Teamwork / kollektive Intentionalität

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 9. Jun 2019, 13:58

Das blendet mir alles zuviel aus und ist viel zu unspezifisch. Ich hatte weiter oben schon mal die Frage gestellt, wie es möglich sein soll, dass man lernt, was eine Absicht ist. Darauf habe ich bisher keine Antwort erhalten. Wenn allerdings das grundsätzliche Konzept von Handlungen "mitgebracht wird", dann kann Handlungen nicht komplett sozial vermittelt sein.

Außerdem muss eine Theorie eine Möglichkeit beinhalten, zwischen Erfindungen und tradierten Handlungen zu unterscheiden, weil sie sonst einfach nicht erklären kann, das neue Handlungstypen "in die Welt kommen" und sich die Gesellschaft entwickelt.




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

So 9. Jun 2019, 14:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 9. Jun 2019, 13:58
Das blendet mir alles zuviel aus und ist viel zu unspezifisch. Ich hatte weiter oben schon mal die Frage gestellt, wie es möglich sein soll, dass man lernt, was eine Absicht ist. Darauf habe ich bisher keine Antwort erhalten. [...]
Jörn hat geschrieben :
Friederike hat geschrieben : Wir erlernen mit dem, was "Handlung" bedeutet, gleichzeitig, was "Absicht" ist. Konkreter, was zu einer bestimmten Handlung als Absicht gehört. Handlungen sind zwar nicht dasselbe wie Absichten, aber sie gehören zusammen.
Ja, zur Handlung gehört die Absicht. Und Absichten sind nicht notwendig etwas "inneres" oder privates. Der Punkt ist wichtig, weil er es möglich macht, dass es Wir-Absichten gibt.
Was meinst Du denn? Wie lernt man, was eine Absicht ist? In verallgemeinernder Form hatte ich es, wie oben zitiert, gesagt. Wir erlernen die Bedeutung von "Absicht" zusammen mit der Bedeutung von "Handlung".




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

So 9. Jun 2019, 15:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 9. Jun 2019, 13:58
[...] Wenn allerdings das grundsätzliche Konzept von Handlungen "mitgebracht wird", dann kann Handlungen nicht komplett sozial vermittelt sein.
Mir ist nicht klar, worauf oder auf wessen Äußerung sich das bezieht. Und meinst Du mit "mitgebracht" die Auffassung, es handle sich um eine genetische Veranlagung?
Jörn hat geschrieben : Außerdem muss eine Theorie eine Möglichkeit beinhalten, zwischen Erfindungen und tradierten Handlungen zu unterscheiden, weil sie sonst einfach nicht erklären kann, das neue Handlungstypen "in die Welt kommen" und sich die Gesellschaft entwickelt.
Das ist ein spannender Punkt.
Aber ich möchte jetzt ernsthaft wissen: Suchen wir gemeinsam nach dieser Theorie oder hast Du sie bereits gefunden?




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 9. Jun 2019, 15:33

Friederike hat geschrieben :
So 9. Jun 2019, 14:59
Wir erlernen die Bedeutung von "Absicht" zusammen mit der Bedeutung von "Handlung".
Meines Erachtens können wir diese Begriffe nicht lernen, weil sie basal sind. Man kann die Worte dafür lernen, aber die Konzepte muss man mitbringen. Mit anderen Worten der Umstand, dass wir uns selbst ab frühester Kindheit selbst als intentionale Subjekte verstehen und zugleich andere als intentionale Subjekte erkennen, gehört zu unserer körperlichen geistigen Ausstattung, das ist nicht erst gelernt.

