subjektiv, objektiv

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Alethos
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Fr 24. Jul 2020, 17:48

Ein Bild bspw. das ist dir in seinem Sosein gegeben in einer Weise, wie es mir nie gegeben sein kann, und ist mir in einer Weise gegeben, wie es dir nie gegeben sein kann. Obwohl der Gegenstand uns nicht ineins gegeben ist durch eine einzige Draufsicht und durch ein einziges Wahrnehmen, ist er uns als ein Gegenstand gemeinsam gegeben in der Vielheit der Wahrnehmungen.

Sein So-und-So-Sein erfassen wir unmöglich durch eine Perspektive, die sich durch ihren privilegierten Zugang zum Gegenstand als "objektivste" repräsentieren liesse. Das heisst aber nicht, dass uns das Sosein gar nicht gegeben wäre, sondern, im Gegenteil, es ist uns erst durch diese Pluralität unserer Perspektiven überhaupt gegeben.



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Alethos
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Fr 24. Jul 2020, 17:53

Wenn du es jetzt nicht verstehst, dann, fürchte ich, kann ich nicht mehr viel machen.
:roll:



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NaWennDuMeinst
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Fr 24. Jul 2020, 20:42

Alethos hat geschrieben :
Fr 24. Jul 2020, 14:18
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Fr 24. Jul 2020, 11:58
Alethos hat geschrieben :
Do 23. Jul 2020, 13:56
Die Eigenschaft des Gelbseins oder des Schönseins (falls wir es als Eigenschaft fassen wollen), ist in einem objektiven Sinn gegeben oder nicht gegeben - beides aber zugleich gegeben oder nicht gegeben.
Wir bekommen hier aber ein Logikproblem wenn wir annehmen, dass einem Gegenstand gleichzeitig objektiv gegensätzliche Eigenschaften zukommen.
Nun ja, also über Logik haben wir schon oft diskutiert. Der Grundsatz "tertium non datur", auf den du anspielst, ist ganz gewiss ein nicht wegzudenkendes Element der zweiwertigen Logik. Formal gesehen gibt es ja daran auch nichts zu deuteln: Ein Widerspruch in der Eigenschaft (contradictio in adicto) ist unzulässig und undenkbar.

Gleichzeitig können wir die Welt aber nicht allein aus der Optik der formalen Logik erfassen.
Ich meine das stimmt.
Sie liefert keine substanziellen Schlüsse.
Ich meine das stimmt nicht.
Lisa ist entweder schwanger oder nicht. Dass sie beides gleichzeitig ist, ist nicht nur formal sondern auch "substanziell" Unsinn.
In-der-Welt-Sein ist kein formal beschreibbares Vorkommnis, sondern eine leibliche, eine lebendige und in vielfältigen Relationen stattfindende fundamentalepistemologische Perspektive. Die formale Logik kann ein Schlüssel zur Erkenntnis sein, aber sie erlaubt kaum (synthetische) Urteile der Art: "Das ist schön." oder "Das ist gelb." oder "Du sollst nicht töten!".
Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir hier nicht vollends alles durcheinander würfeln. Moralische Grundsätze lassen sich nicht immer logisch erfassen. Das ist so, weil wir Menschen u.a. auch Gefühlswesen sind und Gefühle der Logik nicht immer unterzuordnen sind. Das heißt nun aber nicht das Sätze wie "Lisa ist gleichzeitig schwanger und nicht schwanger" zulässig sind. Wenn der Liverpool FC die Meisterschaft gewonnen hat, dann hat er sie nicht gleichzeitig verloren. Das ergibt keinen Sinn.
Ich würde auf eine traditionelle Verwendung von 'subjektiv' und 'objektiv' verzichten.
Das habe ich verstanden, dass Du das möchtest. Die Begründung dafür fehlt mir aber nach wie vor. Ich finde diese Unterscheidung nämlich sehr sinnvoll.
Aussagen wie "Das bildest Du dir nur ein" ergeben ja gar keinen Sinn mehr, wenn man diese Unterscheidung nicht trifft.
Und das Menschen sich Dinge auch einfach nur einbilden können, dass sie die Realität verkennen und mitunter Dinge sehen, die gar nicht da sind, das halte ich für Fakt.
Subjektiv können wir mit >Perspektive< oder >Positionalität< übersetzen, keinesfalls mit "nicht-objektiv" oder mit "nur subjektiv wahr".
Wenn jemand meint, ein bestimmtes Bild sei schön, dann gilt zwar wohl, dass es wahr ist für ihn. Aber es gilt dennoch allgemein als wahr, dass es schön ist, weil es objektiv wahr ist für ihn.
Nö. Es ist dann objektiv wahr, dass dieser Mensch das Bild für schön hält. Daraus ergibt sich aber nicht, dass das Bild unabhängig von diesem Menschen schön ist.
Es kann unmöglich die Wahrheit des Schönseins für jemanden aus dem Bestand aller Wahrheiten über einen Gegenstand ausgeschlossen werden.
Das will ja auch keiner. Dass es Menschen gibt, die glauben dass Elefanten fliegen können (wie Dumbo) ist eine Tatsache. Deshalb ist es aber noch lange keine Tatsache, dass Elefanten fliegen können.
Menschen können auch Müll reden. Nicht alles was sie von sich geben hat irgendeinen Bezug zur Wirklichkeit. Manchmal ist es auch einfach nur Nonsense den sie absondern, der einzig und allein in ihrem Kopf abgeht. Menschen können so was. Das kann eine ganz erstaunliche, bewundernswerte Gabe sein, aber manchmal auch ein richtiger Pain in the ass.
Zwar handelt es sich um ein individuelles Urteil über einen Gegenstand, aber es zählt zur vollen Wirklichkeit des Gegenstands dazu, dass er schön ist und nicht schön ist.
Nein. Es zählt dann zur vollen Wirklichkeit des Gegenstandes, dass Menschen über ihn aussagen er sei schön (oder nicht schön).
Wir reden dann aber über eine andere Eigenschaft des Gegenstands (nämlich die Eigenschaft, dass Menschen etwas über ihn aussagen).
Würde jemand jedoch sagen, dass eine Tasse ein Haus ist, so würde er sich eben irren, insofern er gegen die Regeln verstösst, bestimmte Kriterien zur begrifflichen Einordnung anzuwenden. Regelverstösse sind Verstösse gegen objektiv geltende, also an den (morphologischen, funktionalen, semantischen etc.) Strukturen der am Gegenstand selbst ermittelten Definitionen und Klassifikationen eines Gegenstands als diesen Gegenstand. Das Schönsein ist aber bezüglich diesem Umstand nicht an Klassifikationen oder Definitionen gebunden, sondern ergeben sich aus der Perspektive der Einzelnen auf ihn.
Eben. Es gibt keine allgemein anerkannte Definition von Schönheit. Und das ist kein Zufall, sondern das ist so, weil Schönheit subjektiv ist.
Es ist kein logischer Widerspruch auszumachen zwischen dem Urteil, die Blume sei blau und sie sei gelb. Es kann beides für sich genommen widerspruchsfrei als objektiv wahr gelten.
Aha. Wenn Du dem Maler sagst, er soll dein Haus gelb anstreichen, und er streicht es dir blau, dann wärst Du mit dieser Erklärung zufrieden?
Ich glaube nicht. Und wie erklärst Du dem Maler das dann? "Nein, ich meinte nicht ihr "Gelb", sondern mein Gelb!", oder wie soll ich mir das vorstellen?



