Diese Vorstellung, dass es da eine Wahrheit gibt, die sozusagen die "reine" Wahrheit ist und nichts als die Wahrheit - die absolute Wahrheit schlechthin - die nackte Wahrheit - die unverstellte.. die glänzende für sich seiende (man kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus
) ist eine alte Vorstellung. Sie begleitet uns wie einen Schatten und legt sich wie ein solcher über all unser Bemühen, die Wahrheit, die wir aussprechen, erkennen, formulieren, sehen, wahrnehmen etc., als solche zu akzeptieren.
Das Subjektive, so wird suggeriert, verunreinige das schiere Sein dieser Wahrheit und Kant hat kapituliert, als er das Ding an sich für unerkennbar proklamierte. Nicht deshalb irrte er, weil er meinte, wir könnten ein solches Ding an sich nicht erkennen, sondern weil er behauptete, es gäbe überhaupt ein Ansichsein der Dinge jenseits ihres Seins für Anderes. Wir müssen doch einsehen, dass jedes Ding in irgendeinem Zusammenhang steht mit den es umgebenden Dingen: Blumen stehen auf Wiesen, Wiesen auf Böden, Böden im Grundbuchamt (unter anderem). Was soll es uns bringen, die Wahrheit absolut zu denken, wenn es nichts gibt, das absolut ist? Ansichsein bedeutet Absolutheit, aber wenn nicht einmal eine Blume an sich Blume ist (sondern allenfalls unter den Begriff gebracht dieses Eine ist), was wollen wir denn da von unseren Erscheinungen denn noch abziehen, um an etwas noch an sich Seienderes zu gelangen? Selbst, wenn wir uns wegdächten vom Sein der Blume, die wir dort sehen, es also kein Sehen der Blume durch uns gäbe, gäbe es dort keine Blume, die an sich wahrer wäre, als sie wahr ist für uns.
Subjektive Empfindungen, Wahrnehmungen etc stehen deshalb nicht im Gegensatz zur Ontologie, zur Objektivität, sie sind der ganz genuin objektive Zugang zur Objektivität - zur Wirklichkeit des Seienden im Verbund der Seienden. Würde die Blume nicht durch uns wahrgenommen, dann wäre sie die vom Boden Wahrgenommene. Dabei spielt es doch keine Rolle, ob der Boden ein empfindsames Wesen ist und einen epistemischen Zugang hat zur Blume, damit die Wahrheit des Bodens mit der Wahrheit der Blume in irgendeinem wahrheitsfähigen Verhältnis stünden? Es ist wahr, dass der Boden die Blume trägt, es ist wahr, dass sie sich in ihn eingräbt: Und es ist wirklich, dass sie miteinander eine Wahrheit ausbilden, die - per definition - nicht eine Wahrheit an sich sein kann (sondern eine Wahrheit füreinander).
Subjektivität ist deshalb kein Gegensatz zur Objektivität, sondern sie ist eine Perspektive auf die Objektivität - und mir scheint, dass auch Steine, Böden, Wolken und Atome Perspektiven haben können. Wahrscheinlich sind es keine "erlebten" Perspektiven, wahrscheinlich haben diese Dinge alle keine Phänomenologie des Habens solcher Perspektiven oder ein ausgeprägtes Bewusstsein davon, dasjenige zu sein, das wahrnimmt. Aber der Ort, von dem dasjenige aus in alles andere eingelassen ist, das ist doch sein subjektiver Standort - unabhängig vom Grad seiner Empfindungsfähigkeit, unabhängig davon, ob es lebt oder nicht?
Wir sollten Lebendigkeit, Bewusstheit, Empfindsamkeit nicht synonym mit Subjektivität verwenden: Es ist etwas anderes, ein Ich zu sein und ein Subjekt zu sein, wenn es in der Regel auch zur Deckung kommt. Ichsein ist doch (u.a.) das Empfinden der Subjektivität, die Wahrnehmung der besonderen Perspektive, die man einnimmt, aber Subjektivität ist deshalb nichts exklusiv Wahrgenommenes schlechthin.
Und darum ist doch der Glaube daran, dass es da eine unerkennbare Wahrheit gibt, falsch, wenn diese Ansicht zur Prämisse hat die Meinung, das Wahrnehmen verzerre das Wirklichsein des Seienden: Das Subjektive verzerrt nicht das Wirklichsein, es ist das Wirkliche. Irren können sich nicht
subjektive Meinungen, sondern
Meinungen, die die Verhältnisse nicht so darstellen, wie sie sind. Das können ganz objektiv gültige und anerkannte Meinungen sein.