subjektiv, objektiv

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Jörn Budesheim
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Mi 15. Jul 2020, 20:18

Alethos hat geschrieben :
Mi 15. Jul 2020, 19:56
Eine ernstgemeinte Frage: Was ist objektiv schöner, die Klaviersonate Nr. 11 von Mozart oder die "Matthäus-Passion" von Bach?
Daraus, dass solche Vergleiche manchmal wahrheitsgemäß (und auch noch ziemlich einfach) zu entscheiden sind, folgt nicht, dass diese Frage (was ist ästhetisch wertvoller) immer sinnvoll ist oder entscheidbar ist.




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Alethos
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Mi 15. Jul 2020, 21:31

Das lässt sich dann resümieren mit der Aussage: Was schön(er) ist, lässt sich nicht immer entscheiden. Ist das eine legitime Schlussfolgerung?



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Mi 15. Jul 2020, 21:39

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 15. Jul 2020, 19:20
Falls man akzeptiert, dass das schön ist, was gefällt, dann ist die "Konklusion" nicht besonders überraschend, dass das schön ist, was gefällt.
Das Entscheidende ist aber hier nicht, dass das Schön ist was gefällt, sondern dass Unterschiedliches gefällt.
Andernfalls könnte man ja auch aus dem was gefällt ein objektives Urteil "stricken".
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Mi 15. Jul 2020, 21:40, insgesamt 1-mal geändert.



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Jörn Budesheim
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Mi 15. Jul 2020, 21:39

Alethos hat geschrieben :
Mi 15. Jul 2020, 21:31
Das lässt sich dann resümieren mit der Aussage: Was schön(er) ist, lässt sich nicht immer entscheiden. Ist das eine legitime Schlussfolgerung?
Alternativ kann es auch sein, dass die Frage manchmal gar nicht sinnvoll ist ... schwer zu sagen. Ist es irgendwie sinnvoll, sich zu fragen, ob das Pissoir von Marcel Duchamp bedeutender ist, als das "Frühstück im Freien" von Manet? Mir käme das als ein seltsames Forschungsprojekt vor, aber ich kann mich natürlich irren ...




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Mi 15. Jul 2020, 21:48

Alethos hat geschrieben :
Mi 15. Jul 2020, 19:56
Eine ernstgemeinte Frage: Was ist objektiv schöner, die Klaviersonate Nr. 11 von Mozart oder die "Matthäus-Passion" von Bach?

Oder von bei diesen beiden: "Cheri Cheri Lady" oder "You're my heart, you're my soul"?
Ich nehme die dritte Option in der davidson'schen Auswahl: Oder keins von beidem.
:-D



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Alethos
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Mi 15. Jul 2020, 23:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 15. Jul 2020, 21:39
Alethos hat geschrieben :
Mi 15. Jul 2020, 21:31
Das lässt sich dann resümieren mit der Aussage: Was schön(er) ist, lässt sich nicht immer entscheiden. Ist das eine legitime Schlussfolgerung?
Alternativ kann es auch sein, dass die Frage manchmal gar nicht sinnvoll ist ... schwer zu sagen. Ist es irgendwie sinnvoll, sich zu fragen, ob das Pissoir von Marcel Duchamp bedeutender ist, als das "Frühstück im Freien" von Manet? Mir käme das als ein seltsames Forschungsprojekt vor, aber ich kann mich natürlich irren ...
Wenn wir aber über die Objektivität des ästhetischen Werts nachdenken, wenn wir diese gar behaupten, dann können wir doch auch nicht sagen, dass es manchmal keinen Sinn hat das eine mit dem anderen zu vergleichen. Wenn wir Dieter Bohlens Musik mit Bachs Musik vergleichen können, das eine als ästhetisch wertvoller als das andere auszeichnen, so muss ein solcher Komparativ auch möglich sein für zwei in ihrem ästhetischen Wert gleichwertige Gegenstände.

Anders gesagt: Wenn es zwischen Duchamps "Pissoir" und Manets "Frühstück" keinen produktiv zu machenden Unterschied betreffend den ästhetischen Wert gibt, dann auch nicht zwischen Bohlens Musik und jener Bachs.
Und falls doch, falls es möglich ist zu sagen, dass die Frage einmal Sinn ergibt und das andere Mal nicht, dann müssen wir Kriterien angeben können, nach denen wir befinden, dass ein Vergleich Sinn ergibt oder nicht. Diese Kriterien können nun wiederum nicht jene sein, die den ästhetischen Wert überhaupt ausmachen, denn dann würden wir ja den Kriterien zugrunde legen, was wir aus ihnen ableiten wollten; nämlich den ästhetischen Wert. Das wäre in gewissem Sinn ein petitio principii auf ästhetischem Feld.

