Erscheinung und Wirklichkeit

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
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Jörn Budesheim
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So 1. Okt 2023, 15:05

Du brauchst nicht raten, du musst nur den Text, den du selbst zitiert hast, auch lesen.




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Jörn Budesheim
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So 1. Okt 2023, 15:34

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 1. Okt 2023, 12:21
... der Begriff Naturgesetz ist, soweit ich weiß, religiösen Ursprungs, also sinngemäß die Gesetze, die Gott selbst erlassen hat. Ich bin kein Wissenschaftshistoriker, aber es würde mich nicht wundern, wenn noch Newton so etwas gedacht hätte.
Cicero (106 v. Chr. bis 43 v. Chr.) definierte als Naturgesetz (lateinisch lex naturae) „ein von einem Gott eingerichtetes Gesetz aller Dinge…“
Newton (1642 bis 1727):„Naturgesetz sind von Gottgegebene Beschaffenheiten, wie sich die Natur verhalten soll

[Von mir hervorgehoben!]
Wie weit diese Vorstellung in der Geschichte zurückreicht, habe ich jetzt nicht recherchiert, das ist aber auch für meine Behauptung nicht zentral, und anscheinend hat diese Vorstellung mindestens bis ins 18. Jahrhundert Gültigkeit besessen!




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Quk
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So 1. Okt 2023, 17:59

Wieder was gelernt. Ich verwende den Begriff "Naturgesetz" jedenfalls ohne göttliche oder magische Zuschreibung :-)

Ich nehme an, die heutige Anzahl der Fachleute weltweit, die das in einem göttlichen oder magischen Kontext sehen, hat abgenommen, ... ähem ... trotz Zunahme der Kreationisten in US-amerikanischen Schulen -- gütiger Himmel. Bei Harald Lesch, dem Physiker und Naturphilosophen, vermute ich -- als Gegenbeispiel zu mir -- eher einen starken Gottesglauben. Soweit ich seine Bemerkungen in den letzten 25 Jahre verstanden habe, glaubt er außerdem an eine teleologische These, die ein seit dem Urknall währendes Ziel vorschlägt, dass sich auf der Erde eine Menschheit entwickeln wird. Und zwar nur auf der Erde, so meine ich das aus seinen Äußerungen der letzten Jahre herauszuhören, denn wenn es um das Thema "außerirdisches Leben" geht, habe ich immer den Eindruck, er will daran nicht denken. Er schlug einmal vor, keine Kontaktsignale ins All zu senden, die Aliens auf uns aufmerksam machen sollen, denn die Fremden könnten gefährlich sein. Also, er hält zwar deren Existenz für möglich, verdrängt aber den Gedanken an einen Kontakt. Anderes Beispiel: Vor ein paar Jahren meldeten die Medien, auf der Venus gebe es Anzeichen für organisches Leben. Als sich diese Meldung als falsch erwies, tröstete Lesch sein Publikum mit dem Gedanken, dass die Abwesenheit von Leben auf einem anderen Planeten auch seine gute Seite hat, und dass es doch überhaupt schöner sei, sich die Erde als einziger Lebensort im All vorzustellen. Ohne Zweifel liebt Lesch die Menschheit über alles. Mir scheint, er hat das Bedürfnis, diese Liebe dermaßen zu verstärken, dass eine göttlich-teleologische Zentrierung für ihn nicht mehr wegzudenken ist. Ich sage das ohne Wertung. Ist nur eine Beobachtung und meine Interpretation.




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Jörn Budesheim
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So 1. Okt 2023, 18:52

Ich würde die Wirkmächtigkeit solcher Metaphern nicht unterschätzen, vor allem dann nicht, wenn sie eine lange Wirkungsgeschichte haben und mehr oder weniger unterschwellig wirken. Worin diese Wirkung besteht, vermag ich allerdings nicht zu sagen. Es würde mich aber wundern, wenn es dazu keine erhellende Literatur gäbe.

Aber der Dogmatismus mancher Naturalisten nimmt manchmal geradezu religiöse Formen an, da bin ich mir sicher.




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Jörn Budesheim
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So 1. Okt 2023, 20:03

Der Begriff des Gesetzes könnte z.B. die Vorstellung suggerieren, dass die Naturgesetze an sich eine gewisse Wirksamkeit auf die Dinge haben, so dass das Bild so aussieht: hier haben wir die Naturgesetze und dort die Dinge, die sich nach ihnen richten, so wie sich z.B. die Menschen nach den Gesetzesbüchern richten.




