Kritik an den Naturwissenschaften

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
Körper
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Di 26. Sep 2023, 09:23

AufDerSonne hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2023, 21:24
Ich bin da etwas speziell. Für mich sind Physik, Mathematik und Philosophie die drei grossen Naturwissenschaften.
Mein Argument ist. Der Mensch ist Natur und diese drei sind die wichtigsten Errungenschaften bisher der Menschheit. Aber das ist mehr so meine Ideologie.

Aber normalerweise denkt man wohl eher an Biologie, Chemie, Physik, Geografie, ja und was eigentlich noch? Das sind wohl die wichtigsten.
Du sprichst mit dieser abgestuften Einordnung sicherlich eine vorhandene Situation an und es kommt auf dieser Basis nicht nur zu Bewunderungen, sondern auch zu regelrechten Stolzansprüchen im Wissenschaftsbetrieb.

Auch hier muss man eine saubere Trennung durchführen:
Die Wissenschaft ist die Sammlung/Aufzeichnung/Menge der Tatsachen, frei von Personen, frei von jeglichen Emotionen.

Abgegrenzt davon ist der Wissenschaftsbetrieb, bei dem es beliebig menscheln kann.
Dort kommt alles vor, Stolz, Neid, Kampf und selbst unwissenschaftliches Verhalten bis hin zu Mobbing (Karrieregerangel usw. usf.).

Ein Aussenstehender ist "Kunde der Wissenschaft", nicht "Kunde des Wissenschaftsbetriebs".
Den "Kunden der Wissenschaft" interessieren die Tatsachen.
Hier muss man sich dann die Frage stellen, weshalb eine Tatsache der Physik höher stehen soll, als eine Tatsache der Biologie oder der Archäologie oder...

Wenn man darüber nachdenkt, dann ist der Begriff "Tatsache" die höchste erreichbare Qualität, denn es geht um eine Situation, die in der Realität vorhanden war.
"War in der Realität vorhanden" ist weder steigerbar noch ist es abschwächbar.

Die Wissenschaft, also die Sammlung/Aufzeichnung/Menge der Tatsachen, sollte damit als einheitlich neutral und gleichrangig angesehen werden.
Für den Wissenschaftsbetrieb sollte man hingegen das Bewusstsein aufbauen, dass jegliche Starallüren schädlich sind und diese sollte man nicht durch Bewunderungsabstufungen unterstützen.




Körper
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Di 26. Sep 2023, 09:49

1+1=3 hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 00:00
Dann gibt es noch die ethischen Fragen der Wissenschaft. Dazu folgender Beitrag:
Genveränderung bei Embryonen, Humanexperimente, Nukleartechnologie – alles Themen, die ethische Grenzen aufzeigen. Über eine gesellschaftliche Debatte hinaus bedarf es hier eines Kontrollsystems. Doch wie ist moralisches und verantwortungsvolles Verhalten in der Forschung zu regulieren?

Von Eva-Maria Götz | 16.05.2019
https://www.deutschlandfunk.de/forschun ... t-100.html
Auch hier kann ich nur empfehlen, präzise zu sein.
Es geht nicht um Wissenschaft.
Es geht um den Wissenschaftsbetrieb, die Forschung.
In deinem zitierten Text ist es als "Verhalten in der Forschung" formuliert.

Man ist gut beraten, dem Wissenschaftsbetrieb die Möglichkeit zum "Saftladen in beliebiger Ausprägung" zuzugestehen.
Hier geht es nirgendwo um "edle Wissenschaftler".
Der Glaube an die Grossartigkeit der Forscher ist kontraproduktiv.

Nicht nur übergeordnet ethisch moralische Fragen sind im Wissenschaftsbetrieb relevant, sondern es kann sogar unmittelbar um Gesetzesverstösse und Straftaten gehen.
(Link)
Insgesamt gibt es im Wissenschaftsbetrieb auch eine Vergangenheit, durch die sich etliches angesammelt hat, das man aufwendig aufarbeiten muss.

