese Psyche sich so wenig verlassen kann, wie eine hochempathische. Mich in einen anderen hineinzuversetzen, ist ja eine Fähigkeit von mir.



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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 14:58
Außerdem glaube ich nicht, dass die Psyche per se etwas ist, was wir erst verlassen müssen, um zur Welt und den anderen zu kommen.
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 11. Nov 2017, 11:37
Das sehe ich so, wie Du.
Wir können die Psyche nicht verlassen, müssen es aber auch nicht.
:-) Ich glaube, hier verstehen wir uns miss.

Ich bin ganz entschieden nicht der Ansicht, dass wir unsere "Psyche" nicht verlassen können. Und deswegen meine ich, dass die Psyche keineswegs etwas ist, was wir erst verlassen müssen, um zur Welt und den anderen zu kommen. Denn dieses Konzept würde uns nach meiner Einschätzung im eigenen Geist einsperren. Unser Geist ist nach meinem Verständnis etwas, was uns zur Welt öffnet.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 11. Nov 2017, 12:38
:-) Ich glaube, hier verstehen wir uns miss.

Ich bin ganz entschieden nicht der Ansicht, dass wir unsere "Psyche" nicht verlassen können. Und deswegen meine ich, dass die Psyche keineswegs etwas ist, was wir erst verlassen müssen, um zur Welt und den anderen zu kommen. Denn dieses Konzept würde uns nach meiner Einschätzung im eigenen Geist einsperren. Unser Geist ist nach meinem Verständnis etwas, was uns zur Welt öffnet.
Das sind wir m.E., in unserem Geist eingesperrt. Selbst wenn ich mir vorstelle, was z.B. Du sagst, oder sonstwer zu Deiner Antwort, selbst wenn meine Vorstellung stimmt, so ist und bleibt das doch meine Vorstellung von Dir oder sonstwem.

Nur habe ich dabei nicht die Vorstellung von einem traurigen Solipsismus, der uns endgültig von der Welt abkoppelt, die Begegnung mit den anderen ist schon echt, sie ist eben nur "verzerrt", aber eigentlich ist dieser Verzerrung normal, weil es eine ideale nicht verzerrte Perspektive m.E. nicht geben kann, man muss Welt ja nun mal als irgendwer erleben.



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So 12. Nov 2017, 06:04

Passen denn die Vorstellung, dass wir in uns eingesperrt sind und die Vorstellung wir hätten Perspektiven auf die Dinge zusammen? Ich meine nicht. Denn eine Perspektive öffnet uns zu den Dingen, sie sperrt uns nicht ein. Perspektiven zeigen und die Dinge auch nicht grundsätzlich anders, als sie sind.

Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich am Tisch. Beim Blick auf den Tisch, denke ich folgendes: Es ist eine objektive Eigenschaft des Tisches selbst, dass er sich Wesen wie mir in dieser Art und Weise zeigt. Der Begriff der Verzerrung scheint mir diesem Umstand zu verstellen.




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So 12. Nov 2017, 12:50

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 06:04
Passen denn die Vorstellung, dass wir in uns eingesperrt sind und die Vorstellung wir hätten Perspektiven auf die Dinge zusammen? Ich meine nicht. Denn eine Perspektive öffnet uns zu den Dingen, sie sperrt uns nicht ein. Perspektiven zeigen und die Dinge auch nicht grundsätzlich anders, als sie sind.
Die Perspektive ist ja erstmal nur Deine. Du kannst mir aber etwas zeigen und ich könnte das ähnlich sehen. Passt für Umgebung meistens fehlerfrei. Geringe Abweichungen können wir tolerieren. Das gibt unserer Kommunikation eine realistische Basis. Bei Köln, Schwein, Weihnachten, gestern, Tisch, Knieschmerzen, Liebeskummer haben wir so ähnliche Bilder und Begriffe, dass wir wissen, was gemeint ist. Ich finde, dass das eine sehr solide Basis ist. Obendrein noch eine, die ihre vermutlich zu einem großen Teil realistische Basis hat.

