Erscheinung und Wirklichkeit

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
Salutitutti
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 09:24
Die Biene ist sensibel für Ausschnitte der Wirklichkeit, die wir nicht wahrnehmen können. Daraus folgt meines Erachtens nicht, dass zwischen uns und der Wirklichkeit Repräsentationen stehen.

Ich glaube, dass die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenwelt oft in die Irre führt.
Wir müssen nicht um jeden Preis einen Konsens finden, aber ich möchte schon herausfinden, warum bei mir Repräsentationen wirklich sind und bei dir gar nicht vorkommen :-)

Wenn wir übereinstimmen, dass die Biene Ausschnitte der Wirklichkeit wahrnimmt, die wir nicht wahrnehmen, und nach den Gründen fragen, dürfte die Antwort lauten: Weil sie einen anders aufgebauten Sinnesapparat hat (wie und durch was genau sich die menschlichen Augen von den Bienenaugen unterscheiden, kann ich ohne Recherche nicht sagen. Aber ich gehe davon aus, dass es einen Unterschied gibt im Sinnesapparat). Nach meinem Verständnis bedeutet Repräsentation nicht, dass es einen "Film" oder eine Art "virtuelle Innendarstellung des Aussen" gibt, die getrennt wäre von den Dingen. Für mich heisst Repräsentation, dass sich die Welt in den Bienenaugen und in den Menschenaugen von einer anderen Seite präsentiert. Dass wir Repräsentationen der Welt in den jeweiligen Augen der Betrachter sehen, bedeutet für mich nicht, dass ich mir die Welt "einbilden" muss, sozusagen ein Bild von ihr in mir erzeugen muss und ich dann dieses Bild sehe. Das wäre ja so, als würde ich eine VR-Brille tragen :-) Sofern wir direkt mit dem Auge sehen, was dort steht, können wir getrost sagen, dass es sich um einen direkten Realismus handelt.




Timberlake
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Sa 23. Mär 2024, 20:41

Salutitutti hat geschrieben :
Fr 22. Mär 2024, 21:18

Zu Punkt 3: Problematisch wird es, wenn wir behaupten, dass es die Welt nicht gibt. :-) Sehr kontraintuitiv.
Ich denke mal , dass es dabei bei Markus Gabriel um die Betonung geht .. DIE! .. Welt gibts es nicht und zwar im Hinblick auf das Münchhausen-Trilemma. Jede Aussage, die begründet das es die Welt gIbt , muss wiederum begründet werden. Dies führt in einen „unendlichen Regress“.
Zuletzt geändert von Timberlake am Sa 23. Mär 2024, 20:49, insgesamt 2-mal geändert.




Salutitutti
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Sa 23. Mär 2024, 20:47

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 11:53
Salutitutti hat geschrieben :
Fr 22. Mär 2024, 17:56
Du nennst es Ursache, ich nenne es Bezugsobjekt.
Hier würde ich Zweifel anmelden, ob das wirklich dasselbe ist. Statt Bezugsobjekt würde ich sagen: intentionaler Gegenstand, also der Gegenstand der Wahrnehmung. Und das scheint mir eher eine logische Struktur zu sein, bei der beantwortet wird, was ich wahrnehme. Dass diese Struktur irgendwie auch kausal verwirklicht wird, keiner weiß genau wie, ist vermutlich so. Aber das ist eben nicht nur kausal. "Etwas als etwas" zu erkennen, ist meines Erachtens nicht bloß ein kausales Geschehen, sondern gehört zum Logos. Schließlich haben wir hier auch einen normativen Aspekt. Man kann ja "etwas als etwas" zu erkennen meinen, aber sich irren.
Wow, ein cooler Gedanke.

Im Wahrnehmen steckt tatsächlich Logos drin. Wahrheit ist ein logisches Datum und sofern wir wahrnehmen, suchen wir nach Wahrheit. Wahrnehmung als ein Gerichtetsein des Bewusstseins auf potenziell alle wahren Urteile da draussen. Und Intentionalobjekt gefällt mir deshalb, weil es irgendwie wriklich so zu sein scheint, dass wir die Welt ständig befragen würden mit der Absicht (Intention?), die Wahrheit zu erkennen. Wir wollen uns in der Regel nicht täuschen beim Wahrnehnen (ausser vielleicht im Spiegelkabinett) wir wollen tatsächlich wahre Urteile fällen können.