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Jörn Budesheim
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So 1. Okt 2023, 20:14

Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass der Begriff des Gesetzes, der ja eigentlich etwas Normatives hat, für viele den abwegigen Gedanken, dass wir unfrei sind, mit einer gewissen Plausibilität versieht.




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AufDerSonne
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So 1. Okt 2023, 20:27

Burkart hat geschrieben :
So 1. Okt 2023, 13:35
Interessant (zu "Naturgesetz" aus wikipedia):
"Den antiken griechischen Autoren war der Begriff des Naturgesetzes fremd, er wurde in dieser Form nicht verwendet.Der griechische Begriff für Gesetz (altgriechisch νόμος Nomos) wurde spezifisch für willentlich gesetzte Normen und Regeln verwendet, er konnte auch „Gewohnheit“ bedeuten. Der Begriff der Natur (altgriechisch φυσικός physikos) wurde geradezu als Gegensatz verstanden, er stand für die natürliche, nicht veränderbare Ordnung, etwa von Heraklit als Logos (Vernunft, Sinn) und von Anaximander Nous (Geist, Vernunft) bezeichnet. [...]"
Interessant.
Könnte man es so sagen?
Naturgesetze beschreiben die natürliche, nicht veränderbare Ordnung des Universums.

Noch wegen dem göttlichen Naturgesetz.
Ich finde, wir sind uns oft nicht genug bewusst, dass die Physik erst seit Newton eine gewisse Sicherheit für sich beanspruchen kann.
Also das Vertrauen in die Gesetzlichkeit des Naturablaufs gab es vor Newton nicht wirklich.

Und immer wieder ist es gut daran zu denken, dass Pythagoras der erste war, der überhaupt auf die Idee kam, dass sich das Universum mathematisch beschreiben lasse.



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Timberlake
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Mi 24. Jan 2024, 14:08

AufDerSonne hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 20:25
Auch hier gehen wir von einem Tisch aus. Er soll aus Holz sein und dunkelbraun.
Russell behauptet. Wir wissen von diesem Tisch nur eines: dass er nicht so ist, wie er erscheint.


Russell kommt immer wieder mit seinen Sinnesdaten. Von den Sinnesdaten sagt er, sie existieren sicher. Wieso denn das so sicher sein soll, wird nicht ganz klar.
Und er will dann den Zusammenhang zwischen den materiellen Gegenständen und den Sinnesdaten untersuchen. Was für ihn auch sicher ist, dass die Ursachen der Sinnesdaten materielle Gegenstände sind.

Auf jeden Fall müsse man trennen, was der Tisch in Wirklichkeit ist und wie er uns erscheint. Wieso? Das ist vielleicht gar nicht nötig.
Vielleicht fallen Wirklichkeit und Erscheinung zusammen! Heute würde man antworten, wenn jemand darauf besteht zu wissen, was denn der Tisch in Wirklichkeit ist, er bestehe aus Atomen.
Ja, das ist so, wenn man ein extrem starkes Mikroskop hätte. Dann würde man die einzelnen Atome sehen. Ich bin jetzt nicht sicher, ob es so starke Mikroskope gibt. Aber theoretisch würde man die einzelnen Atome sehen.
Das ist ein sehr wichtige Erkenntnis. Das streite ich nicht ab. Aber war das jetzt die Antwort auf unser Problem?

Weil anderrnorts gerade davon die Rede, wie verhält es sich denn mit diesen Sinnesdaten, wenn uns dieser braune Tisch in einem Bild erscheint? Wirklichkeit und Erscheinung fallen da ganz sicher nicht zusammen. In etwa so , also als Bild , stelle ich mir das vor , wie uns ein Tisch in Wirklichkeit erscheint. Die Atome vom Tisch , was der Tisch in Wirklichkeit ist , erscheinen in uns genauso wenig , wie das die Atome eines Tisches in diesem Bild erscheinen. Wir reden in beiden Fällen, im wahrsten Sinne des Wortes, lediglich von Abbildungen eines Tisches. Auch das ,was wir in diesem Mikroskop erblicken , können dem zufolge auch nur Abbildungen sein. Deshalb ist es nötig zu trennen , was der Tisch in Wirklichkeit ist und wie er uns erscheint.




