subjektiv, objektiv

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Alethos
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Di 11. Aug 2020, 12:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 11:37
Du behauptest an verschiedenen Stellen, dass zwei Betrachter über dasselbe (ein Kunstwerk) zu entgegengesetzten Überzeugungen kommen können und beide eine wahre Überzeugung haben. Ziehst du das ein?
Nein, ich ziehe es nicht ein. Ich bitte lediglich, das Kunstwerk nicht aus der Perspektive eines Bereichs als eindeutigen Gegenstand zu verstehen (z.B. als Gegenstand der Kunstgeschichte etc.), sondern ihn als Gegenstand verschiedener Bereiche.



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Jörn Budesheim
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Di 11. Aug 2020, 12:45

Alethos hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 12:29
Nein, ich ziehe es nicht ein. Ich bitte lediglich, das Kunstwerk nicht aus der Perspektive eines Bereichs als eindeutigen Gegenstand zu verstehen (z.B. als Gegenstand der Kunstgeschichte etc.), sondern ihn als Gegenstand verschiedener Bereiche.
Dann ziehst du es ja doch ein, weil es dann eben kein Urteil über dasselbe ist.




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NaWennDuMeinst
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Di 11. Aug 2020, 13:09

Es kann natürlich sein, dass 2 Personen ein Kunstwerk anhand unterschiedlicher Merkmale bewerten.
Person 1 könnte zum Beispiel sagen, dass das Kunstwerk schön ist weil es Merkmal X aufweist (oder weil Merkmal X fehlt).
Person 2 könnte sagen das Kunstwerk sei nicht schön, weil es Merkmal Y ausweist (oder weil Merkmal Y fehlt).

Person 1 kommt dann zu dem Urteil "Das Kunstwerk ist schön", Person 2 zu dem Urteil "Das Kunstwerk ist nicht schön" und beide könn(t)en recht haben.
Das geht dann deshalb, weil es sich dann streng betrachtet um zwei unterschiedliche Urteile handelt. Das Kunstwerk hätte dann sozusagen zwei Seiten: Eine schöne und eine nicht schöne.

Logisch problematisch wird es erst, wenn Person 1 sagt das Kunstwerk sei schön wegen Merkmal X und Person 2 sagt das Kunstwerk sei nicht schön wegen Merkmal X.
Dann muss eine der beiden Personen irren, wenn man objektiv und zugleich logisch korrekt bleiben will.

Und trotzdem: Auch im ersten Fall müsste sich ja sofort die Frage anschliessen welches Merkmal denn nun darüber entscheidet ob das Kunstwerk objektiv schön ist.
Da kommt man dann wieder dahin zu fragen wie man objektive Schönheit erkennt.



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Alethos
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Di 11. Aug 2020, 15:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 12:45
Alethos hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 12:29
Nein, ich ziehe es nicht ein. Ich bitte lediglich, das Kunstwerk nicht aus der Perspektive eines Bereichs als eindeutigen Gegenstand zu verstehen (z.B. als Gegenstand der Kunstgeschichte etc.), sondern ihn als Gegenstand verschiedener Bereiche.
Dann ziehst du es ja doch ein, weil es dann eben kein Urteil über dasselbe ist.
Das war aber immer meine Behauptung: Dass die Schönheit des Gegenstandes nicht eine einzige Schönheit ist, sondern dass ihre Existenz in der Beziehung zu einem Betrachter gründet. Es braucht die Relation zu diesem Jemanden, darin die Schönheit des Objekts zutage treten kann. Wo jemand aber die Schönheit nicht sieht, nicht sehen kann und nicht erfährt, da existiert sie auch nicht und zwar existiert sie nicht überhaupt nicht (denn sie kann sehr wohl am Gegenstand durch jemand anderes als schön erfahren werden), sondern sie existiert in der Relation nicht (durch die sie überhaupt zur Existenz kommen müsste, wenn diese Relation sie bewirkte). Deshalb ist das Urteil: "Das ist nicht schön" wahr, weil es impliziert, dass es ein Urteil über diese spezifische Relation zwischen Betrachter und Gegenstand ist. Deshalb ist aber auch das gegenteilige Urteil wahr, weil die Schönheit die Manifestierung der Schönheit des Gegenstands im Subjekt ist - in ihm ihre Wirklichkeit entfaltet. Nicht aber Wirklichkeit in jedem Bereich - aber dennoch volle Wirklichkeit.