So gesehen unterschreibe ich, dass Ursache und Referenzobjekt nicht gleichzusetzen sind. Mit einem guten Schuss "principle of charity" versteht sich aber, was mit Ursache gemeint ist: dass es dort (hier und dort) etwas geben muss. das die Intentionlität "irritiert" resp. anregt. Durch nichts kommt keine Wahrnehnung zustande (weil nichts über nichts wahr ist?)




Salutitutti
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Sa 23. Mär 2024, 21:03

Timberlake hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 20:41
Salutitutti hat geschrieben :
Fr 22. Mär 2024, 21:18

Zu Punkt 3: Problematisch wird es, wenn wir behaupten, dass es die Welt nicht gibt. :-) Sehr kontraintuitiv.
Ich denke mal , dass es dabei bei Markus Gabriel um die Betonung geht .. DIE! .. Welt gibts es nicht.
Ja, die Betonung liegt bei Gabriel auf dieser Gesamtsicht DIE. Nach ihm gibt es die Welt in diesem Sinne, wie wir sie von Anbeginn verstanden haben als Ganzheit nicht. Aber wir gehen und atmen. Die Fische schwimmen im See und die Sonne scheint. Es ist für uns nichts selbstverständlicher als "in der Welt" zu sein und daher völlig kontraintuitiv zu denken, es gebe sie nicht. Es ist doch dann nicht unredlich, wenn wir verlangen, dass wir den Weltbegriff modernisieren, anstatt ihn zu negieren? Anstatt Welt so zu verstehen, dass sie eine Gesamtheit oder Ganzheit meint, könnten wir (und mit uns Markus Gabriel) festhalten: Die (klein geschrieben) Welt seien nicht-abgeschlossene, hyperkomplexe logische Strukturen, die aufeinander verweisen können, jedoch nicht zwingend müssen.

Bei solch' losen Systemen (los im Sinne von losgelöst von einem allganzheitlichen Prinzip) von Welt zu sprechen bedeutet eine Umformung des Weltbegriffs. Ich würde lieber nach wie vor sagen können, dass ich in der Welt bin und lebe, als mich jedesmal insgeheim leicht dafür zu schämen, dass ich einen logischen Fehler begangen habe, wenn ich es sage.

Die Welt muss es geben, ganz notwendig weil nicht nichts ist.




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Sa 23. Mär 2024, 21:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 12:37
Gelb ist ein grundlegender Begriff, tiefer geht es nicht. Man kann diesen Begriff nicht durch etwas Anderes ersetzen, zum Beispiel, wie es manchmal versucht wird, durch die Wellenlänge des Lichts. Die Banane ist gelb. Das ist etwas reales. Präziser kann ich das nicht ausdrücken. Wir verfügen in der Regel über die geeigneten Rezeptoren, um diese Eigenschaft der Banane selbst wahrzunehmen. Wir produzieren diese Eigenschaft nicht, wir nehmen sie wahr, sie ist völlig real.
Kannst Du mir bitte erklären, was für Dich der Begriff "Wahrnehmung" bedeutet? Wie verstehst Du in diesem Zusammenhang Objekt, Auge, Reiz, Sinneseindruck/Anschauung?




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Sa 23. Mär 2024, 21:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 12:37
Die Banane ist gelb. Das ist etwas reales.

...diese Eigenschaft der Banane...
Darf ich kurz dazwischenfragen: Wenn die Banane gelb ist, sie diese Eigenschaft hat, ein anderer Rezeptor (nochmal unsere Biene) aber nicht gelb wahrnimmt, sondern etwas anderes, z.B. rot, dann wäre in diesen Augen rot die Eigenschaft der Banane. Korrekt? Weil auch bei der Biene ist Rot ein Grundbegriff. Bitte kurz hier mit ja oder nein antworten, damit ich weiter denken kann :-)

Weil, wenn es so ist, dass sowohl das Sehen der Banane als rot und gelb wahr ist, wird das Gelb- und Rotscheinen der Banane sowohl durch den Rezeptor bedingt (die jeweiligen Bananen-Seher) als auch durch die tatsächliche Beschaffenheit der Banane (atomare Strukturen, Moleküle, Pigmente etc.). Die Wirklichkeit des Rot und Gelb wäre dann ganz sonderbar miteinander verknüpft und fände weder hier noch dort statt. Man weiss gar nicht genau, wo?
Zuletzt geändert von Salutitutti am Sa 23. Mär 2024, 21:24, insgesamt 1-mal geändert.