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Jörn Budesheim
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Alethos hat geschrieben :
Fr 24. Jul 2020, 17:48
Ein Bild bspw.
Da steht "beispielsweise", heißt das, dass man dort statt Bild auf einfach Schuhe oder Stein einsetzen könnte, ohne dass du am Rest des Textes etwas ändern müsstest?




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Alethos
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Fr 24. Jul 2020, 21:34

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Fr 24. Jul 2020, 20:42
Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir hier nicht vollends alles durcheinander würfeln. Moralische Grundsätze lassen sich nicht immer logisch erfassen. Das ist so, weil wir Menschen u.a. auch Gefühlswesen sind und Gefühle der Logik nicht immer unterzuordnen sind. Das heißt nun aber nicht das Sätze wie "Lisa ist gleichzeitig schwanger und nicht schwanger" zulässig sind. Wenn der Liverpool FC die Meisterschaft gewonnen hat, dann hat er sie nicht gleichzeitig verloren. Das ergibt keinen Sinn.
Über eine Lisa haben wir schon mal gestritten, damals war sie die (nach ihm) nicht existierende Schwester von jemandem. :)

Ich werde nicht einzeln auf deine Einwürfe eingehen, weil gerade das letzte Beispiel deiner Ausführungen zeigt, dass du meine Unterscheidung zwischen pragmatischem Wahrheitsbegriff und ontischer Wahrheitsdefinition nicht anerkennst. Wie gesagt: Wir werden nicht über die gelbe Blume streiten, wenn sie denn gelb ist, und gelb ist sie, wenn sie alle anderen Farben eben nicht ist. Und ich werde mich beim beauftragten Maler darauf verlassen, dass er ein ebenso pragmatisches Wirklichkeitsverständnis hat.

Aber es gibt da einen Umstand, den wir berücksichtigen müssen: Unsere epistemischen Apparaturen (Sinne, begriffliche Schemata) sind nicht die alleinigen Zugänge zur Welt. Es gibt offenbar Lebewesen, die die Wirklichkeit anders betrachten, weil ihre Sinne schärfer oder stumpfer, für dieses und jenes geöffnet oder verschlossen sind. Das gehört ebenso zur Wirklichkeit dazu, dass es eine anders rezipierte Welt gibt, die aber nicht minder wirklich ist, als die durch uns so wahrgenommene. Die Unterscheidung, die ich machen will zwischen pragmatischem und phänomenologischem Wahrheitsbegriff versucht zumindest, diesem Umstand Rechnung zu tragen und die anthropozentrische Perspektive zu erweitern. Denn eines ist ebenso Fakt: Es gibt nicht nur Menschen, die zur Welt in propositionalem Verhältnis stehen, sondern auch Bienen, Hunde, Fledermäuse und Ultraviolettkameras (u.a.).

Was die schwangere Lisa angeht: Hier habe ich zu zeigen versucht, dass ein Widerspruch bei wesentlichen Eigenschaften eines Seienden unzulässig sind. So wie die Kugel keine Ecken haben kann, kann eine Schwangere nicht kein Kind in sich tragen. Das ist aber kein substanzielles Urteil, auch wenn es von substanzieller Bedeutung für Lisa ist, ob sie schwanger oder nicht schwanger ist, es ist ein rein analytisches Urteil: Wenn ein Lebewesen (Säugetier) Nachwuchs in sich trägt, gilt es als schwanger (Definition ist hier Prämisse). Prämisse ist auch, dass Lisa Nachwuchs in sich trägt, daraus folgt die Konklusion in einem analytischen Schluss, dass sie schwanger ist. Das ist kein synthetisches Urteil mit Bezug aufs Schwangersein, denn Schwangersein hat notwendigerweise zur Bedingung, Nachwuchs in sich zu tragen.

Aber schön ist etwas nicht notwendigerweise, aber falls es schön ist für jemanden, kann man nicht im Umkehrschluss sagen, es sei nicht objektiv gesehen schön für ihn. Und dass dies eine subjektiv empfundene resp. perspektivische Schönheit ist, tut der Wirklichkeit keinen Abbruch. Es ist objektiv schön für ihn. Nun aber ist nicht irgendetwas schön für ihn, sondern dieser Gegenstand. Dieser Gegenstand ist schön (für ihn). Das "für ihn" ist mit Bezug auf die Wahrheit über diesen Gegenstand unerheblich: Wir können verlustfrei sagen, dass er schön ist und widerspruchsfrei behaupten, dass er nicht schön ist. Beides kann toleriert werden unter dem Gesichtspunkt der Logik, so wie ich mit der untergegangenen Sonne zu zeigen versucht habe. Sie kann sowohl als auch untergegangen und nicht untergegangen sein: dieselbe Sonne zum selben Zeitpunkt - nur aus anderen Blickwinkeln. Und wir dürfen (und können) diese Blickwinkel nicht aus der Objektivität herausrechnen, weil sie fundamental zur Ontologie der Dinge dazugehören. Das lehrt nicht nur die Quantentheorie, sondern auch der philosophische Realismus. Darüber könnten wir gerne lange streiten, aber im Grunde entspringt diese Ansicht dem Existenz-Konzept der Sinnfeldontologie, die Markus Gabriel mitentwickelt hat: Existenz hat keinen Allquantor: Über Lisa bspw. kann nicht in einem allumfassenden Sinn gesagt werden, es gebe sie nicht (selbst, wenn sie im Universum nirgends als fleischliches Wesen vorkommt), denn wenigstens gibt es Lisa als Name in diesem Text und als vorgestellte Person in meinem Gedanken.
Existieren ist daran gebunden, in einer bestimmten Weise gegeben zu sein, also in einem bestimmten Sinn vorzukommen und es gilt für Lisa wie für alle Gegenstände. dass es nicht einen alles umfassenden Sinn ihres Seins gibt.

