Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑ So 21. Jan 2024, 07:27
Michael7Nigl hat geschrieben : ↑ Sa 20. Jan 2024, 21:35
"Maximal skeptizistisch"
Die Formulierung ist mir unbekannt, kannst du dafür eine Quelle liefern? Ich nutze den gängigen Ausdruck Skeptiker. Das ist eine theoretische Position, bei der generell bezweifelt wird, dass objektive Erkenntnis und Wahrheit möglich sind.
Michael7Nigl hat geschrieben : ↑ Sa 20. Jan 2024, 21:35
"Maximal skeptizistisch" bedeutet, dass man an allem zweifelt, was bezweifelt werden kann.
Hier hängt quasi die gesamte Last an dem Wörtchen "kann". Da müsste man erläutern welche Art von "kann" gemeint sein sollte. Ohne Erläuterung ist meines Erachtens gar nicht klar, was damit gemeint ist.
Zunächst noch einmal zur Sicherstellung (weil hier auch immer sehr viele mitlesen): Descartes ist, wie du ja weißt, überhaupt kein Skeptiker, sondern im Gegenteil eigentlich ein Optimist, er hat sogar ein Wahrheitskriterium parat. Descartes wollte schließlich den Skeptiker besiegen. Seine Skepsis ist rein methodisch.
Jetzt ein Wort, zu der Frage, warum du manche Aspekte seiner Argumentation anscheinend kaufst und auch zu dem ominösen "kann".
Gerne erkläre ich näher, was ich mit dem Ausdruck "maximal skeptizistisch" meinte. Es soll aber bitte im Hinterkopf behalten werden, dass diese Charakterisierung von Schopenhauers Position durch mich lediglich
illustrativ war. Ich hätte diesen Satz in meinem Beitrag 73061 auch weglassen können.
"Maximal skeptizistisch" meinte ich nicht als philosophischen Fachterminus, sondern einfach im alltagssprachlichen Sinn. Im Wörterbuch findet man als Bedeutung für Skeptizismus: "philosophische Richtung, die den Zweifel zum grundlegenden Prinzip der Epistemologie erhebt". "Maximal skeptizistisch" bedeutet demnach, dass man den größtmöglichen Zweifel zur Grundlage seiner Erkenntnistheorie macht.
Was hier
größtmöglich heißt bzw. woran man zweifeln
kann, ergibt sich m.E. aus dem Kontext meiner Beiträge in diesem Thread. Konkret schreibe ich in 73061: "Geht man diesen Weg des Gottesbeweises nicht mit, bleibt nur noch die Gewissheit über die Existenz des eigenen Bewusstseins ("cogito sum") und des subjektiven Erlebens der Bewusstseinsinhalte. Alle weiteren Aussagen über die Wirklichkeit sind lediglich Annahmen (sie mögen sinnvoll oder sogar für den Alltag notwendig sein), die jederzeit angezweifelt werden können."
Freilich
kann man grundsätzlich an allem zweifeln, wenn man verrückt genug ist. Aber man kann eben nicht
vernünftigerweise an allem zweifeln. Der Zweifel ist eine Verstandesoperation und als solche durchaus voraussetzungsreich. Es macht also bspw. keinen Sinn, ernsthaft seine eigene Existenz infrage zu stellen, denn um zweifeln zu können, muss man schließlich existieren. Hinzu kommt, dass die Gewissheit über seine eigene Existenz nicht nur eine ur-logische Schlussfolgerung ist ("cogito ergo sum"), sondern eine unmittelbare, unhintergehbare Erfahrung ("cogito sum").
Da ich mit "maximal skeptizistisch" eine philosophische Position charakterisiert hatte, setzte ich natürlich voraus, dass diese Skepsis
vernünftig sein muss. Dies hier also nur ergänzend, nicht als Diskussionsbeitrag.
Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑ So 21. Jan 2024, 07:27
Michael7Nigl hat geschrieben : ↑ Sa 20. Jan 2024, 20:33
Für mich ist das eine Konsequenz aus Descartes radikalem Zweifel (s. "Meditationes de prima philosophia"). Descartes selbst konnte einem solipsistischen Drall seiner Philosophie nur dadurch entgehen, dass er die Vorstellung der Unendlichkeit in uns als Beweis für die Existenz Gottes ansah. Und die Güte Gottes wiederum garantiert, dass wir in unserer Erkenntnis der Welt nicht getäuscht werden.
Geht man diesen Weg des Gottesbeweises nicht mit, bleibt nur noch die Gewissheit über die Existenz des eigenen Bewusstseins ("cogito sum") und des subjektiven Erlebens der Bewusstseinsinhalte...