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AufDerSonne
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Sa 23. Mär 2024, 21:24

Sind die verschiedenen Farben nicht ganz bestimmten Wellenlängen zugeordnet?



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Sa 23. Mär 2024, 21:26

Ja, das sind sie, aber die Farbempfindung ist an ganz bestimmte Sinnesapparate gebunden.
Sowohl das Grün- als auch das Gelbsehen der Banane hat Wahrheit in dieser Wellenlängen-Relation der Banane zum Betrachter. Und irgendwie scheint diese Farbrealität also nicht allein an der Banane stattzufinden, sondern wo? :-)




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Sa 23. Mär 2024, 21:42

Wer oder was sieht denn grün wo andere gelb sehen?



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Wenn du die Banane mit der Ultraviolett-Kamera erfasst, wird Gelb grünlich scheinen, weil die Apparatur nun einmal so gebaut ist.
Ein gelber Kristall scheint hier vielleicht gelb-grün, obwohl er in unseren Augen satt-gelb ist.

Gestehen wir dieser Apparatur Bewusstsein und ein Farbempfinden zu, dürften wir da sagen, dass unsere Wahrnehmung realer ist als ihre? Ich denke, wir dürften das nicht. Wenn aber die Eigenschaften des Kristalls machen, dass er einmal satt-gelb und einmal gelb-grün scheint, kann dies keine subjektive Wahrnehmung einer Eigenschaft sein, sondern doch eine objektive Relation. Die Kamera ist so gebaut und "empfindet" das genau so. Es ist real und keine verzerrte Wahrnehmung?




Timberlake
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Sa 23. Mär 2024, 22:59

Salutitutti hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 21:03


Ja, die Betonung liegt bei Gabriel auf dieser Gesamtsicht DIE. Nach ihm gibt es die Welt in diesem Sinne, wie wir sie von Anbeginn verstanden haben als Ganzheit nicht. Aber wir gehen und atmen. Die Fische schwimmen im See und die Sonne scheint. Es ist für uns nichts selbstverständlicher als "in der Welt" zu sein und daher völlig kontraintuitiv zu denken, es gebe sie nicht.
Richtig .. ganz so , wie im "Sinne" des griechischen Philosophen Zenon von Elea Achilles die Schildkröte in einem Wettlauf niemals überholen wird. Gleichwohl für uns auch das, wie die Fische die im See schwimmen und das die Sonne scheint, das Selbstverständlichste von der "Welt" ist . Nur mit dem Unterschied , dass Markus Gabriel aus einem solchen völlig kontraintuitiv zu denkenden Seinszustand , eine kontraintuitive Philosophie gestrickt hat und diese als solches zu dem sehr erfolgreich an den Mann bzw. an die Frau zu bringen wusste. Ich habe das übrigens andernorts deshalb einmal als Jahrmarktsbuden Philosophie bezeichnet. Eine Philosophie, die auf Erscheinung anstatt auf Wirklichkeit setzt, um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen und damit scheint er wohl voll im Trend zu sein ..
Zuletzt geändert von Timberlake am Sa 23. Mär 2024, 23:26, insgesamt 1-mal geändert.




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Quk
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Sa 23. Mär 2024, 23:26

Es gibt noch weitere Möglichkeiten, die Farbeigenschaft der Banane beobachtungsspezifisch zu verändern:

1. Beleuchte sie vorn mit blauem Licht, hinten mit weißem. Wer ihr Hinterteil sieht, nimmt gelb wahr; wer ihr Vorderteil sieht, nimmt schwarz wahr.

2. Bewege die Banane mit sehr hoher Geschwindigkeit von Betrachter A weg, auf Betrachter B zu. A wird rot wahrnehmen, B wird grün wahrnehmen.

