Teamwork / kollektive Intentionalität

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Stefanie
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Mo 17. Jun 2019, 08:38

Na ja, in den zitieren Quellen wird ja gerade darüber berichtet, das Kleinkinder schon Absichten haben, und auch Absichten erkennen. Warum sollen wir diesen Umstand außer Acht lassen?



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Hermeneuticus
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Stefanie hat geschrieben :
Mo 17. Jun 2019, 08:38
Na ja, in den zitieren Quellen wird ja gerade darüber berichtet, das Kleinkinder schon Absichten haben, und auch Absichten erkennen. Warum sollen wir diesen Umstand außer Acht lassen?
Wird in diesen Quellen auch genauer erläutert, was unter "Absichten" zu verstehen sei? Ist es in etwa das, was ich in Beitrag 31700 angedeutet habe? Oder etwas anderes?
Solange nicht klar ist, ob wir mit den Begriffen "Handlung" und "Absicht" ungefähr dasselbe meinen, reden wir aneinander vorbei.

Ich habe mein Verständnis des Begriffs "Absicht" - mit Hilfe von Kannetzky - offen gelegt (siehe Beitrag 31700). Stimmt Ihr diesen Erläuterungen zu? Oder habt Ihr Einwände dagegen? Meint Ihr dasselbe oder etwas anderes?




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Jörn Budesheim
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Mo 17. Jun 2019, 10:45

Reden wir auch aneinander vorbei, wenn wir von Tieren reden? Schließlich reicht das vom Regenwurm bis zu den Primaten? Begriffe nutzen, heißt verschiedenes gleich setzen können, sonst müssten wir auf Begriff verzichten. So kann man je nach Kontext einen sehr elaborierten Absichtsbegriff und/oder Handlungsbegriff nutzen und einen einfacheren ebenso.

Der Punkt war hier nämlich folgender: Schon sehr kleine Kinder können anscheinend erkennen, dass ihresgleichen Dinge absichtlich tun, im Unterschied zu Dingen, die ihnen einfach zustoßen. Eine Unterscheidung, die absolut elementar ist. Natürlich muss man hier eher davon ausgehen, dass sie noch nicht über einen sehr entfalteten Begriff verfügen - aber sie verfügen offenbar über einen Begriff von Absicht, weil sie diesen Unterschied zuverlässig erkennen. Dieses Datum bekommt man nicht aus der Welt, wenn man an dem Begriff die Schrauben anzieht. Und das ist nicht ohne Bedeutung, denn es heißt, dass wir Handlungen nicht allein als sozial-vermittelt betrachten dürfen, sondern auch die biologischen Grundlagen/Kernkompetenzen mit in Anschlag bringen müssen.

Dass Kinder eine Lern-Entwicklung durchmachen müssen, wird damit ja nicht geleugnet.




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Jörn Budesheim
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Mo 17. Jun 2019, 11:15

Das entspricht übrigens einer interessanten Frage/Vorgehensweise aus der Tier-Philosophie. "Rex", der Schäferhund weiß offenbar, wo sein Fressnapf steht, oder doch nicht? Das kann man kategorisch ablehnen, weil der Hund einer anspruchsvollen "Definition" von Wissen, die nur auf uns selbst gemünzt ist, nicht genügen kann. Man kann jedoch auch versuchen, einen Begriff von Wissen zu erarbeiten, der sowohl auf Rex als auch auf sein Frauchen passt.




Hermeneuticus
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Mo 17. Jun 2019, 11:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 17. Jun 2019, 10:45
Begriffe nutzen, heißt verschiedenes gleich setzen können, sonst müssten wir auf Begriff verzichten.
Es bedeutet aber zugleich: Verschiedenes unterscheiden, wo es ratsam ist.
So kann man je nach Kontext einen sehr elaborierten Absichtsbegriff und/oder Handlungsbegriff nutzen und einen einfacheren ebenso.
Ja, kann man. Je nachdem, was man damit erreichen will, d.h. welche Absicht man dabei verfolgt. :)

Der Punkt war hier nämlich folgender: Schon sehr kleine Kinder können anscheinend erkennen, dass ihresgleichen Dinge absichtlich tun, im Unterschied zu Dingen, die ihnen einfach zustoßen. Eine Unterscheidung, die absolut elementar ist. Natürlich muss man hier eher davon ausgehen, dass sie noch nicht über einen sehr entfalteten Begriff verfügen - aber sie verfügen offenbar über einen Begriff von Absicht, weil sie diesen Unterschied zuverlässig erkennen.
Ich denke, hier muss man genauer hinsehen, bevor man solche starken Sätze gebraucht wie: "Das ist absolut elementar."

