Gedanken zur Hermeneutik

Drei wichtige philosophische Schulen der Philosophie des 20. Jahrhunderts, welche die Philosophie europäischer und amerikanischer Provenienz mitgeprägt haben
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Jörn Budesheim
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Di 20. Apr 2021, 06:39

Groot hat geschrieben :
Mo 19. Apr 2021, 16:09
Das Spiel ist doch eine Sache, die dem Subjekt bzw. dem Selbst, der Individualität, dem Eigennamen einen Platz einräumt. Etwas, worin keinerlei Regelwerk normativ aktualisiert wird; jedes Spiel lässt seine Regelhaftigkeit erst in der Wiederholung des spezifischen Spieles erkennen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, was für dich Beispiele für Spiele wären?! Zwei Beispiele, die mir gerade in den Sinn kommen sind Schach und Fußball. Beide passen jedoch nicht wirklich auf den Text. Deswegen vermute ich, du sprichst über etwas anderes. Könntest du ein Beispiel geben?




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Jörn Budesheim
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Groot hat geschrieben :
Mo 19. Apr 2021, 16:09
Denn dem Spiel kommt eine strategische Komponente zu, die dem Kunstwerk abhanden gekommen ist...
Auch hier kann ich nicht genau nachvollziehen, worauf du hinaus willst, wo doch der Begriff der Strategie heute einer der ganz zentralen für die Kunst ist. Man spricht viel von künstlerischen Strategien, z.b. der Provokationen, Partizipation und ähnliches. Deswegen denke ich, dass du etwas anderes meinst, mir ist aber nicht klar was.




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Groot hat geschrieben :
Mo 19. Apr 2021, 16:09
Das Kunstwerk folgt zwar auch Regeln. Diese liegen jedoch nicht in ihm selbst
Und noch eine Nachfrage :) ein zentraler Aspekt des Kunstbegriffs ist meines Erachtens seine Autonomie, das heißt, dass das Kunstwerk sich selbst die Regeln setzt. Die Regeln liegen in ihm, lägen sie wesentlich außer ihm, würde man von Heteronomie sprechen. So betrachtet, würdest du der Heteronomie der Kunst das Wort sprechen, ich glaube aber nicht, dass du das meinst, oder?




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Mi 21. Apr 2021, 06:43

Groot hat geschrieben :
Mo 19. Apr 2021, 16:09
Das Kunstwerk beinhaltet sozusagen mehr Idee einer Person, also des Künstlers, als das autark auftretende Spiel, das die Regeln in sich selbst birgt.
Ich weiß nicht, ob man generell sagen kann das Kunstwerke die Ideen des Künstlers oder der Künstlerin "enthalten".
Robert Rauschenberg hat geschrieben : People ask me, 'Don't you ever run out of ideas?' Well, on the first place, I don't use ideas. Every time I have an idea, it's too limiting and usually turns out to be a disappointment. But I haven't run out of curiosity.
Ich glaube eigentlich nicht, dass man sich Kunstwerke generell so vorstellen kann, dass der Künstler oder die Künstlerin eine Idee hatte, die er oder sie schließlich umgesetzt hat, so dass das Kunstwerk die Idee "enthält".




Groot
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Mi 21. Apr 2021, 16:30

Ich bin mir nicht ganz sicher, was für dich Beispiele für Spiele wären?! Zwei Beispiele, die mir gerade in den Sinn kommen sind Schach und Fußball. Beide passen jedoch nicht wirklich auf den Text. Deswegen vermute ich, du sprichst über etwas anderes. Könntest du ein Beispiel geben?
Wieso? Im Fußball, wie im Schach gibt es Regeln, die dem Spiel selbst anhängen. (Sicher wurde das Spiel erfunden, aber ab dann stehen die Regeln für sich selbst) Sowohl Schach, als auch Fußball werden von Individuen gespielt, welches darin, also im Spiel, ganz es selbst ist. Losgelöst vom Über-Ich und den Normen der sozialen Welt.