Aber vielleicht bedeutet ja 'Objektivität des ästhetischen Werts', dass unsere Beurteilungen nichts an ihm ändern. Weder können wir sagen, dass dies schöner sei als jenes, weil die Objektivität
an der Einzelsache selbst hängt und wir Dinge betreffend ihren Wert nicht miteinander verrechnen können, noch können wir Schönheit attribuieren, etwa, indem wir sagen: "Das ist aber schön!", worauf etwas schön "wird", sondern den ästhetischen Wert müssen wir als einen Wert an sich nehmen, der keiner subjektiven Beigabe durch den Betrachter bedarf, um diesen Wert zu haben. Das wäre
sozusagen ein Pläydoyer für die Autonomie der Schönheit.

Wobei ich eher dafür bin zu glauben, dass Objekt und Subjekt, Betrachter und Betrachtetes, eine organische Einheit bilden, so dass wir das Werk gar nicht als abgeschlossenes Ding vor uns stehen haben, sondern wir mit ihm eine Offenheit, eine Nichtabgeschlossenheit bilden. Wie sind Teil des ästhetischen Werts, wobei der Unterschied zwischen objektivem und subjektivem Moment irrelevant wird



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Jörn Budesheim
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Do 16. Jul 2020, 05:48

Handbuch der philosophischen Grundbegriffe hat geschrieben : Kriterium (gr. krinein ›scheiden‹, urteilen), das Kennzeichen, der Prüfstein der ↑Wahrheit, das Unterscheidungsmerkmal. Der Begriff K. stammt von den Stoikern
Stellen wir uns vor, wir betrachten ein Bild von Yves Klein. Nach welchem Kriterium entscheidet man, dass das Bild blau ist? Was ist das Kennzeichen von blau?




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Jörn Budesheim
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Do 16. Jul 2020, 06:13

Nehmen wir mal an, ein Merkmal, bzw ein Kriterium des Wohlproportionierten wäre der goldene Schnitt. Aber was ist das Kriterium dafür, dass dies ein Kriterium ist? Und wenn wir dieses zweite Kriterium haben, welches ist das Kriterium dafür, dass dies ein Kriterium ist?




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Alethos
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Do 16. Jul 2020, 06:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 16. Jul 2020, 06:13
Nehmen wir mal an, ein Merkmal, bzw ein Kriterium des Wohlproportionierten wäre der goldene Schnitt. Aber was ist das Kriterium dafür, dass dies ein Kriterium ist? Und wenn wir dieses zweite Kriterium haben, welches ist das Kriterium dafür, dass dies ein Kriterium ist?
Dass es Wohlgefühle produziert, ist wohl das Kriterium dafür, dass wir es als Kriterium nehmen, damit als Kriterium des Wohlproportionierten gelten kann. Weiss nicht genau, wie ich die Frage verstehen soll.

Ich weiss auch nicht genau, ob man einem eingefleischten "Modern Talking"-Groupie wirklich die Einsicht in die Tatsache argumentativ verschaffen kann, dass Bach schönere Musik hervorbrachte als Bohlen.



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Do 16. Jul 2020, 06:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 16. Jul 2020, 05:48
Stellen wir uns vor, wir betrachten ein Bild von Yves Klein. Nach welchem Kriterium entscheidet man, dass das Bild blau ist? Was ist das Kennzeichen von blau?
Du meinst also, dass Schönheit eine Eigenschaft ist wie die Farbe?



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Jörn Budesheim
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Do 16. Jul 2020, 06:27

Ich frage einfach nach dem Kriterium von blau. Woran erkennt man blau außer daran, dass es eben blau ist?




