Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑ Di 11. Aug 2020, 19:16
Alethos hat geschrieben : ↑ Di 11. Aug 2020, 18:06
Schönsein ist apriori ein Schönsein für jemanden.
Du lässt einfach das normative Element, was sich dort auch findet, außen vor. Jemand muss sich selbst angemessen in diese Relation, von der du sprichst, einbringen (können), damit er sie sozusagen "erfüllen" kann. Es geht also nicht einfach nur um das, was de facto in der Relation, wie du es nennst, stattfindet, sondern auch um das, was angemessen und möglich ist und dem Werk entspricht.
Ich weiss, was du meinst, aber ich kann dir einfach nicht zustimmen. Das Beispiel mit dem Chinesischen und dem Schach zeigt gerade, dass Schach, Sprachen und Schönheit völlig verschiedene Existenzgrundlagen haben - sie sind verschiedene Dinge.
Chinesisch existiert, wenn es Begriffe gibt und
Regeln ihrer Anwendung (Semantik, Syntax etc.). Es braucht keinen
Chinesisch Sprechenden, damit Chinesisch existiert. Schach existiert, weil es ein Brett, Figuren und Regeln gibt. Es braucht keine Spieler, damit es Schach gibt.
Bei der Schönheit ist das anders. Es gibt zwar auch ein Objekt mit Eigenschaften, Farben und Anordnungen, aber keine Regeln, damit sie existiere. Schönheit existiert ja nicht durch eine Regelhaftigkeit und ein bestimmtes So-und-So-Sein, sondern kann auch emergieren aus ganz zufälligen Anordnungen. Sie kann aber nicht existieren ohne Betrachter. Chinesisch kann ohne Sprecher existieren, Schach ohne Spieler, aber Schönheit kann keine Existenz haben durch disparate Anordnungen und reine Zufälle, sondern es braucht die Hinordnung der Schönheitselemente in einer Draufsicht auf sie durch einen Betrachter.
Das Chinesische kann erlernt werden und kann gesprochen werden, wenn man sich an die Regeln hält (sonst lernt man es nicht und spricht es auch nicht). Man kann irren in Bezug aufs Chinesische, weil eine Normativität vorgibt, was es heisst, Chinesischsprechender zu sein. Schach kann man spielen, indem man sich an Regeln hält.Tut man es nicht, spielt man kein Schach, sondern etwas anderes. Auch hier wirkt eine Normativität auf die Tatsache des Schachspielens.
Schönheit hingegen kann man aber erkennen, auch wenn man sich an keine Regeln hält. Schönseher kann man sein ohne Regeln. Auch wenn wir keine Regeln einhalten, kann Schönheit erkannt werden. Und wir können keine Regeln einhalten, weil es bezüglich Schönheit keine Regeln gibt. Ihre Existenz ist nicht an eine Regelhaftigkeit gebunden, sondern bloss an das Regulativ einer Beziehung zwischen Betrachter und Betrachtetem. Wir können daher nicht irren, denn Irrtum heisst, mit einer Meinung
gegen eine Realität (z.B. jener von Regeln)
zu verstossen.
Das Subjekt bringt eine Prädisposition mit, mit der er sich in die Relation - wie du sagst
- einbringt. Das Objekt bringt sich aber auch in dieses Verhältnis ein und zwar mit seinem
so und so Sein (seinen Formen und Farben und seinen ästhetischen Gehalten). Beide im Zusammenhang ihres Verhältnisses zueinander regulieren die Existenz der Schönheit. Keine Regel, kein normatives Moment spielt hier hinein, sondern das Regulativ der Voraussetzungen, aus denen ihr Verhältnis zueinander besteht.
Ich glaube sehr wohl, dass es einen normativen Aspekt beim Erkennen des ästhetischen Gehalts gibt, nämlich insofern, als wir einfordern können, dass sich der Betrachter mit dem Gegenstand gebührend auseinandersetze. Den Gegenstand zu überfliegen und zu urteilen, es sei nicht schön, das ist keine angemessene Würdigung des Gegenstands oder seines ästhetischen Potenzials. So wenig wir jemandes Urteil ernst nehmen würden, der beim hastigen Überfliegen eines Schriftstücks chinesische Zeichen als bedeutungsloses Gekritzel aburteilt, können wir das Urteil von jemandem ernst nehmen, der sich nicht die Zeit genommen hat, seine Vorurteile abzulegen und sich für den Gegegenstand zu öffnen. Der Kunstgegenstand hat ein Sein, das man würdigen muss, wenn man sich über ihn ein Urteil erlauben will.
Zurecht kann man von jemandem einfordern, dass er seine inneren Einstellungen auf den Gegenstand hin justiert, damit er ihn als diesen Gegenstand erkennen kann.
Aber gerade das bedeutet es, dass ein Objekt schön ist: Dass ein Subjekt seine Schönheit an ihm hebt und zur Existenz bringt.
Nehmen wir an, es gäbe da einen Gegenstand, den alle Menschen mit Ausnahme eines Menschen als nicht schön ansehen. Er habe die Fähigkeit, an ihm das Schöne festzustellen, würden wir sagen, er habe den richtigen Zugang zum Gegenstand gefunden. Aber was würde das bedeuten für das Nichtschöne (als Gegenteil des Schönen), dass es nur existiert, weil noch niemand den richtigen Zugang zu seiner Schönheit gefunden hat? Das wäre doch reichlich absurd zu sagen, dass die Schönheit einerseits durch ein Vermögen erkannt werde, andererseits aber sagen wollten, dass das Nichtschöne ein Mangel dieses Vermögens des Erkennenkönnens von Schönheit sei. Demzufolge gäbe es nämlich nur (objektive) Schönheit und den (subjektiven) Irrtum des Nichterkennens von Schönheit.
Aber wollen wir wirklich sagen, dass alles per se schön ist? Oder wollen wir nicht lieber sagen, dass alles auf seine Art schön ist, nämlich in der Art, wie wir uns zu ihm ins richtige Verhältnis rücken?
Dann aber resultiert seine Hässlichkeit, sein Nichtschönsein auch nicht einfach aus einem "falschen" Verhältnis zum Gegenstand, weder aus einem falschen noch richtigen Verhältnis, sondern aus einem Verhältnis von vielen Verhältnissen, die wir mit ihm (objektiv) eingehen können.