Relativismus

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
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Jörn Budesheim
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Mi 12. Jul 2023, 13:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 28. Jun 2023, 13:14
Was ist Relativismus und warum ist er (nicht) falsch?


Das ist das Thema des Fadens. Du und alle anderen können gerne Argumente für den Relativismus vortragen. Bisher geht es hier allerdings eher um Begriffsbestimmung.




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NaWennDuMeinst
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Mi 12. Jul 2023, 13:40

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 12. Jul 2023, 13:21
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 28. Jun 2023, 13:14
Was ist Relativismus und warum ist er (nicht) falsch?


Das ist das Thema des Fadens. Du und alle anderen können gerne Argumente für den Relativismus vortragen. Bisher geht es hier allerdings eher um Begriffsbestimmung.
Wie gesagt, der Realismus hat mit dem Problem zu kämpfen, dass er seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird.
Er geht von der Existenz und der prinzipiellen Erkennbarkeit absoluter Wahrheiten aus, kann aber nicht erklären wie wir solche erkennen können sollen ohne dass wir wieder in die Relativismusfalle tappen.
Ich persönlich glaube inzwischen nicht mehr, dass entweder das eine oder das andere falsch/richtig ist. Ich denke es kommt drauf an über welches Wissen wir reden.
ich setze also auch hier eine "zusätzliche Bedingung" für Wahrheit.
Macht mich das zum Relativisten? Wahrscheinlich.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
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(William Butler Yeats)

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Jörn Budesheim
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Do 13. Jul 2023, 07:53

Wenn ein Nicht-Relativist und eine Relativistin den Ausdruck Wahrheit verwenden, meinen sie offensichtlich nicht das Gleiche, was natürlich leicht zu Verwirrung und Missverständnissen führen kann. In der Regel setzen Relativist:innen (im Gegensatz zu Nicht-Relativisten) auf epistemische Wahrheitstheorien. In epistemischen Wahrheitstheorien hängt - knapp gesagt - Wahrsein davon ab, ob wir etwas feststellen oder verifizieren können.

Dazu habe ich zwei Zitate zusammengestellt.
Bernd Irlenborn, Relativismus hat geschrieben : Was der Begriff "Wahrheit" für den alethischen Relativisten [Relativisten in Bezug auf die Wahrheit] bedeutet, welche Kriterien dafür angesetzt werden und ob eine bestimmte Wahrheitstheorie mit der Position des alethischen Relativismus verbunden ist, spielte in den bisherigen Überlegungen noch keine Rolle. Der alethische Relativismus ist theoretisch keiner bestimmten Wahrheitstheorie verpflichtet. Allerdings bevorzugen die meisten - wenn auch nicht alle - Anhänger des alethischen Relativismus eine epistemische Konzeption der Wahrheit und lehnen das entgegengesetzte nicht-epistemische Modell ab. Verkürzt kann man die beiden Positionen so umschreiben:

(A) Nicht-epistemische oder realistische Konzeptionen der Wahrheit gehen davon aus, dass die Wahrheit einer Aussage nicht notwendig davon abhängig ist, ob wir dies epistemisch feststellen oder verifizieren können.

(B) Epistemische oder antirealistische Konzeptionen der Wahrheit gehen davon aus, dass die Wahrheit einer Aussage (im Falle von epistemisch günstigen Bedingungen) abhängig von unserem begründeten Fürwahrhalten und damit von unserer Fähigkeit ist, ob wir dies epistemisch feststellen oder verifizieren können.
Thomas Grundmann, Philosophische Wahrheitstheorien, Reclam hat geschrieben : Am Anfang der Diskussion der verschiedenen Wahrheitstheorien sollen die epistemischen Wahrheitstheorien stehen. Um ihre zentrale These zu erläutern, muss zunächst die wichtige Unterscheidung zwischen der Natur der Wahrheit und den Kriterien der Wahrheit erklärt werden. Die Natur der Wahrheit ist das, was Wahrheit der Sache nach ist. Ein Wahrheitskriterium ist dagegen etwas, mit dessen Hilfe wir feststellen bzw. entscheiden, ob eine Überzeugung oder ein Satz wahr ist. Normalerweise nehmen wir an, dass die Natur einer Sache und die Kriterien für ihr Vorliegen nicht ein und dasselbe sind. So ist eine Säure, kurz gesagt, ein Protonenspender, aber unser Kriterium für ihr Vorliegen ist der Lackmustest. Die Vertreter epistemischer Wahrheitstheorien behaupten nun, dass es sich im Fall der Wahrheit anders verhält: Die Natur und das Kriterium der Wahrheit sollen der Sache nach ein und dasselbe sein. Wahrheiten hingegen sollen notwendigerweise mit unseren Kriterien für sie zusammenhängen und können sie prinzipiell nicht überschreiten bzw. transzendieren. Wenn das richtig ist, dann muss die folgende Äquivalenz notwendig wahr sein:

(EWT) Die Proposition, dass p, ist dann und nur dann wahr, wenn das Kriterium der Wahrheit erfüllt ist.
Ich für meinen Teil halte epistemische Wahrheitstheorien für unplausibel, sofern ich sie richtig verstehe. Wahrheit hängt nicht generell davon ab, ob wir sie erkennen können: Es dürfte in jedem gegenwärtigen Augenblick unendlich viel Wahres geben, das wir niemals erkennen können. Auch in der Vergangenheit, lange bevor es uns gab, gab es unendlich viel Wahres, von dem wir nie wissen werden, und dasselbe gilt für die Zukunft. Was der Fall ist, hängt einfach nicht prinzipiell von uns und unserer Fähigkeit es zu erkennen ab. Die meisten (aber nicht alle) Dinge sind wie sie sind, ob wir sie erkennen oder nicht. Eine Ausnahme bilden in vielen Fällen wir selbst. Ein Beispiel: Was wir sind und was wir zu sein glauben, hängt bei uns oft (aber sicher auch nicht immer) zusammen.




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Jörn Budesheim
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Do 13. Jul 2023, 09:03

Bernd Irlenborn, Relativismus hat geschrieben : Wahrheit einer Aussage
Nur am Rande, es gab hier im Forum vor längerem schon einen sehr langen Thread dazu, ich setze auf einen "ontischen Wahrheitsbegriff". Nicht nur Aussagen, Überzeugungen und dergleichen können wahr sein, Wahrheit existiert unabhängig davon. Wahrheit existiert an sich. Wahrheit ist für mich eine abstrakte Struktur, die nicht an uns oder andere erkennende Wesen gebunden ist. Selbst wenn es in diesem Universum nie Wesen gegeben hätte, die Wahrheiten erfassen könnten, wäre unendlich Vieles wahr gewesen. "Veritatives Sein" (wenn man so sagen darf) existiert unabhängig davon, ob es von Lebewesen wie uns erfasst wird oder nicht. Das passt auch sehr gut zu der Auffassung vieler Naturwissenschaftler, dass Information eine Grundstruktur der Wirklichkeit ist.

Aber das wirklich nur am Rande.




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NaWennDuMeinst
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Do 13. Jul 2023, 14:28

(Viele) Tatsachen sind also nicht von uns abhängig. Ok.
Aber ist denn das Wissen um Tatsachen von uns abhängig?
Was wir nicht wissen, können wir nicht berücksichtigen, wie denn?



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