Descartes Methodischer Zweifel

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
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evariaa
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Mo 16. Jan 2023, 20:49

Im Rahmen meiner ersten Hausarbeit im Philosophie Studium soll ich bewerten, inwiefern Descartes methodischer Zweifel aussichtsreich ist. Es geht also nicht um das Ergebnis (Cogito, Gottesbeweise) sondern um die Methodik des Zweifelns. Ich frage mich, ob der Zweifel überhaupt angebracht ist. Schließlich lässt sich sein erkenntnistheoretisches Ziel, Wissen zu erlangen, auch deutlich einfacher erlangen.
Was ist eure Meinung zu dem Thema?
Liebe Grüße




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Jörn Budesheim
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Di 17. Jan 2023, 08:54

Descartes war wohl auf einen sicheren Grund aus. Etwas, was jedem Zweifel standhält. Ich finde diese Methode des systematischen Zweifels abwegig. Zweifel muss meines Erachtens begründet sein. Eine rein "logische Möglichkeit" (es könnte doch sein ...) ist hingegen kein guter Grund für einen Zweifel, finde ich.




Körper
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Di 17. Jan 2023, 13:48

evariaa hat geschrieben :
Mo 16. Jan 2023, 20:49
Im Rahmen meiner ersten Hausarbeit im Philosophie Studium soll ich bewerten, inwiefern Descartes methodischer Zweifel aussichtsreich ist.
Zweifel als umfassende Methode anzusehen, bringt Probleme mit sich:

1.
Zweifel kann immer nur auf einen Sachverhalt angewandt werden, d.h. man erkennt das Vorliegen des Sachverhaltes zuerst einmal ganz ohne Zweifel an.
Sieht man das Erkennen des Sachverhaltes aber auch als Wissen an, dann benötigt der Zweifel quasi eine Wissensmethodik, die nicht aus dem Zweifel kommt.
Um mit Zweifel überhaupt anfangen zu können, verwendet man bereits eine andere Wissensquelle.
=> Zweifel ist damit immer nur der zweite Schritt.

2.
Um zweifeln zu können, muss eine prinzipielle Unabhängigkeit des Zweifelnden zum Sachverhalt vorliegen.
Falls der Zweifelnde gar nicht am Sachverhalt zweifeln kann, dann ist das Ergebnis "ich kann nicht daran zweifeln" keine Grundlage für die Behauptung "der Sachverhalt ist korrekt".
Liegt somit das Ergebnis "ich kann nicht daran zweifeln" auf dem Tisch, dann wird noch zusätzlich der Beweis der prinzipiellen Unabhängigkeit des Zweifelnden vom Sachverhalt benötigt.
Solange der Zweifelnde vom Sachverhalt gar nicht betroffen ist, ist die Unabhängigkeit trivial festzustellen.
Maximal problematisch wird es allerdings, sobald der Zweifelnde selbst als Sachverhalt herhalten soll (genau hier kommen die "Ergebnisse" von "Descartes" massiv ins Schwanken)
Das philosophische Motto "man kann sich über nichts so sicher sein, wie über das eigene Bewusstsein" hat exakt diese Schwachstelle.




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AufDerSonne
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Di 17. Jan 2023, 19:04

Wenn man an allem zweifelt, dann bleibt das übrig, woran man nicht zweifeln kann. Das macht Sinn.
Für Descartes war es die Tatsache, dass er existiert. Ich würde dem noch hinzufügen, dass auch die materiellen Gegenstände existieren.

Hallo Leute!
Was macht ihr so den ganzen Tag? Bücher lesen und schreiben? Und diskutieren?
Ich habe heute ein paar Physikaufgaben gelöst. Und jetzt höre ich gerade Jazz.



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Jörn Budesheim
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Di 17. Jan 2023, 19:19

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 17. Jan 2023, 19:04
Wenn man an allem zweifelt, dann bleibt das übrig, woran man nicht zweifeln kann.
Wie lautet deine Begründung dafür?




Nick Nickless
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Mo 23. Jan 2023, 15:34

Jörg, wenn man sich um den Zweifel nicht schert, dann hat man eben kein begründetes Wissen, wie es die Philosophie von jeher sucht, dann vermutet man nur. Dann hat man alle Schleusen geöffnet und man sich überdies jedes Leitfadens für irgendein Wissen begeben, weil eine Vermutung dann so gut ist wie die andere, - auch eine Wahrscheinlichkeit wäre dann bloß vermutet. - Natürlich muss der Zweifel begründet sein, aber nicht indem man von außen dogmatisch einen Maßstab heranträgt, was zu nichts (außer dem endlosen Regress an Begründungen) führt, sondern indem man ihn aus der Sache selbst nimmt: Immanente Kritik, Selbstkritik, Selbstbegründung durch den Zweifel, die Kritik hindurch, das ist das Thema. Du selbst hast irgendwo von der »Regel, die sich selbst gibt«, also von Selbstbegründung gesprochen; dies geht aber eben erst durch die Negation der Regel hindurch, sonst ist das Setzen, also das Negieren des ersten Negierens, ein leeres Wort, dann ist die Regel immer schon. Das ist die Idee in ihrer unendlichen Zerrissenheit, die der Inhalt auch der Kunst ist, als sinnliches Scheinen, nicht ein heiles, vom radikalen Zweifel unbeflecktes Wolkenkuckucksheim.