Und wenn das stimmt, dann können Handlung nicht einfach sozial vermittelt sein.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 9. Jun 2019, 15:34

Friederike hat geschrieben :
So 9. Jun 2019, 15:16
Aber ich möchte jetzt ernsthaft wissen: Suchen wir gemeinsam nach dieser Theorie oder hast Du sie bereits gefunden?
Nein, ich habe diese Theorie nicht bereits gefunden.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 9. Jun 2019, 16:47

Hermeneuticus hat geschrieben :
Sa 8. Jun 2019, 10:14
Ähm, ich dachte bis jetzt, Du wolltest das Konzept der "kollektiven Intentionalität" verteidigen?
Ich will die Idee verteidigen, dass kollektive Intentionalität ein primitives Phänomen ist und nicht auf individuelle Intentionalität zurückzuführen ist. Dazu muss ich nicht annehmen, dass Handlungen jeglicher Art grundsätzlich sozial vermittelt sind.




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

So 9. Jun 2019, 17:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 9. Jun 2019, 16:47
Ich will die Idee verteidigen, dass kollektive Intentionalität ein primitives Phänomen ist und nicht auf individuelle Intentionalität zurückzuführen ist. [...]
Gut, dann halte ich dies als eine These fest.

Das "Volk" als Kollektiv, @Hermeneuticus, scheint mir ein besonders schwerer Fall von kollekt. Intentionalität (vielleicht ginge es an "Wahlen" als Handlung leichter zu demonstrieren ...).

Und nebenbei resümiere ich, daß ich es war, die in Handlungstypen implizierte Absichten, die ich jetzt um der Klarheit willen "Zwecke" nenne, mit konkreten Gemeinschafts- und Einzelhandlungen sowie den jeweiligen Absichten konfundiert hatte.




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Mo 10. Jun 2019, 11:12

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 28. Mai 2019, 05:37
John Searle hat geschrieben : Dass kollektives Verhalten nicht dasselbe ist wie die Summierung individuellen Verhaltens , ist am einfachsten daran zu sehen, dass die­ selbe Art von Körperbewegungen das eine Mal eine Menge indivi­dueller Akte sein und ein anderes Mal eine kollektive Handlung kon­stituieren kann. Nehmen wir das folgende Beispiel: Stellen Sie sich vor, dass eine Gruppe von Menschen an verschiedenen Plätzen auf einer Wiese in einem Park sitzt. Stellen Sie sich weiter vor, dass es plötzlich zu regnen anfängt, dass alle aufstehen und zu einem gemein­ samen, zentralen Unterstand laufen. Jede Person hat die Absicht, die durch den Satz »ich renne zu dem Unterstand « wiedergegeben wer­ den kann. Wir können aber für jede Person annehmen, dass ihre Absicht gänzlich unabhängig von den Absichten und dem Verhalten der anderen ist. In diesem Fall liegt kein kollektives Verhalten vor, sondern bloß eine Sequenz individueller Akte, die zufällig in einem gemeinsamen Ziel konvergieren.

Nun stelle man sich den Fall vor, dass eine Gruppe von Menschen in einem Park als Teil eines kollekti­ven Verhaltens an einem gemeinsamen Punkt zusammenläuft. Man stelle sich vor, die Menschen gehörten zu einem Freiluftballett, dessen Choreographie verlangt, dass das gesamte Corps de Ballet an einem ge­meinsamen Punkt zusammenläuft. Wir können uns sogar vorstellen, dass die äußerlichen Körperbewegungen in den beiden Fällen ununterscheidbar sind; die Menschen, die unterschlupf suchen, machen die selben Körperbewegungen wie die Ballettänzer.äußerlich betrachtet sind die beiden Fälle ununterscheidbar, aber innerlich sind sie offensichtlich verschieben. Wo genau ist der Unterschied?