Die Schönheit kann somit keine dem Objekt allein zukommende Eigenschaft sein - wenigstens nach diesem Verständnis - weil sie sich ausbildet im Näheverhältnis einer Annäherung durch den Betrachter an den Gegenstand, indem er den Gegenstand erforscht, sich für ihn offen zeigt. Eine Schönheit aber nicht vorzufinden, kann kein Irrtum sein, sondern resultiert aus dem Faktum einer nicht sympathisierenden Beziehung zwischen Objekt und Subjekt. Sie (Objekt und Subjekt) bringen sich beide in die Beziehung ein: Entweder entsteht hier Harmonie oder Disharmonie - Anziehung oder Abstossung. Schönheit ist deshalb in dieser Hinsicht unmöglich ein subjektives Phänomen, sondern ein plurales Phänomen der Draufsichten auf den Gegenstand.



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Jörn Budesheim
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Di 11. Aug 2020, 15:32

Alethos hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 15:29
["Das ist nicht schön" ist] ein Urteil über diese spezifische Relation zwischen Betrachter und Gegenstand ist. [von mir hervorgehoben]
Und das ist nichts als Subjektivismus, weil du an andrer Stelle auch explizit darauf hinweist, dass bei "Das ist nicht schön für mich" das "für mich" ersatzlos gestrichen werden kann oder gar muss.

Zudem ist ja trivialerweise niemand, der in die "Relation" - von der du sprichst - nicht eingetreten ist, gezwungen zu urteilen, dass sie nicht bestehen könnte. So als hätte man nur die Wahl zwischen schwarz und weiß und könnte zudem nicht auf weitere Erfahrungen oder zum Beispiel auf das Ergebnis einer Vermittlung "hoffen". Natürlich gibt es Leute, die bei allem, was sich ihnen nichts sofort erschließt, sagen, dass es einfach Mist ist, aber das ist keineswegs zwingend. Und die, die Mist sagen, zum Beispiel weil sie nicht richtig hingeguckt haben oder ihre Erwartungen nicht befriedigt wurden, warum soll man denen nicht sagen, dass sie vorschnell urteilen, wenn man es denn vorsichtig ausdrücken möchte.

Zudem weist du den Bildern einen einseitigen und damit falschen Ort zu. Die angemessene (!) "Aufführung" des Individuums ist zwar unverzichtbar, aber dennoch ist Kunst darüber hinaus natürlich auch ein soziales und historisches Phänomen. Über Kunst wird gesprochen, geschrieben, sie werden diskutiert, ausgestellt, gemeinsam betrachtet, bewahrt (gehandelt) etc.




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Jörn Budesheim
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Di 11. Aug 2020, 16:46

Zum Betrachten (und auch zum Beurteilen) von Kunst gehören auch (natürlich nicht nur und nicht zuerst) Formen des Absehens vom eigenen Standpunkt. Das habe ich an anderer Stelle mit den Beispielen vom lyrischen Ich, Du und Wir und der zufälligen Ähnlichkeit einer Person im Bild mit einer mir bekannten Person angedeutet. Man könnte das etwas pathetisch (und vielleicht auch übertrieben) als einen Raum "zwischen" dem eigenen und einem allgemeinen Bewusstsein beschreiben. Der "intime" Moment ist sicher wichtig, aber man muss manchmal auch wieder einen Schritt zurücktreten, um in eine Reflexion zu kommen. Schwer zu beschreiben ...

Ich erinnere mich an eine nahezu erschütternde Erfahrung beim Betrachten einer Installation. Zunächst war ich mehr als begeistert, daran erinnere ich mich noch gut. Doch dann kam "die Sprache" zurück: die Dinge, die zu sehen waren (bis zu diesem Moment so etwas wie "reine" Form) hab ich nach und nach identifiziert und dann ergab sich eine "glasklare" Botschaft. Als ich das entziffert hatte, ist alles in sich zusammen gebrochen. Es war im Grunde völlig trivial, fast so etwas wie ein aufgeflogener Betrug :-)




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Di 11. Aug 2020, 16:51

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 15:32
Und die, die Mist sagen, zum Beispiel weil sie nicht richtig hingeguckt haben oder ihre Erwartungen nicht befriedigt wurden, warum soll man denen nicht sagen, dass sie vorschnell urteilen, wenn man es denn vorsichtig ausdrücken möchte.
Das sagst Du andauernd. Andauernd fallen bei dir Floskeln wie z.B. "richtig hingucken. Wenn man Dich aber fragt, wie man das erkennt ob einer richtig hinguckt, dann gibt es darauf keine Antwort.
Was soll dann Jemand mit der Aussage anfangen, er würde "nicht richtig hinsehen"?
Vielleicht guckst Du ja auch nicht richtig hin?
Wie kommen wir so weiter?
Ich sag's Dir: Gar nicht.
Solange Du nicht sagen kannst wie man richtig von falsch unterscheidet ist dieses ganze Gerede über richtig und falsch einfach sinnlos.

