"Das Gehirn-Gehirn-Problem
Zeit für ein bisschen konzeptionelles Aufräumen oder Möbelrücken. Wir haben das Geist-Körper-Problem völlig falsch besprochen; wir müssen unsere Formulierungen auf den neuesten Stand bringen. Früher wussten wir nicht, dass das Gehirn der zentrale Mechanismus des Geistes ist; jetzt wissen wir es. Der Geist ist ein Aspekt des Gehirns – geistige Eigenschaften sind Eigenschaften des Gehirns. Das Selbst ist das Gehirn; geistige Eigenschaften sind Eigenschaften des Selbst; daher sind sie Eigenschaften des Gehirns. Es gibt keine geistige Substanz, deren Eigenschaften sie sein könnten, und wir wissen jetzt, dass das Gehirn für das verantwortlich ist, was im Geist geschieht – für geistige Ereignisse, Fähigkeiten usw. Nichts hindert uns daran zu sagen, dass geistige Eigenschaften Eigenschaften des Gehirns sind.[1] Wir könnten (und sollten wahrscheinlich) die Kennzeichnung „der Geist“ oder „der menschliche Geist“ fallen lassen, die suggeriert, dass es ein Ding namens „der Geist“ gibt, das nicht mit dem Gehirn identisch ist. Gewöhnen wir uns daran, von geistigen Eigenschaften als Gehirneigenschaften zu sprechen. Das Gehirn hat viele Eigenschaften – anatomische, zelluläre, biochemische, elektrische, atomare und geistige. Das Gehirn ist das, worin unser Bewusstsein existiert. Andererseits ist der Körper strenggenommen nicht Teil des Problems, wenn wir die biologische Struktur meinen, in der sich das Gehirn (und damit der Geist) befindet – Bauch, Beine, Arme usw. Diese könnte es gar nicht geben, und wir hätten trotzdem ein „Körper-Geist“-Problem. Was wir wirklich haben, ist ein Gehirn-Gehirn-Problem: Wie verhalten sich einige Aspekte des Gehirns zu anderen Aspekten des Gehirns? Wie verhalten sich die nicht-geistigen Aspekte zu den geistigen Aspekten? Das Problem betrifft also die Beziehung des Gehirns zu sich selbst – was man kurz und bündig als „das Gehirnproblem“ bezeichnen könnte. Wie ist das möglich, was wir das Gehirn nennen? Müssen wir Dualisten in Bezug auf das Gehirn sein? Sind einige Aspekte des Gehirns auf andere reduzierbar? Sind einige seiner Eigenschaften supervenient gegenüber anderen? Könnte es ein Gehirn geben, das physisch genau wie das tatsächliche Gehirn ist und nur nicht-geistige Eigenschaften hat (ein Zombie-Gehirn)? Wie ist es, das Gehirn einer Fledermaus zu haben? Sind Gehirne jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens? Ist das Gehirn ein Wundertäter? So muss man reden.
Es ist offensichtlich, dass nicht alle Aspekte des Gehirns ein philosophisches Problem darstellen. Erstens haben einige Teile des Gehirns keinen mentalen Aspekt und stellen daher kein „Geist-Körper“-Problem dar. Neuronen sind nicht allgemein mit mentalen Eigenschaften ausgestattet. Zweitens gibt es sogar unter denen, die mit mentalen Eigenschaften korreliert sind, unproblematische Beziehungen zwischen den Aspekten. Es ist kein großes Problem, die grobe anatomische Architektur von Neuronen mit ihren biochemischen Eigenschaften in Beziehung zu setzen. Auch elektrische Eigenschaften sind nicht auf rätselhafte Weise aus chemischen Eigenschaften hervorgegangen. Wir haben kein Problem damit zu verstehen, wie die Form des Gehirns aus seinen Bestandteilen entsteht. Das Gehirn ist nicht von Natur aus ein rätselhafter, mysteriöser Ort; es ist mehr oder weniger so transparent wie das Herz oder die Nieren. Nur in einem Aspekt stellt es philosophische Schwierigkeiten dar – dem mentalen Aspekt. Er ist selektiv problematisch. Eine Teilmenge seiner Eigenschaften (als „mental“ bezeichnet) widersetzt sich der Vereinigung mit seinen anderen Eigenschaften. Wir haben ein partielles Gehirnproblem, kein allgemeines. Das Gehirn ist nur ein bisschen mysteriös – wenngleich ein großes bisschen. Es ist, als würde man das Eisenbahnsystem eines Landes untersuchen und feststellen, dass es ziemlich leicht zu verstehen ist – außer wenn es darum geht, wie (sagen wir) Leute Fahrkarten kaufen. Alles läuft ziemlich reibungslos (das Wetter ist schön), außer dort, wo das Gehirn in mentale Gewässer segelt (dann wird es stürmisch). Es ist, könnten wir sagen, anomal problematisch. Bei einer allgemeinen Untersuchung sollte es überhaupt nicht problematisch sein, aber dann wird es plötzlich undurchsichtig. Das Gehirn ist lokal mysteriös – auf mysteriöse Weise mysteriös, könnte man sagen. Warum wird es nur in Bezug auf einen seiner Aspekte mysteriös? Und doch ist es das. Wir bekommen die Möglichkeit des Dualismus, mit Zombies und körperlosen Geistern, Typen- und Token-Identitätstheorien, Funktionalismus, Panpsychismus und dem Rest. Das Gehirnproblem ist selbst ein Problem – warum existiert das Problem überhaupt? Wie konnten (konnten) Gehirne aus unbelebter Materie entstehen? Der Geist selbst ist kein solches Problem, und der Körper ist verständlich genug, aber der geistige Aspekt des Gehirns ist ein tiefes Mysterium. Das Gehirn allein ist ein Rätsel, flankiert von (relativ) verständlichen Dingen (Körper, Geist). Unsere Frage sollte lauten: „Können wir das Gehirnproblem lösen?“ Ich sage nicht, dass diese Formulierung die Lösung leichter macht, aber sie formuliert die Frage zumindest richtig.[2]
[1] Natürlich meine ich damit nicht, dass geistige Eigenschaften auf andere Gehirneigenschaften reduzierbar sind (wie die C-Faser-Entladung); ich meine, sie sind bereits Gehirneigenschaften (wie Schmerz). Geistige Eigenschaften könnten völlig irreduzibel und dennoch Eigenschaften des Gehirns sein. Ich beziehe hier keine Stellung zu dieser Frage.
[2] Philosophen studieren das Gehirn normalerweise nicht als Teil ihrer formalen Ausbildung, sind es also nicht gewohnt, darüber nachzudenken. Als ich es vor 56 Jahren zum ersten Mal im Rahmen meines Psychologiestudiums studierte, war ich zutiefst beunruhigt darüber, wie das Gehirn mit dem Bewusstsein und dem Geist im Allgemeinen zusammenhängt. Es Ich denke, es gibt unter Philosophen einen instinktiven Widerstand, die zentrale Bedeutung des Gehirns für den Geist anzuerkennen, aber dieser Widerstand muss überwunden werden. Die Philosophie des Geistes ist eigentlich die Philosophie des Gehirns – in seinem mentalen Aspekt. (Ich befürworte keine „Neurophilosophie“.) Das Gehirn hat einen Geist, so wie das Herz Ventrikel hat. Psychologie und Philosophie des Geistes befassen sich mit diesem Aspekt des Gehirns; die Physiologie befasst sich mit seinen anderen Aspekten."
[Übersetzt von Google Translate mit einigen Änderungen meinerseits]
Quelle: https://www.colinmcginn.net/the-brain-brain-problem/
ZNS
Ein heute veröffentlichter Blog-Text von Colin McGinn: "The Brain-Brain Problem"
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
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Consul hat geschrieben : ↑Do 31. Okt 2024, 21:03"Dass etwas auf der Ebene des bewussten Erlebens und auf eine ganz bestimmte Weise erscheint," ist ein Argument für etwas—nämlich dafür, dass es eine reale Ebene des bewussten Erlebens und Erscheinens gibt.Timberlake hat geschrieben : ↑Do 31. Okt 2024, 20:05spektrum.de hat geschrieben : Das Bewusstsein als Illusion
Nachdem die Quantenphysik aus der Materie, dem festen Boden unter meinen Füßen, ein unscharfes Gemenge von Wahrscheinlichkeitswellen gemacht hat, kommt nun die Hirnforschung und stellt meine unmittelbarsten Erfahrungen in Frage: Wie authentisch ist mein höchstpersönliches Erlebnis – zum Beispiel der Farbe Rot –, wenn es "in Wirklichkeit" doch nur neuronale physikochemische Prozesse gibt? Mit welchem Recht darf ich überhaupt "ich" sagen?
