Wahrheit die 99. ...

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
Burkart
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Di 6. Jul 2021, 23:54

Alethos hat geschrieben :
Di 6. Jul 2021, 23:01
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 21. Jun 2021, 20:20
Giulio Tononi hat geschrieben : Well, you see, Gallileo said famously in „The Assayer“ that in order to do science we would need to use the language of mathematics because reality is built, he said, of triangles and circles and figures like that. He was referring to the outside world because he had the foresight of saying ‚Let‘s forget about the observer, let‘s look at the outside world and describe it and then it speaks the language of mathematics. That‘s what his great insight was.

I think, in a way, the idea here is to forget about Gallileo and go inside ourselves and ask about the observer itself, ourselves, our consciousness. Well, that too, I think speaks the language of mathematics. In fact, I think, it‘s mathematics itself.
Wenn alles Information ist,
Dass alles Information ist, finde ich ist eine sehr krasse, "radikale" philosophische Richtung.
Information macht für mich ohne Informierende u.ä., als denkende Menschen (o.ä.) keinen Sinn, als gab es das Weltall vor ihnen nicht? ;)
dann ist alles Mathematik, denn alles Seiende findet Ausdruck in informierten Strukturen, die ihrerseits einer Logik folgen.
Selbst dieser Folgerung kann ich nicht folgen. Warum soll die Information "der Himmel ist blau" gleich Mathematik sein? Außer man definiert es unbedingt als solche.
Nicht wir also gäben der Wirklichkeit sprachlichen Ausdruck über Mathematik, sondern zu existieren selbst hiesse, mathematisch artikuliert zu sein. Zahlen wären nur Symbole für die Wirklichkeit, die zu uns spricht, indem sie uns informiert, und Logik wäre die Art und Weise von allem, die Wahrheit zu verkörpern.

Die Aussage, alles sei Information, ist dann nicht monistisch, wenn zugleich nicht behauptet wird, dass sich alles auf Information zurückführen lässt. Was „allem zugrunde liegt“, wird gar nicht gesagt, wenn gesagt wird, alle sei auch Information.
Nun denn, wenn irgend jemandem diese Denke hilft... mir nicht wirklich.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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NaWennDuMeinst
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Mi 7. Jul 2021, 10:21

Alethos hat geschrieben :
Di 6. Jul 2021, 23:01
Wenn alles Information ist, dann ist alles Mathematik, denn alles Seiende findet Ausdruck in informierten Strukturen, die ihrerseits einer Logik folgen.
Alles ist Information, Logik und Mathematik.
Sagt der Mann, der mit den Bergen spricht und für den es "die Welt" nicht gibt.

Auch wird hier wieder der selbe Fehler gemacht. Es wird einfach nicht unterschieden zwischen den Verhältnissen die in der Natur vorkommen und der Art wie wir uns diese begreif- und verstehbar machen.
So wie der Priester in allem das Angesicht und Wirken seines Gottes sieht, so sieht der Mathematiker überall Zahlen und Logik.



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Alethos
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Mi 7. Jul 2021, 10:30

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 10:21
Alethos hat geschrieben :
Di 6. Jul 2021, 23:01
Wenn alles Information ist, dann ist alles Mathematik, denn alles Seiende findet Ausdruck in informierten Strukturen, die ihrerseits einer Logik folgen.
Alles ist Information, Logik und Mathematik.
Sagt der Mann, der mit den Bergen spricht und für den es "die Welt" nicht gibt.
Da Sprache eine Form von Logik ist (da auch Information), besteht der Widerspruch nicht in meinem Denken, aber in deinem.



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NaWennDuMeinst
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Mi 7. Jul 2021, 10:58

Alethos hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 10:30
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 10:21
Alethos hat geschrieben :
Di 6. Jul 2021, 23:01
Wenn alles Information ist, dann ist alles Mathematik, denn alles Seiende findet Ausdruck in informierten Strukturen, die ihrerseits einer Logik folgen.
Alles ist Information, Logik und Mathematik.
Sagt der Mann, der mit den Bergen spricht und für den es "die Welt" nicht gibt.
Da Sprache eine Form von Logik ist (da auch Information), besteht der Widerspruch nicht in meinem Denken, aber in deinem.
Nein. Du und Jörn, ihr hängt beide der gabriel'schen Idee von "der Welt die es nicht gibt" an.
Und es ist nunmal ein Widerspruch die Welt (als durch ein einziges Prinzip bestimmt) zu leugnen und ihr dann aber nachzusagen sie sei letztlich nur Information.
Diesen Monismus zu überwinden ist ja gerade das Ziel der SFO, oder?
Man kann "die Welt" nicht zu einem Irrtum erklären und gleichzeitig behaupten sie erschöpfe sich einzig in Information, Logik und Mathematik.

Du hast mir ziemlich ausschweifend zu erörtern versucht, warum auch der sprechende Berg zur Welt gehört, warum es ein Fehler wäre die Welt nur aus der Sicht der Physiker zu betrachten.
Und nun erzählst Du mir die Welt sei letztlich nur Logik und Mathematik? Alles nur "Information" (was immer das auch bedeuten soll)?

