Erscheinung und Wirklichkeit

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
Körper
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Di 25. Okt 2022, 19:50

Timberlake hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 10:32
.. so wie hier Zitate von ihm bzw. Fragen dazu konsequent ignoriert werden, so "scheint" übrigens auch das das Bemühen , Kant zu dieser Frage zu Wort kommen zu lassen , nichts zu bringen.
Ich habe keine Absicht etwas zu ignorieren und es gibt auch keinen Grund dafür.
Du hast angesprochen, wie es wohl sein würde, wenn ein Blinder plötzlich (wieder) sehen könnte.
Das ist bereits Praxis und die Problematik, die sich dort zeigt, lässt keinen Spielraum für Ideen à la "von aussen bekommen wir Gegenstände" oder "wir haben Erscheinungen zur Verfügung".

Schau dir diesen Fall ("der sehende Blinde") an.
("William Molyneux" wird auch im Link erwähnt)

Laut einem Psychologen "lebt dieser sehende Blinde in einer abstrakten Welt von Mustern und Flecken".
D.h. er kommt nicht wirklich zu einer Objekteinteilung.
Wenn er einen Tisch vor sich hat, wird er schlicht nicht wissen, welche der Flecken zusammengehören und "den Gegenstand" bilden.

Deshalb habe ich meine Frage gestellt:
"Wie" kommt "was" zum Wahrnehmenden und "was" genau macht er daraus?

Hier kann man nicht mit "Gegenstand" beginnen, egal ob man eine Unterteilung à la "reiner Gegenstand", "Ding an sich" oder "Erscheinung" phantasiert.

Im Link ist zudem ein "Kätzchenexperiment" beschrieben, das weiteren Aufschluss darüber gibt, was "der Wahrnehmende" (für ein komplettes Seh-Verständnis) aus den Einwirkungen der Umwelt machen muss.
=> die Augen alleine sind nicht genug...




Timberlake
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Mi 26. Okt 2022, 00:34

Körper hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 19:50
Timberlake hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 10:32
.. so wie hier Zitate von ihm bzw. Fragen dazu konsequent ignoriert werden, so "scheint" übrigens auch das das Bemühen , Kant zu dieser Frage zu Wort kommen zu lassen , nichts zu bringen.
Ich habe keine Absicht etwas zu ignorieren und es gibt auch keinen Grund dafür.
Dann hast du sicherlich auch kein Problem damit, wenn ich zu deiner Frage Kant zu Wort kommen lasse ..
Zuletzt geändert von Timberlake am Mi 26. Okt 2022, 00:36, insgesamt 1-mal geändert.




Timberlake
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Mi 26. Okt 2022, 00:35

Körper hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 19:50

Du hast angesprochen, wie es wohl sein würde, wenn ein Blinder plötzlich (wieder) sehen könnte.
Das ist bereits Praxis und die Problematik, die sich dort zeigt, lässt keinen Spielraum für Ideen à la "von aussen bekommen wir Gegenstände" oder "wir haben Erscheinungen zur Verfügung".

Schau dir diesen Fall ("der sehende Blinde") an.
("William Molyneux" wird auch im Link erwähnt)

Laut einem Psychologen "lebt dieser sehende Blinde in einer abstrakten Welt von Mustern und Flecken".
D.h. er kommt nicht wirklich zu einer Objekteinteilung.
Wenn er einen Tisch vor sich hat, wird er schlicht nicht wissen, welche der Flecken zusammengehören und "den Gegenstand" bilden.

Deshalb habe ich meine Frage gestellt:
"Wie" kommt "was" zum Wahrnehmenden und "was" genau macht er daraus?

Hier kann man nicht mit "Gegenstand" beginnen, egal ob man eine Unterteilung à la "reiner Gegenstand", "Ding an sich" oder "Erscheinung" phantasiert.

  • Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis auf Gegenstände beziehen mag, es ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzweckt, die Anschauung. Diese findet aber nur statt, sofern uns der Gegenstand gegeben wird; dieses aber ist wiederum nur dadurch möglich, daß er das Gemüt auf gewisse Weise affiziere. Die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit. Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstände gegeben, und sie allein liefert uns Anschauungen; durch den Verstand aber werden sie gedacht, und von ihm entspringen Begriffe. Alles Denken aber muß sich, es sei geradezu (direkte) oder im Umschweife (indirekte), zuletzt auf Anschauungen, mithin, bei uns, auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben werden kann.

    Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden, ist Empfindung. Diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, heißt empirisch. Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt Erscheinung.
    Kant .. Kritik der reinen Vernunft
Wie hier ersichtlich , beginnt für Kant alles mit dem Gegenstand.

Kein Gegenstand , so auch keine Anschauung und in Folge dessen auch kein Begriff , den sich der Verstand über dessen empirische Anschauung machen kann. Weil uns die Gegenstände vermittelst der Sinnlichkeit gegeben werden , so kann uns ein Gegenstand auch deswegen nicht gegeben sein, weil eines der Sinne defekt ist. Dann reduziert sich die Anschauung auf die restlichen Sinne. Deshalb kann einem Blinden ein .. "unbestimmter Gegenstand, einer empirischen Anschauung( Kant)" auch nur über denn Tast- Gehör- Geschmaks oder Geruchssinn "erscheinen". Nur über diese Sinne konnte er sich ein Begriff über diesen Gegenstand machen. Sollte er plötzlich über den Sehsinn verfügen , so kann er sich deshalb , wie von dir beschrieben , über das Gesehene im wahrsten Sinne des Wortes kein Begriff machen.
  • Dieser blinde Mann kann mit den Ohren sehen
    Daniel Kish ist ein Fledermaus-Mann. Er sieht die Dinge um ihn herum nicht, er hört sie. Mit Echoortung kommt er sogar unfallfrei durch dichten Straßenverkehr. Die Klicksonar-Technik kann theoretisch jeder lernen.

Wie übrigens auch wir sehende , über das , was dieser Blinde mit der Echoortung fabriziert uns keinen Begriff machen können. Das ist für uns eine abstrakte Welt von Mustern und Flecken .D.h. wir kommen über die Echoortung nicht wirklich zu einer Objekteinteilung.




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NaWennDuMeinst
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Mi 26. Okt 2022, 01:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 15:34
Ottington hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 11:38
Innen
Ottington hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 13:33
In dem jeder darüber spricht, was er sieht und versucht, die Sicht des anderen zu verstehen. Und dann kann man sich auf die Begrifflichkeiten "einigen" und darüber sprechen.
Wie soll man die "Sicht des anderen" verstehen, wenn sie im "Inneren" des anderen ist? Das kann nicht gehen, denke ich. Denn die Sicht des Anderen ist mir schließlich verborgen, da sie innen ist. Und wie soll man sich auf Begrifflichkeiten einigen, wenn diese sich auf etwas beziehen sollen, was im Inneren des anderen für mich unzugänglich ist?
Aber es sagt doch niemand, dass die Gegenstände die uns erscheinen innen sind.
Die sind schon aussen. Und sie erscheinen uns über unsere Wahrnehmung.
UNS. Also jedem von uns. Wieso sollten wir nicht draüber reden können dass uns Etwas erscheint?

Mir erscheint ein Ding das so und so aussieht.
Ja, mir auch.
Ok, lass uns das Ding Tisch nennen.