Nun, ein Teil des Unterschieds bestehe darin, dass die Form der intentionalität in dem ersten Fall derart ist, dass jede Person eine Absicht hat, die sie ohne Bezugnahme auf die anderen ausdrücken könnte, auch in dem Fall, in dem jeder über wechselseitig geteiltes Wissen um die Absichten der anderen verfüge. In dem zweiten Fall sind aber die individuellen Absichten der Form »ich beabsichtige« auf eine Weise, die wir zu erklären haben, von Absichten der Form »wir beabsichtigen« abgeleitet ...
Das heißt auch im zweiten Fall, im Fall der kollektiven Intentionalität, gibt es individuelle Absichten, sie sind jedoch 'abgeleitet', wie John Searle sagt, von der Wir-Intentionalität, von dem "wir beabsichtigen".
Im Fall der Choreographie kann keine Person ihre Absicht ohne Bezugnahme auf die anderen ausdrücken, das leuchtet mir vollkommen ein. Soweit kann ich gut folgen. Damit aber die Choreographie überhaupt zustandekommt, sie entsteht ja nicht aus dem Nichts, dazu müssen sich doch eine Anzahl von Individuen treffen, die diese Choreographie gemeinsam beschließen. Das heißt, am Beginn stehen doch wieder die Einzelnen, die die "wir"-Absicht erst hervorbringen. Oder verstehe ich irgendwas grundlegend falsch?




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mo 10. Jun 2019, 11:15

Wofür oder wogegen möchtest du damit argumentieren? Worauf zielt deine Bemerkung ab?




Hermeneuticus
Beiträge: 811
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 19:20
Kontaktdaten:

Mo 10. Jun 2019, 13:36

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 9. Jun 2019, 13:58
Das blendet mir alles zuviel aus und ist viel zu unspezifisch. Ich hatte weiter oben schon mal die Frage gestellt, wie es möglich sein soll, dass man lernt, was eine Absicht ist. Darauf habe ich bisher keine Antwort erhalten.
Man kann das ziemlich leicht erlernen, nämlich durchs Scheitern. - Es ist wohl unstrittig, dass Menschenkinder das eigenständige Handeln erst erlernen müssen. Das geschieht in der Regel durch wiederholte Versuche, von denen viele fehlschlagen. Es kommt so gut wie nicht vor, dass Kinder eine bestimmte Praxis auf Anhieb, also gleich vom ersten Versuch an, beherrschen. Und selbst wenn das vorkommen sollte, ließe es sich nur auf eine Weise überprüfen: durch Wiederholung. Denn ob man eine Praxis beherrscht, zeigt sich daran, ob einem die einzelnen Handlungen überzufällig oft gelingen oder nicht. D.h. es muss sich zeigen, ob die gelingenden Versuche nicht bloß "Glückstreffer" sind.

Würden uns alle Handlungen gelingen, bräuchten wir zwischen dem ("objektiven") Ziel einer Handlung und der ("subjektiven") Absicht, es zu erreichen, nicht zu unterscheiden. Handlungen würden ablaufen wie kausale Geschehnisse, und man bräuchte nur zu unterscheiden zwischen zwei zeitlichen Zuständen dieses Gesamtgeschehens. Zustand A: der Schütze hat den Bogen gespannt und blickt auf die Mitte der Zielscheibe; Zustand B: der Pfeil schlägt in der Mitte der Zielscheibe ein. Und so weiter in allen beliebigen weiteren Fällen. - Die Rede von einer "Absicht" des Bogenschützen wäre völlig irrelevant. Niemand würde so etwas sagen wie "Ups, eigentlich wollte ich aber..." oder "Es ist der gute Wille, der zählt."

Aber so liegen die Dinge nicht. Handlungen sind grundsätzlich dem Scheitern ausgesetzt. Und darum können wir ein Wort gut gebrauchen, das die Differenz markiert zwischen dem, was ein Akteur vor der Handlung anstrebt, und dem, was er mit der Handlung tatsächlich erreicht. "Absicht" ist also ein Ausdruck, um mit gescheiterten Handlungen umzugehen. Denn an ihnen kommt die Absicht des Akteurs erst voll zur Abhebung.
Und so können auch Kinder auf dem Weg von Versuch, Scheitern und Gelingen lernen, ihre - gleichbleibende - Absicht von den - wechselnden - Resultaten ihrer Bemühungen zu unterscheiden.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mo 10. Jun 2019, 13:43

Bild
Bild von Markus Distelrath auf Pixabay

Darüber, dass Kinder Schnürsenkel binden erst lernen müssen, brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Wer handelt und scheitert, der lernt aber nicht was eine Absicht ist, sondern der hatte bereits eine Absicht und scheiterte eben.