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AufDerSonne
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Mi 24. Jan 2024, 21:59

Timberlake hat geschrieben :
Mi 24. Jan 2024, 14:08
Wirklichkeit und Erscheinung fallen da ganz sicher nicht zusammen. In etwa so , also als Bild , stelle ich mir das vor , wie uns ein Tisch in Wirklichkeit erscheint.
Ich möchte noch einen Gedanken erwähnen. Das Sehen allein ist nicht immer genug. Von manchen Dingen erhält man erst einen richtigen Begriff, wenn man sie braucht bzw. anwendet. Wenigstens kann man eine ganz andere Beziehung zum einem Ding bekommen, wenn man damit etwas macht. Sind wir uns da einig? Ich kann einen Hammer ewig anschauen, aber ich werde nie das Gefühl bekommen, wie es ist, wenn man ihn (richtig) anwendet. Ich behaupte, dass man dieses praktische Gefühl anders nicht bekommen kann als durch das Benutzen des Dings.
Und hier wird der Begriff Bild problematisch. Ich streite nicht ab, dass wir teilweise in Bildern denken, aber das kann nicht die ganze Wahrheit sein. Wir können an wesentlich mehr denken. An viele Dinge, die ein Bild allein nicht hergibt.
Ich glaube, Aristoteles war auf der richtigen Spur, wenn er sagte, es komme vor allem auf die Funktion von einem Ding an. Wozu ist es da? Was kann man damit machen? Ich würde noch hinzufügen. Wie macht man das?
Um die Wirklichkeit eines materiellen Gegenstands zu erfassen gehört also manchmal mehr dazu als nur hinzuschauen. Das ist meine These.

Es ist wie mit der Moral: "Nach Aristoteles reicht es nicht aus, das Richtige zu tun, um ein moralisches Leben zu führen. Vielmehr gehört auch dazu, einen tugendhaften Charakter und somit eine gute Person zu sein."

Naja, der Zusammenhang soll der sein, dass noch etwas dazugehört, um die Wirklichkeit zu erfahren.



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Timberlake
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Mi 24. Jan 2024, 23:43

AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 24. Jan 2024, 21:59
Timberlake hat geschrieben :
Mi 24. Jan 2024, 14:08
Wirklichkeit und Erscheinung fallen da ganz sicher nicht zusammen. In etwa so , also als Bild , stelle ich mir das vor , wie uns ein Tisch in Wirklichkeit erscheint.
Ich möchte noch einen Gedanken erwähnen. Das Sehen allein ist nicht immer genug. Von manchen Dingen erhält man erst einen richtigen Begriff, wenn man sie braucht bzw. anwendet. Wenigstens kann man eine ganz andere Beziehung zum einem Ding bekommen, wenn man damit etwas macht. Sind wir uns da einig?

.. wir sind uns darin zumindest in dem einig , dass wenn man mit einem Ding etwas macht , dass das Wesen eines Dinges ausmacht



  • "Denn der Begriff ist das Absolute, wie es in seinem Dasein absolut oder an und für sich ist. Das Dasein aber, das sich das Wesen gibt, ist noch nicht das Dasein, wie es an und für sich ist, sondern wie das Wesen es sich gibt oder wie es gesetzt wird, daher noch von dem Dasein des Begriffs unterschieden."
    Hegel .. Wissenschaft der Logik
Wenn wir von einem Tisch als Begriff reden , so ist dieses Ding in seinem Dasein absolut. Absolut in dem Sinne , dass überhaupt keine Rolle spielt , ob wir diesen Tisch in Wirklichkeit oder auf einen Bild sehen oder auch nur bloß über einen Tisch reden. Wenn wir hingegen ein Ding als Tisch gebrauchen bzw. anwenden dann spielt das , weil es sein Wesen ausmacht, eine Rolle. Ich kann kein Ding das in einem Bild ist oder über das geredet wird gebrauchen bzw. anwenden . Das kann ich nur mit einem Ding , was wirklich ist. Wenn wir dieses Ding als Tisch gebrauchen bzw. anwenden , so macht das sicherlich das Wesen dieses Dinges aus. Das ist aber nicht das Dasein dieses Dinges , wie es an und für sich ist , sondern wie sich das Wesen dieses wirklichen Dinges aus menschlicher Sicht gibt oder wie wie es vom Menschen gesetzt wird. Wir haben es also , wenn es um die " Erscheinung und Wirklichkeit" geht, nach Hegel mit dreierlei Dingen zu tun ..