Diese Überlegungen sind die Grundlage meines Vorschlags, die Perspektive (als Frege'schen Sinn von Gegebenheit) zur Existenz des Seienden hinzuzuzählen.
Zuletzt geändert von Alethos am Fr 24. Jul 2020, 22:32, insgesamt 1-mal geändert.



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Fr 24. Jul 2020, 21:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 24. Jul 2020, 21:04
Alethos hat geschrieben :
Fr 24. Jul 2020, 17:48
Ein Bild bspw.
Da steht "beispielsweise", heißt das, dass man dort statt Bild auf einfach Schuhe oder Stein einsetzen könnte, ohne dass du am Rest des Textes etwas ändern müsstest?
Ja.



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NaWennDuMeinst
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Sa 25. Jul 2020, 03:58

Alethos hat geschrieben :
Fr 24. Jul 2020, 21:34
Aber es gibt da einen Umstand, den wir berücksichtigen müssen: Unsere epistemischen Apparaturen (Sinne, begriffliche Schemata) sind nicht die alleinigen Zugänge zur Welt. Es gibt offenbar Lebewesen, die die Wirklichkeit anders betrachten, weil ihre Sinne schärfer oder stumpfer, für dieses und jenes geöffnet oder verschlossen sind.
Ja, das ist so. Aber was ich Dir begreiflich machen will ist, dass das für das was wir hier besprechen vollkommen irrelevant ist.
Auch ein Ausserirdischer mit fünf Armen und 8 Augen wird anerkennen müssen, dass der Gegenstand vor uns Licht in einer ganz bestimmten eng eingegrenzten Wellenlänge reflektiert. Und zwar in einer Wellenlänge die bei uns (nicht bei ihm) die Empfindung "gelb" auslöst.
Da kann er von mir aus dazu eine ganz andere Empfindung haben, aber das ändert nichts daran, dass der Gegenstand das reflektiert, was er nun mal reflektiert.
Und jetzt kommen wir zu dem logischen Problem, das eben nicht nur ein formales Problem ist. Er kann unter keinen Umständen sinnvoll behaupten, der Gegenstand würde diesen Bereich des Lichts reflektieren und gleichzeitig auch nicht. Das ist nicht nur formal Unsinn, es ist einfach nicht möglich.
Es mag in der Quantenmechanik gelten, dass Zustände nicht definiert sind. Aber das trifft auf den Bereich über den wir hier reden (die makroskopische Welt) nicht zu, denn hier sind die Zustände eindeutig definiert. Und deshalb reflektiert die Blume Licht in den Wellenlängen zwischen 565 und 575 nm oder sie tut es nicht. Aber sie kann nicht beides gleichzeitig tun.
Das gehört ebenso zur Wirklichkeit dazu, dass es eine anders rezipierte Welt gibt, die aber nicht minder wirklich ist, als die durch uns so wahrgenommene. Die Unterscheidung, die ich machen will zwischen pragmatischem und phänomenologischem Wahrheitsbegriff versucht zumindest, diesem Umstand Rechnung zu tragen und die anthropozentrische Perspektive zu erweitern. Denn eines ist ebenso Fakt: Es gibt nicht nur Menschen, die zur Welt in propositionalem Verhältnis stehen, sondern auch Bienen, Hunde, Fledermäuse und Ultraviolettkameras (u.a.).
Das ist alles richtig. Es ist aber nicht richtig, dass Gegensätze nur in der formalen Logik eine Rolle spielen.
Es geht hier nicht um Wahrnehmung. Die kann unterschiedlich sein und verschiedene Wahrnehmungen können bei der Erkenntnis über einen Gegenstand ergänzend wirken.
Das heißt aber nicht, dass bei gegensätzlichen Wahrnehmungen der Gegenstand tatsächlich gegensätzliche Eigenschaften hat.
Wenn Hans sagt, dass Lisa schwanger ist und Lutz sagt Lisa sei gleichzeitig nicht schwanger, dann heißt das nicht, dass Lisa gleichzeitig schwanger und nicht schwanger ist (denn Lisa und ihr Körper können nur einen von beiden gegensätzlichen Zuständen gleichzeitig annehmen). Die Erklärung dafür, dass es über den Zustand von Lisa gegensätzliche Wahrnehmungen gibt ist nicht bei Lisa zu suchen, sondern bei den Wahrnehmenden. Beim SUBJEKT!
Und genau deshalb brauchen wir diese Unterscheidung. Weil wir sonst nämlich nicht erklären können wie es zu diesen offensichtlich nicht miteinander zu vereinbarenden Wahrnehmungen und Aussagen kommt.
Was die schwangere Lisa angeht: Hier habe ich zu zeigen versucht, dass ein Widerspruch bei wesentlichen Eigenschaften eines Seienden unzulässig sind. So wie die Kugel keine Ecken haben kann, kann eine Schwangere nicht kein Kind in sich tragen. Das ist aber kein substanzielles Urteil, auch wenn es von substanzieller Bedeutung für Lisa ist, ob sie schwanger oder nicht schwanger ist, es ist ein rein analytisches Urteil: Wenn ein Lebewesen (Säugetier) Nachwuchs in sich trägt, gilt es als schwanger (Definition ist hier Prämisse). Prämisse ist auch, dass Lisa Nachwuchs in sich trägt, daraus folgt die Konklusion in einem analytischen Schluss, dass sie schwanger ist. Das ist kein synthetisches Urteil mit Bezug aufs Schwangersein, denn Schwangersein hat notwendigerweise zur Bedingung, Nachwuchs in sich zu tragen.