Hermeneuticus
Beiträge: 811
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 19:20
Kontaktdaten:

Mo 10. Jun 2019, 21:07

Allerdings kann "eine Absicht haben" sinnvoller Weise nur bedeuten, dass man jeweils etwas Bestimmtes vorhat - z.B.: die Schnürsenkel zu binden, auf die andere Straßenseite zu gehen, die Bauklötze zu einem Turm zu stapeln, den Kakao aus der Kanne in die Tasse zu gießen. Von einer Absicht lässt sich also nur sinnvoll reden, wenn sie mit einer bestimmten Handlung verbunden ist: "Ich beabsichtige, X zu tun." Das unterscheidet Absichten von anderen Antrieben oder Strebungen - wie z.B. Hungergefühlen, innerer Unrast, Angst.

Darum bestreite ich, dass Absichten etwas "Primitives" sind und nicht erlernt werden können. Absichten können nur entstehen, wo es bestimmte Handlungen bzw. wiederholbare Handlungstypen gibt. In einer Welt, in der es keine Schnürsenkel gibt, kann ein Kind auch nicht die Absicht entwickeln, sie sich zu binden; in einer Welt ohne Kakao und ohne Tassen kann man nicht beabsichtigen, sich Kakao in eine Tasse zu gießen usw. Bestimmte Absichten (und andere gibt es nicht, siehe oben) kann man also nur haben, wo es auch bestimmte, erlernbare Handlungsformen gibt.




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Di 11. Jun 2019, 08:48

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 10. Jun 2019, 11:15
Wofür oder wogegen möchtest du damit argumentieren? Worauf zielt deine Bemerkung ab?
Entschuldige @Jörn, mir ist es später am Tag eingefallen, daß ich vergessen habe zu sagen, daß mein Einwand die Primitivität betrifft. Du hattest ja mehrfach diesen Punkt hervorgehoben, die kollektive Intentionalität sei primitiv, d.h. nicht rückführbar auf die Einzelabsicht.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 11. Jun 2019, 08:55

Hermenneuticus hat geschrieben : Allerdings kann "eine Absicht haben" sinnvoller Weise nur bedeuten, dass man jeweils etwas Bestimmtes vorhat - z.B.: die Schnürsenkel zu binden, auf die andere Straßenseite zu gehen, die Bauklötze zu einem Turm zu stapeln, den Kakao aus der Kanne in die Tasse zu gießen. Von einer Absicht lässt sich also nur sinnvoll reden, wenn sie mit einer bestimmten Handlung verbunden ist: "Ich beabsichtige, X zu tun."
Wenn wir zwischen einer konkreten Absicht (einen Turm bauen) und dem Begriff "Absicht" unterscheiden, kommen wir schnell weiter. Der Begriff umfasst, dass jeweils etwas bestimmtes beabsichtigt wird ("X"), muss aber nicht alle möglichen konkreten Absichten erfassen, sondern kann davon abstrahieren. Schon sehr kleine Kinder können absichtliches von unabsichtlichem Verhalten unterscheiden. Ich gehe davon aus, dass wir das nicht erst lernen, sondern mitbringen.
Hermenneuticus hat geschrieben : Darum bestreite ich, dass Absichten etwas "Primitives" sind und nicht erlernt werden können.
Ein Begriff ist nicht dann "nicht-primitiv", wenn er mehrere Stellen hat (X beabsichtigt z), sondern wenn er nicht auf noch grundlegendere Begriff zurückzuführen ist.