Wieso soll das nicht möglich sein, wenn man annimmt, dass unsere Vorstellungen (die Erscheinungen) von den Dingen innen sind?
Später kann man dann Vorstellungen auch externalisieren. Durch Sprache zum Beispiel.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

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Jörn Budesheim
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Mi 26. Okt 2022, 06:28

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 01:08
Aber es sagt doch niemand, dass die Gegenstände die uns erscheinen innen sind.
Ottington hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 08:27
Der Tisch ist eine Erscheinung und ist braun, wenn er ist braun. Es ist so trivial, wie es klingt.
Alles, was uns erscheint und was wir erkennen können, muss prinzipiell von uns erkennbar sein, sprich unseren Wahrnehmungsgesetzen unterliegen: Raum, Zeit, Kategorien etc.
Der Tisch lässt sich auch erkennen, er ist somit Erscheinung, die genau diesen Gesetzen entsprechen muss. Der Tisch hat eine Farbe, eine Form, er hat Dimensionalität. In seiner Wahrnehmung finden wir Raum und Zeit wieder. Damit muss er notwendig Erscheinung sein und kann gar nicht "an-sich" sein.

Der Begriff "Tisch-an-sich" ist widersprüchlich, weil er sich einerseits auf eine Erscheinung bezieht und dann fragt, was die Erscheinung ohne Erscheinung wäre.

Wahre oder falsche Aussagen beziehen sich immer auf Erscheinungen.
Ottington hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 11:38
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 09:17
Wo ist die Erscheinung?
Innen. ...




Körper
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Mi 26. Okt 2022, 09:37

Timberlake hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 00:35
Wie hier ersichtlich , beginnt für Kant alles mit dem Gegenstand.
Das kann ja sein, aber dann macht er halt einen Fehler (-> was soll's, "fällt in China ein Regenschirm um")
Timberlake hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 00:35
Kein Gegenstand , so auch keine Anschauung und in Folge dessen auch kein Begriff , den sich der Verstand über dessen empirische Anschauung machen kann.
Nö, es startet nicht mit Gegenstand - Ende der Durchsage :-)

Es ist ja gut, dass dir klar ist, dass der Wegfall von Inputbereichen (Sinneszellen) zu Konsequenzen in den Möglichkeiten führt, aber der phantasierte Ausgangspunkt "Gegenstand" ist fatal, denn das endet in übler Ontologie.

Die Fragestellung dreht sich um das Prinzip des Wahrnehmenden, der aus Reizen, auf sich selbst und auf eine Umwelt schliesst und dieses Schliessen immer abstrakter werden kann.
Wenn hier mit "Gegenstand" begonnen wird, dann ist es nicht verwunderlich, wenn am Ende überall "gegenständlich vorhandene Phänomene" vermutet werden.
Gesucht wird aber ein Wahrnehmungsprinzip (die Funktionsweise des Menschen) und nicht eine neue Welt.




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Ottington
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Mi 26. Okt 2022, 09:56

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 15:34
Ottington hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 11:38
Innen
Ottington hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 13:33
In dem jeder darüber spricht, was er sieht und versucht, die Sicht des anderen zu verstehen. Und dann kann man sich auf die Begrifflichkeiten "einigen" und darüber sprechen.
Wie soll man die "Sicht des anderen" verstehen, wenn sie im "Inneren" des anderen ist? Das kann nicht gehen, denke ich. Denn die Sicht des Anderen ist mir schließlich verborgen, da sie innen ist. Und wie soll man sich auf Begrifflichkeiten einigen, wenn diese sich auf etwas beziehen sollen, was im Inneren des anderen für mich unzugänglich ist?
Ich kann einer anderen Person beschreiben, was ich meine, wenn ich einen Gegenstand sehe. Aber nicht nur, dass ich damit mein inneres Bild beschreibe. Das Gegenüber wird auch von dem, was ich berichte, selber immer nur ein eigenes und damit inneres Bild haben können. Damit sind beide Gegenstände nicht das selbe. Jetzt könnte man argumentieren, dass der Begriff über Sprache etwa "veräußert" und damit unabhängig von Subjekt stehen könnte. Aber was wäre der wert, wenn erst durch die innere Anschauung aus einem Wort ein Begriff wird?