Eviraa, ich glaube, du machst es dir da etwas zu einfach. Was soll denn das Wissen sein, das sich so einfach erlangen lässt? Descartes würde dir schlicht erwidern: Entweder hält dieses Wissen dem meth. Zweifel nicht stand oder es basiert eben auf demselben, hat ihn in sich aufgenommen, ist durch ihn hindurchgegangen. Wie kommt denn Leibniz dazu, die in sich geschlossene Monade »ohne Fenster« zum Prinzip seiner Philosophie zu erheben? Wie kommt Kant dazu, das reine »Ich denke, das alle meine Vorstellungen muss begleiten können« zu höchsten Punkt, an den aller Verstandesgebrauch zu heften ist, zu erklären? Wie kommen Fichte und Schelling dazu, scheinbar »wie aus der Pistole geschossen« mit dem Ich als dem Prinzip des Denkens anzufangen? Wie kommt Hegel dazu, die Philosophie als sich vollbringenden Skeptizismus zu bezeichnen? Weshalb schreibt Nietzsche Aphorismen? Alle neuzeitliche Philosophie bis zum jungen Nietzsche basiert auf eben diesem Zweifel. Und auch schon Aristoteles hat immer als Erstes die Aporien seiner Vorgänger untersucht und dann erst eine Antwort darauf gegeben.

Man muss den meth. Zweifel allerdings schon richtig verstehen. Was meint denn »Zweifel«? Die Rückführung des vorgeblich Objektiven, Wahren, äußerlich Gegebenen, Tradierten, Intersubjektiven auf das rein Subjektive, Innerliche, das ego cogito. Die Reflexion in sich selbst, nicht bloß das Konfrontieren mit etwas anderem Objektiven, als gültig Vorausgesetzen. Und was heißt »methodisch«? Dass der Zweifel kein rein skeptischer Zweifel sein soll, der ins Nichts führt, und auch kein metaphysischer, der im leeren, weltlosen Ich, im Solipsismus endet, sondern ein produktiver, dass die Negation Mittel und Weg zum Positiven, Wahren, Objektiven, Seienden ist. Und dies eben nicht dadurch, dass der Zweifel auf irgendein beliebiges X stößt, bei dem er sich beruhigen kann, um dann im zweiten Schritt so dogmatisch wie eh und weiter zu dozieren, sondern dadurch, dass er sich auf sich selbst bezieht, und durch diesen Selbstbezug und seine Selbstaufhebung sich von sich abstößt zum Objektiven. Das Zweifeln/Denken selbst, indem es sich auf sich selbst bezieht, ist Sein, nicht irgendein Drittes. Deshalb kann man aber auch den kartesischen Zweifel nicht so einfach vom Cogito und den Gottesbeweisen abtrennen, weil allein dadurch die Methode ja erst ihren Zweck erfüllt, das gesuchte Resultat hat, wie auch dieses Resultat nur durch den Zweifel verständlich ist. So steht denn im Zentrum der Gottesbeweise wieder der Zweifel in Gestalt des genius malignus. Der Zweifel wendet sich nunmehr gegen das Ich und seine drohende punktuelle Leerheit. Der methodische Zweifel führt sich so durch sich selbst über in Objektivität, nicht dadurch, dass von außen ein deus ex machina auftaucht. So wie auch Leibniz es nicht bei der einsamen Monade bewenden lässt, sondern die objektive Welt aus ihr entwickeln will. Und so wie Kant, der am »Ich denke« die objektive Erscheinungswelt festmacht, weil das Ich denke allein keinen Sinn hat (also durch den Zweifel), so Fichte mit dem Schritt vom Ich zum Nicht-Ich, so Schelling, wenn er die Intelligenz in die Natur überführt, so Hegel, wenn er in seiner Logik die Subjektivität durch ihre Selbstaufhebung in die Objektivität übergehen lässt, oder wie beim Aphorismus am Ende die Pointe, die Selbstnegation oder Selbstüberwindung des Zweifels steht.

Der Zweifel und das Methodische stehen also im Verhältnis eines Gegensatzes: Die Reflexion aus der Objektivität ins Ego, in die Subjektivität, und dann wieder die Selbstnegation, die Reflexion aus dem Ich heraus in die Objektivität, ins Sein, ins sum. Und nur beide Seiten zusammen, die Negation und die immanente Negation der Negation, die Kreuzigung und die Auferstehung, in religiöser Sprache, - nur dies ergibt die Wahrheit, die Einheit von Subjekt und Objekt. Eben dies führt Descartes als Erster auf rein philosophische Weise vor, allerdings noch ganz rudimentär und holzschnittartig; auch auf durchaus fragwürdige Weise, wenn er etwa res cogitans und res extensae, Ich und mechanische Welt, reine Innerlichkeit und reine Äußerlichkeit, zu selbstständigen Substanzen hypostasiert, die wie zwei gänzlich beziehungslose Dinge nebeneinander liegen, wie Messer und Gabel, nur ganz äußerlich mit einem Strick verbunden. Irgendeine Vermittlungsinstanz, etwa das Leben, die Seele-Leib-Einheit kennt er nicht, Tiere sind bloße Maschinen, das Ich wird dann zum Geist in der Maschine, was bis zu Kants Gegensatz von noumenaler und phänomenaler Welt weiterwirkt. Auch treibt der positive Begründungsbegriff (das Ich als fundamentum absolultum inconcussum) noch sein Unwesen (was dann ja heißen müsste, das aus dem Ich, als Grund, die Existenz Gottes folgt). Aber gegen all dies hat sich dann der Zweifel der Nachfolger erhoben. Der Cartesianer Spinoza etwa hat die Subjekt-Objekt-Einheit als die der Einen Substanz, von der Denken und Sein/Ausdehnung/Natur Attribute oder Aspekte, perspektivische Darstellungen sind, gedacht; Leibniz als die prästabilierte Harmonie von Innerlichkeit und äußerem Verhältnis der Monaden.

