Teamwork / kollektive Intentionalität

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Friederike
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So 2. Jun 2019, 15:06

Friederike hat geschrieben :
Fr 31. Mai 2019, 17:56
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 31. Mai 2019, 16:38
Nehmen wir an, Hans tanzt zweimal auf einem Tanzwettbewerb. Einmal im Einzeltanz und einmal im Paartanz. Beides mal trägt er Verantwortung für das, was er tut. Wenn er im Einzeltanz versagt, dann kann er sich selbst Vorwürfe machen, z.b. dafür dass er zu wenig trainiert hat et cetera. Aber im Paartanz ist seine Verantwortung eine ganz andere. Er hat es nicht nur für sich selbst vermasselt, sondern für das Team und muss sich entsprechend Vorwürfe von seinem Partner gefallen lassen. [...]
Ich trage die Verantwortung für mein Handeln. Eine "andere" Verantwortung gibt es nicht. Vorwürfe der Anderen oder die Sorgfalt der Vorbereitungen für eine Handlung stehen auf einem anderen Blatt, d.h. nicht dem der Verantwortung.
Das ist der Ausgangspunkt gewesen. Du hattest geschrieben, die Verantwortung sei eine "ganz andere".




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Jörn Budesheim
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So 2. Jun 2019, 15:10

Und welche Zusammenhang soll es geben, mit dem, was du zuvor beschrieben hast, ich kann es nicht erkennen. Sorry.




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Friederike
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So 2. Jun 2019, 15:19

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 2. Jun 2019, 15:10
Und welche Zusammenhang soll es geben, mit dem, was du zuvor beschrieben hast, ich kann es nicht erkennen. Sorry.
An das zuvor von mir Zitierte schloß sich dieser Beitrag von Dir an:
Jörn hat geschrieben : Wie wäre es, wenn du das nicht nur behauptest, sondern am Beispiel des Paartanzes anschaulich erläutert?
Das geschah am Freitag. Und heute früh knüpfte ich mit meinem ersten Beitrag an Dein "Wie wäre es" [...] an.




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Friederike
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So 2. Jun 2019, 15:26

Aber um aus meiner blöden Verteidigungshaltung herauszukommen ... Du hast bisher nicht gesagt, wie es gehen soll, daß die Verantwortung eine "ganz andere " ist. Du hast Unterschiede benannt, was den Einzel- und den Paartanz angeht. Die Unterschiede bestreite ich überhaupt nicht. Ich bestreite aber schon, daß sich "Verantwortung" in unterschiedliche Verantwortungen, Arten von Verantwortung, ausdifferenziert.




Hermeneuticus
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So 2. Jun 2019, 15:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 1. Jun 2019, 06:08
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 31. Mai 2019, 22:43
Und wenn eine Person einen Fehler macht, ist sie allein dafür verantwortlich, nicht der Partner oder die Partnerin.
Ja, stimmt. Aber woran gemessen ist es ein Fehler? Nun gemessen wird am gemeinsamen Ziel. Man könnte gar nicht erklären, worin der Fehler besteht, wenn man sich nicht auf die gemeinsame Handlungen bezöge. Dass Einzelne im Team Fehler machen können, zeigt daher nicht, dass Handlungen streng genommen immer von Individuen/Subjekten vollzogen werden. Es zeigt nur, dass die gemeinsame Handlungen nicht ohne den Einzelnen und seinen Teil daran existieren würde.
Du scheinst einen anderen Begriff von Handlung zu verwenden als ich. Den nach meinem Verständnis ist eine Handlung primär definiert als das, was wir - als Mitglieder von Verantwortungsgemeinschaften - uns gegenseitig als Verdienst oder Verschulden zuschreiben.

Aus diesem Verständnis folgt: Wenn in einem Team einer Person ein Fehler zugeschrieben wird, dann war das Begehen dieses Fehlers eben eine Handlung dieser (und keiner anderen) Person.