Das mag für dich widerspruchsfrei zusammengehen, aber meiner Ansicht nach widerlegst Du Dich hier selbst.
Du ersetzt ja hier nur einen Monismus durch einen anderen. Das kann man schon machen (warum nicht?).
Aber nicht mit der Begründung man wolle monistische Weltsichten und Reduktionismus überwinden.
Das geht nicht zusammen, schon gar nicht wenn man glaubt die Logik sei ein die ganze Welt bestimmendes Prinzip.



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Mi 7. Jul 2021, 15:26

Nauplios hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 18:06
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 16:35
Nauplios hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 15:23
Der Neue Realismus tritt mit einem Anspruch auf, der in einem reziproken Verhältnis steht zur philosophischen Gefahrenlage, die er beschwört.
Welche Gefahrenlage meinst Du da genau? Das massenhafte Aufkommen von Verschwörungstheorien? Präsidenten die die Lüge zur Wahrheit erklären?
Die Verleumdung der Wissenschaft als Knecht der Politik? "Lügenpresse, Lügenpresse"-Rufe?
Das kann natürlich nur meine Einbildung sein, aber mein Eindruck ist, dass solche Sachen extrem zugenommen haben.
Ist das alles die Folge konstruktivistischer Philosophien?
Und der neue Realismus soll da wieder "Zucht-und Ordnung" reinbringen?
Ist denn überhaupt klar wer hier Opfer und wer Täter ist?
Rührt dieses Beharren auf der eigenen Vorstellung von der Welt nun darauf, dass man meint sich die Welt konstruieren zu können wie man will, oder darauf, dass man meint die eine "wahre" Realität erkannt zu haben?
Ich habe immer noch nicht so wirklich verstanden was da im "Volk" eigentlich vor sich geht.
Geht es am Ende eigentlich gar nicht um Wahrheit, sondern nur um Interessen und Macht? Wahrheit nicht als Zweck, sondern als Mittel zum Zweck?

Wie auch immer. Das ist alles keine schöne Entwicklung. Die 4 Jahre Trump stecken mir immer noch in den Knochen.
Wie überwinden wir das? Und kann die Philosophie dabei überhaupt helfen?
Oder ist sie gar selbst das Problem?
Der Neue Realismus würde vermutlich darauf so antworten: Konstruktivismus ist der Name für eine Pandemie, die seit Kant die Philosophie mit dem Virus des Ding-an-sich infiziert hat. Wenn die Erkenntnis bis zum Dich an sich nicht mehr vorstößt, bleibt die Wahrheit einer Konstruktion überlassen, die die Welt so macht, wie sie dem Konstrukteur gefällt. Wahrheit und Lüge werden ununterscheidbar, was im politischen Raum einen Trump überhaupt erst möglich gemacht hat. Trump ist einer von mehreren Spätschäden dieser Infektion, ein Phänomen des Long-Konstruktivismus. [...]
Ich bin mit dieser Analyse der Situation aus mehreren Gründen nicht einverstanden.

1. Mir ist das zu schwarz-weiss.
Reality-Man Gabriel bekämpft den bösen Doktor Creatio indem er ihn so lange sinnlose Tautologien an den Kopf wirft bis dieser sich entnervt ergibt.
Das ist vielleicht im Sinnfeld der Comicbuchgeschichten einleuchtend, aber nicht im Rahmen philosophischer Betrachtungen.
Diese Bahauptung, der Konstruktivismus sei im Prinzip eine Philosophie der Beliebigkeit ist eine unzulässige Reduzierung.
Es ist mitnichten so, dass die diversen Strömungen innerhalb des Konstruktivismus alle Wahrheit als etwas völlig Austauschbares ansehen.
Natürlich gibt es auch Konstruktivisten die davon überzeugt sind, dass Urteile und moralische Auffassungen begründet werden müssen.
Die Beurteilung dieser Begründungen obliegt uns allen, und nicht nur denen die die Urteile fällen und Begründungen liefern.
Konstruktivismus ist doch keine Veranstaltung bei der zum Beispiel Logik und Plausibilität keine Rolle mehr spielen.
Es mag zwar auch radikale Konstruktivisten geben die das glauben, aber auch die müssen das begründen und zwar mit Hilfe allgemein nachvollziehbarer Methoden.
Konstruktivismus ist doch nicht ohne Weiteres gleichzusetzen mit der Irrationalität die wir im aktuellen Zeitgeschehen beobachten.

2. Mir fehlt bei der Analyse oben einfach der Sinn für die philosophische Historie.
Kant hat doch seine Kritik der reinen .Vernunft nicht geschrieben um die Wahrheit der Beliebigkeit auszuliefern.
Ausgangspunkt war und ist ein erkenntnistheoretisches Problem, nämlich wie wir Wahrheit als Wahrheit erkennen.
Das hier als "Alternative" vorgestellte Credo "Wahr ist was wahr ist" ist mir da als Antwort einfach zu wenig, um nicht zu sagen: Das ist ein schlechter Witz.
Das originäre, erkenntnistheoretische Problem verschwindet auch nicht einfach dadurch dass man "die Welt" für nicht existent erklärt.
Wir sind auch weiterhin genötigt erklären zu müssen warum etwas als Wahrheit zu gelten habe (also wie diese oder jene Wahrheit als solche erkannt wurde).
Und dabei sind Tautologien die so ziemlich schlechtesten Begründungen die man liefern kann.



