Sogenannter freier Wille: Geht es um Wollen oder Können?

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
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AufDerSonne
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Mo 5. Feb 2024, 16:09

Stefanie hat geschrieben :
Mo 5. Feb 2024, 15:09
Das Wollen ist noch keine Handlung.
Dann ist es nur ein Wunsch. Das Wollen ist ein handlungswirksamer Wunsch. Sobald ein Wille da ist, unternehme ich auch Schritte um ihn zu verwirklichen. Ich denke, sonst sollten wir eher von einem Wunsch sprechen.

Da es nur bedingte Freiheit gibt, keine unbedingte, und die Freiheit dem Willen vorangeht, würde ich auch sagen, ein völlig losgelöster Wille macht keinen Sinn.



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Michael7Nigl
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Mo 5. Feb 2024, 16:29

Quk hat geschrieben :
Mo 5. Feb 2024, 07:56
Michael7Nigl hat geschrieben :
Mo 5. Feb 2024, 01:21
Z.B. weiß man natürlich, was gemeint ist, wenn jemand sagt: "Ich will fliegen." oder "Ich will gesund sein." Das ist aber kein Wille im eigentlichen Sinn, sondern ein Wunsch. Wille bedeutet: "Fähigkeit des Menschen, sich für bestimmte Handlungen zu entscheiden" - das ist noch kein Fachterminus, sondern einfach die Bedeutung des Wortes, wie es im Wörterbuch steht. Wenn in einer Diskussion jeder unter einem bestimmten Wort etwas anderes versteht, dann wird man nie auf einen grünen Zweig kommen.
Das widerspricht ja nicht meinen Aussagen. Denn die Entscheidung für eine Handlung ist noch nicht die Handlung selbst.

"Ich will fliegen" ist noch kein Fliegen, sondern zunächst nur eine Entscheidung, beziehungsweise ein Wollen, sich so zu entscheiden.
Man kann sich als Mensch nicht dazu entscheiden zu fliegen (wie ein Vogel) oder gesund zu sein, das liegt außerhalb unserer Handlungsmöglichkeiten.
Ich kann mich dazu entscheiden, einen Spaziergang zu machen oder mich gesund zu ernähren; aber nicht zu fliegen oder gesund zu sein.
Deshalb ist "fliegen zu wollen" kein Wille, sondern ein Wunsch. Deine Verwendung des Wortes "Entscheidung" ist hier missbräuchlich, weil Entscheidungen reale Handlungsmöglichkeiten voraussetzen.
Und der Wille ist nicht "ein Wollen, sich zu entscheiden", sondern die Fähigkeit dazu.




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AufDerSonne
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Mo 5. Feb 2024, 16:40

Ich denke, Quk möchte gerne den Begriff für den Willen von Schopenhauer verwenden. Bei Schopenhauer ist der Wille so eine Art Urkraft, die allem innewohnt. Das ist problematisch.
Und dann muss man daran denken, dass Schopenhauer die Vorstellung neben den Willen stellt, also diese beide kann man nur zusammen haben. Die Welt ist mein Wille. Die Welt ist meine Vorstellung. Und dann wird es eben kompliziert. Allerdings hat Schopenhauer darin recht, dass Wille und Vorstellung sehr zentral sind beim Menschen. Das habe ich bei mir beobachtet. Und zwar so:

Wenn ich etwas nur will, dann geht es noch nicht. Wenn ich mir etwas nur vorstellen kann, dann geht es auch noch nicht. Wenn ich aber etwas will und eine Vorstellung davon habe, wie ich es machen kann, dann geht es. Dann kann man sagen, die Welt als Wille und Vorstellung. Aber Schopenhauer war ein Idealist. Sonst geht das sowieso nicht, mit seiner Idee vom Willen und der Vorstellung.



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Stefanie
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Mo 5. Feb 2024, 16:57

Der Schneider von Ulm wollte fliegen. Wille.
Es hat nicht geklappt. Können, eingeschränkt durch seine Fähigkeiten und der damaligen Technik.
Heute fliegt der Mensch zum Mond.

Es gibt Wollen und Können. So wie ich das sehe, wird hier einiges aus dem Bereich Können zum Wollen gepackt.

