subjektiv, objektiv

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Jörn Budesheim
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Es ist kein Teil der Sinnfeld-Ontologie, dass man nicht mehr weiß, über welches Feld gerade gesprochen wird. Wenn ich über gelbe Schwämme spreche, dann rede ich nicht über die Welt der Bienen. Weil in der Welt der Bienen keine gelben Schwämme vorkommen, die auf Schreibtischen liegen.

Dass es vielleicht Aspekte der Welt gibt, die Bienen zugänglich sind, aber nicht uns und umgekehrt ebenso, ist davon unbenommen. Das ändert aber nichts daran, dass der Schwamm wirklich gelb ist.




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Alethos
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Okay. Ja, der Schwamm ist wirklich gelb für Menschen.



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Jörn Budesheim
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Diese Küchenschwämme sind einfach gelb. Es ist eine der Leistungen der Sinnfeld-Ontologie, dass sie uns dazu berechtigt, solche Dinge zu sagen ohne metaphysische Bauchschmerzen. Du möchtest jetzt gerne einen Relativismus daraus machen, wie mir scheint. Aber da bin ich nicht dabei.

Gehen wir noch mal zur Ambivalenz. Ich kenne einen Künstlerin, die malt wunderschöne Wolkenbilder, zumindest dem ersten Anschein nach. Dann kann man in eine Situation geraten, wo nicht mehr sicher ist, ob das was man sieht, wirklich Wolken sind. Es könnte sich nämlich auch um etwas weniger harmloses, nämlich zerstörerische Explosionen handeln. Diese Ambivalenz ist ein Teil der Arbeit und macht (neben vielem anderen) ihren ästhetischen Wert aus.

Dieser spezielle ästhetische Wert, der in der Möglichkeit besteht, diese Ambivalenz zu spüren, ist objektiv da und nicht nur, sofern jemand sie bemerkt.

Jeder Rezipient macht sozusagen seine eigene Aufführung und kann dort veranstalten, was ihm beliebt. Das ist unbenommen. Es kann dabei aber passieren, dass ihm dabei bestimmte Aspekte/Interpretationen/Deutungen der Arbeit entgehen.

Diese Möglichkeiten liegen vor, ob der Rezipient sie nun ergreift oder nicht. Es geht, wenn man über den ästhetischen Wert der Arbeit sprechen will, also nicht nur um die vielen Beziehung der Rezipienten zum Bild, die faktisch vorliegen, sondern es geht um die Beziehungen, die menschenmöglich sind und der Struktur des Werkes angemessen. Es kann z.b. sein, dass die Zeit für eine Arbeit nicht reif ist, und praktisch niemand sieht, worum es wirklich geht und keiner den wirklichen Wert der Arbeit bekommen hat.

Das ist das Manko dieser Beziehung Theorie von Alethos.

Ja, es ist wahr dass der Betrachter eine Beziehung zur Arbeit aufbaut und aufbauen muss. Muss in dem Sinne, dass die Arbeit im Grunde nur in solchen Beziehungen überhaupt existiert.

Nein, es ist nicht wahr, dass man dann einfach die vielen verschiedenen Beziehung nebeneinander stellt. Es gibt auch noch den Anspruch des Werkes selbst. Den kann man verfehlen. Damit ist nicht gesagt, dass dieser nur auf eine einzige Art und Weise zu treffen ist, die Offenheit des Werkes ist davon unberührt. Es kann nur sein, dass niemand in dieser Offenheit je eingetreten ist, bis vielleicht zu dem Moment, wo es zum ersten Mal passiert ...

Wenn der Wert einer Arbeit nur in der faktisch vorliegenden Beziehung liegen würde oder in der subjektiven Einschätzung des Rezipienten, dann wäre so etwas wie lernen und und die Arbeit besser verstehen und sie Tiefer ausloten gar nicht möglich.




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Alethos
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Sa 25. Jul 2020, 18:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 17:41
Diese Küchenschwämme sind einfach gelb. Es ist eine der Leistungen der Sinnfeld-Ontologie, dass sie uns dazu berechtigt, solche Dinge zu sagen ohne metaphysische Bauchschmerzen. Du möchtest jetzt gerne einen Relativismus daraus machen, wie mir scheint. Aber da bin ich nicht dabei.
Ich will nun wirklich keinen Relativismus daraus machen, aber ich finde eine Theorie, die besagt, dass Gegenstände so und so sind, angeben können muss, wie es kommen kann, dass sie aus anderen Blickwinkeln nun eben nicht so und so sind. Wenn eine Theorie das unterlässt, ist sie beim besten Willen einfach eine ontologisch limitierte, auf die Episteme einer bestimmten Art limitierte Theorie.