Es kommt mittlerweile sogar zu einer gewissen politischen Aktivität aus dem Wissenschaftsbetrieb heraus.
Hier besteht natürlich unmittelbar die Gefahr, dass es zu Ideologie auf Basis der Weltbilder von Forschenden kommt, insbesondere dann, wenn weder der Forschende, noch der Politiker, noch die Medien, noch die Bevölkerung eine saubere Trennung zwischen Wissenschaft und Wissenschaftsbetrieb durchführen.

Zur Sicherheit sage ich es nochmal:
All das hat nichts mit der Wissenschaft zu tun, denn die Sammlung/Aufzeichnung/Menge der Tatsachen bleibt davon unberührt.




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Quk
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Di 26. Sep 2023, 10:51

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2023, 15:06
Quk hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2023, 14:57
Es gibt nicht "das" eine Weltbild, oder? Ich denke, wenn wir Kritik an den Bildern üben wollen, sollten wir vorher sagen, welches Bild wir jeweils meinen.
Das hier: "Falls damit gemeint ist, dass alleine und letztlich die Naturwissenschaften (oder gar die Physik) uns sagen kann, wie die Wirklichkeit beschaffen ist, dann sollte man mit Kritik nicht sparen."
Die Kritik könnte wohl ein Buch füllen. Ich kritisiere jetzt mal nur einen Punkt. (Ich bin ein Freund der Wissenschaft, hauptsächlich der Naturwissenschaft.)

Manche Leute publizieren ihre Wissenschaft in der breiten Öffentlichkeit bisweilen mit einem Vokabular, das Wörter wie "vermutlich" oder "wahrscheinlich" und dergleichen nicht enthält. Die Aussagen in solchen Publikationen wirken dann so, als verkündeteten sie vollendete Tatsachen. Das, so vermute ich, verleitet einige Fachfremde zu der Annahme, die letzte Wahrheit sei erreicht und weitere Forschung erübrige sich. Aber gerade das ist ja so wichtig: Die weitere Forschung. Sie ist es, die die bisherigen Forschungsergebnisse prüft und eventuell korrigiert oder verwirft, welche abermals in Zukunft möglicherweise korrigiert oder verworfen wird. Außerdem verleitet die Annahme, das Publizierte nenne Tatsachen, zur Ignoranz gegenüber anderslautenden zeitgenössischen Publikationen, weil die letzte Wahrheit ja schon erreicht sei, vor allem dann, wenn diese der Leserschaft gut gefällt. -- Meine Kritik zielt hier nicht auf den Inhalt einer Beschaffenheits-Publikation, sondern auf die gelegentliche dogmatische Sprache, die diesen Inhalt vermittelt. Glücklicherweise ist das nicht die Regel. Aber manchmal -- manchmal --, so scheint mir, werden die Inhalte so kommuniziert, als seien sie Tatsachen statt Vermutungswissen, besonders wenn die Kommunikation live ohne Textvorlage abläuft und die Leute spontan sprechen -- in Interviews und Diskussionen. Wissenschaft ist in meinen Augen immer Vermutungswissenschaft. Sie ist keine Tatsachensammlung.

Diese sprachliche Kritik kann vielleicht nun die Leserschaft besser dazu bewegen, die wissenschaftlichen Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit nicht als letzte Wahrheit aufzufassen, sondern als Vorschlag. Das wiederum verdeutlicht, dass die Wissenschaft allein diese Fragen nicht sicher beantworten kann.




Körper
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Di 26. Sep 2023, 12:08

Quk hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 10:51
Wissenschaft ist in meinen Augen immer Vermutungswissenschaft. Sie ist keine Tatsachensammlung.
Warum machst du nicht einfach ein Experiment - versuch durch einen Tisch zu gehen.
Ich habe das Experiment gerade gemacht, Ergebnis: ging nicht.

Dieser Ausgang, gerade eben, ist eine Tatsache.
Es ist keine Vermutung, kein Weltbild, keine These, keine Theorie - nein, einfach nur eine Tatsache.

