Kritik an den Naturwissenschaften

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
Burkart
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Di 26. Sep 2023, 23:40

Stefanie hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 22:57
Die Ausgangsfrage lässt sich vielleicht auch wie folgt umformulieren, oder ist ein Teil davon:

Sind Laien aufgrund ihrer nicht vorhandenen fachspezifischen Kenntnisse über ein naturwissenschaftlichen Thema in der Lage, oder sogar berechtigt, Veröffentlichungen, die Interpretationen über neue Studien enthalten und dabei vielleicht zu unterschiedlichen Aussagen kommen oder einen anderen Schwerpunkt setzen, eine der Veröffentlichung als unseriös zu bezeichnen?
Nöö, sind sie nicht. Was sie aber können, ist, herausfinden, wie der Background der Autorinnen ist und wo wurde es veröffentlicht im Kopp Verlag oder bei Alber. Es ist dem Beispiel klar, was dann unseriös ist.
Wenn diese Laien gar keine Kenntnisse haben, gebe ich dir Recht. Nur oft ist es nicht so eindeutig und deshalb schwieriger zu beurteilen. Deshalb plädiere ich dafür immer auf Inhalte zu schauen und nicht auf "Hüllen" wie den Ruf (Background u.ä.) einer Person.
Wenn Experten auf einem Gebiet Aussagen über ihr fachfremde Gebiete machen, sind sie dann nicht letztlich auch dort Laien und dortige Veröffentlichungen kritisch zu sehen?
Wie (hoffentlich erkennbar) schon angedeutet: Man kann z.T. schwer zwischen klaren Laien und Experten unterschieden, oft ist es ein fließender Übergang.
Und selbst seriöse Quellen können sich mal irren bzw. Dinge veröffentichen, die später widerlegt werden o.ä.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Stefanie
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Mi 27. Sep 2023, 06:56

Selbstverständlich ist der Background wichtig. Das ist nicht nur die Ausbildung, sondern auch sowas wie, wo hat eine Expertin publiziert, wer hat z.B. eine Studie, Versuchsreihe finanziert. Das kann ein Laie herausbekommen.
Es ist normal, dass es in den Wissenschaften, auch in den Naturwissenschaften, unterschiedliche Auffassungen über dieses oder jenes Ergebnis von bildgebenden Verfahren, Messungen, Beobachtungen etc., gibt. Es sind ja oft keine endgültigen Ergebnisse.

Außerdem gibt es eine Weiterentwicklung, zum Ergebnis A wird vielleicht Jahre später etwas anderes herausgefunden. Seriös ist es dann, wenn eine seriöse Zeitschrift dies veröffentlicht. Unseriös wäre es, wenn es nicht veröffentlicht wird.
Außerdem ist es in den Wissenschaften wichtig, dass interdisziplinär gearbeitet wird. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn sich verschiedenen Fachrichtungen dazu äußern.
Das alles kann ein Laie herausbekommen und beurteilen. Wenn er oder sie denn will.

Das was die Wissenschaftler*innen z.B. im CERN entdecken, kann kein Laie wirklich hinterfragen. Wir sind dann darauf angewiesen, dass dies verständlich erklärt wird. Daran hapert es aber oft. Leider.

Was oft passiert ist, ist, dass eine fachliche naturwissenschaftliche Quelle die sich zu philosophischen Fragen äußert,abgelehnt wird, weil einem das nicht paßt, was dort gesagt wird und dann als unseriös tituliert wird. Man müsste seine Position dann ja überdenken, was manche nicht können oder wollen.



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Jörn Budesheim
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Mi 27. Sep 2023, 07:51

Burkart hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 23:40
"Hüllen" wie den Ruf (Background u.ä.) einer Person
Inwieweit sind Ausbildung, Ruf und Werdegang Hüllen? Das ist neben anderem entscheidend für die Frage, ob ich dem Autor Autorität auf seinem Gebiet zubilligen sollte.