a) ein wirkliches Ding , wie es an und für sich ist
b) ein "wesentliches" Ding , abgeleitet aus dem Gebrauch bzw. aus der Anwendung des wirkliches Dings
c) ein absolutes Ding als Begriff, abgeleitet aus dem Wesen eines wirklichen Dings

Folgerichtig steht somit das "Wesen" eines Dinges zwischen dem "Sein" eines Dings und dem "Begriff" eines Dings ..
  • "Das Wesen steht zwischen Sein und Begriff und macht die Mitte derselben und seine Bewegung den Übergang vom Sein in den Begriff aus."
    Hegel .. Wissenschaft der Logik




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AufDerSonne
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So 28. Jan 2024, 22:06

Berkeleys Idealismus (Es gibt keine Materie, sondern nur Vorstellungen in unserem Geist)

Würde etwas da draussen existieren, wenn wir das Universum nicht wahrnehmen könnten?
Eine provokante Frage. Und man muss zugeben, dass das Allermeiste, wenn nicht sogar alles, in unserem Geist ist.
Bevor uns irgendetwas bewusst wird, muss es in unserem Geist sein. Vorher hat es keine Bedeutung, es sind mehr oder weniger sinnlose Daten, die auf uns einströmen.
These: Was den Daten Sinn gibt, ist in unserem Geist.

Wie dem auch sei. Jedenfalls wäre meine Vorstellung vom Universum ohne einmal den Sternenhimmel wahrgenommen zu haben, den Mond und die Sonne, also auch das Tageslicht, erbärmlich.
Da fragt man sich schon, ob am Idealismus nicht etwas dran ist. Und er ist sparsamer als der Materialismus, da er nur einen Geist annimmt. Irgendetwas Materielles braucht er nicht.



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Mo 29. Jan 2024, 17:29

Gut. Da niemand auf den Idealismus antwortet, gehe ich davon aus, dass alle der Meinung sind, Materie existiert unabhängig von unserem Bewusstsein. Also gewöhnlicher Menschenverstand, common sense.
Ich denke, das macht auch mehr Sinn. Der Geist ist in diesem Sinne etwas, das vom Gehirn erzeugt wird oder wenigstens durch das Gehirn ermöglicht wird. So weit so gut. Also alles beim alten.

Die Frage bleibt, ob wir die Wirklichkeit wahrnehmen können. Und wenn nicht, was wir dann wahrnehmen. Timberlake hat vorgeschlagen nur ein Abbild von der Wirklichkeit. Ich möchte dazufügen, dass wir durch sicheres Wissen, vor allem von der Physik, die Wirklichkeit genauer wahrnehmen können. Ich denke, jemand, der das vierdimensionale Raumzeit-Kontinuum wirklich verstanden hat, sieht die Welt ein bisschen anders als jemand, der noch rein euklidisch denkt. Ist so eine Idee von mir. Also gewisse Wahrnehmungen kann man sich antrainieren. Sie sind anders einfach nicht zu haben.



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AufDerSonne
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Di 30. Jan 2024, 20:06

Wenn ich an die Wirklichkeit denke, dann kommt mir als erstes der Raum in den Sinn. Unter der Zeit kann ich mir weniger gut etwas vorstellen. Geht es euch auch so?
Und dann halt schon die Physik. Die Physik ist die Wissenschaft von der Wirklichkeit. Ja und dann halt der Dritte im Bunde, die Materie. Ja, wenn ich an die Wirklichkeit denke, dann kommen mir vor allem Raum, Zeit und Materie in den Sinn.
Und dann schon noch die anderen Menschen. Ja ich denke, die kann man nicht einfach ausblenden, wenn es um die Wirklichkeit geht. Man hat immer mit anderen Menschen zu tun, muss sich mit ihnen auseinandersetzen. Das geht nicht anders.
Das ist noch interessant. Wir haben also auf der einen Seite die Physik und auf der anderen das Leben, nämlich die anderen Menschen. In einem weiteren Sinne die Biologie. Also wieder lebendig und leblos.