Aber nach diesen hat man es sich dann in der Tat »deutlich einfacher« gemacht. Danach verwirft man allerdings den meth. Zweifel, also den radikalen Rückgang in die reine Subjektivität, in den unendlichen Gegensatz zu aller Objektivität oder Welt. Danach will darin bloß noch die verdinglichende Metaphysik des Psycho-Physikalismus (Husserl) oder der »Subjektität« (Heidegger) sehen, also der nur in sich kreisenden Ich-Substanz, die niemals mehr zur Welt kommt, die verblasener subjektiver Idealismus bleibt. Stattdessen ergeht jetzt der phänomenologische Ruf: »Zu den Sachen selbst!« Eben so, wie sie sich von sich selbst her, ganz real und unbezweifelbar, evident, zeigen und zum Fundament, zur materiellen, vitalen Basis, alles Weiteren, des Überbaus, taugen. Das ist dann Rousseau, Marx, später Nietzsche, Husserl, Heidegger, Wittgenstein, der Positivismus, die Sprachphilosophie (das Wort als etwas Wirkliches gegenüber dem bloßen Gedanken). Und was ist das evidente Phänomen nun? Das wirkliche, praktisch-arbeitende, natürliche Leben, die selbstverständliche unreflektierte Lebenswelt, das In-der-Welt-Sein des Daseins als fundamentalontologische, apriorische, ursprüngliche Grundstruktur des Daseins. Es ist im Grunde gar nichts anderes als die alte Subjekt-Objekt-Einheit, der Geist, der in seinem Anderen bei sich ist, nur dass das jetzt als Dogma vornehingestellt wird, eben als Fundament, das alles andere tragen kann, das allem anderen voraus liegt und nicht bezweifelt werden kann, weil es positiv in allem enthalten ist. Es will nicht mehr auf dem Weg des methodisch sich auf sich beziehenden Zweifel als Resultat erst dargestellt werden. Diese Ursprünglichkeit widersetzt sich dann hartnäckig allem Auseinanderdividieren in Subjekt und Objekt, in Theorie und Praxis, Gedanke und Wort; sie widersetzt sich also allem cartesischen Zweifel, als dem Weg in die Seinsvergessenheit der Metaphysik, der Vergessenheit des ursprünglichen Einheitsbodens, oder als Weg in die Krisis der Philosophie, eben in schlechte subjektivistische Metaphysik und Hinterweltlerei, politisch dann als Herrschaft und Knechtschaft. Was ja auch durchaus korrekt ist, wenn man die erste Phase des Zweifels, den Rückgang in die Subjektivität, von seiner zweiten Phase, eben der Selbstanwendung, der Wiederherstellung abtrennt, was z. B. Husserl ganz ausdrücklich tut, indem er die kartesischen Gottesbeweise genauso unbesehen als mythologisch beiseiteschiebt wie Kants transzendentale Deduktion (der Objektivität aus der Subjektivität des »Ich denke«). Dann allerdings ist der Zweifel fatal, dann versackt er im Nichts bzw. im Herrentum des Ichs. Wenn das Bewusstsein sich aus der Welt in sich, ins Selbstbewusstsein reflektiert, dann ist man im Kapitel »Herrschaft und Knechtschaft« oder beim Stoizismus, wenn man den Zweifel nicht weitertreibt zur Vernunft, so Hegel. Wenn man all das nicht will, dann bleibt nur der Weg in die Rebarbarisiserung zu einem ursprünglichen In-der-Welt-Sein, das alle Geistigkeit, seine abgrundtiefe Tragödie, den unendlichen Gegensatz von Sein und Selbst, die absolute Negativität (den selbstbezüglichen Zweifel) als der einzigen Wahrheit nicht mehr wahrhaben will, sondern als DEN metaphysischen und geschichtlichen Abweg schlechthin betrachtet, - Wahrheit ist dann das Immer-schon-Entdecktsein der Welt, als das unhintergehbare Existenzial, also als Sein des Seienden von der Seinsart des Daseins.

Der kartesianische Zweifel würde dem dann entgegenhalten, dass eben diese Müdigkeit des Geistes unter der naturbelassenen Oberfläche nichts anderes als der Weg in den metaphysischen Solipsismus des rein selbstbezogenen Willens zur Macht ist, oder in die Egologie, die nicht mehr zur Intersubjektivität findet, wie Husserl das in den »Cartesianischen Meditationen« vorführt, oder in die Jemeinigkeit und Eigentlichkeit des Selbstseins, der esoterischen Individualität, die sich nicht mehr mit der Weltverfallenheit des »Man«, also mit der Allgemeinheit, zu vermitteln vermag, weshalb ja wohl auch SuZ Fragment geblieben ist und seinen Schlusspunkt in der Rektoratsrede gefunden hat. Und dass eben dies dann die Tragödie ist, die heute nicht mehr in der Kunst und im Denken aufgeführt wird, sondern ganz banal, endlos verworren und ohne alles Entdecktsein von Welt (dafür mit umso genauerer Kenntnis der Effekte der nun erst recht verdinglichten Welt, nämlich als purer Mechanismus betrachtet), ohne alle lebensweltliche Evidenz und Selbstverständlichkeit auf den Straßen, wo man von all dem auch rein gar nichts wissen will, da die jemeinigen Phänomene ja doch ganz evident und zweifelsfrei zutage liegen.