Anders im Kunstwerk, wo der Künstler relevant ist. Denn seine Biographie, seine Interessen wirken auf das Kunstwerk ein, welches immer nur interpretierbar ist in Zusammenhang mit dem Künstler. Denn der Künstler ist, woraus sich das Werk erschließt. Dazu ist der Künstler des Werkes nicht losgelöst von den Normen, die er entweder kritisch oder affimierend in seinem Werk aufzeigt.
Auch hier kann ich nicht genau nachvollziehen, worauf du hinaus willst, wo doch der Begriff der Strategie heute einer der ganz zentralen für die Kunst ist. Man spricht viel von künstlerischen Strategien, z.b. der Provokationen, Partizipation und ähnliches. Deswegen denke ich, dass du etwas anderes meinst, mir ist aber nicht klar was.
Die Strategien hängen dann aber m.e. nicht am Kunstwerk, sondern werden durch die Künstler erzeugt. Sprich der Künstler macht die Strategie. Das Kunstwerk selbst hat aber keine Strategie in sich. Das Subjekt erkennt darin zwar allerhand, aber sicher kein instrumentell-strategisches Verhalten, sondern eben Kunst- oder Naturschönes.
Und noch eine Nachfrage :) ein zentraler Aspekt des Kunstbegriffs ist meines Erachtens seine Autonomie, das heißt, dass das Kunstwerk sich selbst die Regeln setzt. Die Regeln liegen in ihm, lägen sie wesentlich außer ihm, würde man von Heteronomie sprechen. So betrachtet, würdest du der Heteronomie der Kunst das Wort sprechen, ich glaube aber nicht, dass du das meinst, oder?
Doch, das könnte man sagen. Denn das Kunstwerk ist, anders als das Spiel, eben eingebettet in die soziale Ordnung. Der Mensch ist, der die Regeln ins Kunstwerk legt, weil bspw. die Kunstgeschichte Kunstwerk A als logische Folge erwarten lässt oder weil provoziert werden will für soziale Gerechtigkeit oder das Überwinden überkommener ästhetisch-sinnlicher Gepflogenheiten. Darin zeigt sich eine Abhängigkeit des Kunstwerkes von der Historie - wiewohl es als Werk natürlich auf die Zeitlosigkeit verweisen kann.

Das Spiel aber ist, einmal etabliert, für sich stehend. Insbesondere seine Regeln finden sich in ihm, nicht im Künstler oder der Situation, die um das Kunstwerk herum zuhanden ist, und als Ursache für das Kunstwerk gelten kann.
Ich weiß nicht, ob man generell sagen kann das Kunstwerke die Ideen des Künstlers oder der Künstlerin "enthalten".
wieso nicht?

Ich würde meinen, dass der Prozess des Entstehens eines Kunstwerkes davon getragen ist, etwas zu erzeugen, das dem Künstler zunächst inhärent ist. Es verweist auf Ideen, die in seinem Entwicklungsprozess, sei es zufällig, sei es vorher hineingelegt, sich entwickelt haben oder zuvor bereits intendiert waren.

Der Punkt, den ich machen wollte, war aber der, dass das Kunstwerk - anders als das Spiel - aus der idealistischen Warte beeinflußt ist und ein Ereignis des Geistes und der Idee ist. Anders das Spiel, welches, dem Kunstwerk zwar ähnlich ist, aber nicht damit identisch, weil das Spiel eben das reinste Phänomen sozialer Tatbestände ist und nicht auf transzendentes abzielt, wie das Kunstwerk das u.a. tut.




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Mi 21. Apr 2021, 18:35

Groot hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 16:30
Das Spiel ist doch eine Sache, die dem Subjekt bzw. dem Selbst, der Individualität, dem Eigennamen einen Platz einräumt. Etwas, worin keinerlei Regelwerk normativ aktualisiert wird; jedes Spiel lässt seine Regelhaftigkeit erst in der Wiederholung des spezifischen Spieles erkennen.
Meine Frage bezog sich auf diesem Abschnitt. Spiele wie Schach und Fußball lassen ihre Regeln nicht erst in der Wiederholung des spezifischen Spiels erkennen, sondern Schach zu spielen, heißt den Regeln des Schachspiels zu folgen. Schach und die Regeln des Schachs sind doch nicht zwei verschiedene Dinge. Die Regeln hängen dem Schach daher auch nicht an, es gibt ja nicht hier das Spiel und dort die Regeln, die dem Spiel irgendwie anhängen können.

Aus diesem Grund habe ich oben vermutet, dass du auf andere Spiele aus bist, nämlich solche, deren Regeln sich erst im Spiel konstituieren. Vielleicht irgendwelche freie Improvisationen, bei denen sich die Regeln gewissermaßen erst mit der Zeit "verfestigen" und auch ebenso verflüchtigen können.




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Mi 21. Apr 2021, 18:43

Groot hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 16:30
Ich würde meinen, dass der Prozess des Entstehens eines Kunstwerkes davon getragen ist, etwas zu erzeugen, das dem Künstler zunächst inhärent ist.
Das mag auch Künstler geben, die gelegentlich versuchen, etwas Inneres auszudrücken. So verstehe ich diesen Abschnitt oben. Aber das ist ganz sicher nicht generell der Fall. Ich für meinen Teil lehne dieses Bild für meine künstlerische Arbeit nahezu komplett ab.