"Wenn Du richtig hinsiehst" macht nur dann Sinn wenn man auch sagen kann wie man richtig hinsieht.
Ansonsten kann "Richtig hinsehen" ja sonst was bedeuten. Vielleicht muss man ja LSD nehmen um die Schönheit eines Kunstwerkes zu erkennen. Behaupte ich jetzt einfach so. Und alle die kein LSD nehmen wollen werden halt nie die Schönheit des Kunstwerkes erkennen können. Tja, Pech gehabt.



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Jörn Budesheim
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Di 11. Aug 2020, 16:54

Zu dem Stück, mit dem wir angefangen haben. Bach hat es kurz nach dem Tod seiner Frau geschrieben. Ich hatte nach den ersten malen, wo ich das gehört habe, etwas recherchiert, um meinem schwachen Gehör auf die Sprünge zu helfen. Dieses Wissen ändert das Hören durchaus, das ist spannend ... ich würde gerne mal hören können, was ein Bachkenner hier hören kann :-)




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Jörn Budesheim
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Di 11. Aug 2020, 16:59

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 16:51
Ich sag's Dir: Gar nicht.
Doch, damit kommt man ganz prima weiter. Vor der Kunst, im Gespräch geht das sehr gut. Das klappt oft (aber leider nicht immer) ganz hervorragend. Ich erinnere mich an eine Führung von vor fast genau einem Jahr. Die Gruppe war zunächst total verschlossen. Aber im Gespräch hat sich das gelegt. An ein zwei Stellen haben einige der Besucher Beobachtungen zum Besten gegeben, da hab ich nur gestaunt - und mich total gefreut. Einiges davon hab ich dann sogar in den nächsten Führungen einbauen können.

Ich sag's Dir: es geht ganz wunderbar. Nur eben nicht als Rezeptbuch für die Kunst schlechthin.




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Di 11. Aug 2020, 17:05

Was ich mir gut vorstellen kann (weil selbst schon so erlebt) ist, dass man mit ein bißchen mehr (Hintergrund-)Informationen ein Kunstwerk ganz anders zu schätzen lernt.
Ganz einfach deshalb, weil man dann vielleicht den Künstler und seine Motive besser versteht. Unsere Gefühle sind ja nicht von der Ratio abgetrennt (auch wenn beide manchmal getrennte Wege gehen). Also es ist keinesfalls so, dass unsere anfänglichen Urteile und Empfindungen in Bezug auf ein Kunstwerk auf ewig in Stein gemeisselt sind.
Ich habe aber ein Problem damit wenn mir irgendwer ankommt, sagt ihm sei der heilige Umbowhumbo erschienen und hätte ihm mitgeteilt, dass dieses Kunstwerk "schön" ist und dass das auch nur der nachvollziehen kann, dem ebenfalls der heilige Umbowhumbo erscheint. An der Stelle wird mir das dann einfach zu unscharf alles. Also es muss doch schon irgendwie unterschieden werden zwischen Gründen die zulässig sind und solchen die einfach völlig beliebig dahergeredet werden. Es kann doch nicht alles was einer zu erzählen in der Lage ist für andere verbindlich sein.



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Di 11. Aug 2020, 18:06

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 15:32
Alethos hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 15:29
["Das ist nicht schön" ist] ein Urteil über diese spezifische Relation zwischen Betrachter und Gegenstand ist. [von mir hervorgehoben]
Und das ist nichts als Subjektivismus, weil du an andrer Stelle auch explizit darauf hinweist, dass bei "Das ist nicht schön für mich" das "für mich" ersatzlos gestrichen werden kann oder gar muss.
Es kann ersatzlos gestrichen werden, weil es ein Pleonasmus ist zu sagen, dass etwas schön sei und es für mich schön sei. Schönsein ist apriori ein Schönsein für jemanden. Und insofern es für jemanden schön ist, ist es schön und zwar an sich. Der Subjektivismus, den du ins Spiel bringen willst, kommt bei mir gar nicht in dieser Art vor, dass dadurch nichts wahr würde über die Schönheit des Gegenstands. Sie ist, und zwar ganz objektiv jedem zugänglich. Er kann sie erfahren, aber er muss sie nicht erfahren.

Wäre das Subjekt eine allein hinreichende Bedingung fürs Schönsein eines Gegenstands, würde ich dir zustimmen, dass es sich hierbei um einen Subjektivismus handelt. Aber ich sage ja ganz explizit, dass das Kunstwerk und seine Beschaffenheit massgebend an der Existenz der Schönheit beteiligt ist. Die Attribute des Werks sind eine ebenso notwendige Bedingung des Phänomens Schönheit - nämlich seiner Schönheit.