Wenn du nach exakt solchen, in der Realität vorliegenden Situationen suchst und die Tatsachen dazu sammelst, dann ist die dadurch entstehende Menge der Tatsachen: Wissenschaft.
Der Begriff "Vermutung" ist für diese Menge fehl am Platz.

Wie du an die Ideen zu den einzelnen Situationen herankommst, was du dir dazu alles vorstellst, gehört zum Wissenschaftsbetrieb. Du hast völlige Freiheit, solltest aber ab und zu eine Tatsache finden.
Deine Suchaktivität kann dann als "Handlung entlang von Vermutung" eingestuft werden.
Das darf man aber nicht mit dem Wort "Wissen" kombinieren.




Nick Nickless
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Di 26. Sep 2023, 12:33

1. Was man heute »Wissenschaft« nennt, ist Skepsis; das, was Hume als »Gewohnheit« bezeichnet hat, eine rein technische Praxis, die nicht auf Tatsachen, sondern auf die Auslegung derselben hinsichtlich Brauchbarkeit und Nützlichkeit geht (Hermeneutik). Oder mit Nietzsche: »Wir Spinnen fangen eben in unseren Netzen, was sich darin eben fangen lässt.«

2. Die experimentelle technische (also nicht bloß botanisch-deskriptive) Naturwissenschaft (mehr oder weniger auch Psychologie und dergleichen) hängt deshalb voll und ganz am Grundkonzept des Mechanismus; alles wird auf Mechanismus reduziert, mit Hilfe in mechanischen Modellen bearbeitet und manipuliert, es gibt kein Leben, keinen Geist, Intelligenz usw., außer eben in mechanischen Begriffen und Modellen verstanden. Nur solches ist manipulierbar, vorausberechenbar. Sie ist schlechte, nämlich auf ein einseitiges Interpretationsschema (brauchbarer Mechanismus) fixierte Hermeneutik, die z. B. die Farbe prinzipiell ausblendet.

3. Wer die philosophische Wahrheit der Natur sucht, muss über den Begriff der Mechanik (raum-zeitliche, quantifizierbare, farblose Bewegung) hinausgehen. Er muss den Zusammenhang von Raum, Zeit, Mechanik, Körperlichkeit, Farben, Leben, Pflanze, Tier suchen, ohne solches in mechanische Modelle (Farbe als farblose Schwingungen) aufzulösen. Das ist Naturphilosophie, die allerdings die philosophische (ontologische, transzendentale oder dialektische) Logik (nicht nur die formelle, die verdinglichende der technischen Praxis), voraussetzt, und ohne diese auch nicht annähernd verstanden werden kann (wenn man kein Goethe ist). Und wer nichts weiter will, als eben Natur beherrschen, manipulieren, vorausberechnen, der kann das gleich knicken; er wird nur irgendwann erfahren, dass ihm auch noch diese berechenbare Natur entgleitet.

4. Die Frage nach dem Laien ist natürlich haarig, da weder Naturwissenschaft, noch Naturphilosophie, noch irgendeine andere etwas für Laien ist, und da auch die Philosophie kein Freibrief für Laienhaftigkeit und blindes Ungefähr sein kann. Für den Laien kann man letztlich nur sagen: »Was nützte es mir, wenn ich (mit meinen mechanischen Modellen und der daraus resultierenden Power) die Welt gewönne, und nähme doch Schaden an meiner Seele (weil ich mit meinem verabsolutierten technischen Denken mich selbst, mein Wesen, meine Bestimmung, mein Verhältnis zur farbigen, lebendigen, geistigen, sittlichen Welt nicht mehr erkennen kann)«. Es gab eine Zeit, da haben auch Laien das verstanden, als es freilich mit dem Weltgewinnen noch nicht annähernd so weit her war wie heute, wo die Seele entbehrlich oder mit dem Wort »Freiheit!« oder »Ich!« erledigt zu sein scheint.