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Ottington
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Mi 26. Okt 2022, 09:57

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 01:08
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 15:34
Ottington hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 11:38
Innen
Ottington hat geschrieben :
Di 25. Okt 2022, 13:33
In dem jeder darüber spricht, was er sieht und versucht, die Sicht des anderen zu verstehen. Und dann kann man sich auf die Begrifflichkeiten "einigen" und darüber sprechen.
Wie soll man die "Sicht des anderen" verstehen, wenn sie im "Inneren" des anderen ist? Das kann nicht gehen, denke ich. Denn die Sicht des Anderen ist mir schließlich verborgen, da sie innen ist. Und wie soll man sich auf Begrifflichkeiten einigen, wenn diese sich auf etwas beziehen sollen, was im Inneren des anderen für mich unzugänglich ist?
Aber es sagt doch niemand, dass die Gegenstände die uns erscheinen innen sind.
Doch, ich sag das :-)




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Jörn Budesheim
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Mi 26. Okt 2022, 11:11

Ottington hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 09:56
Ich kann einer anderen Person beschreiben ...
Das setzt jedoch eine gemeinsame Sprache einfach voraus. Aber wie soll so eine Sprache möglich sein? Ich halte sie unter diesen Umständen für unmöglich. Wie soll man sich gemeinsam auf etwas beziehen (sagen wir: den Tisch), wenn der Tisch etwas "im Inneren" des anderen ist? Das kann nicht gehen.




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Nauplios
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Mi 26. Okt 2022, 12:44

Kürzlich hatten wir schon mal die Matthäuspassion von Bach erwähnt. Was hören wir, wenn wir Musik hören? - Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann herrschte weitgehend Einigkeit darüber, daß wir nicht ein Ineinander unterschiedlicher Frequenzen und Tonkurven hören, sondern Melodien, Harmonien, rhythmische Akzente, die zusammen eine Einheit bilden, etwas zum Ausdruck bringen. Eine künstliche Intelligenz würde vielleicht die Frequenzen abtasten und dann sehr schnell errechnen können, um welches Stück es sich hierbei handelt:

https://m.youtube.com/watch?v=cR6LCQUQVNQ

Was hören wir - in den ersten vier bis fünf Minuten? Natur? Landschaft? Idylle? - Liegen diese Motive in dem "Gegenstand" oder wie kommen diese Empfindungen zustande?

https://thumbs-eu-west-1.myalbum.io/pho ... 2b6a93.jpg

(aus dem Fotoalbum von AndreaH)




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Ottington
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Mi 26. Okt 2022, 14:03

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 11:11
Ottington hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 09:56
Ich kann einer anderen Person beschreiben ...
Das setzt jedoch eine gemeinsame Sprache einfach voraus. Aber wie soll so eine Sprache möglich sein? Ich halte sie unter diesen Umständen für unmöglich. Wie soll man sich gemeinsam auf etwas beziehen (sagen wir: den Tisch), wenn der Tisch etwas "im Inneren" des anderen ist? Das kann nicht gehen.
Eine gemeinsame Sprache setzt nicht voraus und bringt auch nicht mit sich, dass wir uns zu 100% das selbe denken, wenn wir den Begriff "Tisch" hören. Bei dir klingt das nach einem entweder wir haben den selben Begriff oder Sprache ist nicht möglich. Und das halte ich für falsch.

Klar, werden wir auch in der Kunst gemeinsames finden, aber doch niemals das selbe. Wir hören Melodien, wir nehmen Pausen und Betonungen wahr... usw. aber dennoch wird Bach niemals für alle das selbe sein. Da hat jeder ein eigenes Bild.