Dass Handlungen gelingen oder scheitern können, dass sie erfolgreich sein oder erfolglos bleiben können, gehört ebenfalls zu ihren "Wesen"; d.h. jede einzelne Handlung ist dem Scheitern ausgesetzt.
Bei einer gelingenden Teamarbeit ist alles eitel Harmonie. Da scheinen die Individuen im Kollektiv "aufzugehen", scheinen sie "getragen" vom Team-Geist und "über sich hinaus zu wachsen". Aber es genügt nicht, sich nur die gelingende Gemeinschaftshandlung anzuschauen. Man muss auch sehen, was beim Misslingen passiert, um zu begreifen, was Sache ist.

Klar, Fehler werden bei einer Gemeinschaftshandlung durch das gemeinsame Ziel definiert. Aber werden denn Fehler auch automatisch immer dem Team als Ganzem zugeschrieben? Das folgt offenbar nicht.

Zwar gehört es zum Mannschaftsgeist - "Einer für Alle, Alle für Einen" -, dass beim Scheitern nicht alle sofort über den Einzelnen herfallen, der die Sache "verkackt" hat. Aber nur, wenn sie sicher sein können, dass er wirklich sein Bestes gegeben hat. Wehe, er hat mutwillig oder fahrlässig gehandelt! Und wehe, solche Fehler passieren ihm öfter! Dann schlägt der Mannschaftsgeist nämlich als strafende Instanz zu und schließt den Einzelnen vom Team aus - bzw. vollendet den Ausschluss, den er durch seinen mangelnden Teamgeist insgeheim schon vollzogen hatte.

Ich denke, es ist jedem in einem Team jederzeit klar, dass jeder Einzelne für seine Teilhandlungen verantwortlich ist und bleibt. Zwar sind es nur Teilhandlungen, deren Form vom gesamten Handlungszusammenhang abhängt, aber diese Teilhandlungen liegen stets in der persönlichen Verantwortung der handelnden Person. Ein Team ist weder ein gut geölter Automat noch ein Organismus. Es ist ein Zusammenschluss von selbständig (frei) handelnden Personen.




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Friederike
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Mo 3. Jun 2019, 11:57

Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 30. Mai 2019, 13:32
Absichten sind aber nicht dasselbe wie Handlungen.
Vielleicht ist das der Punkt, um den es gehen könnte.

Wir erlernen mit dem, was "Handlung" bedeutet, gleichzeitig, was "Absicht" ist. Konkreter, was zu einer bestimmten Handlung als Absicht gehört. Handlungen sind zwar nicht dasselbe wie Absichten, aber sie gehören zusammen.

Es ist nur so ein Einfall von mir, aber wenn ich mir beispielsweise einen Kaffee bestelle und der Servierer schüttet mir versehentlich den Kaffee beim Hinstellen über die Hose, dann wissen er und ich, daß das Verschütten un-absichtlich erfolgte. Das heißt, mit der Handlung "Kaffee bringen" ist die Absicht verbunden, den Kaffee trinkbereit hinzustellen. Man muß die Absicht also nicht erraten, und sie ist nichts im Innern des Akteurs verborgenes, sondern sie ist insofern öffentlich als sie mit zur Handlung gehört.
Hermeneuticus hat geschrieben : Was die "Ableitung" individueller Absichten von der kollektiven Absicht angeht, wäre ich vorsichtig.
Diesen Satz benutze ich nur als Aufhänger, weil, wenn obiges zutrifft, dann würden primär immer kollektive Absichten sein, von denen wir als einzelne Akteure immer nur ableiten können. Weil es kollektive Absichten gibt, deswegen überhaupt nur können wir individuelle Absichten haben. Das Wort "kollektiv" paßt nicht, weil es in die Irre führt. Ich meine es so: Wenn wir Handlungen zusammen mit Absichten, mit den zu den Handlungen gehörenden Absichten erlernen, dann wären die Absichten ein soziales Vorkommnis, :lol: also nichts Privates, und aus diesem Grunde würde ich sie für primär ansehen.