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Nauplios
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Mi 7. Jul 2021, 16:56

Ja, ich teile Deine Einwände weitgehend, NaWennDuMeinst. Ich habe ja damit eine Antwort zu geben versucht, die ich dem Neuen Realismus in den Mund gelegt habe. Das Ganze ist sozusagen eine indirekte Rede. So oder ähnlich könnte der Neue Realismus der Frage nach der "Gefahrenlage" durch Konstruktivismus, (Kultur-)Relativismus, Postmoderne u.ä. begegnen.

Nun darf man umgekehrt natürlich auch keine "Gefahrenlage" durch das Erscheinen des Neuen Realismus heraufbeschwören. Das christliche Abendland wird überleben, zumal es philosophische Debatten um Realismus/Nominalismus, Realismus/Idealismus, Realismus/Konstruktivismus ... seit Jahrhunderten kennt.

Zur Debatte steht insofern weniger der Realismus oder ein Realismus als mehr das Neue am Neuen Realismus.

Unbehagen bereitet mir vor allem die autoenthusiastische Selbstwahrnehmung des Neuen Realismus als eine Zäsur in der Geschichte der Philosophie, bei der es ein v.G. und ein n.G. gibt, eine Zeitenwende, die augenzwinkernd auf den 23. Juni 2011 (ungefähr 13.30 Uhr) terminiert wird, kürzlich also 10-jähriges Jubiläum hatte. Aus dem Augenzwinkern ist längst ein Augenrollen geworden, was den Blick auf die Zeitachse v.G. betrifft.

Die Attitüde dieses Selbstverständnisses ist bei Gabriel eine des Lassen-Sie-mich-durch-ich-bin-Philosoph geworden. Die Ansprüche, die insbesondere Gabriel stellt, haben einen Zug ins Rigorose, man möchte fast sagen, ins Unbarmherzige. Da geht's in öffentlichen Auftreten munter ins Populistische und der Neue Realismus ist bei der Feststellung der "realen Faktenlage" immer dabei.

Herbert Clemens wurde hier mal getadelt, weil er uns weniger Angst im Umgang mit der Corona-Pandemie wünschte ("Lebensfreude statt Angst"). - Paul Boghossian, ein Vertreter des Neuen Realismus diagnostiziert in seinem gleichnamigen Buch eine "Angst vor der Wahrheit". - Auch das gehört in das Verhaltensrepertoire neuer Realisten, eine neue Bigotterie. -




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NaWennDuMeinst
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Mi 7. Jul 2021, 17:17

Nauplios hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 16:56
Nun darf man umgekehrt natürlich auch keine "Gefahrenlage" durch das Erscheinen des Neuen Realismus heraufbeschwören.
Solche Befürchtungen hege ich nicht. Wenn ich in mich reinhorche stelle ich eher eine Mischung aus Belustigung und Verärgerung fest.
Belustigung weil ich finde, dass die Herren Neorealisten die Reichweite und Bedeutung ihrer Philosophie gehörig überschätzen (Deshalb sehe ich da auch keine "Gefahrenlage").
Verärgerung, weil ich mich durch die penetranten Missionierungsversuche ihrer Glaubensanhänger belästigt fühle.
Herbert Clemens wurde hier mal getadelt, weil er uns weniger Angst im Umgang mit der Corona-Pandemie wünschte ("Lebensfreude statt Angst").Bigotterie. -
Das ist ein Missverständnis. "Getadelt" wurde er nicht dafür, dass er Menschen ein Leben ohne Angst wünscht (das wünsche ich den Menschen auch), sondern dafür, dass er sinnvolle Vorsicht als unbegründete Angst dazustellen versucht hat.
Ich lasse mich nicht impfen und trage Masken, weil ich Angst habe. Ich mache das, weil ich will, dass diese Pandemie endet und ich überzeugt davon bin, dass diese Maßnahmen zur Erreichung des Ziels nötig sind.
Paul Boghossian, ein Vertreter des Neuen Realismus diagnostiziert in seinem gleichnamigen Buch eine "Angst vor der Wahrheit". - Auch das gehört in das Verhaltensrepertoire neuer Realisten, eine neue Bigotterie. -
Ich sage ja, das ist die pure Arroganz die da spricht. Diese Leute sind von sich selbst so überzeugt, dass sie sich einfach nicht vorstellen können, dass man ihre Ansichten aus einem anderen Grund ablehnen könnte, als nur aus "Angst vor der Wahrheit".
Man möchte zurückrufen: "Ne, ich habe keine Angst vor der Wahrheit. Aber ich kann eingebildete Schnösel nicht leiden.".
Also möchte man. Aber das ist natürlich genauso wenig ein Argument in der eigentlichen Sache wie der Angstvorwurf.



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Nauplios
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Mi 7. Jul 2021, 18:49

"penetrante Missionierungsversuche" (NaWennDuMeinst)

Sooooo kann man das vielleicht doch nicht sagen, NaWennDuMeinst. ;)

Es wird geworben. Für dieses, für jenes. Man ist überzeugt. Von diesem, von jenem. Und wovon man überzeugt ist, dafür tritt man ein.

Den Philosophen Gabriel drängt es in die Öffentlichkeit. Das ist eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahren verstärkt hat. Die steile akademische Karriere ist dem Feuilleton nicht verborgen geblieben und hat "den jüngsten Philosophie-Professor Deutschlands" auch über akademische Milieus hinaus bekannt gemacht. Es häufen sich Interview-Anfragen und populärwissenschaftliche Bücher mit Titeln wie Warum es die Welt nicht gibt schaffen es in die Bestsellerlisten, was weitere Anfragen von Redaktionen und Fernsehsendungen nach sich zieht.