Der berühmte Aetna, wir hatten den schon, ist von oben gesehen ja nicht einfach ein aufgetürmter Gesteinshaufen, der womöglich eine leicht pyramidische Form hat. Er sieht von oben anders aus, weil er nun eben anders ist. Von oben ist er ein Loch mit gegen allen Seiten sich entfernenden Oberflächen. Und wenn wir über den Schwamm sagen: "Er ist gelb", so ist das wahr in jeder Hinsicht der ihn so wahrnehmenden Episteme und deshalb objektiv wahr. Aber das darf nicht zu einer Objektivitätstheorie führen, die über so und so erscheinende Gegenstände sagt, sie seien in jeder möglichen Hinsicht abschliessend so und so. Es braucht die Möglichkeit, über die unmittelbare Gegebenheit des Gegenstandes hinauszusehen, an ihm andere Aspekte zu entdecken. Und diese sind nicht minder objektiv, weil sie seine Aspekte sind. Aspekte, die in das Verhältnis zwischen Betrachter und Betrachtetem massgeblich einfliessen, und dort konstitutiv sind für die objektive Wahrnehmung des Gegenstands.

Nur darum ist überhaupt erklärbar, wie gemalte Wolken zunächst wie Wolken am
Himmel aussehen und bei eingehender Auseinandersetzung der Aspekt ins Auge fällt, dass es sich um Explosionswolken handeln könnte. Das Bild lässt es offen, ob nun gerade eine dramatische Katastrophe geschieht oder nicht, aber es ist faktisch so, dass diese Möglichkeit im Bild selbst vorkommt. Es ist nicht durch das Nachdenken, dass dieser Aspekt ins Bild gelegt wird, sondern es ist durch das Nachdenken, dass es an ihm (weil an ihm vorkommend) freigelegt wird.

Das ist nun wirklich nichts Relatives, weil die Aspekte nicht für den einen existieren und für den anderen nicht, sondern sie existieren in der Unabgeschlossenheit des Werks, zu dem sein Betrachtetwerden gehört. Es sind schliesslich Menschen, die diese Aspekte wahrnehmen und es sind Menschen, die seine Schönheit erkennen oder nicht erkennen.
Und falls diese Aspekte nicht durchstrahlen können zu jemandem, dann ist das objektiv so, weil der Betrachter nun eben das nicht in den Blick nehmen kann. Wie eine Kamera, die nur ultraviolett wahrnehmen kann. Aber genau so, wie wir nicht sagen würden, dass sich die Kamera irrt, wenn sie den gelben Schwamm bläulich sieht, dürfen wir doch auch nicht sagen, dass sich der Betrachter irrt - es liegt schliesslich in seiner auf seiner Konstitution gründenden Natur, dass er gewisse Aspekte nicht wahrnehmen kann, wie die Ultraviolettkamera bestimmte Wellen nicht erfassen kann.

Das bedeutet nicht, dass man sich um einen erweiternden Blick nicht bemühen soll, denn man hat es schliesslich mit einem Werk zu tun, das seine Würde hat, und man verlangt von jedem Menschen, dass er den Dingen, die er bewertet, die nötige Achtung entgegenbringt. Wenn wir objektiv sein wollen, müssen wir uns dem Objekt nähern, es sprechen lassen, aber es ist im Betrachter, dass diese Stimme erklingen muss. Bleibt sie ungehört, hat er sich nicht geirrt, war er nicht nicht-objektiv, sondern bloss nicht achtsam genug.

Das meine ich, wenn ich vom Verhältnis zwischen (Kunst-)Gegenstand und Betrachter spreche: Dass das Werk / der Gegenstand in seiner vollen Würde phänomenal durchdringt, durchdringt zu jemandem und dort zur vollen Blüte gebracht wird. Schönheit ist so eine Blüte.



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Sa 25. Jul 2020, 20:01

Alethos hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 18:42
Aber das darf nicht zu einer Objektivitätstheorie führen, die über so und so erscheinende Gegenstände sagt, sie seien in jeder möglichen Hinsicht abschliessend so und so.
Das tue ich allerdings gar nicht. Indem ich sage, dass der Schwamm auf dem Schreibtisch gelb ist, ist das Feld, in dem wir uns bewegen, ausreichen präzise benannt und die Aussage ist daher meines Erachtens völlig unproblematisch. Wenn ich aus irgendwelchen Gründen darauf verpflichtet wäre, immer auch noch alle anderen möglichen Felder, die ich (oder wer auch immer) ausmachen könnte, zu erwähnen, dann könnte ich sofort einpacken, weil das eine Aufgabe ist, die nicht zu bewältigen ist, denn es sind schließlich unendlich viele.

Und da die Aussage sich auf dieses Feld bezieht ist sie auch eindeutig wahr. Wer dieses Feld mit einem anderen verwechselt, der verwechselt es eben, aber dafür kann ich nicht haftbar gemacht werden.

Der Sinn der Sinnfeld-Ontologie ist ja nicht, dass wir nicht mehr reden können, weil wir in jedem Satz die Unendlichkeit aller Sinnfelder erwähnen müssen.