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Jörn Budesheim
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Mo 23. Jan 2023, 16:02

Nick Nickless hat geschrieben :
Mo 23. Jan 2023, 15:34
Jörg, wenn man sich um den Zweifel nicht schert, dann hat man eben kein begründetes Wissen, wie es die Philosophie von jeher sucht, dann vermutet man nur ...
Ich vermute, das geht an mich?! Ich bin nicht der Ansicht, dass man sich um den Zweifel nicht scheren soll. Ich bin stattdessen der Ansicht, dass Zweifel begründet sein muss. Ein Beispiel: Ich könnte im Moment natürlich daran zweifeln, dass ich gerade vor dem Rechner sitze und arbeite, weil mich der Genius malignus getäuscht hat. Aber das ist kein gut begründeter Zweifel, meine ich.




Nick Nickless
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Mi 25. Jan 2023, 12:11

Ja, Jörn, sorry für die Namensverwechslung.

Ich bin zwar felsenfest davon überzeugt, dass es aktueller Stand jeglicher ernstzunehmenden Wissenschaft heute ist, dass da kein "Ich" vor einem Rechner sitzt, schon gar nicht EIN Ich, und auch DER Rechner nicht EINER ist, sondern ein Konvolut von Atomen oder Kräften und dergleichen, und dass vor und hinter alles relativ, also unbestimmt, ist, dass es für so einen Zweifel also noch nicht einmal eines bösen Geistes bedarf, vielmehr schon eher, um solchen Zweifel einfach vom Tisch zu wischen, - aber es ist zugegebenermaßen "deutlich einfacher", sich von all diesen Dingen unangekränkelt und über dergleichen Haarspaltereien erhaben zu wissen.

Wenn es der methodische Zweifel, der Zweifel, der sich gegen sich selbst richtet, ist, der die Einheit von Ich und Welt, die Einheit von Ego und Alter Ego, die Einheit des Gegenstandes (die ja Descartes primär im Wachsbeispiel zerlegt) begründet, und nicht das selbstgewisse Ich bin Ich und ich weiß, wer ich bin, was ich will, was ich tue, der mit sich und der Welt im Reinen ist, - dann zerfällt mit dessen Verleugnung dies alles zu Staub. Oder vielmehr, da man den einseitigen, rein negativen Zweifel natürlich stehen lässt, also die Reflexion in sich selbst, in die eigene Selbstgewissheit und Subjektivtät, oder auch umgekehrt aus dieser in die reine Objektivität, in die mechanische Welt, - dann lösen sich all die scheinbar so selbstverständlich vorgegebenen Einheiten in den Kampf einer Vielzahl nunmehr völlig unversöhnbarer Gegensätze auf.




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Jörn Budesheim
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Mi 25. Jan 2023, 14:23

Wenn der methodische Zweifel der gegen sich selbst gerichtete Zweifel ist, dann bist du im Grunde frei davon. Denn du bist felsenfest davon überzeugt, d.h. du kennst keinen Zweifel daran, dass es heute Stand jeder ernst zu nehmenden Wissenschaft ist, dass es kein Ich gibt. Erstaunlicherweise zweifelst du nicht an den entsprechenden (angeblichen) Ergebnissen der Wissenschaftler:innen, obwohl es diese und dich selbst - woran es für dich keinen Zweifel geben kann - letztlich gar nicht wirklich gibt.

Aber wenn Wissenschaftler:innen am Ende des Tages zu dem Ergebnis kommen, dass sie selbst gar nicht existieren, sollte man dann nicht an den Ergebnissen dieser Nicht-Existenzen zweifeln?




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AufDerSonne
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Mi 25. Jan 2023, 19:55

Hallo Nick Nickless

Ich finde deinen Text nicht schlecht. Vor allem weil du auch die Meinungen anderer Philosophen hineinfliessen lässt, also wie sie gedacht haben.
Man kann schon daran zweifeln, dass man vor dem Computer sitzt und arbeitet. Allerdings sind das zwei verschiedene Dinge. Der Computer ist ein materielles Etwas und arbeiten ist eine Tätigkeit oder Handlung.
Ich habe auch schon an der banalen Materie gezweifelt, zum Beispiel, ob mein Tisch wirklich da ist, aber irgendwie hat mich das nicht weitergebracht.
Je mehr ich an der banalen Materie zweifle, desto mehr komme ich darauf, dass man an der Materie nicht zweifeln kann.

Wenn man einen materiellen Gegenstand wahrnimmt, dann gibt es ihn, und zwar ungefähr so, wie man ihn wahrnimmt. Zum Beispiel mein dunkelbrauner Schreibtisch.
Ich werde fast verrückt, wenn ich ernsthaft an jeglicher Materie zweifle. Es gibt zwar ein wichtiges Gegenargument. Fast alle materiellen Gegenstände verändern sich mit der Zeit, ganz sicher werden sie alle älter, wenn nichts anderes.
Alles wird älter. Und verändert sich deshalb auch. Aber zu einem bestimmten Zeitpunkt, sagen wir, wir schnippen mit dem Finger, in diesem Augenblick, ist mein Tisch da. Und mein Tisch hat auch einer Dauer. Wenn ich in die Stadt einkaufen gehen und zurückkomme ist er immer noch da, wenn auch älter geworden, ein paar Stunden. Also es gibt schon ein paar Feinheiten, die uns grundsätzlich an der Materie zweifeln lassen könnten.
Spannend!