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Jörn Budesheim
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Do 16. Jul 2020, 06:51

Alethos hat geschrieben :
Do 16. Jul 2020, 06:22
Ich weiss auch nicht genau, ob man einem eingefleischten "Modern Talking"-Groupie wirklich die Einsicht in die Tatsache argumentativ verschaffen kann, dass Bach schönere Musik hervorbrachte als Bohlen.
„Der Genialität des Schaffens entspricht eine Genialität des Verstehens.“ (Gadamer)

Das Argument kann nur die Kunst selbst sein. David Hume war der Ansicht, dass es Standards der Kunst geben könnte. Allerdings hatte er natürlich eine andere Kunst vor Augen als wir. Ist es nicht gut denkbar und (wahrscheinlich defacto sogar oft der Fall) dass schlechte Kunst gemäß einfacher Kriterien das Angenehmem produziert wird? Es ist dann nach zwar allen Regeln der Kunst gemacht, sicherlich auch hübsch anzusehen, aber es lässt einen dann letztlich der noch kalt.




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Do 16. Jul 2020, 08:44

Alethos hat geschrieben :
Do 16. Jul 2020, 06:22
Ich weiss auch nicht genau, ob man einem eingefleischten "Modern Talking"-Groupie wirklich die Einsicht in die Tatsache argumentativ verschaffen kann, dass Bach schönere Musik hervorbrachte als Bohlen.
Ich denke schon. Das kommt aber stark darauf an wie Du argumentierst.
Ich sagte ja schon, wenn der Groupie auf das abzielt was die Musik in ihm auslöst ("Schön ist, was ich beim Hören der Musik empfinde"), dann hast Du keine Chance. Du kannst schliesslich einem Menschen nicht vorschreiben, was Musik in ihm auszulösen hat.
Aber, Du kannst auf Dinge abzielen wie Komplexität. Ich kenne mich da auch nicht so aus, aber ich glaube schon, dass Bach's Musik objektiv komplexer ist als die von Bohlen. Und das kann man auch zeigen.
Wenn man auf Objektivität hinaus will muss man eben Bewertungskriterien heranziehen, die sich auch objektiv zeigen lassen. Und wenn Du dann einen vernünftigen Gesprächspartner vor Dir hast, wird der das auch erkennen können.

Das Wichtige hierbei ist aber, dass, um z.B. die Komplexität eines Musikstücks zu erkennen, Expertise nötig ist. Die haben die meisten "Konsumenten" nicht und deshalb bewerten sie Musik auch nicht nach ihrer Komplexität (sie erkennen den Unterschied, wenn er nicht gerade überdeutlich ist, nicht).
Gerade der Bohlen hat in seinen DSDS-Shows ziemlich oft die Augen nach einem Zuschauervoting verdreht. Man hat ihm das förmlich angesehen ("Wieso wählen die Zuschauer diesen Kandidaten als ihren Liebling? Der kann doch gar nichts").
Und das liegt daran, dass unterschiedliche Bewertungskriterien und Maßstäbe angelegt werden.
Jemand der selbst kunstschaffend ist, der sieht die Kunst aus einem anderen (oder besser aus einem oder mehreren zusätzlichen) Blickwinkel. Der bewertet eben nicht nur nach dem was das Kunstwerk in ihm auslöst, sondern auch nach handwerklichen (und weiteren) Kriterien. Wobei man jetzt trefflich darüber streiten kann, was am Ende wichtiger ist (oder ob beides gleich wichtig ist, weil das ja irgendwie auch zusammenhängt).

Wenn ich als Laie ein Kunstwerk betrachte, dann kann ich Dir zwar sagen, ob mir das Werk gefällt oder nicht, aber ich kann Dir (meistens) nicht sagen warum. Dazu fehlt mir einfach das Wissen. Das ändert aber nichts daran, dass es mir gefällt (oder eben nicht). Und ich bin mir ziemlich sicher, wenn ich mich mit Kunst besser auskennen würde (ein tieferes Verständnis von Kunst hätte) würden mir andere (oder zusätzlich noch andere) Werke gefallen als ohne dieses Wissen. Einfach weil ich dann ein breiteres Bewertungsspektrum zur Verfügung hätte. Mein Blickwinkel ist aufgrund meines fehlenden Kunstverständnisses derart eingeschränkt, dass ich die "Schönheit" oder "Ästhetik" in vielen Werken einfach nicht erkennen kann.