Viele konkrete Handlungen dürften "sozial vermittelt" sein, daran zweifle ich nicht. Ohne unsere Fähigkeit Handlungen vergleichsweise präzise nachzumachen und zu tradieren, wäre es zum Beispiel nie zum sog Wagenhebereffekt gekommen, der einmalig ist und bei keiner anderen Spezies zu beobachten ist. Die Wichtigkeit des "Sozialen" im vielfältigen Sinne für fast alles, was wir sind und tun, ist sicher schwerlich zu überschätzen, aber dennoch ist es nicht alles. Was ich daher nur bezweifle ist deine Generalisierung weiter oben. Sie kann nicht erklären, wie neue Handlungstypen entstehen, das heißt sie unterschätzt unsere Kreativität, finde ich, wenn man so will den Beitrag des Individuums oder auch kreativen Teams. Außerdem unterschlägt es den Teil, den wir gar nicht erst lernen, sondern schon mitbringen, also das was gewissermaßen in uns "eingeschrieben" und biologisch basiert ist, also nicht erst sozial vermittelt ist.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 11. Jun 2019, 08:56

Friederike hat geschrieben :
Di 11. Jun 2019, 08:48
Entschuldige @Jörn, mir ist es später am Tag eingefallen, daß ich vergessen habe zu sagen, daß mein Einwand die Primitivität betrifft. Du hattest ja mehrfach diesen Punkt hervorgehoben, die kollektive Intentionalität sei primitiv, d.h. nicht rückführbar auf die Einzelabsicht.
Okay. Aber dennoch verstehe ich nicht, wie dein Argument lautet.




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Di 11. Jun 2019, 10:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Jun 2019, 08:56
Okay. Aber dennoch verstehe ich nicht, wie dein Argument lautet.
An dem von Searle beschriebenen Beispiel der Choreographie ist mir deutlich geworden, daß die "wir"-Absicht wohl abgeleitet ist von den Absichten mehrerer Einzelpersonen. Es muß doch erst einmal zu der Verständigung und Einigung auf die Choreographie kommen, oder nicht? Ich würde daher sagen, daß primär die individuelle Absicht ist.

Es ist das alles so kompliziert und ich habe den Eindruck, ich hinke Euch immer meterweise hinterher, aber egal, es macht mir Spaß.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 11. Jun 2019, 10:25

Das ist das gleiche Problem wie immer nur auf die "Verständigung" übertragen. Es haben sich ja zwei gemeinsam entschlossen, spazieren zu gehen. "Wir haben uns entschlossen spazieren zu gehen!"




Hermeneuticus
Beiträge: 811
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 19:20
Kontaktdaten:

Di 11. Jun 2019, 10:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Jun 2019, 08:55
Hermenneuticus hat geschrieben : Darum bestreite ich, dass Absichten etwas "Primitives" sind und nicht erlernt werden können.
Ein Begriff ist nicht dann "nicht-primitiv", wenn er mehrere Stellen hat (X beabsichtigt z), sondern wenn er nicht auf noch grundlegendere Begriff zurückzuführen ist.
Das wäre aber bei einem Begriff, der durch Abstraktion gewonnen wird, nicht der Fall:
Jörn hat geschrieben : Der Begriff umfasst, dass jeweils etwas bestimmtes beabsichtigt wird ("X"), muss aber nicht alle möglichen konkreten Absichten erfassen, sondern kann davon abstrahieren.
Ein abstrahierter Begriff ist abhängig von der Abstraktionsbasis, nämlich den konkreten Beispielen.
Schon sehr kleine Kinder können absichtliches von unabsichtlichem Verhalten unterscheiden. Ich gehe davon aus, dass wir das nicht erst lernen, sondern mitbringen.
Ja, auch schon kleine Kinder können rudimentär zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich" unterscheiden. Aber doch wohl nur an Handlungen in ihrer vertrauten Umgebung mit den entsprechenden Routinen. Kinder fangen halt schon sehr früh an zu lernen.