Sagt jemand hier " Ich wünsche zu leben".?
Ich will leben.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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AufDerSonne
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Mo 5. Feb 2024, 16:59

Stefanie hat geschrieben :
Mo 5. Feb 2024, 16:57
Sagt jemand hier " Ich wünsche zu leben".?
Ich will leben.
Habe mich gerade gefragt, wieso das jemand sagen sollte.
Und wenn jemand leben will, dann handelt er auch. Und dann ist es ein handlungswirksamer Wunsch.



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Michael7Nigl
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Mo 5. Feb 2024, 18:32

Stefanie hat geschrieben :
Mo 5. Feb 2024, 16:57
Der Schneider von Ulm wollte fliegen. Wille.
Es hat nicht geklappt. Können, eingeschränkt durch seine Fähigkeiten und der damaligen Technik.
Heute fliegt der Mensch zum Mond.

Es gibt Wollen und Können. So wie ich das sehe, wird hier einiges aus dem Bereich Können zum Wollen gepackt.

Sagt jemand hier " Ich wünsche zu leben".?
Ich will leben.
Dass man umgangssprachlich das Wort "wollen" in einem uneigentlichen Sinne gebrauchen kann, habe ich nie bestritten.
Wenn man aber in einer philosophischen Debatte über den Willen spricht, muss man schon von der eigentlichen Bedeutung des Wortes ausgehen:
"Fähigkeit des Menschen, sich für bestimmte Handlungen zu entscheiden".
Dass der Mensch mit Hilfe der Technik "fliegen" kann, habe ich ebenfalls nie bestritten. Darum geht es wohl nicht.




Burkart
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Mo 5. Feb 2024, 19:50

Quk hat geschrieben :
Mo 5. Feb 2024, 07:43
Burkart hat geschrieben :
Mo 5. Feb 2024, 01:16
"Die Untersuchung von Handlungen und Verantwortung sind traditionelle Bestandteile der Philosophie. „Was soll ich tun?“ gilt als eine ihrer Grundfragen."
Ist mit "Was soll ich tun?" wirklich auch das Denken gemeint? So hatte ich es bisher zumindest nicht verstanden.
Ich denke, man muss die Sachverhalte nicht entweder schwarz oder weiß sehen.
Nicht immer, insofern sehe ich das auch so.
Paula: "Otto, du musst handeln. Denk dir endlich einen Sitzplan aus."
Otto: "Mach ich morgen."
Paula: "Nein, jetzt. Handle jetzt. Wir müssen die Sitze optimal den verschiedenen Gästen zuordnen."
Otto: "Gut. Ich handle jetzt. Ich arbeite. Frau Meier, hm, setzen wir am besten dort hin, weil ..."
Sorry, für mich passt das sprachlich nicht, wenn darüber nur nachgedacht wird. Wenn Otto seine Ideen aufschreibt, ist dieses sein Handeln.
Dann gibt es noch den Spruch: "Nicht schwätzen. Machen!" Da könnte man -- im strikten Sinn -- das Schwätzen als ein Nichthandeln bezeichnen. Aber genau genommen, philosophisch scharf betrachtet, ist doch das Schwätzen auch ein aktives Tun, mit Absicht, mit Einfluss etc.
Nicht unbedingt; das Schwätzen kann auch einfach beliebiges Rumlabern sein ohne Absicht etwas zu tun.
Vielleicht sollte man unterscheiden zwischen dem strikten "Handeln"-Begriff im Alltag und einer feineren, mikroskopischen Bedeutung des Begriffs.
Ok, das könnte man, geht mir aber von dem Begriff zu weit weg, Hand-lung von "Hand" ist ja kein Zufall.

Auch der Bezug von Handeln und Verantwortung wird sich nicht auf das Denken beziehen. ("Handeln ist ein Sammelbegriff für bestimmte Tätigkeiten (die Handlungen), die ein Mensch absichtlich unternimmt. Handeln ist mit Verantwortung verbunden.")