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Jörn Budesheim
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Mi 27. Sep 2023, 07:57

Quk hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 19:59
Wie kann der Laie in der Wissenschaft -- wie der Ochs' vorm Berg -- Verbesserungswürdigkeiten finden, damit er was zu kritisieren hat?
Ich hatte heute Morgen eine Idee, wie ich das formulieren könnte. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es exakt das ist, was ich ursprünglich im Sinn hatte, aber es scheint mir auf jeden Fall ein wichtiger Punkt zu sein:

Welche Expertise können/sollten Philosophinnen und Philosophen zu (natur-)wissenschaftlichen Fragen beisteuern?

Eigentlich ging es mir nicht um das "Was" - also welche Themen kritisiert werden sollten/könnten. Sondern um das "Wie", wenn man so will um die Methode möglicher Kritik. Als Beispiele hatte ich Begriffsverwendungen genannt, ggf. auch Logik.




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Jörn Budesheim
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Mi 27. Sep 2023, 08:31

Nauplios hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 22:06
Wären wir in einem solchen, dann wäre die "Kritik an den Naturwissenschaften" eine mit historischem Hintergrund. Zu diesem Hintergrund gehört u.a. Husserls Krisis-Abhandlung und ihre Wirkungsgeschichte.
Spricht deiner Ansicht nach nicht Nick vergleichbares an? Die Philosophie als Universalwissenschaft ist längst von den Einzelwissenschaften abgelöst worden. Deren beispiellose Erfolge haben uns in eine tiefe Krise geführt: Dem Alltag der Menschen, ihrer Sinnsuche und ihren Hoffnungen auf eine bessere Zukunft könnten sie nicht mehr gerecht werden. Wie konnte es dazu kommen? Die Naturwissenschaften haben sich in ihrer heutigen Form längst von allem befreit, was sie nicht berechnen oder in Formeln fassen können. Die konkrete Lebenswelt der Menschen wird dabei ausgeblendet. Wir kommen in dem Bild, das sie zeichnen, nicht mehr wirklich vor.




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Mi 27. Sep 2023, 09:15

Käme dem von philosophischer Seite nicht Wissenschaftstheorie nahe? Die ist zwar nicht in erster Linie Kritik, kann aber immerhin damit zu tun haben.

Wikipedia (da am naheliegendsten nachzuschauen): https://de.m.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftstheorie

(Etwa Kuhns Paradigma- und Inkommensurabilitätsbegriff - oder bei letzterem siehe vor allem auch Feyerabend. Das geht dann noch weit über Wissenschaftskritik hinaus.)




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Jörn Budesheim
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Mi 27. Sep 2023, 10:12

Spektrum.de hat geschrieben : "Wissenschaftstheorie, auch Epistemologie, englisch Philosophy of Science, bezeichnet die philosophische Disziplin, die sich mit den Voraussetzungen, Strukturen, Methoden, Tätigkeiten, Aufgaben und Zielen aller Arten von Wissenschaften befasst."

"Die ›wissenschaftliche‹ Methode stellt einen Weg zur Gewinnung von Erkenntnis dar; daher ist Wissenschaftstheorie der philosophischen Erkenntnistheorie, die sich mit allen, auch allgemeineren Formen und Möglichkeiten der Erkenntnis beschäftigt, zu subsumieren und historisch als Teil dieser traditionellen Disziplin zu sehen."

"Von einem eigenständigen philosophischen Teilgebiet ›Wissenschaftstheorie‹ kann jedoch erst etwa seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gesprochen werden. Dies lag nicht nur an der rasanten Entwicklung innerhalb der Wissenschaften selbst, gerade der Physik, sondern außerdem am gleichzeitigen Auftreten von Grundlagenkrisen in der Mathematik und Logik."

Quelle: https://www.spektrum.de/lexikon/physik/ ... orie/15675
Zusammenfassung: Wissenschaftstheorie befasst sich mit den Grundlagen, Methoden und Zielen aller Wissenschaften. Sie untersucht, was Wissenschaft von anderen Tätigkeiten unterscheidet und wie wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden. Historisch gesehen hat die Wissenschaftstheorie ihren Ursprung in der Philosophie und entwickelte sich im 20. Jahrhundert zu einer eigenständigen philosophischen Disziplin. Das könnte man natürlich auch eine Kritik nennen. Im Sinne einer kritischen Reflexion über die Grundlagen und Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis.