Dass Lisa schwanger ist (und dann nicht gleichzeitig nicht schwanger sein kann) hat nichts mit irgendwelchen Urteilen und Definitionen zu tun. Dieser Fakt (dass sie schwanger ist) ist davon völlig unabhängig. Auch wenn 100% der Menschheit heute die Definition von "schwanger" ins Gegenteil umkehren und alle sich weigern Lisa als "trächtig" anzusehen, wird sie nach neun Monaten ein Kind zur Welt bringen (wenn alles nach Plan verläuft). Das ist nicht von unserer Meinung oder unserem Verständnis des Vorgangs, oder unserer Wahrnehmung abhängig. Und das ist auch nicht von Ausserirdischen mit 8 Augen abhängig. Das ist einfach ein Fakt. Genauso wie es Fakt ist, dass Lisa nicht zwei sich gegenseitig ausschliessende Zustände gleichzeitig annehmen kann (sie kann nicht gleichzeitig schwanger und nicht schwanger sein).
Aber schön ist etwas nicht notwendigerweise, aber falls es schön ist für jemanden, kann man nicht im Umkehrschluss sagen, es sei nicht objektiv gesehen schön für ihn. Und dass dies eine subjektiv empfundene resp. perspektivische Schönheit ist, tut der Wirklichkeit keinen Abbruch. Es ist objektiv schön für ihn.
Aber verstehst Du nicht, dass
"Das Bild ist schön"
ein anderes Urteil ist als
"Das Bild ist für ihn schön"?
Das ist eine völlig andere Aussage. Es mag ja objektiv so sein (also eine Tatsache sein), dass Hans das Bild schön findet.
Daraus folgt aber nicht, dass dem Bild die Eigenschaft schön zukommt. Daraus folgt höchstens, dass das Bild defacto FÜR JEMANDEN schön ist. Für Hans in diesem Beispiel.
Wenn Hans glaubt, dass Elefanten fliegen können, dann ist das zwar Fakt, dass Hans das glaubt. Daraus folgt aber nicht, dass Elefanten wirklich fliegen können.
Dass Menschen Bilder schön finden zeigt nicht, dass Bilder eine objektive Eigenschaft "schön" haben.
Das könnte zwar trotzdem der Fall sein, aber es folgt einfach daraus nicht. Weder logisch noch sonstwie.
Diese Abgrenzung von subjektiver Wahrnehmung und objektiver Wirklichkeit ist wichtig, denn andernfalls müssten wir auch die Inhalte der deliriösen Wahrnehmungen eines Geisteskranken als zum objektiven Teil der Wirklichkeit gehörend erklären. Das kannst Du gerne machen. Ich mache das nicht.
Das lehrt nicht nur die Quantentheorie
Die Quantentheorie lehrt mit keinem Wort, dass in der makroskopischen Welt Zustände beliebig sind und Gegenstände gleichzeitig gegensätzliche Zustände annehmen können.
Das ist ein ganz arges Missverständnis. Wenn Du lebendig bist, bist Du nicht gleichzeitig tot. Das sind Zustände die sich gegenseitig ausschliessen. Genauso wie Du nicht hier und gleichzeitig 500 Kilometer weit weg sein kannst. Es sei denn Jemand hat dich in zwei Tele gehackt.
, sondern auch der philosophische Realismus. Darüber könnten wir gerne lange streiten, aber im Grunde entspringt diese Ansicht dem Existenz-Konzept der Sinnfeldontologie, die Markus Gabriel mitentwickelt hat: Existenz hat keinen Allquantor: Über Lisa bspw. kann nicht in einem allumfassenden Sinn gesagt werden, es gebe sie nicht (selbst, wenn sie im Universum nirgends als fleischliches Wesen vorkommt), denn wenigstens gibt es Lisa als Name in diesem Text und als vorgestellte Person in meinem Gedanken. Existieren ist daran gebunden, in einer bestimmten Weise gegeben zu sein, also in einem bestimmten Sinn vorzukommen und es gilt für Lisa wie für alle Gegenstände. dass es nicht einen alles umfassenden Sinn ihres Seins gibt.
Dass Lisa in einem Roman nicht schwanger sein könnte, ändert nichts daran, dass die andere Lisa nicht gleichzeitig schwanger und nicht schwanger sein kann.
Das kann sie übrigens in gar keinem Sinnfeld, wenn man logisch konsistent bleiben will.
Die Flucht in irgendwelche Sinnfelder hilft da nicht weiter.
Und ich sehe auch nicht, wie es uns bei der Frage weiterhilft ob ein bestimmter Gegenstand objektiv (im Sinn von Davidson) schön ist.
Und zwar deshalb nicht, weil zu der Beantwortung dieser Frage zuerst eine anerkannte Definition von Schönheit nötig ist. Die es nicht gibt.



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Jörn Budesheim
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Sa 25. Jul 2020, 06:17

Ich will mal ein ganz kleines Gedankenexperiment vorschlagen.

Nehmen wir folgendes Prädikat: "töß". Manche Dinge erscheinen Hans töß, nicht aber Maria, Ulla, Peter und Franz. Töß ist daher im folgenden Sinne "subjektiv": nur Hans selbst weiß aus seiner privaten Innerlichkeit, wie es ist, wenn etwas für ihn töß ist. Auch Ulla, Peter und Franz nutzen das Prädikat "töß". Denn jede:r weiß nur von sich selbst, wie es ist im töß-Zustand zu sein. Der Zustand selbst, so wollen wir uns vorstellen, ist ein vergleichsweise ruhiger innerer Zustand, er verursacht keine besonderen körperlichen Äußerungen, etwa Gesichtsausdrücke, Gesten oder dergleichen mehr, er ist halt innerlich. Das gleiche wie zuvor gesagt gilt für die verschiedenen Prädikate zuhn, hung und pul.