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Quk
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Di 6. Feb 2024, 16:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Feb 2024, 08:21
Ein Beispiel, wovon ich rede: Marie will zeichnen lernen, sie ist gerade zehn Jahre alt. Wie kommt das? Nun, ich vermute, dass wir alle eine gewisse Veranlagung zur künstlerischen Tätigkeit in uns tragen, die sich natürlich von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausprägt. Aber das erklärt es vielleicht noch nicht, was kommt noch dazu? Es gibt Vorbilder. Ihre große Schwester zeichnet auch und ihr Großvater ist ein leidenschaftlicher Hobbyzeichner. Er zeigt ihr seine eigenen Bilder, hat ihr auch schon ein Buch mit Zeichnungen aus der Renaissance geschenkt. Im Internet hat er ihr Zeichnungen von Horst Janssen gezeigt. Das hat Marie besonders fasziniert, so wie er möchte sie auch zeichnen können, sie ahmt ihn nach und macht schnell große Fortschritte.

Was ist das für ein Prozess? Ich würde sagen, Marie wird Schritt für Schritt in die Welt des Geistes eingeführt. Natürlich spielt die Kausalität auch eine Rolle, sonst würde der Stift nicht die Farbe auf dem Papier hinterlassen, aber der Geist und das Leben werden mit den beiden Stichworten Kausalität un Inkausalität völlig ausgeblendet. Marie entwickelt beim Zeichnenlernen ein Gefühl dafür, was auf dem Papier richtig ist, was sich gut anfühlt, was schön ist. (Und natürlich auch, wie man eine Nase zeichnet.) Und damit ist sie auch im Einklang mit den anderen, denn die Vorbilder sind Teil dieses Eintauchens in das Bad des Geistes. Später wird sie den Einklang womöglich hinter sich lassen und nach neuen Wegen suchen, auch das ist Teil der Welt des Geistes.

Mein Vorschlag ist, wenn wir von Freiheit sprechen, dann sprechen wir vom Menschen und nicht von Gravitation und dergleichen. Inwiefern andere Tiere auch frei sind und in welcher Hinsicht will ich offen lassen.
Der Geist und das Leben werden mit Kausalität und Inkausalität keineswegs ausgeblendet, denke ich.

Ich meine, auch da geht es um Geschichte. Geschichte ist eine Sequenz von Ereignissen und Übergängen entlang der Zeitausdehnung.

Wie kommen diese Ereignisse und Übergänge zustande? Na, durch Kausalität oder Inkausalität. Mal so, mal so. Wodurch könnten sie sonst noch zustande kommen? Durch so etwas wie Semikausalität, irgendwas zwischen Kausalität oder Inkausalität? Ein "bisschen" kausal? Ich glaube nicht. Oder vielleicht durch irgend etwas jenseits von Kausalität oder Inkausalität? Was wäre das, Jörn? Also wie kommen Deine Lebens-Geschichten zustande, während Du Kausalität und Inkausalität als etwas lebensfeindliches betrachtest? Was stellst Du Dir da tatsächlich vor? Es muss wohl etwas statisches, zeitloses sein. Irgend ein "Jenseits" oder Nirvana oder so, in ganz anderen Dimensionen außerhalb der Zeit. Aber wo ist da denn das Leben, bitte?

Marie ist ein Lebewesen, das ohne die Zeitdimension keins wäre, denn das Leben ist eine Geschichte; eine Geschichte braucht Zeit. Woraus besteht eine Geschichte entlang ihrer Zeitausdehnung? Aus vielen Ereignissen, aus Veränderung. Die Veränderung mag graduell oder schrittweise erfolgen; egal, jedenfalls muss Veränderung stattfinden, andernfalls kommt keine Zeit, und somit keine Geschichte zustande. Wenn alle Sachverhalte der Gesamtwelt unverändert wären, stünde die Zeit still. Mit "alle" meine ich wirklich alle. Auch die letzte versteckte Referenz-Uhr in der allergöttlichsten Instanz hinter sämtlichen Universen veränderte sich dann nicht, denn ich meine "alle". Alles stünde still.