Daß auch schon mal Philosophen sich in den Medien äußern, ist so ungewöhnlich nicht. Es sind dann oft zeitgeschichtliche Themen, die kommentiert werden, weniger tagespolitische Dinge. Gabriel indes läßt nichts aus. Er sendet auf allen Kanälen. Das hat ihn in den letzten Jahren bekannt gemacht. Und aus dieser Position heraus macht er inzwischen sein Ding. Ein Buch wie Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten ist von vornherein auf Medienaufmerksamkeit angelegt. Das ist ja nicht für ein akademisches Fachpublikum geschrieben. - Nur muß man sich dann nicht wundern, wenn das Nicht-Fachpublikum darauf reagiert. Das kann im Einzelfall begeisterte Zustimmung sein. Es kann aber auch so aussehen. Der ehemalige FAZ-Redakteur und Soziologe Stefan Schulz kommentiert das Tagesthemen-Interview, das Ingo Zamperoni kürzlich mit Markus Gabriel führte:

(Schulz' Verriss kommt dem von Dir monierten "Wahr ist was wahr ist" sehr nahe.)



(ab Min. 25.00) -




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Alethos
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Mi 7. Jul 2021, 19:12

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 10:58
Das mag für dich widerspruchsfrei zusammengehen, aber meiner Ansicht nach widerlegst Du Dich hier selbst.
Du ersetzt ja hier nur einen Monismus durch einen anderen. Das kann man schon machen (warum nicht?).
Aber nicht mit der Begründung man wolle monistische Weltsichten und Reduktionismus überwinden.
Das geht nicht zusammen, schon gar nicht wenn man glaubt die Logik sei ein die ganze Welt bestimmendes Prinzip.
Was ich sagte, war eigentlich das:
Alethos hat geschrieben :
Di 6. Jul 2021, 23:01
Die Aussage, alles sei Information, ist dann nicht monistisch, wenn zugleich nicht behauptet wird, dass sich alles auf Information zurückführen lässt. Was „allem zugrunde liegt“, wird gar nicht gesagt, wenn gesagt wird, alles sei auch Information.
Wenn der Berg auch Information ist, und die Öko-Systeme, die sich um ihn und auf ihm bilden, eigentliche Informationssysteme sind, dann haben sie eine Bedeutung, die im weiteren zusammenfällt mit dem Informationsgehalt, den sie darstellen. Der Berg spreche seine Sprache, ist dann nicht gleichbedeutend mit der Aussage, er habe einen Willen und handle, wie sprechende Lebewesen.

Für mich ist bspw. der Buchtitel „Die Sprache der Musik“ keine metaphorische Formulierung.



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Mi 7. Jul 2021, 20:36

Nauplios hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 18:49
(Schulz' Verriss kommt dem von Dir monierten "Wahr ist was wahr ist" sehr nahe.)
Ingo, was soll dieser Quatsch? Hau ihn aus Deiner Sendung raus....
Ich kann ja vieles lustig finden, aber das lehne ich wirklich ab.

:-D
Danke Nauplios, jetzt geht's mir besser.



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Nauplios
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Mi 7. Jul 2021, 20:53

Alethos hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 19:12

Für mich ist bspw. der Buchtitel „Die Sprache der Musik“ keine metaphorische Formulierung.
Zum Komplex Musik/Sprache gibt es eine interessante Überlegung in Kierkegaards Entweder-Oder:

"Nehme ich an, Prosa sei die Sprachform, die der Musik am fernsten steht, so bemerke ich schon in dem oratorischen Vortrag [...] einen Anklang des Musikalischen, der durch verschiedene Stufen [...] immer stärker hervortritt, bis schließlich das Musikalische sich so stark entwickelt hat, daß die Sprache aufhört und alles Musik wird." (Sören Kierkegaard; Entweder-Oder; S. 84)

Stefan Metzger greift diesen Gedanken Kierkegaards, daß die Musik die Sprache umschließt, in seinem Aufsatz über Lebensklangwelten auf und stellt fest:

"Kierkegaard macht in seiner Abhandlung über 'Das Musikalisch-Erotische' in Entweder-Oder in einem doppelten Grenzübergang die Musik zu einem kardinalen Fall von Unbegrifflichkeit." (Stefan Metzger; Lebensklangwelten. Musik als unbegriffliche Gesellschaftsimagination im frühen 19. Jahrhundert am Beispiel des Uhrmachers BOGS in: Unbegrifflichkeit. Ein Paradigma der Moderne, hrsg. v. Almut Todorow, Ulrike Landfester u. Christian Sinn; S. 225)

Uhrmacher Bogs ist der Protagonist einer Erzählung von Clemens Brentano mit dem herrlichen Titel:

Entweder wunderbare Geschichte von Bogs dem Uhrmacher, wie er zwar das menschliche Leben längst verlassen, nun aber doch, nach vielen musikalischen Leiden zu Wasser und zu Lande, in die bürgerliche Schützengesellschaft aufgenommen zu werden Hoffnung hat, oder die über die Ufer der badischen Wochenschrift als Beilage ausgetretene 'Konzert-Anzeige'. Nebst des Herrn Bogs wohlgetroffenem Bildnisse und einem medizinischen Gutachten über dessen Gehirnzustand

1807 konnte man einer kleinen Erzählung noch solche Titel geben. Heute käme dabei heraus: Uhrmacher und Gehirn ;)




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Mi 7. Jul 2021, 20:56

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 20:36
Nauplios hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 18:49
(Schulz' Verriss kommt dem von Dir monierten "Wahr ist was wahr ist" sehr nahe.)
Ingo, was soll dieser Quatsch? Hau ihn aus Deiner Sendung raus....
Ich kann ja vieles lustig finden, aber das lehne ich wirklich ab.