Thomas Metzinger antwortet radikal: Wenn man das naturwissenschaftliche Weltbild ernst nimmt, dann ist letztlich alles Physik; die Qualität dieser Farbe da, mein Entschluss jetzt, dieses Handlungsziel, mein Selbst – das alles gibt es in Wirklichkeit nicht. Mein Bewusstsein ist eine Illusion, denn, so wörtlich auf Seite 192: "Dass etwas auf der Ebene des bewussten Erlebens und auf eine ganz bestimmte Weise erscheint, ist kein Argument für irgendetwas."
"Dass etwas auf der Ebene des bewussten Erlebens und auf eine ganz bestimmte Weise erscheint," ist ein Argument für etwas—nämlich dafür, dass es einen reale blaue Farbe um den roten Kreis gibt. Um an dieser Stelle mal darauf mit einer , nach meinem Dafürhalten , dazu passenden Analogie zu antworten.
... einer Analogie übrigens auch für das , was diese (peinlichen) Neurophilosophen an vermeintlichen Verbindungen zwischen dem Nervensystem und Bewusstsein ausmachen. Denke ich.Consul hat geschrieben : ↑Do 31. Okt 2024, 22:02…oder NeurophilosophenTimberlake hat geschrieben : ↑Do 31. Okt 2024, 20:27.. Neurowissensschaftler oder Philosophen.RoloTomasi hat geschrieben : ↑Mi 30. Okt 2024, 12:43...
Man sollte neurowissenschaftliche Forschung gar nicht mit (philosophischen) Fragen des Bewusstseins oder philosophischen Behauptungen über das Bewusstseins belasten. Es ist daher m.E. auch sinnvoll, dass dieser ZNS-Thread aus dem Bewusstseins-Thread ausgegliedert wurde. Das sind zwei ganz verschiedene Themenbereiche. Wenn Neurowissenschaftler anfangen zu philosophieren, ist das oft ebenso peinlich wie wenn Philosophen beginnen, über das Nervensystem und seine 'Verbindungen' zum Bewusstsein zu sprechen.
Vielleicht machen ja solche Analogien die Lösung "leichter".Consul hat geschrieben : ↑Do 31. Okt 2024, 22:44Ein heute veröffentlichter Blog-Text von Colin McGinn: "The Brain-Brain Problem"
"Das Gehirn-Gehirn-Problem
Unsere Frage sollte lauten: „Können wir das Gehirnproblem lösen?“ Ich sage nicht, dass diese Formulierung die Lösung leichter macht, aber sie formuliert die Frage zumindest richtig.[2]
[Übersetzt von Google Translate mit einigen Änderungen meinerseits]
Quelle: https://www.colinmcginn.net/the-brain-brain-problem/
- "Die Vorstellung, der philosophische Logos habe den vorphilosophischen Mythos überwunden, hat uns die Sicht auf den Umfang der philosophischen Terminologie verengt; neben dem Begriff im strengen Sinne gibt es ein weites Feld mythischer Transformationen, die sich in einer vielgestaltigen Metaphorik niedergeschlagen haben. Dieses Vorfeld des Begriffs ist in seinem ‚Aggregatszustand‘ plastischer, sensibler für das Unausdrückliche, weniger beherrscht durch fixierte Traditionsformen. Hier hat sich oft Ausdruck verschafft, was in der starren Architektonik der Systeme kein Medium fand. Hier wird behutsame Forschung noch reiche Bestände erheben können.“
Blumenberg .
Farben existieren nicht als objektive kategorische Eigenschaften von Körpern, sondern nur als subjektive Farbeindrücke. Es ist die Realität Letzterer, die auch im Fall optischer Illusionen bestehen bleibt.Timberlake hat geschrieben : ↑Do 31. Okt 2024, 23:39"Dass etwas auf der Ebene des bewussten Erlebens und auf eine ganz bestimmte Weise erscheint," ist ein Argument für etwas—nämlich dafür, dass es einen reale blaue Farbe um den roten Kreis gibt. Um an dieser Stelle mal darauf mit einer , nach meinem Dafürhalten, dazu passenden Analogie zu antworten.
Das obige Churchland-Zitat ist völlig unpeinlich, denke ich.Timberlake hat geschrieben : ↑Do 31. Okt 2024, 23:39...einer Analogie übrigens auch für das , was diese (peinlichen) Neurophilosophen an vermeintlichen Verbindungen zwischen dem Nervensystem und Bewusstsein ausmachen. Denke ich.
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
(oje, wieder das Wort "Zustand"!)
Die Neurowissenschaft macht Aussagen über das Nervensystem - Motto: was geht im Nervensystem vor sich, wenn der Mensch "davon ausgeht, dass..."
Die Neurowissenschaft untersucht aber nicht das, wovon der Mensch ausgeht.
Man kann allgemein formulieren: Neurowissenschaft trägt zur Untersuchung von Wahrnehmung bei, nicht zur Untersuchung "des Wahrgenommenen"
Warum musst du nicht berücksichtigen, dass Person A bei der Analyse von Person B nicht auf die von dir behauptete Mechanismus/Phänomen-Relation trifft und somit dort die Aufgabenstellung nicht vorliegt?Das Phänomen-Bewusstsein-fehlt mitnichten, und die Entdeckung und Erklärung von dessen Neuromechanismen ist die korrekte wissenschaftliche Aufgabenstellung!
Warum musst du nicht berücksichtigen, dass ein Mensch, der dich analysiert, nicht auf die von dir behauptete Mechanismus/Phänomen-Relation trifft?
Es geht hier ja nur darum, die Aufgabenstellung vernünftig zu formulieren.
Eine Formulierung, die eine einheitliche Zugänglichkeit zur Mechanismus/Phänomen-Relation voraussetzt, ist hübsch aber mindestens genauso wertlos, denn es ist schlicht nicht der Fall.
Wie zentral wichtig diese Betrachtung ist, sieht man an deinem Zitat:
Sorry, es gibt die Situation nicht, in der man bei einer Neuronenkonstellation auf "mentale Eigenschaften" trifft.Consul hat geschrieben : ↑Do 31. Okt 2024, 20:09Neuronen sind nicht allgemein mit mentalen Eigenschaften ausgestattet.
Quelle: https://www.colinmcginn.net/the-brain-brain-problem/
Was für ein Schauspiel, daraus zu machen: "Neuronen sind nicht allgemein mit mentalen Eigenschaften ausgestattet."?
Der Umfang der Anlässe für eine derartige Aussage ist Null, eine mathematische Null!
"Umfang der Anlässe" ist eigentlich kein schlechtes Mass für das korrekte Formulieren der Aufgabenstellung.
Was ist der "Umfang der Anlässe", mit der du deine "Mechanismus/Phänomen-Relation" rechtfertigen möchtest?
Fassungslos stehe ich vor derartigem Theater.Consul hat geschrieben : ↑Do 31. Okt 2024, 20:09Die Philosophie des Geistes ist eigentlich die Philosophie des Gehirns - in seinem mentalen Aspekt. (Ich befürworte keine "Neurophilosophie".) Das Gehirn hat einen Geist, so wie das Herz Ventrikel hat.
Quelle: https://www.colinmcginn.net/the-brain-brain-problem/
Das Gehirn hat keinen "Geist" (was auch immer das sein soll).
Das Problem ist, man kann nicht davon ausgehen, dass Philosophen derartige Aussagen poetisch meinen und quasi "im Hinterkopf sich der richtigen Vorstellung bewusst sind".
Nein, so ein Philosoph denkt, dass der Mensch "sein Gehirn" ist - "Umfang der Anlässe" = mathematische 0 (aber was stört das schon einen Philosophen)
Die Wahrscheinlichkeit für eine Korrektheit der obigen Behauptung ist damit schnell errechnet: 0.
=> "es ist" gar nicht!Consul hat geschrieben : ↑Do 31. Okt 2024, 20:09Wie ist es, das Gehirn einer Fledermaus zu haben?
Quelle: https://www.colinmcginn.net/the-brain-brain-problem/
Der Witz ist doch, dass ein Lebewesen (z.B. Mensch) keinen Einblick in seine Nervenaktivität hat.
Vielleicht muss man es explizit dazusagen, aber "Kein Einblick" bedeutet auch tatsächlich kein Einblick.
