Erscheinung und Wirklichkeit

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
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Nauplios
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Di 8. Nov 2022, 22:44

Dies ist das Inhaltsverzeichnis von Reinhart Kosellecks Aufsatzsammlung Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten:

Screenshot_20221108-223756_Samsung Notes.jpg
Screenshot_20221108-223756_Samsung Notes.jpg (486.27 KiB) 6007 mal betrachtet
Man sieht schon, daß es Koselleck auch um die frühe Neuzeit und um die Epochenschwelle geht und wie sich Zeitbegriffe verändern. Ich will aber gerne zugeben, daß so etwas per Forenbeiträge kaum zu bewerkstelligen ist; es soll nur mal ein Stück "anschaulicher" Begriffsgeschichte sein.




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Nauplios
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Mi 9. Nov 2022, 19:02

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 8. Nov 2022, 17:55

Das Sprunghafte bei mir ist möglicherweise noch eine Folgeerscheinung der psychischen Probleme, die ich hatte. Ich kann nicht beim Thema bleiben.
Bist Du Dir denn sicher, Matthias, daß die Philosophie tatsächlich Dein Ding ist? Die Sprunghaftigkeit kann auch Ausdruck einer Suchbewegung sein, einer noch zu findenden Seßhaftigkeit, einer Orientierungslosigkeit, einer Überdosierung mit ständig neuen Impulsen.

Ich denke, daß trotz aller Mühe und (Ein-)Übung, die das philosophische Denken dem Leser von theoretischen Texten abverlangt, trotz aller Anstrengung, die mit der Denkarbeit verbunden ist, die Beschäftigung mit der Philosophie ein Quantum an Vergnügen machen darf, das sich als Lustfaktor beigesellt. Man muß sich nicht auf Dinge einlassen, die sich als Quälerei entpuppen. Dann besser einen Aufschub machen und später darauf zurückkommen. Von Kant stammt der Satz "Es ist nicht nötig, daß jedermann Metaphysik studieret" (sinngemäß). -

Heiterkeit und Leichtigkeit und Geduld mit sich selbst sind angenehme Begleiter, was auch immer Gegenstand der Beschäftigung ist, sei es Philosophie, Kunst, Literatur ... Und das Herausfinden dessen, von dem man angesprochen wird, kann lange dauern. Eine Mischung aus Anleitung/Einübung/Lernen und dem Flatterhaften eines Schmetterlings ist vielleicht nicht das Schlechteste.




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Stefanie
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Mi 9. Nov 2022, 19:15

Nauplios hat geschrieben :
Di 8. Nov 2022, 21:13
Stefanie hat geschrieben :
Di 8. Nov 2022, 20:06
Nauplios hat geschrieben :
Di 8. Nov 2022, 15:02

Wenn man die Wirklichkeit als etwas versteht, was zu jedem Zeitpunkt auch anders möglich gewesen wäre und so wie es gewesen ist, nicht notwendigerweise ist (und auch zu diesem Zeitpunkt anders möglich ist und keine Notwendigkeit hat), dann kommt man zu einem Wirklichkeitsverständnis, das auf Kant zurückgeht: Wirklichkeit als eine Kategorie der Modalität, neben Möglichkeit und Notwendigkeit. -
Hmm, so ganz ist mir das nicht klar.
Hannibal hätte Rom angreifen können, als er vor den Toren stand. Er hatte diese Möglichkeit. Chamberlain hätte von seiner Appeasement-Politik abrücken können. Beides ist nicht passiert.
Ich hätte in Bielefeld studieren können, habe aber eine andere Möglichkeit gewählt.
Das sind alles Ereignisse die in der Vergangenheit liegen und nicht mehr umkehrbar sind. Was passiert wäre, wenn andere Möglichkeiten gewählt worden wären, ist nicht feststellbar. Das sind Spekulationen, was wäre passiert, wenn...
Wie kann man dann sagen, "und so wie es gewesen ist, nicht notwendigerweise ist (und auch zu diesem Zeitpunkt anders möglich ist und keine Notwendigkeit hat"?
Wenn man diesen Gedanken der Modalität (Wirklichkeit, Möglichkeit, Notwendigkeit) beim Wirklichkeitsverständnis zugrundelegt, dann baut sich ja ein Bezugssystem zwischen diesen drei Modalitäten auf:

Das Wirkliche ist auch anders möglich und das Wirkliche ist nicht notwendigerweise so wie es ist. Damit wird das Wirkliche anders bestimmt als wenn man es (beispielsweise) vom Nicht-Wirklichen unterscheidet. Im zweiten Fall hat man eine Klasse oder ein Feld von wirklichen Gegenständen und Sachverhalten und eine Klasse von nicht-wirklichen. Der Tisch ist wirklich - ob als Erscheinung oder Ding an sich - die gekreuzigte Schwiegermutter auf dem Maisfeld war eine Täuschung und in Wirklichkeit eine Vogelscheuche. Im Wachsfigurenkabinett wird bisweilen ein Prominenter zwischen die Wachsfiguren gesetzt, der dann durch eine plötzliche Bewegung für Erschrecken bei den Besuchern sorgt.