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Di 11. Aug 2020, 19:15

Alethos hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 18:06
Wäre das Subjekt eine allein hinreichende Bedingung fürs Schönsein eines Gegenstands, würde ich dir zustimmen, dass es sich hierbei um einen Subjektivismus handelt.
Wie ist denn das bei Dir mit der Schönheit von Gedanken? Die sind ja keine Gegenstände im klassischen Sinne. Und wie ist das dann weiter mit den eigenen Gedanken, beispielsweise wenn einer sagt: "Ich hatte gerade einen schönen Einfall"? Nehmen wir weiterhin an, Jemand fände seinen Einfall (oder irgendeinen anderen Gedanken) "schön", teilt den aber mit Niemanden. Wie ist das dann mit der Relation und der Objektivität? Oder ist das dann was grundsätzlich Anderes?
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Di 11. Aug 2020, 19:16, insgesamt 1-mal geändert.



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Jörn Budesheim
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Di 11. Aug 2020, 19:16

Alethos hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 18:06
Schönsein ist apriori ein Schönsein für jemanden.
Das Problem ist, dass du den Begriff "jemand" nicht angemessen differenziert. Unter der Hand wird bei dir aus "jemand" "irgendjemand beliebiges", jeder einzelne sozusagen. Dabei unter schlägst du, dass "jemand" immer auch etwas mitbringen muss, um bestimmte Eigenschaften erkennen zu können.

Nehmen wir ein paar Beispiele aus diversen Bereichen, die dieselbe oder eine sehr ähnliche Struktur aufweisen.

"Rotsein ist apriori ein Rotsein für jemanden." Nein, offensichtlich nicht, Rot-Grün Blinde können rot z.b. nicht angemessen erkennen und dennoch ist eine Tomate, die wir Ihnen zeigen rot.

Nehmen wir chinesische Schriftzeichen. Auch hier braucht man jemand, um ihnen Leben einzuhauchen. Mag sein. Aber eben nicht irgendjemand. Ich z.b. bin dafür nicht geeignet.

Ich hatte zuvor schon das Beispiel mit den Kindern gebracht, denen nicht mehr vorgelesen wird. Die Sensibilität für gewisse Texte wird bei ihnen gar nicht mehr entwickelt, sogar ihre Gefühle können dadurch unterentwickelt bleiben. (Das zeigt übrigens, wie extrem wichtig das Thema ist.) Wir geben also zwei Vergleichsgruppen von Kindern einen entsprechenden literarischen Text für Kinder. Die Einen sind sensibilisiert worden durch Vorlesen, die Anderen nicht. Den Einen wird sich der Text in der angemessenen Weise erschließen. Den Anderen nicht. Daraus folgt für mich, dass der Text die fraglichen Eigenschaften hat und die unsensiblen Kinder sie einfach nicht wahrnehmen können. "Jemand" kann sie nämlich erkennen, so wie du es forderst, nämlich jemand, der die dafür nötigen geistigen Eigenschaften zuvor erworben hat.

Wir zeigen jemanden, einen der spektakulärsten Züge der Schachgeschichte, leider kann die Person kein Schach spielen. Jemand anders, der schachspielen kann, kann jedoch die Genialität des Zuges erkennen.

Bei den Beispielen von Arthur C. Danto, wird kaum jemand, die Geistesblitze erkennen können, wenn wir ihnen nicht die Zusammenhänge zuvor verdeutlichen. Aber wenn wir das tun, dann gibt es, so wie du es gefordert hast, jemanden, der diese humorvollen Bildbeschreibungen/Titel versteht.

In all diesen Beispielen gibt es jemanden, der die fraglichen Eigenschaften erkennen kann, aber eben nicht irgendjemanden beliebiges.

Du lässt einfach das normative Element, was sich dort auch findet, außen vor. Jemand muss sich selbst angemessen in diese Relation, von der du sprichst, einbringen (können), damit er sie sozusagen "erfüllen" kann. Es geht also nicht einfach nur um das, was de facto in der Relation, wie du es nennst, stattfindet, sondern auch um das, was angemessen und möglich ist und dem Werk entspricht.

Und das ist keineswegs immer einfach. Bei den Beispielen, die Professor Welsch bringt, ist es allerdings fast durchgängig so, dass es uns in der Regel leicht fällt, das zu "erkennen". Die atemberaubenden Kunstwerke, von denen er spricht, heißen eben nicht umsonst atemberaubend.