Die Frage ist, wie können sich Hans, Maria, Ulla, Peter und Franz mit diesen Prädikaten austauschen? Woher wissen sie, was ein jeder und eine jede meint, wenn sie die jeweiligen Prädikate nutzen? Wie verstehen sie die Unterschiede zwischen zuhn, hung und pul und töß? Wie lernen die Kinder diese Prädikate? Und wenn Fremde kommen, wie bringt man ihnen bei, was die Wörter bedeuten?




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Sa 25. Jul 2020, 06:30

Alethos: du kannst allerdings für dich keinen Realismus in Fragen der Schönheit reklamieren, wenn du im Grunde die antirealistische Position vertrittst, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Auch der Verweis auf Frege und Gabriel ist dann verfehlt, denn Arten des Gegebenseins und Perspektiven sind für beide etwas objektives.




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Sa 25. Jul 2020, 06:43

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 03:58
eine anerkannte Definition
Es gibt jedoch auch keine anerkannten Definitionen von Wahrheit, Grund, Kausalität, Wahrnehmung, Liebe, Würde, Existenz, Sein, Welt, Bewusstsein, Vernunft etc.

Wie auch immer: Stellen wir uns vor, mit Definition sei folgendes gemeint, ich schätze, etwas in der Art schwebt dir vor: es gibt einen Begriff der zu definieren ist x und eine Definition, die ihn definiert D. Eine klassische Definition sieht dann so aus:

x=D

Wie sieht es mit dem Ausdrücken aus, die wir in D verwenden? Wenn diese nicht bloß subjektiv sein sollten, müssten sie entsprechend deiner Forderung ihrerseits definiert werden. Dann jedoch ergibt sich das gleiche Problem von neuem. Diese Ausdrücke werden definiert und die Ausdrücke, die in der Definition verwendet werden, müssen selbst definiert werden. Damit kommt man in einem unendlichen Regress. Was letztlich bedeuten würde, dass gar nichts definiert wurde, wenn diese Forderung nach Definitionen sinnvoll wäre. Alle unsere Ausdrücke würden dann in der Luft hängen.

Eine andere Frage: weiter oben wurde vorgeschlagen, gelb mittels Wellenlängen zu definieren. Nun ist das physikalische Wissen, dass in dieser Definition zur Anwendung kommt, relativ jung. Heißt das, dass die Menschen, sagen wir vor 1000 Jahren, gar nicht wussten, wovon sie sprechen, wenn sie das Prädikat gelb verwendet haben?

Entsprechend wird manchmal vorgeschlagen, Wasser chemisch zu definieren als H2O. Allerdings führen unsere Flüsse, auch die sauberen kein H2O, sonst könnten darin z.b. keine Fische leben. Wenn wir ans Meer fahren, könnten wir nicht ins Wasser gehen, wenn wir am Strand sind, weil es dort nichts gibt, was der Definition entspricht. Aus diesem Grund wurde in der entsprechenden philosophischen Diskussion (ich kenne sie jedoch nur aus einer Vorlesung) vorgeschlagen, dass es genügt, dass zu einem großen Teil H2O vorliegt. Einer der Philosophen hat wagemutig zwei Drittel vorgeschlagen, falls ich mich richtig erinnere. Allerdings handelt man sich damit das Problem ein, dass man nicht mehr ohne weiteres zwischen Wasser, Gurke, Mensch und Capri-Eis unterscheiden kann, weil all das zum größten Teil aus H2O besteht + gewissen "Verunreinigungen". Das ganze ließe sich natürlich noch detaillierter ausbreiten, aber es zeigt recht schön, in welche Teufelsküche man kommen kann, wenn man sich auf solche naturalistischen Definition einlässt.




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Sa 25. Jul 2020, 08:51

Wie definiert man rechts und links?

Interessante Artikel zum Thema Rechts-Links-Schwäche und egozentrische versus allozentrische Orientierung > https://www.wissenschaft.de/gesundheit- ... heitern-2/




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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 03:58
Das heißt aber nicht, dass bei gegensätzlichen Wahrnehmungen der Gegenstand tatsächlich gegensätzliche Eigenschaften hat.
Doch wenn man die Gesetze der Logik akzeptiert (was ich tue), das tertium non datur in diesem Fall, dann kann es gar keine gegensätzlichen Wahrnehmungen geben. Wenn sowohl Hans als auch Peter glauben, wahrgenommen zu haben, dass Lisa schwanger ist, dann muss mindestens einer von beiden sich irren.

Ob es nämlich eine Wahrnehmung war oder eine Täuschung bzw. eine vermeintliche Wahrnehmung, das entscheidet sich an den Tatsachen.




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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 03:58
Alethos hat geschrieben :
Fr 24. Jul 2020, 21:34
Aber es gibt da einen Umstand, den wir berücksichtigen müssen: Unsere epistemischen Apparaturen (Sinne, begriffliche Schemata) sind nicht die alleinigen Zugänge zur Welt. Es gibt offenbar Lebewesen, die die Wirklichkeit anders betrachten, weil ihre Sinne schärfer oder stumpfer, für dieses und jenes geöffnet oder verschlossen sind.
Ja, das ist so. Aber was ich Dir begreiflich machen will ist, dass das für das was wir hier besprechen vollkommen irrelevant ist.
Auch ein Ausserirdischer mit fünf Armen und 8 Augen wird anerkennen müssen, dass der Gegenstand vor uns Licht in einer ganz bestimmten eng eingegrenzten Wellenlänge reflektiert. Und zwar in einer Wellenlänge die bei uns (nicht bei ihm) die Empfindung "gelb" auslöst.
Da kann er von mir aus dazu eine ganz andere Empfindung haben, aber das ändert nichts daran, dass der Gegenstand das reflektiert, was er nun mal reflektiert.
Und jetzt kommen wir zu dem logischen Problem, das eben nicht nur ein formales Problem ist. Er kann unter keinen Umständen sinnvoll behaupten, der Gegenstand würde diesen Bereich des Lichts reflektieren und gleichzeitig auch nicht. Das ist nicht nur formal Unsinn, es ist einfach nicht möglich.
Das ist ja alles richtig, was du sagst. Der Gegenstand reflektiert entweder Licht mit dieser Wellenlänge oder nicht.
Nur: Die Wellenlänge ist nicht Gelb (oder sonst eine Farbe), sondern sie erzeugt die Farbempfindung in Subjekten, z.B. in menschlichen oder nicht-menschlichen. Dass da Wellen ins Universum abstrahlen, das ist keine hinreichende Bedingung fürs Gelbsein.