Also, für mich ist völlig klar, dass Lebendigkeit und auch geistige Tätigkeit Geschichten schreiben. Ohne Zeit lebt nichts. Das sind Lebensgeschichten und Geistesgeschichten. Geschichten bestehen aus Ereignissen und Übergängen. Das eine Ereignis verursacht ein weiteres. Und so fort. Manchmal passiert ein Ereignis spontan, inkausal. Manche halten das für unvorstellbar; gut, dann bleiben wir wenigstens beim kausalen. Wenn Ereignisse nicht spontan passieren, dann werden sie bewirkt oder verursacht durch vorangegangene Ereignisse. Die Reihe der Ereignisse kann man in einer recht beliebigen Feinkörnigkeit illustrieren. Man kann große Ereignissbündel im Jahrhundert-Takt zeigen, oder in Tagen, Sekunden, Pikosekunden etc. Irgendeine Veränderung stößt eine weitere Veränderung an. Was bitte ist daran lebensfeindlich?

Jörn, indirekt denkst Du also, "der Geist und das Leben" wären "ausgeblendet", wenn Geschichten, also Ereignisketten ins Spiel kämen. Da kann ich nicht folgen.

Woher hat Deine Marie die Veranlagung zum Zeichnen bekommen? War die schon immer da? In der Ewigkeit? Meinst Du das so? Oder begann die Veranlagung zu einer bestimmten Zeit in Maries Lebensgeschichte? Vielleicht im ersten Schwangerschaftsmonat? War das ein epigenetischer Zufall (Inkausalität)? War das Vererbung (Kausalität)?

Auch ich vermute, dass wir alle eine gewisse Veranlagung zur künstlerischen Tätigkeit in uns tragen. Wann beginnt dieses "In-uns-tragen"? Schon vor der Existenz des jeweiligen Menschen? Ist das so eine Metabene im zeitlosen Nirvana, von der menschliche "Veranlagungen" tropfen, hinunter in jede neu befruchtete menschliche Eizelle? Ist es diese Meta-Ewigkeits-Vorstellung, was Deine Abneigung gegen Kausalität begründet?

Ich meine, die Thematik der Veranlagung ist eben auch eine geschichtliche Thematik; sprich: Eine zumindest auf Kausalität basierende Thematik.

Jörn schreibt: "Es gibt Vorbilder. Ihre große Schwester zeichnet auch und ihr Großvater ist ein leidenschaftlicher Hobbyzeichner. Er zeigt ihr seine eigenen Bilder, hat ihr auch schon ein Buch mit Zeichnungen aus der Renaissance geschenkt. Im Internet hat er ihr Zeichnungen von Horst Janssen gezeigt. Das hat Marie besonders fasziniert, so wie er möchte sie auch zeichnen können, sie ahmt ihn nach und macht schnell große Fortschritte."

Das sind meines Erachtens alles Bilderbuchbeispiele für Kausalitäten. Kausal entstanden ist nicht nur der Farbtupfer auf dem Blatt, sondern auch das Hobby des Opas; auch die Tatsache, dass das Buch die Renaissance statt die Antike thematisierte; auch, dass das Internet vorhanden war; auch das Auslösen der Faszination von Marie, etc. pp.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Das sind natürlich alles multikausale Sachverhalte. Das ist nicht nur ein einziger trivialer Kausalpfeil. Wenn ich kausal sage, heißt das nicht bloß monokausal, sondern vor allem multikausal. Viele Geschichten laufen parallel, manche kreuzen sich hin und wieder. Triangulation ist zum Beispiel etwas multikausales. Da passieren Ereignisse auch parallel.

(Die Sache mit der Gravitation war eine Metapher zwecks Anschaulichkeit. In diesem Kommentar hier geht es mir aber jetzt speziell um die Kausalität und deren Verteidigung gegen den Vorwurf, sie sei unmenschlich.)




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Jörn Budesheim
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Di 6. Feb 2024, 18:54

Quk hat geschrieben : Deine Abneigung gegen Kausalität
Quk hat geschrieben : Du [betrachtest] Kausalität und Inkausalität als etwas lebensfeindliches
Ich habe keine Abneigung gegen Kausalität, ich schreibe ja ausdrücklich, dass Kausalität auch in solchen Geschichten, wie der kleinen Episode mit Marie eine Rolle spielt. Ich schließe also Kausalität nicht aus, aber ich beschränke das, worum es geht, nicht darauf.