Aber wenn wir es z.b. mit zeitgenössischen Arbeiten, gleichsam aus der ästhetischen Experimentalwerkstatt zu tun haben, dann ist es oft relativ "schwierig", zu einer "angemessenen" Einstellung zu finden. Das ist ja sicherlich einer der Gründe, warum so viele revolutionäre Künstler, in ihrer Zeit nicht die ihnen gebührende Anerkennung finden. Wenn man zusätzlich glaubt, es müsste ja dafür Kriterien geben, dann ist es in der Regel sogar aussichtslos. "Schwierig" ist eigentlich auch kein guter Ausdruck. Zu generell. Es kann natürlich auch oft lustvoll, ja abenteuerlich sein, irritierend, manchmal enervierend... Ich kann mich erinnern, dass ich für eine Ausstellung viele Gedichte von Stephane Mallarmé gelesen habe. Zu manchem dabei habe ich vagen "Zugang" gefunden, aber insgesamt bin ich daran "gescheitert". Dennoch würde ich niemals behaupten wollen, Stephane Mallarmé sei ein schlechter Dichter, das wäre doch absurd, wahrscheinlicher ist doch, dass ich ein schlechter Leser war :) wahrscheinlich war ich zu ungeduldig, vielleicht würde heute alles anders aussehen. Ich war jedenfalls in dieser Situation nicht der richtige "jemand".

Die Redeweise von der Relation ist sowieso "haarig", finde ich. Das erweckt nämlich den Eindruck, als hätten wir es mit einer Art mathematischen Funktion zu tun, die nur in einer einzigen Art und Weise erfüllt werden kann. Denken wir stattdessen lieber an ein freies Spiel von Kräften. Das ist vielleicht ein wenig besser.




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Di 11. Aug 2020, 19:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 19:16
Dennoch würde ich niemals behaupten wollen, Stephane Mallarmé sei ein schlechter Dichter, das wäre doch absurd, wahrscheinlicher ist doch, dass ich ein schlechter Leser war :) wahrscheinlich war ich zu ungeduldig, vielleicht würde heute alles anders aussehen.
Wie bist Du zu der Erkenntnis gekommen, dass Du ein schlechter Leser warst und Stephane Mallarmé ein guter Dichter, wenn Du doch, wie Du selbst sagst, das eigentlich gar nicht beurteilen kannst?
Irgendwie musst Du das ja entschieden haben, dass Dein Unverständnis oder Missfallen etwas mit Dir selbst und nicht mit der Dichtkunst des Dichters zu tun hat.



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Di 11. Aug 2020, 22:51

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 19:16
Alethos hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 18:06
Schönsein ist apriori ein Schönsein für jemanden.
Du lässt einfach das normative Element, was sich dort auch findet, außen vor. Jemand muss sich selbst angemessen in diese Relation, von der du sprichst, einbringen (können), damit er sie sozusagen "erfüllen" kann. Es geht also nicht einfach nur um das, was de facto in der Relation, wie du es nennst, stattfindet, sondern auch um das, was angemessen und möglich ist und dem Werk entspricht.
Ich weiss, was du meinst, aber ich kann dir einfach nicht zustimmen. Das Beispiel mit dem Chinesischen und dem Schach zeigt gerade, dass Schach, Sprachen und Schönheit völlig verschiedene Existenzgrundlagen haben - sie sind verschiedene Dinge.

Chinesisch existiert, wenn es Begriffe gibt und Regeln ihrer Anwendung (Semantik, Syntax etc.). Es braucht keinen
Chinesisch Sprechenden, damit Chinesisch existiert. Schach existiert, weil es ein Brett, Figuren und Regeln gibt. Es braucht keine Spieler, damit es Schach gibt.
Bei der Schönheit ist das anders. Es gibt zwar auch ein Objekt mit Eigenschaften, Farben und Anordnungen, aber keine Regeln, damit sie existiere. Schönheit existiert ja nicht durch eine Regelhaftigkeit und ein bestimmtes So-und-So-Sein, sondern kann auch emergieren aus ganz zufälligen Anordnungen. Sie kann aber nicht existieren ohne Betrachter. Chinesisch kann ohne Sprecher existieren, Schach ohne Spieler, aber Schönheit kann keine Existenz haben durch disparate Anordnungen und reine Zufälle, sondern es braucht die Hinordnung der Schönheitselemente in einer Draufsicht auf sie durch einen Betrachter.

Das Chinesische kann erlernt werden und kann gesprochen werden, wenn man sich an die Regeln hält (sonst lernt man es nicht und spricht es auch nicht). Man kann irren in Bezug aufs Chinesische, weil eine Normativität vorgibt, was es heisst, Chinesischsprechender zu sein. Schach kann man spielen, indem man sich an Regeln hält.Tut man es nicht, spielt man kein Schach, sondern etwas anderes. Auch hier wirkt eine Normativität auf die Tatsache des Schachspielens.