"Umfang der Anlässe" = mathematische 0
- Jörn Budesheim
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Geist bezeichnet zum Beispiel den Umstand, dass du dich selbst Körper nennst, dich fragst, was Geist sein soll und von dir selbst an anderer Stelle u. a. sinngemäß sagst, du seist zwei Meter groß und würdest 100 kg wiegen. Ganz allgemein gesagt, die Fähigkeit, sich selbst zu bestimmen.
In diesem und anderen Fäden wird der englische Ausdruck "mind" oft mit "Geist" übersetzt, aber das ist meines Erachtens eine unangemessene Übersetzung und Verkürzung des Ausdrucks Geist. Die beiden Begriff meinen sicher nicht einfach dasselbe. Wenn man sich von der "philosophy of mind" eine Philosophie des Geistes erhofft, wird man in der Regel enttäuscht.
Die angelsächsische Tradition konzentriert sich nach meinem Gefühl eher auf mentale Phänomene, wie etwa Wahrnehmung, Gedanken oder Emotionen, und untersucht vor allem das Verhältnis zwischen (einem solchermaßen verkürzt verstandenen) "Geist" und Körper beziehungsweise Gehirn. Ziel ist hier oft eine naturalistische Erklärung des Bewusstseins. Für die kontinentaleuropäische Tradition hingegen ist Geist ein umfassenderes philosophisches Konzept, das nicht allein auf das Mentale oder Physiologische beschränkt ist. Der Geist gilt als etwas, das sich selbst formt, bestimmt und entwickelt und dabei vor allem auch existenzielle Aspekte einschließt. Der objektive Geist – verstanden als Gesellschaft, Kultur oder Ähnliches – reicht sogar noch darüber hinaus.
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Ich muss Körper tatsächlich zustimmen, wenn er schreibt, dass das Gehirn keinen Geist hat. Wenn man wirklich ganz strikt nur über Körper/Gehirn/Nervensystem spricht, gelangt man niemals zu Bewusstsein/Geist.
Umgekehrt das Gleiche: Wenn man sich ganz auf das Thema Geist/Bewusstsein fokussiert, kommt man von da aus nicht zum Gehirn. Denn das Gehirn hat oder ist ja nicht Bewusstsein oder Geist – es hat in einer geist- oder bewusstseinstheoretischen Betrachtung keinen Platz.
Der Versuch, die ‚Beziehung‘ von Gehirn und Geist aufzuklären, muss m.E. scheitern, wenn man von zwei Entitäten – Gehirn und Geist – ausgeht. Man kann über eine solche Beziehung keine substanziellen Einsichten gewinnen. Der Standpunkt von Körper ist demgegenüber immerhin konsequent, weil er ganz beim Thema Nervensystem bleibt, also gar nicht den Anspruch erhebt, über Geistiges oder Bewusstsein oder über eine ‚Verbindung‘ von Gehirn und Geist zu sagen. Und das Gehirn, rein als solches betrachtet, ist oder hat ja auch tatsächlich keinen Geist.
Körper schreibt: „Das Gehirn hat keinen "Geist" (was auch immer das sein soll)“. Der erste Teil der Aussage ist m.E. vollkommen richtig. Problematisch finde ich aber den Ausdruck in Klammern. Also: Dass das Gehirn keinen Geist hat, ist das eine – dem stimme ich zu. Aber das heißt ja nicht, dass alles, was es gibt, Körper/Gehirn ist. Es heißt lediglich, dass man über Geistiges oder Bewusstsein sprechen kann, ohne dabei über Gehirn/Nervensystem sprechen zu müssen (oder über die sogenannte ‚Verbindung‘ beider.)
@Körper: Was Geist oder Geistiges ist, ist doch gar nicht rätselhaft. Nur muss man dazu, genau wie Du ja sagst, nicht ans Nervensystem denken – denn da findet man Geistiges natürlich nicht. Geistig ist z.B. die Tatsache, dass Du hier über Deine Ideen über das Nervensystem schreibst; also z.B. über Deine Auffassung, dass es im Nervensystem nichts Mentales gibt. Deine Worte haben Bedeutung, sie richten sich in Form von Frage, Antwort oder auch Verwunderung („Fassungslos stehe ich vor derartigem Theater“) an andere. Was Du sagst, drückt Deinen Standpunkt zum Thema aus; einen Standpunkt vertreten, das ist etwas Geistiges, ebenso wie das Schreiben, mit dem man anderen etwas mitteilen oder zum Ausdruck bringen will. Das alles gehört zum Geistigen – aber natürlich, ganz wie Du sagst: das alles ist nicht im Gehirn oder Nervensystem. Nimm einfach Deine Bemerkung, „dass ein Lebewesen (z.B. Mensch) keinen Einblick in seine Nervenaktivität hat“ (der ich übrigens durchaus zustimme). Geistig ist hier schon Dein Ausdruck „Nervenaktivität“ – denn mit dem Begriff ‚Aktivität‘ verbindet sich ein bestimmter Sinn (das ‚Aktivsein‘, Neuronenfeuern oder was auch immer). Dass man ein rein neuronales Geschehen als irgendwie sinnvoll oder strukturiert oder systemisch beschreibt – z.B. als ‚Aktivität‘ oder als 'Muster' von Aktivitäten – darin steckt schon das Geistige. Keiner kommt bei der Betrachtung oder Besprechung des ZNS (oder irgendeines anderen Themas) darum herum, bedeutungsvolle Begriffe oder auch Metaphern zu verwenden – und darin steckt schon Geistiges. (Geistig ist übrigens auch die strikte methodische Beschränkung auf das ZNS, die Du mit Deiner Position vornimmst. Es handelt sich dabei um eine Form strenger wissenschaftlicher Spezialisierung und Selektivität, und das ist eine eminent geistige Leistung.)
Umgekehrt das Gleiche: Wenn man sich ganz auf das Thema Geist/Bewusstsein fokussiert, kommt man von da aus nicht zum Gehirn. Denn das Gehirn hat oder ist ja nicht Bewusstsein oder Geist – es hat in einer geist- oder bewusstseinstheoretischen Betrachtung keinen Platz.
Der Versuch, die ‚Beziehung‘ von Gehirn und Geist aufzuklären, muss m.E. scheitern, wenn man von zwei Entitäten – Gehirn und Geist – ausgeht. Man kann über eine solche Beziehung keine substanziellen Einsichten gewinnen. Der Standpunkt von Körper ist demgegenüber immerhin konsequent, weil er ganz beim Thema Nervensystem bleibt, also gar nicht den Anspruch erhebt, über Geistiges oder Bewusstsein oder über eine ‚Verbindung‘ von Gehirn und Geist zu sagen. Und das Gehirn, rein als solches betrachtet, ist oder hat ja auch tatsächlich keinen Geist.
Körper schreibt: „Das Gehirn hat keinen "Geist" (was auch immer das sein soll)“. Der erste Teil der Aussage ist m.E. vollkommen richtig. Problematisch finde ich aber den Ausdruck in Klammern. Also: Dass das Gehirn keinen Geist hat, ist das eine – dem stimme ich zu. Aber das heißt ja nicht, dass alles, was es gibt, Körper/Gehirn ist. Es heißt lediglich, dass man über Geistiges oder Bewusstsein sprechen kann, ohne dabei über Gehirn/Nervensystem sprechen zu müssen (oder über die sogenannte ‚Verbindung‘ beider.)
@Körper: Was Geist oder Geistiges ist, ist doch gar nicht rätselhaft. Nur muss man dazu, genau wie Du ja sagst, nicht ans Nervensystem denken – denn da findet man Geistiges natürlich nicht. Geistig ist z.B. die Tatsache, dass Du hier über Deine Ideen über das Nervensystem schreibst; also z.B. über Deine Auffassung, dass es im Nervensystem nichts Mentales gibt. Deine Worte haben Bedeutung, sie richten sich in Form von Frage, Antwort oder auch Verwunderung („Fassungslos stehe ich vor derartigem Theater“) an andere. Was Du sagst, drückt Deinen Standpunkt zum Thema aus; einen Standpunkt vertreten, das ist etwas Geistiges, ebenso wie das Schreiben, mit dem man anderen etwas mitteilen oder zum Ausdruck bringen will. Das alles gehört zum Geistigen – aber natürlich, ganz wie Du sagst: das alles ist nicht im Gehirn oder Nervensystem. Nimm einfach Deine Bemerkung, „dass ein Lebewesen (z.B. Mensch) keinen Einblick in seine Nervenaktivität hat“ (der ich übrigens durchaus zustimme). Geistig ist hier schon Dein Ausdruck „Nervenaktivität“ – denn mit dem Begriff ‚Aktivität‘ verbindet sich ein bestimmter Sinn (das ‚Aktivsein‘, Neuronenfeuern oder was auch immer). Dass man ein rein neuronales Geschehen als irgendwie sinnvoll oder strukturiert oder systemisch beschreibt – z.B. als ‚Aktivität‘ oder als 'Muster' von Aktivitäten – darin steckt schon das Geistige. Keiner kommt bei der Betrachtung oder Besprechung des ZNS (oder irgendeines anderen Themas) darum herum, bedeutungsvolle Begriffe oder auch Metaphern zu verwenden – und darin steckt schon Geistiges. (Geistig ist übrigens auch die strikte methodische Beschränkung auf das ZNS, die Du mit Deiner Position vornimmst. Es handelt sich dabei um eine Form strenger wissenschaftlicher Spezialisierung und Selektivität, und das ist eine eminent geistige Leistung.)