Im ersten Fall dagegen wird ein anderer Aspekt hervorgehoben: die Wirklichkeit wird hier nicht vom Nichtwirklichen beleuchtet, sondern von den anderen Möglichkeiten, die auch Wirklichkeiten hätten werden können. Die Wirklichkeit verliert damit etwas von ihrer Selbstverständlichkeit, weil sie immer als das Ergebnis einer Selektion aus anderen Möglichkeiten gedacht wird.

Eine heliozentrische Theorie gab es bereits in der griechischen Antike; "durchgesetzt" hat sie sich erst mit den Beobachtungen von Kopernikus, Kepler, Newton ... Warum an der Schwelle der frühen Neuzeit und nicht schon zweitausend Jahre vorher? - Weil es die Möglichkeit eines Kopernikus erst mit dem Ordnungsschwund des Spätmittelalters gab.

Daß man im Nachhinein nicht mehr in vergangene Wirklichkeiten eingreifen kann, ist natürlich klar. Aber vielleicht versteht man diese vergangene Wirklichkeiten besser (oder überhaupt erst), wenn man sie in den Horizont der damaligen Möglichkeiten stellt.

Ein rein lineares Geschichtsverständnis hingegen erfaßt diese Komplexität der Geschichte nicht, weil es im Grunde nur Daten und Fakten zur Verfügung hat: nachdem das geschehen war, geschah anschließend dies und jenes und danach dies und das ...
Danke. Alles verstanden und erstmal keine Widerrede.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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AufDerSonne
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Mi 9. Nov 2022, 19:18

Nauplios hat geschrieben :
Mi 9. Nov 2022, 19:02
Bist Du Dir denn sicher, Matthias, daß die Philosophie tatsächlich Dein Ding ist? Die Sprunghaftigkeit kann auch Ausdruck einer Suchbewegung sein, einer noch zu findenden Seßhaftigkeit, einer Orientierungslosigkeit, einer Überdosierung mit ständig neuen Impulsen.
Zuerst einmal ein interessantes psychologisches Phänomen bei den Menschen. Oft fühlt sich ein Mensch von dem angesprochen, womit er am meisten Mühe hat. Das liegt wohl irgendwie daran, dass man sich nicht eingestehen will, dass man etwas nicht können soll oder so.
Ich denke schon, bei mir geht es Richtung Physik. Auf jeden Fall etwas, das mit Mathematik zu tun haben wird. Könnte auch die Mathematik selbst sein oder Informatik.
Und es ist tatsächlich so, dass ich mit Mathematik eigentlich immer Mühe hatte, gleichzeitig hat sie mich am meisten fasziniert.

Philosophie ist nicht mein Ding. Aber ich habe sie gerne. Ich liebe sie nicht, wie die Mathematik, aber ich philosophiere gerne. Mir fehlen einfach total die Grundlagen.

Du solltest Psychiater werden, Nauplios, ich erkenne mich in deiner Diagnose genau wieder.
Allerdings trifft einiges, was du sagst, doch auf alle Menschen zu.
Und nicht selten höre ich von anderen, dass sie ihrer "Herzensangelegenheit" nur als Hobby nachgehen können oder gar nicht. Das finde ich schade.
Ich denke, ein Mensch kann sein volles Potential nur dann ausschöpfen, wenn er etwas wirklich gerne macht.



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Timberlake
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Mi 9. Nov 2022, 21:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 8. Nov 2022, 06:54
AufDerSonne hat geschrieben :
Mo 7. Nov 2022, 22:22
Psychologie
Ich weiß nicht, ob es angemessen ist Psychologie und Psychoanalyse einfach in einen Topf zu werfen.
.. und ich weiß nicht , ob ein Süppchen, gekocht in selbigen Topf , nur mit einer der beiden Zutaten , funktioniert. Um es einmal mit einer Metapher zu formulieren und damit auf Blumenberg zurück zu kommen ...
  • Der Geist ist sich selbst voraus