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Susan Sonntag hat geschrieben : Man muss die persönlichen Absichten des Künstlers nicht kennen. Sein Werk sagt alles.
Groot hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 16:30
... der Künstler ist, woraus sich das Werk erschließt
Je nachdem, wie du das im Einzelnen meinst, würde ich sagen, das ist eine Version des intentionalen Fehlschlusses. Ein intentionaler Fehlschluss liegt vor, wenn sowohl die "Erschließung" als auch die Wertung eines Werkes sich wesentlich auf die subjektiven Intentionen (die Absichten) des Autors berufen. Wer sich darauf bezieht, betreibt keine Auseinandersetzung mit dem Werk, sondern verwechselt es mit den Absichten des Autors; manche Autoren betrachten das als Sonderfall eines genetischen Fehlschlusses.

Sich auf die Biografie des Künstler zu beziehen, ist meines Erachtens einfach eine etwas anders gelagerte Version desselben Fehlschlusses.




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Mi 21. Apr 2021, 19:05

Groot hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 16:30
Doch, das könnte man sagen. Denn das Kunstwerk ist, anders als das Spiel, eben eingebettet in die soziale Ordnung. Der Mensch ist, der die Regeln ins Kunstwerk legt, weil bspw. die Kunstgeschichte Kunstwerk A als logische Folge erwarten lässt oder weil provoziert werden will für soziale Gerechtigkeit oder das Überwinden überkommener ästhetisch-sinnlicher Gepflogenheiten. Darin zeigt sich eine Abhängigkeit des Kunstwerkes von der Historie - wiewohl es als Werk natürlich auf die Zeitlosigkeit verweisen kann.

Das Spiel aber ist, einmal etabliert, für sich stehend. Insbesondere seine Regeln finden sich in ihm, nicht im Künstler oder der Situation, die um das Kunstwerk herum zuhanden ist, und als Ursache für das Kunstwerk gelten kann.
Ich habe hier eine vage Vorstellung, was du meinst. Ein Beispiel: Die Bilder des amerikanischen abstrakten Expressionismus sind in irgendeiner Form auch Ausdruck ihrer Zeit, sagen wir (ohne es auf die Goldwaage zu legen) als Selbstbild der Amerikaner in Zeiten des Kalten Krieges. Während man das gleiche für ein Spiel wie Schach nicht unbedingt sagen würde, es sei denn, man denkt an den Weltmeisterschaftskampf zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski :)

Das Problem bei deinem Text zum Spiel ist für mich, dass ich den Grundgedanken nicht verstehen kann, weil ich deine Metaphern und Formulierungen nicht wirklich gut entziffern kann. Ein Aspekt, der in einem Thread über Hermeneutik meines Erachtens besondere Erwähnung verdient :)




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Mi 21. Apr 2021, 19:07

Groot hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 16:30
Sprich der Künstler macht die Strategie. Das Kunstwerk selbst hat aber keine Strategie in sich.
Ich finde schon. Wenn der Künstler die Strategie der Partizipation verfolgt, dann hat das Kunstwerk, in dem es partizipativ ist, die "Strategie in sich".




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Mi 21. Apr 2021, 19:14

Groot hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 16:30
Sowohl Schach, als auch Fußball werden von Individuen gespielt, welches darin, also im Spiel, ganz es selbst ist.
Ich würde meinen, Fussball wird immer und Schach manchmal von Teams gespielt. Und ein Team ist nicht einfach eine Ansammlung von Individuen.




Groot
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Mi 21. Apr 2021, 20:13

Meine Frage bezog sich auf diesem Abschnitt. Spiele wie Schach und Fußball lassen ihre Regeln nicht erst in der Wiederholung des spezifischen Spiels erkennen, sondern Schach zu spielen, heißt den Regeln des Schachspiels zu folgen. Schach und die Regeln des Schachs sind doch nicht zwei verschiedene Dinge. Die Regeln hängen dem Schach daher auch nicht an, es gibt ja nicht hier das Spiel und dort die Regeln, die dem Spiel irgendwie anhängen können.

Aus diesem Grund habe ich oben vermutet, dass du auf andere Spiele aus bist, nämlich solche, deren Regeln sich erst im Spiel konstituieren. Vielleicht irgendwelche freie Improvisationen, bei denen sich die Regeln gewissermaßen erst mit der Zeit "verfestigen" und auch ebenso verflüchtigen können.
Ja, man folgt den Regeln des Spieles. Aber wo sind denn dann die Regeln? Diese werden ja durch das Spiel vorgegeben. Anders beim Kunstwerk, worin man ja so gut als alles hineininterpretieren kann, also Regeln selbst setzt.

