Erscheinung und Wirklichkeit

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
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AufDerSonne
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Sa 12. Nov 2022, 15:54

Subjektiv: Nur in unseren Gedanken vorhanden.
Objektiv: Objekte in der von uns unabhängigen Außenwelt.
Also: Subjektiv: Gedanken eines bestimmten Menschen.
Objektiv: Materielle Gegenstände (der Außenwelt).

So meint man objektiv in der Naturwissenschaft. Objektiv kommt von Objekt. Objekt kommt von materieller Gegenstand.

Das Problem ist, dass die Philosophie diese beiden Worte, objektiv und subjektiv völlig anders braucht. Und zwar jeder Philosoph wieder anders. Kurz: Sie haben keine Bedeutung in der Philosophie.



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Lucian Wing
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Sa 12. Nov 2022, 16:02

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 15:42
sybok hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 15:17
Wir suchen doch möglichst objektive Erkenntnis, nicht ein subjektives "also für mich ist die Welt so und so".
Bewusstsein ist Erleben - dass diese Form der Subjektivität, für manche wissenschaftliche Disziplinen nicht ohne weiteres zu erfassen ist, spricht nicht dagegen, dass es diese Zustände objektiv gibt oder dass sie in irgendeiner Form Realitäten zweiter Wahl sind.
Und Searle hat Mal um Mal darauf bestanden, wie Nagel auf seine Weise auch, dass man sie nicht wegrasieren kann durch behavioristische oder funktionalistische Theorien.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

sybok
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Sa 12. Nov 2022, 16:08

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 15:38
Wir finden immer nur in der Innenschau Bestätigung. Nur in uns drin.
Auch wenn ich an den Satz des Pythagoras glaube, dann glaube ich an diesen Satz in meiner Innenschau. Ich kann nur innerlich davon überzeugt sein, dass er zutrifft.
Die Physik kann von der Welt nur einen ganz kleinen Ausschnitt exakt erfassen. Von diesem kleinen Ausschnitt glauben wir, dass er objektiv gültig ist.
Über den ganzen Rest könnten wir ohne Philosophie nichts wissen.
Oh, ich glaube wir missverstehen uns sprachlich. Der grosse Unterschied zu einem Konzept wie Bewusstsein, worum es mir geht, ist, dass mir absolut scheiss egal sein kann, ob du an den Satz von Pythagoras glaubst oder nicht. ;)
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 15:42
dass diese Form der Subjektivität, für manche wissenschaftliche Disziplinen nicht ohne weiteres zu erfassen ist, spricht nicht dagegen, dass es diese Zustände objektiv gibt oder dass sie in irgendeiner Form Realitäten zweiter Wahl sind.
Nein, da spricht nichts dagegen, ich sagte ja nur, dass sie sich womöglich eben über Unentscheidbarkeit einer Formulierung in formaler Theorie entziehen. Danke für den Hinweis zu Searl, diese Unterscheidung mag sicherlich scharfsinnig und nützlich sein, bezüglich meinem Punkt sehe ich aber die Relevanz nicht: Auch aus dieser ontologischen Subjektivität lassen sich keine formalen Theorien ableiten, wir haben ja kein Kriterium um zu sagen "meine Beinschmerzen sind grösser als deine Kopfschmerzen", oder was ist mit Phantomschmerzen, die ja eigentlich keine physische Grundlage haben? Mit Menschen die aus Schmerz Lust gewinnen, oder mit Menschen, die überhaupt keine Schmerzen empfinden können? So Jemand sagt uns dann: "Im Universum gibt es Nichts, was Schmerz ist. Ich habe die Bestätigung dafür bei mir selber gefunden.". Alle stellen sie wohl doch ihre eigenen "Schmerztheorien" auf, keine trifft 100% auf mich zu, sie bieten mir keine Erkenntnis.