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Nauplios
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Mi 27. Sep 2023, 10:17

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2023, 08:31
Nauplios hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 22:06
Wären wir in einem solchen, dann wäre die "Kritik an den Naturwissenschaften" eine mit historischem Hintergrund. Zu diesem Hintergrund gehört u.a. Husserls Krisis-Abhandlung und ihre Wirkungsgeschichte.
Spricht deiner Ansicht nach nicht Nick vergleichbares an?
Gegen einen solchen Vergleich wird sich Nick Nickless entschieden verwahren. ;)




Körper
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Mi 27. Sep 2023, 12:02

Man kann so sagen:
Leute, die dem Autoritätsspielchen anhängen und selbst nach Aufforderung nicht zu inhaltlich sachlichen Überlegungen wechseln, sollten sich vom Wissenschaftsbetrieb fernhalten - sie sind nachhaltig ungeeignet und können nichts am Wissenschaftsbetrieb kritisieren.
Sie denken nicht in Tatsachen, sie streben keine Tatsachen an, sie sind fern von Wissenschaft.
Es gibt genügend religiös/esoterische Strömungen, in denen derartiges Personal gesucht wird - dort ist der Heimathafen dieser Leute.

Zu Philosophen und einer Eignung der Philosophie zur Kritik am Wissenschaftsbetrieb, würde ich sagen: klärt erst einmal ab, ob ihr einen Wissenschaftsbetrieb darstellt.
Das Kriterium hierfür ist das Erarbeiten von Tatsachen, die dann in einer expliziten Menge an Tatsachen gesammelt werden.
Manche Philosophen sind irgendwie stolz darauf, dass "die Philosophie" nur Fragen aufstellt und manche sind zusätzlich von ihren absurd schrägen Formulierungen begeistert.
Wann immer es so aussieht, würde ich sagen: dann ist es wohl eher keine Wissenschaft.

Philosophen, die dem Autoritätsspielchen anhängen, fallen einfach automatisch unter den ersten obigen Punkt und brauchen nicht gesondert analysiert werden. Diese Zeit kann man sich sparen.




Nick Nickless
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Mi 27. Sep 2023, 12:37

Nauplios hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2023, 10:17
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2023, 08:31
Nauplios hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 22:06
Wären wir in einem solchen, dann wäre die "Kritik an den Naturwissenschaften" eine mit historischem Hintergrund. Zu diesem Hintergrund gehört u.a. Husserls Krisis-Abhandlung und ihre Wirkungsgeschichte.
Spricht deiner Ansicht nach nicht Nick vergleichbares an?
Gegen einen solchen Vergleich wird sich Nick Nickless entschieden verwahren. ;)
Warum sollte ich mich dagegen verwahren? Das, was Husserl die »Krisis ist der europ. Wiss.« nennt, ist sehr wohl das - ebenso systematisch, wie historisch relevante - Phänomen, das ich auch anspreche. Und es geht der Philosophie um nichts anderes, als den Phänomenen, dem Urphänomen Goethes, die Treue zu wahren, den vollen, unreduzierten Begriff der Natur, einer geistigen Welt, die nicht jenseits der Natur haust (i. S. des psycho-physischen Dualismus), eben der Idee des Ganzen gegen eine Überformung und Verstümmelung derselben durch eine einseitige, schlechte Abstraktion, durch die Galilei-Physik, zu bewahren; durch einen Tunnelblick, der gar nicht aus theoretischen (Physikalismus), sondern aus praktischen Gründen (Naturbeherrschung) auf allerbreitester Front vorgenommen wird, und der eben in seiner Konsequenz zu geistiger Erblindung führt, zur Galimathisierung aller Sozial- und Geisteswissenschaften, soweit sie sich nicht aufs Fliegenbeinzählen beschränken, und eben auch zur entsprechenden Zerstörung in der Realität. Und auch, dass man das Ganze nicht einfach zerlegen und je für sich, isoliert, betrachten kann (die Naturwiss. geht ihren Gang, die Sozialwiss. turnt irgendwo anders rum, die Ästhetik verachtet dann beide), dass es so nicht geht, hat Husserl völlig richtig gesehen und völlig richtig an der Idee der Einheit der Wissenschaft festgehalten.