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Jörn Budesheim
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Mo 3. Jun 2019, 14:02

Hermeneuticus hat geschrieben :
So 2. Jun 2019, 15:29
Ein Team ist weder ein gut geölter Automat noch ein Organismus.
An wen geht das? Und falls es an mich geht: warum?
Hermeneuticus hat geschrieben :
So 2. Jun 2019, 15:29
Klar, Fehler werden bei einer Gemeinschaftshandlung durch das gemeinsame Ziel definiert. Aber werden denn Fehler auch automatisch immer dem Team als Ganzem zugeschrieben? Das folgt offenbar nicht.
Hier das selbe: An wen geht das? Und falls es an mich geht: warum? Weder hab' ich etwas geschrieben, was dem ersten Zitat ähnelt, noch etwas, was dem zweiten ähnelt. Wieso also schreibst du das? Ich hab keine Idee dazu.




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Jörn Budesheim
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Mo 3. Jun 2019, 14:45

Friederike hat geschrieben :
So 2. Jun 2019, 15:26
Ich bestreite aber schon, daß sich "Verantwortung" in unterschiedliche Verantwortungen, Arten von Verantwortung, ausdifferenziert.
Ich spreche da aber nicht von einem anderen Arten oder Typen von Verantwortung. Ich erläutere was ich meine schließlich so: "Er hat es [wenn er allein tanzt] nicht nur für sich selbst vermasselt, sondern für das Team und muss sich entsprechend Vorwürfe von seinem Partner gefallen lassen."
Friederike hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2019, 11:57
Wir erlernen mit dem, was "Handlung" bedeutet, gleichzeitig, was "Absicht" ist. Konkreter, was zu einer bestimmten Handlung als Absicht gehört. Handlungen sind zwar nicht dasselbe wie Absichten, aber sie gehören zusammen.
Ja, zur Handlung gehört die Absicht. Und Absichten sind nicht notwendig etwas "inneres" oder privates. Der Punkt ist wichtig, weil er es möglich macht, dass es Wir-Absichten gibt. In dem Tanz-Beispiel hat der Tänzer einmal eine Ich-Absicht ("ich beabsichtige den Tanz-Wettbewerb zu gewinnen") und einmal hat er die selbe Wir-Absicht wie sein Tanzpartner ("wir beabsichtigen den Tanz-Wettbewerb zu gewinnen"). Dazu müssen die beiden weder zu einem Organismus zusammen wachsen, noch werden ihre Fehler und Versäumnisse automatisch zu Fehlern und Versäumnissen des Teams.




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Stefanie
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Mo 3. Jun 2019, 14:59

Es ist etwas schwer, im Internet frei zugängliche Quellen und urheberrechtlich unbedenkliche Quellen zu diesem Thema zu finden. (Nur mal so, da hat jemand aus einem Buch zu dem Thema kollektive Intentionalität mal so eben ein komplettes Kapitel kopiert, eine PDF draus gemacht und schwupps ins Internet gestellt. Das freut den Suhrkamp Verlag nicht.)

Etwas habe ich doch gefunden:

https://www.nzz.ch/articleEHRK9-1.70098



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Jörn Budesheim
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Mo 3. Jun 2019, 15:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 1. Jun 2019, 06:08
Diese wechselseitigen Koordinationen/Bezugnahmen (diese Worte klingen noch ziemlich lau, wenn ich an dieses Stück denke oder auch an Sex z.b.) das kann natürlich kein Einzelner vollziehen, denn es ist immer etwas auf Gegenseitigkeit. In solchen Fällen spiegelt man sich wechselseitig im oder in den Anderen. Das heißt, der eigene Körper ist in so einer Situation schlechterdings in einem ganz anderen Zustand als bei Einzel-Handlungen ohne diese Spiegelungen. Ein Körper mit Bezug auf einen anderen Körper ist nicht dasselbe wie ein Körper ohne diesen Bezug.
Das scheint ein wichtiger Punkt zu sein, weshalb vermutlich auch keiner darauf reagiert hat. Zu dieser Sicht gehört auch noch eine Erfahrung, die sicher fast jeder schon mal gemacht hat, der Teamsportarten praktiziert hat. Hier geht es keineswegs immer einfach button-up zu, wie es sich vielleicht einige ausmalen. Eine "geschlossene Mannschaftsleistung" kann auf den Einzelnen "abfärben" - sozusagen top down. Selbst wenn Hans, dessen Individualität damit nicht infrage gestellt wird, am Spieltag eher nicht so gut in Form ist, kann es passieren, dass ihn die Mannschaft als Ganze "hochzieht". Nach meiner Erfahrung ist das ein ständiges hin und her zwischen Team und Einzelnem.