Erstaunlicherweise muss das aber nicht dazu führen, dass sich das fortsetzt, denn Du bist eher Realist, ich, jenseits dieser Ebene vermutlich eher nicht. Psyche wird vielleicht aus vielen Quellen gespeist, gerade dort wir ja die Rede anderer Welten (so grob im Kontext Gabriels) auch für mich interessant. Logik lässt sich vielleicht nicht aus der Psyche ableiten, aber noch viel weniger aus dem Gehirn.

Aber in der Psyche trifft sich alles und Psyche verfügt über eine andere Sprache, als das Hirn. Ich als Psyche spreche und schreibe, mein Hirn tut das nicht. Dass man mit der Sprache der Hirnaktivität Semantik erklären oder auch nur umfassen kann, hat sich bisher einfach nicht bewahrheitet. Psyche kann aber Logik verstehen und die Nachrichten, sie kann meditieren und Lust erleben, von Schönheit verzaubert werden, die Funktion des Hirn versuchen zu erfassen und auch Sport machen. Es joggt ja nicht nur der Körper.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 06:04
Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich am Tisch. Beim Blick auf den Tisch, denke ich folgendes: Es ist eine objektive Eigenschaft des Tisches selbst, dass er sich Wesen wie mir in dieser Art und Weise zeigt. Der Begriff der Verzerrung scheint mir diesem Umstand zu verstellen.
Was hältst Du davon: Der Tisch ist einfach da. Es ist eine objektive Eigenschaft von Dir, ihn wahrnehmen zu können.



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So 12. Nov 2017, 14:23

Tosa Inu hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 12:50
Die Perspektive ist ja erstmal nur Deine.
Bei deinem Beitrag kann ich einigem zustimmen. Ich picke mir aber das Zitat heraus - denn das sehe ich etwas anders. Es ist zwar richtig, dass ich diese Perspektive auf den Tisch gerade inne habe und in diesem Sinne ist es auch "meine Perspektive", aber es ist nicht "nur" meine Perspektive. Meines Erachtens haben wir es hier mit einer objektiven Art und Weise des Gegebenseins des Tisches zu tun. Es hängt wesentlich am Tisch, wie er Wesen mit dieser Registratur erscheint. Meines Erachtens ist das nicht "subjektiv" etwa im Sinn von "privat" oder gar idiosynkratisch oder irgendetwas in der Art. Es ist auch nicht "in" mir.

In diese objektive Perspektive können sich natürlich auch private Dinge mischen, etwa wenn ich aus der Kindheit herrührend eine ausgeprägte Tischphobie hätte. Das wäre dann tatsächlich eine "subjektive" Sicht, wenn man so will, eine private "Verunreinigung" des objektiven Gesichtsfeldes (was - wie gesagt - nichts inneres ist).
Tosa Inu hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 12:50
Du kannst mir aber etwas zeigen und ich könnte das ähnlich sehen.
Das unterschreibe ich dementsprechend auch nicht wirklich. So wie ich es oben dargestellt habe, würde ich nicht sagen, dass du es ähnlich siehst und wir dann irgendwie weiter und zusammen kommen etc. p.p.... nein, ich würde statt dessen sagen, dass du die objektiven Art und Weise des Gegebenseins des Tisches ebenso erkennen kannst wie ich.

(Im Grunde ist es so ähnlich wie bei Gedanken, schätze ich. Zwar muss ich selbst denken, um einen Gedanken zu erfassen, was eine "subjektive" Leistung darstellt, aber der Gedanke ist etwas objektives, was ich selbst "bloß" erfasse und ergreife.)

Das alles ist objektiv, weil es stets nicht von dir als Privatperson abhängt, was der Fall ist. Du brauchst zwar die fragliche Registratur um das Gegebensein des Tisches zu erkennen (oder den Gedanken zu erfassen), aber das macht es nicht zu etwas subjektiven oder zu deiner bzw. meiner Perspektive, wie ich finde.