:-D
Danke Nauplios, jetzt geht's mir besser.
Und ich hab's absichtlich nicht zitiert! ;)




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Mi 7. Jul 2021, 22:13

Nauplios hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 16:56
Zur Debatte steht insofern weniger der Realismus oder ein Realismus als mehr das Neue am Neuen Realismus.

Unbehagen bereitet mir vor allem die autoenthusiastische Selbstwahrnehmung des Neuen Realismus als eine Zäsur in der Geschichte der Philosophie, bei der es ein v.G. und ein n.G. gibt, eine Zeitenwende, die augenzwinkernd auf den 23. Juni 2011 (ungefähr 13.30 Uhr) terminiert wird, kürzlich also 10-jähriges Jubiläum hatte. Aus dem Augenzwinkern ist längst ein Augenrollen geworden, was den Blick auf die Zeitachse v.G. betrifft.

Die Attitüde dieses Selbstverständnisses ist bei Gabriel eine des Lassen-Sie-mich-durch-ich-bin-Philosoph geworden.
Die Debatte scheint sich aber auch zu drehen um die Attitüde des Philosophen, dem man unterstellt, ein neues Evangelium bringen zu wollen. Es fallen dann Beurteilungen wie „autoenthusiastisch“ oder „penetrante Missionierungsversuche“, was in dieser Betrachtungsweise wohl folgerichtig ist, wenn man den Philosophen am Massstab seiner Motiviertheit und seinem Drang zur öffentlichen Präsenz misst. Man kann sich fragen, ob wir dieses mediale Gebahren Gabriels anders beurteilten, wenn wir es von Aristoteles und Kant her schon kannten, dass sie ihre Thesen auf Social Media und allen verfügbaren Kanälen verbreitet hätten. Ob uns der Mitteilungsdrang, der bei Philosophen immer schon ausgeprägt war, weniger auffallen würde? Neu am Neuen Realismus ist sicherlich auch die Art und Weise, in den Medien breite Schichten flächendeckend ansprechen zu können, was im Namen von Kant und Aristoteles eifersüchtig machen kann, wenigstens aber irritieren kann, weil es keine philosophiegeschichtliche Praxis gibt, die es normal und üblich machte. Ich jedenfalls kann mir gut vorstellen, dass sich Kant oder Schopenhauer prominent in jedem gefragten oder ungefragten Moment geäussert hätten, und wir würden es ihren Nachahmern nachsehen.


Ja, auch ich denke, dass Slogans wie „Die Welt existiert nicht.“ tatsächlich Slogans sind. Slogans, weil sie auf den Effekt der Aufmerksamkeitserregung ausgelegt sind. Der Effekt ist der: Behaupte von der Welt, die offensichtlich jeder sieht, dass es sie nicht gibt. verheimliche aber gleichzeitig dass du nur einen bestimmten Sinn von Welt
meinst. Existieren oder Nichtexistieren bezieht sich immer auf das So-Existieren eines Gegenstands. Für alles gilt, dass es nicht existiert in einem übergeordneten Sinn. Keine Welt, kein „Glas Milch“, kein Grashalm, kein Lufthauch, kein Gedanke, kein Gott: Nichts existiert in einem einzigen Sinn. Die Grundthese des ontologischen Pluralismus lautet gerade, dass Existenz immer lokale Realisierungsbedingungen hat. Jedes Ding, so abstrakt oder konkret es auch immer sein mag, ist gebunden an die begriffliche Pluralität von Wirklichkeit, und existiert damit immer relational zum Feld, in welchem es erscheint. Die Welt ist also nicht allein in ihrem Nichtexistieren, weil es viele Dinge nicht gibt in der Art, wie wir behaupten können, dass es sie gebe. Insofern behauptet Gabriel für den Buchtitel ein Sosein der Welt und deren Nichtexistenz, was korrekt ist, aber er sollte dann nicht gleichzeitig nachwerfen, dass alles existiere. Denn sowenig Welt im Sinne von „Sinnfeld aller Sinnfelder“ allein gemeint sein muss, sowenig muss „alles“ heissen, dass ein Jedes in jedem erdenklichen Sinn gemeint sei. Gerade das ist nicht die Wahrheit, dass alles existiere in jedem Sinn.