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Do 16. Jul 2020, 10:21

Was ich mit dem ganzen umständlichen BlaBla oben sagen will: Ich glaube schon, dass es Objektives in der Kunst gibt das auch Einfluß darauf hat, was wir schön finden. Nur spielen diese objektiven Anteile für den Laien keine Rolle. Oder sie spielen eine Rolle, es ist ihm aber nicht bewusst. Wenn man also über den objektiven Anteil der Schönheit in der Kunst reden will, muss man sich diese objektiven Anteile bewusst machen.
Glaube ich. :-)



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Alethos
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Do 16. Jul 2020, 12:45

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 16. Jul 2020, 06:27
Ich frage einfach nach dem Kriterium von blau. Woran erkennt man blau außer daran, dass es eben blau ist?
Ja, aber analog fragst du doch auch: Woran erkennt man den ästhetischen Wert ausser eben daran, dass es Wert hat?

Vielleicht war das nicht dein Argument, aber ich denke, du willst zeigen, dass es keine petitio principii darstellt zu sagen, dass man den Unterschied zwischen zwei ästhetischen Werten eben genau an den ästhetischen Werten selbst erkennt.



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Do 16. Jul 2020, 13:00

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 16. Jul 2020, 08:44
Alethos hat geschrieben :
Do 16. Jul 2020, 06:22
Ich weiss auch nicht genau, ob man einem eingefleischten "Modern Talking"-Groupie wirklich die Einsicht in die Tatsache argumentativ verschaffen kann, dass Bach schönere Musik hervorbrachte als Bohlen.
unterschiedliche Bewertungskriterien und Maßstäbe
Und genau hier setzt der Relativismus an, indem er hinterfragt, ob diese unterschiedlichen Massstäbe vorgegeben werden können. Der Bohlen-Groupie würde wohl sagen, dass ihm/ihr die Komplexität keine so grosse Rolle spielt, um etwas als schön zu bewerten. Ich gehe mit dir einig, dass das an der fehlenden Bildung liegen kann, am wenig geschulten (Kunst-)Sinn, aber auch, wenn jemand die Komplexität erkennen sollte, ist er ja objektiv nicht an ein Diktat gebunden, diese Massstäbe anzulegen.

Nun kann man, wie es ästhetische Realisten tun, sagen, dass sich diese Person eben darin irrt, wenn sie diese Massstäbe nicht anlegt. Das Argument liest sich wie die Umkehrung des Satzes des Protagoras: "Der Mensch ist nicht das Mass aller Dinge!" Und hier würde ich beipflichten, nur ist es gerade so, dass man Menschen nicht zu ihrem ästhetischen Glück zwingen kann, sondern nur hinwirken kann, dass sie verstehen: Was schön ist, das liegt nicht allein im Auge des Betrachters. Und das impliziert, dass man in Bezug auf ästhetische Urteile falsch liegen kann - ich meine sogar, dass wir auch bezüglich moralischer Urteile falsch liegen können.



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Jörn Budesheim
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Do 16. Jul 2020, 14:11

"Welches sind deine Kriterien?"

Ich will mal ein Beispiel geben, was vielleicht etwas beknackt wirkt und auch nicht direkt was mit der Frage nach der Kunst zu tun hat. Ich kann ziemlich zuverlässig Katzen erkennen und Katzen von Hunden unterscheiden. Und wenn man mich nach den Kriterien fragt, fällt mir sicherlich auch dies oder das ein: Katzen haben zum Beispiel eine "flachere 'Schnauze'" als Hunde, sind etwas eleganter und geschmeidiger. Diese kleine Auswahl ist sicher nicht besonders aufschlussreich. Wäre mehr verlangt, müsste ich ziemlich grübeln.

Und wie sieht es damit aus: Schon sehr kleine Kinder, die kaum mehr als ein "Miau" herausbringen, können Katzen ziemlich gut erkennen, aber Kriterien angeben können sie natürlich nicht. Was heißt das? Kriterien haben und sie angeben können sind zwei verschiedene Sachen. Kriterien sind keineswegs grundsätzlich eine sprachliche Sache. Das mag alles trivial klingen oder auch sein, aber man sollte es nicht vergessen, wenn man nach Kriterien fragt. Sie sind oft direkter "Teil der Wahrnehmung", wir sehen ja die Dinge als etwas. Als "Katze", als "Tisch", als "Pollock", als de Kooning etc.

Ich erkenne nämlich neben Katzen vergleichsweise sicher Bilder von Willem de Kooning (nur um auch mal ein Beispiel aus der Kunst zu geben). Aber ich müsste mich schon ganz schön strecken, wenn ich das in Worte fassen müsste, wenn es überhaupt geht. Denn sinnliche Kriterien sind in der Regel viel feinkörniger, als sprachlich "gebundene", sodass sie oft (wenn überhaupt) nicht ohne Verlust in Wort zu fassen sind.