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Sa 25. Jul 2020, 21:21

Das lese ich gerade und ich lege es einfach mal ohne jeden Kommentar ab.
Gernot Böhme hat geschrieben : Das wäre die Dimension der Ästhetik als Kritik ästhetisch produzierter gesellschaftlicher Verhältnisse. Beispielsweise wäre hier der Ansatz von Haug, der vor vielen Jahren das Buch über Warenästhetik geschrieben hat, fortzusetzen. Er hat damals sehr schön gezeigt, wie durch Warenästhetik Gegenstände eine zweite Haut bekommen, eine ästhetische Erscheinung, deren Gebrauchswert in ihrem Tauschwert praktisch aufgeht und die manchmal auch zu ihrem Gebrauchswert geradezu querliegen kann. Diesen Ansatz der Ästhetik als Kritik des durch Warentausch organisierten Gesellschaftszustandes müßte man weiterverfolgen. Dabei muß man aber über das Einzelding hinausgehen und in den strategischen Umgang mit Atmosphären hineingehen, wie er von Verkaufspsychologen oder Innenarchitekten betrieben wird. Hier ist der Begriff der Atmosphäre viel mehr zu Hause als in der eigentlichen Ästhetik. Man redet hier von der Produktion von „Atmo“. Man produziert Atmobänder, die dann in Supermärkten laufen und eine verkaufsgünstige Atmosphäre erzeugen, d.h. einen Raum auch akustisch so gestalten, daß die Menschen in eine Befindlichkeit geraten, die sie zum freudigen Akzeptieren von Waren und schließlich zu deren Konsum stimmt. Hier hätte die Ästhetik eine kritische Funktion, die weit über die der Kunst hinausgeht.




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Sa 25. Jul 2020, 21:42

Gernot Böhme hat geschrieben : Ästhetische Arbeit kann natürlich im Nebenher mitgeschehen. Das geschieht in jeder Wohnungseinrichtung, bei jedem Sich-Kleiden oder bei jeder menschlichen Zusammenkunft mehr oder weniger bewußt immer mit. Wenn man den Begriff der ästhetischen Arbeit fassen will, muß man zunächst einmal den Dingbegriff erweitern und akzeptieren, daß es so etwas wie objektive Gefühlsqualitäten gibt. In der klassischen Ästhetik ist ja leider der Subjektivismus der neuzeitlichen Philosophie auch insofern enthalten, als das, was man den Dingen unbefangen in der Lebenswelt an Gefühlsqualitäten zuspricht, daß also eine Landschaft heiter oder ein Gehölz ernst ist, als Projektionen der Seele betrachtet. Das ist natürlich phänomenologisch ganz falsch, was man schon daran sehen kann, daß man in eine Gefühlsatmosphäre hineinkommen kann, z.B. in eine heitere Landschaft, und drastisch den Kontrast merkt, wenn man innerlich ganz traurig ist. Es gibt Beispiele, durch die man beweisen kann, daß die Gefühlsattribute, die man Gegenständlichem zuweist, keine Projektionen einer Innenwelt sind. Wenn man den Begriff der ästhetischen Arbeit also fassen will, dann muß man sich zunächst einmal klarmachen, daß Gegenstände, Konstellationen von Gegenständen und Environments objektive Gefühlsqualitäten haben. Man kann das auch Charaktere oder, wie Hirschfeld dies in seiner Theorie des englischen Gartens gemacht hat, Szenen nennen. Die Szenenkunst auf dem Theater hat dafür ja ein großes Verständnis gehabt, wie man Umgebungen solche Charaktere aufprägt. Im Gesamtsetting der Arbeit besteht die ästhetische Arbeit gerade darin, daß diese objektiven Gefühlsqualitäten an Dingen oder Arrangements produziert werden. Wenn man überhaupt herstellt, werden sie zwar immer mitproduziert, aber es kann dafür natürlich Spezialisten geben. Das sind die Bühnengestalter, die traditionellen Garten- und Landschaftsgestalter, die Innenarchitekten, aber es sind heute vor allem Werbe- und Verkaufsfachleute und -psychologen, die sich in der Praxis mit der Produktion objektiver Gefühlsqualitäten sehr gut auskennen. Von der Praxis her haben wir überhaupt kein Defizit, wir haben ein Defizit in der Theorie. In der Ästhetik ist dieser breite Boden ästhetischer Arbeit, von der sich die sogenannte autonome eigentlich nur abhebt, gar nicht hinreichend zur Kenntnis genommen und begriffen worden.