Ich bestreite ja gar nicht, dass auch schon kleine Kinder willkürliche und unwillkürliche Regungen sowie zielgerichtete Tätigkeiten von ziellosen unterscheiden können. Ebenso wenig bestreite ich, dass Menschenkinder von Natur aus einen Hang zu Empathie und Kooperation haben (etwas, das sie z.B. von Schimpansen deutlich unterscheidet). Aber im Blick auf das sehr "elaborierte" Verständnis von Handlungen und Absichten, das Menschen nun einmal an den Tag legen, wäre ich vorsichtiger mit entsprechenden Zuschreibungen bei Kleinkindern. Ich habe diesen elaborierten Handlungsbegriff nicht erfunden, und ich drehe da auch nicht willkürlich an begrifflichen Schrauben, sondern ich gehe von unserem faktischen menschlichen Zusammenleben aus. Es ist doch ein Faktum, dass wir Kleinkindern noch keine Handlungsfähigkeit (mit Zwecksetzungsautonomie, Mittelwahlrationalität und Folgenverantwortung) abverlangen. Und es ist auch kein zufälliges, willkürliches Faktum, sondern diese abgemilderten Anforderungen an Kinder haben ihre guten Gründe.

Mein Hintergedanke ist hier:

Je mehr rationale Fähigkeiten wir einem Wesen zuschreiben, desto mehr Verantwortung laden wir ihm damit zugleich auf. Wenn wir also z.B. einem Schimpansen Handlungsfähigkeit zuschreiben, machen wir ihn damit dann auch für seine Handlungen und Handlungsfolgen verantwortlich. D.h. wir betrachten ihn als ein Wesen, das seine natürliche Unschuld verloren hat, weil es nämlich ineins mit seiner Handlungsfähigkeit nun auch als schuldfähig zu betrachten ist. Analoges gilt natürlich auch für Menschenkinder.

Noch einmal: Ich habe mir diesen anspruchsvollen Handlungsbegriff nicht ausgedacht, weil ich etwas gegen Kinder oder Schimpansen hätte. Mir ist dieses elaborierte Handlungskonzept in 2 Jahrzehnten Sozialisation beigebogen worden. - was für meine erziehungsberechtigten Mitmenschen mitunter recht mühsam war... ;-)




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Friederike
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Mo 17. Jun 2019, 12:30

Entschuldigt mich bitte, ich komme im Augenblick zu nichts 8-) ... aber ich lese neugierig und mit Vergnügen mit.




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Jörn Budesheim
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Mo 17. Jun 2019, 15:35

Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 17. Jun 2019, 11:55
... ich gehe von unserem faktischen menschlichen Zusammenleben aus.
Das ist jedoch das, was du gerade nicht tust.

Du wählst nur einen kleinen Ausschnitt. Und zwar den, der ohnehin auf dein Begriffsverständnis zugeschnitten ist. Unser Zusammenleben ist aber viel weiter. Der Umstand, dass Kinder sehr früh Handlungen und Absichten erkennen und sich kooperativ zeigen, gehört dazu - das fehlt bei dir weitgehend.

Außerdem beschränkst du dich auf unser menschliches Zusammenleben, wir leben aber auf diesem Planten noch mit vielen anderen Lebewesen zusammen. Es ist natürlich schwer zu glauben, dass Regenwürmer handeln - aber, dass Affen nicht handeln, etwa wenn sie Werkzeuge erstellen, ist eben so schwer zu glauben. Das folgende ist daher viel zu spezifisch für einen allgemeinen Handlungsbegriff.
Entscheidend ist, dass der Akteur nicht einfach aus einem bloß subjektiven Antrieb, einem Affekt, einem dumpfen Drang, einer plötzlichen Begierde heraus gehandelt, sondern seine subjektiven Antriebe im Lichte einer allgemeinen, also nicht-subjektiven Regel reflektiert hat - womöglich auch selbstkritisch reflektiert hat. Genau darin bewährt sich praktische Rationalität. Wer halbwegs rational handelt, der folgt nicht einfach seinen augenblicklichen Neigungen und dumpfen Antrieben, sondern er ist fähig, sich von diesen Antrieben zu distanzieren und sie womöglich im Blick auf soziale Normen zu verneinen, sie nicht handlungsleitend werden zu lassen.
Wenn ich mir morgens einen Kaffee mache, dann ist das sicher eine Handlung. Mit deiner obigen Beschreibung hat das jedoch nicht viel zu tun. Das, was du schreibst, hat mit unserem vielfältigen faktischen Zusammenleben nicht wirklich viel zu tun. Ich will nicht bezweifeln, dass wir das, was du im Zitat beschreibst, können und wir von einem Erwachsenen auch erwarten. Aber diesen Begriff auf alle Handlungen auszuweiten, ist ganz unangemessen.