Plötzlich ist mir auch die Aussage, ich sitze an meinem Schreibtisch und arbeite, nicht mehr so gewiss. Aber kehren wir zurück zum gesunden Menschenverstand. Ein materieller Gegenstand, den wir zu einem bestimmten Zeitpunkt wahrnehmen, ist da. Er existiert. Oder wer von euch kann ernsthaft an der Materie insgesamt zweifeln? Also ich kann es nicht.



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MikeM
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So 29. Jan 2023, 15:25

Ich kann es, ich könnte z.B. ein Boltzmanngehirn sein, das sich dieses Leben, die Welt, das gesamte Universum einbildet ... oder eigentlich nur das, was ich davon wahrnehme / wahrgenommen habe. Jede meiner Wahrnehmungen könnte doch getäuscht sein, wie Descartes es schon nicht ausschließen wollte.
Der nächste Schritt wäre dann sich selbst infrage zu stellen, also sein Ich. Das gelang Descartes nicht. Und Gott hat er wohl auch Existenz und Wahrhaftigkeit unterstellt.

Viel Sinn mag es nicht machen, alles zu bezweifeln, da dann ja nichts mehr übrigbleibt mit dem man etwas anstellen könnte.




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AufDerSonne
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Mi 1. Feb 2023, 20:49

Aber wenn du auf dein Gefühl hörst, findest du es dann noch möglich, dass du dir alles nur einbildest?
Also ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, dass ich mir wirklich alles nur einbilde. Er ist für mich falsch. Er fühlt sich falsch an.
Ich bin froh, dass es die Möbel in meiner Wohnung gibt, dass ich mich auf dem Sofa manchmal ausruhen kann.
Und das wäre ja auch unheimlich anstrengend, wenn man sich alles einbilden würde. Und was auch dagegen spricht. Wieso sollte man sich dann das Leid, das jeder von uns manchmal erlebt, einbilden?
Das ist vielleicht nicht bei allen so, aber ich habe schon ziemlich heftig gelitten im Leben und da habe ich dann Mühe damit, dass ich mir das hätte einbilden können.

Könnte man sogar sagen, das Leid ist der Feind der Einbildung? Es holt uns auf den Boden der Tatsachen zurück?

Noch zu Descartes. Ich kenne ihn zu wenig, aber soviel ich weiss, hatte sein Zweifel Methode. Er hat nicht einfach so an allem gezweifelt.

Und noch zur Materie. Wieso sollte ich mir eine geschlossene Türe einbilden, wenn ich einfach hindurchgehe könnte?



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Timberlake
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Do 2. Feb 2023, 01:46

evariaa hat geschrieben :
Mo 16. Jan 2023, 20:49
Im Rahmen meiner ersten Hausarbeit im Philosophie Studium soll ich bewerten, inwiefern Descartes methodischer Zweifel aussichtsreich ist. Es geht also nicht um das Ergebnis (Cogito, Gottesbeweise) sondern um die Methodik des Zweifelns. Ich frage mich, ob der Zweifel überhaupt angebracht ist. Schließlich lässt sich sein erkenntnistheoretisches Ziel, Wissen zu erlangen, auch deutlich einfacher erlangen.
.. richtig ...
  • Ein reiner Vernunftglaube ist also der Wegweiser oder Kompaß, wodurch der spekulative Denker sich auf seinen Vernunftstreifereien im Felde übersinnlicher Gegenstände orientieren, der Mensch von gemeiner doch (moralisch) gesunder Vernunft aber seinen Weg, so wohl in theoretischer als praktischer Absicht, dem ganzen Zwecke seiner Bestimmung völlig angemessen vorzeichnen kann; und dieser Vernunftglaube ist es auch, der jedem anderen Glauben, ja jeder Offenbarung, zum Grunde gelegt werden muß.
    Immanuel Kant .. Was heißt: sich im Denken orientieren?
.. so lässt sich .. so Kant .. mit einem reinem Vernunftglauben als Wegweiser , Kompaß oder wenn man so will mit der "Methodik der Vernunft" , Wissen ganz sicher wesentlicher deutlicher und einfacher erlangen. Auch ist es wohl so abwegig nicht , dass sich Descartes bei seinem Projekt diesem Wegweiser oder Kompaß bedient hat . Ein Projekt , das man jetzt allerdings , in dem man ihn "bezweifelt", wiederum auf den reinem Vernunftglauben anwenden kann. Wenn es also um die "Methodik des Zweifelns" geht , so sind Zweifel daran wohl tatsächlich angebracht oder auch nicht ..
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 17. Jan 2023, 08:54
Descartes war wohl auf einen sicheren Grund aus. Etwas, was jedem Zweifel standhält. Ich finde diese Methode des systematischen Zweifels abwegig. Zweifel muss meines Erachtens begründet sein. Eine rein "logische Möglichkeit" (es könnte doch sein ...) ist hingegen kein guter Grund für einen Zweifel, finde ich.
. würde ich doch tatsächlich "bezweifeln" , dass ein reiner Vernunftglaube jedem Zweifel standhält.
Zumindest im "praktischen Gebrauch".