In Fall 1 kann man die Lampen und die Banane zu einem Ding names Lampane zusammenfassen und sagen, das ganze bunte Beleuchtungssystem ist eine Eigenschaft der Lampane und nicht der Betrachter. Auf diese Weise kann man dem Betrachter die Subjektivität entziehen und behaupten, die komplette Angelegenheit sei objektiv.

In Fall 2 kann man das gleiche tun, aber da wird es schwieriger, weil Bewegung ins Spiel kommt. Hier ist es nicht mehr möglich, diejenige Bewegung, welche die Farbwahrnehmung beeinflusst, allein der Banane zuzuschreiben, denn gleiches passiert, wenn A oder B sich bewegen während die Banane stehen bleibt. Es kommt nur auf die Näherungsrate an. Das ist Physik, und hier berühren sich tatsächlich das physikalisch Relative und das epistemologisch Relative. An diesem Punkt sehe ich keine Chance, die beiden Relativen künstlich fachspezifisch zu separieren.

Falls die Sache mit dem Licht zu aufwendig ist: Man kann auch eine Kirchturmglocke nehmen und zwei Fahrradfahrende; wer von der Glocke wegfährt, hört einen tieferen Ton und ein andere Klangfarbe als der in Gegenrichtung Fahrende. Wenn diese unendliche Bandbreite der Klangeigenschaften vollständig der Glocke zugeschrieben werden soll und zu null Anteilen den Hörenden, dann beinhaltet das Ding namens Glocke quasi die ganze Welt mitsamt seinen Hörenden. Das ergibt meiner Auffassung nach keinen Sinn; das ist nur eine Begriffsverschiebung.

Außerdem haben sinnliche Lebewesen ein Gedächtnis, wo sie qualitative Erlebnisse abspeichern und abrufen, wenn sie neue Eindrücke vergleichen und so weiter. Die abgespeicherte Qualität bleibt eine Qualität; sie wird nicht in Zahlen konvertiert oder so. Das Gelb ist dann im Gedächtnis. Die Gelbqualität ist dann, poetisch gesagt, im Kopfkino und nicht in der Banane.


P.S.: Salutitutti hat das alles bereits beschrieben, glaube ich, und ich habs hier nur wiederholt :-)
Zuletzt geändert von Quk am Sa 23. Mär 2024, 23:39, insgesamt 1-mal geändert.




Timberlake
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Sa 23. Mär 2024, 23:38

Quk hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 23:26
Es gibt noch weitere Möglichkeiten, die Farbeigenschaft der Banane beobachtungsspezifisch zu verändern:

1. Beleuchte sie vorn mit blauem Licht, hinten mit weißem. Wer ihr Hinterteil sieht, nimmt gelb wahr; wer ihr Vorderteil sieht, nimmt schwarz wahr.

2. Bewege die Banane mit sehr hoher Geschwindigkeit von Betrachter A weg, auf Betrachter B zu. A wird rot wahrnehmen, B wird grün wahrnehmen.

Das uns die Banane unter diesen Umständen anders "erscheint" als sie "wirklich" ist , ist reine Physik . Wo hier schon mal von "beobachtungsspezifisch" die Rede ist , Interessant wird diese Physik allerdings , wenn man weiß , dass die Lichtgeschwindigkeit überall gleich ist. Das , wenn man sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt und jemand mit Lichtgeschwindiglkeit entgegen kommt, beide sich etwa nicht mit doppelter Lichtgeschwindigkeit annähern , so wie man es eigentlich vom normalen logischen Menschenverstand annehmen würde , sondern nur mit einfacher Lichtgeschwindigkeit. Noch verrückter wird das Ganze dadurch , dass es nichts schnelleres gibt als das Licht. Wenn man sich also mit Lichtgeschwindigkeit bewegt , so kann man sich grundsätzlich nicht schneller bewegen. Es addieren sich die Geschwindigkeiten also nicht , wenn ich mich in einem Raumschiff , dass sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt , in Bewegungsrichtung nach vorne bewege . Gleichwohl kann ich das. Ich kann mich nach vorne bewegen. Da ist keine unsichtbare Mauer gegen die ich stoße.