So weit sind meine Intentionen mit denen Husserls völlig in sync, und ich habe zweifellos von den Husserlschen Bemühungen auch viel gelernt. Dass dann aber die transzendentale Phänomenologie nicht die Antwort sein kann, dass ich den Psychologismus für einen verfehlten Grundansatz halte, egal ob bei Locke, Hume, Kant, Fichte oder Husserl, dass das schlichte Dogmatisieren einer Lebenswelt, eines gesunden Menschenverstandes oder Volksvorurteils, mitsamt den Prinzipien des Mechanismus, noch weniger eine Antwort sein kann, und noch viel weniger das Schwafeln im Windschatten der Lebenswelt, - sorry. Das ist Teil des Problems, nicht der Lösung. Und die Wirkung des Buches war ja doch auch eher ein Sturm im akademischen Wasserglas; man kann halt alles Phänomen nennen, und jede Phänomenbeschreibung deshalb Phänomenologie, aber begriffen hat man dadurch gar nichts. Wenn es anders wäre, bestünde das Problem, um das es hier geht, gar nicht.




Nick Nickless
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Mi 27. Sep 2023, 13:36

Körper hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 15:14
Nick Nickless hat geschrieben :
Di 26. Sep 2023, 12:33
Sie ist schlechte, nämlich auf ein einseitiges Interpretationsschema (brauchbarer Mechanismus) fixierte Hermeneutik, die z. B. die Farbe prinzipiell ausblendet.
Warum es dir so sehr um Farbe geht, kann ich nicht nachvollziehen, aber "Farbe" kann durchaus als Stellvertreter für die Problematik des Einzugs in Wissenschaft/Wissenschaftsbetrieb stehen bleiben.
Ganz genau, als anschauliches Beispiel, das nahe genug am Mechanismus ist, um dem nat. wiss. Publikum noch verständlich zu sein, und fern genug davon, um die Differenz zu sehen. Weil damit der Gegensatz von Newtonscher Optik und Goethescher Farbenlehre verbunden ist, weil überhaupt daran das Verhältnis von Empirie, Wahrnehmung, Anschauung, Denken, Methode sehr ins Auge springend ist.

Aber grundsätzlich lässt sich das an jedem anderen Begriff oberhalb der abstraktesten Äußerlichkeit durchnehmen. Z. B. am Begriff des Körpers. Schon Descartes hat gesehen, dass ein Körper nichts anderes als ein Schar von sich synchron bewegenden Massepunkten und deren Wechselwirkung ist. Körper gibt es also strenggenommen gar nicht, die Einheit des Ganzen, die der Begriff impliziert, ist nichts als Einbildung, nichts als eine völlig willkürliche, bloß subjektiv relevante Zusammenfassung von Massepunkten. Die Einheit des Körpers ist genauso Einbildung und subjektive Willkür wie die Einheit der Katze, die Einheit des Menschen, alles nur sich mechanisch bewegende Massepunkte, deren Abgrenzung und Zusammenfassung man so oder auch anders machen kann, die alles, bloß eben kein Sein darstellen.

Die Philosophie tut nichts anderes als deinen Begriff des Körpers gegen die Zersetzung durch den Atomismus oder dergleichen zu verteidigen; so wie schon Aristoteles gesagt hat, dass die Körper zwar unendlich teilbar, aber nicht unendlich geteilt sind. Sie sind kein Atomhaufen. Und so wie der Körper kein bloßer Punkthaufen, so ist auch die Katze nicht ein bloßer Körper. Allerdings hat die Katze das Mechanische, das Körperliche, das Chemische durch aus an sich; wenn ich sie aus dem Fenster werfe, dann fällt sie gemäß dem Fallgesetz. Aber es gibt keine reine Mechanik, kann es nicht geben, weil es sich widerspricht. Es gibt sie immer nur in Verbindung mit anderem, mit dem Körper, mit dem Leben, dem Geistigen. Die Natur ist kein toter mechanischer Haufen, sondern lebendiger Organismus, der allerdings wie jeder Organismus einen Aspekt des Mechanischen hat, den man, wenn man will, herausabstrahieren und für sich betrachten kann.
Wenn "Farbe" nicht in die Wissenschaft einzieht, dann liegt es daran, dass "Farbe" keine Tatsache ist. "Farbe" liegt nicht vor.
Wenn "Farbe" nicht in den Wissenschaftsbetrieb einzieht, dann liegt es daran, dass niemandem ein Experiment einfällt, mit dem man zu "Farbe" eine Tatsache erarbeiten kann.
Genau das ist das Problem; dankenswerterweise schwurbelst du nicht erst bändeweise um den heißen Brei herum und versuchst auch gar nicht erst, die Farbe ins Psychologische oder schließlich ins Irrationale hinauszukomplimentieren.