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Lucian Wing
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Sa 12. Nov 2022, 16:14

sybok hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 16:08
Danke für den Hinweis zu Searl, diese Unterscheidung mag sicherlich scharfsinnig und nützlich sein, bezüglich meinem Punkt sehe ich aber die Relevanz nicht: Auch aus dieser ontologischen Subjektivität lassen sich keine formalen Theorien ableiten, wir haben ja kein Kriterium um zu sagen "meine Beinschmerzen sind grösser als deine Kopfschmerzen", oder was ist mit Phantomschmerzen, die ja eigentlich keine physische Grundlage haben? Mit Menschen die aus Schmerz Lust gewinnen, oder mit Menschen, die überhaupt keine Schmerzen empfinden können? So Jemand sagt uns dann: "Im Universum gibt es Nichts, was Schmerz ist. Ich habe die Bestätigung dafür bei mir selber gefunden.". Alle stellen sie wohl doch ihre eigenen "Schmerztheorien" auf, keine trifft 100% auf mich zu, sie bieten mir keine Erkenntnis.
Searles Punkt hier ist nicht dieser Vergleich, sondern dass diese Subjektivität nicht wegzumessern ist. Und genau das wirft er bestimmten materialistischen Theorien vor, und zwar nacheinander dem Behaviorismus, dem Funktionalismus und dem eliminativen Materialismus. Alle drei versuchen nach ihm auf unterschiedliche Weise, diese ontologische Subjektivität wegzuerklären.



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sybok
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Sa 12. Nov 2022, 16:26

Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 16:14
Searles Punkt hier ist nicht dieser Vergleich, sondern dass diese Subjektivität nicht wegzumessern ist. Und genau das wirft er bestimmten materialistischen Theorien vor, und zwar nacheinander dem Behaviorismus, dem Funktionalismus und dem eliminativen Materialismus. Alle drei versuchen nach ihm auf unterschiedliche Weise, diese ontologische Subjektivität wegzuerklären.
Und wie wird das begründet?
"Nicht wegzumessern ist" impliziert ja, dass man darüber erkenntnisbringende formalisierte Theorien formulieren können soll. Wie soll denn das konkret geschehen?




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Jörn Budesheim
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Sa 12. Nov 2022, 16:41

sybok hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 16:08
formaler Theorie
Ich habe leider keine Vorstellung, was eine formale Theorie sein könnte. Es wäre schön, wenn du dazu ein paar Worte sagen könntest.

Wie auch immer: Es gibt eine ganze Reihe Versuche, das Bewusstsein auch "theoretisch" bzw wissenschaftlich zu erfassen. Sehr bekannt ist z.b die Integrierte Informationstheorie (ITT) von Tononi und Koch. Sie startet mit fünf Postulaten/Axiomen zum Bewusstsein: intrinsische Existenz, Zusammensetzung, Information, Integration und Exklusion (Ausschluss). Das bringt jetzt natürlich schlagwortartig nichts, aber es ist ganz sicher wichtiger Versuch, dem Bewusstsein wissenschaftlich näher zu kommen, der viel Beachtung gefunden hat. So etwas gibt es also durchaus.




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Jörn Budesheim
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Sa 12. Nov 2022, 16:45

Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 16:14
Alle drei versuchen nach ihm auf unterschiedliche Weise, diese ontologische Subjektivität wegzuerklären.
Genau, und das meiste davon ist Metaphysik im pejorativen Sinne des Wortes: Man hat sich ein bestimmtes Bild der Wirklichkeit gemacht und unterwirft die Phänomene dem Bild, statt das Bild den Phänomen anzupassen.




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Sa 12. Nov 2022, 17:20

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 16:41
Ich habe leider keine Vorstellung, was eine formale Theorie sein könnte. Es wäre schön, wenn du dazu ein paar Worte sagen könntest.
Ah, ich meine damit eine Theorie, die ich in einer formalen Sprache formulieren kann, auf die Logik angewandt werden kann und diesbezüglich konsistent ist und die idealerweise Prognosen für quantifizierbare Grössen ableiten kann. Die ihre Prämissen und Schlussfolgerungen hinreichend scharf formuliert, dass man sie analytisch verifizieren oder empirisch falsifizieren kann.