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Jörn Budesheim
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Di 26. Sep 2023, 13:03

Quk hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 10:51
Manche Leute publizieren ihre Wissenschaft in der breiten Öffentlichkeit bisweilen mit einem Vokabular, das Wörter wie "vermutlich" oder "wahrscheinlich" und dergleichen nicht enthält. Die Aussagen in solchen Publikationen wirken dann so, als verkündeten sie vollendete Tatsachen.
Quk hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 10:51
Diese sprachliche Kritik kann vielleicht nun die Leserschaft besser dazu bewegen, die wissenschaftlichen Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit nicht als letzte Wahrheit aufzufassen, sondern als Vorschlag.
Quk hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 10:51
Wissenschaft ist in meinen Augen immer Vermutungswissenschaft. Sie ist keine Tatsachensammlung.
Im Prinzip bin ich einverstanden. Den Ausdruck "Vorschlag" würde ich aber nicht grundsätzlich verwenden. Man kann - auch wenn es sperriger ist - doch von gut begründeten Theorien sprechen oder ähnlichem. Möglich wäre auch:
  • "Die Evidenz stützt p mit hoher Wahrscheinlichkeit."
  • "Es gibt eine starke wissenschaftliche Grundlage für p."
  • "Nach umfangreicher experimenteller Prüfung bleibt p bestätigt."
  • "Die Forschungsergebnisse unterstützen p in hohem Maße."
  • "P wurde in zahlreichen unabhängigen Studien bestätigt."
  • "Die Beweise deuten stark darauf hin, dass p gültig ist."
  • "P hat sich in wiederholten Untersuchungen als zuverlässig erwiesen."
  • "Die Daten deuten darauf hin, dass p mit hoher Sicherheit zutrifft."
  • "P wurde in einer Vielzahl von Experimenten bestätigt."
  • "Es gibt eine überzeugende wissenschaftliche Basis für p."
    ...
Das gilt auch für Folgendes: Wissenschaft ist in der Regel Vermutungswissenschaft. Sie ist nach allem, was wir wissen, keine abgeschlossene Tatsachensammlung, auch wenn vieles sehr gut bestätigt ist, es kann es sich immer noch als falsch erweisen.




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Quk
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Di 26. Sep 2023, 13:37

Ja, andere Wörter gehen wohl auch. Aber "bestätigen", "Beweise" und "Sicherheit" würde ich nicht nehmen, ganz besonders nicht "hohe Sicherheit", weil strikt gesagt "sicher sein" bereits sicher ist, meiner Meinung nach. Im Alltag gibts zwar "Hochschwangere", hingegen gibts nie ein "bisschen Schwangere", würde ich meinen. Man ist schwanger oder nicht. Etwas ist sicher oder nicht. Es gibt noch den Hochsicherheitstrakt, aber der dient dem Schutz und nicht dem Beweis.

Zu Deiner Liste:
  • "Die Evidenz stützt p mit hoher Wahrscheinlichkeit." <-- "Evidenz"? Außerdem tut sie mit "Sicherheit beweisen" statt "wahrscheinlich stützen", oder?
  • "Es gibt eine starke wissenschaftliche Grundlage für p." <-- Finde ich sehr gut
  • "Nach umfangreicher experimenteller Prüfung bleibt p bestätigt." <-- "Bleibt"? Besser: "Umfangreiche experimentelle Prüfung bestätigt bisher p."
  • "Die Forschungsergebnisse unterstützen p in hohem Maße." <-- Finde ich sehr gut
  • "P wurde in zahlreichen unabhängigen Studien bestätigt."
  • "Die Beweise deuten stark darauf hin, dass p gültig ist." <-- Beweis? "Beweis deutet auf Gültigkeit" klingt außerdem tautologisch.
  • "P hat sich in wiederholten Untersuchungen als zuverlässig erwiesen." <-- Besser "gezeigt" statt "erwiesen", meine ich.
  • "Die Daten deuten darauf hin, dass p mit hoher Sicherheit zutrifft." <-- Besser "mit hoher Wahrscheinlichkeit" statt "mit hoher Sicherheit", meine ich.
  • "P wurde in einer Vielzahl von Experimenten bestätigt."
  • "Es gibt eine überzeugende wissenschaftliche Basis für p." <-- Finde ich sehr gut
    ...