"Never stop this old erosion fantastic voyage" (Falco)
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Da sehe ich genauso. In dieser Tradition, die sehr dominant ist, liegt der der Fokus auf dem Verhältnis von Körper (body) und Bewusstsein (mind). Man geht immer noch von der Problemstellung aus, die sich aus dem Substanzdualismus von Descartes ergibt. Man will das Problem lösen, wie sich body (oder auch brain) zu mind verhält. Die kontinentaleuropäische Differenz von Geist und Bewusstsein hat für diese Problemstellung keine Bedeutung. Man ist bei dem Begriff 'Geist' meistens sofort skeptisch, weil man dabei - ganz entgegen dem Sinn der europäischen Tradition - irgendetwas Spirituelles oder rein Seelisches, Immaterielles wittert. Deswegen hält man sich ganz an 'mind' oder an 'das Mentale', das irgendwie am oder im Körper ist - oder das irgendwie selbst körperlich ist.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 12:22
Die angelsächsische Tradition konzentriert sich nach meinem Gefühl eher auf mentale Phänomene, wie etwa Wahrnehmung, Gedanken oder Emotionen, und untersucht vor allem das Verhältnis zwischen (einem solchermaßen verkürzt verstandenen) "Geist" und Körper beziehungsweise Gehirn. Ziel ist hier oft eine naturalistische Erklärung des Bewusstseins.
(Dazu nur am Rande: Das beste Buch zu diesem Thema bzw. aus dieser Tradition ist für mich Nicolai Hartmann: "Das Problem des geistigen Seins". Hartmann betont sehr klar die Differenzen zwischen Körperlichem, Seelischem, Bewusstem und Geistigem - und er schlägt auch eine sinnvolle Differenzierung des Geistigen (in personalen, objektiven und objektivierten Geist) vor. Hätte ich mehr Zeit und Energie, würde ich mal einen Lektürethread zu diesem Buch starten. Aber dafür braucht es echt viel Geduld und zähes Durchhalten...naja, vielleicht irgendwann später mal. Ich kann es aber sehr empfehlen; es ist dick, aber es liest sich eigentlich recht leicht.)Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 12:22Für die kontinentaleuropäische Tradition hingegen ist Geist ein umfassenderes philosophisches Konzept, das nicht allein auf das Mentale oder Physiologische beschränkt ist. Der Geist gilt als etwas, das sich selbst formt, bestimmt und entwickelt und dabei vor allem auch existenzielle Aspekte einschließt. Der objektive Geist – verstanden als Gesellschaft, Kultur oder Ähnliches – reicht sogar noch darüber hinaus.
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Das ist natürlich eine perfekte Marketingstrategie, weil sie den Leser:innen suggeriert, dass sie ganz vorne dabei sind, wenn sie das kaufen, was McGinn im Angebot hat :) und wer es nicht kauft, der ist von gestern und gehört nicht zu den wissenden "Wir".Colin McGinn hat geschrieben : Früher wussten wir nicht [...] jetzt wissen wir
Es besteht freilich ein Unterschied zwischen der äußeren Wahrnehmung bewusster Nervenvorgänge in jemand anderem und der inneren Wahrnehmung bewusster Nervenvorgänge in einem selbst. Als Erfahrungswissenschaft benötigt die Wissenschaft des Bewusstseins sowohl extrospektive Daten aus der Perspektive der dritten Person als auch introspektive Daten aus der Perspektive der ersten Person.Körper hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 09:27Warum musst du nicht berücksichtigen, dass Person A bei der Analyse von Person B nicht auf die von dir behauptete Mechanismus/Phänomen-Relation trifft und somit dort die Aufgabenstellung nicht vorliegt?
Warum musst du nicht berücksichtigen, dass ein Mensch, der dich analysiert, nicht auf die von dir behauptete Mechanismus/Phänomen-Relation trifft?
Es geht hier ja nur darum, die Aufgabenstellung vernünftig zu formulieren.
Eine Formulierung, die eine einheitliche Zugänglichkeit zur Mechanismus/Phänomen-Relation voraussetzt, ist hübsch aber mindestens genauso wertlos, denn es ist schlicht nicht der Fall.
McGinn meint damit, dass das Gehirn geistig tätige Teile hat. Der Geist des Gehirns sind die geistigen Vorgänge darin.Körper hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 09:27Wie zentral wichtig diese Betrachtung ist, sieht man an deinem Zitat:Fassungslos stehe ich vor derartigem Theater.Consul hat geschrieben : ↑Do 31. Okt 2024, 20:09Die Philosophie des Geistes ist eigentlich die Philosophie des Gehirns - in seinem mentalen Aspekt. (Ich befürworte keine "Neurophilosophie".) Das Gehirn hat einen Geist, so wie das Herz Ventrikel hat.
Quelle: https://www.colinmcginn.net/the-brain-brain-problem/
Das Gehirn hat keinen "Geist" (was auch immer das sein soll).
Wenn er vom "Gehirn-Gehirn-Problem" spricht, dann bezieht er sich auf den Unterschied zwischen mentalen = psychoneuralen Gehirnvorgängen und nichtmentalen = bloß neuralen Gehirnvorgängen. Das "hard problem" stellen die "phänoneuralen" Gehirnvorgänge dar, d.i. die subjektiv erlebten Bewusstseinsvorgänge.
Ob das Gehirn als Organ des (bewussten) Geistes zugleich dessen (ganzes) Subjekt ist, darüber lässt sich streiten. Animalisten meinen (im Gegensatz zu den "Zerebralisten"), dass Subjekte nicht nur Gehirne, sondern ganze tierische Organismen sind. Ihnen zufolge bin ich als menschliches Tier größer als mein Gehirn.Körper hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 09:27Das Problem ist, man kann nicht davon ausgehen, dass Philosophen derartige Aussagen poetisch meinen und quasi "im Hinterkopf sich der richtigen Vorstellung bewusst sind".
Nein, so ein Philosoph denkt, dass der Mensch "sein Gehirn" ist - "Umfang der Anlässe" = mathematische 0 (aber was stört das schon einen Philosophen)
Die Wahrscheinlichkeit für eine Korrektheit der obigen Behauptung ist damit schnell errechnet: 0.
Wenn Bewusstseinsvorgänge Nervenvorgänge sind, dann ermöglicht die introspektive Perspektive einen gewissen, obgleich trüben Einblick in die Nervenaktivität des eigenen Gehirns, welcher allerdings keine introspektive neurologische Analyse von Bewusstseinsinhalten ermöglicht, weil sich deren neurale Essenz (Konstitution/Komposition) der inneren Wahrnehmung nicht offenbart.Körper hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 09:27=> "es ist" gar nicht!Consul hat geschrieben : ↑Do 31. Okt 2024, 20:09Wie ist es, das Gehirn einer Fledermaus zu haben?
Quelle: https://www.colinmcginn.net/the-brain-brain-problem/
Der Witz ist doch, dass ein Lebewesen (z.B. Mensch) keinen Einblick in seine Nervenaktivität hat.
Vielleicht muss man es explizit dazusagen, aber "Kein Einblick" bedeutet auch tatsächlich kein Einblick.
"Umfang der Anlässe" = mathematische 0
Wenn ich beispielsweise einen Schmerz spüre, dann ist aus Sicht des psychologischen Materialismus Folgendes der Fall:
"I am not [introspectively—added] aware of all this flurry of neuron firings as a flurry of neuron firings. Suppose, however, that I am aware of it as a condition which hurts. I do not grasp the brain-process clearly in its full reality, or in its reality at all. I grasp it, obscurely, in the guise of the painfulness of the pain. Nevertheless, it is this brain process, and not something else, which I grasp. To suffer is, on this account, to introspect rather clumsily a process which is itself material."