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Jörn Budesheim
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Di 18. Jun 2019, 05:17

Einen Sinn für Zusammenarbeit besitzen schon Säuglinge. Amerikanische Wissenschaftler haben beobachtet, dass sechs Monate alte Babys Mitmenschen danach beurteilen, ob sie anderen helfen oder nicht. Sie bevorzugen demzufolge hilfsbereite Personen gegenüber Menschen, die nicht helfen oder gar Schaden zufügen – ein weiteres Indiz dafür, dass Hilfsbereitschaft nicht nur angelernt, sondern auch angeboren ist.

https://www.mpg.de/7537349/teilen




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Stefanie
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Di 18. Jun 2019, 18:45

Mir ich leider von gestern auf heute der rote Faden verloren gegangen. Ich suche noch.



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Friederike
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Mi 19. Jun 2019, 10:00

Der "anspruchsvolle" Handlungsbegriff ist zweifellos? :lol: ein Standard, mit dem eine Art von Ideal zur Norm erhoben wird, dem tatsächlich -in der Wirklichkeit- gar nicht alle erwachsenen Menschen genügen. Möglicherweise erfüllt ein älteres Kind die Bedingungen besser als eine volljährige Person.

Was ich damit sagen will, das weiß ich noch nicht genau. Mir scheint dieser Punkt nur "irgendwie" grundsätzlich wichtig.




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Friederike
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Mi 19. Jun 2019, 10:15

Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 17. Jun 2019, 11:55
Mein Hintergedanke ist hier: Je mehr rationale Fähigkeiten wir einem Wesen zuschreiben, desto mehr Verantwortung laden wir ihm damit zugleich auf. Wenn wir also z.B. einem Schimpansen Handlungsfähigkeit zuschreiben, machen wir ihn damit dann auch für seine Handlungen und Handlungsfolgen verantwortlich. D.h. wir betrachten ihn als ein Wesen, das seine natürliche Unschuld verloren hat, weil es nämlich ineins mit seiner Handlungsfähigkeit nun auch als schuldfähig zu betrachten ist. Analoges gilt natürlich auch für Menschenkinder.
Noch einmal: Ich habe mir diesen anspruchsvollen Handlungsbegriff nicht ausgedacht, weil ich etwas gegen Kinder oder Schimpansen hätte. Mir ist dieses elaborierte Handlungskonzept in 2 Jahrzehnten Sozialisation beigebogen worden. - was für meine erziehungsberechtigten Mitmenschen mitunter recht mühsam war... ;-)
Doch, jetzt weiß ich, welchen Punkt ich bedenkenswert finde. Ob wir mit dem anspruchsvollen, d.h. rationalen Absichts- und Handlungskonzept nicht einen Menschen voraussetzen, den es sooo gar nicht gibt.




Hermeneuticus
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 17. Jun 2019, 15:35
Wenn ich mir morgens einen Kaffee mache, dann ist das sicher eine Handlung. Mit deiner obigen Beschreibung hat das jedoch nicht viel zu tun. Das, was du schreibst, hat mit unserem vielfältigen faktischen Zusammenleben nicht wirklich viel zu tun.
Willst Du sagen, Du kannst nicht auf Kaffee verzichten und ein anderes Getränk wählen? (Zwecksetzungsautonomie)

Willst Du sagen, Du bist unfähig, Deinen Kaffee auf andere Weise, mit anderen Geräten und Zutaten herzustellen? Bist Du unfähig, dabei rationale Überlegungen zu berücksichtigen? (Mittelwahlrationalität)

Und wenn bei Deiner Kaffeezubereitung etwas passiert - müssen dann andere dafür geradestehen? (Handlungsfolgenverantwortung)




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Jörn Budesheim
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Do 20. Jun 2019, 11:32