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Jörn Budesheim
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Nauplios hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 12:44
Was hören wir, wenn wir Musik hören?
Die Grundunterscheidung, die Donald Davidson prominent angegriffen hat, zwischen Inhalt und Schema entspricht auch der Unterscheidung zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven. Was da draußen ist (Schallwellen) ist in diesem Bild das Objektive, was den Naturgesetzen gehorcht, was dann "innen" verarbeitet wird und somit zum "Subjektiven" gehört. Deswegen hören wir nach dieser Vorstellung zwar ggf. keine Schallwellen, sondern durchaus Musik, aber eben bloß subjektiv, auch im Sinn von "individuell". Jede:r hört (nach dieser Vorstellung) etwas anderes, jede:r wertet rein subjektiv. Wenn diese Unterscheidung zwischen "Inhalt und Schema" jedoch ein verfehlter Mythos wäre, wie Davidson geltend macht ...?

Ich hab vor längerem mal ein Interview mit einem Philosophen gesehen, was ich leider nicht mehr finde, der die Ansicht vertrat, dass Musik einen ganz eigenen ontologischen Bereich bildet. Das gefällt mir und entspricht auch meiner Vorstellung.




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Jörn Budesheim
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Mi 26. Okt 2022, 14:16

Ottington hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 14:03
Bei dir klingt das nach einem entweder wir haben den selben Begriff oder Sprache ist nicht möglich
Das wirst du ganz sicher nicht durch etwas, was ich wirklich geschrieben habe, belegen können :-) Auch irgendwas mit 100 % kommt da gar nicht vor.




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Mi 26. Okt 2022, 14:18

Ottington hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 14:03
Eine gemeinsame Sprache setzt nicht voraus und bringt auch nicht mit sich, dass wir uns zu 100% das selbe denken, wenn wir den Begriff "Tisch" hören. Bei dir klingt das nach einem entweder wir haben den selben Begriff oder Sprache ist nicht möglich. Und das halte ich für falsch.

Klar, werden wir auch in der Kunst gemeinsames finden, aber doch niemals das selbe. Wir hören Melodien, wir nehmen Pausen und Betonungen wahr... usw. aber dennoch wird Bach niemals für alle das selbe sein. Da hat jeder ein eigenes Bild.
Das ruft nach einer wichtigen Unterscheidung!
Zuerst einmal müssen wir uns darauf einigen, ob wir von einem bestimmten Tisch reden, also alle vom gleichen Tisch, oder einfach vom dem Tisch.
Wenn wir einfach von Tischen reden, dann ist das Wort Tisch ein Universale. Wenn wir von einem bestimmten Tisch reden, dann ist es partikulär. Dieser bestimmte Tisch und kein anderer.



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Jörn Budesheim
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Mi 26. Okt 2022, 14:33

Ottington hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 14:03
Eine gemeinsame Sprache setzt nicht voraus und bringt auch nicht mit sich, dass wir uns zu 100% das selbe denken, wenn wir den Begriff "Tisch" hören. Bei dir klingt das nach einem entweder wir haben den selben Begriff oder Sprache ist nicht möglich. Und das halte ich für falsch.
Das setze ich nicht voraus. Und ich schreibe auch nichts in der Art. Was ich schreibe, ist folgendes: Zwei (oder mehr) Personen können nicht über etwas sprechen (den Tisch in diesem Fall), wenn das, worüber sie sprechen, ihnen dadurch verborgen ist, dass es sich im je anderen befindet. Wenn der Tisch die Erscheinung ist, die in dir ist, wie du geltend machst, dann kann darauf niemand außer dir zugreifen. Ein Gespräch darüber ist dann unmöglich.




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Mi 26. Okt 2022, 14:36

Reicht es nicht aus, wenn klar ist, um welchen konkreten Gegenstand es geht?
Wo wer das Bild von diesem Gegenstand hat ist doch eigentlich egal?
Solange man das Gefühl hat, man redet vom Gleichen?



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Mi 26. Okt 2022, 14:49

AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 14:36
Reicht es nicht aus, wenn klar ist, um welchen konkreten Gegenstand es geht?
Aber für Ottington ist der konkrete Gegenstand ja eine Erscheinung in ihm selbst. Dadurch wird aus einem öffentlichen Gegenstand plötzlich ein privater.