Naja, es gibt in gewisser Weise schon hier das Schach und dort die Regeln. Denn der Regelbegriff erfasst sowohl technische, spielerische, normative als auch "subjektive" Regeln. Wenn ein Spiel nun Regeln hat, dann sind dies spielerische - und nicht normative oder technische Regeln, die zur Anwendung kommen.

Aber selbst, wenn diese dem Spiel nicht anhängen, wäre das ja noch mehr Punkt für mich. Weil sie dann dem Spiel - und eben nicht den Spielern - immanent wären.
Das mag auch Künstler geben, die gelegentlich versuchen, etwas Inneres auszudrücken. So verstehe ich diesen Abschnitt oben. Aber das ist ganz sicher nicht generell der Fall. Ich für meinen Teil lehne dieses Bild für meine künstlerische Arbeit nahezu komplett ab.
Das steht dir durchaus frei. Wie würdest du denn deine künstlerische Arbeit charakterisieren?

Ich halte aber daran fest, dass die Kunst als Phänomen keine strategische Komponente hat, sondern vielmehr expressiv ist - oder eben dem Publikum eine Impression ermöglicht.
Je nachdem, wie du das im Einzelnen meinst, würde ich sagen, das ist eine Version des intentionalen Fehlschlusses. Ein intentionaler Fehlschluss liegt vor, wenn sowohl die "Erschließung" als auch die Wertung eines Werkes sich wesentlich auf die subjektiven Intentionen (die Absichten) des Autors berufen. Wer sich darauf bezieht, betreibt keine Auseinandersetzung mit dem Werk, sondern verwechselt es mit den Absichten des Autors; manche Autoren betrachten das als Sonderfall eines genetischen Fehlschlusses.

Sich auf die Biografie des Künstler zu beziehen, ist meines Erachtens einfach eine etwas anders gelagerte Version desselben Fehlschlusses.
Das kann sein. Ich will auch keinesfalls das Kunstwerk aus der Sicht eines Künstlers oder eines absolut Kunstbegeisterten erfassen. Es geht mir eher darum, die sozialen Systeme zu differenzieren und die Kunst hierbei als Sphäre zu sehen, in der keine Instrumentalität wirkt. Sicher wandelt sich die Deutung eines Kunstwerks durch die Epochen hindurch, aber auch dann kann ein Kunstwerk m.e. nicht für sich selbst verstanden sein - außer man mag den christlichen Gott :P
Ich habe hier eine vage Vorstellung, was du meinst. Ein Beispiel: Die Bilder des amerikanischen abstrakten Expressionismus sind in irgendeiner Form auch Ausdruck ihrer Zeit, sagen wir (ohne es auf die Goldwaage zu legen) als Selbstbild der Amerikaner in Zeiten des Kalten Krieges. Während man das gleiche für ein Spiel wie Schach nicht unbedingt sagen würde, es sei denn, man denkt an den Weltmeisterschaftskampf zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski :)

Das Problem bei deinem Text zum Spiel ist für mich, dass ich den Grundgedanken nicht verstehen kann, weil ich deine Metaphern und Formulierungen nicht wirklich gut entziffern kann. Ein Aspekt, der in einem Thread über Hermeneutik meines Erachtens besondere Erwähnung verdient :)
Ja, so in etwa könnte man das sehen.

Wieso? Wo erkennst du für dich Probleme?
Ich finde schon. Wenn der Künstler die Strategie der Partizipation verfolgt, dann hat das Kunstwerk, in dem es partizipativ ist, die "Strategie in sich".
Wäre es dann nicht eher so geformt, dass andere daran partizipieren? Der Künstler würde dann ja das Werk so anlegen, dass die Partizipation ersichtlich ist. Hmm, ja vielleicht hat das Kunstwerk in diesem Fall so etwas wie die Strategie in sich...aber eher würde man vielleicht sagen können, dass das Kunstwerk dann die Intention des Künstlers offen darlegt. Die Impression der anderen also animiert zu partizipieren. Aber naja, das mit dem Spiel und dem Kunstwerk war ein ziemlicher schnellschuss :P
Ich würde meinen, Fussball wird immer und Schach manchmal von Teams gespielt. Und ein Team ist nicht einfach eine Ansammlung von Individuen.
Ja sicher, aber ein Team besteht aus Individuen. Im Spiel erscheint, anders als in der Kunst, die Subjektivität und Individualität. Während das Kunstwerk immer eher auf die Intersubjektivität abzielt und nur bestimmte Stereotype transportieren kann. Und auch als Betrachter ist man nicht "im" Kunstwerk, sondern in den Sinnen oder der Abstraktion ("Wow, tolle Metapher") während man das Kunstwerk betrachtet. Beim Spiel aber ist man vollständig im Spiel, ohne Rücksicht auf intersubjektive oder moralische Fragen.