Ich halte Kausalität und Inkausalität auch nicht für etwas dem Leben Feindliches. Vielmehr habe ich geschrieben, dass unser Leben in Deinen Betrachtungen wie (auch in dieser Antwort), die nur auf Kausalität und Inkausalität setzt, nicht vorkommt.
Quk hat geschrieben : Wie kommen diese Ereignisse und Übergänge zustande? Na, durch Kausalität oder Inkausalität. Mal so, mal so. Wodurch könnten sie sonst noch zustande kommen?
Die kleine Episode mit Marie war schon die Antwort auf diese Frage. Es gibt viele andere Dinge als Kausalität, hier ohne besondere Reihenfolge ein paar Beispiele: Gründe, Werte, Wahrheit, Wertschätzung, Schönheit, Sinn, Geistesgeschichte, Subjektivität...

Ich habe oben schon mehrfach von Gründen gesprochen. Gründe sind Tatsachen, die für etwas sprechen. Damit kommen der Mensch und das Normative ins Spiel. Eine solche Beziehung des Für-etwas-Sprechens kann nicht einfach mit Kausalität gleichgesetzt werden. Kausalität ist normativ neutral. Du schreibst sinngemäß, dass ein Ereignis ein anderes verursacht. Das kann manchmal so sein, muss es aber nicht. Wenn mir jemand einen Grund gibt, dies oder jenes zu tun, dann verursacht dieser Grund nicht einfach meine Handlung. Ich kann diesen Grund akzeptieren oder nicht. Hier ist Rationalität im Spiel. In den Ereignisfolgen oder Ketten gibt es nicht nur Kausalität, sondern eben auch Gründe. Und natürlich ggf. auch Werte, Wertvorstellungen und all die anderen Dinge, die ich oben genannt habe.

Da ich nicht leugne, sondern ausdrücklich zugebe, dass Kausalität eine Rolle spielt, bringen uns alle Argumente, die zeigen wollen, dass Kausalität eine Rolle spielt, nicht weiter.
Quk hat geschrieben : Jörn, indirekt denkst Du also, "der Geist und das Leben" wären "ausgeblendet", wenn Geschichten, also Ereignisketten ins Spiel kämen. Da kann ich nicht folgen.
Zur Sicherheit sage ich es noch mal: Ereignisketten schließe ich nicht aus, sie sind bei mir nur ontologisch viel bunter als bei dir. (Nebenbei bemerkt: das ist auch einer der Gründe warum der Kompatibilismus im Recht ist, aber das ist ein anderes Thema.)

Zusammenfassend moniere ich, dass du dich auf Kausalität und Inkausalität beschränkst und letztlich alles andere, was unser Leben ausmacht, außen vor lässt.




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Quk
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Di 6. Feb 2024, 19:34

Also diese Argumentation finde ich jetzt grotesk :-) Nur weil mein Thema quasi gerade nur das Skelett behandelt, bringst Du den Einwand, das Thema enthalte kein Blut. Müssen wir denn in unseren schrittweisen Analysen alle Sachverhalte der Welt gleichzeitig verwurschteln, um dem Vorwurf zu entgehen, man blende irgendetwas aus? So ähnlich wie bei dem LGB-Kürzel, welches das Leben der Transen ausblendet, und deshalb LGBT heißen soll, was aber das Leben der Queeren ausblendet, und deswegen dringend LGBTQ lauten soll, und weil dann immer noch viele Menschen ausgeblendet werden, es deshalb LGTBQplus gennant werden muss? :-)




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Jörn Budesheim
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Di 6. Feb 2024, 19:51

Du hast Dich zu Beginn auf eine rein kausale und inkausale Betrachtung festgelegt. Das bedeutet, dass Dinge, die nicht kausal und nicht inkausal sind, notwendigerweise nicht auftauchen und auch nicht auftauchen können, d.h. sie werden nicht verschoben auf dem nächsten Schritt, sondern aus dem Bild gestrichen, weil sie im ersten Schritt bereits aussortiert wurden.