Aber natürlich hast du recht: Es reicht, wenn klar ist, um welchen konkreten Gegenstand es geht. Denn der Gegenstand selbst (und nicht etwa eine innere Erscheinung) steht im Fokus, wenn wir über ihn sprechen.




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Nauplios
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Mi 26. Okt 2022, 15:25

"Wenn wir Musik hören ..."

Ich meine, daß mit dieser Formulierung schon eine gewisse Vorentscheidung gefallen ist. Wir sagen ja nicht: "Ich höre eine Schallwelle, Sinus 440 Hz, danach .... " Wir sagen vielmehr: "Ich höre eine Melodie" und gegebenenfalls können wir diese Melodie, nachdem wir sie ein paarmal gehört haben, summen, singen ... Wenn wir Beethovens "Pastorale" hören, dann hören wir - in unterschiedlichen Schattierungen und Nuancen - das Landleben, die Natur, das Gewittergrummeln in den Celli und Kontrabässen, Sturm, das Rauschen eines Bachs, Vogelrufe in der Flöte, der Oboe und der Klarinette ... (Ob das "Landleben" heute noch so klingt wie 1808 sei mal dahingestellt.)

Wir malen uns das akustische Bild unterschiedlich aus, nach individuellen Vorstellungen; aber niemand würde sagen: "Also ich höre eine vielbefahrene Autobahn" ..."Ich höre das Geräusch einer Kreissäge"

Warum hören wir "Natur" und "Landleben"? Liegt das in dem spezifischen Schallwellen-Bereich begründet? - Warum hören wir einen Kuckuck in der Klarinette? (Bei Beethoven eine große Terz, später bei Mahler sogar eine Quarte: unterschiedliche Intervalle und dennoch "erkennbar")

Sind es eventuelle - um das Wort "Konstruktionen" zu vermeiden - Leistungen des Bewußtseins, die bei der Konstitution dessen, was wir mit Beethoven die "Pastorale" nennen, buchstäblich "am Werk" sind? - Oder anders gefragt: ist das Hören der "Pastorale" über die Inanspruchnahme solcher Leistungen des Bewußtseins nicht die Voraussetzung dafür, daß überhaupt von "Landleben", "Natur" u.ä. die Rede sein kann?
Zuletzt geändert von Nauplios am Mi 26. Okt 2022, 15:26, insgesamt 1-mal geändert.




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Mi 26. Okt 2022, 15:26

Wie hoch ist eigentlich der "Wirklichkeitsgrad", wenn wir einen Tisch sehen?
Könnte man sagen, wir sehen den Tisch zu 90% so wie er wirklich ist und 10% entgeht unserem Wissen über den Tisch?



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Mi 26. Okt 2022, 15:31

Nauplios hat geschrieben :
Mi 26. Okt 2022, 15:25
Sind es eventuelle - um das Wort "Konstruktionen" zu vermeiden - Leistungen des Bewußtseins, die bei der Konstitution dessen, was wir mit Beethoven die "Pastorale" nennen, buchstäblich "am Werk" sind? - Oder anders gefragt: ist das Hören der "Pastorale" über die Inanspruchnahme solcher Leistungen des Bewußtseins nicht die Voraussetzung dafür, daß überhaupt von "Landleben", "Natur" u.ä. die Rede sein kann?
Mir ist sofort dieser Gedanke gekommen.
Es kommt doch sehr darauf an, wie aufmerksam wir zuhören.
Ein fitter Mensch und ein Alkoholiker hören die "Pastorale". Der fitte Mensch hat vielleicht eine große Erkenntnis nach der anderen während er sie hört, der Alkoholiker hört sozusagen nichts, bzw. die Musik löst in ihm nichts aus, weil er sich nicht spürt.

Ich denke, beim Musik-Hören, darf man die Psyche (die Seele) mit ins Spiel bringen.



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