Kritik

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23492
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 22. Apr 2022, 15:27

Wie kann man als Philosoph:in (oder auch als philosophischer Laie) die anderen Wissenschaften eigentlich kritisieren?




Körper
Beiträge: 483
Registriert: Fr 18. Feb 2022, 20:14

Fr 22. Apr 2022, 20:07

Ich würde hierbei unterscheiden zwischen:
  • Kritik an der jeweiligen Wissenschaft,
  • Kritik an einzelnen Wissenschaftlern bzw. dem Verhalten von Wissenschaftlern,
  • Kritik an den "Bewunderern" einer Wissenschaft (z.B. Übertreibung der Erwartungen)
Die Erfolgsaussichten einer Kritik sind aus meiner Sicht immer dann am höchsten, wenn sie der jeweiligen Wissenschaft nachhaltig dienlich ist.
Hierzu spielt es keine Rolle, ob man Philosoph ist oder nicht.

Die Erfolgsaussichten sind gering, wenn es nur um eine Art "Hoheitsrangelei" geht.
Ein Philosoph, der autoritär auftreten will, "weil er ja Philosoph ist und 'der ersten Wissenschaft' anghört", hat ganz schlechte Karten.
So etwas wird sehr schnell als "reines Sackhüpfen" eingeordnet.

Normalerweise liegt bei Wissenschaft eine gewisse "Neutralität" vor, d.h. es werden nachhaltig korrekte Aussagen angestrebt und diese sollen am Ende für sich alleine stehen. Der Name des Wissenschaftlers und Forschers sollte am besten unter den Tisch fallen.
Eine Kritik nach dem Motto "der grosse Philosoph XYZ hat dieses und jenes gesagt und deshalb müssen sich jetzt alle verneigen" ist einer Wissenschaft gegenüber Zeitverschwendung und wird (zurecht) als "Rotnasentheater" aufgefasst.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23492
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 23. Apr 2022, 07:08

"Der verbreitete zeitgenössische Anti-Realismus in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, in Kunstpraktiken und Kulturinstitutionen, in den Feuilletons und den gebildeten Kreisen scheint mir in der Tat Ausdruck einer intellektuellen Krise zu sein..." (Julian Nida-Rümelin, in " unaufgeregter Realismus")

Im vorliegenden Fall, wo sich nach Ansicht von Nida-Rümelin in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften genuin philosophische Theorien - im vorliegenden Fall z.b. aus dem Poststrukturalismus - etabliert haben, "kämpft" die Philosophie im Grunde auf eigenem Terrain. Hier könnte die Philosophie den aktuellen Stand der philosophischen Forschungen darlegen. Ein positives Beispiel dafür ist nach meiner Ansicht das Buch "Angst vor der Wahrheit" von Paul Boghossian. In dem Buch geht er nach folgendem Muster vor: er präsentiert paradigmatische Argumente der Antirealisten und widerlegt eins nach dem anderen.

Damit ist man meines Erachtens bei einem der Hauptarbeitsbereiche der philosophischen Kritik (an anderen Wissenschaften, aber im Grunde schlechthin) nämlich der Prüfung von Argumenten. Dazu gehört zb die explizite Darlegung der Argumente, die oft nur implizit vorliegen und eine Kritik ihrer logischen Struktur.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23492
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 23. Apr 2022, 07:34

"Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften", so lautet der Titel eines (mittlerweile wahrscheinlich klassisch zu nennenden) Buches des Neurowissenschaftlers Maxwell Bennett und des Philosophen Peter Hacker. In dem Buch geht es (natürlich) auch um Argumentationsmuster, insbesondere um "beliebte" Fehlschlüsse, wie den mereologischer Fehlschluss.

"Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache" (Ludwig Wittgenstein). Die Autoren versuchen die Grundbegriffe des Geistes bzw des Mentalen zu klären, also Begriffe wie "Denken", "Wahrnehmen", "Fühlen" etc. Da sie sich durchaus Wittgenstein verpflichtet fühlen, untersuchen sie, wie diese Begriffe in der Regel verwendet werden oder verwendet werden sollten.

Das scheint mir auch eine genuine Möglichkeit der Philosophie zu sein Forschungsergebnisse der anderen Fakultäten zu kritisieren und zwar, indem man deren Grundbegriffe unter die Lupe nimmt.