Nun gibt es natürlich nicht in einem materiellen Sinne so etwas wie einen Team-Geist, der gleichsam "über den Einzelnen schwebt". Nichts desto trotz ist das Phänomen real, weil die Handlungen der anderen von jedem Einzelnen bei dem eigenen Anteil an der Handlung mit-repräsentiert sind. [Man müsste sich hier mal unter dem Stichwort "Spiegelneuronen" klug machen oder beim Thema Vogelschwarm.] Solche Wir-Erfahrungen können gar euphorisieren - etwa bei Demonstrationen. Eine passende Metapher dafür ist oftmals: Man schaukelt sich gegenseitig hoch.

Dass Wir-Absichten und Wir-Handlungen real sind, kann man nicht ernsthaft bestreiten. Darüber hinaus zeigen die Beispiele, dass Wir-Absichten und Wir-Handlungen logisch primitiv sind, weil sie nicht von Einzelhandlungen abgeleitet und ableitbar sind.

Wer beim Boule eine Kugel schießt, der macht diese Teil-Handlung als Teil des gemeinsamen Boulespielens. Dazu muss er nicht in einem gemeinsamen Organismus aufgehen. Aber selbst in solchen Fällen haben die anderen Teamkollegen, die einfach nur dabei stehen und zuschauen, wie man glauben könnte, ihren Teil an dieser Handlung, was der Grund ist, warum man sogar so etwas trainiert ...




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Jörn Budesheim
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Mo 3. Jun 2019, 15:59

Stefanie hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2019, 14:59
Etwas habe ich doch gefunden:

https://www.nzz.ch/articleEHRK9-1.70098
Hans Bernhard Schmid scheint in die Richtung zu gehen, die Friederike heute angedeutet hat. Gefällt mir auch recht gut.




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Mo 3. Jun 2019, 16:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2019, 14:02
An wen geht das?
Was ich schreibe, ist nicht notwendig immer an eine bestimmte Person gerichtet. Aber Du hattest die Unterscheidung "Ganzes / Teil" verwendet, im gleichen Zusammenhang auch von "Glied" und "Bauplan" gesprochen. Im Zuge meiner Kritik an dieser Begrifflichkeit habe ich gesagt, dass ein Team weder eine Maschine noch ein Organismus sei.




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Jörn Budesheim
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Mo 3. Jun 2019, 17:07

Dabei hast du jedoch großzügig an dem vorbei gesehen, was ich geschrieben habe, weswegen du auch nur die Wörter zitierst und nicht ihren Zusammenhang.
Jörn Budesheim über Teil und Ganzes hat geschrieben : Nehmen wir mal eine individuelle Handlung. Ich koche einen Kaffee. Um das zu tun, werde ich eine Reihe von Dingen tun: ich werde aufstehen, ich werde Wasser holen, ich werde das Kaffeepulver aus dem Schrank nehmen, ich werde es in die Maschine tun et cetera. All dies sind Teil-Handlungen. Aber keine von ihnen ist richtig gedeutet, wenn man sie nicht unter den Oberzweck, Kaffee zu kochen packt.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 1. Jun 2019, 06:08
Kooperieren-können ist sozusagen Teil unseres Bauplans - siehe dazu Tomasello zum Beispiel. [= wir bringen das mit, selbst ganz kleine Kinder können schon kooperieren laut Tomasello.
[Das Wort "Glied" taucht in der Suche gar nicht erst auf.]