Durch das Experiment werden ausschließlich streng reproduzierbare, quantitativ beschreibbare Effekte selektiert. Alles andere fällt durch den Rost. Das ist durchaus in Ordnung, wenn man weiß, was man da tut.

Wenn man aber hergeht und schließt: Also ist das andere auch nichts, keine »Tatsache«, kein Teil der Wirklichkeit, nada, - dann ist dass die dogmatische Hypostase eines praktischen Verfahrens als theoretischer Erkenntnis. Ein Dogmatismus, der gegen die einfachste Wahrnehmung - die eben Farben zeigt, und keine farblosen Bewegungen - sich blind stellt, die an die Stelle von Phänomen, Empirie, Anschauung, Empfindung einen schlechten Gedanken, eine absurde Hinterwelt, setzt, die Mythologie betreibt, nämlich pars pro toto setzt.
Solange das nicht gemacht wird, kann keinerlei Anspruch aufgestellt werden.
Wer oder was gibt dir das Recht zu einer solchen Behauptung? Wer gibt dir das Recht, die Farben, die du siehst, jeglichen Wahrheitsanspruchs zu berauben? Ich will es dir verraten: Es ist der Anspruch deines Ichs auf Herrschaft über die Natur, der dir dieses Recht verleiht, der nur gelten lässt, was zum Werkzeug deines Tuns taugt. Aber eben nicht die Erkenntnis, die Wahrheit.
Werden also zu einem Weltbild keine Tatsachen geliefert, kann man sich nicht beschweren, dass nichts von dem Weltbild in der Wissenschaft zu finden ist.
Richtig. Wer herrschen, reproduzierbare Effekte erzielen will, und solche Praxis mit Erkenntnis verwechselt, der muss aus seinem Weltbild die Farben, das Leben und die Schönheit der Natur streichen, ein für alle Mal. Er sieht und versteht von der Mona Lisa nur noch Höhe mal Breite, und sonst nigges. Das ist die alte Geschichte von Krösus, der an seinem Gold erstickt ist, wie sie die tausend Mal erzählt worden ist, die aber im Rahmen des obigen Weltbilds völlig unverständlich, zu nichts werden muss.




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Quk
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Mi 27. Sep 2023, 14:43

Nick, richten sich Deine Vorwürfe gegen die Naturwissenschaft insgesamt oder nur gegen einzelne, bestimmte Personen dieses Gebiets?

Mir scheint, die meisten Naturforschenden erheben keinen derartig allgültigen Anspruch; sie kennen wohl die Grenzen ihres Gebiets, und viele interessieren sich außerhalb ihres Gebiets auch für philosophische Fragen. Bei denen werden Deine Vorwürfe wahrscheinlich offene Türen einrennen.

An manchen Stellen wirken Deine Texte auf mich so, als würden sie die Bauern kritisieren, weil sie ihre Kartoffeln roh und nicht gebraten anbieten. Wie wäre es, die Naturwissenschaft als ein Lernelement von vielen aufzufassen, neben Philosophie, Mathematik, Sprache und so weiter? So lange man die Grenze jedes einzelnen Fachs weiß, sehe ich keine Gefahr, sondern Ergänzung. Ich möchte die Fächer kombinieren.

Ich merke gerade, dass meine obige Frage eigentlich nicht nur an Dich geht, sondern an den ganzen Faden hier, einschließlich Husserl:

Geht es um Kritik an der Naturwissenschaft insgesamt oder nur um bestimmte Personen dieses Gebiets,
die meinen, ihre Fachkompetenz zu einer Omnikompetenz überdehnen zu können?