Sehr empfehlenswert dazu ist der folgende Titel: "Maxwell Bennett, Daniel C.Dennett, Peter Hacker, John R. Searle, Neurowissenschaft und Philosophie, Gehirn, Geist und Sprache". Denn in diesem Buch treffen die Kontrahenten sozusagen aufeinander, es ist eine Aufsatzsammlung des Pro und Contra.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23492
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 23. Apr 2022, 07:48

Paul Nurse, Was ist Leben? hat geschrieben :
Das [menschliche] Gehirn folgt den gleichen chemischen und physikalischen Gesetzen wie alle anderen lebenden Systeme. Doch irgendwie erwächst aus den gleichen einfachen Molekülen und seit Langem bekannten und verstandenen Kräften unsere Fähigkeit, zu denken, zu debattieren, Vorstellungen zu entwickeln, Neues zu erschaffen und zu leiden. [...]

Wir haben kaum die ersten Schritte getan zum Verständnis, wie die Interaktionen zwischen Milliarden individueller Neuronen so zusammenwirken, dass abstraktes Denken, Ich-Bewusstsein und unsere scheinbare Willensfreiheit entstehen. Die Suche nach befriedigenden Antworten auf diese Fragen wird wohl mindestens den Rest des 21. Jahrhunderts in Anspruch nehmen. Und ich glaube nicht, dass uns die Werkzeuge der traditionellen Naturwissenschaften ans Ziel bringen.

Wir werden auf zusätzliche Einsichten aus Psychologie, Philosophie und den Geisteswissenschaften generell angewiesen sein. Auch die Computerwissenschaft könnte hilfreich sein. Heute werden extrem leistungsfähige KI-Computerprogramme entwickelt, die in stark vereinfachter Form nachahmen, wie lebendige neuronale Netze mit Information umgehen. Diese Computersysteme vollbringen auf dem Gebiet der Datenverarbeitung immer beeindruckendere Großtaten, lassen aber nichts erkennen, was auch nur entfernte Ähnlichkeit mit abstraktem oder phantasievollem Denken, mit Selbstreflexion oder Bewusstsein hätte.

Allein die Definition dessen, was unter diesen geistigen Eigenschaften zu verstehen ist, wäre äußerst schwierig. Hier könnte ein Romancier, ein Dichter oder ein Maler helfen, die Grundlagen kreativen Denkens zu erläutern, emotionale Zustände deutlicher zu beschreiben oder der Frage auf den Grund zu gehen, was es letztlich heißt, zu sein.

(Sir Paul Nurse erhielt 2001 den Nobelpreis für Medizin und wurde mit dem Albert-Einstein-World-Award-of-Science und der Französischen Legion d'Honneur ausgezeichnet. Er war Berater des britischen Premierministers in Wissenschafts- und Technologiefragen und erhielt über 60 Ehrendoktortitel und Stipendien von internationalen Universitäten...)
Dieses Zitat von Paul Nurse scheint mir im Zusammenhang mit der Arbeit von Maxwell Bennett und Peter Hacker wichtig zu sein. Denn, wenn man etwas untersuchen will, sollte man sich doch zumindestens ein wenig Klarheit darüber verschaffen, was eigentlich der Gegenstand der Untersuchung sein soll. Wenn man nämlich nur dass in den Blick nimmt, was sich mit den Methoden der eigenen Fakultät in den Blick nehmen lässt, dann ist es gut möglich, dass man das wichtigste verpasst :)

Hier könnte die Philosophie vielleicht als eine Art Überblickswissenschaft auftreten oder womöglich als Vermittler der Fakultäten. Die Kritik (um die es in diesem Faden ja gehen soll) würde dann darin bestehen, dass die PhilosophInnen darauf hinweisen, dass Ergebnisse der anderen Disziplinen unzureichend zur Kenntnis genommen wurden.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23492
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 23. Apr 2022, 08:10

In "Mythos Determinismus" macht die Philosophin Brigitte Falkenburg geltend, dass der Determinismus gemäß Kant nur ein regulatives Prinzip darstelle. Der Determinismus lasse sich nicht beweisen und werde von manchen Naturwissenschaftler:innen einfach vorausgesetzt.