Aber der Neue Realismus ist nicht nur ein Marketingvehikel für eitle Gedanken, weil er auch Antworten gibt auf Fragen, auf die Relativisten keine befriedigenden Antworten haben. Es kann bspw. nicht befriedigen zu sagen, dass die Richtigkeit eines moralischen Urteils abhängig sei vom Kulturkreis. Gälte dieses Argument, so müsste es weitergedacht werden bis auf die Ebene des Individuums, dass moralisch richtig sei, was der Einzelne für richtig befinde. Denn, wenn Richtigkeit relativ sein soll zur Ansicht eines Kulturkreises, mit welchem Grund könnten wir denn behaupten, dass der Kulturkreis hier und dort aufhöre? Mit keinem. Es wäre dann genauso legitim zu sagen, dass die Wahrheit eines moralischen Urteils von jenen vielen Angehörigen eines bestimmten Kreises abhänge, wie dass sie nur abhänge von der Ansicht eines Einzelnen. Das wäre aber eine absurde Behauptung, wenn wir sagen wollten, es sei moralisch richtig, was immer jede:r glauben wolle, denn gerade sind moralisch relevante Sachverhalte jene, die uns als Mitmenschen betreffen und wir lassen nicht alles mit uns machen (ob aber bspw. jemand gleichgeschlechtlichen Sex haben will oder nicht, das wäre ein moralisch neutraler Sachverhalt, weil er uns als Mitmenschen nicht betrifft und es sozusagen nichts mit uns macht). Moralität ergibt sich aus der Betroffenheit und aus dieser die Unbeliebigkeit des moralisch richtigen Urteils.

Nun können wir des Weiteren auch nicht mit gutem Recht behaupten, dass für einige Urteile Relativität gelte und für andere nicht. Wir können bspw. nicht sagen, bei Dingen der Physik gälten Objektivitätskriterien, hier sei Wahrheit nicht relativ, sondern gelte absolut und müsse ablesbar sein an Instrumenten und reproduzierbar in Experimenten. Bei diesen Dingen gebe es Objektivität, aber bei anderen Dingen der Wirklichkeit gebe es sie nicht. Warum (und ich meine, mit welchem Argument) könnten wir denn behaupten, die physischen Dinge, Gesetze usw. seien Tatsachen, aber andere Sachverhalte der Wirklichkeit, wie Moral, nicht? Wie wollten wir das begründen? Das können wir schliesslich nur behaupten, wenn wir die Moral von der Wirklichkeit loslösen und sie in einen anderen Wirklichkeitsbereich transferieren und für diesen andere Gesetze des Wirklichseins postulieren. Aber welche Gesetze sollen das sein? Welche Bedingung, wenn nicht die des Vorkommens (des Erscheinens) überhaupt kann gelten als Kriterium für das Wirklichsein? Wenn wir nun solche Bereiche schafften, in denen andere Gesetze herrschten, hätten wir doch zu begründen, anhand welcher Kriterien wir sie in diese Bereiche aufteilten. Wir müssten angeben können, was es heisst, in einem Fall wirklicher und im anderen Fall u!wirklicher Gegenstand zu sein (wo doch der Begriff Gegenstand allein schon impliziert, dass
es ein Zugegensein in Wirklichkeit hat)

Oder wir behaupten, Moral sei eine Illusion, Illusionen im Übrigen nichts Reales, müssten dann aber erklären, wie das Phänomen der Moralität (auch als kollektives Korrektiv in Gesellschaften) wirksam werden kann, was es tut, wenn es irreal sein soll. Wenn Moral nur Ansichtssache wäre, d.h. die Ansicht sowohl wahr als zugleich unwahr sein könnte, müssen wir uns die Frage gefallen lassen, warum wir nach bestem Wissen und Gewissen handeln so, als sei es wahr, dieses Handeln als richtig und jenes als falsch anzusehen. Warum lassen wir dem Bösen nicht einfach freien Lauf, wenn es keine wahren Ansichten gibt darüber, dass es tatsächlich falsch ist?


Man hat die Antwort mit logischen Argumenten relativ schnell bei der Hand: Nichts von alledem
kann wahr sein. Nicht ist Moral nur eine Illusion noch ist das moralische Urteil relativ wahr. Alles ist real, und weil es real ist, sind über es wahrheitsfühige Urteile möglich, die sich an der Realität des Gegenstands orientieren, über den man Ansichten hat (und nicht umgekehrt). Und alles Reale gehört zur selben Wirklichkeit.

Alles hat, sofern es ist, als dieses Seiende bestimmte Eigenschaften, die es zu diesem Seienden machen, das es ist. Moralische Gegenstände, Kunstgegenstände, Gedankendinge, physische Objekte: Alle diese Dinge sind gleichermassen real (weil es keine Degradationsmöglichkeit des Realen gibt. Sofern etwas ist, ist es real). Das moralische Ding (z.B. eine moralisch relevante Situation) ist real, und sie ist der reale Gegenstand, an dem sich die wahre Ansicht ausrichtet. Dieser Gegenstand ist nicht weniger real als
ein Tisch, an den wir sitzen können. Es gibt aber „diesen Tisch dort“ nie bloss in einem
Sinn, sondern in vielen, als geometrische Figur, als Erinnerungsstück, als Kunstobjekt, als Farbträger, als sozialer Brennpunkt in familiären Szenarien etc. In keiner dieser Tischvarianten ist dieser Tisch realer, ist keine seiner Eigenschaften wirklicher oder unwirklicher als wirklich. Und so ist auch die moralische Situation, ob hier oder dort, in diesem oder jenem Sinn, zu dieser oder jener Zeit immer gleich wirklich. (Moralisch kann ein Gegenstand nur sein, wenn er andere betreffen kann, insofern kann ich keine moralischen oder unmoralischen Gedanken oder Träume oder Ansichten haben, die ich nicht auslebe).