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Sa 25. Jul 2020, 23:41

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 21:42
Gernot Böhme hat geschrieben : [...] Das sind die Bühnengestalter, die traditionellen Garten- und Landschaftsgestalter, die Innenarchitekten, aber es sind heute vor allem Werbe- und Verkaufsfachleute und -psychologen, die sich in der Praxis mit der Produktion objektiver Gefühlsqualitäten sehr gut auskennen.
Das ist denke ich korrekt. Gewisse Dinge lösen in vielen Menschen bestimmte Gefühlsregungen aus. Und wenn man weiß wie Menschen "ticken" (deshalb auch die Inanspruchnahme der Psychologie) kann man diese Gefühlregungen in den Menschen sogar absichtlich "erzeugen". Ich denke Böhme erzählt hier nichts Besonderes. Das ist so weit kein großes Geheimnis. Es gibt dabei nur einen Haken: Nicht alle Menschen "ticken" gleich, weil die Art und Weise wie sie ticken von sehr vielen Faktoren abhängig ist. Deshalb wird in der Werbebranche auch nicht versucht alle Menschen zu erreichen, sondern die Anstrengung beschränkt sich auf eine bestimmte Zielgruppe, deren Verhalten man dann sehr gut kennt (oder glaubt zu kennen). Nun folgt aber aus all dem nicht, dass die ausgelösten Gefühlregungen selbst Teil der auslösenden Objekte sind. Es folgt daraus, soweit ich das sehen kann einfach nur, dass es gewisse Gesetzmäßigkeiten zwischen bestimmten Reizen und bestimmten menschlichen Reaktionen auf diese Reize gibt.
Und das muss auch so sein. Faulig riechende Nahrung erregt nicht ohne Grund Ekel in uns. Auf diese Weise schützt sich der Körper vor Vergiftungen. Wer seinem Leben nicht vorzeitig ein Ende setzt weil er sich durch Verdorbenes vergiftet, hat mehr Zeit sich zu vermehren und seine Gene zu verbreiten. Reiz-Reaktions-Schemata können einen Selektionsvorteil darstellen und waren es in der Vergangenheit sicher auch (sonst gäbe es sie nicht, die Natur hätte sie "wegselektiert").
Trotzdem: Auch wenn wir die Welt u.a. mithilfe von Gefühlregungen erfassen, heißt das nicht, dass diese Gefühlsregungen noch irgendwo anders als in uns vorhanden sind.
Und diese Annahme ist auch überhaupt nicht nötig, um das was Böhme beschreibt zu erklären.



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Sa 25. Jul 2020, 23:53

Wenn mir eine Klamotte auf den Fuß fällt und mir dadurch eine intensive Schmerzerfahrung beschert, dann ist mein Schmerz nicht eine objektive Eigenschaft des Steins.
Wieso denn auch? Woraus sollte das folgen?
Es ist richtig, dass es eine kausale und objektiv vorhandene Beziehung zwischen dem Stein, meinem Fuß und dem Schmerz den ich spüre gibt.
Aber ich muss, um das als Tatsache anzuerkennen, nicht annehmen, dass Schmerz ein Teil des Steines ist. Das ist unnötig.



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So 26. Jul 2020, 00:12

Dazu wollte ich unbedingt noch was schreiben.
Alethos hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 16:38
Ich stelle mir eine Situation vor, in der mir NWDM sagt, dass er das eine Bild super schön findet und ich ihm sage: "Es ist aber hässlich!" Er erklärt mir seine Gründe und ich sage: "Ja, es stimmt. Du hast recht. So gesehen ist es wirklich schön!"
Ja klar. Das kann immer geschehen. Wir können immer versuchen den anderen zu verstehen und seine Gründe nachzuvollziehen. Und manchmal gelingt das auch.
Ich muss das was der andere sagt dann aber nicht als objektiven Teil des Bildes ansehen, sondern kann einfach die Leistung vollbringen mich in Dich hineinzuversetzen und versuchen nachzuempfinden was Du empfindest. Das geht auch ohne dass das Bild selbst diese Empfindung in mir hervorruft.
Das können wir Menschen, weil wir eben alle Menschen sind und trotz aller Unterschiede auch Gemeinsamkeiten haben (zum Beispiel ein gewisses Grundrepertoire an Emotionen).
Ich möchte in einer Welt leben, in der Gründe Geltung entfalten, auch für andere, dieses oder jenes zu glauben, zu meinen und zu denken. Das wäre eine Welt, in der man offen ist für den objektiven Gehalt von Gründen, wo man neugierig ist, den Dingen auf ihren Grund zu gehen. Das wäre vermutlich eine Welt, in der Ambivalenzen aufgehoben sind und nicht in die Eindimensionalität einer Subjektivität oder Objektivität gedrängt werden.
In dieser Härte kommt das nicht vor.
Es wird immer jemanden geben, der neben Dir und dem Bild steht und sagt: "Ja, ich finde das auch schön. Genau wie Du.".
Die Annahme, dass gewisse Dinge subjektiv sind, verhindert solche Momente nicht.



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So 26. Jul 2020, 07:26

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 23:53
Wenn mir eine Klamotte auf den Fuß fällt und mir dadurch eine intensive Schmerzerfahrung beschert, dann ist mein Schmerz nicht eine objektive Eigenschaft des Steins.
Wieso denn auch? Woraus sollte das folgen?
Es ist richtig, dass es eine kausale und objektiv vorhandene Beziehung zwischen dem Stein, meinem Fuß und dem Schmerz den ich spüre gibt.
Aber ich muss, um das als Tatsache anzuerkennen, nicht annehmen, dass Schmerz ein Teil des Steines ist. Das ist unnötig.
Worauf bezieht sich das? Auf Böhme?