Auch das scheint mir eine genuine Möglichkeit der philosophischen Kritik zu sein. Dann fragt man nach den Grundlagen der Fakultäten, man schaut sich z.b. an, was davon empirisch (oder wie auch immer) gedeckt ist, bzw sich überhaupt (empirisch oder wie auch immer) decken lässt. Wenn irgendwo etwa genau das Kaninchen aus dem Hut gezaubert wird, was zuvor (unter der Hand und unbemerkt) hinein gesteckt wurde, dann darf die Philosophie genauer nachfragen, finde ich.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23492
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 23. Apr 2022, 09:19

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 07:48
Denn, wenn man etwas untersuchen will, sollte man sich doch zumindestens ein wenig Klarheit darüber verschaffen, was eigentlich der Gegenstand der Untersuchung sein soll
Damit soll nicht gesagt werden, dass wir generell für alles, was wir in welcher Weise auch immer untersuchen, zuvor präzise Definitionen benötigen. Es ist sicherlich ebenso gut möglich und ganz bestimmt auch oft der Fall, dass sich die Definition quasi im Laufe der Arbeit ergibt und nicht den Beginn, sondern das Ende der Untersuchung darstellt.

Schwierig wird es allerdings, wie ich finde, wenn die Untersuchung (angeblich) ergibt, dass es so etwas wie Untersuchungen (und UntersucherInnen) gar nicht geben kann, wenn also die Bedingungen, unter denen wir überhaupt Untersuchungen machen, unterminiert werden sollen.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23492
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 23. Apr 2022, 09:29

Was ist eine gute naturwissenschaftliche Theorie? Eine, die sehr gute Vorhersagen macht? Oder eine, die sehr gute Erklärungen gibt? Und was ist eine sehr gute Erklärung? Sind das Fragen, die sich rein naturwissenschaftlich lösen lassen? Oder sind das Fragen, die genuin ins Philosophische reichen?




Burkart
Beiträge: 2797
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 23. Apr 2022, 09:40

Jörn, vielleicht habe ich es überlesen, aber sind dir konkrete Punkte als Kritik an Naturwissenschaft u.ä. gerade im Kopf, also dir (z.B. exemplarisch für hier) wichtig?



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23492
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 23. Apr 2022, 09:51

Burkart hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 09:40
Kritik an Naturwissenschaft
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 22. Apr 2022, 15:27
Wie kann man als Philosoph:in (oder auch als philosophischer Laie) die anderen Wissenschaften eigentlich kritisieren?




Burkart
Beiträge: 2797
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 23. Apr 2022, 10:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 09:29
Was ist eine gute naturwissenschaftliche Theorie? Eine, die sehr gute Vorhersagen macht? Oder eine, die sehr gute Erklärungen gibt?
Sicher beides, je nach Schwerpunkt. Wenn wir uns über den Kosmos Gedanken machen, werden wir vermutlich nur eher selten Vorhersagen überprüfen können, während wir das z.B: bei physikalischen und chemischen Experimenten quasi jeder Zeit können. Bei biologischen oder medizinischen sieht es schon wieder anders aus, z.B. wegen der Problematik von Tierversuchen.
Letztlich gehört hat auch alles zusammen: Vorhersagen zu Experimenten u.ä. und deren Überprüfungen führen zu Erklärungen, veröffentlichte Erklärungen können wissenschaftlich durch eigene Untersuchungen falsifiziert werden.
Und was ist eine sehr gute Erklärung?
Wohl eine, die sehr plausibel ist für die meisten (wissenschaftlichen?) Menschen und lange Zeit erhalten bleiben kann, auch irgendetwas wirklich Sinnvolles liefert.
Sind das Fragen, die sich rein naturwissenschaftlich lösen lassen?
Immerhin sind diese wohl am einfachsten überprüf- und ggf. falsifizierbar.
Oder sind das Fragen, die genuin ins Philosophische reichen?
Hier geht es dann halt um tiefergehende Fragen, die gerne weiterreichende Konsequenzen auch für andere Gebiete haben kann.

Tja, was ist grundsätzlich gut/besser?
Man sollte meinen, was irgendwie uns am meisten bringt. Inwiefern, da gehen die Meinungen aber auseinander, z.B. ob kurz- oder langfristig, ob gedanklich oder praktisch, ob finanziell nutzbar oder nicht usw.
Leider scheint mir, dass zu oft zu sehr auf kurfristig, praktisch und finanziell lukrativ geschaut wird, z.B. wenn Wissenschaft durch Drittmittel finanziert wird.
Schon die Umstellung vom Diplom hin zu Bachelor/Master zeigt die Orientierung Richtung praktischem Beruf mit weniger Studium/Wissen. Damit wird umgekehrt grundlegende Forschung erschwert. Na ja, und schon könnte man gut wieder Richtung Kapitalismus-Kritik gehen ;)