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Tosa Inu hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 12:50
Aber in der Psyche trifft sich alles und Psyche verfügt über eine andere Sprache, als das Hirn. Ich als Psyche spreche und schreibe, mein Hirn tut das nicht. Dass man mit der Sprache der Hirnaktivität Semantik erklären oder auch nur umfassen kann, hat sich bisher einfach nicht bewahrheitet. Psyche kann aber Logik verstehen und die Nachrichten, sie kann meditieren und Lust erleben, von Schönheit verzaubert werden, die Funktion des Hirn versuchen zu erfassen und auch Sport machen. Es joggt ja nicht nur der Körper.
Beim Lesen Deiner Beiträge verwischt sich mir immer mehr, was Du mit "Psyche" meinst. Mal behauptest Du, wir seien in sie "eingesperrt" und könnten die Ich-Perspektive des Erlebens, die grundsätzlich eine "verzerrende" sei, nie verlassen. Einen Solipsismus willst Du damit aber nicht vertreten. Hier nun schreibst Du der Psyche Fähigkeiten zu (kommunikative, kognitive, rationale), von denen sinnvoll nur gesprochen werden kann, wenn die Psyche keinerlei Ähnlichkeit mit einer ausbruchssicheren Gefängniszelle hat. - Es ist schwer zu ermitteln, was Du eigentlich behauptest und verteidigst.

Darum vielleicht mal zurück zum Thema dieses Strangs: Psychologismus. Worauf genau zielen seine Kritiker eigentlich? Ich greife noch einmal den Lexikon-Artikel auf, den Jörn im Eröffnungsbeitrag zitiert hat, und unterstreiche die beiden Kernpunkte:
1. Eine Form des Naturalismus, welche die Psychologie zur Grundlage aller Philosophie, erhebt. Erkenntnis - vor allem Logik - wird auf psychische Vorgänge reduziert, die Erkenntnistheorie damit auf einen Spezialfall der Psychologie. Besonders verbreitet war dieser Psychologismus gegen Ende des 19. Jh., z. B. bei Sigwardt, Wundt, T. Lipps und zum Teil bei Dilthey. Abgelehnt wurde er u. a. von Frege, Natorp und Husserl.
2. Eine radikalere Form des Psychologismus findet sich im englischen Empirismus (Hume und J. S. Mill) und im Empiriokritizismus (R. Avenarius und E. Mach). Hier wird neben der Erkenntnis auch das erkannte Objekt auf ein Bündel von Sinneswahrnehmungen (sensations, Empfindungen) oder Wahrnehmungsmöglichkeiten zurückgeführt (vgl. Phänomenalismus).
3. Bei Popper heißt eine Theorie Psychologismus , wenn für sie die Gesellschaft nicht allein ein Produkt der Individuen ist, sondern auch eine Widerspiegelung ihrer psychischen Eigenschaften.
Was also die Kritiker des Psychologismus aufs Korn nehmen, ist die Reduktion von Erkenntnis (und Erkenntnisgegenständen) auf Ereignisse, Geschehnisse, Zustände des subjektiven Erlebens. Von daher ist auch zu verstehen, warum das eigentlich eine naturalistische Position ist. Denn der Empirismus setzt ja voraus, dass es faktische Gegebenheiten seien, aus denen sich unsere Erkenntnis zusammensetze, also quasi ein unbearbeiteter, natürlicher Rohstoff. Nur dass zugleich behauptet wird, es handele sich um faktische Gegebenheiten einer eigenen Art, die sich von materiellen Gegebenheiten dadurch unterscheiden, dass sie eben mental, "geistig" oder "psychisch" seien. Der Empirismus ist also gewissermaßen ein Naturalismus des inneren, subjektiven Erlebens.

Entscheidend für die Kritik an solchen erkenntnistheoretischen Ansätzen ist aber nicht so sehr, ob es sich um "innere" (subjektive) oder "äußere" (objektive) Gegebenheiten handelt, aus denen Erkenntnisse hergeleitet werden. Entscheiden ist vielmehr, dass Erkenntnisse überhaupt als Zusammensetzungen von singulären, konkreten Gegebenheiten verstanden werden. Problematisch ist also letztlich der "Atomismus", der diesen Ansätzen zugrunde liegt: Es sind immer einzelne Gegebenheiten, die als Grundlage, als ontologisches Fundament betrachtet werden, seien es nun menschliche Individuen oder individuelle mentale Zustände und Ereignisse. Alles andere - Relationen und komplexere Ganze - wird immer als das Sekundäre betrachtet, das sich aus der Zurückführung auf die primären Entitäten, die Atome, erklären lasse.