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So 26. Jul 2020, 08:39

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 23:53
Schmerz den ich spüre
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 13:17
Wie kann ich das messen?
Wo ist der Schmerz, den du spürst und wie misst man den? Mit den Messmethoden der Naturwissenschaften ist er nicht zu finden. Man findet vielleicht ein paar Korrelate, aber nicht den Schmerz. Das hätte dann zur Folge, dass der Schmerz, den man spürt, im Grunde gar nicht existiert. Und diese Schlussfolgerung ist ja auch tatsächlich gezogen worden - vom eliminative materialism.

Das gleiche gilt natürlich auch für Farben: [Wenn Bläue oder Röte] keine Eigenschaften von physikalischen Dingen in der Außenwelt sind - und auch keine Eigenschaften von Hirnzuständen, dann muss man sich natürlich fragen: Was ist denn hier eigentlich blau? Vielleicht ist die Bläue ja gar nicht in der Welt drin? (Bewusstseinsforscher Thomas Metzinger)

Bereits vor zweieinhalb tausend Jahren meinte der griechische Philosoph Demokrit: Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome und leeren Raum.

Es gibt in diesem Bereich also offenbar keine grundsätzlichen Fortschritte! Und obwohl man sie dort bisher nicht finden konnte, wird von vielen einfach behauptet die Qualia befinden sich im Kopf. Der Materialismus muss doch richtig sein, ist "man" geneigt zu glauben! "Man" setzt also auf das, was der Philosoph Karl Popper einen "versprechenden Materialismus/promissory materialism" nannte. Irgendwann heißt es, vielleicht sehr bald oder auch erst in 200 Jahren werden wir es sehen, dass alles "materialistisch/physikalistisch" erklärt werden kann, nur jetzt ist es noch nicht plausibel. Das ist jedoch einfach ein Glaubensartikel und ein ungedeckter Scheck. In Wahrheit sind die Naturwissenschaften an dieser Stelle längst nicht so weit, wie im allgemeinen behauptet wird. Christoph Koch und Giulio Tononi geben sogar einer gewissen Form von Panpsychismus eine Chance! Eine Sichtweise, die ich selbst bis vor wenigen Jahren noch für esoterischen Humbug gehalten hätte, wird jetzt von renommierten Naturwissenschaftlern im Ernst erwogen. Das heißt für mich nicht, dass ich mein ganzes Geld jetzt auf den Panpsychismus setze ... aber es heißt, dass ich nicht einfach irgendwelchen metaphysischen Positionen Glauben schenke, deren Wahrheit nicht erwiesen ist.




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So 26. Jul 2020, 09:25

Der Philosoph Dieter Sturma sagt daher in einem Aufsatz über die Objektivität von Werten sinngemäß: Letztlich geht es also um die Frage, wer sich besser darin auskennt, was es gibt. Und damit stellt sich dann natürlich sofort die Frage, was "es gibt" überhaupt heißt. Und nach meinem Dafürhalten ist die bisher überzeugendste Antwort eben die von Markus Gabriel mit seiner Sinnfeld-Ontologie.




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So 26. Jul 2020, 09:40

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 26. Jul 2020, 08:39
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 23:53
Schmerz den ich spüre
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 13:17
Wie kann ich das messen?
Wo ist der Schmerz, den du spürst und wie misst man den? Mit den Messmethoden der Naturwissenschaften ist er nicht zu finden. Man findet vielleicht ein paar Korrelate, aber nicht den Schmerz. Das hätte dann zur Folge, dass der Schmerz, den man spürt, im Grunde gar nicht existiert. Und diese Schlussfolgerung ist ja auch tatsächlich gezogen worden - vom eliminative materialism.