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Burkart
Beiträge: 2797
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 23. Apr 2022, 10:03

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 09:51
Burkart hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 09:40
Kritik an Naturwissenschaft
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 22. Apr 2022, 15:27
Wie kann man als Philosoph:in (oder auch als philosophischer Laie) die anderen Wissenschaften eigentlich kritisieren?
Was willst du damit sagen? Ich hatte übrigens "Naturwissenschaft u.ä." geschrieben, you see? (Ok, vielleicht wäre "u.a." besser gewesen als "u.ä.")
Hm, also geht es dir "nur" um die Idee(n) für Kritik, ohne dass du spezielle Kritikpunkte im Hinterkopf hast als Beispiele für uns hier?

Welche anderen Wissenschaften meinst du? Etwas wie Psychologie, Soziologie u.ä.?
Man könnte hier z.B. Ziele der wissenschaftlichen Theorien kritisieren.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23492
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 23. Apr 2022, 10:07

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 09:29
Was ist eine gute naturwissenschaftliche Theorie? Eine, die sehr gute Vorhersagen macht? Oder eine, die sehr gute Erklärungen gibt? Und was ist eine sehr gute Erklärung? Sind das Fragen, die sich rein naturwissenschaftlich lösen lassen? Oder sind das Fragen, die genuin ins Philosophische reichen?
Ziel dieses Beitrages war nicht, herauszubringen, ob eine gute naturwissenschaftliche Theorie sich daran bemisst, ob sie gute Vorhersagen macht oder ob sie gute Erklärungen gibt. Ziel war stattdessen, zu zeigen/zu fragen, dass/ob es ggf. relevante Fragen zum Kern der naturwissenschaftlichen Arbeit gibt, die genuin philosophisch sind und sich nicht ohne weiteres mit naturwissenschaftlichen Methoden beantworten lassen.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23492
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 23. Apr 2022, 10:26

Burkart hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 10:03
Welche anderen Wissenschaften meinst du?
Alle.

Ein paar Beispiele: Literaturwissenschaften, Sozialwissenschaften, Wissenschaften vom Recht, Geschichte, Physik, Chemie, Biologie, Sprachwissenschaften ...




Burkart
Beiträge: 2797
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 23. Apr 2022, 10:37

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 10:07
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 09:29
Was ist eine gute naturwissenschaftliche Theorie? Eine, die sehr gute Vorhersagen macht? Oder eine, die sehr gute Erklärungen gibt? Und was ist eine sehr gute Erklärung? Sind das Fragen, die sich rein naturwissenschaftlich lösen lassen? Oder sind das Fragen, die genuin ins Philosophische reichen?
Ziel dieses Beitrages war nicht, herauszubringen, ob eine gute naturwissenschaftliche Theorie sich daran bemisst, ob sie gute Vorhersagen macht oder ob sie gute Erklärungen gibt. Ziel war stattdessen, zu zeigen/zu fragen, dass/ob es ggf. relevante Fragen zum Kern der naturwissenschaftlichen Arbeit gibt, die genuin philosophisch sind und sich nicht ohne weiteres mit naturwissenschaftlichen Methoden beantworten lassen.
Es mag trivial klingen, aber ist es nicht gerade die Philosophie, die sich darum kümmert? Ob sie nun Begriffe, Strukturen, Grundlagen von Theorien usw. hinterfragt...

Und dann gibt es da andere Gruppen, die z.B. aus finanziellen oder ideologischen Gründen gewisse Wissenschaften (u.a.) hinterfragen.
Zuletzt geändert von Burkart am Sa 23. Apr 2022, 10:40, insgesamt 2-mal geändert.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23492
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 23. Apr 2022, 10:39

Der konkrete Anlass war (neben anderem) das Video des Kosmologen und Mathematikers George Ellis, das ich hier vor kurzem gepostet habe, in dem er in einem kurzen Interview einige zentrale Punkte seiner Sicht klar macht bezüglich der Struktur des Universums. Das wurde hier ohne jegliches Argument beiseite gewischt. Und das obwohl es sich bei Ellis um einen sehr renommierten Naturwissenschaftler handelt, der unter anderem Bücher hat zusammen mit Steven Hawkins geschrieben hat.

Nun ist es natürlich so, dass man als Philosoph bzw philosophischer Laie keineswegs alle Ansichten von renommierten Wissenschaftlern einfach schlucken muss. Dann könnte man die (philosophischen) Bücher gleich schließen.