Ich will sagen, dass das die Realität dieses Momentes nicht darstellt. Das was du dort beschreibst, spielt nämlich für dieses Ritual praktisch keine Rolle. Und ich will sagen, dass deine Beschreibungen mutwillig, das heißt ohne Begründung, andere Formen der Handlung ausschließt. Eine Äffin erfindet das Waschen der Kartoffel, zwei Affen planen einen "Mord", Kinder hauen sich Schüppchen auf dem Kopf. Hier haben wir es offensichtlich mit Handlung zu tun, auch wenn wir die Akteure nicht im vollen Sinn zur Verantwortung ziehen können.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 20. Jun 2019, 11:32
Ich will sagen, dass das die Realität dieses Momentes nicht darstellt. Das was du dort beschreibst, spielt nämlich für dieses Ritual praktisch keine Rolle.
Deine Kaffeezubereitung ist also ein irrationales Zwangsverhalten.
Und ich will sagen, dass deine Beschreibungen mutwillig, das heißt ohne Begründung, andere Formen der Handlung ausschließt. Eine Äffin erfindet das Waschen der Kartoffel, zwei Affen planen einen "Mord", Kinder hauen sich Schüppchen auf dem Kopf. Hier haben wir es offensichtlich mit Handlung zu tun, auch wenn wir die Akteure nicht im vollen Sinn zur Verantwortung ziehen können.
Die Sache mit der Verantwortung habe ich weder mutwillig noch unbegründet ins Spiel gebracht. Es entspricht einfach der Realität, dass wir Menschen einander für unsere Handlungen verantwortlich machen. Von dieser Verantwortung sind wir nur dispensiert, wenn wir bei einer Handlung unter äußerem oder innerem Zwang stehen oder wenn wir unzurechnungsfähig sind.

Auch hat es seine guten Gründe, dass wir Kinder nur sehr zurückhaltend verantwortlich machen, sie mit einem Schonraum umgeben und nicht überfordern.



Übrigens: Anders als Du habe ich meine Begriffe von Handlung und Absicht ausführlich erläutert. Von Dir kommen diesbezüglich nur Beispiele (Kleinkinder, Affen) und dogmatische Behauptungen, dies seien Handlungen, Punkt.
Sei doch so gut und lege offen, was nach Deiner Ansicht Handlungen (und Absichten) allgemein charakterisiert, d.h. woran man sie von anderen Regungen unterscheiden kann.




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Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 20. Jun 2019, 12:19
Die Sache mit der Verantwortung habe ich weder mutwillig noch unbegründet ins Spiel gebracht. Es entspricht einfach der Realität, dass wir Menschen einander für unsere Handlungen verantwortlich machen.
Nein, es entspricht nicht der Realität. Wir tun das nicht bei kleinen Kindern, die das erst noch lernen müssen und wir tun es auch nicht bei Tieren. Du bildest deinen Begriff einseitig am erwachsenen Menschen und blendest dabei zu viel aus. Was anderes sollte es sein als eine Handlung, wenn die Äffin das Waschen der Kartoffel erfindet? Es ist schlicht absurd, die anderen Primaten aus der Welt der Handlung auszuschließen, auch wenn wir sie nicht in die Welt der Verantwortung einschließen können.




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Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 20. Jun 2019, 12:19
Von Dir kommen diesbezüglich nur Beispiele (Kleinkinder, Affen) und dogmatische Behauptungen, dies seien Handlungen, Punkt.
Richtig, ich bringe Beispiele und Belege aus wissenschaftlichen Befunden. Ich neige halt dazu, meine Begriffe an den Tatsachen zu orientieren und nicht umgekehrt unveränderliche Begriffe über die Tatsachen zu stülpen. Dogmatisch ist also, an den Begriffen gegen alle Befunde und alle Beispiele festzuhalten. Das anthropozentrische Denken ist längst überkommen, und entsprechend müssen wir unsere Begriffen neu justieren.




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Stefanie
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Do 20. Jun 2019, 20:12

Die Sache mit der Verantwortung habe ich weder mutwillig noch unbegründet ins Spiel gebracht. Es entspricht einfach der Realität, dass wir Menschen einander für unsere Handlungen verantwortlich machen. Von dieser Verantwortung sind wir nur dispensiert, wenn wir bei einer Handlung unter äußerem oder innerem Zwang stehen oder wenn wir unzurechnungsfähig sind.

Auch hat es seine guten Gründe, dass wir Kinder nur sehr zurückhaltend verantwortlich machen, sie mit einem Schonraum umgeben und nicht überfordern.
Das bestreitet keiner. Bei uns kann jeder und jede durch eine Handlung einen Schaden verursachen, durch eine Handlung. Ob als Baby, als Kind, als Mensch mit geistiger Behinderung, oder im besoffenen Zustand. Die Handlung wird nicht weg negiert, sondern sie wird dann darauf überprüft, ob jemand für diese Handlung haftbar ist, also die Verantwortung zu übernehmen hat. Dafür gibt es Regeln.
Es ist mir schleierhaft, wie man sagen kann, jemand hat nicht gehandelt, wenn er nicht haftbar zu machen ist.

