subjektiv, objektiv

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Jörn Budesheim
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Fr 29. Mai 2020, 12:51

Ich für meinen Teil glaube nicht, dass Schmerzen existieren, weil man in das Siegel der Objektivität gegeben hat, ich glaube, man kann ihnen das Siegel der Objektivität geben, weil sie existieren.

Ich meine, jetzt mal im Ernst: wie kann man wirklich daran zweifeln? Was heißt das, wenn die Philosophie einen dazu führt, dass man anfängt, daran zu zweifeln, dass man tatsächlich Schmerzen haben kann? Man kann vielleicht daran zweifeln, dass die Schmerzen eine angemessene Ursache haben, wie vielleicht beim Leben in der Matrix oder beim Phantomschmerz. Aber daran, dass man das Gefühl wirklich hat, kann man doch nicht im Ernst zweifeln!




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Friederike
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Fr 29. Mai 2020, 15:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 29. Mai 2020, 12:51
Ich für meinen Teil glaube nicht, dass Schmerzen existieren, weil man in das Siegel der Objektivität gegeben hat, ich glaube, man kann ihnen das Siegel der Objektivität geben, weil sie existieren. Ich meine, jetzt mal im Ernst: wie kann man wirklich daran zweifeln? Was heißt das, wenn die Philosophie einen dazu führt, dass man anfängt, daran zu zweifeln, dass man tatsächlich Schmerzen haben kann? Man kann vielleicht daran zweifeln, dass die Schmerzen eine angemessene Ursache haben, wie vielleicht beim Leben in der Matrix oder beim Phantomschmerz. Aber daran, dass man das Gefühl wirklich hat, kann man doch nicht im Ernst zweifeln!
Der Begriff "Phantomschmerz" zeigt doch vortrefflich, daß es sich um einen eingebildeten Schmerz handelt, einen Schmerz, von dem eine Person sich nur einbildet ihn zu haben oder zu empfinden, der also nicht objektiv vorhanden ist. Gut, inzwischen meint man das zwar nicht mehr, im Begriff jedoch ist diese Ansicht noch enthalten.




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Jörn Budesheim
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Fr 29. Mai 2020, 16:29

"Phantom" bezieht sich sicher nicht auf einen Schmerz, von dem eine Person sich nur einbildet ihn zu haben, sondern darauf, dass der (Phantom-)Körperteil, der schmerzt, fehlt. Was soll man denn unter einem eingebildeten Schmerz verstehen? "Es tut mir, weh, aber ich spüre nichts?"




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Friederike
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Fr 29. Mai 2020, 17:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 29. Mai 2020, 16:29
"Phantom" bezieht sich sicher nicht auf einen Schmerz, von dem eine Person sich nur einbildet ihn zu haben, sondern darauf, dass der (Phantom-)Körperteil, der schmerzt, fehlt. Was soll man denn unter einem eingebildeten Schmerz verstehen? "Es tut mir, weh, aber ich spüre nichts?"
Nur eine begriffsgeschichtliche Untersuchung könnte klären, worauf sich "Phantom" bezieht bzw. bei der Begriffsbildung bezogen hat.

Mir ist der Zustand nicht völlig fremd, nicht gaaanz genau zu wissen, ob ich jetzt hier an dieser Stelle nun ein leichten Schmerz empfinde oder nicht.




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Friederike
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Fr 29. Mai 2020, 17:46

Hab' eben ein bißchen gegoogelt. Die Definition aus "Oxford Languages" (dt. Fassung):

Schmerz, den jemand in einem bestimmten Körperteil zu spüren meint, obwohl dieser amputiert ist.

"zu spüren meint", warum nicht "spürt"? Es klingt zumindest an, der Schmerz sei ein vermeintlicher, also ein nicht wirklicher, ein eingebildeter Schmerz. Der Schmerz wird aber in einem fehlenden Körperteil gespürt.




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Jörn Budesheim
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Fr 29. Mai 2020, 17:48

Man spricht schließlich dementsprechend auch von Phantomgliedern, die als real erlebt werden, weil sie noch, wie man so sagt, zum Körperschema gehören. Diese Phantomglieder können vermutlich allerlei Empfindungen haben unter anderem auch Phantomschmerzen.

Man kann sich einbilden, dass da ein Arm ist der schmerzt, aber das Schmerzempfinden ist real. Falsch ist nur, wie das Schmerzempfinden die Wirklichkeit repräsentiert. die subjektive Empfindung ist objektiv da, stellt aber die objektive Realität falsch dar.

....

Sich nicht sicher zu sein, ob man irgendwo tatsächlich einen kleinen Schmerz hat, ist etwas völlig anderes als sich einen Schmerz einzubilden, was einfach nicht möglich ist.




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Alethos
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Fr 29. Mai 2020, 18:21

Einverstanden mit dir, Jörn. Schmerzen, die man empfindet, sind real. Sie kommen in der Form einer Empfindung vor, und wenn man sie hat, sind sie unmöglich nicht objektiv.