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Jörn Budesheim
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Sa 12. Nov 2022, 17:42

sybok hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 17:20
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 16:41
Ich habe leider keine Vorstellung, was eine formale Theorie sein könnte. Es wäre schön, wenn du dazu ein paar Worte sagen könntest.
Ah, ich meine damit eine Theorie, die ich in einer formalen Sprache formulieren kann, auf die Logik angewandt werden kann und diesbezüglich konsistent ist und die idealerweise Prognosen für quantifizierbare Grössen ableiten kann. Die ihre Prämissen und Schlussfolgerungen hinreichend scharf formuliert, dass man sie analytisch verifizieren oder empirisch falsifizieren kann.
Ich weiß auch nicht, was du mit einer formalen Sprache meinst. Auf jeden Fall ist die integrierte Informationstheorie, die ich oben erwähnt habe, eine Theorie die allen wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird und auch Vorhersagen erlaubt. Das war bei einer sehr prominent besetzten Podiumsdiskussion einer der Vorteile, die alle Wissenschaftler der Theorie attestiert haben, insbesondere auch, dass sie - wie sich gehört - fallsifizierbar ist.

Wie auch immer, unsere Theorien müssen sich den Tatsachen anpassen, wenn sie etwas wert sein sollen und nicht die Tatsachen unseren Theorien. Damit meine ich: Wenn sich etwas, was wir erfassen wollen, nicht in einer "formale Sprache", was immer Du damit meinen könntest, fassen lässt, dann müssen wir die "formale Sprache" fallen lassen und es anders darstellen.




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Jörn Budesheim
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Sa 12. Nov 2022, 17:59

Es ist meines Erachtens nicht ohne weiteres angemessen, die Standards eines Gegenstandsbereichs ohne jede Begründung auf andere Gegenstandsbereiche zu übertragen. Daher sollte man meines Erachtens zunächst einmal skeptisch sein, wenn mir-nichts-dir-nichts gefordert wird, dass die Methoden der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung auf die vielfältigen Bereiche unseres Lebens anzuwenden sind.

Im Rücken solcher Forderung steht nämlich natürlich in der Regel eine bestimmte Metaphysik, die besagt, dass es in Wahrheit und Wirklichkeit nur einen einzigen Gegenstandsbereichs gibt und das wäre der Gegenstandsbereich der Physik.




sybok
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Sa 12. Nov 2022, 18:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 17:42
Ich weiß auch nicht, was du mit einer formalen Sprache meinst.
Siehe hier: Formale Sprache
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 17:42
Wie auch immer, unsere Theorien müssen sich den Tatsachen anpassen, wenn sie etwas wert sein sollen und nicht die Tatsachen unseren Theorien. Damit meine ich: Wenn sich etwas, was wir erfassen wollen, nicht in einer "formale Sprache", was immer Du damit meinen könntest, fassen lässt, dann müssen wir die "formale Sprache" fallen lassen und es anders darstellen.
Gibt es denn Beispiele für Erkenntnis in die ich befriedigend viel Konfidenz investieren kann und die nicht einem formalisierten System entstammt?

Ja du hattest mich glaube ich im KI-Thread schon mal auf diese ITT aufmerksam gemacht. Ich weiss noch, dass ich das damals spannend fand. Ich habe es aber nicht mehr präsent, müsste sie nochmals ansehen und kann daher gerade nicht wirklich darauf eingehen.




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Nauplios
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Sa 12. Nov 2022, 18:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 09:50

Was möglich ist, bzw was als möglich erachtet wird, ist oft (aber nicht immer) historisch variabel. Diese Einsicht führt leider allzu leicht zu gewissen Formen von Skeptizismus und Relativismus, so dass man schnell glaubt, jede (angebliche) Erkenntnis sei historisch "verfremdet".
Wir haben vor einiger Zeit mal die Fabel "Der Greis und der Tod" von Äsop besprochen. Der größere Rahmen war die "Nachdenklichkeit".

"Nachdenklichkeit ist [...] Aufschub gegenüber den banalen Resultaten, die uns das Denken gerade dann liefert, wenn nach Leben und Tod, Sinn und Unsinn, Sein und Nichts, gefragt wird. Mein Resultat ist [...], daß die Philosophie etwas von ihrem lebensweltlichen Ursprung aus der Nachdenklichkeit zu bewahren, wenn nicht zu erneuern hat. Deshalb darf sie nicht gebunden werden an bestimmte Erwartungen an die Art ihres Ertrages." (Hans Blumenberg)