Das gleiche gilt natürlich auch für Farben: [Wenn Bläue oder Röte] keine Eigenschaften von physikalischen Dingen in der Außenwelt sind - und auch keine Eigenschaften von Hirnzuständen, dann muss man sich natürlich fragen: Was ist denn hier eigentlich blau? Vielleicht ist die Bläue ja gar nicht in der Welt drin? (Bewusstseinsforscher Thomas Metzinger)
Hm nein. Da würde ich Herrn Metzinger widersprechen. Die Frage ist als was existiert Bläue in der Welt? Als Empfindung ist sie ganz unzweifelhaft vorhanden. Sie ist Teil des menschlichen Erlebens.
Bereits vor zweieinhalb tausend Jahren meinte der griechische Philosoph Demokrit: Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome und leeren Raum.
Ja, ich verstehe, dass diese Position problematisch ist. Im Prinzip widersetzen sich alle diese Phänomene (Emotionen, Ich-Erfahrungen usw) der materialistischen Beschreibung. Mit einem EEG kann ich keine Emotionen messen. Ich kann Hirnströme messen. Das ist aber - ganz offensichtlich - nicht das selbe. Was ich meine wenn ich sage dass ich traurig bin kann nur jemand wirklich wissen, der auch traurig sein kann. Diese Wahrheit muss man nachfühlen/nachempfinden, man kann sie nicht messend verstehen. Bei Schmerzen sind Ärzte auf die Aussagen ihrer Patienten angewiesen. Die empfundene Stärke des Schmerzes bestimmt der Patient, das kann der Arzt nicht objektiv ermitteln.
Und ja, Du hast Recht wenn Du sagst, dass wir da keinen Schritt weiter sind.
Das kann nun daran liegen, dass unsere Vorstellung von der Teilung in objektiv und subjektiv falsch ist. Es kann aber auch daran liegen, dass sie richtig ist. Es ist eben einfach nicht möglich etwas das subjektiv ist objektiv zu erfassen.
Man kann diesen Umstand auch einfach akzeptieren, so wie wir akzeptieren müssen, dass im Quantenraum eine Unschärfe vorherrscht. Wir können bei den elementarsten Teilchen einfach nicht mehr gleichzeitig exakt Geschwindigkeit und Ort bestimmen (-> plancksches Wirkungsquantum) , so wie das in der makroskopischen Welt gelingt. Und das nicht, weil unsere Sichtweise oder unsere Instrumente falsch wären, sondern weil das einfach so ist, weil die Natur so konstruiert ist.
An der Stelle hilft dann nur das so hinzunehmen und zu lernen damit umzugehen.
Es gibt in diesem Bereich also offenbar keine grundsätzlichen Fortschritte! Und obwohl man sie dort bisher nicht finden konnte, wird von vielen einfach behauptet die Qualia befinden sich im Kopf. Der Materialismus muss doch richtig sein, ist "man" geneigt zu glauben! "Man" setzt also auf das, was der Philosoph Karl Popper einen "versprechenden Materialismus/promissory materialism" nannte. Irgendwann heißt es, vielleicht sehr bald oder auch erst in 200 Jahren werden wir es sehen, dass alles "materialistisch/physikalidtisch" erklärt werden kann, nur jetzt ist es noch nicht plausibel.
Pfff, weiß ich nicht. Es könnte sich auch herausstellen, dass das prinzipiell gar nicht möglich ist, so wie es prinzipbedingt nicht möglich ist im Quantenraum beliebig genau Position und Geschwindigkeit von Teilchen gleichzeitig zu bestimmen.
Es geht einfach nicht. Manchmal gehört zu einer exakten Beschreibung der Natur auch, dass gewisse Dinge nicht möglich sind.



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So 26. Jul 2020, 10:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 26. Jul 2020, 07:26
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 23:53
Wenn mir eine Klamotte auf den Fuß fällt und mir dadurch eine intensive Schmerzerfahrung beschert, dann ist mein Schmerz nicht eine objektive Eigenschaft des Steins.
Wieso denn auch? Woraus sollte das folgen?
Es ist richtig, dass es eine kausale und objektiv vorhandene Beziehung zwischen dem Stein, meinem Fuß und dem Schmerz den ich spüre gibt.
Aber ich muss, um das als Tatsache anzuerkennen, nicht annehmen, dass Schmerz ein Teil des Steines ist. Das ist unnötig.
Worauf bezieht sich das? Auf Böhme?
Nein. Das ist nur eine Darstellung meines Verständnisproblems. Wieso sollte aus dem Umstand, dass es eine objektive, kausale Beziehung zwischen einem Reiz und einer Reizreaktion gibt folgen, dass die Reizreaktion Teil des Reizes ist?
Schönheit ist nicht automatisch eine objektive Eigenschaft eines Bildes, nur weil es eine objektive Beziehung zwischen den Eigenschaften eines Bildes und der Reaktion des Betrachters (z.B. ein Empfinden von Schönheit) auf diese Eigenschaften gibt.
Mein Schmerz ist auch nicht objektive Eigenschaft des Steins, nur weil der Stein ursächlich (im Sinne von auslösend) für mein Schmerzempfinden ist.



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So 26. Jul 2020, 10:37

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 23:41
Auch wenn wir die Welt u.a. mithilfe von Gefühlregungen erfassen, heißt das nicht, dass diese Gefühlsregungen noch irgendwo anders als in uns vorhanden sind.
Wenn du in ein Geisterschloss gehst, z.B. auf der Kirmes, dann ist es ein gutes Geisterschloss, wenn der Raum so gestaltet ist, die Figuren so angeordnet und die Effekte so programmiert sind, dass du dich erschreckst, richtig? Nun muss man kein Experte für Innenarchitektur sein um zu sehen, dass das Gefühl ausgelöst wird durch eine bestimmte ästhetische Form. Das Gefühl wäre nicht da, wenn die Form nicht da wäre: Kein Schrecken ohne gute Effekte. Es hängt kausal zusammen.