    „Die Vorstellung, der philosophische Logos habe den vorphilosophischen Mythos überwunden, hat uns die Sicht auf den Umfang der philosophischen Terminologie verengt; neben dem Begriff im strengen Sinne gibt es ein weites Feld mythischer Transformationen, die sich in einer vielgestaltigen Metaphorik niedergeschlagen haben. Dieses Vorfeld des Begriffs ist in seinem ‚Aggregatszustand‘ plastischer, sensibler für das Unausdrückliche, weniger beherrscht durch fixierte Traditionsformen. Hier hat sich oft Ausdruck verschafft, was in der starren Architektonik der Systeme kein Medium fand. Hier wird behutsame Forschung noch reiche Bestände erheben können.“
    Blumenberg
Natürlich nur für diejenige, die sich in diesem "weiten Feld mythischer Transformationen" zu bewegen wissen. Einem Feld , das mir als solches mir durchaus dafür geeinet "scheint" , sich der Wirklichkeit an zu nähern. Um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen. In diesem besonderen Fall einer Wirklichkeit , in dem der Begriff Psychologie , im strengen Sinne , nur im Zusammenhang mit der Psychoanalyse funktioniert. Oder um dazu eine weitere Metapher zu bemühen , einer Wirlichkeit , in der Psychologie und Psychoanalyse, die zwei Seiten ein und derselben Medaille sind.
Zuletzt geändert von Timberlake am Mi 9. Nov 2022, 21:40, insgesamt 2-mal geändert.




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Lucian Wing
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Mi 9. Nov 2022, 21:38

AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 9. Nov 2022, 19:18
Philosophie ist nicht mein Ding. Aber ich habe sie gerne. Ich liebe sie nicht, wie die Mathematik, aber ich philosophiere gerne. Mir fehlen einfach total die Grundlagen.
Die einfachste Frage an dich, wenn du "gerne philosophierst" wäre, wie du dann "Philosophieren" (wohlgemerkt: nicht "Philosophie") definierst. Welche notwendigen oder hinreichenden Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Äußerungen sich als Philosophieren qualifizieren?

Bernard Williams hat in seiner Eröffnungsrede des Centre For Post-Analytic Philosophy in Southampton im Jahr 1997 einem Bericht Martin Seels zufolge u.a. gesagt, Philosophie sei weder Wissenschaft noch Konversation und orientiere sich an Klarheit, Genauigkeit und Nachprüfbarkeit. Dies würde das ins völlig Unbestimmte mäandernde Assoziationsprojekt, das du hier vertrittst und vermutlich als "Philosophieren" betrachtest, mit Sicherheit ausschließen. Konversation, so sagte Williams damals, bewege sich im Gelenk von Äußerungen wie "nun gut", "das erinnert mich" oder "dabei fällt mir ein", während philosophischer Austausch sich im Rahmen von Ausdrücken wie "folglich", "deshalb", "aber" und dergleichen bewege, also kurz gesagt im Für und Wider von Argumenten.

Mir nun scheint, dass dein "Philosophieren" doch eher unter die Rubrik der Konversation fällt. Es erinnert mich :mrgreen: so ein bisschen an das freie Spielen im Kindergarten, das den Vorteil hatte für die "Erzieher", dass sie in der Kaffeeküche zusammensitzen und rauchen konnten. :lol:



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

Timberlake
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Mi 9. Nov 2022, 21:49

Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 9. Nov 2022, 21:38
AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 9. Nov 2022, 19:18
Philosophie ist nicht mein Ding. Aber ich habe sie gerne. Ich liebe sie nicht, wie die Mathematik, aber ich philosophiere gerne. Mir fehlen einfach total die Grundlagen.
Die einfachste Frage an dich, wenn du "gerne philosophierst" wäre, wie du dann "Philosophieren" (wohlgemerkt: nicht "Philosophie") definierst. Welche notwendigen oder hinreichenden Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Äußerungen sich als Philosophieren qualifizieren?

Bernard Williams hat in seiner Eröffnungsrede des Centre For Post-Analytic Philosophy in Southampton im Jahr 1997 einem Bericht Martin Seels zufolge u.a. gesagt, Philosophie sei weder Wissenschaft noch Konversation und orientiere sich an Klarheit, Genauigkeit und Nachprüfbarkeit. Dies würde das ins völlig Unbestimmte mäandernde Assoziationsprojekt, das du hier vertrittst und vermutlich als "Philosophieren" betrachtest, mit Sicherheit ausschließen. Konversation, so sagte Williams damals, bewege sich im Gelenk von Äußerungen wie "nun gut", "das erinnert mich" oder "dabei fällt mir ein", während philosophischer Austausch sich im Rahmen von Ausdrücken wie "folglich", "deshalb", "aber" und dergleichen bewege, also kurz gesagt im Für und Wider von Argumenten.