Nachdenklichkeit stellt sich im Maße des Verzichts auf eine "Reduktion des Fabelsinns" ein, eines fabula docet, einer Moral von der Geschicht'. Nachdenklichkeit hat die Signatur der Skepsis, der Anerkennung von Vorläufigkeit und der Scheu gegenüber Endgültigkeit. In diesem Sinne wäre Skepsis eine Ertüchtigung im Umgang mit Belästigungen durch Fragen, welche die menschliche Vernunft "nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft". (Kant)

Diese Form der Skepsis richtet sich nicht gegen die Erkennbarkeit der Welt, hat nicht einen grundsätzlichen erkenntnistheoretischen Zweifel zum Motiv, sondern ist - als Nachdenklichkeit - die Bereitschaft, Aufschübe zuzulassen, Ergebnisse zu revidieren, Vorbehalte zu kultivieren ohne Dogmen zu setzen.




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Jörn Budesheim
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Sa 12. Nov 2022, 18:17

sybok hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 18:11
Gibt es denn Beispiele für Erkenntnis in die ich befriedigend viel Konfidenz investieren kann und die nicht einem formalisierten System entstammt?
Ich vermute, dass die "verstehende Sozialwissenschaft", nicht auf formale Sprache setzt. Ebenso kann ich mir nur schwer vorstellen, dass Literaturwissenschaften mit einer formalen Sprache gut beraten wären. Ich kann mich vage erinnern vor längerer Zeit mal einen kurzen Text über Tierforschungen gelesen zu haben, bei dem geltend gemacht wurde, dass man in diesem Gegenstandsbereich nicht ganz ohne Einfühlungsvermögen auskommen kann. Ich weiß nicht, ob das in einer formalen Sprache niedergelegt wird.

In der Musik gibt es ja, wenn man so sagen kann, eine formale Sprache, nämlich das Notensystem. Aber die Musikwissenschaften werden ihre Ergebnisse sicherlich nicht im fraglichen Notensystem präsentieren :)




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Jörn Budesheim
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Sa 12. Nov 2022, 18:26

Nauplios hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 18:16
Diese Form der Skepsis
Gegen diese Form der Skepsis ist nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil sie ist sicherlich sogar essentiell. Ich meinte jetzt, wie du auch schon angedeutet hast, den globalen Skeptizismus bezüglich der Erkennbarkeit der Welt.




ahasver
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Sa 12. Nov 2022, 18:28

Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 15:54
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 12:55
Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 12. Nov 2022, 12:35
Wenn Welt Mitteilung ist, dabei einen Pan-Psychismus vorausgesetzt, erfolgt alle Mitteilung subjektiv
Warum muss man den Pan-Psychismus voraussetzen?
Weil ahasver irgendwo, ich glaube bei den Feldern, meine diesbezügliche Frage bejaht hat. Er setzt auf ihn.
Wenn ein Sinnereignis faktisch wird, kann man 2 Pole unterscheiden, von denen jeder sich als Subjekt und den anderen als wahrgenommenes Objekt fühlt. Dh: alles was wir wahrnehmen, nimmt uns auch wahr. Das gilt sogar für den Stein, den wir am Wegrand liegen sehen. Natürlich wird der Stein uns nicht in der Weise wahrnehmen in der wir wahrnehmen. Das ist dann in der Tat eine Spielart von Panpsychismus.

Ich stehe mit diesen verrückten Ideen nicht allein, sondern kann mich zB auf Alfred North Whitehead berufen.
Man stelle sich eine Person vor, die einen Stein betrachtet. Diese Situation wäre eine „Erfahrung“. Wir sind gewohnt, eine klare Abgrenzung zwischen der Person, die wir uns zudem als mit Bewusstsein ausgestattet vorstellen, und dem Stein vorzunehmen. Person (a) betrachtet die Sache „Stein“ (b). Aufgabe der Philosophie wäre es nun, zu beschreiben, was da genau vor sich geht. In dieser Denkweise befinden wir uns ganz in der Tradition Descartes’ und trennen Geist und Materie, stellen uns darüber hinaus den Stein als „dauerhaft“ vor – und ebenso die Person als konsistent (wenn auch mit nicht ganz so langer Lebensdauer); zudem unterstellen wir ein Datum und eine klare kausale Beziehung von a (Betrachter) nach b (Stein). Genau diese Vorstellung meint Whitehead jedoch nicht, wenn er von „wirklichen Ereignissen“ (bzw. „Pulsen der Erfahrung“) spricht.