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Do 16. Jul 2020, 14:32

Alethos hat geschrieben :
Do 16. Jul 2020, 12:45
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 16. Jul 2020, 06:27
Ich frage einfach nach dem Kriterium von blau. Woran erkennt man blau außer daran, dass es eben blau ist?
Ja, aber analog fragst du doch auch: Woran erkennt man den ästhetischen Wert ausser eben daran, dass es Wert hat?

Vielleicht war das nicht dein Argument, aber ich denke, du willst zeigen, dass es keine petitio principii darstellt zu sagen, dass man den Unterschied zwischen zwei ästhetischen Werten eben genau an den ästhetischen Werten selbst erkennt.
Was ich sagen will ist: Die Frage nach den "Kriterien" ist nicht "trivial" oder versteht sich von selbst. Obwohl sie an dieser Stelle stets so sicher kommt, wie das Amen in der Kirche :-) Die Frage nach der Farbe zeigt, dass die automatische Frage nach Kriterien keineswegs grundsätzlich sinnvoll ist. "Woran erkennst du, dass das gelb ist?" ist eine seltsame Frage. Das heißt noch nicht, dass es bei der Kunst grundsätzlich auch so seltsam sein muss.

Irgendwo muss aber die Frage nach Kriterien auf Grund gehen, sonst kommt man in einen unendlichen Regress. Ein Beispiel aus der Ethik: Woran erkennt man, dass Schmerzen in aller Regel etwas Schlechtes sind? Das ist im Normalfall eine sinnlose Frage. Warum sollte es sowas in der Ästhetik nicht auch geben? Manches ist einfach gut.




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Do 16. Jul 2020, 18:03

Ein weiteres Problem mit den Kriterien in der Kunst ist folgendes: würde es sie geben und/oder würden wir sie (vollständig) kennen, müsste es dann nicht möglich sein, gute Kunstwerke gleichsam in Serie zu produzieren, indem man einfach die fraglichen Regeln angewendet? Aber ich befürchte, das würde die Kunst zu einer ziemlich Faden Angelegenheit machen :)

Zur Kunst gehört ganz im allgemeinen gesprochen - und das gilt vielleicht nicht für jede einzelne Arbeit - doch auch das Unerwartete, das Irritierende, vielleicht sogar manchmal auch das Abgründige.




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Do 16. Jul 2020, 22:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 16. Jul 2020, 18:03
Ein weiteres Problem mit den Kriterien in der Kunst ist folgendes: würde es sie geben und/oder würden wir sie (vollständig) kennen, müsste es dann nicht möglich sein, gute Kunstwerke gleichsam in Serie zu produzieren, indem man einfach die fraglichen Regeln angewendet?
Wenn wir an diesen Gedanken anknüpfen, dann könnten wir ihn wie folgt weiterdenken:

Angenommen, eine Vielzahl von Kunstkennern, sagen wir einmal ganz ausserordentlich gut ausgebildete Kunstkritiker, stehen vor einem Bild. Wäre es da nicht doch recht sonderbar, wenn sie ausnahmslos alle zum selben Urteil kämen: "Das ist schön!"?

Nicht nur "Kunsterfolge" sind nicht anhand von Kriterien in Serie produzierbar, auch garantieren diese Kriterien keine gleichlautenden ästhetischen Schlüsse. Das muss zwangsläufig, wenn nicht am Gegenstand, der ja für alle derselbe ist, so doch wenigstens teilweise an den Rezipienten liegen, dass über einen Gegenstand mehrdeutige Urteile möglich sind.

Bei einer Katze und einem Hund kann es keine mehrdeutigen Urteile mit Bezug auf ihr Katze- und Hundsein geben. Ist es eine Katze, ist das Urteil, das sei ein Hund, einfach falsch. Gilt das denn ebenso für ästhetische Urteile in der Form "Das ist schön!"? Ich glaube nicht.

Ich glaube aber auch nicht, dass das ein Indiz ist, das gegen die Objektivität ästhetischer Urteile spricht. Nur scheint es bei ihnen eine Mehrdeutigkeit bezüglich der Validität der Urteile zu geben.



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