NaWennDuMeinst hat geschrieben : ↑ Sa 1. Aug 2020, 04:38
Alethos hat geschrieben : ↑ Sa 1. Aug 2020, 01:36
Genau, sie sind vor Gericht nicht massgebend, weil das Gericht nicht entscheiden kann, ob sie die Wahrheit sagt. Es ist nicht falsifizierbar.
Aber das kann doch gar nicht stimmen was Du schreibst. Das Gericht kann ja auch nicht falsifizieren, ob ich wirklich einen Schmerz verspüre wenn mir mein Vater getötet wird. Ich könnte ja auch denken: "Endlich ist er weg", und nur so tun, als ob ich Schmerzen empfinden würde (weil ich z.B. ein schlechtes Verhältnis zu meinem Vater hatte).
Trotzdem denkt man darüber nach Hinterbliebenen einen Schadensersatz in Form von Schmerzensgeld zu zahlen (siehe Zitat aus der Wikipedia weiter oben).
Genauso weiß das Gericht nicht, ob ich unter einer "Ehrverletzung" wirklich "gelitten" habe oder ob ich das nur behaupte um Geld abzugreifen.
Trotzdem wird das gezahlt.
Also dass da irgendwas nicht falsifiziert werden kann (Motive usw) kann einfach gar nicht der Grund sein, warum Frau Schulze ihren ideellen Wert nicht ersetzt bekommt, denn dann müsste Schmerzensgeld doch auch mit der selben Begründung generell flach fallen.
Da ist ja auch eine gewisse
Willkür mit im Spiel. Auch der Schmerz hat kein objektiv
feststellbares Ausmass. Warum sollte es denn so sein, dass der Verlust der linken Hand nach einem fremdverursachten Unfall in den USA 1 Mio. USD wert sein soll und in Deutschland nur 10'000 EUR? Das hat mit den Rechtssystemen zu tun, mit der Gesetzeslage und dem richterlichen Ermessen im jeweiligen Rechtssystem, mit Präzedenzfällen usw., also - in argumentativer Hinsicht - mit der
Festsetzung, dass es sich im Fall x und im Fall y so verhalten soll. Also ist auch die Tatsache, dass Schmerzensgeld gezahlt wird, kein Indiz dafür, dass der Schmerz objektiver existiert als der ideelle Schmerz. Die Judikative könnte genauso gut festlegen, dass ab sofort der ideelle Wert ersetzt wird. Wonach aber kein bisschen an Objektivität gewonnen wäre mit Bezug auf das Phänomen selbst - es bleibt (philosophisch gesehen) so objektiv als zuvor.
Natürlich kann ein Gericht nicht wissen, ob du Schmerzen empfindest, weil dein Vater von jemandem erschossen wurde, aber dennoch zahlt es dir Schmerzensgeld aus - denn es ist die Regel, dass Hinterbliebene den Verlust empfinden. Wenn du den Verlust nicht als Verlust empfindest, sondern z.B. Freude, weil der Alte endlich weg ist, dann kann sich das Gericht irren, weil es ja nicht wissen kann, was für ein seelischer Krüppel du bist
Es ist auch die Regel, dass bei starker Krafteinwirkung auf den Körper, ein Schmerz empfunden wird und du wirst Schmerzensgeld bekommen, auch wenn du an dieser Stelle absolut kein Schmerzempfinden haben solltest.
Das Gericht geht vom
feststellbaren Regelfall aus und das ist der Grund für die rechtliche Relevanz von Schmerzen einerseits und der rechtlichen Irrelevanz von ideellen Werten andererseits, denn bei letzterem kann kein Regelfall ermittelt werden. Auch wenn sehr gut nachvollziehbare Gründe vorgebracht werden können, die den ideellen Wert der Kette meiner Urgrossmutter erklären, so kann das Gericht nicht feststellen, dass diese Gründe tatsächlich vorliegen. Bei einem Auto, das dir über den Fuss fährt, kann es hingegen sehr wohl feststellen, dass er dir über den Fuss gefahren ist.
NaWennDuMeinst hat geschrieben : ↑ Sa 1. Aug 2020, 04:38
Hast Du mal eine (juristische Fach-)Quelle aus der hervorgeht, dass ideelle Werte nicht ersetzt werden, weil da nichts falsifizierbar ist, also die das bestätigt, was Du behauptest?
Viel spannender als meine obigen Darlegungen (die sich in der Rechtsphilosophie allesamt nachforschen lassen) ist die Frage: Wofür oder wogegen willst du eigentlich argumentieren? Was ist dein Standpunkt? Mich wird nicht überraschen, dass du für eine Subjektivität argumentieren willst - diesmal mithilfe der Rechtssprechung. Aber die Antworten darauf findet man in der Ontologie.
NaWennDuMeinst hat geschrieben : ↑ Sa 1. Aug 2020, 04:38
Nehmen wir aber an, dass Frau Schulze die Wahrheit sagt, und das machen wir in der Philosophie so
Wer ist wir? Und wieso machen diese "wir" das in der Philosophie so? Davon habe ich noch nie gehört. Ist das irgendeine geheime Regel unter Philosophen, oder hast Du Dir das gerade ausgedacht? Wieso sollte man immer annehmen, dass jemand die Wahrheit sagt? Das geht ja an der menschlichen Realität vollkommen vorbei.
Wenn wir den Zusammenhang zwischen Argumenten und durch sie begründete Tatsachen untersuchen wollen, kommen wir gar nicht umhin zu setzen, dass die Argumente existieren. Wenn Frau Schulze die Unwahrheit sagt, dann hat sie gar kein Argument, womit aber der Zusammenhang gar nicht existieren kann zwischen Tatsache und Argument. Wir wollen aber den Zusammenhang untersuchen, also muss vorausgesetzt werden, dass sie die Wahrheit sagt und dass es diese Argumente damit auch tatsächlich gibt.
In der Philosophie kann man das ja auch so machen, denn man macht ja keinen Schadenersatz geltend und führt man auch eine Einzelsituation nicht einer Entscheidung zu. Wir haben nicht zu entscheiden, ob Frau Schulze lügt oder nicht lügt, sondern nur, was daraus folgt, wenn sie lügt oder nicht lügt. Und die Philosophie interessiert sich in der Regel für den Fall, dass sie nicht lügt.
NaWennDuMeinst hat geschrieben : ↑ Sa 1. Aug 2020, 04:38
Und eine Frage hast Du mir gar nicht beantwortet, nämlich die Frage warum der ideelle Wert nicht falsifizierbar ist. Ich würde von Dir gerne wissen was Du glaubst woran das liegt. Und was ich auch nicht verstehe: Wenn Frau Schulze darüber entschiedet, ob der ideelle Wert ihres Ringes objektiv vorhanden ist, wieso müssen dann die Richter das glauben?Frau Schulzes Aussage reicht doch dann, der objektive Wert entsteht ja schon mit ihrer Behauptung dass es diesen Wert gibt. So wie ich Dich verstehe ist ja allein der Umstand, dass Frau Schulze Gründe nennen kann ausreichend um anzunehmen, dass dieser Wert objektiv existiert.
Ja, tatsächlich ist es so, dass die von Frau Schulze vorgebrachten Gründe ausreichen, um den ideellen Wert zu begründen. Nur kann das Gericht nicht feststellen, ob sie diesen Gründezusammenhang einfach konstruiert oder ob er faktisch vorhanden ist. Er kann dann aber auch nicht den ideellen Wert abschätzen. Es lässt sich schlicht nicht falsifizieren, ob Frau Schulze die Wahrheit sagt, ob dieser Gegenstand ihr wirklich so viel wert ist oder nicht.