"Das leuchtet gelb" ist ein Urteil und es ist ein objektives Urteil, wenn wir es am Gegenstand ablesen. "Ablesen" bedeutet aber eine Tätigkeit von Subjekten und es ist undenkbar, dass das Urteil möglich wäre, ohne Subjekte. Ist das Urteil "das leuchtet gelb" deswegen subjektiv? Ja! Nur ist es deswegen nicht minder objektiv.

Das ist keine antirealistische Position, weil ich nicht behaupte, dass die Eigenschaften der Dinge im Subjekt erst entstehen. Es handelt sich sogar ganz im Gegenteil um eine realistische Position, weil ich das Subjektive, die sogenannt "inneren" Einstellungen, nicht aus der Wirklichkeit der Dinge herauszurechnen versuche, sondern die Bezugnahme des Subjekts auf den Gegenstand als zwischen ihnen stattfindende Konstitution des Phänomens und damit wirklich beschreibe.

Lisa ist ein Mensch, nicht weil sie ein Atomhaufen ist, sie ist ein Mensch, weil sie unter anderem ein Subjekt unter Subjekten ist, die sich gegenseitig und für sich selbst empfinden. Das Menschsein verwirklicht sich doch bitte nicht hinreichend mit dem Umstand der so und so zu einem molekularen Körper angeordneten Atome.

Überhaupt kein Gegenstand wäre als dieser Gegenstand hinreichend verwirklicht, ohne es würden die Relationen hinzugerechnet, die Subjekte und Gegenstand miteinander verbinden. Es reicht eben nicht hin, die physikalische Dimension ungeachtet unserer Draufsichten zu beschreiben, um erklären zu können, dass das da, das da ist, denn das da wäre physikalisch gesehen nicht das, als was wir es begreifen, wenn es unsere strukturierende Wahrnehmung (begriffliche und sinnliche) nicht gäbe. Ein aus Atomen allein bestehender Gegenstand kann nie ein Haus oder ein Elefant sein, eine Tasse oder ein Stein. Das alles sind Begriffe und sie sind undenkbar ohne urteilende Subjekte.

Auf der atomaren Ebene gäbe es nur über Anziehungs- und Abstossungskräfte realisierte Elektrizitätspakete. Das sind keine makroskopischen Gegenstände in dem Sinne, wie wir über sie objektiv reden. Wir reden über sie aus der Optik unserer so und so verfassten Wahrnehmungsfähigkeiten: Das ist die Wirklichkeit, die wir beschreiben - eine durch unsere menschliche Subjektivität so erscheinende Wirklichkeit.

Und nochmal: Das ist kein Konsensualismus oder Relativismus oder gar ein Antirealismus: Die Wirklichkeit erscheint uns objektiv so, weil es die Gegenstände sind, die in unseren Präpositionen tagen.
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 03:58
Wenn Hans sagt, dass Lisa schwanger ist und Lutz sagt Lisa sei gleichzeitig nicht schwanger, dann heißt das nicht, dass Lisa gleichzeitig schwanger und nicht schwanger ist
Okay, das habe ich verstanden. Sie kann nicht gleichzeitig schwanger und nicht schwanger sein. Sie kann aber gleichzeitig schön und nicht schön sein. So wie sie gleichzeitig gross und klein sein kann oder dick und dünn, leicht und schwer, zickig und nicht zickig etc.. Diese Eigenschaften sind relational, d.h. sie ergeben nur Sinn in Relationen. Sie kann übrigens auch ganz gelb und zugleich ganz violett sein.
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 03:58
Aber verstehst Du nicht, dass
"Das Bild ist schön"
ein anderes Urteil ist als
"Das Bild ist für ihn schön"?
Das ist eine völlig andere Aussage.
Nein, ich halte das für ein und dieselbe Aussage. Schönheit ergibt nur Sinn, wenn sie für jemanden ist - sie ist immer die Schönheit, die jemand empfindet. Deshalb gelten die Urteile "Das ist (nicht) schön" objektiv als Verhältnis von Betrachter und Betrachtetem. Man kann "für mich" oder "für dich" verlustfrei streichen.

Das bedeutet aber nicht, dass, wenn wir sagen, dieser Gegenstand sei schön, ihm diese Eigenschaft durch sich selbst und durch sich allein zukommt. Das halte ich gerade nicht für eine brauchbare Definition von Objektivität, dass wir meinen sagen zu müssen, objektiv sei eine Eigenschaft, die dem Gegenstand für sich selbst zukommt.
Selbstverständlich hat der Gegenstand diese und diese Eigenschaften, er ist so und so konstituiert, er hat diese und diese Form, besteht aus diesem und jenem Material, aber gerade deshalb besitzt der Gegenstand jene Eigenschaften, die ihn zu einem schönen und nicht-schönen Gegenstand zugleich machen können - je nach Perspektive - zu einem schönen und zugleich nicht-schönen.

Diese Unterscheidung erachte ich als wichtig. Wenn wir nämlich sagen würden, dass das Urteil: "Das ist schön!" rein subjektiv sei und dabei meinen würden, dass es nur im Subjekt die Eigenschaft >schön< entwickelt, dann würde das Urteil "Das ist schön" gar nicht auf >Das< gehen, nicht auf den Gegenstand gehen können. Der Gegenstand hat aber objektive Formen, die daran massgeblich partizipieren, dass er ein Wohlempfinden (oder Unwohlempfinden) anregen kann. Es ist die Schönheit oder Hässlichkeit des Gegenstandes und nicht die im Subjekt allein erscheinende Schönheit, die wir in unseren Urteilen ausdrücken.

Darum ist, Jörn, dein Hinweis verfehlt. Die Schönheit liegt nach meinem Verständnis nicht im Auge des Betrachters, sondern in der Nähebeziehung von Betrachter und Betrachtetem - zwischen ihnen - als reale ontologische Größe.