Ich sags nochmal:
Ein Bauer, der keine Bratkartoffeln anbietet, kann man nicht dafür kritisieren, dass er keine Bratkartoffeln anbietet. Jeder weiß, sie werden roh geliefert.

Also geht es um die ganze Branche oder um Einzelpersonen?




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Jörn Budesheim
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Mi 27. Sep 2023, 15:17

Meine Version in Kurz: Mit naturwissenschaftlichen Methoden kann man nur Quantitatives erfassen, nichts Qualitatives. Das ist kein Nachteil. Es sei denn, man macht daraus eine Metaphysik, die besagt, dass es nur das gibt, was wir mit naturwissenschaftlichen Methoden erfassen können. Das ist aber kein Vorwurf an die Naturwissenschaften, sondern nur an die Naturalisten.




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Jörn Budesheim
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Mi 27. Sep 2023, 16:27

Quk hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2023, 14:43
Ein Bauer, der keine Bratkartoffeln anbietet, kann man nicht dafür kritisieren, dass er keine Bratkartoffeln anbietet. Jeder weiß, sie werden roh geliefert.
Auf diese Kartoffel-Metapher bezogen: Dass die Bäuerin nur rohe Kartoffeln anbietet, ist kein Problem, solange keine Naturalistin daraus eine Metaphysik macht, die besagt, dass es nur rohe Kartoffeln gibt.




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Quk
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Mi 27. Sep 2023, 16:37

Verstanden, damit ist Deine Kritik-Frage jetzt präziser. Sie richtet sich an den Naturalismus im speziellen, nicht an die Naturwissenschaft im allgemeinen, deren Akteure ihre Grenzen meist schon kennen und entsprechend handeln, und daher keiner diesbezüglich wiederholten Kritik bedürfen.




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Mi 27. Sep 2023, 18:55

Nick Nickless hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2023, 13:36
Genau das ist das Problem; dankenswerterweise schwurbelst du nicht erst bändeweise um den heißen Brei herum und versuchst auch gar nicht erst, die Farbe ins Psychologische oder schließlich ins Irrationale hinauszukomplimentieren.
Das, was dir gerade als angenehm aufgefallen ist, ist die Perspektive der Wissenschaft.
Es geht nur um das Sammeln von Tatsachen. Das ist neutral und wirklich sehr angenehm, weil es frei von Weltbildern ist.

Ich habe umgeschaltet, mein Weltbild aus dem Spiel herausgenommen und nur das Kriterium "Tatsache" hochgehalten.
Ich habe sozusagen den Wissenschaftsbetrieb herausgenommen.
Echte Wissenschaftler können das, sie machen das und sie sehen einen Sinn darin, denn die Wissenschaft muss neutral bleiben und sie muss allen gehören.
Ich musste jetzt leider die Formulierung "echte Wissenschaftler" verwenden, was sicherlich an die Aussagen von Religions-Gläubigen erinnert, aber das ist notwendig, weil es rund um den Wissenschaftsbetrieb eine Menge Ideologie gibt.
Du hast es vielleicht mitbekommen, hier in diesem Thread und auch in einem anderen bin ich auf ein gewisses Autoritätsspielchen gestossen.
Das ist leider in einigen Köpfen drin und es ist ein Grund, weshalb die Trennung zwischen Wissenschaft und Wissenschaftsbetrieb so elementar notwendig ist.
Wissenschaft gehört dir und allen anderen (auch mir), sie ist neutral und Weltbildunabhängig. Wissenschaftsbetrieb ist das restliche Treiben :-)

Ich sage das auch immer wieder Gott-Gläubigen und empfehle ihnen, sich die Wissenschaft nicht wegnehmen zu lassen, nur weil rund um den Wissenschaftsbetrieb wieder unsinnige Absolutheitsansprünge (insbesondere durch einen Autoritätsschabernack) gemacht werden.
Nick Nickless hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2023, 13:36
Durch das Experiment werden ausschließlich streng reproduzierbare, quantitativ beschreibbare Effekte selektiert. Alles andere fällt durch den Rost. Das ist durchaus in Ordnung, wenn man weiß, was man da tut.
Experiment war jetzt etwas vorschnell und sicherlich zu spezifisch naturwissenschaftlich.
Weiter vorne im Thread habe ich "Tatsache" auf das "Vorliegen einer Situation" gegründet und "Experiment" als speziellen Fall dazu angesprochen.