——————
"Ich bin mir [introspektiv—hinzugefügt] nicht bewusst, dass dieser ganze Aufruhr von Neuronenfeuerungen ein Aufruhr von Neuronenfeuerungen ist. Nehmen wir jedoch an, dass ich mir dessen als eines Zustandes bewusst bin, der weh tut. Ich erfasse den Gehirnprozess nicht klar in seiner vollen Realität, oder überhaupt in seiner Realität. Ich begreife ihn, undeutlich, in der Gestalt der Schmerzhaftigkeit des Schmerzes. Dennoch ist es dieser Gehirnprozess und nicht etwas anderes, das ich erfasse. Leiden ist in diesem Sinne eine ziemlich plumpe Introspektion eines Vorgangs, der selbst materiell ist." [Übersetzt von DeepL mit einigen Änderungen meinerseits]
(Campbell, Keith. Body and Mind. 2nd ed. Notre Dame, IN: University of Notre Dame Press, 1984. p. 105)
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Die Philosophy of Mind ist eine Philosophy of the Subjective Mind, eine Philosophical Psychology, und keine Philosophy of the Objective (Objectified) Mind oder Philosophy of Culture, die sich mit den Manifestationen des "objektiven Geistes" (im nichtpsychologisch-idealistischen Sinn) befasst.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 12:22Geist bezeichnet zum Beispiel den Umstand, dass du dich selbst Körper nennst, dich fragst, was Geist sein soll und von dir selbst an anderer Stelle u. a. sinngemäß sagst, du seist zwei Meter groß und würdest 100 kg wiegen. Ganz allgemein gesagt, die Fähigkeit, sich selbst zu bestimmen.
In diesem und anderen Fäden wird der englische Ausdruck "mind" oft mit "Geist" übersetzt, aber das ist meines Erachtens eine unangemessene Übersetzung und Verkürzung des Ausdrucks Geist. Die beiden Begriff meinen sicher nicht einfach dasselbe. Wenn man sich von der "philosophy of mind" eine Philosophie des Geistes erhofft, wird man in der Regel enttäuscht.
Die angelsächsische Tradition konzentriert sich nach meinem Gefühl eher auf mentale Phänomene, wie etwa Wahrnehmung, Gedanken oder Emotionen, und untersucht vor allem das Verhältnis zwischen (einem solchermaßen verkürzt verstandenen) "Geist" und Körper beziehungsweise Gehirn. Ziel ist hier oft eine naturalistische Erklärung des Bewusstseins. Für die kontinentaleuropäische Tradition hingegen ist Geist ein umfassenderes philosophisches Konzept, das nicht allein auf das Mentale oder Physiologische beschränkt ist. Der Geist gilt als etwas, das sich selbst formt, bestimmt und entwickelt und dabei vor allem auch existenzielle Aspekte einschließt. Der objektive Geist – verstanden als Gesellschaft, Kultur oder Ähnliches – reicht sogar noch darüber hinaus.
Zum deutschen Wort "Geist" und seinen Bedeutungen siehe Grimmsches Wörterbuch!
Als lateinische Entsprechungen sind "spiritus, anima, mens, genius" angegeben.
Das Wort "Geist" (im psychologischen Sinn) wird heutzutage vorwiegend in Bezug auf das Denken, das Vorstellen, das Erkennen, das Wissen, den Verstand und die Vernunft gebraucht; aber "der begriff von geist, wie ihn der gebrauch zeigt, schlieszt noch lange, ja zum theil bis jetzt das leben der seele, des herzens und gemütes mit ein." (Grimm)
Die Philosophie des Geistes als philosophische Psychologie verwendet den Geistesbegriff in diesem weiten Sinn, der sämtliche psychischen Phänomene umfasst. Sie befasst sich mit dem "personalen Geist" (N. Hartmann), dem subjektiven Geist, den Psychen von Individuen.
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Wenn heutige Naturwissenschaftler das Geist-Gehirn/Körper-Problem lösen wollen, dann geht es nicht länger um ein Verhältnis zwischen zwei grundlegend verschiedenen Arten von Substanzen—psychische Substanzen versus physische Substanzen—, sondern um das Verhältnis bestimmter Arten physischer Substanzen (biologischer Organismen) zu psychischen Okkurrenzen. [1RoloTomasi hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 13:28Ich muss Körper tatsächlich zustimmen, wenn er schreibt, dass das Gehirn keinen Geist hat. Wenn man wirklich ganz strikt nur über Körper/Gehirn/Nervensystem spricht, gelangt man niemals zu Bewusstsein/Geist.
Umgekehrt das Gleiche: Wenn man sich ganz auf das Thema Geist/Bewusstsein fokussiert, kommt man von da aus nicht zum Gehirn. Denn das Gehirn hat oder ist ja nicht Bewusstsein oder Geist – es hat in einer geist- oder bewusstseinstheoretischen Betrachtung keinen Platz.
Der Versuch, die ‚Beziehung‘ von Gehirn und Geist aufzuklären, muss m.E. scheitern, wenn man von zwei Entitäten – Gehirn und Geist – ausgeht. Man kann über eine solche Beziehung keine substanziellen Einsichten gewinnen. Der Standpunkt von Körper ist demgegenüber immerhin konsequent, weil er ganz beim Thema Nervensystem bleibt, also gar nicht den Anspruch erhebt, über Geistiges oder Bewusstsein oder über eine ‚Verbindung‘ von Gehirn und Geist zu sagen. Und das Gehirn, rein als solches betrachtet, ist oder hat ja auch tatsächlich keinen Geist.
"Einen Geist haben" bedeutet dann "ein körperliches Subjekt/Substrat geistiger Vorkommnisse sein".
[1 Ich gebrauche "Okkurrenz" (engl. "occurrence", "occurent") als Sammelbegriff für Sachverhalte (Tatsachen), Ereignisse, Vorgänge und Zustände, die allesamt als Entitäten nicht zur ontologischen Kategorie Substanz gehören.]
"When we use such expressions as 'having a mind', 'losing one's mind', 'being out of one's mind', and the like, there is no need to suppose there are objects in this world called 'minds' that we have, lose, or are out of. Having a mind can be construed simply as having a certain group of properties, capacities, and features that are possessed by humans and some higher animals but absent in things like pencils and rocks. To say that something 'has a mind' is to classify it as a certain sort of thing, capable of certain characteristic sorts of behaviors and functions—sensation, perception, memory, learning, reasoning, consciousness, action, and the like. It is less misleading, therefore, to speak of 'mentality' than of 'having a mind'; the surface grammar of the latter abets the problematic idea of a substantival mind—mind as an object of a special kind."
–—————
"Wenn wir Ausdrücke wie ‚having a mind‘, ‚losing one's mind‘, ‚being out of one's mind‘ und dergleichen verwenden, besteht kein Grund anzunehmen, dass es auf dieser Welt Objekte gibt, die ‚Geist‘ genannt werden, die wir haben, verlieren oder aufgeben. Einen Geist zu haben kann einfach als Haben einer bestimmten Gruppe von Eigenschaften, Fähigkeiten und Merkmalen ausgelegt werden, die Menschen und einige höhere Tiere besitzen, aber bei Dingen wie Bleistiften und Steinen fehlen. Zu sagen, dass etwas ‚einen Geist hat‘, bedeutet, es als eine bestimmte Art von Ding zu klassifizieren, das zu bestimmten charakteristischen Verhaltensweisen und Funktionen fähig ist – Empfindung, Wahrnehmung, Gedächtnis, Lernen, Denken, Bewusstsein, Handeln und dergleichen. Es ist daher weniger irreführend, von ‚Geistigkeit‘ zu sprechen als von ‚einen Geist haben‘; die Oberflächengrammatik des letzteren unterstützt die problematische Idee eines substanziellen Geistes – des Geistes als Objekt einer besonderen Art [d.h. als mentale Substanz—hinzugefügt]."
[Übersetzt von Google Translate mit Änderungen meinerseits]
(Kim, Jaegwon. Philosophy of Mind. 2nd ed. Boulder, CO: Westview, 2006. p. 6)
"To reject the substantival view of mentality is not to deny that each of us 'has a mind'; it is only that we should not think of 'having a mind' literally—that is, as there being some object or substance called a 'mind' that we literally possess. ...If you have set aside substance dualism, you can take having a mind simply as having a certain special set of properties, capacities, and characteristics, something that humans and some higher animals possess but flowerpots and rocks do not."