Mir nun scheint, dass dein "Philosophieren" doch eher unter die Rubrik der Konversation fällt. Es erinnert mich :mrgreen: so ein bisschen an das freie Spielen im Kindergarten, das den Vorteil hatte für die "Erzieher", dass sie in der Kaffeeküche zusammensitzen und rauchen konnten. :lol:
Um dazu auf dazu Psychologie zurück zu kommen , würde deiner Meinung nach darin Psycholanalyse mit "nun gut", "das erinnert mich" oder "dabei fällt mir ein" unter die Rubrik der Konversation fallen oder würde man sich mit "folglich", "deshalb", "aber" ..damit im Für und Wider von Argumenten und in Folge dessen in den Gefilden der Wissenschaft bewegen.
Lucian Wing hat geschrieben :
Di 8. Nov 2022, 08:36
..

Mir geht es nur um den Hinweis, dass die Freud'sche Kränkung ein bestimmtes Bild vom Ich und vom Menschen voraussetzt. Freud hat sicher Verdienste, er hat tief in die Seele seiner wohlständigen, von den schnöden Butter-und-Brot-Lasten befreiten Bürgerschicht geschaut, die Zeit und Muße und Langeweile genug hatte, sich mit nichts als mit sich selbst beschäftigen zu können. Weil vielen von uns das auch so geht, sieht er vielleicht größer und wichtiger aus, als er ist. Die Psychoanalyse ist dort verbreitet, wo die Großstadtneurotiker Woody Allens den Ton angeben. Ich glaube, im Psychologiestudium ist er nicht der Übervater der Disziplin. Mir scheint, er ist mehr Kulturtheoretiker als Wissenschaftler.
Mit der Beantwortung der Frage wäre übrigens sogleich geklärt, ob Freud tatsächlich mehr als Kulturtheoretiker , als denn als Wissenschaftler erscheint. Natürlich vorausgesetzt , dass Kulturtheorie mit "nun gut", "das erinnert mich" oder "dabei fällt mir ein" lediglich zur Konversation taugt. Übrigens dein "mäanderndes Assoziationsprojekt" vom "freien Spielen der Kinder im Kindergarten" , ist das Beste , was ich seit langen über den Stellenwert der Philosophie , in der Gesellschaft gelesen habe. :lol:




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Lucian Wing
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Timberlake hat geschrieben :
Mi 9. Nov 2022, 21:49
Um dazu auf dazu Psychologie zurück zu kommen , würde deiner Meinung nach darin Psycholanalyse mit "nun gut", "das erinnert mich" oder "dabei fällt mir ein" unter die Rubrik der Konversation fallen oder würde man sich mit "folglich", "deshalb", "aber" ..damit im Für und Wider von Argumenten und in Folge dessen in den Gefilden der Wissenschaft bewegen.
Die freie Assoziation ist ja eines der Merkmale der Psychoanalyse, dieses Projektes der "Seelenzergliederung", wie Vetter Ziemßen das Castorp gegenüber nannte.

Timberlake hat geschrieben :
Mi 9. Nov 2022, 21:49
Mit der Beantwortung der Frage wäre übrigens sogleich geklärt, ob Freud tatsächlich mehr als Kulturtheoretiker , als denn als Wissenschaftler erscheint. Natürlich vorausgesetzt , dass Kulturtheorie mit "nun gut", "das erinnert mich" oder "dabei fällt mir ein" lediglich zur Konversation taugt. Übrigens dein "mäanderndes Assoziationsprojekt" vom "freien Spielen der Kinder im Kindergarten" , ist das Beste , was ich seit langen über den Stellenwert der Philosophie , in der Gesellschaft gelesen habe. :lol:
Wozu Kulturtheorie taugt, also ihr praktischer Nutzen, das wäre in der Tat eine gute Frage. Williams hatte in seiner Rede damals natürlich auf Richard Rorty abgezielt, der Phiosophie als Literaturwissenschaft fortführen und von allen Erkenntnisansprüchen befreien wollte und sich nach Williams in diesem Konservationsrahmen mit dessen Assoziationsfloskeln bewegte. Williams war wohl der Meinung, dass Philosophie durchaus einen "Klang" haben könne und sich damit auch in Richtung Literatur bewege, aber es sei eben nur ganz bestimmte Literatur überhaupt philosophietauglich. In diesem Sinne hat Freud natürlich einen guten Klang und ist anschlussfähig an Literatur, was auch für viele kulturtheoretischen Schriften gilt.