Die Frage ist allerdings, wie man sie ablehnt, wenn man sie dann ablehnen möchte. Und da wäre es nicht falsch, wenn man sich einen Überblick verschafft über den bunten Strauß der Möglichkeiten, den man dabei hat.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23492
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 23. Apr 2022, 10:40

Burkart hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 10:37
Es mag trivial klingen, aber ist es nicht gerade die Philosophie, die sich darum kümmert? Ob sie nun Begriffe, Strukturen, Grundlagen von Theorien usw. hinterfragt...
Du hast meine Beiträge von heute morgen nicht gelesen, stimmt's?




Burkart
Beiträge: 2797
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 23. Apr 2022, 11:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 10:40
Burkart hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 10:37
Es mag trivial klingen, aber ist es nicht gerade die Philosophie, die sich darum kümmert? Ob sie nun Begriffe, Strukturen, Grundlagen von Theorien usw. hinterfragt...
Du hast meine Beiträge von heute morgen nicht gelesen, stimmt's?
Ich habe sie überflogen. Worauf willst du hinaus?

Hast du es nicht z.B. ähnlich gesehen mit
Hier könnte die Philosophie vielleicht als eine Art Überblickswissenschaft auftreten oder womöglich als Vermittler der Fakultäten. Die Kritik (um die es in diesem Faden ja gehen soll) würde dann darin bestehen, dass die PhilosophInnen darauf hinweisen, dass Ergebnisse der anderen Disziplinen unzureichend zur Kenntnis genommen wurden.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Groot
Beiträge: 229
Registriert: Di 6. Apr 2021, 17:10

Sa 23. Apr 2022, 12:01

Ich denke, dass ein Weg nur durch die Neurowissenschaften führt.

Man kann hier fragen, ob der Mensch ein Gehirn ist (im Tank oder in der Welt) oder aber, ob er Geist ist. Als Geist wäre er neuro-psychologisch etwas anderes als sozial-psychologisch. Neurologistisch, wie ich es jetzt einmal kurz nennen möchte, ist es aber stets materialistisch, d.h. im Grunde garnicht so recht psychologisch. Dann aber, dann kann es schwerlich Gehirn sein. Womit und Worin ein Szientismus sich erbauen ließe, muss also als etwas anderes gelten, als das Gehirn. (Dem Gehirn ist egal ob Technik oder nicht; es nimmt die digitalen Daten, als seien es analoge Daten! Darin findet sich der Unterschied zwischen abstrakter historizistischer Künstlichkeit und konkret-historisierender Kunst)

Eine Kritik am Szientismus ließe sich vielleicht in der Differenz von Struktur und Form darstellen. Denn der Szientismus ist zum einen strukturell eingebunden, ganz praktisch durch Moral, Ethik, Lebenswelt und Alltag, durch die Unterscheidung von Theorie und Praxis. Eine m.e. kognitive Differenz, derer man nur in der Sprache habhaft werden kann. Denn die Sprache und Übersetzungsthematik sind ebenso alltäglich, wie Theorieprobleme der Naturwissenschaften.

Eine Kritik der Philosophie beinhaltet derweil aus szientistischer Warte, soviel wie die Frage danach, welcher Mysterien sich der Mensch gewiss sein kann. Sind es gar wirklich nur radikale in den Grenzen und im Kleinsten. Und danach, ob Szientismus und in der Folge zur einen Materialismus, zur anderen Skeptizismus, zur Dritten Idealismus; ob also Szientismus stets der sinnvollste Weg ist. Man sollt in Anbetracht ziehen, dass er in Neurologismus endet. Statt Seele nur leere Neuronen, ohne jede Erfahrung - zur anderen aber seine Tradition nicht mehr akzeptiert, da der Unterschied zwischen Statistik und Zynismus ob der "Krisengetragenen Welt" nicht erkannt (seien bzw. seyn; und Semiotik und Syntaxanylse dasselbe wären. (Es gibt einen Unterschied zwischen Syntax und Syntagma, nicht nur dem Grade, sondern nach der Qualität und ihrer Weise des Wirkens im Telos.)

Als Neurowissenschaften hat man grammatisch und in der sanften Fuchtel des Wittgensteins, in der begnadeten Verhandlungkunst der Habermaschen Phrase des zwanglosen Zwangs des besseren Arguments, die "handelt als gäbe es kein morgen", als auch in den eigenen Anstrengungen, die sich in der Energie und der Thermodynamik ihrer Entropie und Negentropieprozesse klar und bewusst werden.