——————
"Die substanzialistische Sichtweise der Geistigkeit zurückzuweisen heißt nicht zu leugnen, dass jeder von uns 'einen Geist hat'; es geht nur darum, dass wir 'einen Geist haben' nicht wörtlich nehmen sollten—das heißt, so, wie wenn es ein bestimmtes Objekt oder eine Substanz gäbe, die 'Geist' genannt wird und die wir im wörtlichen Sinne besitzen. ...Wenn man den Substanzdualismus beiseite gelegt hat, kann man das Haben eines Geistes schlicht als das Haben einer gewissen besonderen Menge von Eigenschaften, Fähigkeiten und Merkmalen auffassen, also als etwas, das Menschen und einigen hochentwickelten Tieren zu eigen ist, aber Blumentöpfen und Steinen nicht." [© meine Übers.]
(Kim, Jaegwon. Philosophy of Mind. 2nd ed. Boulder, CO: Westview, 2006. p. 51)
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Nach meiner ontologischen Auffassung gibt es keine substanz- oder substratlosen Okkurrenzen: Jede Okkurrenz ist ein Komplex, der aus einer Substanz als "Kern" und einer "Adhärenz" (B. Bolzano), d.i. einem Attribut, als "Hülle"/"Schale" besteht. (Die in einer Okkurrenz enthaltene Adhärenz ist wohlgemerkt kein Attribut der Okkurrenz, sondern ihres substanziellen Substrates!)
Dem psychologischen Materialismus nach haben alle mentalen Okkurrenzen und auch alle mentalen "Adhärenzen" (Attribute) materielle Substanzen (Körper, Gehirne) als Substrate.
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Ich besitze ein antiquarisches Exemplar der zweiten Auflage von 1949.RoloTomasi hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 13:52(Dazu nur am Rande: Das beste Buch zu diesem Thema bzw. aus dieser Tradition ist für mich Nicolai Hartmann: "Das Problem des geistigen Seins". …)
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 15:48Das ist natürlich eine perfekte Marketingstrategie, weil sie den Leser:innen suggeriert, dass sie ganz vorne dabei sind, wenn sie das kaufen, was McGinn im Angebot hat und wer es nicht kauft, der ist von gestern und gehört nicht zu den wissenden "Wir".Colin McGinn hat geschrieben : Früher wussten wir nicht [...] jetzt wissen wir
Die einen wissen es längst, die anderen wissen es (leider) noch nicht, und wiederum andere wollen es aus weltanschaulichen Gründen nicht wahrhaben."Das Gehirn ist das Organ des Bewusstseins[.]"
(Philippson, Phöbus M. Propädeutik und Methodik der Medicin, für Gymnasiasten und angehende Studirende der Medicin. Magdeburg: W. Heinrichshofen, 1832. S. 31)
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
"Die Studie zeigt, dass selbst einfach entwickelte Nervensysteme zu einer fortgeschrittenen Form des Lernens fähig sind. Das könnte darauf hindeuten, dass die evolutionären Wurzeln von Lernen und Gedächtnis älter sind als bisher angenommen“, so die Schlussfolgerung der Forscher." (Zitat aus dem oben verlinkten Text)Körper hat geschrieben : ↑Mi 30. Okt 2024, 11:05Schau mal in diesen Link rein:Er weist darauf hin, dass Würfelquallen zu den ersten Tieren mit einem Nervensystem gehören.
…
"the most basic job" von Nervensystemen ist nicht die Sensorik/Motorik-Verbindung, sondern Nervensysteme "finden" mit ihrem eigentlichen "most basic job" die Sensorik/Motorik-Verbindung.
=> Du kennst aktuell den "most basic job" noch nicht!
"Die meisten Menschen stellen sich Verhalten, wenn sie überhaupt einmal darüber nachdenken, speziell über erlerntes Verhalten, als Produkt eines Nervensystems vor. Als Einzeller haben Protozoen aber kein Nervensystem, denn dafür bräuchten sie Spezialzellen (Neuronen) – sie verfügen allerdings nur über eine einzige Allzweckzelle. Dennoch zeigen sie dezidiertes Verhalten – sie schwimmen von schädlichen chemischen Substanzen weg und auf nützliche zu – und nutzen für ihre aktuellen Reaktionen sogar vergangene Erfahrungen, müssen also über ein Lern- und Erinnerungsvermögen verfügen. Die logische Schlussfolgerung lautet, dass Verhalten, Lernen und Gedächtnis nicht unbedingt ein Nervensystem voraussetzen."
(LeDoux, Joseph. Bewusstsein: Die ersten vier Milliarden Jahre. Übers. v. Elsbeth Ranke & Sabine Reinhardus. Stuttgart: Klett-Cotta, 2021. S. 18-9)
"Laut Detlev Arendt und seinen Kollegen weisen genetische Untersuchungen darauf hin, dass die konzentrierten Neuronen an Schirm und Mund von Quallen Vorläufer der komplexeren Körper- und Gehirnbaupläne sind, die die Bilateria und Nachfahren der Nesseltiere charakterisieren. Der Cluster im Schirm wäre dabei der Vorläufer der spezialisierten Neuronenansammlung in der Kopfregion der meisten Metazoen (anders gesagt, ein Vorläufer dessen, was wir als Gehirn bezeichnen). Der andere Cluster um Mund und Tentakel hätte sich dann in die Länge gezogen und wäre zu dem Nervenstrang geworden, der das Gehirn mit dem übrigen Körper verbindet (das Rückenmark der Wirbeltiere).
Der hier beschriebene Prozess legt nahe, dass die Ursache für die Entstehung von Neuronen im Kommunikationsbedarf der Sensor- und Motorzellen zu finden ist. Bisher haben wir Nervensysteme vor allem als Vorrichtung zur Verbindung von Sensorik und Motorik definiert; doch jetzt können wir diese Definition folgendermaßen erweitern: Bei einem Nervensystem handelt es sich um eine Ansammlung von Zellen, die zwischen den sensorischen und motorischen Körperzellen angeordnet sind und die Muskelbewegungen des Körpers in Reaktion auf sensorischen Input koordinieren. Bei manchen Organismen ist diese neuronale Vermittlungsregion relativ einfach aufgebaut (etwa beim Nervennetz der Nesseltiere), bei anderen dagegen hoch komplex (etwa beim Gehirn der Wirbeltiere). Der große Pionier der Neurowissenschaften, Sir Charles Scott Sherrington, drückte es so aus: »Das Gehirn ist wie eine Schnellstraße für Nervenhandlung auf dem Weg zum motorischen Tier.«
Doch bestünde die einzige Funktion der Nervensysteme darin, Informationen von einer Stelle an die andere weiterzugeben, so würde sich Verhalten auf einfache, angeborene Reaktionen beschränken. Einer der großen Vorteile, die Tiere ihrem Nervensystem verdanken, ist die Leichtigkeit, mit der Neuronen sich verändern können, wenn der Organismus mit seiner Umwelt interagiert. Diese Fähigkeit, die sogenannte synaptische Plastizität, ist die Grundlage des Lernens.
Möglicherweise war das Aufkommen des Lernens basierend auf einem Nervensystem ein entscheidender Faktor für die Kambrische Explosion der Tierformen. Zwar können auch Organismen ohne Nervensystem lernen, aber mit Nervensystemen wurde das Lernen sehr viel spezifischer und flexibler. Und diese verbesserte Ausstattung des Überlebenswerkzeugkoffers könnte zur Diversifizierung der Körperbaupläne beigetragen haben. Zum Beispiel dürfte das neuronale Lernen die Fähigkeit gestärkt haben, neue Nischen zu erkunden, was wiederum zu Veränderungen an überlebenswichtigen Körpermerkmalen führte. Und dass sowohl Räuber als auch Beutetiere lernfähig waren, könnte das evolutionäre Wettrüsten zwischen ihnen beschleunigt haben – und damit eine nie dagewesene Ausbildung immer neuer Körpermerkmale. Mit der Zeit und der fortschreitenden Diversifizierung der Baupläne wurde das Lernen als Überlebensfaktor nur noch bedeutsamer."