Womit wir zurück beim "Philosophieren" wären sowie beim Stellenwert der Philosophie. Ich würde da drei Punkte machen:

1. Philosophieren scheint mir heute außerhalb des Akademischen stark in Richtung Therapieren angelegt. Also als Konversationstherapie. Abzulesen auch an den allerorten sprießenden "Philosophischen Praxen".

2. Philosophie hat in der Gesellschaft einen schlechten Stellenwert und wird als überflüssig bis spinnert betrachtet, wie ich neulich mal in einem Forum wieder erfahren durfte.

3. Philosophie hat ihren Einfluss auf Kunst und Literatur ziemlich eingebüßt. Insofern hat sie sich tatsächlich dekonstruiert.

Was sie tatsächlich noch bedeutet? Ich weiß es nicht. Ob ich nun im Blumenberg schmökere oder Searle lese, Nietzsche oder Nagel, Rorty oder Aristoteles - es ist ein Privatvergnügen, das niemand um mich herum teilt, da ich nicht akademischen Kreisen verkehre. Ich lese trotzdem unverdrossen weiter. Hin und wieder sogar Freud mit Genuss, denn auch wenn er heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen mag, heißt das ja nicht, dass was er schrieb sinn- oder nutzlos wäre.



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AufDerSonne
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Do 10. Nov 2022, 08:50

Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 9. Nov 2022, 21:38
Mir nun scheint, dass dein "Philosophieren" doch eher unter die Rubrik der Konversation fällt. Es erinnert mich :mrgreen: so ein bisschen an das freie Spielen im Kindergarten, das den Vorteil hatte für die "Erzieher", dass sie in der Kaffeeküche zusammensitzen und rauchen konnten. :lol:
Ihr seid alle so gemein zu mir! :(
Ich kann doch nichts dafür, dass ich nur Hobby-Philosoph bin!



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Lucian Wing
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Do 10. Nov 2022, 09:17

AufDerSonne hat geschrieben :
Do 10. Nov 2022, 08:50
Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 9. Nov 2022, 21:38
Mir nun scheint, dass dein "Philosophieren" doch eher unter die Rubrik der Konversation fällt. Es erinnert mich :mrgreen: so ein bisschen an das freie Spielen im Kindergarten, das den Vorteil hatte für die "Erzieher", dass sie in der Kaffeeküche zusammensitzen und rauchen konnten. :lol:
Ihr seid alle so gemein zu mir! :(
Ich kann doch nichts dafür, dass ich nur Hobby-Philosoph bin!
Ich bin ganz bestimmt nicht mehr, wenn überhaupt das, - die Frage war ja, was du unter "Philosophieren" eigentlich verstehst, wenn du sagst, du tätest es gerne. Sonst klingst du wie einer jener der wie aus dem Nichts aufgetauchten neuen Spezies, der A ist, aber sagt, er fühle sich wie B, und dabei nicht einmal weiß, wie er sich fühlen müsste, um sich als A zu fühlen und nicht als B. :mrgreen:

Also: Was meinst du denn damit, dass du "gerne philosophierst"?
Zuletzt geändert von Lucian Wing am Do 10. Nov 2022, 10:10, insgesamt 1-mal geändert.



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Do 10. Nov 2022, 09:42

Lucian Wing hat geschrieben :
Do 10. Nov 2022, 09:17
Also: Was meinst du denn damit, dass du "gerne philosophierst"?
Ich bin immer noch der Überzeugung, dass man in der Philosophie durch logisches und folgerichtiges Denken, zu überzeugenden Gedanken kommen kann.
Also Gedanken, von denen man sagen kann, so ist es tatsächlich. Nur erlebe ich das selten, auch hier im Forum.
Zum Beispiel gefällt mir Russell gut, bis ich dann gemerkt habe, dass es nicht klar ist, was er eigentlich mit Erscheinung meint.
Auch wieso wir nicht zu sicheren Erkenntnissen kommen könnten, ist mir bei ihm nicht klar.

"Gibt es auf dieser Welt eine Erkenntnis, die so unumstößlich gewiss ist, dass kein vernünftiger Mensch daran zweifeln kann?"
Ich finde, ja. Russell meint, das sei ein schwieriges Problem.

Also: Ich philosophiere gerne, wenn man einfach und klar bleibt in der Diskussion. Das ist zum Beispiel bei Russell der Fall, nur kann ich seinen Behauptungen zum Teil nicht folgen.
Philosophie ist etwas Kreatives, und schlussendlich interessieren mich die Geheimnisse dieser Welt, beziehungsweise, wie man ihnen auf die Spur kommen kann. Ich denke, dazu ist Philosophie das Richtige.