Die Festlegung auf Kausalität schließt z.B. Gründe aus, weil Gründe nicht einfach eine Handlung oder einen Gedanken verursachen. Es gibt so viele Dinge, die nicht kausal sind, dass ich überhaupt nicht verstehe, warum man das alles von vornherein ausschließen muss. Gerade wenn es um uns Menschen und die Freiheit geht.




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Quk
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Di 6. Feb 2024, 20:27

Nur, dass wir nicht aneinander vorbeireden. Ich meine:

Grund ist keine Ursache.

Begründung ist nicht das gleiche wie Verursachung.

Wenn ein Grund etwas verursacht, dann bestenfalls nur als Bestandteil eines Ereignisses, welches etwas verursacht.

Ein Ball schmeißt eine Tasse um. Hierfür ist er nicht der Grund, sondern die Ursache. -- Auch wenn die Begriffe "auf Grund" und "wegen" in der Alltagssprache synonym gebraucht werden.

Der Kiosk schließt auf Grund des Ladenschlussgesetzes. Das ist die Begründung. Das Ladenschlussgesetz ist aber keine Kraft, die das Kioskfenster bewegen kann. Die Ursache für das geschlossene Fenster ist irgendein Muskel eines Menschen. Das Ereignis der Muskelbewegung bewirkt das Ereignis des Fensterschließens. Und dem Ereignis der Muskelbewegung geht voraus das Ereignis der Kioskfrau beim Lesen des Ladenschlussgesetzes. Das Ereignis ist das Lesen. Davor kommt das Ereignis des Gesetzbuchdruckes. In dieser Ereigniskette ist das Ladenschlussgesetz ein gewisser Bestandteil, aber es allein ist keine Ursache. Es kann nur als Grund dienen für zeitunabhängige Sachverhalte. Ein gleichschenkliges Dreieck verursacht nicht drei gleiche Winkel, sondern es ist bestenfalls der Grund dafür. Denn die geometrische Form namens "Dreieck" tut nichts. Sie ist.

So sehe ich das :-) Auf die Schnelle. Sicher sind ein paar Flüchtigkeitsfehler drin.


Und jetzt zum eigentlichen Punkt:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 6. Feb 2024, 19:51
Es gibt so viele Dinge, die nicht kausal sind, dass ich überhaupt nicht verstehe, warum man das alles von vornherein ausschließen muss.
Ja, es gibt so viele Dinge, die nicht kausal sind. Zum Beispiel das Dreieck; das ist dreieckig. Oder der Grund, der etwas bedingt. Oder die Zahl Pi; die hinterm Komma kein Ende hat. Das alles hat aber nichts mit Wollen und Können zu tun. Ich möchte nicht alle Aspekte des Universums auf einer A4-Seite aufzählen, wenn dieser begrenzte Textraum für das Thema "Wollen und Können" draufgeht.




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Jörn Budesheim
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Di 6. Feb 2024, 20:57

Quk hat geschrieben :
Di 6. Feb 2024, 20:27
Das alles hat aber nichts mit Wollen und Können zu tun
Dass es anders ist, habe ich oben am Beispiel von Marie zu zeigen versucht, wo z.B. Gründe eine Rolle spielen, von denen du selbst zugegeben hast, dass sie nicht zur Kausalität gehören.

Du sprichst immer vom Wollen, das ist ein ungünstiger Ausdruck, weil er die Person, die etwas will, und das, was sie will, ausblendet. Du hast das Dreieck erwähnt. Wenn sie Geometrie studieren will, wie soll das funktionieren, wenn man nur Kausalität und Inkausalität für den Beginn ihres Wollens zulässt? Wenn diese Person von der Geometrie fasziniert ist, dann kann dieses Wollen nicht nur kausal oder inkausal beginnen, sondern es muss von einem gewissen Verständnis der Geometrie und zum Beispiel von einem Gefühl für ihre Schönheit herrühren. Mit anderen Worten, es kann nicht einfach nur kausal oder inkausal beginnen.




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Quk
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Di 6. Feb 2024, 22:12

Herrühren? Ich finde, das ist eines von vielen schönen alternativen Ausdrücken für anrühren, anregen, anstoßen ... -- alles kausale Sachverhalte, in meinen Augen. Nur der lyrische Sound ist hierbei verschieden.




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