Schönheit hingegen kann man aber erkennen, auch wenn man sich an keine Regeln hält. Schönseher kann man sein ohne Regeln. Auch wenn wir keine Regeln einhalten, kann Schönheit erkannt werden. Und wir können keine Regeln einhalten, weil es bezüglich Schönheit keine Regeln gibt. Ihre Existenz ist nicht an eine Regelhaftigkeit gebunden, sondern bloss an das Regulativ einer Beziehung zwischen Betrachter und Betrachtetem. Wir können daher nicht irren, denn Irrtum heisst, mit einer Meinung
gegen eine Realität (z.B. jener von Regeln)
zu verstossen.

Das Subjekt bringt eine Prädisposition mit, mit der er sich in die Relation - wie du sagst
- einbringt. Das Objekt bringt sich aber auch in dieses Verhältnis ein und zwar mit seinem
so und so Sein (seinen Formen und Farben und seinen ästhetischen Gehalten). Beide im Zusammenhang ihres Verhältnisses zueinander regulieren die Existenz der Schönheit. Keine Regel, kein normatives Moment spielt hier hinein, sondern das Regulativ der Voraussetzungen, aus denen ihr Verhältnis zueinander besteht.

Ich glaube sehr wohl, dass es einen normativen Aspekt beim Erkennen des ästhetischen Gehalts gibt, nämlich insofern, als wir einfordern können, dass sich der Betrachter mit dem Gegenstand gebührend auseinandersetze. Den Gegenstand zu überfliegen und zu urteilen, es sei nicht schön, das ist keine angemessene Würdigung des Gegenstands oder seines ästhetischen Potenzials. So wenig wir jemandes Urteil ernst nehmen würden, der beim hastigen Überfliegen eines Schriftstücks chinesische Zeichen als bedeutungsloses Gekritzel aburteilt, können wir das Urteil von jemandem ernst nehmen, der sich nicht die Zeit genommen hat, seine Vorurteile abzulegen und sich für den Gegegenstand zu öffnen. Der Kunstgegenstand hat ein Sein, das man würdigen muss, wenn man sich über ihn ein Urteil erlauben will.
Zurecht kann man von jemandem einfordern, dass er seine inneren Einstellungen auf den Gegenstand hin justiert, damit er ihn als diesen Gegenstand erkennen kann.
Aber gerade das bedeutet es, dass ein Objekt schön ist: Dass ein Subjekt seine Schönheit an ihm hebt und zur Existenz bringt.

Nehmen wir an, es gäbe da einen Gegenstand, den alle Menschen mit Ausnahme eines Menschen als nicht schön ansehen. Er habe die Fähigkeit, an ihm das Schöne festzustellen, würden wir sagen, er habe den richtigen Zugang zum Gegenstand gefunden. Aber was würde das bedeuten für das Nichtschöne (als Gegenteil des Schönen), dass es nur existiert, weil noch niemand den richtigen Zugang zu seiner Schönheit gefunden hat? Das wäre doch reichlich absurd zu sagen, dass die Schönheit einerseits durch ein Vermögen erkannt werde, andererseits aber sagen wollten, dass das Nichtschöne ein Mangel dieses Vermögens des Erkennenkönnens von Schönheit sei. Demzufolge gäbe es nämlich nur (objektive) Schönheit und den (subjektiven) Irrtum des Nichterkennens von Schönheit.
Aber wollen wir wirklich sagen, dass alles per se schön ist? Oder wollen wir nicht lieber sagen, dass alles auf seine Art schön ist, nämlich in der Art, wie wir uns zu ihm ins richtige Verhältnis rücken?

Dann aber resultiert seine Hässlichkeit, sein Nichtschönsein auch nicht einfach aus einem "falschen" Verhältnis zum Gegenstand, weder aus einem falschen noch richtigen Verhältnis, sondern aus einem Verhältnis von vielen Verhältnissen, die wir mit ihm (objektiv) eingehen können.



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Mi 12. Aug 2020, 00:06

Ein Gedankenexperiment:

Von 200 Personen urteilen 180 über den Gegenstand x: "X ist nicht schön." (1)
20 urteilen: "X ist schön." (2)

Wenn wir den Wahrheitswert der Urteile losgelöst von den inneren Einstellungen der Urteilenden ermitteln wollten, und feststellen wollten, dass der Gegenstand an sich schön oder nicht schön sei, würde folgendes gelten:

(1) ist ein wahres Urteil, sofern x nicht schön ist.
(2) ist ein falsches Urteil, sofern x nicht schön ist.
(1) ist ein falsches Urteil, sofern x schön ist
(2) ist ein wahres Urteil, sofern x schön ist

Tertium non datur.