Person und Stein sind in einem Rahmen zu sehen, sie bilden gewissermaßen das „wirkliche Ereignis“ – ihre Beziehung ist die kleinstmögliche Einheit: es wäre Konstruktion, beide wieder scharf voneinander zu trennen. Die Person „erfasst“ den Stein ebenso wie der Stein die Person „erfasst“ – mit je unterschiedlicher Intensität. Bestimmt wird die Intensität der Erfahrung durch die Geschichte der Person (und des Steines). Ist die Person ein Bildhauer, wird sie andere Dimensionen im Stein wahrnehmen, als wenn sie Maurer oder Bäcker ist: insofern gehört die Vorgeschichte der Person und die Vorgeschichte des Steins in den prozessualen Gesamtkontext der „Erfahrung“. Die Erfahrung setzt eine Gesamtstruktur: sie konstituiert sich sozusagen selbst. Zudem ist sie in komplexer Weise mit allen anderen „Ereignissen“ verbunden, die zu ihr geführt haben und die durch sie in der Zukunft beeinflusst werden. Und: die „Erfahrung“ ist nur ein Pulsschlag und verschwindet sofort wieder – im Verschwinden macht sie jedoch einer neuen Erfahrung Platz. Und in diese neue Erfahrung wiederum geht die vorangegangene auf.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Prozess_und_Realit%C3%A4t



"Ich kann mich auch irren und nichts ist so sicher, als dass alles auch ganz anders ist."

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Nauplios
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Sa 12. Nov 2022, 18:59

Da Novalis erwähnt wurde:

"Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns - oder nirgends ist die Ewigkeit. Körper, Seele und Geist sind die Elemente der Welt.

Mensch werden ist eine Kunst. Wir sollen nicht bloß Menschen, wir sollen auch mehr als Menschen sein. Das wunderbarste, das ewige Phänomen, ist das eigene Dasein. Das größte Geheimnis ist der Mensch selbst. Das Leben soll kein uns gegebener, sondern ein von uns gemachter Roman sein. Wir sind auf einer Mission: zur Bildung der Erde sind wir berufen. Alles zu beleben ist der Zweck des Lebens. Alles, was wir erfahren, ist eine Mitteilung. So ist die Welt in der Tat eine Mitteilung - Offenbarung des Geistes. Die Geisterwelt ist uns in der Tat schon aufgeschlossen. Sie ist immer offenbar. Würden wir plötzlich so elastisch, als es nötig wäre, so sähen wir uns mitten unter ihr. Es liegt nur an der Schwäche unserer Organe, dass wir uns nicht in einer Feenwelt erblicken. Die höchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transzendentalen Selbst zu bemächtigen, das Ich seines Ichs zugleich zu sein...Ohne vollendetes Selbstverständnis wird man nie andere wahrhaft verstehen lernen...denn unser sogenanntes Ich...ist nicht unser wahres Ich, sondern nur sein Abglanz. Wir sind gar nicht Ich; wir können und sollen aber Ich werden. wir sind Keime zum Ichwerden. Wir sollen alles in ein Du - in ein zweites Ich verwandeln. Nur dadurch erheben wir uns zum Großen Ich, das eins und alles zugleich ist. Wenn der Mensch erst ein wahrhaft innerliches Du hat - so entsteht ein höchst geistiger und sinnlicher Umgang... - Genie ist vielleicht nichts als Resultat eines solchen inneren Plurals. Die Geheimnisse dieses Ursprungs sind noch sehr unbeleuchtet. Philosophieren ist eine Selbstbesprechung..., eine eigentliche Selbstoffenbarung - Erregung des wirklichen Ich durch das idealitische Ich. Philosophieren ist der Grund aller anderen Offenbarungen". (Novalis; Von der geheimen Welt; Hervorhebungen von mir)

Man sieht hier den quasi-religiösen Duktus, wenn von "Offenbarung", vom "ewigen Phänomen" u.ä. die Rede ist. Eine durch Mitteilung offenbarte Welt, wäre eine Welt, deren Charakter das Zeichen wäre, eine Welt signifikanter Verweisungsstrukturen. Novalis nennt ja dieses Programm eine "Romantisierung der Welt". Im christlichen Mittelalter war der Himmel voller Zeichen, ein Mitteilungsprospekt, entzifferbar und lesbar als göttliche Botschaft an den Menschen. Im Nominalismus des Spätmittelalters mehren sich dann die Zeichen für das Ende aller Zeichen. Die periphere Existenz des Menschen in einem schweigenden Universum ist das (neuzeitliche) Ergebnis der Profanisierung des Himmels, die "Romantisierung der Welt" die frühromantische Hoffnung, das Schweigen des Himmels möge nicht das letzte "Wort" in dieser Angelegenheit sein.