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Deine These, wir alle seien in unser individuelles, subjektives Erleben "eingesperrt", ist im Grunde ein Atomismus des Geistes. Die individuellen Erlebniseinheiten (Subjekte mit Ich-Perspektive) werden damit zu unhintergehbaren, letzten Gegebenheiten erklärt. Geist kann daher nur dann über- oder interindividuelle Ganzheiten mit umfassen, wenn diese Ganzheiten als sekundäre Zusammensetzungen aus vielen individuellen, verzerrenden Subjekt-Perspektiven hergeleitet werden.




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Alethos
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So 12. Nov 2017, 16:02

Eure Positionen sind wahrscheinlich hoffnungslos unversöhnlich, vermute ich :) Wenn bei dir, Jörn, steht, dass Geist aussen ist, aber innen durchbricht, dann zeigt das einfach ein grundsätzlich anderes epistemologisches Konzept. Die Psyche ist ohne ein Aussen gar nicht denkbar, vermutlich nicht mal existent? Bei Tosa Inu ist Psyche etwas eindeutig Inneres, Privates, das sich selbst nicht transzendieren kann, das Aussen eine Ebene, die existenziell zweitrangig ist.

Bei Jörn sehe ich eine ‚Welt an sich’, die sich in ihrem Sosein jedem je Einzelnen perspektivisch zeigt. Die Perspektive ist das sozusagen Teilprivate oder temporär Private, d.h. nicht Exklusive, es ist nicht etwas, das sich nicht teilen liesse, vielmehr etwas, das uns immer schon als Gemeinsames gegeben ist, worauf Verstehen, Sprache etc. aufbaut. Die Erscheinungen, wenn man so will, erscheinen uns allen gleich. Bei Tosa zeigt sich die Psyche als Erscheinung selbst, die gar nicht in die Welt an sich vordringt. Es gibt ein Innen, eine Ich-Perspektive und diese ist selbstgenügsam diese je Private. Die Welt scheint keinen Weg nach Innen zu finden und braucht dort auch keinen gemeinsamen Raum zugänglich zu machen, insofern der innere Raum der relevante Raum bleibt. Ganz so, als fungierte die Realität da draussen als Unschärfe, die uns einen minimalen Referenzraum gibt, durch welchen wir uns immer wieder abstimmen resp. uns miteinander kalibrieren. Die Realität zeigt sich so als Beiläufigkeit einer Innenperspektive. Bei Jörn zeigt sich dagegen die Realität als konstitutiv für das Geisthaben überhaupt.

Ich bin gespannt, welche Argumente sich bei euch durchsetzen: Ihr seid nämlich auf bestem Wege, das Leib-Seele-Problem zu lösen. :)



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Hermeneuticus
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Dein Beitrag gefällt mir, @'Alethos', nur eine kleine Anmerkung zu Deinem Motto "Unsere Innenleben sind wahr":
Wenn sie wahr sind, sind es eigentlich keine "Innen"-Leben... ;)




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Jörn Budesheim
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Alethos hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 16:02
Die Erscheinungen, wenn man so will, erscheinen uns allen gleich.
Ich weiß nicht, ob es das trifft. Ich will sagen, dass "Perspektiven" nichts psychisches sind, auf kein Fall etwas inneres, sie sind objektiv. Sie wäre auch da, wenn ich sie nicht eingenommen hätte. Sie kommen von den Objekten selbst, es sind Eigenschaften jener Objekte. Daher ermöglichen sie Gedanken und gemeinsame Gespräche. (Wäre all das im Kopf, wären Gespräche wundersamer als Gedankenlesen oder Telepathie im Zirkus.) Und diese Perspektiven werden von den Objekten oder Tatsachen, die sie präsentieren, individuiert. Es ist eben die Braunerwohnzimmertisch-Perspektive, die sich mir heute morgen präsentierte.