Außerdem muss man da schon etwas genauer hinschauen, ob Kinder vielleicht eher bloß zwischen zielgerichtetem und ziellosem Verhalten unterscheiden, ob sie Absichten und Handlungen wirklich im vollen Sinne - nämlich in ihrer komplexen praktischen Rationalität und Normativität (Stichworte: Gründe, Verantwortung) - schon begreifen. So sind Kinder mit ihren Zuschreibungen von "Absichten" sehr großzügig; sie machen da z.B. nicht Halt vor Tieren oder Gegenständen ("Böser Wauwau!", "Böser Ball!") -
Es ist doch kein Zufall, dass wir Kinder unter 14 noch nicht als eigenverantwortlich handelnde und strafmündige Personen betrachten.

Mir scheint, Du verwendest einen eher anspruchslosen Begriff von Absicht, der nicht klar von Zielgerichtetheit einerseits und vorrationalen Strebungen, Neigungen, Wünschen andererseits abgegrenzt ist. Siehe zu dieser Abgrenzung Kannetzky, z.B. hier:
Kannetzky hat geschrieben : Überhaupt hat die Rede von Zwecken erst auf einer generischen, je subjektive Neigungen transzendendierenden Ebene Sinn. Wären Zwecke nichts als präsentische subjektive Neigungen oder kontingente, vorrationale Wünsche bzw. deren Gehalt, dann wäre es unmöglich, sich Zwecke zu eigen zu machen oder zu verfolgen. Dies setzt die Allgemeinheit und vernünftige Form des Zwecks in dem Sinn voraus, dass er von anderen Subjekten zwar nicht geteilt, aber grundsätzlich nachvollzogen können werden muss. Der idiosynkratische Wunsch, einen Farbtopf austrinken zu wollen (vgl. Davidson 1963: 20), erfüllt diese Bedingung prima facie nicht.

(S. 5, Fußnote 9)
oder hier:
Kannetzky hat geschrieben : Damit ein Wunsch handlungsbestimmend (d.h. Bestimmungsgrund des Willens) sein kann, muss er unter eine allgemeine Regel gestellt werden (die freilich falsch sein kann). Ich will reich werden. Wer reich werden will, sollte in Lehman Brothers investieren. Also werde ich in Lehman Brothers investieren. Auf diese Weise sind Neigung und Handlungsform miteinander verknüpft. (Vgl. Kant 1785: Abschnitt II zum Begriff der Maxime und zu praktischen Grundsätzen und Regeln, vgl. auch Nagel 1999).

S. 10, Fußnote 24
Also, nach meinem Verständnis sind Absichten etwas ziemlich Anspruchsvolles, da Rationales und Normatives. Sie sollten darum von unmittelbaren Strebungen, Neigungen, Wünschen usw. klar unterschieden werden.


(Auf Deine weiteren Punkte kann ich vielleicht heute Abend noch antworten - wenn ich dann nicht zu müde bin.)




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 11. Jun 2019, 13:03

Hermeneuticus hat geschrieben :
Di 11. Jun 2019, 10:29
Ein abstrahierter Begriff ist abhängig von der Abstraktionsbasis, nämlich den konkreten Beispielen.
Du kannst jedoch deine Behauptung schwerlich durch die selbe Behauptung stützen :-)




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Di 11. Jun 2019, 14:30

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Jun 2019, 10:25
Das ist das gleiche Problem wie immer nur auf die "Verständigung" übertragen. Es haben sich ja zwei gemeinsam entschlossen, spazieren zu gehen. "Wir haben uns entschlossen spazieren zu gehen!"
Aber nun sag', es ist doch richtig, daß zwei, die sich gemeinsam zu einer Handlung entschließen, bevor sie sich dazu entschließen, zwei Individuen sind, die beide die Absicht haben, eine Handlung gemeinsam zu vollziehen. Also sind doch die Einzelabsichten primär? Das "Wir" entsteht aus zwei "Ichs".




Antworten