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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 06:43
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 03:58
eine anerkannte Definition
Es gibt jedoch auch keine anerkannten Definitionen von Wahrheit, Grund, Kausalität, Wahrnehmung, Liebe, Würde, Existenz, Sein, Welt, Bewusstsein, Vernunft etc.

Wie auch immer: Stellen wir uns vor, mit Definition sei folgendes gemeint, ich schätze, etwas in der Art schwebt dir vor: es gibt einen Begriff der zu definieren ist x und eine Definition, die ihn definiert D. Eine klassische Definition sieht dann so aus:

x=D

Wie sieht es mit dem Ausdrücken aus, die wir in D verwenden? Wenn diese nicht bloß subjektiv sein sollten, müssten sie entsprechend deiner Forderung ihrerseits definiert werden. Dann jedoch ergibt sich das gleiche Problem von neuem. Diese Ausdrücke werden definiert und die Ausdrücke, die in der Definition verwendet werden, müssen selbst definiert werden. Damit kommt man in einem unendlichen Regress. Was letztlich bedeuten würde, dass gar nichts definiert wurde, wenn diese Forderung nach Definitionen sinnvoll wäre. Alle unsere Ausdrücke würden dann in der Luft hängen.
Ich würde sagen D entsteht durch intersubjektive Übereinkunft. Um überhaupt Erkenntnis über die Welt erlangen zu können ist es nötig sich auf einen gemeinsamen Bezugsrahmen zu einigen in dem es möglich wird überhaupt einen feststehenden Wahrheitswert anzunehmen. Sonst passiert das, was Du oben beschreibst. Jeder hat seinen eigenen Bezugsrahmen und alles ist gleichermaßen wahr wie unwahr.
In der Naturwissenschaft wäre ein solcher gemeinsamer Bezugsrahmen, dass man allgemein annimmt eine Theorie sei brauchbar, wenn sie erfolgreich Vorhersagen treffen kann (Definition einer guten Theorie). In der Physik hat man lange vor der Entdeckung schwarzer Löcher die Existenz solcher Gebilde vorhergesagt. Wenn unsere Theorien stimmen, dann muss es solche Gebilde irgendwo im Universum geben. Und was soll ich sagen: Man hat sie später auch gefunden. Das ist ein starkes Indiz dafür, dass unsere Theorien zumindest nicht ganz falsch sind und dass man mit einem solchen Definition von Theorie Erkenntnis erlangen kann.
Aus dem Umstand, dass wir bei der Findung von Definition immer wieder auf unsere eigene Vorstellungskraft zurückgeworfen werden, folgt nicht, dass jede Vorstellung gleichermaßen in der Lage ist Erkenntnis zu generieren.
Vorstellungen müssen sich bewähren. Definitionen auch. Und dort wo es keine Definitionen gibt, ist auch keine Erkenntnis möglich. Ich wüsste jedenfalls nicht wie.



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Alethos hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 11:04
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 03:58
Aber verstehst Du nicht, dass
"Das Bild ist schön"
ein anderes Urteil ist als
"Das Bild ist für ihn schön"?
Das ist eine völlig andere Aussage.
Nein, ich halte das für ein und dieselbe Aussage.
Ok, hier gehen unsere Vorstellungen offenbar stark auseinander.
Wenn ein psychisch kranker Mensch annimmt wir alle seien getarnte Ausserirdische die ihn fangen und verspeisen wollen, dann gibt es für mich einen Unterschied zwischen dem wie er die Welt wahrnimmt und wie sie wirklich ist.
Aus "Für ihn bist Du ein menschfressendes, ausserirdisches Monster" kann ich nicht "Du bist ein menschfressendes, ausserirdisches Monster" machen.
Auch vollkommen gesunde Menschen können der Welt und den Gegenständen in ihr Eigenschaften zuordnen, die sie tatsächlich nicht haben. Man nennt das Phantasie. Menschen können über die Welt phantasieren.
Und diesem Umstand muss man irgendwie Rechnung tragen. Man kann nicht sagen alles was sich Menschen ausdenken oder was sie empfinden sei eine zulässige Beschreibung der Welt.
Sonst müssten wir es auch als zulässige Beschreibung der Welt anerkennen, dass marodierende Orks durch unsere Straßen ziehen und Jedi-Ritter sich in Deiner Wohnung mit Sith-Lords duellieren.
Diese Unterscheidung erachte ich als wichtig. Wenn wir nämlich sagen würden, dass das Urteil: "Das ist schön!" rein subjektiv sei und dabei meinen würden, dass es nur im Subjekt die Eigenschaft >schön< entwickelt, dann würde das Urteil "Das ist schön" gar nicht auf >Das< gehen, nicht auf den Gegenstand gehen können. Der Gegenstand hat aber objektive Formen, die daran massgeblich partizipieren, dass er ein Wohlempfinden (oder Unwohlempfinden) anregen kann.
Sicher. Wenn Jemand ein Bild schön findet, dann findet er ja genau das Bild schön und nicht irgend ein anderes das irgendwie anders gestaltet ist. Insofern ist die Gestalt des Bildes "mitverantwortlich" dafür, dass der Betrachter es schön findet.
Allerdings bedeutet das mMn nicht, dass das Schöne irgendwie aus dem Bild kommen würde, dass das Schöne eine Eigenschaft des Bildes wäre. Denn wenn das der Fall wäre, müsste ja alle Betrachter zu dem selben Schluß kommen: Das Bild würde dann bei jedem Betrachter immer die Empfindung "Das ist schön" auslösen. Da das aber offensichtlich nicht so ist, muss ja noch irgend was anderes darüber entscheiden, ob wir etwas schön finden oder nicht. Und was kann das denn sein?

Es ist die Schönheit oder Hässlichkeit des Gegenstandes und nicht die im Subjekt allein erscheinende Schönheit, die wir in unseren Urteilen ausdrücken.
Ich würde sagen es gehört zu den Eigenschaften von menschlichen Betrachtern, dass Gegenstände in ihnen ästhetische Empfindungen auslösen können.
Wir sind halt so "konstruiert", dass wir diese Empfindungen haben können.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Sa 25. Jul 2020, 12:37, insgesamt 1-mal geändert.