Könntest du dich damit anfreunden, dass es bei "Farben" um die Frage geht, liegen sie vor oder liegen sie nicht vor, im Sinne von "Teil der Realität" oder "nicht Teil der Realität"?
(das soll jetzt nichts daran ändern, dass wir immer noch keinen Einfall haben, wie das festgestellt werden könnte)
Nick Nickless hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2023, 13:36
Wenn man aber hergeht und schließt: Also ist das andere auch nichts, keine »Tatsache«, kein Teil der Wirklichkeit, nada, - dann ist dass die dogmatische Hypostase eines praktischen Verfahrens als theoretischer Erkenntnis. Ein Dogmatismus, der gegen die einfachste Wahrnehmung - die eben Farben zeigt, und keine farblosen Bewegungen - sich blind stellt, die an die Stelle von Phänomen, Empirie, Anschauung, Empfindung einen schlechten Gedanken, eine absurde Hinterwelt, setzt, die Mythologie betreibt, nämlich pars pro toto setzt.
Die Unsicherheit rund um "Tatsache" versteckt sich hier im Begriff "Wahrnehmung".
Wenn ein Akteur vor sich XYZ wahrnimmt, dann stellt sich Aufgabe, dass irgendetwas von dem, was vor dem Akteur ist (XYZ oder etwas, das man aus der Perspektive des Akteurs für XYZ halten kann), beim Akteur landen muss und dass er eine "XYZ"-Überzeugung durchlaufen muss.
Also das Durchlaufen einer Überzeugung ist der letzte notwendige Schritt und der Verlauf einschliesslich diesem letzten Schritt, versteckt sich hinter "Wahrnehmung".
Das grundsätzliche Problem, das wir nun beide haben, ist, dass wir genau solche Akteure sind, d.h. wir stecken im Durchlaufen derartiger Überzeugung drin und haben keine Überblicksposition.

Geht es um Tatsachen "ausserhalb von Wahrnehmungsanteilen" haben wir das Instrument der Interaktion, um das Vorliegen einer Situation zu analysieren.
Durch die Interaktion können wir viele Perspektiven einnehmen und eine Annäherung an eine Überblicksposition erreichen.
Durch das Instrument Interaktion können wir unser Urteil "was genau liegt vor und ist damit eine Tatsache" verbessern.

"Innerhalb von Wahrnehmungsanteilen" ist das Urteil sehr schwer zu treffen, denn wodurch stellen wir sicher, dass sich in unserem Durchlaufen von Überzeugungen eine Analysemöglichkeit der Umstände des Durchlaufens von Überzeugungen befindet?
Das muss ja nicht so sein.
Wenn wir wirkliches Wissen aufstellen wollen, müssen wir diese Unsicherheit irgendwie beseitigen, bevor wir die Wissenschaft mit Tatsachen befüllen, nur um sie später wieder herausnehmen zu müssen.
Vielleicht kann man es auch so sehen:
Der Umstand dieses Kein-Urteil-Treffen-Könnens ist selbst eine Tatsache und das, was in die Wissenschaft aufgenommen wird, darf nicht gegen bestehende Tatsachen verstossen, denn es soll letztlich um die Realität gehen.
Nick Nickless hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2023, 13:36
Wer oder was gibt dir das Recht zu einer solchen Behauptung?
Du hast hier nur auf den zweiten Satz meiner Aussage reagiert.
Der erste Satz dreht sich um das Aufstellen eines Zwangs, dass die Wissenschaft erweitert werden muss, und das geht nur über Tatsachen, die keinen anderen Tatsachen widersprechen.
Im letzten Absatz habe ich dazu ja bereits mehr Details angeben - vermutlich verändert sich dadurch auch dieser Punkt hier.
Nick Nickless hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2023, 13:36
Wer herrschen, reproduzierbare Effekte erzielen will, und solche Praxis mit Erkenntnis verwechselt, der muss aus seinem Weltbild die Farben, das Leben und die Schönheit der Natur streichen, ein für alle Mal. Er sieht und versteht von der Mona Lisa nur noch Höhe mal Breite, und sonst nigges. Das ist die alte Geschichte von Krösus, der an seinem Gold erstickt ist, wie sie die tausend Mal erzählt worden ist, die aber im Rahmen des obigen Weltbilds völlig unverständlich, zu nichts werden muss.
Du darfst all das ablehnen, denn es ist Weltbild (im Wissenschaftsbetrieb wird mit vielen Weltbildern gearbeitet) und du kannst es durch ein eigenes Weltbild ersetzen.
Weltbilder versuchen eine Hintergrundgeschichte, eine Erklärung darzustellen. Sie füllen sozusagen den Zwischenraum von Tatsachen.
D.h. wenn du ein Weltbild hast und ich ein anderes, dann enthält die Schnittmenge dieser Weltbilder idealerweise mindestens die Tatsachen aus der Wissenschaft (wieder: Wissenschaft ist das angenehm Neutrale, nicht der Wissenschaftsbetrieb).