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Mo 3. Jun 2019, 17:19

Friederike hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2019, 11:57
Wir erlernen mit dem, was "Handlung" bedeutet, gleichzeitig, was "Absicht" ist. Konkreter, was zu einer bestimmten Handlung als Absicht gehört. Handlungen sind zwar nicht dasselbe wie Absichten, aber sie gehören zusammen.

Es ist nur so ein Einfall von mir, aber wenn ich mir beispielsweise einen Kaffee bestelle und der Servierer schüttet mir versehentlich den Kaffee beim Hinstellen über die Hose, dann wissen er und ich, daß das Verschütten un-absichtlich erfolgte. Das heißt, mit der Handlung "Kaffee bringen" ist die Absicht verbunden, den Kaffee trinkbereit hinzustellen. Man muß die Absicht also nicht erraten, und sie ist nichts im Innern des Akteurs verborgenes, sondern sie ist insofern öffentlich als sie mit zur Handlung gehört.
Ja, so sehe ich das auch. Diese Ansicht habe ich in früheren Diskussionen zu Pragmatismus und Handlungstheorie schon über ganze Threads hinweg energisch vertreten und verteidigt. ;)
(Siehe etwa das "Projekt Pragmatismus")

Friederike:
Hermeneuticus hat geschrieben : Was die "Ableitung" individueller Absichten von der kollektiven Absicht angeht, wäre ich vorsichtig.
Diesen Satz benutze ich nur als Aufhänger, weil, wenn obiges zutrifft, dann würden primär immer kollektive Absichten sein, von denen wir als einzelne Akteure immer nur ableiten können. Weil es kollektive Absichten gibt, deswegen überhaupt nur können wir individuelle Absichten haben. Das Wort "kollektiv" paßt nicht, weil es in die Irre führt. Ich meine es so: Wenn wir Handlungen zusammen mit Absichten, mit den zu den Handlungen gehörenden Absichten erlernen, dann wären die Absichten ein soziales Vorkommnis, :lol: also nichts Privates, und aus diesem Grunde würde ich sie für primär ansehen.
Mich interessieren an dieser Diskussion, die Jörn ja als Ableger von der Diskussion "Volkssouveränität" eröffnet hat, im Moment mehr die politischen Aspekte. Und im Hinblick darauf habe ich zur Vorsicht geraten bei der "Ableitung" individueller Absichten von kollektiven Absichten. Kann man z.B. bei einem jungen Mann, der in der Waffen-SS gedient hat, seine individuelle Absicht von der kollektiven Absicht der Waffen-SS "ableiten" - d.h. darauf logisch schließen? Etwa nach dem Muster:

A war Mitglied der Waffen-SS
Die Absicht der Waffen-SS war I.
_________________________
Also hatte A die Absicht I.




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Mo 3. Jun 2019, 17:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2019, 17:07
Dabei hast du jedoch großzügig an dem vorbei gesehen, was ich geschrieben habe, weswegen du auch nur die Wörter zitierst und nicht ihren Zusammenhang.
Jörn Budesheim über Teil und Ganzes hat geschrieben : Nehmen wir mal eine individuelle Handlung. Ich koche einen Kaffee. Um das zu tun, werde ich eine Reihe von Dingen tun: ich werde aufstehen, ich werde Wasser holen, ich werde das Kaffeepulver aus dem Schrank nehmen, ich werde es in die Maschine tun et cetera. All dies sind Teil-Handlungen. Aber keine von ihnen ist richtig gedeutet, wenn man sie nicht unter den Oberzweck, Kaffee zu kochen packt.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 1. Jun 2019, 06:08
Kooperieren-können ist sozusagen Teil unseres Bauplans - siehe dazu Tomasello zum Beispiel. [= wir bringen das mit, selbst ganz kleine Kinder können schon kooperieren laut Tomasello.
[Das Wort "Glied" taucht in der Suche gar nicht erst auf.]
Versuch's mal mit dem Plural "Glieder"! Oder lies noch mal den Beitrag 31431! ;)




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Jörn Budesheim
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Mo 3. Jun 2019, 17:43

Und eine Relation hat ihren Ort nicht in einem ihrer Glieder [Relata/Elemente], auch wenn sie nichts ist ohne diese Glieder [Relata/Elemente]
Das ist meines Erachtens ein sehr wichtiges Argument und statt etwas dazu zu sagen, pickst du ein Wort raus und packst es in einen anderen Zusammenhang. Später behauptest du dann, ich hätte keine Argumente geliefert...