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Jörn Budesheim
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Sa 12. Nov 2022, 19:13

"Die Welt ist Geist, die Welt ist Mitteilung."

Wenn man einen kurzen Moment innehält, auch wenn man so etwas abwegig findet, und sich umschaut, wo man gerade wirklich ist, dann wird man sehen, dass es sich in aller Regel genau so verhält. Denn die Welt, in der wir von morgens bis abends zu Hause sind, ist die Welt der Kultur, also des objektiven Geistes. Hier ist alles Mitteilung, alles Geist, die Wände sprechen - alle fünf Meter: kauft dies, kauf jenes. Ein kleines Gerät in meiner Hosentasche brummt gelegentlich, es ist eine Mitteilung, dass ich eine Mitteilung habe. Etiketten sagen mir, was ich von meiner Nahrung zu halten und erwarten habe. Und so weiter und so fort. Und obwohl genau das - und in der Regel fast nichts anderes - unsere Welt ist, fantasiert man sich, wenn es um Erkenntnistheorie gehen soll, immer in eine Welt hinein, die aus lauter geistlosen, unbelebten und anonymen Dingen besteht, obwohl wir uns im Grunde fast nie in einer solchen Situation wiederfinden.

Dementsprechend ist dann die "erste Erkenntnis" immer so konstruiert, dass sie sich auf Steine und andere tote Materie bezieht, aber nicht auf Kunst, Poesie und ein Lächeln. Und wenn man nach diesen Dingen fragt, dann werden sie immer als "bloß subjektiv", also nicht wirklich objektiv beiseite getan. Aber wie will man auf diese Art und Weise zu einer Philosophie kommen, die uns selbst und unser Leben wirklich betrifft? Am "Ende" weiß man dann "alles" über die sogenannte bewusstseinsunabhängige Wirklichkeit, aber nichts über sich selbst :) "Three Quarks for Muster Mark!"




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Sa 12. Nov 2022, 20:17

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Nein, da spricht nichts dagegen, ich sagte ja nur, dass sie sich womöglich eben über Unentscheidbarkeit einer Formulierung in formaler Theorie entziehen. Danke für den Hinweis zu Searl, diese Unterscheidung mag sicherlich scharfsinnig und nützlich sein, bezüglich meinem Punkt sehe ich aber die Relevanz nicht: Auch aus dieser ontologischen Subjektivität lassen sich keine formalen Theorien ableiten, wir haben ja kein Kriterium um zu sagen "meine Beinschmerzen sind grösser als deine Kopfschmerzen", oder was ist mit Phantomschmerzen, die ja eigentlich keine physische Grundlage haben? Mit Menschen die aus Schmerz Lust gewinnen, oder mit Menschen, die überhaupt keine Schmerzen empfinden können? So Jemand sagt uns dann: "Im Universum gibt es Nichts, was Schmerz ist. Ich habe die Bestätigung dafür bei mir selber gefunden.". Alle stellen sie wohl doch ihre eigenen "Schmerztheorien" auf, keine trifft 100% auf mich zu, sie bieten mir keine Erkenntnis.
Was habt ihr eigentlich immer mit den Schmerzen. Tut euch etwas weh?
Schmerz ist natürlich der Inbegriff von Subjektivität. Nur ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn ich Schmerzen habe.
Unentscheidbarkeit gibt es nicht.
Formale Theorien sind für die Mathematik, nicht für die Philosophie.
Menschen, die aus Schmerz Lust gewinnen, haben keine richtigen Schmerzen.
Phantomschmerzen sind Blödsinn.
Beinschmerzen können grösser sein als Kopfschmerzen, ja.
Menschen, die keine Schmerzen empfinden können gibt es nicht.

Merkst du eigentlich, was du hier erzählst?
Man kann kein einziges Beispiel brauchen.