Nehmen wir nun an, wir könnten das an sich Sein der Nichtschönheit von x ermitteln. Das Urteil (2) wäre falsch. Demzufolge ist die empfundene Schönheit eine Einbildung, ein Irrtum, ein irregeleitetes Meinen, jedenfalls kein Wissen über den Gegenstand.

Zu diesen Wahrheitswerten zu kommen, setzt voraus, dass es einen angemessenen Zugang zum Objekt gibt, der seine Nichtschönheit erkennbar werden lässt. Nehmen wir an, es gebe diesen Zugang, mit welchem wir die Nichtschönheit feststellen. Was bedeutet das für die, die irren? Dass sie keinen angemessenen Zugang haben, ansonsten sie ja zu einem wahren Urteil gekommen wären. Können wir ausschliessen, dass es einen anderen Zugang gibt als den eine richtigen? Können wir ausschliessen, dass es noch weitere richtige Zugänge gibt?

Da wir es hier mit einem induktiven Schluss zu tun haben, können wir die Nichtexistenz von etwas gar nicht beweisen. Wir können nie sicher sein und auch nie feststellen, dass es einen einzigen richtigen Zugang gibt, also können wir auch nicht ausschliessen, dass es einen Zugang zum Objekt gibt, der an ihm keine andere Seiten zeigt. Und wir können demzufolge gar nie ausschliessen, dass es da keine Seiten an ihm gibt, die ihn als schönes Objekt zeigen.

Die Nichtexistenz der Schönheit ist demzufolge nicht beweisbar, ja, sie ist nicht einmal theorerisch feststellbar: denn dazu müssten alle Facetten eines Gegenstands, alle seine Perpektiven vollständig vorliegen, was sie nicht können, weil sie indefinite Perspektiven sind.

Nun gut, wir können also weder induktiv schliessen, dass es einen einzigen Zugang gibt und auch nicht, dass er zu einem einzigen Ergebnis führt (nicht schönes Objekt) noch kann es prinzipiell eine Vollständigkeit der Perspektiven geben, daraus sich eine abschliessende Gegebenheit des Objekts einstellte.

Es gibt demzufolge keinen zwingend richtigen Zugang zum Objekt, der immer zum selben Urteil führte, wir können prinzipiell nicht entscheiden, ob es sich so verhält mit
dem Objekt, und deshalb nie feststellen, dass er objektiv nicht schön sei. Wir können es nicht aus Mangel an Beweisen.

Wenn es aber Unentscheidbarkeit gibt, dann gewiss Unentschiedenheit, oder aber Entschiedenheit in einem für die Lebenswirklichkeit unerreichbaren Sinn.
Unentschiedenheit kann logisch als "weder noch"-Verhältnis dargestellt werden sowie als "sowohl als auch"-Verhältnis. Auf Ersteres folgt ein Nihilimus, auf letzeres ein Realismus.

Man kann nun wählen, ob man glauben will, es gebe keine Schönheit, muss dann aber die Realität des eigenen Schönheitsempfindens bestreiten oder man wählt den Realismus und kauft sich damit einen Widerspruch ein, nämlich, dass etwas sowohl schön wie auch nicht schön und zwar zugleich sein kann - Es wäre somit unentscheidbar dies oder das, folglich dies und das in Offenheit. In Kontingenz.

Irrtum im Sinne von falsifizierbaren Urteilen kann es mit Bezug auf die Existenz von Schönheit nicht geben.



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Alethos hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 22:51
Das Chinesische kann erlernt werden und kann gesprochen werden, wenn man sich an die Regeln hält
Noch mal kurz, weil du auf das Argument nicht wirklich eingehst. Ich mache geltend, dass man Voraussetzungen mitbringen muss, um etwas zu erkennen. Dazu hab ich ein paar Beispiele gebracht. Es waren (a) Beispiele dafür, dass es fürs Erkennen überhaupt Voraussetzungen geben muss. Es waren jedoch nicht (b) Versuche, die spezifischen Voraussetzungen anzugeben, die man braucht, um den ästhetischen Wert von Kunst zu erfassen. Du behandelst das Argument aber so, als hätte ich gemäß (b) argumentiert - also so als hätte ich gesagt, es bräuchte genau diese Voraussetzungen oder Voraussetzungen dieses Typs. Den Punkt (a) ignorierst du, den Punkt (b) rekonstruierst du hingegen falsch.