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Jörn Budesheim
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Mo 3. Jun 2019, 17:56

Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2019, 17:19
Mich interessieren an dieser Diskussion, die Jörn ja als Ableger von der Diskussion "Volkssouveränität" eröffnet hat, im Moment mehr die politischen Aspekte.
Das Zitat hat mich einfach an das Thema "kollektive Intentionalität" erinnert. Das soll hier ein eigenständiger Thread sein. ein Zusammenhang zu diesem anderen Thema habe ich daher bewusst nicht erstellt.




Hermeneuticus
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Mo 3. Jun 2019, 22:04

Friederike hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2019, 11:57
Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 30. Mai 2019, 13:32
Absichten sind aber nicht dasselbe wie Handlungen.
Vielleicht ist das der Punkt, um den es gehen könnte.
Ja, darum will ich genau dort noch einmal einsetzen.
Wir erlernen mit dem, was "Handlung" bedeutet, gleichzeitig, was "Absicht" ist. Konkreter, was zu einer bestimmten Handlung als Absicht gehört.
Hier würde ich präzisieren: Wir erlernen, welche Zwecke zu bestimmten Handlungsschemata gehören. Im Allgemeinen wird das Handlungsschema des Kaffeekochens angewendet, um Kaffee zum Trinken zu erhalten. Aber ob es von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation wirklich zu diesem Zweck angewendet wird, das zeigt sich erst in der besonderen Situation. Das lässt sich aus dem Allgemeinen, dem Handlungsschema mit seinem Standardzweck, nicht ableiten. Es kommt auf die konkrete Handlung an, die von einem konkreten Handlungssubjekt vollzogen wird.

(Hier denke ich sofort an Aristoteles. Für ihn war das Allgemeine "dynamis", "potentia", also bloße Möglichkeit. Erst im individuellen Fall - dem "actus"- wird das Allgemeine bestimmt und verwirklicht.)
Es ist nur so ein Einfall von mir, aber wenn ich mir beispielsweise einen Kaffee bestelle und der Servierer schüttet mir versehentlich den Kaffee beim Hinstellen über die Hose, dann wissen er und ich, daß das Verschütten un-absichtlich erfolgte.

Man ist geneigt, das erst mal so anzunehmen. Aber es könnte auch sein, dass der Servierer sauer auf Dich ist, weil Du ihm vor zwei Wochen kein Trinkgeld gegeben hast. Vielleicht hat er eine Wette mit seinem Kollegen abgeschlossen. Vielleicht findet er Dich attraktiv und will Dich "anbaggern". Vielleicht...
Das heißt, mit der Handlung "Kaffee bringen" ist die Absicht verbunden, den Kaffee trinkbereit hinzustellen. Man muß die Absicht also nicht erraten, und sie ist nichts im Innern des Akteurs verborgenes, sondern sie ist insofern öffentlich als sie mit zur Handlung gehört.
Aber wie meine "Vielleichts" zeigen, ist diese Zugehörigkeit eine bloß wahrscheinliche, naheliegende, gewöhnliche. Sie erlaubt nicht, im konkreten Fall vom einen auf das andere zu schließen.
Friederike hat geschrieben :
Hermeneuticus hat geschrieben : Was die "Ableitung" individueller Absichten von der kollektiven Absicht angeht, wäre ich vorsichtig.
Diesen Satz benutze ich nur als Aufhänger, weil, wenn obiges zutrifft, dann würden primär immer kollektive Absichten sein, von denen wir als einzelne Akteure immer nur ableiten können. Weil es kollektive Absichten gibt, deswegen überhaupt nur können wir individuelle Absichten haben.
Vorsicht! ;)

Wie genau erlernen wir die Beherrschung eines Handlungsschemas? Durch Nachahmung und Übung. Denn Handlungsschemata flattern nicht im öffentlichen Raum herum, wo wir sie fertig "pflücken" könnten. Sie kommen immer in konkreten Beispielen zu uns. - So habe ich das Kaffee-Aufgießen von meinem Vater gelernt; ich habe es mir bei ihm abgeguckt. (Das war bei uns Zuhause, wo Kaffeemaschinen und fertig gemahlener Kaffee verpönt waren, "Chefsache", denn die Bohnen mussten immer frisch mit einer Handmühle gemahlen werden.)