Nick Nickless
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Fr 3. Feb 2023, 11:45

MikeM,
Descartes hat durchaus an sich selbst gezweifelt, im Sinne des realen, inhaltlich bestimmten Ichs, nicht bloß eines momentanen, verschwindenden Punktes. Das ist ja der Sinn des genius malignus (das brain-in-the-vat ist die äußerliche, naturwissenschaftliche Darstellung davon), der zwar nicht den Ich-Punkt, der getäuscht wird, wohl aber alle seine Erfüllung, sein Menschsein, infrage stellt. Und seine Antwort war, dass sein Ich als bestimmtes nur einen Sinn hat im Zusammenhang mit Gott als Vollkommenheit, der dann auch den Zusammenhang mit den res extensae garantiert; oder umgekehrt: Es gibt eine Ganzheit, Vollkommenheit, Einheit, zu der sowohl Ich wie Welt gehören, die beide verbindet, die jedes rein für sich genommen nur verschwindend, bloßes Appendix der anderen Seite (bloße Vorstellung, leerer Punkt). Allerdings ist Vollkommenheit ein recht dunkler Begriff, was dann auch das Verhältnis zu Ich und Welt dunkel macht, und nicht wirklich immanent nachvollziehbar erklärt, weshalb das Ich auf die Welt verwiesen ist. Er wollte da wohl zu schnell zu viel, aber das Grundgerüst, das Spätere dann entfaltet haben, ist schon erkennbar. Erst wenn man diese Mitte, die Einheit, durchstreicht, dann fällt das Gerüst in sich zusammen, hier das weltlose Ich, dort die subjektlose Mechanik.

Timberlake,
mit Vernunftglauben ist ja erst mal nicht viel gesagt; der meth. Zweifel macht denn auch gar nichts anderes, als jenen »Vernunftglauben« oder »gesunden Menschenverstand«, den ja auch Kant von eigentlichem Wissen und Erkenntnis unterscheidet, explizit zu machen; und das tut Kant in den drei Kritiken, die ja nicht umsonst »Kritik« heißen, was ja auch nicht die Kritik irgendwelcher zufälliger Bücher oder Meinungen meint, sondern eine, die in der Sache selbst liegt. Das Explizieren geschieht dadurch, dass der Vernunftglauben in die reine Vernunft und Anschauung/Erfahrung unterschieden wird, und durch Kritik/Zweifel an diesen Teilen je für sich das Ganze rekonstruiert. Anderswo sagt Kant, dass es des Philosophen Geschäft sei, die geheimen Urteile der gemeinen Vernunft zu zergliedern; was Heidegger sehr gefallen hat (SuZ 4), weil es sich halt im Sinne seiner Analytik oder Hermeneutik des Daseins verstehen lässt. Aber diese Zergliederung, die das Geheimnis ans Licht befördert, ist bei Kant näher betrachtet die Auflösung durch den meth. Zweifel, die Kritik, mit dem Ziel, zu zeigen, dass das analytisch Isolierte eben nur Sinn hat im Ganzen, in der einen Vernunft, so wie der Begriff (das »Ich denke«) nur im Zusammenhang mit der Anschauung; und die Analyse geht damit in die Synthese über, indem sie diesen Zusammenhang aufzeigt, indem das Isolierte als Defizientes über sich hinausweist. Auf diese Weise entfaltet sich das im Vernunftglauben nur erst dunkel, unstrukturiert, rein innerlich Zusammengeballte in ein nachvollziehbares, schrittweise zu betrachtendes Auseinander, in eine methodische Abfolge, die dann wiederum auf seine Einheit zurückweist. Die bloße Exegese der dunklen, geheimen Urteile kann immer nur auf das unmethodische Auseinanderreißen dieses Ganzen, das Herausgreifen einzelner Aspekte (reine Vernunft, bloße Materie, bloßes Ich), ohne Vollständigkeit, ohne Notwendigkeit des Zusammenhangs, führen; und das Verstocken dabei, das dann eben ist das Übel, das den Sinn des Ganzen zerstört. - So aufgefasst hat man dann auch kein Problem, diese Methodik des Zweifels und seiner Selbstüberwindung in Nietzsches Aphoristik wiederzuerkennen, wo freilich immer nur einzelne miniaturartige Ganzheiten zustandekommen, die mit der nächsten dann keinen Zusammenhang haben wollen.