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Jörn Budesheim
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Di 26. Sep 2023, 13:44

Kann mit den Einwänden durchaus was anfangen. Aber wie auch immer die Formulierungen im Einzelnen aussehen mögen, es scheint mir möglich zu sein, beides zu haben - die relativ hohe Zuverlässigkeit, die einige Ergebnisse bieten, aber auch ihre prinzipielle Fallibilität.




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Quk
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Di 26. Sep 2023, 13:49

So sehe ich das auch.




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Di 26. Sep 2023, 14:50

Zu dieser Liste rund um "P" kann man sagen:
Solange "P" kein Anteil einer vorliegenden Situation ist, ist und bleibt "P" Weltbild und gehört nicht zur Wissenschaft.

Die Formulierung "P wurde durch eine Vielzahl an Experimenten bestätigt" bedeutet, "P" ist nicht der Ausgang dieser Experimente, sondern die "Bestätigung" lieg nur im übertragenen Sinn vor (quasi für den, der daran glauben will).
Die Ausgänge der Experimente, also die eigentlichen Tatsachen (diese sind Betsandteil der Wissenschaft) können dann maximal als Indizien für die Stimmigkeit des Weltbildes herangezogen werden, mehr nicht.
Der Wissenschaftsbetrieb hat nach wie vor das Problem, dass für "P" der Tatsachenstatus erarbeitet werden muss.




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Di 26. Sep 2023, 15:14

Nick Nickless hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 12:33
Sie ist schlechte, nämlich auf ein einseitiges Interpretationsschema (brauchbarer Mechanismus) fixierte Hermeneutik, die z. B. die Farbe prinzipiell ausblendet.
Warum es dir so sehr um Farbe geht, kann ich nicht nachvollziehen, aber "Farbe" kann durchaus als Stellvertreter für die Problematik des Einzugs in Wissenschaft/Wissenschaftsbetrieb stehen bleiben.

Wenn "Farbe" nicht in die Wissenschaft einzieht, dann liegt es daran, dass "Farbe" keine Tatsache ist. "Farbe" liegt nicht vor.

Wenn "Farbe" nicht in den Wissenschaftsbetrieb einzieht, dann liegt es daran, dass niemandem ein Experiment einfällt, mit dem man zu "Farbe" eine Tatsache erarbeiten kann.

Sobald eine Tatsache erarbeitet wird (egal zu was), entsteht ein Zwang zur Erweiterung von Wissenschaft.
Solange das nicht gemacht wird, kann keinerlei Anspruch aufgestellt werden.

Werden also zu einem Weltbild keine Tatsachen geliefert, kann man sich nicht beschweren, dass nichts von dem Weltbild in der Wissenschaft zu finden ist.




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Jörn Budesheim
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Di 26. Sep 2023, 18:50

Ich habe versucht, die bisherige Kritik an den Naturwissenschaften kurz zusammenzufassen:
  • AdSonne kritisiert, dass die Wissenschaftler der Öffentlichkeit nicht gut vermitteln, was sie tun.
  • 1+1 gibt zu bedenken, dass es ethische Grenzen für die naturwissenschaftliche Forschung gibt, z.B. bei Genveränderungen an Embryonen, Menschenversuchen, Nukleartechnologie.
  • Burkart hat eingewendet, man müsse zwischen der Wissenschaft und den Wissenschaftler:innen unterscheiden.
  • Quk kritisiert, dass manche ihre Wissenschaft ohne Worte wie "vermutlich" oder "wahrscheinlich" und dergleichen publizieren.
  • Nick kritisiert, dass in den Naturwissenschaften alles auf Mechanismen reduziert wird, so dass Leben und Geist anderes mehr ausgeblendet werden.
Dadurch hat der Thread eine ganz andere Richtung genommen, als ich eigentlich geplant hatte, aber das ist auch in Ordnung.