In Deinem SS Fall hätte also ein 17 jähriger nicht gehandelt, als er jemanden erschossen hatte,weil er so indoktriniert war, dass er gar nicht anders konnte, also in einem geistigen Zustand war, in dem er nicht mehr abwägen konnte? Das ist doch absurd.

Wenn Kinder nicht handeln, was ist es dann? Immer vom Instinkt geleitet? Kinder sind bisweilen kreativ, wenn es darum geht, etwas z.b. haben zu wollen. Absichtliche handeln und zielgericht, lösungsorientiert. Das ist handeln.



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Jörn Budesheim
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Fr 21. Jun 2019, 06:10

Meines Erachtens ist es ein völlig übliches Verfahren, dass man eine Begriffsdefinition vorschlägt und dann an Beispielen und Gegenbeispielen überprüft, ob und inwiefern sie passt oder nicht passt. Wenn jetzt jedoch das Beibringen von Beispielen als dogmatisch gebrandmarkt wird, wie soll man dann überhaupt vorgehen?

Stattdessen zugelassen werden sollen nur Beispiele, die auf den vorgeschlagenen Begriff passen und der Begriff wurde genau diesen Beispielen entnommen.




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Jörn Budesheim
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Fr 21. Jun 2019, 07:16

Der Philosoph Markus Wild gibt dazu ein paar Beispiele. Tiere wurden seit der Antike im Grunde in der Philosophie aus dem Bereich der höheren Fähigkeiten ausgeschlossen. Dementsprechend haben sich Begriffsbestimmung einseitig am Menschen und seinen Fähigkeiten orientiert, das gilt natürlich insbesondere für grundlegende Begriffe wie Wissen, Denken und Moral. Das steht aber nicht mehr ohne weiteres im Einklang mit dem, was wir heute über Tiere und Evolution wissen. Deswegen haben sich etliche Philosophen auf dem Weg gemacht, nach Bestimmungen zu suchen jenseits des Anthropozentrismus: sie fragen nach dem Ort des Wissens in der Natur, sie fragen in welcher Hinsicht auch die anderen Tiere bereits als moralische Subjekte gelten könnten und welche Arten des Denkens es ohne Wörter gibt, bzw, ob Denken überhaupt an Wörter gebunden ist.

Solche Versuche kann man meines Erachtens nicht ohne weiteres mit Verweis auf die althergebrachten Begriffe und ihr herkommen aus der menschliche Sphäre zurückweisen. Man kann also meines Erachtens nicht einfach sagen, diese Äffin handelt nicht, da das, was sie tut, nicht dem Begriff der Handlung entspricht, den wir der menschlichen Lebenswelt entnommen haben. Das ist hermetisch.

Meines Erachtens haben wir gar keine andere Wahl, als uns auch auf unsere Intuitionen zu stützen. Dabei ist man natürlich stets vom Anthropomorphismus bedroht, keine Frage. Aber wenn manche Tiere offenbar in der Lage sind Handlungstypen zu tradieren (sie werden sogar in unterschiedlichen Gruppen unterschiedlich tradiert) und wenn sie gar neue Handlungstypen, wie das Waschen von Kartoffeln im Wasser erfinden, dann können wir nicht zu tun, als lägen diese Daten nicht vor.

Damit wird die anthropologische Differenz nicht einfach aufgekündigt. Aber man muss halt einfach genauer hin gucken, worin die Unterschiede bestehen und wie sie fundiert sind, wie sie ins Laufen kommen.

Hier ein Beispiel aus der Literatur der empirischen Forschung: "Viele Spezies spielen. Aber nur Menschen betreiben Regelspiele, und nur Menschen spielen Fantasie- oder Als-ob-Spiele. Kinder beginnen, einfache Formen solcher Spiele ab dem zweiten Lebensjahr zu spielen. Und nicht nur lernen sie, selbst gemäß den (expliziten oder impliziten) Regeln zu spielen, sondern sie begreifen diese Regeln auch als normativ bindend und setzen sie aktiv durch: Wenn Dritte etwa in einem Als-ob-Spiel die gemeinsam etablierten fiktionalen Identitäten von Gegenständen verwechseln, weisen Kinder ab zwei Jahren sie protestierend zurecht."




Hermeneuticus
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Fr 21. Jun 2019, 09:21

Ich glaube, mein Bedarf an Diskussionen in diesem Forum ist mal wieder für ein paar Jahre gedeckt.
;)




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