Würdet ihr die anderen Menschen, die Gesellschaft, zur Wirklichkeit dazuzählen? Ist doch eher ungewöhnlich oder nicht?



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Jörn Budesheim
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AufDerSonne hat geschrieben :
Di 30. Jan 2024, 20:06
Würdet ihr die anderen Menschen, die Gesellschaft, zur Wirklichkeit dazuzählen? Ist doch eher ungewöhnlich oder nicht?
Ich erinnere mich, dass ich hier im Forum einmal meine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht habe, dass so viele hier im Forum nicht daran glauben, dass der Mensch wirklich ist. Das wurde natürlich zurückgewiesen...




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AufDerSonne
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Mi 31. Jan 2024, 17:03

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 31. Jan 2024, 08:43
AufDerSonne hat geschrieben :
Di 30. Jan 2024, 20:06
Würdet ihr die anderen Menschen, die Gesellschaft, zur Wirklichkeit dazuzählen? Ist doch eher ungewöhnlich oder nicht?
Ich erinnere mich, dass ich hier im Forum einmal meine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht habe, dass so viele hier im Forum nicht daran glauben, dass der Mensch wirklich ist. Das wurde natürlich zurückgewiesen...
Da hätten wir vielleicht ein Berührungspunkt. Ich denke auch, dass man die Menschen zur Wirklichkeit dazuzählen muss. Auch wenn ich noch so fest ein physikalistisches materielles Weltbild habe.



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AufDerSonne
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Di 27. Feb 2024, 09:57

Wir sehen einen Tisch.

1. Gibt es überhaupt einen wirklichen Tisch?
2. Wenn ja, was für eine Art Gegenstand kann das sein?

Oder:
1. Gibt es so etwas wie Materie?
2. Wenn ja, worin besteht das Wesen dieser Materie?
(Die Gesamtheit aller materiellen Gegenstände nennt man "Materie".)

Ich habe mich gefragt, ob man diese Fragen überhaupt trennen muss. Die Existenz eines Tisches und die Frage, was er ist, gehören doch zusammen.
Interessant wäre die Frage, wie wir überhaupt darauf kommen, dass wir einen Tisch sehen, dass da ein Tisch ist. Ich meine es so. Irgendetwas sehen wir offenbar. Wenn wir nichts sehen würden, dann erst recht keinen Tisch. Wir könnten uns einen Tisch im Nebel vorstellen. Wir sehen einen braunen Tisch im Nebel, sind uns aber nicht ganz sicher, was wir genau sehen. Wir gehen näher zum Tisch und dann sind wir uns sicher. Ja, da ist ein Tisch.

Was löst in uns die Überzeugung aus, dass wir überhaupt etwas wahrnehmen? Denn wir sind uns da recht sicher, wenn wir etwas wahrnehmen, dass da auch etwas ist und nicht einfach nichts. Aber wieso?



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AufDerSonne
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Di 27. Feb 2024, 20:44

Handlungen sind wirklich. Vielleicht das Wirklichste, was es gibt. Denn wenn wir etwas gemacht haben, dann ist es passiert. Es gibt eigentlich kein zurück mehr. Ich frage mich gerade, ob die Philosophie ein einem gewissen Sinne bei der Handlung endet. Denn man kann noch so viel reden, aber man kann die Handlungen nicht mit Reden ersetzen. Wenn ich einen Tisch brauche, dann muss ich einen Tisch machen. Oder jemand anderes muss den Tisch machen. Aber wir können ganze Bibliotheken voll schreiben und es ist dann immer noch kein Tisch da. Die Handlung ist also das Ende der Philosophie oder jedenfalls eine absolute Grenze. Die Philosophie kann nicht handeln in diesem praktischen Sinne. Das ist einfach nicht möglich.
Aber ich denke, die Philosophie kann einen Einfluss haben auf die praktischen Handlungen. Ich könnte mir vorstellen, wenn man ein Haus bauen will, dass es diverse Gespräche gibt zuerst. Wo soll es stehen, wieso wollen wir es bauen, wie gross soll es sein. Diese Vorgespräche haben dann einen realen Einfluss auf das fertige Haus. Und wenn das Haus einmal steht, kann man wieder darüber reden. Etwa wie es war, es zu bauen, wo es Probleme gab usw.
Wenn wir so an Handlungen denken, dann müssen wir sagen, ja, man kann über alles philosophieren, aber manchmal hat es kein Sinn mehr. Es hat dann kein Sinn mehr, wenn man handeln muss. Das ist interessant.