Wenn das nun so ist, dass jeder Gegenstand seine lokale Spezifität hat, müssen wir uns da nicht auch jedesmal bestimmen, welches der genaue Gegenstand sei, über den wir die Wahrheit sagen wollen? Wollen wir doch wissen, was wahr oder unwahr sei über diesen Tisch und müssen auch angeben, was wir meinem mit „dieser“? Das ist zu bejahen Erst dieses Verfahren des präzisen Bestimmens des Gegenstands lässt wahrheitsfähige Schlüsse zu, weil nur diese Bestimmung in Rechnung stellt die anvisierte Existenz des zu Beurteilenden. Das ist die Hauptbotschaft des Neuen Realismus: Dass man das lokale Phänomen achte, sich auf es beziehe: Denn nur, wo wir die Gegenstände als das ins Auge fassen, was sie sind, ist Erkenntnis über sie möglich und damit auch wahre Urteile (mit Kant gesagt: Ist Wahrheit möglich als Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand).

Wenn wir bei Kant sind: Der Neue Realismus sagt nicht, dass Kant vollkommen falsch lag, sondern nicht konsequent genug weiterdachte. Dass die Erkenntnis eines Dings an sich unmöglich sei, wie Kant behauptete, weil Dinge uns immer nur erscheinten, nie aber als Dinge an sich gegeben sein könnten, bedeutet - mit dem Neuen Realismus gesprochen - nicht, dass Erscheinung einen Verzerrungsfilter darstellte, der uns den Blick auf das wirklichere Ding versperrte, sondern dass diese Erscheinungsform des Dings (Phänomen, Gegenstand der Erscheinung) die wirkliche Form des Dings an sich ist und zwar in der Spezifität seiner Existenz als uns Erscheinendes. Anders gesagt: Die Erscheinung ist das Ding an sich in der Relation zum Erkenntnissubjekt, das es erkennt.

Darum ist Physik ja auch nicht wirklicher als Phatamorganas, da sowohl das physische Ding, das wir objektiv messen (z.B. seine Temperatur, seine Lage, der Spin seiner Atome etc.) als auch die nur subjektiv wahrnehmbare illusion eines physischen Gegenstands der Aussenwelt in der Einbildung gleichermassen Erscheinungen sind, d.h. Dinge an sich sind in der Perspektive (d.h. in der Relationalität) der sie erkennenden Subjekte. Kein Atom ist in jenem Fall seiner Darstellung auf einem Elektronenmikroskop wirklicher (im Sinne von seiender) als das Grün der Wiese in meinem Hirn. Nichts an dieser Tatsache macht aus den Dingen konstruierte oder aus ihrer Wahrheit etwas Relatives. Sie sind, was sie sind, objektiv und relational.



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NaWennDuMeinst
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Mi 7. Jul 2021, 22:51

Alethos hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 22:13
Die Debatte scheint sich aber auch zu drehen um die Attitüde des Philosophen, dem man unterstellt, ein neues Evangelium bringen zu wollen.
Gabriel in seinem "Banane-Auftritt":

"Das Gute hat tatsächlich insofern immer die Oberhand als das Gute eben auf der Seite der Wahrheit steht [..} Das Gute steht für die Wahrheit, für die Tatsachen, für die Fakten, und ist auf dieser Seite und das Böse arbeitet immer mit Methoden der Verwässerung, der Täuschung, der dunklen Zeiten der Manipulation, Ideologie und Proaganda."

Ganz ehrlich, das hat Gabriel doch aus seiner Kinderbibel abgeschrieben. Mich wundert, dass er nicht von Satan erzählt, der als Schlange getarnt Adam dazu verführt Obst zu essen.
Schulz weist hier zurecht darauf hin, dass die Philosophie seit keine Ahnung wie viel Jahrhunderten vor dem Problem steht Wahrheit zu definieren.
Und dann kommt Gabriel und liest uns aus der Bibel vor: Das Gute ist die Wahrheit und das Wahre ist das Gute und hüte dich vor Satan, der mit List und Täuschung vorgeht.
Wenn das stimmt ist Gabriel der Gute, denn der geht so plump vor, dass von List und Täuschung gar nicht die Rede sein kann. Von einer überzeugenden Argumentation zwar auch nicht, aber deshalb wird er ja von Schulz auch zu Recht für "Banane" erklärt.

Es tut mir wirklich leid, Alethos, aber Gabriel ist nichts für mich. Ich empfinde seine moralischen Vorstellung genau wie Schulz nicht als Fortschritt, sondern als Rückfall in mittellalterliche Zeiten. Ich habe das übrigens schon vor Wochen in dieser Debatte gesagt: Wenn ich eine objektive Moral will, gehe ich in die Kirche. Dazu brauche ich Gabriel nicht.
Von der (Moral-)Philosophie erwarte ich mir einfach mehr.



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Alethos
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Mi 7. Jul 2021, 23:01

Es geht mir doch nicht um Gabriel. Ob du ihn magst oder nicht, das ist mir nicht wichtig, dass du ihn verstehst und korrelt wiedergibst, hingegen schon.



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Nauplios
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Mi 7. Jul 2021, 23:15

Das ist eine prima Zusammenfassung dessen, was ja hier im Forum unter dem Titel "Neuer Realismus" ausbuchstabiert wird (bezieht sich auf den langen Beitrag von Dir, Alethos). Das ist alles in dieser und ähnlicher Form bekannt und x-fach ausgeführt. Thema con Variazioni.