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Jörn Budesheim
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Do 22. Apr 2021, 06:55

Groot hat geschrieben :
Mo 19. Apr 2021, 16:09
Das Spiel ist doch eine Sache, die dem Subjekt bzw. dem Selbst, der Individualität, dem Eigennamen einen Platz einräumt. Etwas, worin keinerlei Regelwerk normativ aktualisiert wird; jedes Spiel lässt seine Regelhaftigkeit erst in der Wiederholung des spezifischen Spieles erkennen.
Ich bin, wie vermutlich fast jeder, durchaus vertraut mit dem Gegenstand. Das heißt, ich weiß, was es heißt zu spielen. Dennoch weiß ich nicht, worauf du in dem Zitat und auch im folgenden Text hinaus willst, aber es würde mich sehr interessieren. Kannst du es vielleicht in einfachen Worten an einem Beispiel erläutern?




Groot
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Fr 23. Apr 2021, 20:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Apr 2021, 06:55
Groot hat geschrieben :
Mo 19. Apr 2021, 16:09
Das Spiel ist doch eine Sache, die dem Subjekt bzw. dem Selbst, der Individualität, dem Eigennamen einen Platz einräumt. Etwas, worin keinerlei Regelwerk normativ aktualisiert wird; jedes Spiel lässt seine Regelhaftigkeit erst in der Wiederholung des spezifischen Spieles erkennen.
Ich bin, wie vermutlich fast jeder, durchaus vertraut mit dem Gegenstand. Das heißt, ich weiß, was es heißt zu spielen. Dennoch weiß ich nicht, worauf du in dem Zitat und auch im folgenden Text hinaus willst, aber es würde mich sehr interessieren. Kannst du es vielleicht in einfachen Worten an einem Beispiel erläutern?
Das Spiel ermöglicht, dass sich das Subjekt einen Freiraum schafft. Hier hat es ähnliche Funktion wie die Kunst. Es schafft Raum gg. die Notwendigkeiten der Sittlichkeit bzw. gg. das Übel und die Ungerechtigkeit der Lebenswelt.

In diesem Freiraum ist nun ein Spiel ein Platz, in dem die Regeln eben nicht von vornherein (durch Tradition oder andersartig präsupponierte Übereinkunft) über dem Raum fest montiert sind. Sondern das Spiel hat Regeln, die erlernt werden im Spiel selbst - und nicht oktroyiert werden, wie dies bspw. bei Normen ist.

Es zeigt seine Regelhaftigkeit dadurch, dass man beim erneuten Spielen des bestimmten Spieles dieselben Regeln durch das Spiel vorgesetzt bekommt. Anders ist das, wenn man bspw. normative Regeln betrachtet. Denn in diese wird man hineingeworfen, wächst darin auf und hat diese, wie selbstverständlich, internalisiert.




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Jörn Budesheim
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Sa 24. Apr 2021, 07:28

Vielen Dank, ich denke, dass ich nun eine etwas bessere Vorstellung davon habe, was du oben sagen wolltest.

Ich befürchte jedoch, dass nicht viel dabei ist, was ich gerne unterschreiben würde :) Ich glaube z.b. nicht, dass das Spiel generell Raum gegen die "sittliche Notwendigkeit" schafft. Ich denke eher, dass Spiele ohne die "sittlichen Notwendigkeit" z.b. "die sittliche Notwendigkeit", dass sich alle Teilnehmer am Spiel gleichermaßen an die Regeln halten müssen, gar nicht möglich wäre. Ich glaube auch nicht, dass normative Regeln generell oktroyiert werden, dass man in sie hinein geworfen wird und sie internalisiert. Ich glaube vielmehr, dass wir alle im Regelfall einen moralischen Kompass (in Ansätzen zumindest) bereits mitbringen.

Auch den Aspekt, dass du beim Spiel den Fokus auf "das Subjekt" legst, unterschreibe ich nicht. Denn gerade beim Spiel geht es schließlich in der Regel um das Zusammenspiel Vieler.

Dass das Spiel ein Freiraum ist, finde ich jedoch plausibel. Vielleicht könnte man es sich als eine Form der Entlastung vom Alltag vorstellen. Denn in der Regel verfolgt man im Spiel keine Zwecke, die über dieses Spiel hinausgehen, Spiele sind also der Tendenz nach selbstzwecklich, ihr Witz, ihr Spaß liegt in ihnen selbst.

Manchmal kann man im Spiel die Erfahrung machen, dass alles wie von selbst geht, ein flow, ein freier Fluss - und von daher in einem gewissen Sinn: ein kleiner Urlaub vom Subjektsein. Auf der anderen Seite (wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob es wirklich eine andere Seite ist) ist der Mensch "bekanntermaßen" nur da wirklich Mensch, wo er spielt: "Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." (Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen) Ich meine, dass Schiller hier durchaus etwas getroffen hat. Aber das müsste man natürlich etwas ausarbeiten.