Es ist vielleicht ganz sinnvoll, das mal mit Heideggers Hermeneutik zu vergleichen. H. schreibt sehr schön, dass es »nicht um eine ableitende Begründung,« nach dem Muster der Geometrie Euklids, »sondern um aufweisende Grund-Freilegung geht« (SuZ 8). Das ist ganz im Sinne des meth. Zweifels gesprochen, denn auch diese will nicht aus obersten Prinzipien deduzieren, sondern sich gewissermaßen regressiv auf dem Weg des immanenten Zweifels in den Grund wühlen, bis der Zweifel sich irgendwann auflöst. H. aber will das ursprüngliche Phänomen auslegen, von dem er allerdings weiß, dass er es erst aufweisen, sichern und freilegen muss, durch Beseitigung der Verdeckungen. Aber woher weiß er, was eine Verdeckung ist, solange das Phänomen noch nicht freigelegt ist? Nun, die Auslegung operiert mit Vor-habe, Vor-sicht und Vor-griff, mit der Vor-struktur des Verstehens, gewonnen am Leitfaden einer vorläufigen Interpretation, womit dann das Ganze entworfen wird: »Sinn ist das durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff strukturierte Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird.« Im §32 kann man das ausführlich nachlesen. Er will definitiv nicht das ursprüngliche Phänomen kritisch auflösen, um es dann nach dem geistigen Band der Teile in der Hand zu suchen; das hält H. immer nur für eine äußerliche »Zusammenstückung«, weil er halt auch bloß an die positiv bestehen bleibenden Teile denkt. Ein kritisches Denken würde umgekehrt immer einwenden, dass auf dem Weg bloßer Hermeneutik immer nur eine Exegese der Vor-urteile des Autors und seiner Gewährsleute (der Griechen bei H.) zustandekommt, aber keine wirkliche Begründung möglich ist. Jene Vorurteile sind dann aber wider Willen doch gar nichts anderes als eben oberste Prinzipien, aus denen deduziert wird.

AufderSonne,
du sollst ja nicht einfach nur an der Materie oder Realität zweifeln, um sie dann einfach achselzuckend zu vergessen und wegzulassen, oder in einem reinen Ich und dessen Einbildungen zu versenken, das wäre ja eben der skeptische oder metaphysische Zweifel. Sondern du sollst den Zweifel weiterführen, dann auch gegen das Nichts oder das bloße Ich richten, bis der Zweifel dann in sich zurückgeht. Aber du hast schon recht, die Gefahr, dass der Zweifel und die Kritik im Nichts oder im bloß noch Subjektiven versackt, die besteht sehr wohl; und dabei geht es nicht bloß um die Frage der Realität der Außenwelt, die bloß eine zugespitzte Fassung des Problems ist. Letztlich geht es dabei auch um inhaltliche Fragen, eben auch um die Ansicht, dass viele oder alle Begriffe und Konzepte des Menschen nur eben historisch geworden, Vorurteile, willkürlich oder durch fremde Zwecke oktroyierte Regeln, gemachte Konstrukte, daher ohne alle Verbindlichkeit, also ohne realen Bezug, sind. Und dies hat dann eben durchaus einen sehr realen Lebensbezug und ist nicht bloß ein gleichgültiger metaphysischer Streit um des Kaisers Bart. Und wenn dem Realismus am Ende nichts als das unerkennbare Ding-an-sich bleibt, dann ist dieser ganz leer und sein ganzer Inhalt längst in den subjektiven Idealismus (oder Konstruktivismus, Nihilismus, Solipsismus) gerutscht. Deshalb muss man den Zweifel immanent weiterführen, und zwar nicht einfach in der Weise, dass man sagt: Mit dem Zweifel aka kritischen Denken war es nichts, das dekonstruiert nur alles, deshalb müssen wir halt den Kopf in den Sand stecken und wieder glauben, weil uns sonst nicht wohl ist. Das ist bloß Jesuitismus, der im Kern Pragmatismus, also Operieren mit nützlichen Fiktionen, also selbst eine Form des subjektiven Idealismus ist.




Nick Nickless
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Registriert: So 2. Okt 2022, 15:10

Fr 3. Feb 2023, 12:41

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 25. Jan 2023, 14:23
Wenn der methodische Zweifel der gegen sich selbst gerichtete Zweifel ist, dann bist du im Grunde frei davon. Denn du bist felsenfest davon überzeugt, d.h. du kennst keinen Zweifel daran, dass es heute Stand jeder ernst zu nehmenden Wissenschaft ist, dass es kein Ich gibt. Erstaunlicherweise zweifelst du nicht an den entsprechenden (angeblichen) Ergebnissen der Wissenschaftler:innen, obwohl es diese und dich selbst - woran es für dich keinen Zweifel geben kann - letztlich gar nicht wirklich gibt.

Aber wenn Wissenschaftler:innen am Ende des Tages zu dem Ergebnis kommen, dass sie selbst gar nicht existieren, sollte man dann nicht an den Ergebnissen dieser Nicht-Existenzen zweifeln?
Es geht nicht um den Zweifel, der sich nur ganz abstrakt selbst dementiert und damit gar nicht erst zum Inhalt kommt, sondern der durch den Inhalt hindurchgeht und auf diesem immanenten Wege sich auflöst. Und deshalb ist das mechanistisch-atomistische Denken erst einmal ernst zu nehmen, und auch der aus diesem Denken folgende Zweifel an dem Ich, das vor dem Rechner sitzt. Denn für ein solches Denken kann es eben kein Ich, kein Bewusstsein, keine wirkliche Einheit oder Identität des Gegenstandes geben; das ist auch nicht erst neueste Wissenschaft, das ist schon Demokrit. Diese ganzen Diskussionen um das Bewusstsein der Computer sind deshalb auch ganz streng genommen ganz sinnlos; das sind immer nur Maschinen, durch Kausalität, Kräfte bewegte Teile, was man dann zwar analogisch, als äußerliche Zusammenfassung irgendwelcher Konvolute von Teilen, »Ich«, »Bewusstsein«, »Intelligenz« nennen kann, die es aber niemals sind. Diese mechanistische Vorstellung kann man dann bezweifeln, aber eben IMMANENT, nicht bloß indem man einfach eine andere Vorstellung dagegensetzt, womit niemandem geholfen ist.