Nur um dieser Stelle einmal auch den Unterschied , des im Beitrag 75759 erwähnten "kontraintuitiv zu denkenden Seinszustand" , deutlich zu machen.
Salutitutti hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 21:03


Ja, die Betonung liegt bei Gabriel auf dieser Gesamtsicht DIE. Nach ihm gibt es die Welt in diesem Sinne, wie wir sie von Anbeginn verstanden haben als Ganzheit nicht. Aber wir gehen und atmen. Die Fische schwimmen im See und die Sonne scheint. Es ist für uns nichts selbstverständlicher als "in der Welt" zu sein und daher völlig kontraintuitiv zu denken, es gebe sie nicht.
Denn all das ist so .. "wirklich" .. , wie das Fische im See schwimmen und die Sonne scheint. Auch wenn es uns alles andere , als selbstverständlich .. "erscheint". Zur Lösung dessen muss man also völlig kontraintuitiv denken und Einstein konnte das ..... bekanntermaßen.




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Jörn Budesheim
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So 24. Mär 2024, 07:55

Salutitutti hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 21:22
Darf ich kurz dazwischenfragen: Wenn die Banane gelb ist, sie diese Eigenschaft hat, ein anderer Rezeptor (nochmal unsere Biene) aber nicht gelb wahrnimmt, sondern etwas anderes, z.B. rot, dann wäre in diesen Augen rot die Eigenschaft der Banane. Korrekt? Weil auch bei der Biene ist Rot ein Grundbegriff. Bitte kurz hier mit ja oder nein antworten, damit ich weiter denken kann :-)
Salutitutti hat geschrieben :
Fr 22. Mär 2024, 20:38
Bei unseren Gedankenexperimenten tun wir gerne so, als wären wir nicht wir...
Mit einem kurzen Ja oder Nein kann ich im Moment nicht dienen, ich gebe zwei oder drei Zeilen mehr, wenn ich darf. Dabei versuche ich nicht so zu tun, als wären wir nicht die Tiere, die wir sind :) das gleiche gilt natürlich für die anderen Tiere.

Die meisten Säugetiere haben zwei Zapfen für Blau und Grün. Bei Primaten, einschließlich des Menschen, hat sich jedoch im Laufe der Evolution ein dritter Zapfen für warme Rot- und Gelbtöne entwickelt, vermutlich, "um" reife Früchte besser erkennen zu können. "Die Evolution" hat das Farbsehen gut an die jeweiligen Bedürfnisse und Umgebungen angepasst. Das heißt, nicht alle Tiere können erkennen, dass die Banane gelb ist. Für manche ist die Farbe der Banane auch gar nicht von Belang.

Mit drei Zapfen können wir Menschen alle Farben des Regenbogens sehen, aber die Natur bietet viel mehr Farben, als wir erkennen können. Welche der vielen Farben wir Lebewesen sehen können, hängt von unserer Registratur ab. Viele Tiere sehen Farben. Und viele können sie sogar besser unterscheiden als wir Menschen. Zum Beispiel können Bienen ultraviolettes Licht sehen, was ihnen hilft, Blumen zu finden, auch wenn sie die Farbe Rot nicht erkennen können, wie man lesen kann (hier).

Welche Farben wir aus der Fülle der Farben sehen können, hängt also auf den ersten Blick in gewisser Weise von uns ab, nämlich von den Zapfen, die wir haben. Wobei das natürlich nicht ganz stimmt, denn genauer gesagt, hängt es von unserem Platz in der Wirklichkeit ab, es ist eine Wechselwirkung, ich habe es oben eine Relation genannt. Wir betrachten die Wirklichkeit nicht von außen, wir sind mittendrin.