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Sa 25. Jul 2020, 12:36

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 12:08
Ich würde sagen D entsteht durch intersubjektive Übereinkunft. Um überhaupt Erkenntnis über die Welt erlangen zu können ist es nötig sich auf einen gemeinsamen Bezugsrahmen zu einigen in dem es möglich wird überhaupt einen feststehenden Wahrheitswert anzunehmen.
Was bedeutet es denn für die Objektivität von Lisas Schwangerschaft, dass die Definition von Schwangerschaft von unserer Übereinkunft abhängt?



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Sa 25. Jul 2020, 12:43

Alethos hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 12:36
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 12:08
Ich würde sagen D entsteht durch intersubjektive Übereinkunft. Um überhaupt Erkenntnis über die Welt erlangen zu können ist es nötig sich auf einen gemeinsamen Bezugsrahmen zu einigen in dem es möglich wird überhaupt einen feststehenden Wahrheitswert anzunehmen.
Was bedeutet es denn für die Objektivität von Lisas Schwangerschaft, dass die Definition von Schwangerschaft von unserer Übereinkunft abhängt?
Es geht bei dem Beispiel um den Gegensatz. Die Definition von "Schwangerschaft" könnte auch irgend eine andere sein. Das würde aber nichts daran ändern, dass sich ausschliessende Gegensätze nicht gleichzeitig wahr sein können.

Das andere ist die Frage wie Definitionen zustande kommen und wie wir merken, dass wir eine gute Definition gefunden haben.
Wenn ich vorhersagen kann, dass Lisa nach einem Geschlechtsakt neun Monate später (Edit: 10 sind es) ein Kind zur Welt bringt, habe ich offenbar etwas verstanden.
Das heißt die Definition hat sich bewährt und ist brauchbar.



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Alethos hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 11:04
Darum ist, Jörn, dein Hinweis verfehlt.
Meines Erachtens ist deine Position ein Musterbeispiel des ästhetischen Antirealismus. Wenn Hans hinschaut ist es schön, schaut hingegen Uli hin, ist es nicht schön. Den Unterschied machen hier offensichtlich Hans und Uli. Schön ist, was immer ihnen gefällt. Und das ist Antirealismus.

Deine gesamte Darstellung wirft meines Erachtens vieles durcheinander, was man unterscheiden müsste. Womit haben wir es zu tun, wenn eine Erkenntnis vorliegt? Wir haben jemanden, der erkennt, das Subjekt. Erkenntnis ist nicht umsonst, dieses Subjekt muss eine gewisse körperlich, sinnlich geistige Ausstattung haben, in vielen Fällen werden wir auch von gewissen sozialen/institutionellen Zusammenhängen ausgehen müssen. Sagen wir dazu der Einfachheit halber "Erkenntnissubjekt". Zum Erkennen gehört in der Regel ein Vorgang: der Erkenntnis-Akt. Zudem haben wir einen Gegenstand der Erkenntnis und den Gehalt der Erkenntnis. (Ich beanspruche nicht, dass das vollständig ist. )

Du sprichst von jemandem, der eine Erkenntnis haben muss. Aber du unterscheidest nicht zwischen irgendjemand und jemand bestimmten. Das führt jedoch in die Irre!

2 m vor mir liegt auf dem Boden ein blaues Buch. Der Gegenstand der Erkenntnis ist das Buch und der Gehalt ist, dass es blau ist. Wir haben hier also das Urteil, dass das Buch blau ist.

Diese Erkenntnis ist jemandes Erkenntnis, nämlich im vorliegenden Fall meine, aber sie ist nicht an meine Person gebunden. Daraus, dass das Subjekt der Erkenntnis und der Vorgang der Erkenntnis an bestimmte Subjekte gebunden sind, folgt jedoch nicht, dass der Gegenstand der Erkenntnis und der Gehalt der Erkenntnis subjektiv sind. Der Vorgang der Erkenntnis mag in einer gewissen Hinsicht subjektiv sein, jedoch folgt daraus nicht, dass auch der Gehalt der Erkenntnis auch subjektiv ist. Wer auch immer das Buch betrachtet und die entsprechenden sensorischen Voraussetzungen mitbringt, kann erkennen, dass das Buch blau ist.




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Sa 25. Jul 2020, 13:01

Nochmal was zu den sich auschliessenden Eigenschaften:
Lokalisation ist so ein Beispiel.
Alethos kann nicht gleichzeitig in London und Paris sein. Das schliesst sich aus. Alethos hat eine klar definierte Position zu einem definierten Zeitpunkt.
Auf diesem Umstand basieren zum Beispiel moderne Sicherheitsanalysen.
Wenn der User Alethos sich gleichzeitig im Forum einloggt und das von zwei Orten auf der Welt aus, die so weit auseinander liegen, dass man die Strecke nicht in dem Zeitraum zwischen den Anmeldeereignissen zurücklegen kann, dann ist die logische Folgerung, dass es nicht zweimal der reale Mensch Alethos gewesen sein kann, der sich eingeloggt hat.
Entweder Alethos hat seine Zugangsdaten einer anderen Person anvertraut die sich dann anstelle von Alethos angemeldet hat, oder Alethos Account wurde gerade kompromittiert.
Ein solche Aussage ist nur deshalb möglich, weil gilt, dass Alethos nicht an zwei Orten gleichzeitig sein kann.
Wäre beides gleichermaßen wahr, wäre eine solche Feststellung gar nicht möglich.



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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 12:25
Das Bild würde dann bei jedem Betrachter immer die Empfindung "Das ist schön" auslösen.
Schelling, Philosophie der Kunst hat geschrieben : Für den, der es in der Kunst nicht zur freien, zugleich leidenden und thätigen, fortgerissenen und überlegten Beschauung bringt, sind alle Wirkungen der Kunst bloße Naturwirkungen; er selbst verhält sich dabei als Naturwesen, und hat die Kunst als Kunst wahrhaft nie erfahren und erkannt.
Aus dem was du oben schreibst folgt übrigens, dass die Erde nicht rund ist. Denn sonst müssten sie bei jedem Betrachter immer die Empfindung "das ist rund" auslösen.




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