Dasselbe, wenn du ins Kino gehst, sagen wir mal einen Actionfilm guckst (angenommen, du magst solche Filme): Es ist doch ganz klar so, dass die hervorgerufenen Gefühle eng mit der Handlung, mit der Musik, mit der Szenerie verknüpft sind.

Es ist aber dann falsch zu sagen, finde ich, dass diese Gefühle rein und einzig subjektiv sind. Natürlich ist es ein Subjekt, dass diese Gefühle hat. Sie sind einzigartig und nur in ihm vorkommend. Aber die Gefühle sind doch ebenso Teil des Erlebens einer "Aussenwelt", eines Films oder eines Bilds oder von Musik.
Es ist also auch wegen des So-und-so-Seins dieser Dinge, dass wir je so und so fühlen.

Das Gefühl, ein Gedanke etc. müssen wir uns als sich in der Interaktion zwischen einem Subjekt und einem Gegenstand entwickelnd vorstellen. Wenn bei einem Film auch nie alle dasselbe fühlen, so doch gar oft etwas Ähnliches, Strukturgleiches. Manchmal fühlen sie komplett etwas Anderes und sogar Entgegengesetzes, aber das wird nichts an der Tatsache ändern, dass diese Gefühle Teil dieses Films sind insofern er - gegeben die Art und Weise, wie er ausgearbeitet ist - geneigt macht das und das zu fühlen.

Das ist ganz gewollt so, dass das Kunstwerk etwas fühlbar machen will, zum Nachdenken anregen, neugierig machen will, abstossen will, verliebt machen will etc. Das Werk ist schliesslich von Menschen für Menschen gemacht. In das Werk sind Stimmungen eingearbeitet, Gefühle und Gedanken, Momente und Fragmente, Assoziazionen, Dissioziazionen - so, dass man sagen kann, diese "Dinge" seien in ihm vorhanden. Jemand hat sie hinein gelegt.

Wenn ein Betrachter einem Kunstwerk nahe ist, er sich eindenkt, einfühlt, sich einlässt, kann er die eingearbeiteten Werte erkennen, und manchmal kann er sie auch gar nicht erkennen. Manchmal erkennt er genau das, was der Künstler wollte (falls er etwas wollte) und manchmal erkennt er komplett etwas Anderes. Aber die Empfindungen des Betrachters werden immer Teil des Verhältnisses zwischen Gegenstand und ihm selbst sein. Dieses Verhältnis kann gar nicht mehr rein subjektiv genannt werden, ich meine sogar, dass es überhaupt eine neue ontologische Dimension hat, die jenseits von subjektiv/objektiv angesiedelt ist im Miteinander.
Wobei mir schon klar ist, dass das alles ein bisschen "schwammig" daher kommt. :)



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So 26. Jul 2020, 10:47

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 26. Jul 2020, 10:00
Das ist nur eine Darstellung meines Verständnisproblems. Wieso sollte aus dem Umstand, dass es eine objektive, kausale Beziehung zwischen einem Reiz und einer Reizreaktion gibt folgen, dass die Reizreaktion Teil des Reizes ist?
Du behauptest einfach, dass Schönheit eine Reizreaktion ist und dementsprechend hast du das Beispiel ausgewählt. Das ist eine petitio principii. Wenn man jedoch einen großen Stein betrachtet, würde kein Mensch einfach sagen, dass dieser Stein schmerzhaft ist. Man würde aber vielleicht sagen, dass der Stein schwer ist. Die Schwere des Steines ist objektiv. Auch wenn es unsere eigenen Sensitivität bedarf, um sie zu ermessen.

Der Raum, in dem diese Wahrheit gelten, kann man vielleicht mit dem Begriff Lebenswelt auszeichnen. In diesem Raum sind Dinge objektiv grün, schwer, ekelerregend et cetera. Das lässt sich mit den Methoden der Physik entweder gar nicht oder nur näherungsweise oder nur mit Hilfe von Korrelaten erfassen. Das ist auch der Raum des qualitativen Erlebens, der Normen etc. wenn man die bunte und lebendige Struktur dieses Raums mit den Maßen der Naturwissenschaften vergleicht und diese als Maßstab dafür nimmt, dann muss man ihn zwingend verfehlen. Einfache quantitative Präzision ist hier nicht zu erwarten, dafür ist Platz für qualitative Werte, für Ungefähres, Vages, Ambivalentes et cetera. Dass diese Qualitäten und Werte etc nicht von jedem im gleichen Maße erlebt und erfasst werden, ist dementsprechend Teil dieser Lebenswelt. Das unterminiert nicht die Objektivität, sondern dass es ist die Form der Objektivität mit der wir hier rechnen müssen. Denn der Lebensraum wird gebildet von vielen verschiedenen Subjekten, von der Pflanze bis zum Menschen z.b. die sich nicht einfach im rechten Winkel bewegen.