Das Rotsehen hat sich entwickelt, weil wir so die reifen Früchte besser erkennen können. Dass wir die Farbe der reifen Früchte sehen können, ist ein großer evolutionärer Vorteil. Bienen scheinen nicht so gut in Rot zu sein, aber sie können andere Aspekte der Realität wahrnehmen, die uns verborgen sind, z.B. ultraviolettes Licht, weil die zerstörerische Kraft dieses Lichts für sie aufgrund ihrer kürzeren Lebensdauer nicht die Relevanz hat, die sie für uns hat. Das ist immer noch nicht ganz richtig, denn auch die Farben der Pflanzen haben sich evolutionär entwickelt, weil es eben von Vor- bzw Nachteil sein kann, sichtbar zu sein, auch hier ein Wechselspiel.
Salutitutti hat geschrieben :
Fr 22. Mär 2024, 17:56
Der Gegenstand "Tisch" ist eben nicht primär ein Atomding, sondern ein Möbelstück. Und das Objekt "Atomhaufen" ist eben nicht a priori ein Tisch, weil es alles sein könnte, was man aus Atomen basteln kann. Und ich meine, dass diese Existenzen des Gegenstandes, einmal als Tisch, einmal als Atomhaufen, gleichberechtigt sind, weil sie wahre Aussagen über den Gegenstand ermöglichen.
Dieses Zitat möchte ich noch einmal für den Kontext der Farben aufgreifen. Ich bin kein metaphysischer Realist. Das heißt, ich glaube nicht, dass es sozusagen nur eine Wahrheit über die Wirklichkeit gibt (Tisch oder "Atomhaufen"), weil die Wirklichkeit kein einheitlicher Bereich ist. (Das ist nur ein anderer Ausdruck dafür, dass es die Welt nicht gibt.) Es ist also sowohl wahr, dass der Tisch ein "Atomhaufen" ist, als auch, dass er ein Möbelstück ist. Das schließt sich nicht aus, weil wir von zwei verschiedenen, aber natürlich nicht getrennten Bereichen sprechen.

Ähnliches würde ich für das Farbensehen von Bienen und Menschen sagen. Das bezieht sich auf deine Frage, ob unser Farbsehen wahrer ist, als das der Bienen. Dieser Ansicht bin ich natürlich nicht.

Die Bienen leben in einem anderen Realitätsbereich als wir, auch wenn sich diese Bereiche natürlich sehr stark überschneiden können. Sie sehen etwas anderes, andere Aspekte der Wirklichkeit, weil für sie andere Dinge relevant sind. Wir haben es hier also mit einem etwas anderen Verhältnis des Lebewesens zu seiner Umwelt zu tun. Das ist meines Erachtens ein Punkt, den man nicht einfach ignorieren kann, wir sollten nicht so tun, als wären wir nicht wir. Für die Bienen sind andere Dinge wichtig als für uns, und deshalb sehen sie andere Bereiche als wir. Das ist natürlich nicht vollständig der Fall, das heißt, wir leben nicht in vollständig getrennten Sphären, denn wenn ich im Sommer im Schrebergarten am Tisch sitze, dann kann sich die Biene - genauso wie ich - auf die reifen Früchte auf dem Tisch beziehen, wir können also in einem gewissen Sinn triangulieren, um diesen Begriff aufzugreifen, auch wenn für sie das Rot nicht ins Auge fallen kann, so wie für mich das Ultraviolett nicht sichtbar ist.




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So 24. Mär 2024, 07:56

Salutitutti hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 19:51
Burkart hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 09:44
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 09:37
Komplexität ist eine inhärente Eigenschaft vieler Dinge, die Gegenstand der Naturwissenschaften sind.

Werte sind so real wie irgendetwas und natürlich ebenso objektiv. Die Tatsache, dass Menschen unterschiedliche Interessen haben, spricht gerade dafür und nicht dagegen.
Was ist an einem Wert real bzw. objektiv, wenn er gilt oder eben auch nicht? Ist z.B. "Spinat ist sehr gesund" ein realer Wert oder nicht? Oder "Süßigkeiten sind sehr gesund"?
Der Werterealismus muss angeben können, was richtiges und falsches Handeln in moralischem Zusammenhang ist. Nun gilt aber doch ganz objektiv, dass du nicht eingesperrt und gequält werden willst. Sofern das gilt, gilt auch, dass ich mich danach zu richten habe und es unterlassen soll, dich zu quälen.
Dann ist aber die Frage, was mit "Werte" gemeint ist. Geht es nur um relativ klare, um halbwegs real/objektv sein zu können, oder doch um alle möglichen Werte entsprechend auch meinen Beispielen?
Wer die Menschenwürde verletzt, irrt objektiv.
Zählt da auch sowas wie "kulturelle Aneignung" dazu? Früher schien so etwas nie gestört haben, z.B. ein Indianer-Kostüm, nun schon.
Wie kann etwas objektiv sein, wenn es mal so, mal anders ist bzw. gesehen wird? Naturgesetze ändern sich dagegen nicht.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Quk
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So 24. Mär 2024, 09:36