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So 25. Apr 2021, 07:59

Hans-Georg Gadamer, WM 108-112, zitiert nach Udo Tietz hat geschrieben : »Das Spiel hat ein eigenes Wesen, unabhängig von dem Bewußtsein derer, die spielen. Spiel ist auch dort, wo kein Fürsichsein der Subjektivität den thematischen Horizont begrenzt und wo es keine Subjekte gibt, die sich spielend verhalten. Das Subjekt des Spiels sind nicht die Spieler, sondern das Spiel kommt durch die Spielenden lediglich zur Darstellung. […] Das Spiel stellt offenbar eine Ordnung dar, in der sich das Hin und Her der Spielbewegung von selbst ergibt. […] Die Bewegung des Hin und Her ist für die Wesensbestimmung des Spiels offenbar so zentral, daß es gleichgültig ist, wer oder was diese Bewegung ausführt. Die Spielbewegung ist gleichsam ohne Substrat. […] Die Seinsweise des Spiels ist also nicht von der Art, daß ein Subjekt da sein muß, das sich spielend verhält. […] Alles Spielen ist ein Gespieltwerden.«
Das klingt für mich fast so, als seien deine kurzen Ausführungen zum Thema Spiel und Kunst eine Antwort auf diese Vorstellung von Hans-Georg Gadamer?!




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infinitum
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So 25. Apr 2021, 17:54

Groot hat geschrieben : Aber naja, das mit dem Spiel und dem Kunstwerk war ein ziemlicher schnellschuss
den Vergleich finde ich eigentlich gut gewählt und herausfordernd.
Würde gerne was zur Differenz Spiel und Kunstwerk schreiben, wie ich es verstanden habe und mal sehen, ob ich das jetzt alles so richtig verstanden hab und dazu schieb ich einfach Eure Zitate dazu rein.
Groot hat geschrieben : Ja, man folgt den Regeln des Spieles. Aber wo sind denn dann die Regeln? Diese werden ja durch das Spiel vorgegeben. Anders beim Kunstwerk, worin man ja so gut als alles hineininterpretieren kann, also Regeln selbst setzt.
Auch das Kunstwerk ist Regeln unterworfen, wobei diese eher variabel ausfallen: es kann eine geformte Lehmfigur sein oder ein Bild auf Leinwand oder aus verschiedenen Texturen oder Techniken, aber es wird in einem (auch und vor allem sozialem) Kontext erstellt und ist dann in einem speziell gewählten Fall zum Beispiel an die jeweiligen Materialien gebunden. Der Künstler lebt sich in dem Fall eines Leinwandbildes auf der begrenzten Fläche mit einem Satz an Farben aus. Der Künstler bestimmt vorher die Regeln des Spiels: Materialien, Ort, Technik. Was dabei rauskommt, hängt dann vom Künstler ab. Die zeitliche, soziale und kulturelle Prägung dessen beeinflussen hierbei die selbst-gewählten Regeln in Form von Materialien und Stil.
Groot hat geschrieben : Ich würde meinen, dass der Prozess des Entstehens eines Kunstwerkes davon getragen ist, etwas zu erzeugen, das dem Künstler zunächst inhärent ist. Es verweist auf Ideen, die in seinem Entwicklungsprozess, sei es zufällig, sei es vorher hineingelegt, sich entwickelt haben oder zuvor bereits intendiert waren.
Ja, ich denke auch, dass ein Künstler ganz zu Beginn erstmal eine vage Idee im Kopf hat, was er erzeugen möchte. Während des Schaffen-Prozesses entwickelt sich dann oft auch eine Eigendynamik, welche dazu führt, dass das Kunstwerk sich gar nicht dahin entwickelt, was eigentlich intendiert war und was dann dazu führt, dass es ein Meisterwerk wird.
Auch gibt es die Möglichkeit, dass ein Künstler sich ganz bewusst ohne Idee vor ein leeres Bild setzt und auf eine Inspiration wartet und auch sich vom Moment „führen“ lässt. Er lässt Umgebung auf sich wirken und das, was dann sich „abbilden“ lassen will, das nutzt den Künstler, um zu entstehen. Wenn ich das mal so transzendental ausdrücken darf.