Diese Perspektiven/Aspekte/Hinsichten hängen also nicht von der "jeweiligen Sicht" eines Betrachters ab.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 16:32
Ich will sagen, dass "Perspektiven" nichts psychisches sind, auf kein Fall etwas inneres, sie sind objektiv. Sie wäre auch da, wenn ich sie nicht eingenommen hätte. Sie kommen von den Objekten selbst, es sind Eigenschaften jener Objekte.
Das erscheint mir paradox. Oder besser: Es verfehlt den Sinn von "Perspektive". Denn damit ist ja eine vom Standort des Betrachters abhängige Sicht gemeint, eine Sicht, die vom jeweiligen "Blickwinkel" abhängt. Und dieser Blickwinkel ergibt sich aus der räumlichen Relation des Betrachters zum Gegenstand. Nun ist diese räumliche Relation zwischen Betrachter und Betrachtetem sicherlich "etwas Objektives"; aber sie bewirkt eben auch objektiv, dass der Betrachter an seinem jeweiligen Standort immer nur einen Teilaspekt des Gegenstandes zu Gesicht bekommen kann, d.h. von den Eigenschaften des Gegenstandes nur gerade soviel mitkriegt, wie sein Standort jeweils zulässt. - Da der Begriff der Perspektive sich gerade auf die Relation zwischen einem Betrachter und einem Gegenstand bezieht, hat es keinen Sinn, Perspektive zu etwas rein Gegenstandsbedingtem erklären zu wollen.

Aber davon abgesehen, ist die Rede von einer "Ich-Perspektive" oder "Erlebnisperspektive" eine unglückliche, missverständliche Metaphorik. Denn damit wird eine Eigenart, die zu unserer sinnlichen Wahrnehmung gehört, auch auf solches übertragen, das gar nicht sinnlich ist. Es mag ja sein, dass ich meinen Satz "Der Tisch dort ist dunkelbraun" aus einer bestimmten Perspektive, in einer bestimmten räumlichen Relation zum Tisch spreche. Diese Relation wird sogar durch das indexikalische "dort" mit ausgedrückt. Aber gerade dadurch löst sich doch der Sinn meiner Behauptung von der perspektivischen Gebundenheit meiner Wahrnehmung ab. Denn die perspektivische Zeigegeste ermöglicht es mir und meinen Gesprächspartnern, uns - aus unseren verschiedenen Perspektiven - auf denselben Gegenstand zu beziehen und etwas von ihm auszusagen, das gerade nicht von diesen Perspektiven abhängt.




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Alethos
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 16:32
Alethos hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 16:02
Die Erscheinungen, wenn man so will, erscheinen uns allen gleich.
Ich weiß nicht, ob es das trifft. Ich will sagen, dass "Perspektiven" nichts psychisches sind, auf kein Fall etwas inneres, sie sind objektiv. Sie wäre auch da, wenn ich sie nicht eingenommen hätte. Sie kommen von den Objekten selbst, es sind Eigenschaften jener Objekte. Daher ermöglichen sie Gedanken und gemeinsame Gespräche. (Wäre all das im Kopf, wären Gespräche wundersamer als Gedankenlesen oder Telepathie im Zirkus.) Und diese Perspektiven werden von den Objekten oder Tatsachen, die sie präsentieren, individuiert. Es ist eben die Braunerwohnzimmertisch-Perspektive, die sich mir heute morgen präsentierte.

Diese Perspektiven/Aspekte/Hinsichten hängen also nicht von der jeweiligen Sicht eines Betrachters ab.
Ich denke schon, dass ich dich richtig verstanden habe. Vielleicht irritiert dich hier das Wort Erscheinung, weil darin das Scheinbare oder Anscheinde (was immer man wählt) mitschwingt. Ich habe diesen Ausdruck lediglich gewählt, um überhaupt eine diskutierbare Schnittmenge zu schaffen zwischen euren Positionen. Wenn du die neo-realistische Haltung einnimmst, dass die BraunerschreibtischmitTasse-Perspektive sich dir präsentiert, Tosa Inu aber von der Ich-Perspektive, die sich auf den Tisch richtet, spricht, dann gibt es keine Schnittmengen als nur im thematisch Werden des Phänomens als Erscheinung. Du sprichst von einem Phänomen, das als Seiendes die Perspektive gibt, Tosa jedoch von der psychischen Perspektive, die das Phänomen gibt. Ihr beide sprecht aber von einem Phänomen, auf das sich unsere Sprache bezieht.