Timberlake hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 20:41
Salutitutti hat geschrieben :
Fr 22. Mär 2024, 21:18

Zu Punkt 3: Problematisch wird es, wenn wir behaupten, dass es die Welt nicht gibt. :-) Sehr kontraintuitiv.
Ich denke mal , dass es dabei bei Markus Gabriel um die Betonung geht .. DIE! .. Welt gibts es nicht ...
Anstatt von einer nichtpauschalen, multiplen Welt zu sprechen, halte ich es für sinnvoller, von nichtpauschalen, multiplen Ansichten zu sprechen. Für mich steht der Begriff Welt für alles, was ist. Dazu gehören auch verschiedene Blickwinkel aus verschiedenen Positionen auf verschiedene Sachen. Das alles ist in dieser einen Welt. Ich kann mich noch erinnern, als Gabriel vor etwa 10 Jahren in mehreren TV-Sendungen auftrat und ausrief: "Die Welt gibt es nicht!" In meinen Augen war dieser Spruch nur ein Werbetrick, um Aufmerksamkeit für seine Bücher und sich selbst zu generieren. Alle fragten: "Aber wie kann das sein, während wir hier miteinander reden?" Und Gabriel ging nie direkt darauf ein, sondern sprach indirekt immer nur über verschiedene Ansichten. Diese Sprechtaktik wirkte auf mich nicht besonders sympathisch.




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Jörn Budesheim
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So 24. Mär 2024, 09:41

Noch eine kurze allgemeine Bemerkung. Der Name Markus Gabriel ist schon mehrfach gefallen. Er grenzt sich philosophisch ab gegen das, was er den "alten Realismus" nennt, und darüber hinaus gegen den Konstruktivismus, einen Antirealismus. Er hat das auf eine sehr griffige Formel gebracht, die vielleicht etwas holzschnittartig klingt, aber sehr aussagekräftig ist: Beim "alten Realismus" geht es um eine "Welt ohne Betrachter", beim Konstruktivismus dagegen um einen "Betrachter ohne Welt".

Diese Unterscheidung ist für viele philosophische Diskussionen von großer Bedeutung. Hält man sich an den alten metaphysischen Realismus, wie ich ihn oben genannt habe, dann ist alles Subjektive "bloß subjektiv". Die Möglichkeit, dass das Subjektive zugleich objektiv sein könnte, ist in dieser Sicht der Dinge prinzipiell ausgeschlossen. Der Goldstandard für diese - meines Erachtens abwegige - Sicht der Dinge ist die Formulierung von der beobachterunabhängigen Wirklichkeit (der Welt ohne Beobachter). Der Preis, den man dafür in der Regel zahlen muss, ist, dass es nicht gelingt, den Beobachter, also uns und die anderen Lebewesen, vollgültig in das metaphysische Bild - die Welt ohne Beobachter - einzufügen, denn wie sollte auch das Bewusstsein zur bewusstseinsunabhängigen Wirklichkeit gehören.

Die reale Welt ist in dieser Sicht die "Außenwelt", alles andere wird in die sogenannte Innenwelt gepackt und ist "bloß subjektiv". In der Zukunft, wenn die Wissenschaft ihr Ziel erreicht hat, wird sie zeigen können, dass diese Innenwelt ein auf die Außenwelt reduzierbarer Teil der Außenwelt ist.