Genau das tutst du aber in deiner weiteren Argumentation. Der Einwand mit der eigenen Existenz ist zwar richtig, ist aber bloß eine äußere Reflexion, die nur das Reden und den Redner mit dem Inhalt der Rede vergleicht und dabei einen Widerspruch findet: Wenn die mechanisch-physikalische Wiss. in Strenge recht hat, dann gibt es keine Menschen und auch niemand, der dies aussprechen kann, das sind dann streng genommen alles nur Teilchenbewegungen. Hierher gehört auch das berühmte Argument mit dem Ablesen der Messgeräte (ein Haufen farbloser Teilchen liest kein farbiges Messgerät ab). Was man auch so formulieren kann, dass diese Wiss. sich nicht selbst reflektieren kann, weil weder solche Selbstreflexion noch das Subjekt oder das Tun, ja selbst die Methode der Wiss. im Gegenstandsbereich der Physik vorkommen (was solange nicht weiter schlimm ist, solange die Physik nicht verabsolutiert wird, sondern Teil eines größeren Ganzen bleibt; aber eben das ist das Problem). Oder man nennt es einen »performativen Selbstwiderspruch« des kommunikativen Handelns (Habermas). Oder man formuliert es so, dass wer sich in dieser Wiss. bzw. dem dazugehörigen Pragmatismus, also in der Aufklärung, voll und ganz einhaust, das klare Bewusstsein seiner selbst verliert, also geistig erblindet, sich re-barbarisiert, zu aller Humanität, Individualität und Selbstbestimmung unfähig wird. Das ist dann so etwa die Linie des frühen Nietzsche und der »Dialektik der Aufklärung«.

Das braucht alles man gar nicht zu bestreiten, aber dies ist eben ein Widerspruch, der nicht aus dem Inhalt dieser Wiss. selbst genommen ist, auf diesen selbst gar nicht eingeht, in gewisser Weise ein bloßes »ad hominem«-Argument darstellt. Der Widerspruch kommt nur dadurch zustande, dass man eine scheinbar triviale, aber ganz unausgewiesene und unbestimmte Voraussetzung von außen an diesen Inhalt heranträgt: Es gibt Menschen, Sprache, Erkenntnis, kommunikatives Handeln, Wiss. als Praxis, Farben, farbige Skalen, Wahrnehmung, und all dies sind keine Maschinen, keine bloßen res extensae. Wenn man sich den Zweifel in Descartes’ erste Meditation ansieht, dann sieht man, dass er so nicht verfährt; gerade auch im Unterschied zur Scholastik, die ja immer von einer Autorität (Theol., Arist., Aug.) her argumentiert, also diese bloß auslegt. Dadurch, dass man nicht immanent verfährt, bleibt der Inhalt der Physik auf diese Weise an sich selbst unangetastet. Und jenes vorausgesetzte Humanum bleibt der unaufhaltsamen Zersetzung (Reduktion) durch den Mechanismus (heute z. B. KI) weiterhin hilflos ausgeliefert. Der Mechanismus kann ja aufgrund seiner inneren Logik keine zweite Art Welt neben sich und keine Sprünge in seinen Kausalketten dulden. Das Humanum hängt somit in der Luft und wird auf diese Weise zur bloßen Residualgröße, die sich zuletzt in die ganz leere abstrakte Negation flüchten muss, in eine anti-naturalistische, rein innerliche Freiheit und Gleichheit, weil in der Nacht eben alle Katzen grau sind. Aber dieser Rest tut dem galoppierenden Mechanismus, Naturalismus und Pragmatismus im Denken weiter keinerlei Abbruch, - eher im Gegenteil, denn alles wirkliche Handeln ist eben ein bestimmtes, auf Natureinsicht angewiesenes. Mag der skeptisch-metaphysische Zweifel solches degoutierte Sichabwenden (Zweifeln) von der verdinglichten Natur auch für den allerwokesten Fortschritt halten: Je reiner und leere dieses Humanum wird, desto mehr wird aufgrund dieser Leere jedem an Konsens, Harmonie, Verständnis orientierten Menschsein das Wasser abgegraben, desto mehr leistet dies einer Humanität Vorschub, deren einziger bestimmter Inhalt die Suprematie des Reichs der Freiheit, des leeren Ichs, über das Reich der Notwendigkeit, des Mechanismus, des Nicht-Ichs, also die von allen inhaltlich-humanen Schranken befreite, rastlos iterierte Herrschaft über die Welt der res extensae ist: Technik, Pragmatismus.

Jede Art von Zwei-Welten-Lehre (obj. oder subj. Idealismus, Eleatismus oder (De-) Konstruktivismus), die das humane, freie, innere Wesen von der dinglichen, äußerlichen, unwesentlichen, sekundären Erscheinung abtrennen und so jenes vor dieser bewahren will, scheitert an der wesentlichen Bezüglichkeit beider Seiten, die (durch das Verschwinden des wahren Zusammenhangs) zur Herrschaftsbeziehung, rein um ihrer selbst willen, wird. Und deshalb geht die nicht adäquat zu Ende gedachte Lehre des jungen Nietzsche (vom nötigen Schutz vor der Tödlichkeit der Wahrheit) in die vom Willen zur Macht über.




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Jörn Budesheim
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Fr 3. Feb 2023, 12:51

Zu kompliziert formuliert für mich, ich verstehe kein Wort.




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