Burkart
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Mi 27. Sep 2023, 22:02

Stefanie hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2023, 06:56
Selbstverständlich ist der Background wichtig.
Mir war/ist es wichtig, dass es vor allem um den Inhalt geht und nicht vor allem um den Beruf einer Person, die etwas äußert.
Aber einverstanden, Background hilft eine Person besser zu verstehen und so u.U. deren Aussagen, also die Inhalte.
Das ist nicht nur die Ausbildung, sondern auch sowas wie, wo hat eine Expertin publiziert, wer hat z.B. eine Studie, Versuchsreihe finanziert. Das kann ein Laie herausbekommen.
Es mag es herausbekommen können, aber muss/will er sich immer solche Arbeit machen? Es gibt sooo viel Informationen, wenn man sich da immer mit Recherchen um die Quelle deren Urheber kümmern müsste...
Es ist normal, dass es in den Wissenschaften, auch in den Naturwissenschaften, unterschiedliche Auffassungen über dieses oder jenes Ergebnis von bildgebenden Verfahren, Messungen, Beobachtungen etc., gibt. Es sind ja oft keine endgültigen Ergebnisse.

Außerdem gibt es eine Weiterentwicklung, zum Ergebnis A wird vielleicht Jahre später etwas anderes herausgefunden. Seriös ist es dann, wenn eine seriöse Zeitschrift dies veröffentlicht. Unseriös wäre es, wenn es nicht veröffentlicht wird.
Einverstanden.
Außerdem ist es in den Wissenschaften wichtig, dass interdisziplinär gearbeitet wird.
Grundsätzlich einverstanden...
Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn sich verschiedenen Fachrichtungen dazu äußern.
...wobei es aber schon einen Unterschied macht, wenn sich zu einem Gebiet X eine Experte von X äußert oder ein Experte von Y, der sich X auch mit anschaut.
Was oft passiert ist, ist, dass eine fachliche naturwissenschaftliche Quelle die sich zu philosophischen Fragen äußert,abgelehnt wird, weil einem das nicht paßt, was dort gesagt wird und dann als unseriös tituliert wird. Man müsste seine Position dann ja überdenken, was manche nicht können oder wollen.
Tja, das zeigt, dass "interdisziplnär" nur bedingt anerkannt wird; auch wenn es sinnvoll ist, ist es nicht so einfach bzw. unproblematisch.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

immanka
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Do 28. Sep 2023, 11:02

Lieber Herr Budenheim,

dies ist nur ein Test für einen Neuling. Melde mich später.

Viele Grüße




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Jörn Budesheim
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Do 28. Sep 2023, 15:42

Alles klar :-) Herzlich willkommen!




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AufDerSonne
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Fr 29. Sep 2023, 13:13

Wenn ich es richtig verstehe, sollen hier die Naturwissenschaften in einem sehr allgemeinen Sinn kritisiert werden.
Nun, ich weiss von einigen Physikern und Mathematikern, dass sie die Philosophie manchmal ausschliessen.
Nicht selten hört man den Satz. Der Rest ist Philosophie. Soll heissen, dass das nicht mehr hierher (zu den Formeln) gehört.
Das finde ich recht krass und vielleicht sogar falsch.
Was meint ihr dazu?



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