Nur weiss ich jetzt nicht mehr genau, ob jemand tatsächlich das Gegenteil behauptete oder du einem Phantom hinterher rennst :D



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Jörn Budesheim
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Fr 29. Mai 2020, 18:41

Ich meine, dass Friederike und Stefanie das behaupten. Friederike behauptet ja explizit, dass man sich einbilden kann, Schmerzen zu haben.

.........

Zudem trifft man auf die Ansicht, dass alles, was in irgendeiner Weise subjektiv ist, nicht objektiv sein kann, durchgängig. Das führt dazu, dass viele Leute behaupten, Wahrnehmungen seien subjektiv - was implizit zumeist mit meint, dass sie nicht objektiv sind. Das ist eine Ansicht, die uns gewissermaßen aus der Wirklichkeit ausschließen würde.

Das ist eine ganz weit verbreitete der Grundeinstellungen, die heute leider immer noch dazu führt, dass Subjektivismus und Relativismus so stark sind. Man hat sich ja über viele Jahrzehnte eingeredet, dass diese Form des Relativismus eine höhere Art der Toleranz ist, jeder hat halt seine eigene Sicht. (In dem alten Forum hat das dazu geführt, dass man geschichtsrevisionistischen Ansichten eine Plattform gab!)

Das Ganze hat also nicht bloß eine epistemische und metaphysische Bedeutung, es ist eminent politisch! Wir brauchen gerade heute einen robusten Realismus, und eine Allianz der Realisten, um uns gegen Trump AFD und Konsorten kohärent positionieren zu können. Mit Subjektivismus und Relativismus haben wir keine Waffen gegen Alternativen Fakten an der Hand!




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Jörn Budesheim
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Fr 29. Mai 2020, 19:28

Alethos hat geschrieben :
Fr 29. Mai 2020, 18:21
Einverstanden mit dir, Jörn. Schmerzen, die man empfindet, sind real. Sie kommen in der Form einer Empfindung vor, und wenn man sie hat, sind sie unmöglich nicht objektiv.

Nur weiss ich jetzt nicht mehr genau, ob jemand tatsächlich das Gegenteil behauptete oder du einem Phantom hinterher rennst :D
Der eliminative Materialismus behauptet das z.b. ganz explizit.




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Stefanie
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Fr 29. Mai 2020, 19:46

Ich meine, dass Friederike und Stefanie das behaupten
Nein, falsch was mich betrifft. Ich habe allerdings jetzt keine Lust, mich selber aus den letzten Beiträgen zu zitieren,

Das sehe ich genauso.
Jörn
Ich meine, jetzt mal im Ernst: wie kann man wirklich daran zweifeln? Was heißt das, wenn die Philosophie einen dazu führt, dass man anfängt, daran zu zweifeln, dass man tatsächlich Schmerzen haben kann? Man kann vielleicht daran zweifeln, dass die Schmerzen eine angemessene Ursache haben, wie vielleicht beim Leben in der Matrix oder beim Phantomschmerz. Aber daran, dass man das Gefühl wirklich hat, kann man doch nicht im Ernst zweifeln!
Für mich das subjektive Schmerzempfinden sowas wie eine subjektive Tatsache, oder sogar eine absolute Wahrheit. Sie existieren. Punkt.
Es sind meine Schmerzen, meine Gefühle, gleich welcher Art, und wehe irgendwer will mir das Gegenteil einreden, oder einreden wollen, es liegt eine Einbildung vor, wenn mir mein Rücken weh tut, oder meine Füße bei 30 Grad kalt sind. Ich weiß, dass ich Schmerzen habe, ich fühle sie doch, die Schmerzen.

Was ich nicht verstehe, ist, warum diese starken, eindeutig existieren Empfindungen noch mit dem Siegel objektiv versehen werden müssen.. Werden sie dadurch noch existierender, noch wahrer, als sie es eh schon sind?

Es geht hier nicht um Subjektivismus oder Relativismus. Das passt nicht auf menschlichen Empfindungen, wie Schmerz, Glück, Liebe, usw.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Jörn Budesheim
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Fr 29. Mai 2020, 19:53

Stefanie hat geschrieben :
Fr 29. Mai 2020, 19:46
Ich weiß, dass ich Schmerzen habe, ich fühle sie doch, die Schmerzen.
Nichts anderes ist damit gemeint, wenn ich sage, dass sie objektiv existieren. Es gibt sie einfach. Zugleich haben sie eine subjektive Ontologie, weil es sie nur gibt, insofern sich von einem Subjekt erleben werden.




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Jörn Budesheim
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Fr 29. Mai 2020, 20:16

Was ich nicht verstehe, ist, warum du diese starken, eindeutig existieren Empfindungen nicht als objektiv anerkennen willst. Wird ihnen dadurch irgendetwas genommen? Werden sie dadurch in irgendeiner Form bedroht? Dass sie zugleich eine subjektive Ontologie haben, also in diesem Fall deine Empfindungen sind wird ja damit nicht geleugnet.