Denn eigentlich wollte ich hier keine Kritiken an den Naturwissenschaften sammeln. Sondern ich wollte gemeinsam darüber nachdenken, wie man als Philosoph:in und Lai:in die Naturwissenschaften überhaupt kritisieren kann. Und natürlich auch, welche Grenzen es dafür ggf. gibt. Wie macht man das, wenn man von vielem gar keine Ahnung hat, vor allem: was kann man kritisieren und was vielleicht auch nicht?

Aber wir können hier gerne die verschiedenen Punkte, die bisher angesprochen wurden, vertiefen das Thema ganz locker angehen, wir sind hier ja nicht im Seminar :)




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Quk
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Di 26. Sep 2023, 19:59

Ich bin durchaus neugierig jetzt, wie Du Deine ursprüngliche Frage gemeint hast, die da lautete: Wie kann ein Nichtwissenschaftler die Wissenschaft kritisieren? Ich meine, falls mit "kritisieren" "untersuchen" gemeint sein sollte, lautet meine Antwort: Das geht nicht. -- Ansonsten antworte ich: Indem der Nichtwissenschaftler zuerst einmal seine kritischen Ansatzpunkte zusammenstellt. Bevor er die Wie-Frage stellt, muss er ja erst einmal selber wissen, was in seinen Augen an der Wissenschaft verbesserungswürdig ist. Wenn er die Ansatzpunkte vor sich hat, kann er sich fragen, wie er die Kritik formuliert.

Oder lautete die Frage so?
Wie kann der Laie in der Wissenschaft -- wie der Ochs' vorm Berg -- Verbesserungswürdigkeiten finden, damit er was zu kritisieren hat?

Zu Deiner Frage "Was kann man kritisieren?" zeigt Deine Liste schon einiges, was man kritisieren kann :-)




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Di 26. Sep 2023, 20:50

Oje :-)




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Stefanie
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Di 26. Sep 2023, 21:42

Bist Du ausgebildeter Naturwissenschaftler, z.B. in Physik, dass Du es Dir erlauben kannst, einen solchen anmaßenden Kommentar abzugeben?



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Di 26. Sep 2023, 21:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 08:18
Burkart hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2023, 22:53
Warum willst du (gerade) Naturwissenschaften überhaupt kritisieren?
Was meinst du damit? "Warum willst gerade du (=ausgerechnet du) die Naturwissenschaften kritisieren?" Oder: "Warum gerade die Naturwissenschaften?"
Letzteres, sonst hätte ich eher "Warum willst (gerade) du Naturwissenschaften überhaupt kritisieren?" geschrieben.



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Nauplios
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Di 26. Sep 2023, 22:06

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 18:50

Dadurch hat der Thread eine ganz andere Richtung genommen, als ich eigentlich geplant hatte, aber das ist auch in Ordnung. (...) ... wir sind hier ja nicht im Seminar :)
Wären wir in einem solchen, dann wäre die "Kritik an den Naturwissenschaften" eine mit historischem Hintergrund. Zu diesem Hintergrund gehört u.a. Husserls Krisis-Abhandlung und ihre Wirkungsgeschichte.