Dein "Jemand" braucht (a) keine Voraussetzungen, er muss sich nur genügend Zeit nehmen und sich einlassen (immerhin, ein kleiner Fortschritt). Um gegen (b) zu argumentieren suchst du dir u.a. das Chinesische bzw. die Schriftzeichen als Beispiel raus und behauptest, es genüge, die "Regeln ihrer Anwendung" zu kennen, um ihnen Leben einzuhauchen. Erstaunlicherweise packst du dabei die Semantik unter die Regeln, was ziemlich krass verfehlt ist. Regelbeherrschung reicht nicht hin, um einem Zeichen Leben einzuhauchen, sonst könnte KI Zeichen ganz problemlos Leben einhauchen. Wie auch immer: meine Beispiele waren ja gerade so ausgewählt, dass sie die Verschiedenartigkeit der Voraussetzungen zumindest andeuten sollten: körperliche Voraussetzungen (sehen), Sprachgefühl und -kenntnis (Chinesisch), Einübung in die ästhetische Praxis (das Beispiel mit den Kindern), Spiel (Schach), Geist und Witz (die roten Bilder), die Fähigkeit sich für Neues zu öffnen (Mallarmé). Das hast du alles ignoriert und dich stattdessen auf etwas bezogen, was ich gar nicht in der Art gebracht habe, wie du es diskutiert hast: Regeln. (Was nicht heißt, dass Regelkenntnis nicht eine wichtige Voraussetzung für Erkenntnis sein kann.)

Es bleibt dabei: Dein "Jemand" ist ein beliebiger voraussetzungsloser "Irgendjemand". Und du hast kein Argument dafür, welches das plausibel macht. Zudem gibst du damit - wie schon wiederholt gesagt - der Kunst den falschen Ort. Sie ist nämlich auch etwas Öffentliches, sie zählt zu einer "allgemeinen ästhetischen Praxis". Dazu gehört, dass wir öffentliche Orte dafür eingerichtet haben: Galerien, Museen etc. Aber auch, dass es öffentliche Diskurse über Kunst und ihre Bedeutung und ihren Wert gibt. Auch die "Fähigkeit" zu "erkennen", dass das "Du" in einem Gedicht sich nicht allein (wenn überhaupt) an mich als konkrete Person richten muss, sodass ich gewissermaßen in einen Bereich zwischen meinem konkreten Bewusstsein und einem "allgemeinen" Bewusstsein eintreten muss, ist ein Zeichen dafür. Die"Spannung aus Konkretismus und Abstraktion, Nähe und Distanz gehört (oftmals) auch dazu.

Zudem sollten wir alle ein Teil ein gewissen Lern- und Verlerngeschichte sein können/dürfen, wenn man die ästhetische Erziehung nicht einfach verweigert, wie in dem Beispiel mit den Kindern. Dass die Kunst nicht allein etwas Individuelles im privaten Raum ist, gehört gewissermaßen zu den (ästhetischen) Erziehungsaufgaben einer Gesellschaft.




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Jörn Budesheim
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Mi 12. Aug 2020, 11:51

Alethos hat geschrieben :
Mi 12. Aug 2020, 00:06
Da wir es hier mit einem induktiven Schluss zu tun haben
Was soll das bedeuten?

(Ich verstehe das gesamte Argument nicht. Kannst du eine einfach verständliche Kurzfassung bringen?)




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Alethos
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Mi 12. Aug 2020, 12:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 12. Aug 2020, 11:51
Alethos hat geschrieben :
Mi 12. Aug 2020, 00:06
Da wir es hier mit einem induktiven Schluss zu tun haben
Was soll das bedeuten?

(Ich verstehe das gesamte Argument nicht. Kannst du eine einfach verständliche Kurzfassung bringen?)
Wir urteilen, dass etwas nicht schön ist und wissen, dass dieses Urteil wahr ist.
Wissen tun wir es, weil wir den richtigen Zugang zum Gegenstand haben.
Wir können aber nicht ausschliessen, dass es der einzige richtige Zugang ist und dass ein anderer Zugang ein anderes wahres Urteil möglich macht.
Wir können es deshalb nicht ausschliessen, weil wir die Nichtexistenz von etwas nicht beweisen können, z.B. die Nichtexistenz eines anderen Zugangs oder eines anderen Ergebnisses.

Der Wahrheitswert des Schönheitsurteils ist deshalb kontingent.



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Mi 12. Aug 2020, 12:36

Alethos hat geschrieben :
Mi 12. Aug 2020, 00:06
Man kann nun wählen, ob man glauben will, es gebe keine Schönheit, muss dann aber die Realität des eigenen Schönheitsempfindens bestreiten
Was? Wieso das denn? Das hättest Du wohl gern. Aus der Annahme, dass es objektive Schönheit nicht gibt, folgt mitnichten, dass es dann auch kein Schönheitsempfinden mehr gibt. Schönheit kommt ja - in dieser Annahme - gerade nur als Schönheitsempfinden (im Subjekt) vor.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

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