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Sa 12. Nov 2022, 21:19

Man kann an dem obigen Text von Novalis recht gut eine Umstellung, "Umbesetzung" studieren, eine Art Inversion theologischer Requisiten.

Der Weg zum Göttlichen führt jetzt nicht mehr nach außen durch Entäußerung des Körpers und Auffahrt der Seele zu Gott, sondern umgekehrt ("nach Innen führt der geheimnisvolle Weg").

Ewigkeit kommt nicht einem göttlichen Wesen zu, sondern "in uns ist die Ewigkeit".

Eine Art Dreifaltigkeit bilden bei Novalis "Körper, Seele und Geist" als "Elemente der Welt".

Der Menschwerdung Christi setzt Novalis die Menschwerdung des Menschen als "eine Kunst" entgegen.

Das ewige Phänomen ist "das eigene Dasein".

Nicht mehr göttliche Mission, sondern "wir sind auf einer Mission".

Das Paradies ist nicht länger nur mühsam zu erreichen, sondern "die Geisterwelt ist uns in der Tat schon aufgeschlossen".

Auch die theologische Metapher von der Frucht findet sich: "Wir sind Keime zum Ichwerden".

Als im November 1799 Novalis im Kreis der Frühromantiker seine berühmte Rede "Die Christenheit oder Europa" hält, ist die Rede von der "Vertrocknung des heiligen Sinns" und es fallen als Seitenhieb auf das zuende gehende Jahrhundert der Aufklärung Sätze wie:

"Der Religions-Haß, dehnte sich sehr natürlich und folgerecht auf alle Gegenstände des Enthusiasmus aus, verketzerte Fantasie und Gefühl, Sittlichkeit und Kunstliebe, Zukunft und Vorzeit, setzte den Menschen in der Reihe der Naturwesen mit Noth oben an, und machte die unendliche schöpferische Musik des Weltalls zum einförmigen Klappern einer ungeheuren Mühle, die vom Strom des Zufalls getrieben und auf ihm schwimmend, eine Mühle an sich, ohne Baumeister und Müller und eigentlich ein ächtes Perpetuum mobile, eine sich selbst mahlende Mühle sey." (WOW!)

Vom "Strom des Zufalls getrieben" - das meinte ich damit, daß es in einer Welt voller Sinn und Bedeutung keine Kontingenzkultur mehr gibt. Der Zufall hat die Aura des Mephistophelischen. Wo "Körper, Seele und Geist" die "Elemente der Welt" bilden, wird der Zufall zum Antichristen. Jetzt ist sein Reich nicht von dieser Welt.

Nach dem Vortrag entsteht eine hitzige Diskussion darüber, ob "Die Christenheit oder Europa" im Athenaeum abgedruckt werden soll. Schelling äußert offen Spott und verfaßt ein satirisches Gegengedicht. Man überläßt schließlich die Entscheidung Goethe - in Abwesenheit von Novalis. Goethe rät von einer Publikation ab.




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Sa 12. Nov 2022, 21:46

Ich habe nichts gegen eine Geisterwelt. Eine Welt des Geistes.
Nur wird dadurch die Existenz von Materie umso dringlicher.
Der Geist braucht einen Gegenpol, an dem er sich messen kann. Und das ist die Materie.
Übrigens finde ich Materie im Grunde genommen genau so faszinierend wie der menschliche Geist.

Ich habe mir gerade noch überlegt, ob die anderen Menschen Objekte im Sinne der Naturwissenschaft sein können.
Aber Objekte im Sinne der Naturwissenschaft können keine Schmerzen empfinden. Zum Beispiel die Sonne. Gerade die Schmerzunempfindlichkeit ist eine Eigenschaft, die sie zu Objekten macht.
Da die Menschen Schmerzen empfinden können, sind sie also keine Objekte im Sinne der Naturwissenschaft.

Gibt es die unbelebte Natur? Ich denke ja. Zwischen dem Leben und den unbelebten Objekten der Naturwissenschaft ist ein Bruch.
Dieser Bruch wird solange da sein, bis wir genauer verstehen werden, wie das Leben auf der Erde entstanden ist. Das Leben muss nach derzeitigem Wissen aus unbelebter Materie entstanden sein.



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