Wieder mit Blick auf Aristoteles würde ich darum sagen: Das Primäre und Wirkliche sind die konkreten Handlungen (actus), und das Allgemeine, Schematische ist in ihnen inkorporiert oder "aktualisiert".

Friederike hat geschrieben : Das Wort "kollektiv" paßt nicht, weil es in die Irre führt. Ich meine es so: Wenn wir Handlungen zusammen mit Absichten, mit den zu den Handlungen gehörenden Absichten erlernen, dann wären die Absichten ein soziales Vorkommnis, also nichts Privates, und aus diesem Grunde würde ich sie für primär ansehen.
Um das mentalistische Missverständnis - Absichten sind im Kopf, im Bewusstsein, in der Seele - zu vermeiden, würde ich lieber von "Zwecken" als von "Absichten" sprechen.

Aber was die Rangfolge betrifft, bleibe ich eisern: Ontisch und kognitiv primär sind die konkreten individuellen Handlungen; die allgemeinen Handlungsschemata sind von ihnen abgeleitet, daher sekundär.




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Jörn Budesheim
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Di 4. Jun 2019, 05:32

Friederike hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2019, 11:57
Wir erlernen mit dem, was "Handlung" bedeutet, gleichzeitig, was "Absicht" ist.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2019, 22:04
Aber wie meine "Vielleichts" zeigen, ist diese Zugehörigkeit eine bloß wahrscheinliche, naheliegende, gewöhnliche. Sie erlaubt nicht, im konkreten Fall vom einen auf das andere zu schließen.
Wir schließen auch gar nicht. Wir nehmen einfach wahr, ob etwas mit Absicht oder ohne Absicht geschah. Und wie alle anderen Wahrnehmung sind natürlich auch solche Wahrnehmungen fallibel.

Wir bringen die Fähigkeit, ganz allgemein Absichtliches von Unabsichtlichem unterscheiden zu können, mit. Wir lernen das nicht erst. So zumindest verstehe ich die Forschungen Tomasellos zu der Frage.

Wie sollte man den Begriff der Absicht denn lernen?




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Friederike
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Di 4. Jun 2019, 08:34

Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2019, 22:04
Aber was die Rangfolge betrifft, bleibe ich eisern: Ontisch und kognitiv primär sind die konkreten individuellen Handlungen; die allgemeinen Handlungsschemata sind von ihnen abgeleitet, daher sekundär.
Bild Ich hoffe inständigst, daß diese Schlußfolgerung nicht glasklar und für jeden Menschen mit Verstand aus Deinen Anmerkungen zu Aristoteles einsichtig wird :oops: ... denn ich bin sehr überrascht, dies am Ende Deiner Einlassungen zu lesen. Ich verstehe die Aussage schlichtweg nicht. Die Handlungsschemata, inwiefern sind die dann primär? In der individualgeschichtlichen Entwicklung, oder dienen sie nur heuristischen Zwecken? Bzw. kannst Du kurz erklären, was "ontisch" und "kognitiv" in diesem Zusammenhang meint?!

NS: "Kognitiv" habe ich jetzt doch verstanden, nachdem ich Dein Beispiel, wie man Kaffee kochen lernt, nochmals gelesen habe. Man lernt am konkreten Beispiel. Damit ist meine Vermutung, was die individualgeschichtliche Entwicklung betrifft, Quatsch. Nun weiß ich wieder nicht, was "inkorporiert" (Handlungsschemata) heißt.




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