Kurz: Muss eine Kritik der Philosophie an den einzelnen Fakultäten und ihrer Disziplinen bzw. ihrer fehlenden Interdisziplinität, nicht dort ansetzen, wo Sprache und Statistik zusammenlaufen? Wo statistische Methoden Gesellschaft integrieren und stochastische Verfahren die neuronalen und praktischen Zusammenhänge des Handelns-in-einer Welt und kommunizierens-auf-einer Erde und derer Lebenswelt unterscheiden?
Man müsste vielleicht es so sagen können, dass die Naturwissenschaften und die Physik (Physikalismus mit sowohl anthropologischer Genetik als auch neuronaler Genetik - damit ganz und gar ohne Natur und Kunst) der Qualität nach, einem Soziologismus (Dualismen oder Idealismen - Ökonomie als Utilitarismus (Statistik) und Utilitarismus als Ethik (Stochastik)); oder Kunst, Theater und Philharmonieorchester die ganz und gar dem Ästhetischen und dem Theos verbunden sind und damit wiederum kein Soziologismus repräsentieren).

Kurz und Knapp: Die Kritik muss dort ansetzen, wo Symbol als Positives und nicht-arbiträres sich scheidet vom Zeichen und dessen Arbitrage(-gewinne, -effekte) bzw. der grammatischen und apathischen/moralinen Arbitrarität.
Denn Zeichen werden vom reinen Selbstbewusstsein anders aufgefasst, als es Symbolen zukommt. Dies geschieht jedoch rein immanent; in Hypnose und Somnambulismus. Aber gerade, weil es (Der Szientismus) so implizit präsupponiert ist, so Immanent {oder Transzendent(al)[!]}, mitschwingt; ist es schwer, ihn anders zu kritisieren als in der Unterscheidung von (formallogischer) Syntaxanalyse und (künstlich-freister) Semiotik, welche aus den Künsten selbst, dem Alltag und der Lebenswelt gespeist wird.




Körper
Beiträge: 483
Registriert: Fr 18. Feb 2022, 20:14

Sa 23. Apr 2022, 12:20

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Apr 2022, 10:39
Der konkrete Anlass war (neben anderem) das Video des Kosmologen und Mathematikers George Ellis, das ich hier vor kurzem gepostet habe, in dem er in einem kurzen Interview einige zentrale Punkte seiner Sicht klar macht bezüglich der Struktur des Universums. Das wurde hier ohne jegliches Argument beiseite gewischt. Und das obwohl es sich bei Ellis um einen sehr renommierten Naturwissenschaftler handelt, der unter anderem Bücher hat zusammen mit Steven Hawkins geschrieben hat.
So funktioniert Wissenschaft halt nun mal nicht.
Es geht nicht darum, wer etwas sagt, sondern um Korrektheit.

Vielleicht ist Philosophie an dieser Stelle ganz anders aufgestellt und es geht mehr um so etwas wie "Stars und ihre Anhänger".
In der Folge haben Philosophen bei der Behandlung von Wissenschaften die Tendenz, sich darüber "zu erheben".

In den zurückliegenden Monaten des Jahreswechsels 2021/22 ist mir der Spruch begegnet "wir glauben an Wissenschaft" (als Abgrenzung zu Nicht-Geimpften).
Das war für mich ein Moment des intensiven Fremdschämens, denn das ist genau so, wie Wissenschaft nicht funktioniert.

Der elementare Auftrag an einen Wissenschaftler lautet "nimm deine Rübe aus der Szene heraus".
Bei Wissenschaft muss Korrektheit für sich selbst stehen können - keine Namen, keine Stars, kein Bewundern, kein Anbeten...
Optimal wäre Wissenschaft, wenn jeder die Erkenntnisse nochmal nachprüfen würde - kein Glauben.

Ich bin mir nicht sicher, ob Philosophie in dieser Hinsicht eine Wissenschaft ist oder ob es sich bei Philosophie mehr um "künstlerisches Denken" handelt und man dort eher den Aufbau einer "Kunstszene" anstrebt.

In Bezug auf diesen Thread ergibt sich für mich die Frage, weshalb man unbedingt als Philosoph eine Wissenschaft kritisieren muss.
Eine Kritik an Physikern kann ich auch als Physik-Interessierter formulieren.




Antworten