Wenn du den Gottesbeweis ablehnst und die Rolle Gottes in Descartes' Argumentation nicht akzeptierst, warum akzeptierst du dann den Täuscher-Dämonen? Gott nein, Täuscher-Dämon ja, warum? Warum gehst Du den einen Weg mit, den anderen nicht? Das leuchtet mir nicht wirklich ein.
Ich akzeptiere keine der beiden argumentativen Figuren. Der Täuscher-Dämon liefert keine rationalen Argumente, um an diesem oder jenem zu zweifeln. (Zumindest, soweit ich mich an all das entsinne, es ist länger her, dass ich mich damit beschäftigt habe) Das ist, wie man manchmal lesen kann, nichts anderes als "make believe". Man "kann" zwar viel bezweifeln, aber das akzeptiere ich nicht, entscheidend ist vielmehr, was man aus
guten Gründen bezweifeln sollte, also rational. Zweifel muss jeweils begründet werden.
Descartes behauptet ja nicht, dass es einen "genius malignus" tatsächlich gäbe. Er setzt dies auch für seine Argumentation nicht voraus; die Existenz Gottes aber schon.
Allerdings kann man beides auch nicht ausschließen, weder Gott noch einen Täuschergeist. Descartes' Argument scheint mir deshalb richtig: Man kann sich nicht sicher sein, dass man in seinem Denken und seiner Wahrnehmung nicht getäuscht wird, z.B. von einem Täuschergeist. Also kann sowohl Denken als auch Wahrnehmung angezweifelt werden, selbst im Falle von evidenten Aussagen wie "2+2=4".
Jedoch kann die Täuschung prinzipiell nicht
so stark sein, dass ich meine zu existieren, obwohl ich in Wahrheit nicht existierte. Eine solche Täuschung ist nach Descartes nicht möglich.
Als Begründung für einen Zweifel reicht aus, dass er vernünftigerweise möglich ist (wie z.B. im obigen Absatz). Selbstverständlich kannst Du die Latte für Zweifel höher hängen - dann bist Du halt offensichtlich kein radikaler Skeptiker. (Lassen wir mal die Frage außen vor, ob Descartes ein solcher war. Schließlich konnte man zu jener Zeit noch für Ketzerei hingerichtet werden. Die Wende mit dem Gottesbeweis könnte also durchaus eine nette Verpackung für einen Skeptizismus gewesen sein. Auch dies nur ergänzend, nicht als Diskussionsbeitrag.)
Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑ So 21. Jan 2024, 07:27
Aber das ist noch nicht alles, was ich bei Descartes nicht kaufe: Ich akzeptiere auch nicht die sogenannte Wende zum Subjekt, von der man manchmal sagt, sie habe mit Descartes eingesetzt. In dem Bereich zu Thomas Fuchs gibt es ein
Video, in dem eine deutlich plausiblere Alternative vorgestellt wird, die sich explizit gegen solche Vorstellungen wendet. Der amerikanische Philosoph Donald Davidson hat das auf den Punkt gebracht und nennt es den "Mythos des Subjektiven".
Wenn man also nicht nur Gott aus der Argumentation streicht, sondern mit ihm auch gleich den Täuscher-Dämonen sowie die sogenannte Wende zum Subjekt, dann bleibt nicht viel übrig von dem argumentativen Ansatz, schätze ich.
Bei der Gewissheit des subjektiven Erlebens müsste man genauer formulieren, was damit gemeint ist. Wir können uns auch beim "subjektiven Erleben der Bewusstseinsinhalte" täuschen, hier ein Beispiel aus der philosophischen Literatur, an das ich mich noch erinnere: Müller spürt deutlich, wie die Empörung in ihm aufsteigt, weil der Nachbar schon wieder ein neues dickes Auto gekauft hat und das trotz der Umwelt Krise. Aber er täuscht sich über sich selbst, in Wahrheit ist der bloß neidisch. Auch hier gibt es also Möglichkeiten, sich zu täuschen.
Bei der Beurteilung seiner Bewusstseinsinhalte kann man sich wohl täuschen. Am subjektiven Erleben dieser aber kaum. Wenn jemand Neid erlebt und dabei meint lediglich empört zu sein, dann ist das eine simple Fehleinschätzung oder mangelnde Selbsterkenntnis. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass er wegen dieser falschen Beurteilung nicht Neid empfindet, sondern Empörung. Wenn es so wäre, dann wäre er ja auch nicht neidisch.
Du kannst, lieber Jörn, Descartes kritisieren und sicherlich zahlreiche Philosophen finden, die ganz andere Denkansätze verfolgen. Einen Selbstwiderspruch in Schopenhauers Aussage "Die Welt ist Vorstellung" kann ich aber noch nicht erkennen und die cartesianische Einsicht in die Unbezweifelbarkeit der eigenen Existenz sowie sein methodischer Zweifel bleiben für mich bedeutende Eckpfeiler der Philosophie.