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Salutitutti
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Do 21. Mär 2024, 22:52

Timberlake hat geschrieben :
Mi 24. Jan 2024, 14:08
gerade davon die Rede, wie verhält es sich denn mit diesen Sinnesdaten, wenn uns dieser braune Tisch in einem Bild erscheint? Wirklichkeit und Erscheinung fallen da ganz sicher nicht zusammen. In etwa so , also als Bild , stelle ich mir das vor , wie uns ein Tisch in Wirklichkeit erscheint. Die Atome vom Tisch , was der Tisch in Wirklichkeit ist , erscheinen in uns genauso wenig , wie das die Atome eines Tisches in diesem Bild erscheinen. Wir reden in beiden Fällen, im wahrsten Sinne des Wortes, lediglich von Abbildungen eines Tisches. Auch das ,was wir in diesem Mikroskop erblicken , können dem zufolge auch nur Abbildungen sein. Deshalb ist es nötig zu trennen , was der Tisch in Wirklichkeit ist und wie er uns erscheint.
Da ich neu bin, wage ich mich nicht weit vor. Aus demselben Grund möchte ich aber auch nicht schweigen :-)

Warum sollten wir denn überhaupt trennen, was der Tisch in Wirklichkeit ist und wie er uns erscheint? Er kann uns gar nicht anders als immer nur in Repräsentationen erscheinen. Das ist, weil wir Bewusstsein haben und alle Gegenstände Bewusstseinsgegenstände sind. Auch wenn wir sie unter ein Mikroskop halten, sehen wir dort nicht etwas anderes als (visuelle) Repräsentationen.

Die wirklich spannende Frage ist, wie Wirklichkeit und Bewusstsein kooperieren, denn sie kooperieren offenbar mehr als, dass sie streiten :-) Zum Beweis bauen wir Raketen, die wieder selber landen können. Wenn unsere Repräsentationen tendenziell eher falsch wären, wären unsere Beobachtungen von der Wirklichkeit in der Mehrheit falsch und das, was wir Erscheinungen nennen, wären keine guten Faktenlieferanten. Aber das sind sie, sonst könnten wir keine konsistenten Theorien über die Wirklichkeit entwickeln, die wir doch in Form mathematischer und physikalischer Gleichungen beschreiben und durch Ingenuität in Erzeugnisse umsetzen. Wären alle diese Bestrebungen falsch, könnten wir unmöglich mit der physikalischen Wirklichkeit so interagieren, dass unsere Raketen tatsächlich auch abheben, von wieder verlässlich auf Punkt X landen ganz zu schweigen. Also müssen wir grundsätzlich darauf vertrauen können, dass unsere Repräsentationen die Wirklichkeit so wiedergeben, wie sie tatsächlich ist. Wirklichkeit scheint eine verlässliche Erscheinung zu sein und das ist gut so.

Aber dann stellen sich natürlich wieder viele andere Fragen, da wir ja Menschen sind, die als Bewusstsein mit der Wirklichkeit interagieren und sogar wissenschaftlich untersuchen, z.B. die Frage, was es denn bedeuten soll, dass ein Atomhaufen ein Tisch sei. Da gerät man doch in eine verzwickte Lage? Wir setzen uns ja nicht an einen Atomhaufen, wenn wir sagen, wir setzen uns an einen Tisch. Wir meinen damit in der Regel doch eher ein Artefakt des familiären oder freundschaftlichen Zusammenkommens. Des Lernens. Des Essens und Trinkens. Des Alleinseins und Brütens vielleicht? Des Zeichnens oder Bastelns. Ein Tisch ist in erster Linie ein sozialer Gegenstand und nicht ein physikalischer, das will ich sagen. Wir können ihn "dort" im Dschungel der verrückten Leptonen nicht finden :-) Und wir können den Tisch als Tisch auch nicht befriedigend beschreiben, wenn wir seinen atomaren Aufbau kennen und verstehen, dass er physikalisch so und so aufgebaut ist. Es gibt in der physikalischen Realität, so versuche ich es abzukürzen, keinen Tisch. Wie sollten denn Atome auch wissen, dass sie sich zu einem Tisch zusammenzufügen haben? Sie fügen sich ja nur zusammen, weil wir sie so anordnen, indem wir das Holz zum Tisch verarbeiten. Nur deshalb besteht der Tisch aus Atomen, weil wir gesagt haben, dass dieser Atomhaufen Tisch sein soll. Der Tisch besteht so gesehen nicht aus Atomen, sondern aus dem guten Willen, ihn zu bauen. Ich meine also, dass die Frage nach der Wirklichkeit des Tisches nicht befriedigend damit beantwortet werden kann, dass er aus Atomen besteht, sondern nur aus der Perspektive als Menschen (Bewusstsein im engeren Sinn), die den Tisch auch nutzen. Hier kommt doch Bedeutung ins Spiel? Wir legen Bedeutung in die Dinge, indem die Begriffe Bedeutung haben, mit denen wir die Wirklichkeit erfassen. Es ist in der Konsequenz für ein beliebiges Ding nicht unbedeutend, unter den Begriff "Tisch" oder "Nachspeise" zu fallen. Es braucht Atome zum Herstellen eines leckeren Vanilleeises, aber bestimmt noch mehr Menschlichkeit.