(LeDoux, Joseph. Bewusstsein: Die ersten vier Milliarden Jahre. Übers. v. Elsbeth Ranke & Sabine Reinhardus. Stuttgart: Klett-Cotta, 2021. S. 152-3)
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Ein neuer Blog-Text des "Mysterianisten" Colin McGinn: Axons, Dendrites, and Consciousness
"Axone, Dendriten und Bewusstsein
Vielleicht kennen Sie das Sprichwort: „Wenn man es auf den Punkt bringt, sind das die Fakten: Geburt, Kopulation und Tod“. Man geht davon aus, dass dies die grundlegenden Fakten des menschlichen (und tierischen) Lebens sind – die Pole, um die sich alles andere dreht. Ich könnte dies in Bezug auf das Gehirn wie folgt umschreiben: „Wenn man es auf den Punkt bringt, sind das die Fakten: Axone, Dendriten und der Zellkörper“. Jedes Lehrbuch der Neurophysiologie wird Sie mit dieser Dreifaltigkeit vertraut machen – mit Diagrammen, Fachbegriffen und der Geschichte der Entdeckungen. Das ist es, was das Gehirn im Grunde ist – eine Ansammlung dieser Dinge. Die Dendriten und Axone erstrecken sich vom Zellkörper (Soma) und leiten Elektrizität. Die Dendriten haben eine baumartige Struktur und sind kurz; die Axone sind länger, manchmal sehr lang, mit einem festen Radius. Sie können sich im Laufe des Lebens des Gehirns verändern („Plastizität“). Es gibt Hilfsstrukturen, die mit ihnen verbunden sind. Vielleicht erinnert es Sie an ein Spinnennetz. Sie sind auf jeden Fall unverwechselbar. Die Struktur ähnelt nicht sehr der eines Atoms, obwohl beide einen Kern haben: Die Axone und Dendriten drehen sich nicht um den Kern, sondern sind an ihm befestigt. Sie wurden vor etwas mehr als einem Jahrhundert entdeckt. Es gab Nobelpreise dafür. Das Neuron ist keine undurchsichtige Einheit mehr – wir kennen seine Anatomie im Detail. Wir wissen, woraus das Gehirn besteht – Axone, Dendriten und der Zellkörper. Das sind die wesentlichen Bestandteile des Gehirns.
Es gibt zwei Dinge, die wir unbedingt über diese Struktur sagen möchten. Erstens muss sie für die Eigenschaften höherer Ordnung des Gehirns, seine Form und Funktionsweise, relevant sein. Die Struktur des Atoms ist offensichtlich höchst relevant für die Form und Funktionsweise von Dingen, die aus Atomen bestehen; ebenso muss die Struktur des Neurons höchst relevant für die Form und Funktionsweise dessen sein, was Neuronen bilden. Sie könnten diese Strukturen nicht ändern und die Eigenschaften höherer Ordnung unverändert lassen. Tatsächlich müssen sie im Hinblick auf das Gehirn als Ganzes (oder seine größeren Teile) eine erklärende Rolle spielen. Die axonal-dendritische Struktur muss im und vom Gehirn eingesetzt werden; sie kann nicht zufällig und entbehrlich sein. Das ist das Erste, was wir sagen wollen – sagen müssen. Das Zweite, was wir sagen wollen, ist, dass wir keine Ahnung haben, wie Axone und Dendriten das Bewusstsein bilden – wie sie beispielsweise das Sehen von Rot erklären. Eine Tatsache scheint nichts mit der anderen zu tun zu haben. Es ist nicht so, dass die Selbstbeobachtung eine fadenförmige, baumartige innere Struktur des Rotsehens offenbart. Auch ist an Axonen und Dendriten nichts Rötliches. Es scheint überhaupt keine Verbindung zu geben. Auch versucht nie jemand, eine Verbindung herzustellen – es scheint ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein, ein offensichtliches Fehlschlag. Es gibt keine Axon-Dendriten-Theorie des Bewusstseins. Man versucht, Theorien über kausale Rollen, Informationstheorien, panpsychistische Theorien oder sogar Theorien über elektrochemische Stimulation zu formulieren – aber niemand versucht, eine Axon-Dendrit-Theorie zu konstruieren. Was haben solche verzweigten Ranken mit Bewusstsein zu tun? Natürlich nichts. Und doch müssen sie etwas damit zu tun haben, denn sie sind die wesentlichen Bestandteile des Gehirns, seine formgebenden Bestandteile. Man möchte sagen, dass es eine Theorie geben muss, die die Axon-Dendrit-Struktur mit Bewusstsein verbindet – mit dem Sehen von Rot usw. Doch nicht der geringste Schimmer einer solchen Theorie kommt in unseren verwirrten Kopf. Das ist die Grundform des sogenannten Leib-Seele-Problems: die Notwendigkeit der Verbindung kombiniert mit ihrer Unmöglichkeit. Reden wir nicht vage vom „Gehirn“ und beschwören magische Mechanismen und paranormale Prozesse („ganzheitliche Metaprogramme der Informationsintegration“ usw.). Lassen Sie uns die wesentlichen Punkte des Gehirns genau betrachten, akzeptieren, dass sie eine entscheidende Rolle spielen müssen, und dann unsere Optionen abwägen: Entweder wir erklären sie für irrelevant (Dualismus), behaupten kühn, sie seien alles, was es gibt (Materialismus), oder wir versuchen, einen Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen zu finden (eine lange Liste hier). Deshalb denkt der Mysterianer so, wie er denkt – er kann keinen Weg sehen, die Lücke zu schließen, aber er glaubt, dass die Lücke objektiv geschlossen werden muss. Was ich hier sagen möchte, ist, dass Axone und Dendriten die Dinge sind, die man sich ansehen muss, wenn man das Problem einschätzen will. Sie müssen Teil der Lösung sein, und doch ist es unmöglich zu sehen, wie sie das sein können. Keine andere zelluläre (oder atomare und molekulare) Struktur stellt ein vergleichbares Problem dar. Das Bewusstsein scheint eine Tatsache zu sein, die mehr ist als die Tatsachen. [1]
[1] Ich erinnere mich, dass ich dachte: „Wirklich – ist es das? Das ist es, was in meinem Gehirn passiert, wenn ich sehe und denke – da muss doch ein Fehler vorliegen!“ Die Rede von der „Erregung“ dieser Strukturen half nicht viel. Man verliert sich leicht in Fachjargon und Kauderwelsch; wir müssen unser anfängliches Erstaunen wiederfinden. Was hat ein kleiner Baum mit mir und meinem Geist zu tun? Wie kann ein mikroskopisches Kabel Sehen bewirken? Wie kann eine synaptische Lücke zu einem Gefühl führen? Und doch ist es anscheinend so. Benommen blätterte ich um."
[Übersetzt von Google Translate]
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Wenn "freilich ein Unterschied besteht" dann sollte es ja kein Problem sein, diesen Unterschied in der Aufgabenstellung zu berücksichtigen.Consul hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 22:02Es besteht freilich ein Unterschied zwischen der äußeren Wahrnehmung bewusster Nervenvorgänge in jemand anderem und der inneren Wahrnehmung bewusster Nervenvorgänge in einem selbst. Als Erfahrungswissenschaft benötigt die Wissenschaft des Bewusstseins sowohl extrospektive Daten aus der Perspektive der dritten Person als auch introspektive Daten aus der Perspektive der ersten Person.
In der bisherigen Mechanismus/Phänomen-Relation sind sowohl Mechanismus, als auch Phänomen gleich zugänglich, also sozusagen "gleichrangig interaktiv wahrnehmbar".
Mit deinem eingestandenen "freilichen Unterschied" muss rund um die Gleichrangigkeit nachgebessert werden.
Aus der "Mechanismus/Phänomen"-Relation wird die "Mechanismus/Dein-Phänomen"-Relation.
Damit ist eine erste Präzision erreicht, aber in deinem "freilichen Unterschied" steckt noch mehr drin, denn im Gegensatz zur interaktiv wahrnehmbaren Situation der "Mechanismus-Seite" unterliegt die "Dein-Phänomen"-Seite einem anderen Zugang: "innere Wahrnehmung" - ich nenne das jetzt mal handfest "Dein-Einblick".
Aus der "Mechanismus/Phänomen"-Relation wird somit die "Mechanismus/Dein-Einblick-In-Dein-Phänomen"-Relation.
Es gibt bei dieser Relation also zwei Flaschenhälse:
Vom Nervensystem ausgehend muss man zu "Dein-Einblick" kommen und von "dort aus", dann "Dein-Phänomen" erreichen.
Die verallgemeinerte Formulierung "Mechanismus/Phänomen"-Relation berücksichtigt keinen dieser Flaschenhälse, weshalb sie wertlos ist.
Jeder, der von "Nervensystem und phänomenalem Bewusstsein" spricht (also "zwei gleichrangige Bereiche" postuliert), hat die Hausaufgabe einer deutlichen Nachbesserung zu bewältigen.
Die erste Nachbesserung umfasst den "Dein-Einblick"-Flaschenhals.