Ob NaWennDuMeinst die Gegenposition hier noch ein weiteres Mal aufspannen wird, weiß ich nicht. ;) Ich teile das, was Du anführst, nicht, Alethos. Das zu diskutieren, wäre Gegenstand von "Wahrheit die 100. ..." ;) Und am Ende stünden wir da, wo wir jetzt stehen.
Zuletzt geändert von Nauplios am Mi 7. Jul 2021, 23:20, insgesamt 2-mal geändert.




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NaWennDuMeinst
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Mi 7. Jul 2021, 23:18

Alethos hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 23:01
Es geht mir doch nicht um Gabriel. Ob du ihn magst oder nicht, das ist mir nicht wichtig, dass du ihn verstehst und korrelt wiedergibst, hingegen schon.
Aber was gibt es denn da zu verstehen? In Bezug auf eine "objektive Moral" kommen wir einfach nicht zusammen.
Und das - also diese meine Einstellung - ist tatsächlich unabhängig von Gabriel.
Man muss es ja nicht so weit treiben und zum Ammoralisten werden. Aber das da ist... einfach nur peinlich und rückständig.
Ich frage mich ja auch, für wen eine solche Moralphilosophie gemacht sein soll? Für den Atheisten, der Gott ablehnt und sich aber trotzdem "moralische Führung" mit Absolutheitsanspruch wünscht?
Ich weiß es nicht. Keine Ahnung was das soll.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Mi 7. Jul 2021, 23:20, insgesamt 1-mal geändert.



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Mi 7. Jul 2021, 23:19

Nauplios hat geschrieben :
Mi 7. Jul 2021, 23:15
Ob NaWennDuMeinst die Gegenposition hier noch ein weiteres Mal aufspannen wird, weiß ich nicht. ;)
Nein, das möchte ich nicht. Und ich fände es wirklich schön, wenn man mich nicht dazu nötigen würde.
Wir müssen das wirklich nicht alles nochmal durchgehen.



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Jörn Budesheim
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Do 8. Jul 2021, 06:31

tagesschau.de hat geschrieben : Der als "Schlächter von Bosnien" bekannt gewordene Mladic gilt als einer der Hauptverantwortlichen für Kriegsverbrechen und Völkermord während des Bosnien-Krieges, in dessen Verlauf etwa 100.000 Menschen getötet und 2,2 Millionen Menschen in die Flucht getrieben wurden.In der bosnischen Stadt Srebrenica hatten bosnisch-serbische Soldaten 1995 mehr als 8000 muslimische Jungen und Männer ermordet. Mladic weist bis heute jede Verantwortung dafür zurück. Gegen das im Jahr 2017 gesprochene Urteil in erster Instanz hatte er Berufung eingelegt.
Stefan Schulz findet das Thema Völkermord unappetitlich. Markus Gabriel spricht hingegen von menschenverachtenden Verbrechen und rechnet das zum Bösen. Völkermord zum Bösen zu rechnen, ist jedoch nach Schulz ein Rückfall ins Mittelalter. Er fragt sich, wie weit wir die Normativität treiben wollen ... Er hält es für "bekloppt", Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Bösen zu rechnen. Schulz hat nach eigenen Worten das Einleitungskapitel das Buch ist von Markus Gabriel über Ethik gelesen, dort findet sich: "Das Gute und das Böse bezeichnen die Extrempole [...] Das Gute und das Böse sind universale Werte: Das Gute ist universal moralisch geboten [...] während das Böse universal moralisch verboten ist."

Das UN-Kriegsverbrechertribunal hat die Verurteilung Ratko Mladic wegen Völkermords, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestätigt. Wie kann man eigentlich im Ernst bezweifeln, dass all das zum Extrempol des moralisch Verwerflichen gehört? Noch mal, weil es so appetitlich ist: Nach Stefan Schulz ist es ein Rückfall ins Mittelalter ist, der Ansicht zu sein, dass Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu dem gehören, was universal moralisch verboten ist, dem Bösen.

"Das Böse in der Welt entspringt beinahe immer dem Unwissen und der gute Wille kann genauso viele Schäden anrichten wie die Bosheit, wenn er nicht aufgeklärt ist. Die Menschen sind eher gut als schlecht, doch in Wahrheit ist das gar nicht die Frage." (Albert Camus, Die Pest)

"Das radikal Böse ist das, was nicht hätte passieren dürfen, d. h. das, womit man sich nicht versöhnen kann, was man als Schickung unter keinen Umständen akzeptieren kann, und das, woran man auch nicht schweigend vorübergehen darf." (Hannah Arendt) (Wenn sie auch später in Frage stellt, dass das Böse eine Tiefendimension haben kann.)




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NaWennDuMeinst
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Do 8. Jul 2021, 10:09

Offenbar ist nicht im Geringsten verstanden worden was eigentlich kritisiert wurde, dabei sagt Schulz es ja ziemlich klar.
Was soll man da machen?
Nichts.

(Wer nicht bereit ist die Welt in Gut und Böse zu teilen, einfach weil diese Teilung nicht aufgeht, der ist Jemand der Völkermord befürwortet. Das ist in der Tat mittelalterliches Denken)



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