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Lucian Wing
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Do 10. Nov 2022, 10:43

AufDerSonne hat geschrieben :
Do 10. Nov 2022, 09:42

Philosophie ist etwas Kreatives, und schlussendlich interessieren mich die Geheimnisse dieser Welt, beziehungsweise, wie man ihnen auf die Spur kommen kann. Ich denke, dazu ist Philosophie das Richtige.
Ich denke, dass du dir das allergrößte Geheimnis dieser Welt bist und vor allem dir auf die Spur kommen möchtest.



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Lucian Wing
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Do 10. Nov 2022, 13:02

Um noch einmal auf die Frage der "Kreativität" einerseits und auf den Gedanken Williams' andererseits zurückzukommen: Von Searle stammt der Gedanke, dass Philosophie originelle, imaginative Sensiblität mit reiner, intelligenter, logischer Strenge verknüpfen müsse, weil die eine oder die andere jeweils an sich leer sei. Das deckt sich mit dem, was auch Williams im Sinn hat. Und dass Philosophie keine Wissenschaft ist, wie Williams sagt, liegt auch in der Natur der Sache. Würden wir die Frage: Was ist Bewusstsein? gelöst haben, bliebe für die Philosophie keine offene Frage mehr, und "Bewusstsein" wäre eine wissenschaftliche Disziplin, so wie auch viele einstmals philosophisch aufgeworfene Probleme heute Teil wissenschaftlicher Disziplinen ist.

Dabei wird es auch immer Fragen geben, zu deren Lösung wir keine Methode finden werden, um die wir also immer interpretatorisch kreisen werden. Was, wie ich das verstehe, letztendlich auf den Blumenberg'schen Entlastungsgedanken führt. Wenn wir uns das Inhaltsverzeichnis von Kosellecks Schrift oben anschauen, dann könnte man, und zwar vollkommen unironisch und schmähfrei, die Ansicht vertreten, hier werde vorgeführt, was in einem Schlagwort einmal als "Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen" bezeichnet wurde. Jedes Ereignis, das Welten von Welt, ist an sich absolut und sinnfrei und gewinnt seine Bedeutung erst aus dem, was wir daraus machen, und wir machen etwas daraus, weil wir uns von der Totalität der Ereignisse entlasten wollen. Etwas geschieht und wir fragen etwas, auf das wir Antworten suchen. Antworten, die uns im Lauf der Zeit vielleicht komisch vorkommen, weil wir vergessen haben, was wir wissen wollten.

Das bedeutet (für mich) aber auch: Geschichte ist keine Wissenschaft, wenn sie mehr tut, als Quellen zu beschreiben. Sobald wir anfangen, die Quellen oder nackte Ereignisse zu interpretieren, bewegen wir uns außerhalb der Wissenschaft.



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Do 10. Nov 2022, 17:55

Lucian Wing hat geschrieben :
Do 10. Nov 2022, 10:43
Ich denke, dass du dir das allergrößte Geheimnis dieser Welt bist und vor allem dir auf die Spur kommen möchtest.
1. Kant: Was ist der Mensch?
2. Ist das positiv oder negativ, was du sagst?

Und ich muss zugeben, deinen Text oben, Lucian Wing, verstehe ich nicht. Das ist mir zum Beispiel schon zu hoch.
Aber ich glaube keineswegs, dass wir es sind, die den Ereignissen eine Bedeutung geben. Das ist umgekehrt.
Es ereignet sich etwas und es bedeutet für uns etwas.



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Nauplios
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Do 10. Nov 2022, 18:09

Lucian Wing hat geschrieben :
Do 10. Nov 2022, 13:02

Das bedeutet (für mich) aber auch: Geschichte ist keine Wissenschaft, wenn sie mehr tut, als Quellen zu beschreiben. Sobald wir anfangen, die Quellen oder nackte Ereignisse zu interpretieren, bewegen wir uns außerhalb der Wissenschaft.
Daß heißt: überall wo Interpretationen und Deutungen zum Rüstzeug des Denkens gehören, "bewegen wir uns außerhalb der Wissenschaft"? - Wissenschaft liegt erst dann vor, wenn Quellen "beschrieben" werden? - Und "Beschreibungen" sind deutungsfrei?

Wäre Hermeneutik dann ein Verfahren zur Verunwissenschaftlichung, weil sie es bei "nackten Ereignissen" nicht beläßt?