Erscheinung bedeutet in diesem Zusammenhang also nicht eine irgendwie geartete konstitutive psychischische Leistung am Tischsein, noch bedeutet es ein nicht-relationales Sein des Tisches. Denn letzteres wird durch das thematisch Sein im Diskurs widerlegt (Es ist der Tisch, auf den sich unsere Rede bezieht), ersteres durch die Tatsache, dass dieser Tisch in deinem Wohnzimmer dort steht, und er noch nie Gegenstand meiner Ich-Perspektive war.



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Alethos hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 17:33
Wenn du die neo-realistische Haltung einnimmst, dass die BraunerschreibtischmitTasse-Perspektive sich dir präsentiert, Tosa Inu aber von der Ich-Perspektive, die sich auf den Tisch richtet, spricht, dann gibt es keine Schnittmengen als nur im thematisch Werden des Phänomens als Erscheinung. Du sprichst von einem Phänomen, das als Seiendes die Perspektive gibt, Tosa jedoch von der psychischen Perspektive, die das Phänomen gibt. Ihr beide sprecht aber von einem Phänomen, auf das sich unsere Sprache bezieht.
Mir gefällt daran, wie Du die beiden Positionen gegeneinander abgrenzt und darauf dringst, dass sie etwas Gemeinsames (eine Schnittmenge) benötigen, um überhaupt sinnvoll behauptet werden zu können. Aber dass Du dieses Gemeinsame im "Phänomen" oder synonym in der "Erscheinung" suchst, erregt auch meinen Widerspruch. Denn das könnte man dahingehend missverstehen, als seien Erscheinungen die gemeinsame, solide Basis, auf die wir uns aus unseren verschiedenen Perspektiven letztlich immer nur beziehen könnten.

Ich glaube eigentlich nicht, dass es das ist, was Du sagen willst. Aber vorsorglich wende ich schon mal ein: Gerade die "Erscheinungen" sind ja das Perspektivische. Gerade darin kann es also zu keinem Konsens kommen. Wenn drei Leute um einen Dodekaeder, einen zwölfflächigen Gegenstand herumstehen, dann kann keiner an seinem Standort alle Flächen sehen. Jedem erscheint also der Gegenstand unvollständig und anders, als er seinen Mitbetrachtern erscheint. Ja, es gibt überhaupt keinen Standpunkt, von dem aus der Dodekaeder als solcher auch erscheinen könnte. D.h. verschiedene Betrachter haben - notwendiger Weise - immer verschiedene Erscheinungen desselben Gegenstandes. Also können nicht "Erscheinungen" die solide, gemeinsame Basis der Erkenntnis sein.
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Alethos hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 17:33
Vielleicht irritiert dich hier das Wort Erscheinung
Mag sein. Ich hatte oben schon Tosa Inus Formulierung "zurückgewiesen", dass uns die Dinge ähnlich erscheinen. Du schreibst: "Die Erscheinungen, wenn man so will, erscheinen uns allen gleich." Aber das trifft nicht klar den Punkt, den ich machen will. Du gehst (so scheint es mir) von den tatsächlichen Erfahrungen aus, die sich dann irgendwie ähneln. Ich sage jedoch, dass wir von Eigenschaften, Merkmale der Dinge selbst reden, die Merkmale gehören zu den Objekten selbst, sie wären auch da, wenn keiner die Objekte betrachten würde.




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Hermeneuticus hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 18:03
Also können nicht "Erscheinungen" die solide, gemeinsame Basis der Erkenntnis sein.
Das wäre nur ein gültiger Schluss, wenn die Beobachter an platonische Stühle gefesselt wären :-) Dass ein und der selbe Gegenstand viele verschiedene Eigenschaften hat, von denen verschiedene Beobachter zu verschiedenen Zeiten verschiedene erkennen, ist kein Problem - worin sollte es denn bestehen?




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