Nun, im Spiel gibt es „äußere“ oder fixe Regeln, auch diese sind einst mal entstanden und resultieren aus einem längeren Prozesse des Anpassens an bestimmte zeitliche Veränderungen (Beispiel wäre im Fußball, dass es keinen Lederball mehr gibt oder die kurzzeitige Einführung und Wiederabschaffung des Golden Goals).
Nur sind hier viel mehr als nur ein Künstler am Werk beteiligt, da viele nach den gleichen Regeln des Spiels spielen.
Groot hat geschrieben : Das Spiel ermöglicht, dass sich das Subjekt einen Freiraum schafft. Hier hat es ähnliche Funktion wie die Kunst. Es schafft Raum gg. die Notwendigkeiten der Sittlichkeit bzw. gg. das Übel und die Ungerechtigkeit der Lebenswelt.

Es zeigt seine Regelhaftigkeit dadurch, dass man beim erneuten Spielen des bestimmten Spieles dieselben Regeln durch das Spiel vorgesetzt bekommt.
Jörn Budesheim hat geschrieben : Auch den Aspekt, dass du beim Spiel den Fokus auf "das Subjekt" legst, unterschreibe ich nicht. Denn gerade beim Spiel geht es schließlich in der Regel um das Zusammenspiel Vieler.
Aber inmitten des Spiels besteht die Individualität darin, dass der einzelne Spieler hier auch eine gewisse künstlerische Freiheit genießt und seine Kreativität auch ausleben möchte. Hier besteht ein Bezug zum Subjekt, der zu einem Gleichgewicht zwischen dem „Subjekt und seiner Unterordnung zu den Spielregeln“ führt. Es ist quasi ein Kompromiss zwischen Freiheit und Regelbewusstsein und in der Kunst wäre es die Schaumkrone auf der Welle, die ich mit einem wilden Kristall-Muster meiner Wahl verzieren kann, wenn ich schon ein Bild eines dieses Motivs malen „muss“.
Wieder im Fußball könnte man sagen, dass Ronaldo sich die Freiheit rausnimmt, vor dem Elfmeterpunkt sein bekanntes Ritual durchzuführen oder dass er gewisse Hakentricks macht und mit dem Ball zaubert. Das steht so nicht in den Regeln und war auch vorher nicht festgelegt.
Aber ich denke nicht, dass das Spiel dies ermöglicht, sondern dass es eine Zwangsläufigkeit ist, die beim Ablauf des Spiels entsteht, und die durch das Individuum genutzt wird.
Groot hat geschrieben : Der Punkt, den ich machen wollte, war aber der, dass das Kunstwerk - anders als das Spiel - aus der idealistischen Warte beeinflußt ist und ein Ereignis des Geistes und der Idee ist. Anders das Spiel, welches, dem Kunstwerk zwar ähnlich ist, aber nicht damit identisch, weil das Spiel eben das reinste Phänomen sozialer Tatbestände ist und nicht auf transzendentes abzielt, wie das Kunstwerk das u.a. tut.
mir würde noch einfallen, dass jedes Spiel auch mal einst eine Idee war.
Groot hat geschrieben : Naja, es gibt in gewisser Weise schon hier das Schach und dort die Regeln. Denn der Regelbegriff erfasst sowohl technische, spielerische, normative als auch "subjektive" Regeln. Wenn ein Spiel nun Regeln hat, dann sind dies spielerische - und nicht normative oder technische Regeln, die zur Anwendung kommen.
Das versteh ich nicht, kannst du das nochmal näher erklären?
Beim Fussball gibt es bestimmt auch technische Regeln...



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Groot hat geschrieben : Ich würde meinen, dass der Prozess des Entstehens eines Kunstwerkes davon getragen ist, etwas zu erzeugen, das dem Künstler zunächst inhärent ist. Es verweist auf Ideen, die in seinem Entwicklungsprozess, sei es zufällig, sei es vorher hineingelegt, sich entwickelt haben oder zuvor bereits intendiert waren.
transfinitum hat geschrieben :
So 25. Apr 2021, 17:54
Ja, ich denke auch, dass ein Künstler ganz zu Beginn erstmal eine vage Idee im Kopf hat, was er erzeugen möchte. Während des Schaffen-Prozesses entwickelt sich dann oft auch eine Eigendynamik, welche dazu führt, dass das Kunstwerk sich gar nicht dahin entwickelt, was eigentlich intendiert war und was dann dazu führt, dass es ein Meisterwerk wird.
Auch gibt es die Möglichkeit, dass ein Künstler sich ganz bewusst ohne Idee vor ein leeres Bild setzt und auf eine Inspiration wartet und auch sich vom Moment „führen“ lässt. Er lässt Umgebung auf sich wirken und das, was dann sich „abbilden“ lassen will, das nutzt den Künstler, um zu entstehen.
Interessant, dass dein Text mit "ja" beginnt, aber dann eigentlich auf ein vorsichtiges "Nein" hinausläuft, wenn ich ihn richtig verstanden habe.