"Ohne diese physikalischen Begriffe gäbe es keine moderne Technik und auch keine Energiewirtschaft. Doch der Preis ihrer Objektivierung oder Ent-Subjektivierung ist, dass sie unanschaulich und abstrakt sind. Die physikalischen Begriffe von Kraft und Energie, Arbeit und Leistung haben fast nichts mehr mit unserem subjektiven Gefühl des Kraftaufwands bei der Arbeit zu tun. Der Objektivierungsprozess, der zu ihnen führte, benötigte Jahrtausende für den Weg von der Erfindung des Flaschenzugs bis zu den modernen Begriffen der Kraft und Energie. Wie man Seil und Rolle zum Gewichtheben gebraucht, ist schon auf Reliefs der Assyrer bildlich dargestellt. Den Satz von der Erhaltung der Energie hat Hermann von Helmholtz (1821–1894) im Jahr 1847 begründet. Die assyrischen Reliefs versteht jeder, die Helmholtzsche Arbeit nur, wer der theoretischen Physik und ihrer mathematischen Methoden kundig ist.

Planck bezeichnete den langwierigen Prozess, der zu den präzisen Begriffen der Physik führte, als Entsinnlichung oder Ent-Anthropomorphisierung. Auf dem Weg vom Kraftaufwand, den wir bei der Arbeit fühlen, zum mathematischen Wegintegral über die physikalische Kraft geht das Gefühl der physischen Anstrengung verloren. Die Kraft wird nun durch einen Zahlenwert in einer Skala von Joule gemessen, wobei die Größeneinheit Joule die Dimension von [Masse][Weg]2[Zeit]–2 hat (im SI-System der physikalischen Größeneinheiten: 1 J = 1 kg·m 2/s 2). Wenn das nicht abstrakt ist! Plancks Vortrag schildert diese Entsinnlichung für die physikalischen Begriffe der Kraft und der Energie..." (Brigitte Falkenberg, Hervorhebung von mir)




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Jörn Budesheim
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Alethos hat geschrieben :
So 26. Jul 2020, 10:37
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 25. Jul 2020, 23:41
Auch wenn wir die Welt u.a. mithilfe von Gefühlregungen erfassen, heißt das nicht, dass diese Gefühlsregungen noch irgendwo anders als in uns vorhanden sind.
Es ist aber dann falsch zu sagen, finde ich, dass diese Gefühle rein und einzig subjektiv sind. Natürlich ist es ein Subjekt, dass diese Gefühle hat. Sie sind einzigartig und nur in ihm vorkommend. Aber die Gefühle sind doch ebenso Teil des Erlebens einer "Aussenwelt", eines Films oder eines Bilds oder von Musik.
Es ist also auch wegen des So-und-so-Seins dieser Dinge, dass wir je so und so fühlen.
Ich stimme vielen, was du da sagst, zu. Aber hier muss man "präzisieren", finde ich. (Auch wenn ich jetzt dafür keinen perfekten Vorschlag habe.) Weiter oben habe ich unterschieden zwischen Erkenntnis-Subjekt, Erkenntnis-Akt, Erkenntnis-Gegenstand, und Erkenntnis-Gehalt. Wie man das auf dem Begriff der Atmosphären z.b. überträgt, weiß ich ehrlich gesagt nicht genau. Und ob man es für Gefühle noch mal präzisieren muss, kann ich nicht genau sagen.

Trotzdem: Das Gefühl der Angst (als leibliches) zeigt uns das Beängstigende und das Gefährliche an. Das Gefährliche ist aber auf keinen Fall in uns. Das zeigt sich auch in der einfachen Formulierung: Ich habe Angst vor Jim. (Denn Jim ist ein gesuchter und gefährlicher Mörder).

Bei einem Film, vielleicht einem Kinofilm ist es aber noch mal viel komplizierter, finde ich. Denn obwohl wir vielleicht erschaudern oder erschrecken, wenn das Überraschende und Gruselige geschieht, wissen wir uns doch zugleich auch immer in Sicherheit, denn wir sind ja in einer Entlastungssituation, in der wir diese grauenvollen Dinge betrachten können, ohne wirklich in Gefahr zu sein, wir wissen ja um ihren ästhetischen Charakter.




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So 26. Jul 2020, 12:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 26. Jul 2020, 11:25
Das Gefühl der Angst (als leibliches) zeigt uns das Beängstigende und das Gefährliche an. Das Gefährliche ist aber auf keinen Fall in uns.
Ich denke, das trifft es eigentlich gut, was mir vorschwebt, auch wenn wir es im Einzelnen noch genauer und den Situationen entsprechend ausarbeiten müssten.

Das Gefühl ist auf etwas gerichtet. Das Gefühl der Angst auf das Angstmachende, das Gefühl der Trauer auf das Traurige. Wir hatten das schonmal eingehender diskutiert unter dem Titel "formales Objekt" in Philosophische Reflexionen der Gefühle.



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Man müsste vielleicht sagen, das Gefährliche es auf keinen Fall grundsätzlich in uns, der natürlich können z.b. gefährliche Krankheiten in uns sein.




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