Friederike hat geschrieben : ↑ Mo 3. Jun 2019, 11:57
Hermeneuticus hat geschrieben : ↑ Do 30. Mai 2019, 13:32
Absichten sind aber nicht dasselbe wie Handlungen.
Vielleicht ist das der Punkt, um den es gehen könnte.
Ja, darum will ich genau dort noch einmal einsetzen.
Wir erlernen mit dem, was "Handlung" bedeutet, gleichzeitig, was "Absicht" ist. Konkreter, was zu einer bestimmten Handlung als Absicht gehört.
Hier würde ich präzisieren: Wir erlernen, welche Zwecke zu bestimmten
Handlungsschemata gehören.
Im Allgemeinen wird das Handlungsschema des Kaffeekochens angewendet, um Kaffee zum Trinken zu erhalten. Aber ob es von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation
wirklich zu diesem Zweck angewendet wird, das zeigt sich erst in der besonderen Situation. Das lässt sich aus dem Allgemeinen, dem Handlungsschema mit seinem Standardzweck, nicht ableiten. Es kommt auf die konkrete Handlung an, die von einem konkreten Handlungssubjekt vollzogen wird.
(Hier denke ich sofort an Aristoteles. Für ihn war das Allgemeine "dynamis", "potentia", also bloße
Möglichkeit. Erst im individuellen Fall - dem "actus"- wird das Allgemeine bestimmt und
verwirklicht.)
Es ist nur so ein Einfall von mir, aber wenn ich mir beispielsweise einen Kaffee bestelle und der Servierer schüttet mir versehentlich den Kaffee beim Hinstellen über die Hose, dann wissen er und ich, daß das Verschütten un-absichtlich erfolgte.
Man ist geneigt, das erst mal so anzunehmen. Aber es könnte auch sein, dass der Servierer sauer auf Dich ist, weil Du ihm vor zwei Wochen kein Trinkgeld gegeben hast. Vielleicht hat er eine Wette mit seinem Kollegen abgeschlossen. Vielleicht findet er Dich attraktiv und will Dich "anbaggern". Vielleicht...
Das heißt, mit der Handlung "Kaffee bringen" ist die Absicht verbunden, den Kaffee trinkbereit hinzustellen. Man muß die Absicht also nicht erraten, und sie ist nichts im Innern des Akteurs verborgenes, sondern sie ist insofern öffentlich als sie mit zur Handlung gehört.
Aber wie meine "Vielleichts" zeigen, ist diese Zugehörigkeit eine bloß wahrscheinliche, naheliegende, gewöhnliche. Sie erlaubt nicht, im konkreten Fall vom einen auf das andere zu schließen.
Friederike hat geschrieben : Hermeneuticus hat geschrieben : Was die "Ableitung" individueller Absichten von der kollektiven Absicht angeht, wäre ich vorsichtig.
Diesen Satz benutze ich nur als Aufhänger, weil, wenn obiges zutrifft, dann würden primär immer kollektive Absichten sein, von denen wir als einzelne Akteure immer nur ableiten können. Weil es kollektive Absichten gibt, deswegen überhaupt nur können wir individuelle Absichten haben.
Vorsicht!
Wie genau erlernen wir die Beherrschung eines Handlungsschemas? Durch Nachahmung und Übung. Denn Handlungsschemata flattern nicht im öffentlichen Raum herum, wo wir sie fertig "pflücken" könnten. Sie kommen immer in konkreten Beispielen zu uns. - So habe ich das Kaffee-Aufgießen von meinem Vater gelernt; ich habe es mir bei ihm abgeguckt. (Das war bei uns Zuhause, wo Kaffeemaschinen und fertig gemahlener Kaffee verpönt waren, "Chefsache", denn die Bohnen mussten immer frisch mit einer Handmühle gemahlen werden.)
Wieder mit Blick auf Aristoteles würde ich darum sagen: Das Primäre und Wirkliche sind die konkreten Handlungen (actus), und das Allgemeine, Schematische ist in ihnen inkorporiert oder "aktualisiert".
Friederike hat geschrieben : Das Wort "kollektiv" paßt nicht, weil es in die Irre führt. Ich meine es so: Wenn wir Handlungen zusammen mit Absichten, mit den zu den Handlungen gehörenden Absichten erlernen, dann wären die Absichten ein soziales Vorkommnis, also nichts Privates, und aus diesem Grunde würde ich sie für primär ansehen.
Um das mentalistische Missverständnis - Absichten sind im Kopf, im Bewusstsein, in der Seele - zu vermeiden, würde ich lieber von "Zwecken" als von "Absichten" sprechen.
Aber was die Rangfolge betrifft, bleibe ich eisern: Ontisch und kognitiv primär sind die konkreten individuellen Handlungen; die allgemeinen Handlungsschemata sind von ihnen abgeleitet, daher sekundär.