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Lucian Wing
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Do 10. Nov 2022, 18:46

Nauplios hat geschrieben :
Do 10. Nov 2022, 18:09
Lucian Wing hat geschrieben :
Do 10. Nov 2022, 13:02

Das bedeutet (für mich) aber auch: Geschichte ist keine Wissenschaft, wenn sie mehr tut, als Quellen zu beschreiben. Sobald wir anfangen, die Quellen oder nackte Ereignisse zu interpretieren, bewegen wir uns außerhalb der Wissenschaft.
Daß heißt: überall wo Interpretationen und Deutungen zum Rüstzeug des Denkens gehören, "bewegen wir uns außerhalb der Wissenschaft"? - Wissenschaft liegt erst dann vor, wenn Quellen "beschrieben" werden? - Und "Beschreibungen" sind deutungsfrei?

Wäre Hermeneutik dann ein Verfahren zur Verunwissenschaftlichung, weil sie es bei "nackten Ereignissen" nicht beläßt?
Nein, das wäre ein Fehlschluss aus meiner Sicht, weil der Begriff "Verunwissenschaftlichung" aus meiner Sicht ein bewusstes Verfahren zur Auflösung aller allgemeinen Methodik implizieren würde. Der Begriff der Wissenschaft hängt, so meine ich, wesentlich daran, dass wir eine allgemeine/allgemein anerkannte Methode zur Beschreibung der Wirklichkeit haben. Aber Sinn ist nichts, was in der Natur vorkommt und deshalb aus einer Erkenntnis der Natur heraus beschreibbar wäre. Für mich ist Sinn, und um der Sinnhaftigkeit wegen betreiben wir Geschichte, ein Entlastungsversuch. Blumenberg hat, wenn ich mich recht entsinne, zum "Sinnlosigkeitsverdacht" angemerkt, dass, wer ihn propagiert, damit implizit behaupte, es wäre jemals gewusst worden, was Sinn denn ist.

Was die Beschreibungen angeht: sie sind vermutlich noch nicht einmal frei vom Normativen. Aber mit dieser Feststellung müssen wir m.E. auch zugstehen, dass wir uns im Bereich historischer Kontingenzen bewegen.

Die Hermeneutik als Verfahren bezieht sich rein auf die Auslegung von Texten. Und dann müssten wir doch klären, wie sich Texte und Wirklichkeit zueinander verhalten. Was sich auch inder Frage ausdrückt, ob es ein "Buch der Welt" gibt, ob wir die Welt als Text oder Buch lesen müssen/können/sollen. Modalverben habe so ihre Tücken. :mrgreen:

Ich würde gerne mal etwas gegenfragen. An Koselleck habe ich mich auch schon versucht. Würdest du denn das, worüber er sich Gedanken macht, als eine praktische Erkenntnis betrachten, die außerhalb eines bestimmten akademischen Milieus hinaus von Relevanz ist? Oder anders gefragt, sind denn die Schlüsselbegriffe, anhand deren historische Ereignisse beschrieben und zusammengefasst werden, von einer Relevanz wie irgendwelche Erkenntnisse oder Interpretationen, die unseren materiellen Alltag entscheidend beeiflussen? Was würde im Alltagsleben als ein Mangel auftreten, der menschliches Leben entscheidend beeinflussen würde?

Bevor ich jetzt kräftig gescholten werde. Ich beschäftige mich gerne mit AUCH völlig nutzlosen Dingen. Aber ich bin halt, wie ich ADS zu erklären versuche, nicht der Maßstab der Dinge. :lol:



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AufDerSonne
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Do 10. Nov 2022, 19:52

Lucian Wing hat geschrieben :
Do 10. Nov 2022, 18:46
Bevor ich jetzt kräftig gescholten werde. Ich beschäftige mich gerne mit AUCH völlig nutzlosen Dingen. Aber ich bin halt, wie ich ADS zu erklären versuche, nicht der Maßstab der Dinge. :lol:
Du bist der Maßstab der Dinge in dem, wo du gut bist. Wo du Bescheid darüber weißt.
Das gilt für alle Menschen.

Ich denke, dass Wissen eines Menschen hat schon einen Einfluss darauf, inwiefern er der Maßstab der Dinge ist.
Ein Mensch der viel Wissen hat, ist höher als ein Mensch, der nur wenig weiß.
Allerdings muss man dann Wissen als relevantes Wissen verstehen.
Relevantes Wissen ist Wissen, das wichtig ist. Das Wissen, das etwas bringt.
Ich denke, die drei Newtonschen Postulate sind relevanter als welche Farbe mein Pullover hat, zum Beispiel.
Also ich unterscheide zwischen wichtigem und unwichtigem Wissen, wenn es um die Frage der Höhe eines Menschen geht.