Ich glaube dagegen, dass die Wirklichkeit viel vielfältiger ist. In ihr gibt es Leben! Sie ist also voller normativer Strukturen. Sie enthält Beziehungen, Vektoren, Aspekte, Perspektiven, Arten des Gegebenseins ganz eigener Art... Das sind meiner Meinung nach Tatsachen, die man nicht los wird, indem man versucht, sie in den Kopf zu packen. Im physikalischen Weltbild gibt es keine Farben, weil alles Qualitative ausgeschlossen ist. Aber diese Sicht der Dinge ist meiner Meinung nach nicht vollständig. Manche Lebewesen sind bunt und schön, um sichtbar zu sein. Andere wiederum tarnen sich, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Diese Welt ist real, und in ihr strahlen die Blumen die Bienen an. Diese Wirklichkeit kann nicht unabhängig von der physischen Wirklichkeit existieren, das mag sein, aber ihre Strukturen können nicht aus der bunten Wirklichkeit eliminiert werden. Deshalb ist die Banane krumm ;)




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Burkart hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 07:56
Zählt da auch sowas wie "kulturelle Aneignung" dazu? Früher schien so etwas nie gestört haben, z.B. ein Indianer-Kostüm, nun schon.
Wie kann etwas objektiv sein, wenn es mal so, mal anders ist bzw. gesehen wird? Naturgesetze ändern sich dagegen nicht.
Wie kann etwas objektiv sein, wenn es einmal so und einmal anders gesehen wird? Wie kann z.B. die Naturwissenschaft objektiv sein, wenn sie früher glaubte, die Erde stehe im Mittelpunkt des Universums, und diese Ansicht heute gründlich revidiert hat? Wie kann die Naturwissenschaft objektiv sein, wenn sie die Dinge mal so, z.B. klassisch newtonsch, und mal so, z.B. quantenmechanisch, sieht? Wie kann die Naturwissenschaft objektiv sein, wenn sie einmal den Äther postuliert und dann wieder behauptet, es gäbe ihn nicht?

Meines Erachtens muss man es genau umgekehrt sehen: Die Tatsache, dass wir uns irren können, ist Teil der Objektivität.




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Jörn Budesheim
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Michael7Nigl hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 21:10
Kannst Du mir bitte erklären, was für Dich der Begriff "Wahrnehmung" bedeutet? Wie verstehst Du in diesem Zusammenhang Objekt, Auge, Reiz, Sinneseindruck/Anschauung?
Unsere Wahrnehmungen bringen uns (fallibel) in Kontakt mit den Gegenständen der Wirklichkeit. Mit dem Begriff “Gegenstand” sind nicht nur raum-zeitliche Dinge gemeint, sondern alles, worüber man wahrheitsfähige Ansichten haben kann, zum Beispiel: Autos, Büroeinrichtungen, Diebstähle, Zahlen, Tische und gelbe Bananen.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 10:00
Burkart hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 07:56
Zählt da auch sowas wie "kulturelle Aneignung" dazu? Früher schien so etwas nie gestört haben, z.B. ein Indianer-Kostüm, nun schon.
Wie kann etwas objektiv sein, wenn es mal so, mal anders ist bzw. gesehen wird? Naturgesetze ändern sich dagegen nicht.
Wie kann etwas objektiv sein, wenn es einmal so und einmal anders gesehen wird? Wie kann z.B. die Naturwissenschaft objektiv sein, wenn sie früher glaubte, die Erde stehe im Mittelpunkt des Universums, und diese Ansicht heute gründlich revidiert hat?
In der Naturwissenschaft wurde dann etwas korrigiert, was eindeutig falsch war. Das ist etwas anderes als "mal so, mal so", was auch wieder in die andere Richtung gehen kann. Die Erde als Mittelpunkt des Universums anzusehen wird naturwissenschaftlich dagegen nie wieder anerkannt werden.
Wie kann die Naturwissenschaft objektiv sein, wenn sie die Dinge mal so, z.B. klassisch newtonsch, und mal so, z.B. quantenmechanisch, sieht?
Das ist eine Frage, wie genau bzw. auf welcher Ebene man etwas betrachtet.
Wie kann die Naturwissenschaft objektiv sein, wenn sie einmal den Äther postuliert und dann wieder behauptet, es gäbe ihn nicht?
Siehe oben zu Fehlerkorrektur. (Daneben war der Äther ja nur ein Modell für irgendeine Erklärung.)
Meines Erachtens muss man es genau umgekehrt sehen: Die Tatsache, dass wir uns irren können, ist Teil der Objektivität.
Dass man irren kann, ist objektiv richtig. Aber etwas (und wenn auch nur teilweises) Falsches kann nicht objektiv völlig richtig sein (wobei wir von einem, dem heutigen Wissens-Zeitpunkt ausgehen).



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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