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Jörn Budesheim
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Stefanie
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Fr 29. Mai 2020, 21:49

Sie werden bedroht. In dem sie genauso hinterfragt werden, wie z.B. eine Aussage, eine Meinung, durch die identischen Kriterien. Wie in den ganzen Diskussionen über Wahrheit, Tatsachen, Glauben, Denken, Wissen, Sprache, Logik, usw. Wie jetzt in dieser Diskussion auch.
Damit wird indirekt auch das schmerzempfindende Subjekt einer Prüfung unterzogen. Es wird zu einem Objekt dieser Untersuchungen und seine Schmerzen auch. Was ist das schlimmste, was einem Subjekt passieren kann, ...zu einem Objekt zu werden.
Mal abgesehen davon, dass subjektiv negativ angesehen wird.

Wie ist es denn in diesem Fall?:
Es gibt Menschen, die können keinen Schmerz empfinden oder erst, wenn es zu spät ist. Während wir sofort die Hand wegziehen, wenn das Wasser viel zu heiß ist, weil es Autsch macht, merken sie es nicht und duschen. Und jemand wundert sich dann, wenn bei Anderen Panik angesichts der mehr als geröteten Haut ausbricht, und er sich in der Notaufnahme wiederfindet.
Subjektiv gibt es keine Schmerzen. Jetzt zu sagen, hier liegen objektiv Schmerzen vor, wäre eine Missachtung des Subjekts.



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Sa 30. Mai 2020, 06:35

Stefanie hat geschrieben :
Fr 29. Mai 2020, 21:49
Subjektiv gibt es keine Schmerzen. Jetzt zu sagen, hier liegen objektiv Schmerzen vor, wäre eine Missachtung des Subjekts.
Wenn es "subjektiv keine Schmerzen" gibt, wenn also jemand keine Schmerzen empfindet, dann liegen objektiv keine Schmerzen (Schmerzempfindungen) vor. (Ich vermute, das ist einfach eine Tautologie.)

Wenn objektiv kein Schmerz vorliegt, obwohl die Temperatur des Wassers für dieses Subjekt objektiv schädlich ist, dann hat das Subjekt (mittels seiner Sinne) seine Umgebung objektiv falsch wahrgenommen.

Eine Sinnestäuschung oder Sinnesschwäche zu konstatieren, ist keine Missachtung des Subjekts, sonst würden vermutlich Brillen und Hörgeräte gegen die Menschenrechte verstoßen :)

Und immer wenn wir selbst versuchen würden, Irrtümer zu korrigieren, würden wir uns selbst missachten!




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Jörn Budesheim
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Sa 30. Mai 2020, 07:21

Eine Missachtung des Subjekts liegt meines Erachtens z.b. dann vor, wenn man sagt, Gefühle sind in Wahrheit nichts als Chemie Cocktails. Und während diese objektiv vorliegen, weil sie mit den Mitteln der Naturwissenschaft messbar sind, sind jene bloß subjektiver Schein, ein Epiphänomen, wie es so "schön" heißt.




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Sa 30. Mai 2020, 08:30

Nur kurz zur Erinnerung: John Searle unterscheidet zwischen epistemischer Subjektivität und ontologischer Subjektivität.




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Stefanie hat geschrieben :
Fr 29. Mai 2020, 21:49
... eine Missachtung des Subjekts.
Denken wir an dieser Stelle auch einmal an Schimmermatts Position! Er ist schließlich ganz dezidiert der Ansicht, dass er bis auf den Grund des Nichts schauen könnte, so dass er erkennt, dass es ihn selbst im Grunde gar nicht gibt.




Snaut
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So 31. Mai 2020, 11:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 25. Mai 2020, 05:40
Warum aber sollte man eine Anästhesie machen, wenn Schmerzen nicht wirklich also objektiv existieren? Und auch die Frage, ob die Anästhesie gewirkt hat oder nicht fragt nach etwas objektivem.
Der objektive Aspekt von Schmerz findet nicht im gehauenen Finger, sondern im Schmerzzentrum des Gehirns statt.

Dass es subjektiv Schmerz gibt, weiss man sicher nur von sich selbst, wenn man nicht zu den Menschen gehört, die kein Schmerzempfinden haben. Man kann untersuchen, welche Hirnprozesse mit dem eigenen subjektiven Schmerzempfinden korrelieren oder auch mit Schmerzäusserungen von Probanden, und dann von sich auf andere schliessen.

Die Frage, ob die Aussenwelt nur (m)ein Traum oder eine Cybersimulation mit virtueller Objektivität ist, bleibt offen.




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Jörn Budesheim
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So 31. Mai 2020, 12:15

Im Schmerzzentrum findet man, wie du selbst sagst, nur die neuronalen Korrelate, von denen du zugleich sagst, ihre Existenz sei offen. Das heißt einerseits machst du mit ziemlicher Bestimmtheit geltend, dass sich der objektive Aspekt des Schmerzes im Gehirn befindet. Und im nächsten Zug lässt du offen, ob dieses Gehirn überhaupt existiert.

Wenn aber die Existenz des Gehirns infrage steht, dann muss in dieser Sichtweise auch der Schmerz infrage stehen.




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