Michael7Nigl
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Fr 22. Mär 2024, 06:34

Salutitutti hat geschrieben :
Do 21. Mär 2024, 22:52
Warum sollten wir denn überhaupt trennen, was der Tisch in Wirklichkeit ist und wie er uns erscheint? Er kann uns gar nicht anders als immer nur in Repräsentationen erscheinen. Das ist, weil wir Bewusstsein haben und alle Gegenstände Bewusstseinsgegenstände sind. Auch wenn wir sie unter ein Mikroskop halten, sehen wir dort nicht etwas anderes als (visuelle) Repräsentationen.
Philosophisch gesehen ist das die Frage des Realismus. Sie kann nicht eindeutig beantwortet werden. Die meisten Wissenschaftler dürften heute einem Physikalismus anhängen, einer Form des Realismus, in der auch Raum und Zeit objektiv existieren. Eine Gegenposition wäre der Idealismus, wonach alle Dinge nur in unserem Geist sind.

Der diesbezüglich für mich philosophisch beeindruckendste (jedoch nicht überzeugende) Entwurf ist Kants transzendentaler Idealismus, der ein empirischer Realismus ist. Kant beschreibt dies in seiner "Kritik der reinen Vernunft" so:

Alle äußere Wahrnehmung also beweist unmittelbar etwas Wirkliches im Raume, oder ist vielmehr das Wirkliche selbst, und insofern ist also der empirische Realismus außer Zweifel, d. i. es korrespondiert unseren äußeren Anschauungen etwas Wirkliches im Raume. Freilich ist der Raum selbst, mit allen seinen Erscheinungen, als Vorstellungen, nur in mir, aber in diesem Raume ist doch gleichwohl das Reale, oder der Stoff aller Gegenstände äußerer Anschauung, wirklich und unabhängig von aller Erdichtung gegeben, und es ist auch unmöglich: daß in diesem Raume irgend etwas außer uns (im transzendentalen Sinne) gegeben werden sollte, weil der Raum selbst außer unserer Sinnlichkeit nichts ist. Also kann der strengste Idealist nicht verlangen, man solle beweisen: daß unserer Wahrnehmung der Gegenstand außer uns (in strikter Bedeutung) entspreche. Denn wenn es dergleichen gäbe, so würde es doch nicht als außer uns vorgestellt und angeschaut werden können, weil dieses den Raum voraussetzt, und die Wirklichkeit im Raume, als einer bloßen Vorstellung, nichts anderes als die Wahrnehmung selbst ist. Das Reale äußerer Erscheinungen ist also wirklich nur in der Wahrnehmung und kann auf keine andere Weise wirklich sein. (KrV A 375)

Wichtig scheint mir bei dieser Frage zu sein, dass man verschiedene Antwortmöglichkeiten kennenlernt und sich nicht auf eine einzige festlegt, da wir (in der Philosophie) jene nicht endgültig entscheiden können.




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Jörn Budesheim
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Fr 22. Mär 2024, 07:29

Salutitutti hat geschrieben :
Do 21. Mär 2024, 22:52
Da ich neu bin, ...
Saluti a Salutitutti :-)
Ich hoffe, das Übersetzungsprogramm hat keinen Fehler gemacht :-)




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