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Di 26. Sep 2023, 22:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 08:24
Burkart hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2023, 22:53
Die Unterscheidung zwischen einerseits der(n) (abstrakten) Wissenschaft(en) an sich und andererseits echten Menschen, Instituten wie Unis u.ä. wurde ja schon erwähnt, also eine Differenzierung beim Ziel der Kritik.
Ich weiß nicht, was du mit "(abstrakte) Wissenschaft(en) an sich" meinst. Wissenschaft ist nichts Abstraktes. Dazu gehören, wie du selbst erwähnst, Dinge wie Experimente, ethische Standards (und deren Verfehlung), Forschung und Entwicklung, Wissenschaftler:innen, Universitäten und Bildungseinrichtungen, Publikationen und wissenschaftliche Journale, Konferenzen und wissenschaftliche Tagungen, Labore und Forschungseinrichtungen, Geldmittel und Finanzierung, Freiheit und Unabhängigkeit (und deren Beeinträchtigung), empirische Methoden, Theorien und Modelle, Mathematik, Beobachtungen, Datenanalyse, kritische Diskussion und Peer-Review, interdisziplinäre Zusammenarbeit, technologischer Fortschritt. ... und sicher noch vieles mehr. Auch wenn es hier lose aufgezählt ist, dürfte es in Teilen in systematischer Weise zusammenhängen.
Mit der abstrakten Richtung wollte auf deren Erkenntnisse (Annahmen, Theorien usw.) an sich hinaus im Gegensatz zu dem eigentichen Wissenschaftsbetrieb der Menschen.
Das hast du ja schon aufgenommen in "Burkart hat eingewendet, man müsse zwischen der Wissenschaft und den Wissenschaftler:innen unterscheiden.".
Es ist in der Regel so, dass Wissenschaftler:innen eine langjährige Ausbildung absolvieren müssen. Das bedeutet, dass sie sich mit Dingen auskennen, die den meisten anderen Menschen fremd oder zumindest unverständlich sind. Die Ergebnisse der Wissenschaft werden natürlich manchmal der Öffentlichkeit präsentiert. Das heißt, sie werden Menschen präsentiert, denen die entsprechende Ausbildung und sicher auch vieles andere (kaum jemand kann zu Hause mit Antimaterie experimentieren) fehlt, um kritisch zu beurteilen, worum es geht.
Ich hatte auch ein wenig von Wissenschaft hinsichtlich KI geträumt, aber ich sehe bei meinem Bruder, wie viel anderer Kram da noch zu gehört, was in Richtung Geld auftreiben u.ä. geht, das eigentlich "Wissenschaften" ist halt nur ein Teil davon.
Was bleibt also für den Laien von sapere aude? Und jetzt bezogen auf den Faden und das Forum: Wie kann man auch als Laie Naturwissenschaften philosophisch kritisieren. Kritik gehört zu den Naturwissenschaften hinzu.
Natürlich kann man auch Naturwissenschaften kritisieren wollen; dass Kritik nun direkt zu ihr dazu gehört, würde ich nicht sagen, jedenfalls nicht mehr als zu vielen anderen Dingen. Das heißt natürlich nicht, dass man Punkte innerhalb von ihr nicht auch kritisch sehen sollte (z.B. übertriebene, z.T. verzerrende Ergebnis-Gewichtungen für Lobbys u.ä.).



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Di 26. Sep 2023, 22:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 18:50
[*]Quk kritisiert, dass manche ihre Wissenschaft ohne Worte wie "vermutlich" oder "wahrscheinlich" und dergleichen publizieren.
Diesen Punkt würde ich nicht nur ggf. in der Wissenschaft sehen, sondern oft genug in vielen Aussagen in allen Medien, fast egal, von wem.
Man kann allerdings der Ansicht sein, dass Wissenschaft mehr den Anspruch haben sollte, präzise(r) zu sein und deshalb mehr "vermutlich" und "wahrscheinlich" mit aufzunehmen.



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Stefanie
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Di 26. Sep 2023, 22:57

Die Ausgangsfrage lässt sich vielleicht auch wie folgt umformulieren, oder ist ein Teil davon:

Sind Laien aufgrund ihrer nicht vorhandenen fachspezifischen Kenntnisse über ein naturwissenschaftlichen Thema in der Lage, oder sogar berechtigt, Veröffentlichungen, die Interpretationen über neue Studien enthalten und dabei vielleicht zu unterschiedlichen Aussagen kommen oder einen anderen Schwerpunkt setzen, eine der Veröffentlichung als unseriös zu bezeichnen?
Nöö, sind sie nicht. Was sie aber können, ist, herausfinden, wie der Background der Autorinnen ist und wo wurde es veröffentlicht im Kopp Verlag oder bei Alber. Es ist dem Beispiel klar, was dann unseriös ist.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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