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Nauplios
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Do 10. Nov 2022, 20:32

Lucian Wing hat geschrieben :
Do 10. Nov 2022, 18:46

Blumenberg hat, wenn ich mich recht entsinne, zum "Sinnlosigkeitsverdacht" angemerkt, dass, wer ihn propagiert, damit implizit behaupte, es wäre jemals gewusst worden, was Sinn denn ist.
Wahrscheinlich meinst Du den Text "Sinnlosigkeitsverdacht" aus Die Sorge geht über den Fluß. - Diesen Text gibt es im Netz hier:

https://mystiekfilosofie.com/2022/06/14 ... nloosheid/




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Nauplios
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Do 10. Nov 2022, 21:05

Lucian Wing hat geschrieben :
Do 10. Nov 2022, 18:46

Ich würde gerne mal etwas gegenfragen. An Koselleck habe ich mich auch schon versucht. Würdest du denn das, worüber er sich Gedanken macht, als eine praktische Erkenntnis betrachten, die außerhalb eines bestimmten akademischen Milieus hinaus von Relevanz ist? Oder anders gefragt, sind denn die Schlüsselbegriffe, anhand deren historische Ereignisse beschrieben und zusammengefasst werden, von einer Relevanz wie irgendwelche Erkenntnisse oder Interpretationen, die unseren materiellen Alltag entscheidend beeiflussen? Was würde im Alltagsleben als ein Mangel auftreten, der menschliches Leben entscheidend beeinflussen würde?

Im Frühjahr nächsten Jahres erscheint der Briefwechsel zwischen Koselleck und Blumenberg. Damit dürften interessante Einblicke in die Thematik der Geschichtstheorie, Epochenschwelle, Umbesetzung, Begriffs- und Metapherngeschichte verbunden sein.

Mit der "Relevanz" ist es so eine Sache. Das ist so ein Fossil aus dem gesellschaftspolitischen Diskurs des 20. Jahrhunderts. Ich denke nicht, daß von Koselleck eine "praktische Erkenntnis" ausgeht, die es andernorts, außerhalb des "akademischen Milieus" zu Relevanz, Aufmerksamkeit und Anerkennung bringt. Das gilt auch für den inzwischen geradezu populär gewordenen Hans Blumenberg, der seit seinem 100. Geburtstag durch die Feuilletons weitergereicht wird. Der unsichtbare Philosoph wird sichtbar gemacht. Blumenberg hätte darüber vermutlich eine Glosse geschrieben. Er wollte nicht gesehen, sondern gelesen werden. Und ich glaube, daß er vor allem von der eigenen Zunft gelesen werden wollte, was wohl auch für Koselleck gilt. Philosophen schreiben in erster Linie für Philosophen, in zweiter Linie wohl auch für interdisziplinäre Projekte. Nun schrieb Hans Blumenberg ja gelegentlich auch für überregionale Zeitungen und damit für ein breiteres Publikum als nur für ein "Milieu". In dritter Linie taucht dann insofern doch ein Lesekreis auf, den man vor langer Zeit als die "gebildeten Stände" bezeichnete. - In dieser dritten Hinsicht ist Blumenberg zur Zeit en vogue. Mit dem im nächsten Jahr erscheinenden "Blumenberg-Handbuch" avanciert er zum Klassiker. -

Aber seine umfangreichen ideengeschichtlichen Studien wenden sich - das gilt auch für Koselleck - an ein Fachpublikum. Man kann die Frage der "Relevanz" an dieser Stelle getrost mit einem "Nein" beantworten. Für keinen "materiellen Alltag" sind diese Studien relevant. - Aber muß uns das bekümmern? - Nein. ;)




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Lucian Wing
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Registriert: Do 7. Jul 2022, 18:40

Do 10. Nov 2022, 21:19

Nauplios hat geschrieben :
Do 10. Nov 2022, 21:05
Für keinen "materiellen Alltag" sind diese Studien relevant. - Aber muß uns das bekümmern? - Nein. ;)
Für den Augenblick nur kurz zurück: Nein, muss es tatsächlich nicht. Aber wenn wir, auch mit Blick auf meine Diskussion mit ADS, nochmal auf den Williams zurückkommen, dann ist die Frage halt schon, ob Konversation oder "mehr". Ich denke schon, dass Philosophie nicht ausschließlich im Bereich der Unbekümmertheit sich im Rahmen von bestimmten Fachdisziplinen bewegt. Aber wahrscheinlich ist das auch so ein bisschen der "Große Graben", den Köpfe wie Williams eigentlich gerne überbrücken wollten.

Aber mehr ggf. andersmal.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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