Es gibt sicher Künstler:innen, die zuvor sogar mehr als eine vage Idee haben; manche haben ganz präzise Vorstellungen, die mit umfangreichen Skizzen oder vielleicht sogar Photoshop-arbeiten vorbereitet werden. Anderen ist es hingegen wichtig, ohne jede Vorstellung zu starten; um das zu erreichen kann man z.b. mit Zufallselementen arbeiten, Schnipsel aufs Papier fallen lassen, Farben würfeln und dergleichen mehr. (Zufall und Glück spielen bei kreativen Prozessen überhaupt eine relativ große Rolle, finde ich.)

Ich mache gerade ein Projekt, bei dem zwei Künstlerinnen und drei Künstler gemeinschaftlich zeichnen, wobei wir uns die Arbeiten per Post zuschicken und sie dann weiterentwickeln. Ich versuche die Arbeit dann im Dialog mit dem vorliegenden "Material" weiterzuentwickeln, aus der Logik dessen, was da vor mir liegt.

Was ich bezweifle ist, dass es für alle künstlerischen Arbeiten quasi eine wesentliche Richtung gibt: aus "dem Inneren" des Künstlers oder der Künstlerin heraus zum Werk hin. Das halte ich für abwegig. Dafür sind die unendlich vielen künstlerischen Praktiken viel zu verschieden.




Groot
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Di 27. Apr 2021, 21:36

Könnte man vielleicht sagen, dass die Hermeneutik nur deshalb relevant ist, weil wir als Gesellschaft uns nicht klar entgegen der Marktfreiheit positioniert haben?
Denn diese Freiheit, die dadurch völlig losgelöst von jeder Vernunft entsteht, ernötigt ja erst, dass die Kunst sich ihrer selbst gewahr wird. (Zumindest, sofern man nicht meint, dass "Kirche und Bibel" irgendeine Art von Autorität hätten) Denn nur hier kann sich das kritische Subjekt dann ja noch entfalten und sich seiner antikapitalistischen und/oder atheistischen Werte und ihrer Korrektheit versichern.

Würden wir uns entgegen des Marktes positionieren als Gesellschaft, dann würde - trotz Eingedenk der christlichen Tradition - ja eine Phänomenologie hinreichend sein, um darin "gewissheit" der Gegenwart und des historischen Denkens zu erreichen. Oder nicht?

Sozusagen erzwingen nur die libertären und kommunitaristischen Strukturen, die logische Folge eines Christentums sind, dass die Hermeneutik überhaupt Relevanz bekommt gegenüber der kollektivierenden Phänomenologie. Könnte man das vielleicht so aussprechen?




Groot
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Registriert: Di 6. Apr 2021, 17:10

Di 27. Apr 2021, 21:36

Wäre nicht die "Situation" ein besserer Begriff für die Hermeneutik?
Interessant, dass Gadamer die Situation ins Spiel bringt.

Zum einen dort, wo er die Phänomenologie Husserls und Heidegger abarbeitet. (Zweiter Teil, I 3. und II 1. a)) Wobei sie hier noch implizit bleibt.

Beides kommt unmittelbar vor dem Abschnitt, in dem er sich explizit auf den Situationsbegriff bezieht. Er behandelt den Begriff im Umfeld der Wirkungsgeschichte, in die wir stets immer eingebettet sind. (Zweiter Teil, II, 1. d)) (S. 285)

"Der Begriff der Situation ist ja dadurch charakterisiert, daß man sich nicht ihr gegenüber befindet und daher kein gegenständliches Wissen von ihr haben kann. Man steht in ihr, findet sich immer schon in einer Situation vor, deren Erhellung die nie ganz zu vollendende Aufgabe ist."

Ist das nicht deutlich trefflicher, als das Erlebnis ins Zentrum zu rücken? Zumindest, wenn es um Hermeneutik geht. Bei der Ästhetik, bei der sich das Erlebnis im Zentrum weiß, mag vielleicht das Erlebnis passlicher sein. Wenn es auch merkwürdig ist, dass er das Erlebnis dann abstrakt in Metaphern des Spieles darlegt, anstatt bereits hier auf die Situation als Umrahmung der Erlebnisse zu verweisen, die sich aus der Lebenswelt heraus speisen und qua Situation in eben jene Lebenswelt eingebettet sind. (Als müsste man sich dem Ernst der Lage versichern, indem man möglichst unernst sich zum Leid der Welt verhält, welcher die Analyse der Kunst zur Notwendigkeit macht um nicht dem Freitod anheimzufallen.)
Zuletzt geändert von Groot am Di 27. Apr 2021, 21:38, insgesamt 1-mal geändert.




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