Hier gibt es mehrere problematische Aspekte, denn
- 1. ist unklar, wer den Einblick haben soll, "wer" also "wie" (auf "fertige Weise") vorliegen soll, damit es zu einem "persönlichen Einblick" kommen kann
- 2. handelt es sich nicht um einen interaktiven Vorgang, d.h. derjenige (wer auch immer es sein soll) kann (laut "seinem Einblick") keine unterschiedlichen Perspektiven einnehmen
- 3. derjenige (wer auch immer es sein soll) kann "seinen Einblick" nicht nicht haben, d.h. "er" kann mit "seinem inneren Blicken" (was auch immer das sein soll) nichts anderes machen, als "seinen Einblick".
Ja, das ist schon klar, aber "dieser Unterschied" startet mit der Voraussetzung einer Gleichrangigkeit (Mechanismus/Phänomen-Relation) und exakt diese ist nicht vorliegend, sondern unterliegt zwei Flaschenhälsen (siehe oben).Consul hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 22:02McGinn meint damit, dass das Gehirn geistig tätige Teile hat. Der Geist des Gehirns sind die geistigen Vorgänge darin.
Wenn er vom "Gehirn-Gehirn-Problem" spricht, dann bezieht er sich auf den Unterschied zwischen mentalen = psychoneuralen Gehirnvorgängen und nichtmentalen = bloß neuralen Gehirnvorgängen. Das "hard problem" stellen die "phänoneuralen" Gehirnvorgänge dar, d.i. die subjektiv erlebten Bewusstseinsvorgänge.
Der Umfang der Anlässe für "mentale = psychoneurale Gehirnvorgänge" (bzw. deren Unterscheidung zu nichtmentalen...) ist Null, eine mathematische Null.
Es ist nicht in Ordnung, eine Voraussetzung unterzuschieben, die nicht abgeklärt ist.
Wie soll das gehen: "ich bin 2m gross und wiege 100kg"?
Ich kann mich selbst interaktiv erfahren, d.h. ich kann zu mir selbst unterschiedliche Perspektiven einnehmen.
Ich finde mich selbst in der Welt (und zwar ganz einfach).
Bei der Formulierung "trüben Einblick" bist du jetzt hoffentlich von ganz alleine rot geworden.
Hier gilt ganz klar und unmissverständlich: nein.
Ein Mensch kann noch nicht einmal seinen Energieaufwand, den er gerade im Nervensystem treibt, einschätzen.
Er liegt eigentlich total falsch (bzw. er zielt nicht auf sein Nervensystem ab), wenn er seine Wahrnehmungsaktivität als "es fällt mir leicht" und/oder als "das kann ich ewig machen" einstuft.
Das sind eher Momente bei denen er "unter Vollast fährt".
Die obigen Anästhesie-Links sollten dir zudem zeigen, wie kritisch es ist, von einem "Einblick in Nervenvorgänge" zu sprechen, denn das Nervensystem ist unter Narkose immer noch aktiv (d.h. es gäbe immer noch Gelegenheit zum "Einblick"), aber es findet kein "Einblick" mehr statt.
Das sollte dir verdeutlichen, wie ungünstig der Begriff "Einblick" ("innere Wahrnehmung") ist (zumindest für den Einsatz, auf den du abzielst).
Versuch mal die Anästhesie-Umstände auf den obigen ersten Flaschenhals abzubilden.
Ist es überhaupt ein "Einblick"?
Was für Erklärungsversuche startest du hier?
Naja, einem Text von 1984, begegne ich quasi mit unendlicher Toleranz - Motto "sie haben sich sicherlich bemüht".Consul hat geschrieben : ↑Fr 1. Nov 2024, 22:02"Ich bin mir [introspektiv-hinzugefügt] nicht bewusst, dass dieser ganze Aufruhr von Neuronenfeuerungen ein Aufruhr von Neuronenfeuerungen ist. Nehmen wir jedoch an, dass ich mir dessen als eines Zustandes bewusst bin, der weh tut. Ich erfasse den Gehirnprozess nicht klar in seiner vollen Realität, oder überhaupt in seiner Realität. Ich begreife ihn, undeutlich, in der Gestalt der Schmerzhaftigkeit des Schmerzes. Dennoch ist es dieser Gehirnprozess und nicht etwas anderes, das ich erfasse. Leiden ist in diesem Sinne eine ziemlich plumpe Introspektion eines Vorgangs, der selbst materiell ist." [Übersetzt von DeepL mit einigen Änderungen meinerseits]
(Campbell, Keith. Body and Mind. 2nd ed. Notre Dame, IN: University of Notre Dame Press, 1984. p. 105)
Im Grunde wird hier behauptet, dass etwas beobachtet wird - Nervenvorgänge - und dass dann "dieser Beobachter" (wer auch immer das sein soll und wie auch immer "er" das machen können soll) von etwas anderem - schmerzende Körperstelle - an einem anderen Ort - z.B. Hinterteil, bei Kontakt mit einem Reissnagel - ausgeht.
Letztlich macht "dieser Beobachter" quasi alles falsch, aber aus dem Nichts heraus trifft er funktional für den Körper und seine Problematik genau ins Schwarze - naja, 1984.
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Als emergenztheoretischer Materialist kann man Colin McGinn folgen, dies ist das Verstehensproblem des Geistes. Es ist mE nur auf eine Art lösbar, die der normalen Vorgehensweise widerspricht. Denn der Materialist versucht in der Regel, von materiellen Vorgängen auf das Bewußtsein zu schließen (wenn er es nicht sofort als Epiphänomen abtut), indem materielle Vorgänge Bedeutung annehmen. Dieser induktive Weg zum Bewußtsein ist ein Irrweg. Man muß es umgekehrt begreifen: Komplexe Materialität erlaubt eine schier unerschöpfliche Konnektivität von Einzelheiten zu Mustern, und das ist die Bedingung dafür, daß jeder Sinn, jeder Gedanke als Komplex von Bedeutungselementen materiell repräsentiert werden kann, und repräsentiert werden muß, sonst hätte er keine zeitliche Existenz. Und verschiedene Bedeutungen müssen sich in unterschiedlichen materiellen Repräsentationen darstellen lassen, sonst sind sie nicht denkbar.
Es gibt also eine strikte Korrelation von Gedanke und hirnphysiologischem Zustand, aber kein Kausalverhältnis, keine eineindeutige Abbildung aufeinander. Dies allein ermöglicht dem Organismus, als Subjekt in die Welt einzugreifen. Gäbe es nicht diese Gegenrichtung, könnten die Denkoperationen nicht erfolgreich ein Problem erkennen, eine Lösung prognostizieren und dementsprechend in die Welt eingreifen.
Es gibt also eine strikte Korrelation von Gedanke und hirnphysiologischem Zustand, aber kein Kausalverhältnis, keine eineindeutige Abbildung aufeinander. Dies allein ermöglicht dem Organismus, als Subjekt in die Welt einzugreifen. Gäbe es nicht diese Gegenrichtung, könnten die Denkoperationen nicht erfolgreich ein Problem erkennen, eine Lösung prognostizieren und dementsprechend in die Welt eingreifen.
Sorry, hier steckt wieder das Problem der Aufgabenstellung drin.Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Sa 2. Nov 2024, 13:40Es gibt also eine strikte Korrelation von Gedanke und hirnphysiologischem Zustand, aber kein Kausalverhältnis, keine eineindeutige Abbildung aufeinander.
Du suggerierst, dass "Gedanke" und hirnphysiologischem Zustand nebeneinander/gleichrangig vorliegen würden und es um ein eindeutiges "von ... nach" gehen würde.
Tatsächlich dürftest du nur auf die Folge abzielen: "hirnphysiologischem Zustand -> Dein Einblick -> Dein Phänomen"
Wenn du nun mit dem Begriff "Emergenz" an die Aufgabe herangehst, dann solltest du dir klarmachen, dass dies immer einen fertigen Beobachter voraussetzt.
Für "Emergenz" benötigst du immer einen Jemand, für den "Etwas" auftaucht.
Das Auftauchen an sich kannst du nicht über Emergenz herstellen.
Du möchtest somit mit dem Begriff "Emergenz" den Aufgabenanteil "Dein Phänomen" lösen, hast aber bei "Dein Einblick" bereits eine enorme Schwachstelle, denn "diesen Einblick" setzt du bei Emergenz immer nur voraus.
Du kannst "den Einblick", der zum Erkennen einer Emergenz benötigt wird, nicht über Emergenz (phänomenal) herstellen.
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